[57] Die Unzufriedenheit der Menschen

An Herrn P. Sulzer


Ja Freund! oft trinket der Mensch die Lust in Strömen und dürstet,
Der Glücklichste stirbt unter Wünschen; ein Tropfen Kummers verbittert
Ihm ganze Meere von Freude. Die Einbildung spornt seine Triebe,
Wie Rösse reissen sie aus, die Zwang und Zügel verachten,
Und ziehn ihn mit sich zum Abgrund. Sein Stolz zielt immer gen Himmel.
Bald schilt er die Vorsicht, die ihn in Purpur und Reichthum verabsäumt,
Bald dünkt er sich selber zu schwach und tadelt die Weisheit der Schöpfung:
Das Feuer haucht Plagen für ihn, ihm blüht auf Auen das Unglück,
Und eilt mit Fluthen heran, die Wind' umwehn ihn mit Schmerzen.
Wohin verwegnes Geschöpfe? Denkst du wie Riesen der Fabel
Auf Felsen Felsen zu häufen, und durch den Unsinn bewafnet,
Den Sitz der Gottheit zu stürmen? Will ein Gefässe von Leimen
Sich wider den Töpfer empören? Durchfleuch erst die blauen Gefilde
Mit Sonnen und Erden durchsät, den milchfarbnen Gürtel des Himmels,
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Die Luftsphär jeglichen Sterns, betrachte des Ganzen Verbindung,
Sammt allen Federn der Räder und andrer Planeten Naturen,
Die Arten ihrer Bewohner, ihr Thun und Stufengefolge,
Ergründ mit kühnem Gefieder des dunkeln Geisterreichs Tiefe.
Sieh Wesen ohne Gestalten, merk ihre Abhäng und Kräfte,
Steig auf der Leiter der Dinge selbst bis zum Throne der Gottheit;
Dann strafe, woferne du kanst, die Vorsicht und Ordnung der Erde.
– – – – – – – – Willst du die Ursach erforschen,
Warum du kein Seraphim wurdest? Entdeck erst Stolzer! weswegen
Du keine Milbe geworden. Soll deiner Thorheit zum Vortheil
Die grosse Weltkette brechen, und tausend Planeten und Sonnen
Aus ihren Gleisen gerückt, in einen Klumpen zerfallen?
Soll bis zum Throne des Höchsten des Himmels Vorhang zerreissen?
Und endlich die ganze Natur erschüttert zum Innersten seufzen?
Dieß wilst du, wenn du verlangst, was mit der Weltordnung streitet.
Sey deiner Neigungen Herr, so wirst du das Unglück beherrschen,
Der Schöpfer ist Liebe und Huld, nur die sind deine Tyrannen.
Was baut ihr Häuser auf Wellen, ihr Diebe der indischen Berge,
Verdammt euch Jahre lang, nichts als nasse Gräber zu sehen,
Und in den Wolken den Tod? Du Untersucher der Gründe,
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Was blickst du hohnlächelnd abwärts, gebläht vom Dünkel des Wissens
Im Wahn vom hohen Olymp auf Raupen der Erde zu schauen,
Dem dennoch Nebel und Dunst das Licht der Seele verdunkelt?
Und ihr, ihr Helden! was eilt ihr ins Ungewitter des Treffens,
Wo Blitze mit Blitzen kämpfen, und wilde Stürme mit Stürmen,
Um des Gerüchtes Posaune mit euren Thaten zu füllen?
Es lachen euer die Wesen, die um euch unsichtbar schweben.
Du Wahrheitsfeßler dünkst ihnen, das was dir plaudernde Dolen,
Du, Held und Geizhals! was euch um Spreu sich jagende Würmer.
Des Lebens Augenblick ist nicht werth der Anschläge Dauer
So vieler Sorgen und Pein. Der, welchem knieende Länder
Heut Schlösser und Festungen öfnen, wohnt morgen in Hölen des Todes,
Die Hofnung ist mit ihm verscharrt, verstopft der Zugang des Nachruhms.
Mich däucht, es öfnen sich mir der Unterwelt schattichte Thäler,
Ich seh den griechischen Held, vor dessen Klange der Waffen
Der ganze Erdball erschrack, der Seen mit Menschenblut färbte,
Und bis zum Ganges den Ost in eine Wüste verkehrte,
Wie ausgerissene Meere, Feld, Wald und Städte verschlingen;
Ich seh ihn in bleichen Cypressen verlassen und tiefsinnig irren,
Er ringt die Hände, und füllt mit diesen Klagen die Lüfte:
»Vor, meines Unsinns Vergnügen, jezt mir erschreckliche Bilder!
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Ihr Leichen voll Wunden und Blut, weicht, weicht aus diesen Revieren,
Kehrt eure Blicke von mir, ihr halberöfneten Augen!
Vergeßt das Stöhnen ihr Gründe! weh mir, daß jemahls der Herrschsucht
Sirenenstimme mich täuschte! Du tolles Labsal der Seelen,
Zu kurz für ewige Reu! O Lob des sinnlosen Pöbels,
Warum verachtet ich dich groß in mir selber nicht eher!
Entflogene Zeiten kommt wieder; wie, oder verlaßt mich ihr Leichen,
Kehrt eure Blicke von mir, ihr halb eröfneten Augen!«
Noch wären die Schätze der Welt sammt aller Hoheit und Wollust
Für unsere Seele zu klein, durchlebten wirs Alter der Sterne,
Der Himmel sättigt sie nur, von dessen Flamme sie lodert.
Und du, o göttliche Tugend! Durch dich nur können wir freudig
Das Meer des Lebens durchschiffen. Laßt diesen Pharus uns leuchten,
So sehn wir den Hafen des Glücks, trotz Ungewittern des Zufalls,
Trotz aller Leidenschaft Sturm, der nur den Einlauf befördert,
So wird die Vorsicht uns weise, der Himmel uns gnädig bedünken.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Kleist, Ewald Christian von. Gedichte. Gedichte vom Verfasser des Frühling. Die Unzufriedenheit der Menschen. Die Unzufriedenheit der Menschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-AFFF-C