9. Sehnsucht nach Wilhelminen
Im August 1737.
Wann seh' ich dich, entfernte Schöne, wieder,
Die meine Brust so lange schweigend ehrt?
Wann setz' ich mich auf jenen Hügel nieder,
Wo du mich erst, was Lieben sey, gelehrt?
Wann werd' ich einst die holden Augen küssen,
Aus deren Glut das reine Feuer stammt,
Das durch die Zeit, so mich von dir gerissen,
Doch immer noch in meinem Herzen flammt?
Wo seyd ihr hin, ihr angenehmen Stunden,
Da ich entzückt an Minchen's Lippen hing?
Ach, wäret ihr doch nicht so bald verschwunden!
Ach, saht ihr nicht, wie nah die Trennung ging?
Ihr floht zu sehr, ihr werthen Augenblicke
Für mich und Die, die damals mich ergötzt,
Und ließt mir nichts von aller Lust zurücke,
Als nur ihr Bild, mir in das Herz geätzt.
Ich sah' dich, Kind, ich fühlte, was für Triebe
Dein feurig Aug' in meiner Brust erweckt;
Ein zärtlich Herz, entzückt von erster Liebe
Ward dir in mir, und mir in dir entdeckt.
Wir liebten uns. Des strengen Schicksals Hassen
Riß mir mein Glück mit Wilhelminen hin.
Ein Jahr ist's schon, daß ich mein Kind verlassen,
Ein Jahr ist's schon, daß ich nicht meine bin.
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Was lernt ich dich, Vollkommne! doch nur kennen?
Was hast du mir doch deine Gunst geschenkt?
Verbandst du uns, o Himmel, uns zu trennen?
Gabst du sie mir, daß mich ihr Wegseyn kränkt?
Ach! mußte mich dies Kind so sehr entzücken,
Daß sie mir fehlt, und nichts die Sehnsucht stillt?
Ach! ist's die Lust von wenig Augenblicken,
Aus der ein Schmerz von einem Jahre quillt?
Beglückter Schmerz! ich fühl' ihn nicht vergebens,
Er stärkt die Lust, wenn wir uns wieder sehn.
Sie küßt mich bald, die Hälfte meines Lebens:
Vergnügter Tag! wie wird uns da geschehn!
Zu träge Zeit! nimm doch die schnellen Flügel,
Damit du flohst, als ich bey Minchen saß,
Ach! führe mich bald auf den schönen Hügel,
Auf dem mein Herz die Freyheit erst vergaß.
Boileau:
- - - bien qu'un triste sort t'ait fait perdre la vie,
Helas! en te perdant j'ai plus perdu que toi.