[196] [7]Zweiter Theil

Sechster Gesang

Wie dem sterbenden Weisen, indem des Todes Gefühl ihm
Jede Nerve beschleicht, die festlichen Augenblicke
Theurer werden als Tage vordem; denn der Richter gebietet
Nun den letzten Gehorsam und Tugend, welche, geboren
Noch aus brechendem Herzen, ihn auf erhabnere Stufen
Seiner Vollendung erhebt; er zählt die bessern Minuten
Tiefanbetend und krönt mit Thaten sie, Thaten der Seele,
Die durch ewigen Lohn der schauende Richter begnadigt.
Also wurden die Stunden des großen, mystischen Sabbaths
Festlicher, schauervoller und Gott selbst theurer, je näher
Zu dem Altare das Opfer trat, je mehr der Versöhner
Eilte, zu bluten und: Werde! der neuen Schöpfung zu rufen
Laut an dem Kreuz, in die Mitternacht sein blutendes Antlitz
Dann zu neigen. Eloa, vom Werth der heiligen Stunden
Hingerissen – sie waren ihm mehr als die jauchzenden Stunden
Seiner frühen Geburt – so ergriffen, hüllt' er sein Antlitz
Gegen Gabriel auf und sprach zu dem göttlichen Freunde:
»Sahst Du ihn leiden? Ich bebe noch. Gabriel, sahst Du ihn leiden?
Keine Namen im Himmel und keine Sprache der Engel
Nennt mir, was ich empfand. Du hast ihn selber gesehen.
Und was wird er noch leiden! An jedem Augenblick hangen
Ewigkeiten!« Er schwieg. Und Gabriel sprach: »Ich vertiefte
Mich Jahrtausende schon, das künftige Wunder zu lernen,
Dunkel es nur zu sehn, nicht auszuforschen; doch irrt' ich.
Laß uns schweigen! Es ist rund um uns heilig. Zwar Gräber
Liegen auch um uns her; doch werden dort Engel erwachen.
Schlummert in Frieden! Aber, o sieh, wer drüben im Dunkeln
Wild mit der Flamme sich naht. Euch sandte die Höll', Empörer!
Welch ein niedriger Haufen! Allein der Schöpfer des Sandkorns
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Und der Sonnen, der Ewige, herrscht durch den Wurm und den Seraph!
Und ihr Führer, ihr Führer! Eloa ... So wird er nicht wandeln,
Wenn die Posaune den Staub aus jenen Hügeln hervorruft,
Die vor dem Richter ihn deckten, so froh wirst dann Du nicht wandeln,
Du Verräther!« Er sprach's. Der Haufen nahte sich wüthend,
Trug die Flammen empor und irrte mit suchendem Auge
Durchs Labyrinth der Bäum' und der Nacht. Ihn sahe der Gottmensch.
Nun erhub sich die dunkelste Nacht, die über ihn herhing,
Wolkicht empor, und als sie sich hub, entflossen ihr Schauer.
Einer ergriff den Verräther. Er trotzte der mächtigen Warnung,
Und so rüstet' er sich: »Wo ist er? Die Lieblinge sahn ihn,
Wie sie sagen, auf Tabor in Himmelswolken gekleidet,
Aber in Banden noch nicht! So sollen sie jetzo ihn sehen
Und sich Hütten der Freude zu baun vergessen! Doch bebst Du,
Schauerndes Herz! Kann Kühle der Nacht auch Männer erschüttern?
Schweig, Empörer! bald ist es gethan! Dann will ich mir Hütten
Nicht in Traume nur baun!« Er dacht's, und er eilte von Neuem.
Als der Mittler die Kommenden sah, da betet' er also
In sich selber: »Es ist weit, weit von den ewigen Höhen
Bis zu diesen Sündern herunter. O Weg' in dem Staube,
Die ich wandle! Ich will sie wandeln! Sie werden einst glänzen,
Wenn in diesen Tiefen die Auferstehung erwacht ist,
Und nun ganz das Gericht es enthüllet, warum sie Gott ging.«
Judas Ischariot führte den Haufen. Der Priester Befehl war:
Männer zu waffnen und Jesus bei seinen Gräbern zu suchen,
Ihn zu binden und vor die Versammlung zu führen. Es kannte
Judas den Ort des stillen Gebets und der nächtlichen Sorge
Für die Menschen. Er hatte der Schaar ein Zeichen gegeben:
»Welchen ich küsse, Der ist es!« Allein noch erbarmt des Verräthers
Sich die Nacht und läßt ihm noch nicht den entsetzlichen Kuß zu.
Aber nicht lang', und es fiel mit ungeduldigem Grimme
Auf die schlafenden Jünger die Schaar. Da ging der Erlöser
Gegen die Sünder und sprach mit seiner Hoheit: »Wen sucht Ihr?«
Sie ergrimmten und ruften und schwangen die bebenden Fackeln:
»Jesus, den Nazaräer!« Nun waren die übrigen Jünger
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Alle gekommen; nun schauten auf ihn die geflohenen Engel.
Und mit göttlicher Ruh, als wenn er dem Wurme zu sterben,
Oder dem kommenden Meere vor ihm zu schweigen geböte,
Sprach er zur Schaar: »Ich bin's!« Sie ergriff des Sohnes Allmacht,
Und sie sanken betäubt vor seiner Stimme danieder.
Judas sank mit ihnen. So liegen im Felde des Treffens
Todte; so wälzet sich unter den Todten der Grimmigsten einer,
Wenn aus der stilleren Mitte der Schlacht der denkende Feldherr
Um sich herum – ihm gebot es Gott – Verderben versendet.
Aber itzt war die Betäubung vorüber; itzt hub der Verräther
Von der Erde sich auf; nun war die schrecklichste Stunde
Seiner Erschaffung und er ganz nah dem Gerichte gekommen.
