Das beständige Einerlei

1759.


Aspan, ein Edelmann, gewohnt zum Zeitvertreib,
Verirrte dann und wann sich zu des Dieners Weib,
Denn sie war jung und schön – Wie? Was trieb denn Aspanen
Zu Weibern seiner Unterthanen?
Hat er denn selbst kein Weib? Ja, er hat eine Frau;
Doch welcher Mensch wird alt und grau,
Ohn' mehr als einerlei von Speise zu genießen?
Wer kann denn ewig nur auf Einem Munde küssen?
Zum wenigsten kann dieses nicht Aspan.
Einst trift sein Diener ihn bei seinem Weibe an:
Herr! spricht er, sagt mir doch, was euch zu Andern treibet,
Warum ihr mit dem Kuß bei eurer Frau nicht bleibet?
Der Edelmann lacht laut und spricht: du bist ein Thor,
Ein neuer Kuß kommt uns wie neue Speise vor,
Der Wechsel ist gewiß das schönste Ding auf Erden,
Denn immer einerlei muß uns zum Ekel werden.
Hans hört es an und schüttelt mit dem Kopf,
Denn Hanns der war ein dummer Tropf.
[224]
Sein Herr war listig und verschlagen,
Er heißt dem Koch, zu Hannsens Mittagsmahl
Die besten Aalpasteten tragen.
Das Essen war für Hannsens Wahl,
Er aß sein Tage nicht vom Aal;
Das Ding war ihm so neu, wie alle neue Dinger.
Genug er ißt und leckt die Finger 1.
Der Koch trägts wieder auf den andern, dritten Tag.
So lange bis es Hanns gar nicht mehr essen mag.
Er sitzt und stochert mit dem Messer:
Wo blieb nun der Pastetenesser?
Sein Herr tritt hinter ihn und spricht
Und frägt: wie ists, Hanns! schmeckt die Aalpastete nicht?
O! spricht der gute Hans mit ziemlichem Erröthen,
Wer Henker ißt denn gern nur immer Aalpasteten?
Man sehnt sich auch einmal nach Fleisch und Zugemüß!
Ho ho! spricht Hannsens Herr, Veränderung ist süß;
Wie du nicht jeden Tag magst Aalpastet genießen,
So mag auch ich mein Weib nicht alle Tage küssen.
Hanns hängt den Kopf, schämt sich und schweigt,
Und krazt sich hinter beiden Ohren,
Ganz von der Wahrheit überzeugt,
Daß wir zum Wechsel sind geboren!
[225]

Fußnoten

1 Wen hier ekeln sollte, der bedenke, daß es Hanns ist.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Episteln und Erzählungen. Das beständige Einerlei. Das beständige Einerlei. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-902B-0