[164] [191]Liebwehrter Herr/ geehrter Freund
Derselbe hat hier mitkommend zu empfahen/ die Bildniß Herodes und Mariamne/ welche der Jesuit Laimermann seiner Lateinischen Vbersetzung/ vielleicht zu Ersparung der Vnkosten/ nicht beygebracht; in dem Frantzösischen Exemplar aber sind sie/ nach alten Müntzen/ in Kupfer gestochen/ und können des Herren Werke/ mit hierbeygelegten Versen/ so zu diesem Ende geteutschet/ vorgefüget werde. In dem Frantzösischen stehet L'ordüre cimentée des massacres, ist aus dem Latein abgesehen/ Lutum sanguine maceratum: Ich hab es gebẽ/ der blutgemengte Koht/ jedoch auf Verbesserung. Tristan L'Hermite, ein berühmter Frantzos/ hat ein Trauerspiel/ (Tragœdiam) von Mariamne geschrieben und sie verglichen mit Maria der jüngstverstorbnen Königlichen Wittib/als sie aus Frankreich geflohen: Sie/ sagt er/ hat Vrsach gehabt/ ihres nechsten Freundes falsche Liebe zu hassen/ nachdem die Zeugschaft der Wahrheit verworffen/ die Verleumtung ihre Anklägerinn/ die Vnschuld die Beklagte/ die Grausamkeit der Richter worden/ und die Reue das Vrtheil nicht wieder zurücke nemen können.
Ich erfreue mich höchlich/ daß dieses letzte Kunst-und Meisterstück der Poeterey in unserer Teutschen Sprache einen so ansehlichen beliebtẽ Anfang erlanget. Ich sage Kunst- [191] und Meisterstük/ weil das Trauerspiel mit Anbeginn der Wissenschaften die oberste Ehrenstelle unter den Gedichten erhalten/ und unter den Gelehrten bis auf diesen Tag rühmlich behalten. Die Endursache (nach welcher unser Absehen in allen Sachen erstlich gerichtet) ist in den Trauerspielen der Nutzen und das Belusten: Der Nutzen bestehet in Bewegung der sonst unbeweglichen Gemüter/ gestalt das scharffsinnige Machtwort/ gleichsam als ein schneller Pfeil/ der Zuhörer Hertzen durchschneidet/ und einen Abscheu vor den Lastern/ hingegen aber eine Begierde zu der Tugend eindrukket. Dieses leistet der Poet füglicher als der Redner; dann/ ob sie wol beide den sonst todten Buchstaben mit der lebendigen Stimme beseelen/ so beherrschet doch der Redner nur den Verstand/ so bey dem Pövelvolk öfftermals sehr verdüstert ist/ der Poet belanget zugleich die Bildungskräft (facultatem imaginativam) in dem er alles so vernemlich/ als in Gegenwart ausmahlet/ vorstellet/daher lieset man bey Suida, daß Phrynichus alle die Athenienser/ welche auf dem Schauplatz gewesen/weinẽ gemachet/ wie auch Puppius, so oft er gewolt/sol gethan habẽ/ deswegen Horatius seine Verse threnend oder trieffend genennet. (Lacrymosa Poëmata Puppi) und Theodorus hat Alexandrum der Phereser Tyrannen (welcher sich durch seiner Vnterthanẽ Flehen/ Heulen und Weinen/ niemals bewegen lassen/) durch Vorstellung eines klärlichen Trauerspiels die Zehren aus den Augen gepresset. wie Ælianus l.14. beglaubet. Ob [192] solchen Kunststück sind den Sieben Griechischẽ Trauerspielschreiberen die Plejadæ, oder die Siebensterne/ welche wir zu Teutsch die Gluckhenne heissen/ zugeeignet worden/ weil sie meistentheils Regenwetter mit sich bringen. Gyrald. Dialog. 3. Histor. Poët. ex Enchiridio Hephæstionis.
Solche Trauerhändel belustigen vor sich selbsten nicht/ sondern verursachen Erstaunen und Hermen.Aristoteles c.14. Poët. nennet diese eigentliche Gemütserregungen (Passiones) der Trauerspiele Ελέον κὰι φόβον: wann man nemlich einen Abscheu vor der Grausamkeit/ und eine Mitbetrübniß über den Vnschuldigen Elend empfindet. Es belustiget aber die Kunstschikliche Nachahmung: Gleicher gestalt uns die Abbildung eines grimmigen Löwens/ Drachens oder Tiegers mehr beliebet/ als das lebendige Thier selbstẽ. Heins. de Constit. Trag. c.8. zu dem empfinden wir einen Lust in Erwartung so unterschiedlicher Fügnissẽ/ in Verwunderung unverhoffter Trauerfälle/und ist unserm Hertze von Natur das Erbarmen eingepflantzet/ welches durch diese Spiele erwekket wird: Weil allerhand Tugendlehren mit eingeführet werdẽ/unn in Euripide fast jeder Vers einẽ Lehrsatz begreifft/ wie Cicero l.16. Epist. fam. schreibet/ kan solche Anführung zum Guten den Frommen eine Belustigung heissen.