Ueber ihm rauscht' ein Todesengel mit nächtlichem Flügel.
Voll verborgenes Grimms, mit aufgeheiterter Miene
Trat er zu dem Messias und küßt' ihn! Er hatt' es vollendet!
Und der Thaten schwärzeste schlich wie ein Schatten zur Hölle.
Aber der Gottmensch sah dem Verräther mitleidig ins Antlitz:
»Judas! und Du verräthst durch einen Kuß den Messias?
Ach, mein Freund, wärst Du nicht gekommen!« So sagte der Beste
Unter den Menschen und gab sich der Schaar, sich binden zu lassen.
Petrus sah es. Den Kühneren weckt der Anblick; er reißt sich
Durch die Jünger hervor und verwundet im muthigen Angriff
Einen der Schaar. Dem heilet der Menschenfreund die Wunde,
Schaut auf Petrus herüber und sagt: »Sei ruhig, mein Jünger!
Bät' ich meinen Vater um Schutz, es würden vom Himmel
Mächtige Legionen erscheinen, dem Sohne zu dienen.
Aber wie würden alsdann der Propheten Worte vollendet?«
Und zu der Schaar, die ihn band: »Ihr seid gerüstet gekommen,
Mich zu sahen, als wär' ich ein Mörder, der Wüthenden Einer,
Die dem Tode bestimmt und durch der Unmenschlichkeit Thaten
Ueber andere Sünder erhöht sind. Ich bin ja im Tempel
Immer um Euch gewesen, hab' Euch die Wege des Lebens
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Und des Todes gelehrt; Ihr ließet ruhig mich lehren!
Aber Eure Stund' ist gekommen, der Finsterniß Werke
Auszuführen.« Er schwieg und war an dem Bache der Cedern.
Unterdeß stand in dem hohen Palast die Versammlung der Priester,
Wie auf Wogen der zweifelnden Hoffnung. Ihr sorgendes Murmeln
Stieg von der Höh' des innersten Saals die Marmorgeländer
Zum vielhörenden Ohr des fürchtenden Pöbels hinunter.
Dieser staunte mit starrendem Blick, sprach von dem Propheten
Zitterndes Lob und stammelnde Flüche, vergaß der Bewundrung
Und der goldenen Leuchter, die flammend die Säulen umgaben.
Aber die Priester besprachen sich unter einander: »Die Boten
Kommen noch nicht! wo bleiben die Boten? Vielleicht, daß sie Judas
Und den Haufen verfehlten? Vielleicht wird der schwarze Verräther
Auch zum Verräther an uns? Ach, vielleicht verleitet, wie vormals,
Durch Blendwerke des Schreckens der Nazaräer die Männer!«
Also besprachen sie sich. Da kam ein Bote. Die Haare
Flogen ihm, und die Wange war bleich; erkaltender Schweiß lief
Ueber sein Antlitz; er rang die bebenden Hände. So sprach er:
»Hoherpriester! wir kamen dahin und fanden ihn endlich
Ueber dem Bache, nicht fern von den Gräbern. Das Grauen der Gräber
Schrecket' uns nicht; allein es hingen schwärzere Wolken,
Als ein Mensch noch gesehn hat, am ganzen Himmel herunter.
Und doch drangen die Männer hinein; ich blieb in der Fern' stehn.
Aber ich sah den Propheten. Da liefen, ich kann's nicht erzählen,
Wie es geschah, da liefen mir Schauer durch alle Gebeine!
Doch sie erkannten ihn nicht, so nah er auch dastand, und drangen
Auf die Männer um ihn. Da sprach er gewaltig: ›Wen sucht Ihr?‹
Unsere Männer fürchteten nichts und ruften mit Grimme:
›Jesus, den Nazaräer!‹ Da sprach er – noch hör' ich's, noch sinken
Alle Gebeine mir hin – er rief mit der Stimme des Todes
Gegen uns her. ›Ich bin's!‹ So sprach die Stimme. Sie stürzten
Auf ihr Angesicht hin! Sie liegen todt da; nur ich bin
Ihm entronnen, damit ich die Todesbotschaft Euch brächte!«
Und die Priester hörten des Schreckens Worte den Boten
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Sagen und standen entfärbt und blieben starr, wie ein Fels steht,
Stehn. Nur Philo vermag, unüberwältigt vom Schrecken,
Diese Worte zu zürnen: »Du bist sein Jünger, Verwegner!
Oder Dich täuschte die bildende Nacht! Geöffnete Gräber
Sandten Dir Schwindel und Todte. Die Todten sahst Du! die Männer,
Welche wir sendeten, leben und fallen vor Worten nicht nieder!«
Als er noch redete, kam ein anderer Bote: »Wir haben
Viel gelitten; wir sind vor ihm zu der Erde gesunken;
Denn sein Blick war entsetzlich, und Tod in des Redenden Stimme.
Aber dennoch führen wir ihn gebunden. Er gab uns
Selbst die Hände, sich binden zu lassen. Sie führen ihn bebend,
Wissen nicht, ob sie von Neuem gebietende Worte des Schreckens
Hören werden. Allein er geht mit geduldiger Stille
Und ist schon in den Mauren Jerusalem's.« Also der Bote.
Und der Dritte kam an und rief: »Gott segne die Väter!
Aber so müssen sie Alle verderben, die wider Euch aufstehn,
Alle Feinde des Herrn wie der Galiläer verderben!
Denn wir führen gebunden ihn her mit Banden, die Worte
Nicht auflösen, noch lächelnde Mienen. Ihn haben die Seinen
Alle verlassen. Er naht dem Palast. Gott gebe sein Blut Euch«!
