XLVI
Das Volk von Rom jubelte und wie jm Karneval tobten Masken durch die Straßen.
Mit Sturmeseile durchlief die Kunde vom Hinscheiden des »Antichrists« die heilige Stadt.
Die Leute rannten auf die Straße.
Fremdeste umarmten sich.
Mütter holten ihre Kinder in die Sonne:
Es ist wieder rein, das Licht, seitdem es das Ungeheuer nicht mehr bescheint.
In die Wohnungen der verschiedenen Borgia brachen Volkshaufen und plünderten sie.
Der Pöbel von Rom war ganz besoffen von Chianti und Freude über den Exitus des Papstes.
Sie veranstalteten einen fröhlichen Leichenzug.
Ein abgestochenes Schwein, das den Leichnam des Borgia symbolisierte, wurde in einem mit Papiergirlanden bekränzten offenen Sarg von zwei Juden und zwei Mauleseln dahergezogen.
Heulend, glucksend, quietschend, brüllend [252] folgten die Trauergäste: Bettler, Maroniverkäufer, ausgediente Landsknechte, Huren, Ziegeleiarbeiter, Astrologen, Musikanten, Vagabunden, Rompilger.
Im Zuge schritten auch ein Aussätziger, der den Namen Cesare Borgia, eine schöne blonde Hure, die den Namen Lucrezia Borgia an der Stirn geschrieben trug.
Auch wurde in einem Handkarren eine Art Friedensgöttin mitgeführt: eine halbnackte Frauensperson, die eine Lilie in der Hand schwenkte und ihren ungewaschenen Fuß auf rostige Harnische, Hellebarden und Helme setzte.
Die Stadtpolizei drückte beide Augen zu und ließ den Pöbel rasen.
An Alexander Borgias Leiche zogen, von den Schweizer Hellebardieren nicht gehindert, Tausende vorbei: Kleriker, Bauern, Landsknechte, Arbeiter, Bürger, die ihren Haß unverhohlen kundtaten. Ja, wenn die Schweizer Gardisten nicht hinsahen, spie ihm der eine oder andere ins Gesicht, wo der Schleim ihm auf immer die Augen verklebte. Es war aber nicht eine einzige Frau, die an seiner Leiche vorbeiging. Die [253] Frauen hatten ihn geliebt und wollten sich das Andenken des schönen, wohlgeformten Mannes nicht durch den Anblick der verunstalteten Leiche schänden lassen. –
Julia Farnese vernahm von seinem Tod, als sie im Bad saß. Sie wurde ohnmächtig und wäre ertrunken, wenn nicht eine junge Mohrin, ihre Zofe, zufällig nach ihr gesehen hätte.
Sie ließ sich mit kölnischem Wasser besprengen und saß den ganzen Tag regungslos im Erker. Unten tobte das Volk vorbei und hin und wieder warf einer eine höhnische Kußhand zu ihr nach oben.
Der Teufel hat ihn geholt, schrie ein Schuhmacher vom Petersplatz. Er hatte einen Pakt mit ihm, der ihn auf den Papstthron gebracht hat: zwölf Jahre vier Tage dürfe er Papst sein – danach gehöre seine dreckige Seele ihm, dem Beelzebub, so galt der Vertrag. Gestern war seine Frist abgelaufen. Ein Rudel schwarzer Hunde heulte seit vorgestern in den Korridoren des Vatikans. Das waren der Oberteufel und zwölf Unterteufel.
An der Bahre Alexander Borgias ging auch [254] der Dichter Ariost vorüber. Jemand hatte einen Zettel daran befestigt. Ariost las:
Quis jacet hic?
Sextus.
Quis funera plangit?
Erynnis.
Quis comes in tanto funere obit?
Vitium.
Er blieb stehen und betrachtete lange den unförmigen Koloß, ihm sein Geheimnis zu entlocken.
Vergeblich, seufzte er, es ist vergeblich.
Vielleicht, sann er, wird er im Fegfeuer brennen. Aber das Feuer wird ihm nichts anhaben, denn es ist sein Element. Reue? Nein, Reue kannte er nicht. Er wird auch im Fegfeuer nicht bereuen, und wenn wir einst hinunter müssen, wird er noch brennen – und viele Tausende Geschlechter noch, bis ihn vielleicht eines Tages oder Nachts Gott der Herr erlöst und als Gestirn an den Himmel versetzt: dort mag er dann weiter brennen und sich, brennend, zum Dienst an Licht und Wärme läutern.
Aber das wird die einzige Reue sein, die wir von ihm erwarten dürfen.
[255] Und er legte dem toten Borgia eine weiße Rose zwischen die wulstig aufgegangenen Lippen.
Die weiße Rose, die Lucrezia ihm aufgetragen hatte.
Kein Priester segnete die Bestattung ein.
Keine Litanei wurde gesungen.
Die Totengräber hatten Mühe, die geschwollene Leiche Alexander Borgias in den Sarg zu schaffen. Sie stopften die Fleischmasse hinein mit groben Fäusten wie Gansfüllung in eine ausgenommene Gans.