[30]

Die Unsterblichkeit der Seele

Da steh ich auf dem Hügel, und schau umher,
Wie alles auflebt, alles empor sich dehnt,
Und Hain und Flur, und Tal, und Hügel
Jauchzet im herrlichen Morgenstrahle.
O diese Nacht – da bebtet ihr, Schöpfungen!
Da weckten nahe Donner die Schlummernde,
Da schreckten im Gefilde grause
Zackigte Blitze die stille Schatten.
Jetzt jauchzt die Erde, feiert im Perlenschmuck
Den Sieg des Tages über das Graun der Nacht –
Doch freut sich meine Seele schöner;
Denn sie besiegt der Vernichtung Grauen.
Denn – o ihr Himmel! Adams Geschlechte sinds,
Die diese Erd im niedrigen Schoße trägt –
O betet an, Geschlechte Adams!
Jauchzet mit Engeln, Geschlechte Adams!
O ihr seid schön, ihr herrliche Schöpfungen!
Geschmückt mit Perlen blitzet das Blumenfeld;
Doch schöner ist des Menschen Seele,
Wenn sie von euch sich zu Gott erhebet.
O, dich zu denken, die du aus Gottes Hand
Erhaben über tausend Geschöpfe gingst,
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In deiner Klarheit dich zu denken,
Wenn du zu Gott dich erhebst, o Seele!
Ha! diese Eiche – strecket die stolze nicht
Ihr Haupt empor, als stünde sie ewig so?
Und drohte nicht Jehovas Donner,
Niederzuschmettern die stolze Eiche?
Ha! diese Felsen – blicken die stolze nicht
Hinab ins Tal, als blieben sie ewig so?
Jahrhunderte – und an der Stelle
Malmet der Wandrer zu Staub das Sandkorn.
Und meine Seele – wo ist dein Stachel, Tod?
O beugt euch, Felsen! neiget euch ehrfurchtsvoll,
Ihr stolze Eichen! – hörts und beugt euch!
Ewig ist, ewig des Menschen Seele.
Mit grausem Zischen brauset der Sturm daher,
Ich komme, spricht er, und das Gehölze kracht
Und Türme wanken, Städte sinken,
Länder zerschmettern, wenn ich ergrimme.
Doch – wandelt nicht in Schweigen der Winde Dräun?
Macht nicht ein Tag die brausende atemlos?
Ein Tag, ein Tag, an dem ein andrer
Sturm der Verwesten Gebeine sammelt.
Zum Himmel schäumt und woget der Ozean
In seinem Grimm, der Sonnen und Monde Heer
Herab aus ihren Höhn, die stolze,
Niederzureißen in seine Tiefen.
[32]
Was bist du, Erde? hadert der Ozean,
Was bist du? streck ich nicht, wie die Fittige
Aufs Reh der Adler, meine Arme
Über die Schwächliche aus? – Was bist du,
Wenn nicht zur Sonne segnend mein Hauch sich hebt,
Zu tränken dich mit Regen und Morgentau?
Und wann er sich erhebt, zu nahn in
Mitternachtswolken, zu nahn mit Donnern,
Ha! bebst du nicht, Gebrechliche? bebst du nicht? –
Und doch! vor jenem Tage verkriechet sich
Das Meer, und seiner Wogen keine
Tönt in die Jubel der Auferstehung.
Wie herrlich, Sonne! wandelst du nicht daher!
Dein Kommen und dein Scheiden ist Widerschein
Vom Thron des Ewigen; wie göttlich
Blickst du herab auf die Menschenkinder.
Der Wilde gafft mit zitternden Wimpern dich,
O Heldin, an, von heiligen Ahndungen
Durchbebt, verhüllt er schnell sein Haupt und
Nennet dich Gott, und erbaut dir Tempel.
Und doch, o Sonne! endet dereinst dein Lauf,
Verlischt an jenem Tage dein hehres Licht.
Doch wirbelt sie an jenem Tage
Rauchend die Himmel hindurch, und schmettert.
O du Entzücken meiner Unsterblichkeit!
O kehre du Entzücken! du stärkest mich!
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Daß ich nicht sinke, in dem Graun der
Großen Vernichtungen nicht versinke.
Wenn all dies anhebt – fühle dich ganz, o Mensch!
Da wirst du jauchzen: Wo ist dein Stachel, Tod?
Dann ewig ist sie – tönt es nach, ihr
Harfen des Himmels, des Menschen Seele.
O Seele! jetzt schon bist du so wundervoll!
Wer denkt dich aus? daß, wann du zu Gott dich nahst,
Erhabne, mir im Auge blinket
Deine Erhabenheit – daß du, Seele!
Wann auf die Flur das irdische Auge blickt,
So süß, so himmlisch dann dich in mir erhebst –
Wer sah, was Geist an Körper bindt, wer
Lauschte die Sprache der Seele mit den
Verwesungen? – O Seele, schon jetzt bist du
So groß, so himmlisch, wann du von Erdentand
Und Menschendruck entlediget in
Großen Momenten zu deinem Urstoff
Empor dich schwingst. Wie Schimmer Eloas Haupt
Umschwebt der Umkreis deiner Gedanken dich,
Wie Edens goldne Ströme reihen
Deine Betrachtungen sich zusammen.
Und o! wie wirds einst werden, wann Erdentand
Und Menschendruck auf ewig verschwunden ist,
Wann ich an Gottes – Gottes Throne
Bin, und die Klarheit des Höchsten schaue.
[34]
Und weg ihr Zweifel! quälendes Seelengift!
Hinweg! der Seele Jubel ist Ewigkeit! –
Und ist ers nicht, so mag noch heute
Tod und Verderben des Lebens große
Gesetze niedertrümmern, so mag der Sohn
In seinem Elend Vater und Mutterherz
Durchbohren, mag ums Brot die Armut
Tempel bestehlen, so mag das Mitleid
Zu Tigern fliehn, zu Schlangen Gerechtigkeit,
Und Kannibalenrache des Kindes Brust
Entflammen, und Banditentrug im
Himmelsgewande der Unschuld wohnen.
Doch nein! der Seele Jubel ist Ewigkeit!
Jehova sprachs! ihr Jubel ist Ewigkeit!
Sein Wort ist ewig, wie sein Name,
Ewig ist, ewig des Menschen Seele.
So singt ihn nach, ihr Menschengeschlechte! nach,
Myriaden Seelen singet den Jubel nach –
Ich glaube meinem Gott, und schau in
Himmelsentzückungen meine Größe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hölderlin, Friedrich. Gedichte. Gedichte 1784-1800. Die Unsterblichkeit der Seele. Die Unsterblichkeit der Seele. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7A10-5