Als der Wüthende schwieg, trat Satan in die Versammlung,
Und die Freude der Hölle mit ihm. Sie fasset die Priester
Schwindelnd, umflattert ihr Auge mit Bildern quellender Wunden
Und des bleichen kommenden Todes, umströmt mit der Stimme
Seiner Qualen ihr Ohr. Er verstummt nun ewig, und über
Seinem Gebein empor erhebt der Heiligen Fuß sich.
Lang' ergriff sie der Taumel; allein noch blieb der Prophet aus.
Und sie wütheten sehr und sandten das zweite Mal Boten.
Philo ging mit den Männern. Es hatte die Schaar den Messias
Auf dem Wege zu Hannas, dem Hohenpriester, geführet;
Denn es war der Greis in der Nacht schwerduftenden Stunden
Aufgestanden, zu sehn den Mann, der Juda verwirrte.
Und Johannes folgte von fern. Der friedsame Schlummer
War von dem Aug' ihm entflohn, der Wehmuth Kummer bedeckt' es,
Deckte die bleichere Wange; zuletzt (er kannte den Priester,
Daß er kein Wüthrich wie Kaiphas war) bezwang er die Wehmuth
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Seines Herzens, ging in den Richtsaal, sah den Messias,
Wie er vor Hannas stand. Der Hohepriester befragt' ihn:
»Kaiphas wird Dich richten! O, wärst Du so schuldlos, als, was Du
Thatest, ruchtbar ward, so würden die Völker der Erde,
Würde Abraham's Gott und seiner Kinder Dich segnen!
Sag nun selber, was hast Du gelehrt? was hast Du für Jünger?
Lehrtest Du Moses' Gesetz? und thatst Du es? thaten's die Jünger?«
Hannas sprach's und bewunderte Jesus, der mit der Geberde
Eines Propheten vor ihm dastand, mit bescheiden Hoheit,
Unentheiligt vom Stolze. Der Gottmensch würdigt ihn, also
Ihm zu erwidern: »Ich lehrt' in dem Tempel, frei vor dem Volke,
Frei vor den Lehrern im Volk. Du fragst mich; frage die Hörer!«
Als er noch sprach, drang Philo herein. Da fuhr die Versammlung
Ungestüm auf; da that ein Knecht, mit knechtischer Seele,
Eine That, die niedrig genug war, Unmenschlichkeiten
Anzukündigen. Philo gebot, den Empörer zu nehmen
Und ihn entgegen zu führen dem Todesurtheil. Sie thaten's.
Als ihn Johannes in Philo's Gewalt sah, deckt' ihm des Todes
Blässe die Wang' und Dunkel sein Auge; da zittert' er, brach ihm
In der Wehmuth das Herz. Zuletzt, da er aus dem Palaste
Wankete, sieht er von fern die wehenden Fackeln: »Ich folge,
Nein, ich folge Dir nicht, ich bete Dir nach, o Du Bester
Unter den Menschen! Doch ist in Gottes Rath es beschlossen,
Mußt Du sterben, so laß, den meine Seele geliebt hat,
Den ich liebe mit viel mehr Liebe, wie Liebe der Brüder,
Laß mit Dir mich sterben, Du Heiligster! nur daß mein Auge
Nicht Dein brechendes Auge, nicht Deine Todesangst seh',
Ich des Verstummenden Segen, den letzten, letzten, nicht höre!
Würger, wo bin ich? Ist hier kein Retter? kein Retter auf Erden?
Keiner im Himmel? und schlummert Ihr auch, die über ihm sangen,
Als sie dem Tode – Das dachtest Du nicht, Du liebende Mutter –
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Diesem entsetzlichen Tod ihn gebar! Du allein bist Retter,
Du bist Helfer allein, o der Todten und Lebenden Helfer!
Vater der Menschen, erbarme Dich meiner und laß ihn nicht sterben,
Laß ihn nicht sterben, den Besten der Kinder Adam's! Den Priestern,
Gieb den grausamen Würgern ein Herz, das Menschlichkeit fühle!
Ach, ich seh' ihn nicht mehr! die hohen Flammen verschwinden!
Nun, nun richten sie ihn! Daß ihre grimmige Seele
Schaure beim Anblick der leidenden Tugend, sich einmal, nur einmal,
Einmal im Leben nur das Gericht, das kommen soll, denke!
Doch wer wandelt im Dunkeln herauf? Ist es Petrus? vernahm er,
Wie sie zum Tod ihn verdammten? So schnell! Nun steht er! Wen sah ich?
Keines Fußtritt hör' ich nicht mehr! Wie ist es hier öde!
Wie so stumm die entsetzliche Nacht! Doch die Stille verliert sich.
Welche Mengen stürmen da her! Ach, sie eilen und reißen
Ihn in der deckenden Nacht zu dem Tode, damit ihn des Volkes
Menschlichkeit nicht errette, damit an rinnenden Steinen
Oder herunter am triefenden Schwert nur Engel sein Blut sehn!
Ach, erbarme Dich meiner, erbarme Dich meiner und laß ihn,
Vater des Mitleids und Deiner Erschaffenen, laß ihn nicht sterben!«
Also dacht' er und sprach's mit gebrochnen Worten und wankte
Gegen des Hohenpriesters Palast und blieb in der Nacht stehn.
Aber der Führer der Schaar, die Jesus begleitete, Philo,
Reißet sich wüthend voran, eilt in die Versammlung, und Alle
Sehn's an seinem Triumph und dem hohen flammenden Auge,
Daß der Todtenerwecker gebunden und dicht am Palast sei.
Doch sie hatten nicht Zeit, daß sie Philo jauchzten. Der Gottmensch
Trat herein. Sie sahn den Kommenden, trauten dem Anblick
Kaum die Wirklichkeit zu und bebten vor Wuth und Entzückung.
Aber er trat die Stufen herauf und stand vor dem Richtstuhl.
