Das Massengrab
Wenn ich Ihnen mein Zimmer beschreiben soll, so ist dasselbe drei Meter lang, drei Meter breit, fünf Meter hoch. Ein Tisch, ein Bett, ein Stuhl, ein mehr symbolischer als wirklicher Schrank vervollständigen sein Mobiliar. Außer mir wohnen in dem Zimmer noch ein älteres Perlhuhn, ein trächtiges Meerschwein und ein lahmes, syphilitisches Kaninchen. Das Kaninchen hat mit dem Meerschwein, das Perlhuhn mit dem Kaninchen ein öffentlich nicht diskutables Verhältnis. Bloß ich bin sozusagen ganz allein da. Nur aus dem Bedürfnis heraus, gleichsam mit mir selbst ein Verhältnis anzufangen, in ein Verhältnis zu mir zu kommen, schreibe ich Bücher, welche dann später gedruckt und so der Öffentlichkeit nahegebracht werden. Die meisten Kritiken, die in den Zeitungen darüber erscheinen, sind von mir. Ich schicke sie unter falschem Namen hin, indem ich die Signatur meiner Zimmergenossen verwende: [127] Joseph Perlhuhn, Isabella Meerschwein, Isidor Ben Kanin Chen. Ich pflege mich teils heftig zu loben, teils heftig zu tadeln, um so eine längere Diskussion in den verschiedenen Blättern hervorzurufen, welche ich ganz allein bestreite. Wenn Sie meine Lebensführung als überaus traurig und fast idiotisch bezeichnen, so haben Sie nicht so ganz un recht. Aber was soll ein lebender Mensch heute anfangen, das nicht böse oder niederträchtig endet? Der Tod ist das einzig Erfreuliche am Leben. Ich habe mir im Garten eine Familiengruft selbst gegraben und hergerichtet: vier Gräber nebeneinander: für mich, für das Perlhuhn, das Meerschwein und das lahme syphilitische Kaninchen. Ein gemeinsames Kreuz wird sich über dem Massengrab erheben, auf dem in goldenen Lettern die fromme Inschrift angebracht ist: Hic Rhodus, hic salta!
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