[219] Der Bach

Es ließ ein Hirt auf grünen Rasen
Die weissen Lämmer grasen,
Und sang dem nahen Bach
Ein Lied in seine Thäler nach.
»Du Führer kleiner Bäche,
Den jede Staude gern in ihren Schatten nimmt,
Auf dessen Silberfläche
Das Bild der Sonne schwimmt!
Da wandelst du, gepriesen
Von jeder Nachtigall,
Und tränkest auf den Wiesen
Die Blumen überall;
Da kömmt in dir zu baden,
Mit süßem Raub beladen,
Die Honigträgerinn;
Da fliegt ein Taubenpaar zu deinem Ufer hin;
[220]
Die junge Schäferinn'
Entkleidet sich im Stillen;
Es werfen dir, um ihretwillen,
Die Götter Küsse zu.
Beglückter Bach! In dieser Ruh,
Bey diesen Küssen,
Wie kann es dich verdrießen,
Wenn dir ein Faun, mit seinen Ziegenfüßen,
Die kleinste Welle trübt?
Du wirst, nicht weniger geliebt,
Du wirst, nicht minder hell,
Von jenem hohen Felsenquell,
Bey lautem Maygesang, in ferne Meere fließen.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Der Bach. Der Bach. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8B51-E