Alle Hoheit, sogar die Hoheit des sterblichen Weisen
Leget' er ab und war nur ruhig, als säh' er den Abfall
Einer Quelle vor sich und dächte nur sanfte Gedanken,
Nach erhabnern an Gott, die Augenblicke zu ruhen.
Wenige leise Züge nur behielt er von seinem
Göttlichen Ernst. Doch konnte sie kein Engel nicht haben,
Rang er danach; allein auch nur ein Engel vermochte
Dieser Göttlichkeit Mienen und ihren Geist zu bemerken.
Also stand er. Philo und Kaiphas hefteten grimmig
Ihren Blick auf die Erde. Dem gab die Würde das Vorrecht,
Erst zu reden, Jenem der Eifer. Noch schwiegen sie Beide.
Aber es zog im Seitenpalast, von einsamen Lampen
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Halb durchdämmert, ein kreisender Gang sich hinüber zum Richtsaal.
Dort, an ein Marmorgeländer gebückt, stand unter den Frauen
Portia, jugendlich schön, das Weib Pilatus', des Römers.
Aber ihr Geist war nicht jung. Die Blume blühte, mit Früchten,
Wie die Mutter der Gracchen, die ausgearteten Römer
Zu bereichern; allein in dem ernsten Rathe der Wächter
War Rom's Untergang und kein Erretter beschlossen.
Hingerissen von der Begier, den großen Propheten
Endlich zu sehn, war, nur von wenigen Sklaven begleitet,
Portia eilend gekommen. Sie hatte diesmal die Würde
Einer herrschenden Römerin, jeden Zweifel der Hoheit
Leicht vergessen; es leitete sie des Ewigen Vorsicht.
Und sie stand und sah ihn, der Todte weckte, des Priesters
Muthigen Haß noch muthiger trug und entschlossen genug war,
Unter einem so niedrigen Volk unerkannt, unbewundert,
Groß zu handeln. Sie sah den erhabnen Mann mit Bewundrung,
Heiß von Erwartung und froh, daß mit dieser Ruh er vor seinen
Hassern und vor dem gezückten Schwerte des Todesurtheils
Dastand. Doch so kannt' ihn nicht Philo; es sagte der Heuchler:
»Bringt ihn näher und bindet ihn fester. Doch, eh wir ihn richten,
Hebt auch heilige Hände zu Gott, daß er endlich sein Urtheil
Ausgesprochen und uns nicht länger durch Schweigen geprüft hat!
Höre ferner der Deinen Gebet! So müssen sie Alle,
Die sich empören, verderben, und Keiner müsse die Stätte,
Wo sie standen, bemerken, und Keiner ihrer gedenken,
Außer, wo bei entfleischtem Gebein der Getödteten Schädel
Liegen, und wo das Blut der Empörer der Hügel hinabtrank,
Daß er dampfte! Ja, Dank, Dank, laute festliche Wonne
Bei den Altären, und Israel soll ein Jubelgesang sein!
Du wirst bluten! Bis jetzt schloß Juda die Augen und sahe,
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Hielt sein Ohr zu und hörte; doch ist der schwindelnde Taumel
Endlich vorübergerauscht. Sie sehen nun, hören, was da ist,
Den, so vor Abraham war, in der Todeskette! Zwar oftmals
Sahn sie ihn schon und warfen auf Augenblicke des Irrthums
Eiserne Bande von sich, mit freiem männlichen Arme
Heilige Steine zu fassen, den Lästerer Gottes zu tödten;
Aber sie wurden von Neuem getäuscht. Doch heut ist das Ende
Ihrer Verblendung und Deines Betrugs, Empörer, gekommen!
Wie auch in kleinen Haufen das Volk dastehet, so werden
Aus den Wenigen doch sehr Viele wider Dich zeugen,
Wenn wir sie rufen. Das wird der Hohepriester gebieten.
Aber ich klage Dich an, und ich nehme Juda zum Zeugen,
Erd' und Himmel zum Richter: Du bist ein Empörer! Du hast Dich
Selbst zum Gotte gemacht, Du, der in der Krippe geweint hat!
Schläfer wecktest Du auf und keine Todte! Doch Mütter,
Selbst die Mütter und Schwestern, die sahn ja die Sterbenden sterben!
Auf, Dich trifft nun die Reih'; erwecke Dich selbst! doch es werden
Männer in Tode Dich sehn. Der soll so leise nicht schlafen!
Lieg' dann bei den Erwürgten, die Gott verworfen hat! Schlaf' dort,
Dort den eisernen Schlaf, dort, wo die kommende Sonne
Und der wandelnde Mond den Dampf der Verwesungen auftrinkt,
Bis der Tod reift und von Gebeinen Golgatha weiß wird!
Also liege! ja, so! Und ist noch irgend ein größrer,
Heißerer Fluch, der siebenfältig Verwünschungen hinströmt,
Dem die Mitternacht aufhorcht, Grabheulen mit ausspricht,
Dieser treffe« ... Hier starrte die schwellende Lippe dem Lästrer,
Und sein Antlitz herunter ergoß sich Todesblässe.
Denn in dem Augenblicke der Nacht, in dem er der Flüche
Schrecklichsten auszusprechen begann, und umsonst das Gewissen
Ihm sich empört', ihn nun selbst nicht der Allmächtige schreckte,
Wandt' ein Todesengel – der war sein Engel – er wandte
Seinen Blick, den Verderber, auf Philo und trat vor den Sünder:
»O, der Fluch, den Du fluchest, der wird Dich selber ergreifen,
Du entsetzlicher Mann! Ich hebe mein Auge zu Gott auf,
Zu dem Vergelter mein flammendes Schwert und schwöre den Tod Dir!
