Elegant möblierte Zimmer
Einmal, dachte ich, muß man den Schritt in die große Welt wagen. Und ich mietete bei Frau Dr. rer. nat. Limusine Reisfleisch in der Karolinenstraße 47, Gartenhaus Hochparterre, zwei elegant möblierte Zimmer mit Bad, elektrischem Licht, Zentralheizung und Telephon. Ab 1. September. Am 4. September kehrte ich unerwartet von meiner Sommerreise aus Mittenwald heim. Im Wohnzimmer fand ich ein dreitägiges Baby inmitten eines herzigen Wäschekorbes und im Schlafzimmer ein fremdes Fräulein. Dieser Witz war so alt, daß ich erschrak und zuerst bezweifelte, ihn zu erleben. Danach ging ich in ein Hotel und brach an der Brust des Pikkolos in Weinkrämpfe aus. Diese Weinkrämpfe wurden auf der Hotelrechnung mit fünfunddreißig Pfennig berechnet.
Am nächsten Morgen wagte ich wieder bei Frau Dr. rer. nat. Reisfleisch vorzusprechen. Ob es nunmehr genehm sei, [41] wenn ich einziehe... Es war genehm, und ich zog ein. Mit vielen Koffern und Kisten, die mir nacheinander an die Kniescheibe fielen.
Ich wollte, wie üblich, meine Wäsche in die Kommode packen und zog die Schubfächer auf. Im obersten lagen Haar- und Stricknadeln sowie sonstige Utensilien einer Dame von Welt. Aus der untersten Schublade zauberte ich einen verstorbenen Papagei und das vollständige Putzzeug eines Soldaten ans Tages- bzw. elektrische Licht. Denn weil ich es doch bezahlen mußte, hatte ich es gleich bei Tag angedreht.
Erfreulich berührte mich die Zentralheizung, welche allein durch die Staubschicht, die auf ihr lastete, wärmte und heizte.
Würmer liefen auf den weißen Fensterbrettern. Eine dicke Kreuzspinne schlief in einem Biedermeierlehnstuhl.
Um sie nicht zu wecken, zog ich mir die Stiefel aus und ging behutsam auf Socken. Ich gedachte zu baden.
[42] Ich klingelte sanft. Ich klingelte lauter. Ich klingelte ganz laut. Ich klingelte sechsundzwanzigmal.
Ein Kind erschien in der Tür. Im weißen Hemd. Und noch ein Kind. Und immer mehr Kinder. Zuletzt Frau Dr. Reisfleisch mit großer Hornbrille und gütig bemoostem Haar. Und Herr Dr. rer. nat. Reisfleisch erschien als oberbayrischer Bua verkleidet oder Bubi, wie man norddeutsch sagt: mit scheckigen Wadenstrümpfen, mahagonibraunen Kniehosen und einem dottergelben Janker.
»Ich erkläre die außerordentliche Kündigung«, schrie ich und flog im Zimmer umher. Zu gehen wagte ich schon nicht mehr. »Ich erkläre die außerordentliche Kündigung. Sie haben sämtliche Punkte des Mietvertrages gebrochen...«
»Wo ist der schriftliche Vertrag, bitte?« brüllte der akademische Bua und durchbohrte mich höhnisch mit seinem griffesten Messer.
Ich wollte zum Telephon laufen, um den nächsten Spezialisten für Herzleiden anzuläuten. [43] Aber ich fand kein Telephon. Endlich entdeckte ich es im dritten Stock. Es gehörte überhaupt nicht zur Pension Reisfleisch, wie diese behauptet hatte, sondern einem Architekten namens Kohlraum.
Herr Kohlraum ließ mich gar nicht erst ans Telephon, sondern unterbreitete mir sofort einen vorteilhaften Kostenanschlag für ein Einfamilienhaus am Ammersee. Darin lebe ich nun fröhlich und guter Dinge. Mit Schaudern erinnere ich mich der elegant möblierten Zimmer, füttere die Fische und züchte Perlhühner und weiße Mäuse. Zuweilen lasse ich mich in einem Kahn über den See treiben... Wer weiß, wohin..., wer weiß, wozu...
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