[9] An Caroline **

Halberstadt, den 22ten Februar 1775.


Freuen Sie sich, liebste Caroline! Sie bekommen hier ein Lied unsers Gleims, von ihm selber für Sie abgeschrieben; und zwar eins der schönsten, die er in seinem Leben gemacht hat. Es ist nicht bloße Dichtung. Wirklich war er, vor einigen Tagen, in seinem Garten, und sah das frühe Veilchen, und sah es, wie ein Mann, dessen Herz an den Schicksalen alles dessen, was athmet, einen warmen Antheil nimmt; der in der ganzen Schöpfung Gespielen sich aufsucht, um sich zu ihnen zu gesellen, mit ihnen zu fühlen; auch sie zu dem Guten, das ihm der Schöpfer gab, hin zu rufen. Ihm ist es ein süßer Gedanke, daß von dem, was einmal da war, nichts [10] umkomme; daß in der Pflanze, die verwest, ein Saamen-Körnchen, oder mehrere, zu neuen Pflanzen liegen; daß nichts sterbe, sondern alles sich nur verwandle; daß auch in den geringsten Blumen ein Geist wohne; thätig, wie der unsrige, denn er haucht Gerüche von sich, die den Vorübergehenden laben; und unsterblich, wie der unsrige, denn er ist mit dem vollkommensten Geiste verwandt. Sollten wir nicht hoffen, daß dieser vollkommenste Geist, welcher Blumen und Engel schuf, das Niedrige, nach und nach, von einer Stufe zur andern, immer höher steigen lasse? Vielleicht fährt der Geist des Veilchens, wenn es verwelkt, in eine Lerche, fliegt in ihr zu den Wolken und singt – bis er eine freundliche Mädchenseele, wie die Seele meiner Caroline, wird, und aus ihr ein Engel!


Sagen Sie, meine Beste! sind die Blumenfelder und die Gesänge der Vögel, bey solchen Gedanken, Ihnen nicht angenehmer? Ist es nicht Trost, wenn die schönste Blume verdorrt, und [11] die Jungen der Nachtigall, mit dem zerrißnen Nest, unter dem Baum vermodern, auf welchem ihre Mutter sie beklagt, dann zu glauben: Dieß Leben verstäubt nicht in der Luft? Die Asche dessen, was zu vergehen scheint, wird treulich gesammelt und aufgehoben!


Die Rose also, die Nachtigall kommt wieder, in einer bessern Gestalt. Dies Leben kann einst verherrlicht da stehen um den Thron Gottes.


Mit Ihnen, liebste Caroline, darf ich so reden, das weiß ich. Es sind keine dunkle Träume für Sie, wie denn selten uns etwas dunkel bleibt, woran dem Herzen gelegen ist, es zu verstehen.


Ein Wort in dem Gleimischen Liede wird Sie befremden; ob Sie gleich öfter es gehört, und sogar in Dichtern gelesen haben. Uz, in dem Gesang eines lächerlichen Schulgelehrten, der seine Schulweisheit bis in die Liebe überträgt, läßt diesen zu seinem Mädchen sagen:


[12]
»Die Monas, die in mir gedenkt,
Vermag, in deinen Reiz versenkt,
Die rohen Sinnlichkeiten
Nicht länger zu bestreiten.«

Ferner bittet eben derselbe Dichter in seinem trefflichen Nachtwächter-Liede:

»Das Wasser, alter Weisen Trank,
Gieb unsern jungen Weisen;
Und jage den Monaden-Zank
Von freudenvollen Schmäusen.«

Ohne Zweifel kennen Sie auch die Jungfer Marionette von Zachariä:

»Sie neigt sich artig, und steht da;
Und sagt aufs Höchste: Was und Ja!
Ach! sie ist noch Monade:
Wahrhaftig das ist Schade!«

Billig, meine Freundinn, sollte ich das Wort Ihnen erklären; aber in Wahrheit, obgleich Monas [13] oder Monade unter allen kleinen Dingen das allerkleinste ist, so brauchten Sie doch ein ganzes Jahr wenigstens, um es recht zu wissen; und am Ende wären Sie ein Bischen gelehrter, aber, ich wette, nicht so liebenswürdig, als jetzt. Anstatt mit Ihrer Nadel artige Mädchen-Arbeit zu machen, säßen Sie, und dächten, wie viele Monaden wohl in ein Nadel-Oehr gingen, und ob die Monade, woraus der Faden zusammengesetzt wäre, sich von ihrer Arbeit einige Vorstellung machen könnte. – Denn kurz, wenn sie den feinsten Faden auseinander rissen, dergestalt, daß Sie die Theilchen davon kaum noch sähen – diese Theilchen zergiengen in noch kleinere, die man nicht anders, als durch ein Vergrößerungsglas, gewahr würde – so müßten diese wiederrum getheilt werden, so lange, bis auch der künstlichste Geist, mit seinen zartesten Instrumenten, und wären sie seiner, als der Athem der Milbe, nichts weiter davon zu theilen vermöchte. Nun erst hätten wir eine Monade. Natürlicher Weise bestehen alle Körper aus solchen Dingerchen, die [14] sich, man weiß nicht wie, aneinander klammern. Ob sie, als eine Art von Geisterchen, denken oder träumen, darüber haben die Gelehrten lange gestritten. Manche haben, über den einzelnen Monaden, die beßte Vereinigung derselben in der reizendsten Landschaft und in dem lieblichsten Mädchen vergessen. Zugleich wünschten Sie, auszufinden, wie die gemeinen Monaden von den vornehmern, den Engel- und Menschen-Seelen, unterschieden sind; denn auch Ihre Seele, meine Freundinn, ist Monade, mit allem Guten, was in ihr ist, mit allen zärtlichen Empfindungen, mit der Begierde, wohl zu thun, mit Freundschaft und Liebe, mit dem Blicke, der auf Erden am Schönen sich vergnügt, und oftmals von ihr in den Himmel schaut.

Aber welch eine lange Vorrede zu einem Liede von so wenigen Versen! Nicht wahr, liebste Caroline, Sie lernen dasselbige auswendig, um unter den ersten Veilchen mir es vorzusagen?

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An Caroline **. An Caroline **. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8B67-D