Soll ich ihn jetzt, Allmächtiger, schlagen? Noch nicht! doch die dunkle,
Schwarze, blutende Stunde, die Todesstunde beflügelt
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Ihren kommenden Schritt! Bald stehet sie da! Ich schwöre,
Wie ihn jemals ein Sterblicher starb, den furchtbarsten Tod Dir,
Du Verruchter, und ihn leer, leer der letzten Erbarmung,
Ohne Gnad', ohn' eine von Dem, der schuf und Gericht hält!
Wenn um Dich die Mitternacht dann liegt, und des Todes
Stunde durch sie herwandelt und Dir mit dem Heulen Gomorra's
Furchtbar rufet, der Tod den großen Schlag gethan hat,
Und Dein Geist nun röchelnd entflieht: dann sollst Du mein Antlitz –
Dort bescheid' ich Dich hin – in dem Thal Benhinnon erblicken!«
Also droht' ihm der Todesengel und zog auf der Stirne
Zorn wie Wolken zusammen. Vom hohen treffenden Auge
Strömet' er Rache. Sein Haupthaar sank in Locken der Nacht gleich
Auf die Schultern; es stand sein Fuß wie ein ruhender Fels da!
Aber noch schlug der Verderber ihn nicht. Er ließ nur die Stimme
Seiner Schrecken, ließ den Todeston um sich rauschen.
Philo empfand des Unsterblichen Schrecken, wie Menschen empfinden,
Was Unsterbliche thun. Er fühlt' es im mächtigen Angriff
Schauervoller und schneller, als je ein Mensch es gefühlt hat.
Denn es war ein Schrecken von Gott. Noch entsank ihm das Leben,
Und noch zittert' er laut. Doch, was er noch athmete, waren
Flüche wider sich selber, daß ihn ein Schauer so täusche.
Und er kam zu sich selbst. Doch trafen die Schrecknisse Gottes
Noch sein Gebein und bebten ihm noch in dem innersten Marke.
Wie ein Wurm, der unter des Wanderers Fuße sich windet,
Krümmt' er sich auf und sagte: »Was ich mit Schweigen bedeckte –
Denn ich entsetzte mich sehr vor des Sünders Verbrechen – das Alles
Hüllet der Ausgang auf. Beschleunige Du ihn und richte,
Hoherpriester!« Er sprach's und starrt' und konnte nicht zürnen.
Aber die Stille ward stiller. Und Portia sah den Propheten,
Wie er gegen die Rede des Todfeinds dastand. Freude
Funkelt' ihr Blick, und ihr Herz schlug lauter, und hohe Gedanken
Strömten herauf in ihr Haupt. Ihr war, als hübe das neue
Hohe Gefühl sie empor. Dann forscht sie mit feurigem Auge
Um sich herum, ob sie unter der Menge nicht Edlere fände,
Welche mit ihr den Propheten bewunderten. Aber sie suchte
Gute Seelen umsonst in einem Volke, das reif war,
Bald gerichtet zu werden, zu stehn auf der flammenden Trümmer
Seines Tempels, in welchem nun nicht Jehovah mehr wohnte.
Einen bemerkte sie nur, der fern in dem untern Palaste
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Mit dem Haufen am Feuer sich wärmte. Sie schauten ihn wild an,
Und sie stritten mit ihm; er widerlegte sie feurig,
Endlich schien ihm der Muth zu entsinken, und bleich und verwildert
Schaut' er um sich herum, dann wieder auf den Propheten.
»Ach, der Mann ist sein Freund,« so dachte die Heidin, »er strebet,
Ihn zu retten, und will, daß dieser Pöbel die Wege,
Welche der Weise wandelt, begreife, wie edel er lebte,
Und wie menschlich er war und Gutes ohne Geräusch that.
Aber sie fassen ihn nicht und drohn, ihn auch vor den Pöbel,
Der dort richtet, zu führen. Davor erschrak er und bebte
Vor dem Tode zurück, den ihm die Wüthenden drohten.
Und ihn sandte vielleicht des Bedrängten Mutter und fleht' ihm,
Hingesunken in Thränen vor ihm, daß er ging' und vom Tode,
Ach, vom Tode befreite der Söhne besten und liebsten!
O, wie wird sie vor Schmerz, die liebenswürdige Mutter
(Liebenswürdig ist sie, sonst hätte sie ihn nicht geboren,
Diesen Weisen), wie wird sie vor Schmerz und Jammer versinken,
Wenn sie vernimmt, wie der wüthende Pharisäer gered't hat!
Aber was ist es in mir, daß zu so zärtlichen Sorgen
Für die Unbekannte mein Herz mit Empfindungen aufwallt,
Die ich niemals empfand? Sind es Wünsche, den Edlen geboren,
Ihn der Erde gegeben zu haben? Dein Leben verfließe,
Mutter, zu glückliche Mutter, voll Stolzes auf ihn, und Dein Auge
Seh' ihn nicht sterben, obgleich sein Tod die Erde wird lehren!«
Jetzo erhub der Hohepriester sich auf den Gerichtsstuhl;
Also sagt' er: »Obgleich ganz Juda die Lasten empfindet,
Die auf Aller Schultern der Mann, den wir richten, gelegt hat;
Und so sehr die Erd' ihn auch kennt, daß er wider den hohen,
Rächenden Gott auf Moria, des Allerheiligsten Priester
Und den großen Cäsar in Rom sich wüthend empörte;
Ob ganz Israel gleich ihm das Todesurtheil mit ausspricht,
Und nicht Kaiphas nur dem Schwerte gebeut, daß es schlage:
Dennoch wollen wir ihn mit Zeugen richten und hören.