Der Inhalt der Trauerspiele betrifft grosser Herren unglüklichẽ Zustand/ daher Euripides Archilao, als er von ihm ein Trauerspiel/ seinẽ Namen zu Ehrẽ/ erfordert/ geantwortet: [193] Ach daß dem König/ und seinem Reiche niemals der Inhalt eines Trauerspiels begegnete. Wie das Freudenspiel (Comœdia) ein Gedicht ist/das den Zuhörern Gelächter verursachet/ so ist das Trauerspiel eine wahre Geschichte/ das den Zuseher Hermen und Erstaunẽ machet: Jenes ist viel leichter bey dem gemeinen Mann/ als dieses auszuwürken/und hat die Wahrheit viel einen mächtigeren Nachdruck/ als das Gedicht. Hierbey scheinet zu beobachten/ daß/ wie der Griech die Griechischen/ der Römer die Römischen/ der Spanier die Spanischen/ der Frantzos die Frantzösischen Geschichte in ihrer Sprache beschrieben/ so sol der Teutsche die Teutschen Händel auf den Schauplatz führen/ welcher Vmstände unsren Sitten/ Redarten und Gewonheit viel gemässer sind/ als jene Außländische. Wil man aber ja zum Ansang seinen Erfindungen so viel nicht beymessen/sondern lieber andern Gedanken bescheidenlich Folge leisten/ ist meines Erachtens thunlicher/ daß man aus den alten und neuen Poeten das dienliche zusammensuche/ (wie dieses Orts der Herr emsiglich gethan/) als daß man ein gantzes Trauerspiel übersetze und sich dadurch verbinde das schickliche und unschickliche zugleich zu dolmetschẽ/ welcher gestalt unser seliger H. Opitz die Trojanerin aus dem Latein/ nachmals auch die Judith aus dem Italiänischen/ jedoch mit mehrer Freyheit/ auf den Teutschen Schauplatz gestellet.
Die Form und Verfassung der Trauerspiel betreffend/ [194] hat Aristoteles in Poët. c.5. die Abwechslung der Reimarten sonderlich erfordert/ und sind solche von den Griechen und Lateinern verständig beobachtet worden/ wie ich dessen ersten Versuch in meiner Seelewig gethan. Massen ich beständig darvorhalte/unsere Sprache sey aller anderer Zierlichkeit fähig/wann man sich nur darunter bemühet. Die Vernunfft lehret mich das Prächtige mit prächtigen/ das Geringe mit geringen Worten auszureden; die Kunst weiset das Klägliche mit trochäischen/ das Fröliche mit dactylischen/ und die Erzehlung mit jambischen Reimarten zu verfassen/ wann man anderst nicht wil die Sonne mit der Kohlen mahlen/ wie jener gesagt. Die Scribenten der Schauspiele sind bey den Griechen über gedachte gewesen Æschilus, Sophodes, Euripides, Plato welcher nachmals seine Gedichte alle verbrennet/ Homerus (zum Vnterscheid Tragœdus genennet/) Isocrates, Æschines, Crates und andere: Vnter den Lateinern ist Actius Pomponius, Asinius Pollio, Mecœnas, Annæus Seneca, Julius Maternus und Æmilius Scaurus welchen Tiberius hinrichten lassen. Herr D. Luther hält davor/ das Buch Job sey bey den Ebreern ein Trauerspiel gewesen: Gestalt solche Dichtart mit Recht zu Geistlichen Sachen gewidmet werdẽ/ wie solches Heinsius, Grotius vor ihnen aber Gregorius Nazianzenus, beygenamt Theologus, in dem Trauerspiel von dem Tod CHRISTI erwiesen. Vnter der alten Teutschen Poeterey hab ich noch der Zeit nichts dergleichen finden können ausser [195] H. Melchior Pfintzings Probsts zu Meintz und Nürnberg Treuerdank/ in welchem Käiser Maximilians Gefährlichkeiten und löbliche Thaten nach damaliger Heldenart beschrieben/ und ist solches Buch in Spanisch übersetzet zu lesen/ unter dem Titel: El Cavallero Determinato: Dann/ obwol der Ausgang in diesem Buch/ soviel die Haubtperson betrifft/ nicht traurig ist/ so laufft es doch mit den dreyẽ Rähten Fürwittig/Vnfallo und Neidelhart übel ab; und ist auch dergleichẽ Schluß in Electa Helena, Jone und andern Griechischen Trauerspielen zu lesen. Was sonsten zu solchen Spielen erfodert wird/ ist zu sehẽ bey Aristoteles, Vida, Scaligero, Heinsio und absonderlich beyLudovico Castelvetro, dem Italiänischen/ und Jules de la Mesnardiere, dem Frantzösischen Scribenten.