Zwar ist Israel jetzt nicht versammelt, die meisten der Zeugen
Decket die Mitternacht (bald werdet Ihr, selige Völker,
Unentweihteren Festen erwachen, als die der Empörer
Noch mit beging); allein, so wenige Menschen auch hier sind,
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Wird es an Zeugen uns doch nicht mangeln. Es komme, wer Recht thut
Und das Vaterland liebt und spricht, was lauter und wahr ist!«
Also sagte der Hohepriester. Da traten belohnte,
Unterrichtete Männer herauf und zeugten. Vor Allen
Hatte mit Schmähsucht Philo und erdekriechender Bosheit
Ihre schon kleinen beweglichen Herzen erfüllt. Mit entflammten,
Wildem Blick sah Einer der Männer seitwärts und sagte:
»Wie er den Tempel entweiht, das wissen wir Alle. Doch hat er
Nie so sehr ihn entheiligt als damals, da er der Opfer
Fromme Verkäufer vertrieb. Ihr wart versammelt, zu beten;
Aber er trieb mit Grimm der Opferthiere Verkäufer
Aus der geweihten Halle. Gewiß, er ehret den Gott nicht,
Dem Ihr die Opfer zu heiligen kamt: er hätte die Opfer
Sonst nicht verdrungen, noch diesen Raub an dem Tempel begangen!«
Also zeugt' er. Nach ihm erschien ein Andrer, erklärte
Jesus' göttlichen Eifer mit gleichem Unsinn: »O, damals
Wollt' er den Tempel nehmen, von dort auf Jerusalem fallen!
Aber der Schwarm, der ihn wol in der fernen Wüste zum König
Ausrief, blieb ihm hier nicht getreu. Er mußte zurückfliehn.«
Drauf erhub ein Levit sich und that, als könnt' er verachten,
Zeugete: »Hat er nicht Gott gelästert, weil er voll Stolzes
Wähnt, er könne die Sünde verzeihn? An dem Sabbath erlaubt er
Aehren zu lesen, belebt an dem Sabbath verdorrende Hände;
Und doch wähnt der Verbrecher, er könne Sünden vergeben!«
Jetzo sprach der Vierte. Die wilde Lache des Hohns stieg
Ihm in die Mienen empor und tönt' in des Redenden Stimme.
Also sagt' er: »Ich muß zwar zeugen; doch brauchet Ihr, Väter,
Zeugnisse wider den Mann, der von Unternehmungen schwindelt,
Die auf solchen Träumen erbaut sind? Er hat es geredet,
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Und das Volk, so ihm gleichet, vernahm's mit starrendem Auge:
›Brecht den Tempel; drei Tag', und es hebt sich ein neuer vom Staube
Wieder empor. Ich bau' ihn!‹ Das war er fähig zu sagen.«
Auch ein Greis entehrt sein Alter und sagt: »Zu den Zöllnern,
Diesen Sündern, gesellt (ich bin ein Zöllner gewesen),
Hat er jene Weisheit erfunden, die Moses verachten
Und durch sündiger Kranken Heilung den Sabbath entweihn lehrt.«
Also zeugten die Zeugen; und ringsum strömt der Erwartung
Blick auf Jesus, wie sich der Empörer vertheidigen werde.
Also stehn um den sterbenden Christen, mit bleichen Gedanken
Und mit halber Freude, die gern sich freute, die Haufen
Niedriger Spötter und athmen leis' und stammeln Erwartung:
Auch ihm wird der muthige Traum vom unsterblichen Leben,
Wie er selber, vergehn. Er bekennt's noch! Aber der Weise
Betet für sie und für sich und lächelt die Gräber vorüber.
Also starrt ihn das wartende Volk an. Aber der Gottmensch
Schweiget. Kaiphas reißt geflügelter Grimm fort, er saget:
»Frevler, schweigst Du zu dem, was Diese wider Dich zeugen?«
Aber der Gottmensch schwieg. Da ergrimmte der Priester von Neuem:
»Rede! beim lebenden Gott beschwör' ich Dich: Bist Du Christus?
Christus, des Angebeteten Sohn?« Er hatt' es gesprochen;
Und nun stand er emporgerichtet und schaute Verderben.
Satan schaute mit ihm. Der Todesengel Obaddon,
Philo's Engel, dacht' entflammt auf die Sünder herunter:
»Würdigt er einer Antwort die Würger, so ist es Erbarmung.
Aber es rüstet sich schon mit allen Schrecken der Rache,
Die Gott schreckte, seitdem an dem Thron der Donner gerollt hat,
Sieh, er weckt das Gericht und kommt, der letzte der Tage!
Dunkler, schwarzer, tödtender Tag, Du Tag der Entscheidung!
Sei mir in Deiner furchtbaren Schöne gegrüßt, o Du schönster
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Unter der Ewigkeit Söhnen, Du festlicher Tag der Vergeltung,
Tag des richtenden Maaßes, der tönenden Wage! dann schallen
Kommende Welten umher in die Silbertöne der Wagschal'!
Sei mir gegrüßt, Du Tag! es verbirgt dann unter den Schaaren
Derer, die Palmen tragen, die Gnade sich! Diesen Gebornen
Aus der Erde, den Staub, den sterblichen Sünder seit gestern,
Welcher wider den Ewigen schwillt! und jenen Gebornen
Unseres Himmels, der seit der Erschaffung Empörungen aufthürmt!
Heil mir! es wird sie Beide der Tag, der Donnerer, fassen,
Daß er sie ganz verderbe! Drum hüll' ich mich ein und verstumme.
Aber mein Schweigen ist Tod, mein Verstummen des Rächenden Bote!«
Also dacht' er in eilendem Flug der Gedanken und sahe
Auf den Priester, der schon des Messias Antwort verdammte.
Aber der Gottmensch schaute gen Himmel. Die Seraphim staunten,
Als er es that: so sehr sahn sie an seiner Geberde,
Wie er zurück die Gottheit hielt und in menschlicher Ruhe
Das verbarg, was Welten erschuf. So hält er noch jetzt auf,
Fürchterlicher durch Säumen, sein Weltgericht und erduldet's,
Daß der Empörungen Strom mit langen Jahrhunderten ströme.
Jetzo sah er dem Priester ins Antlitz, sagt' ihm: »Ich bin es,
Was Du sagtest, und wisse, daß ich jetzt Thaten vollende,
Welche der Anfang sind des Gerichts! Den Menschen von Erde,
Den auch eine Mutter gebar, Ihr werdet ihn sehen
Sitzen zur Rechte Gottes und kommen in Wolken des Himmels!«
Also öffnete Der, der mit dem letzten der Tage
Schreckenvoller wird kommen, als je ein Engel des Todes
Ihn in der Nächte tiefsten den stürmenden Psalter herabsang,
Also öffnet' er einem geflügelten Blicke die Zukunft,
Schloß dann schnell dem erstaunenden Blick den furchtbaren Schauplatz.
Kaiphas – denn nun schleuderten ihn die Ströme des Grimms fort,
Und nun kannt' er kein Maaß, nicht Schranken, nicht zwingende Schranken –
Kaiphas schritt entflammter hervor, trug Tod auf der Stirne,
Zitterte laut, zerriß sein Gewand; mit glühendem Auge
Starrt' er fürchterlich hin, rief in die verstummende Menge:
»Redet! Er lästerte Gott! Was brauchen wir Zeugen? Ihr hörtet's!
Redet, was denkt Ihr? Er lästerte Gott!« Sie ruften: »Er sterbe!«
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Philo schwoll empor: »Er sterb', er sterbe! Die Fülle
Meines Herzens ergeußt sich! Er sterbe den Tod der Verfluchten,
Oben am Kreuz, den langsamen Tod der eisernen Wunden!
Daß sein modernd Gebein kein Grabmal finde, kein Hügel
Ueber ihm mit Blumen bewachse! Verwes' an der Sonne,
Ha, der offenen Sonne, Gebein, und hör an dem Tage,
Wenn dem verdorrten Gebein Gott ruft, die Stimme des Herrn nicht!«
Also sagte der Mann, so dem Tode reif war. Er sagt' es!
Angefeuert von ihm, drang nun in wüthendem Taumel,
Nun das Volk auf den Göttlichen zu. O, gieb mir die Hülle,
Sionitin, mit der, wenn Du vor dem Ewigen schwebest,
Still Du Dich deckest, daß ich mit den Engeln mein Auge bedecke!
Gabriel und Eloa enthüllten sich seitwärts und sagten:
»Gabriel, Gottes Geheimniß, wie tief, wie den Endlichen allen
Unergründbar ist Gottes Geheimniß! Ich sah sie geboren
Werden, die Orione, ich weiß, was jedes Jahrtausend
Auf den Orionen vor Wunder geschahn; doch ein Wunder,
Wie die Erniedrung des Sohns zu dieser Tiefe, geschah nicht.
Er, den erst Jehovah vom donnernden Tabor herunter
Richtete, der das Gericht mit dieser Göttlichkeit aushielt,
Mir, mit einem Blick, der Unsterblichen Schimmer zurückschuf –
Er!« G. »Und er, Eloa, vor dem die Gebeine der Todten,
Vom weitherrschenden Sturm der neuen Schöpfung ergriffen,
Einst erstehen, daß rings in ihren Wehen die Erde
Laut, mit einer Gebärerin Angst, dem Allmächtigen zuruft,
Der alsdann mit der Donnerposaune, mit zeugenden Engeln,
Mit hinsinkenden Sternen, zum Weltgerichte wird kommen!«
E. »Sieh, er rief ihm, da wurde das Licht! Du, Gabriel, sahest,
Wie es hervorriß! Er ging voll tausendmal tausend Gedanken,
Tausendmal tausend Leben an seiner Rechte versammelt,
Und beseelender Sturm vor ihm her! Da rollten die Sonnen,
Da erklang's um die jauchzenden Pole, da schuf er die Himmel!«
G. »Sieh, er gebot der ewigen Nacht, die stellte sich jenseit
Seiner Himmel. Eloa, Du sahst, wie er über der Nacht stand!
Und er ruft' ihr, da ward ein ungeheurer, ein todter
Klumpen. Der lag vor ihm wie eine zertrümmerte Sonne
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Oder wie Leichname hundert zusammengeworfener Erden.
Und er gebot der Flamme; da strömte die nächtliche Flamme
Durch des Todes Gefild, da ward das Elend, da tönten
Seine Tiefen Jammer herauf, da erschuf er die Hölle!«
Also sprachen sie. Portia sah den Göttlichen leiden;
Konnte den bangen Anblick nicht mehr ertragen; erhub sich
Auf den Söller. Mit aufgehobenen, ringenden Händen
Stand sie, mit Augen, die starr zu dem dämmernden Himmel hinaufsahn,
Und so zweifelt' ihr Herz: »O Du, der erste der Götter,
Der die Welt aus Nächten erschuf und dem Menschen ein Herz gab,
Wie Dein Namen auch heißt: Gott, Jupiter oder Jehovah!
Romulus' oder Abraham's Gott! nicht einzelner Menschen,
Nein, Du Aller Vater und Richter! darf ich's Dir weinen,
Was mir meine Seele zerreißt? Was hat er verbrochen,
Dieser friedsame Mann, daß ihn Unmenschliche tödten?
Ist er Dir so festlich, der Anblick, die leidende Tugend,
Gott, von Deinem Olympus zu sehn? Er ist es den Menschen;
Süß und schauervoll ist den Menschen die stolze Bewundrung.
Aber, der die Sterne gemacht hat, kann Der bewundern?
Nein, Du kannst nicht bewundern! Allein ein hohes Gefühl ist's
Für den Gott der Götter; es könnte sein göttliches Auge
Sonst nicht sehn, daß der Schuldlose litte! Wie wirst Du belohnen,
Der Dir diesen festlichen Pomp der Menschheit aufführt?