Wann ich nun meine Meinung von des Herrn Arbeit frey heraussagen soll/ wie er begehret/ so bedünket mich/ daß er alles Kunstartig gefüget/ die schönen Gedanken/ und seltene Wortzier aus fremden Poeten schiklich angebracht/ und das gantze Gedicht mit einer tapfern Stimme begeistert: doch hätte/ nach den Reglen der Meister dieser Kunst/ dem Werke als eine sondere Lehre beykommen sollẽ der erschrekliche Tod Herodis/ als des Höchsten Straffe/ mit welcher er die Tyrannen ansihet. Ballac hat solches wider Heinsium nicht berühret: Castelvetro aber/ der Aristotelis Poëticam durchhechelt/ erfodert absonderlich/ daß der Poet die Laster/ auf dem Schauplatz begangẽ/ nicht sol ungestrafft vermeldet lassen/ und Mesnardiere sagt/ f. 21 de sa Pœtique: si le sujet est tel [196] que le principal Personage soit absolüment vicieux, (wie hier Herodes) il ne faut pas que ses crimes soient exents d' un chastiment, qui donne beaucoup de terreur, & mesme il faut, sil est possible, que les mauvaises actions paroissent tousjourrs punies & les vertus recompensées. Weil aber der Herr vielleicht beförchtet/ es möchte dieses Gedicht zu lang werden/hat er solches gerne mit fast weibischen Worten in den Vermaledeiungen und denen Anmerkungen beygesetzet.
Wie schwer es sey/ etwas lobwürdiges hierinnen zu leisten/ wird der erfahrẽ/ der sich darunter bemühet. Der Poet muß die Neigungen und Eingnungen/ welche er seinem Zuhörer beybringen wil erstlich in sich empfinden/ und in die Personẽ/ welche er vorstellẽ wil/ gleichsam entzükket sich verstellẽ: Was er ausbilden wil/ muß er ihm zuvor kunstartig einbildẽ. Weil aber die BildungsKrafft in einem warmen Gehirn und subtilen Geisterlein bestehet/ ist sich nicht zu verwundern/ wann die Poeten zuzeiten bey dem Becher der Frölichkeit mit bescheidener Mässigung Belieben suchen. Heinsius wil (in Notis ad Horat. f.192.) daß von den Wintzern in den Weinbergen die ersten Lieder gesungen worden/ und beweiset/ daß der Lateiner Carmen, und der Griechẽ Κεράμα von den Chaldeer אמרכ carma das ist/ vom Wein herkommen: Wie auch das Wort Tragœdia von Bacchi Bokk/ welchen man Jährlich wegen der reichen Weinernde/ als ein schädliches Thier in den Weinbergen/ mit dergleichen Gedichten aufgeopffert/ wie bekandt.
[197] Schlüßlich/ was jener bey Plutarcho in vita Alexandri M. zu Archestrato, einen Syracusanischen Poeten/ gesagt/ nemlich: Si cum Alexandro fuisses, Archestrate, tui cuiusque Carminis præmium Cyprum aut Phœnicem tulisses: widerhole ich solcher Gestalt: Hätte der Herr zu Zeiten Käiser Karls deß Grossen/ der Ottonen/ Käiser Rudolfs/ oder Käiser Maximilians gelebet/ da es an Teutschgelehrten Leutẽ/ wie heut zu Tage bey diesem beharrlichen Jammerkrieg/ an derselben Befördern ermangelt/ so solten gewißlich seine Gedichte reichlicher erkennt werden/ welches ich dem Herrn von Hertzen erwünsche und verbleibe/ nechst empfehlung des Höchsten Gnaden Schutzes/
sein jederzeit Dienstbeflissener Georg Philip Harsdörffer.