Mir, mir rinnt das Mitleid die Wang' herunter; allein Du
Kennest nur an der leidenden Tugend die bebende Thräne!
Gott der Götter, belohn' und, ist es Dir möglich, bewundr' ihn!«
Als sie jetzt sich gebückt und geneigt hat über den Söller,
Hört sie am untern Palast wie eines Verzweifelnden Stimme.
Petrus war es. Der fromme Johannes war an dem Thore
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Stehn geblieben. Er hörte den jammernden Petrus, erkannt' ihn,
Rief ihm entgegen: »Ach, lebet er, Petrus? Du weinst, Du verstummest!
Rede!« P. »Laß mich, Johannes, ach, laß mich im Einsamen sterben!
Sterben will ich! Er ist verloren! Ich bin noch verlorner!
Judas, Judas, entsetzlicher Jünger, Du hast ihn verrathen!
Ich verrieth ihn mit Dir! Vor Allen, welche mich fragten,
Hab' ich ihn, ach, in meinem zu tiefen Elend verleugnet!
Fleuch, fleuch, wende Dich weg, Johannes, laß mich im Stillen
Sterben! Stirb, stirb auch! Er ist zu dem Tode verurtheilt!
Und ich Treuloser hab' ihn vor allen Sündern verleugnet!«
Petrus rief's dem Verstummenden zu und riß sich von dannen.
Aber er blieb im einsamen Dunkel am thauenden Eckstein
Stehn und schwankt' an den Stein und hielt sich und sank an ihm nieder,
Neigte sein müdes Haupt und weinete lang' und verstummte.
Endlich strömte sie aus in brechende Worte, die volle
Tieferschütterte Seele: »Laß ab, mit des Todes Gestalten
Mich zu schrecken – sie dringen wie Schwerter mir in die Gebeine,
Meine zermalmten Gebeine – laß ab und wend', o, wende
Diese tödtenden Blicke von mir, womit Du mich ansahst,
Als die schreckliche That, der Thaten tiefste, geschehn war.
Ach, was that ich! Mein Freund, mein Freund, Dich hab' ich verleugnet,
Den ich liebte, der mich, wie sonst kein Lehrer, geliebt hat,
Der ein göttlicher Mann war! Zu kleine Seele, was thatst Du!
Siehe, nun wird er mich auch in dem Weltgerichte, vor seinen
Frömmeren Jüngern, vor seinen erhabenen Engeln, nicht kennen!
Kenne mich nicht, ich verdien' es! O, kenne mich wieder! erbarme
Meiner Angst Dich! Was hab' ich gethan! Je mehr ich's empfinde,
Desto tiefer gräbt es mir in die Gebeine den Tod ein.
Stirb! o, könnt' ich sterben! Ich werde sterben, doch langsam!«
Hier verstummt' er und weint' und verdiente, weinen zu können.
Neben ihm stand sein Hüter, Orion, sah ihn und fühlte
Mitleid zwar, doch auch Engelfreuden. Da wandte sich Petrus,
Hub sich empor und schaute gen Himmel: »Du furchtbarer Richter,
Vater der Menschen und Engel und Deines Sohnes, Du kennest
Mein erschüttertes Herz und das Beben des tiefsten Gedankens.
Dein Kind Jesus hab' ich verleugnet! Erbarme Dich meiner!
Ach, erbarme Dich meiner, Du Vater des göttlichen Kindes!
Er soll sterben! Ich bin es nicht werth, mit dem Theuren zu sterben!
Aber laß mich ihn noch, eh er zu dem Grabe sein Hupt neigt,
Eh er unter die treueren Jünger den Segen, die letzte
Liebe vertheilt, laß dann mich noch den Liebenden sehen,
[23]
Daß sein sterbender Blick mir verzeih'! Dann fleh' ich nur Gnade,
Keinen Segen, zu bang, zu sehr Verbrecher, zu rufen:
›Hast Du nur einen Segen? nur einen für diese Gerechten?‹
Ach, wenn ich nur Vergebung erweine, so will ich hingehn,
Ihn vor allen Menschen bekennen. So lange, mein Schöpfer,
Du mir Tage des Menschen gebeutst zu leben, so lange
Sei's mein theures Geschäft: Ich will die guten, die frommen,
Alle reinen Herzen, ich will sie suchen und ihnen
Unaufhörlich mit Wehmuth und diesen Thränen erzählen:
›Ja, ich kannt' ihn, den Guten, den Theuren, den Besten der Menschen,
Jesus, des Allerheiligsten Sohn, und ich war es nicht würdig,
Ihn zu kennen! Ich war sein erkorner Jünger! Er liebte
Seinen Jünger! Doch war ich nicht würdig, ihn wieder zu lieben.‹
Denn ich liebt' ihn nicht mehr in der trüben Stunde, den besten
Unter den Menschen! Er war der beste, beste! Sein Leben
War für Andre, nicht sein, voll Menschlichkeiten! Die Armen
Speist' er, heilte die Kranken, rief aus dem Grabe die Todten.
Darum tödteten ihn der Menschlichkeit Hasser! Erhebt Euch,
Kommt, Ihr Männer, und lasset uns gehn zu dem Todten und weinen!
Ach, zu fürchterlich ist der Gedanke von seinem Grabe!
Jesus, Du göttlicher Mann, wo wird es sein? wo wirst Du
Schlummern im Stillen? wofern der Wüther Wuth Dir ein Grab läßt!«
Also flehte der Mann, den der Erde Sünder in Worten
Kennen, verleugnen in Thun; er erweinte de Märtyrer Krone.

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Der Messias. Zweiter Theil. Sechster Gesang. Sechster Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B38B-D