Gebräuche bei Entbindungen und Kindtaufen.

Ein neugeborenes Kind wird von der Hebamme in ein Laken gewunden. Eine Schürze oder ein Tuch dazu zu nehmen, ist unerlaubt, weil dann das Kind unfehlbar später zu sehr dem Geschlechte, welchem es nicht angehört, nachlaufen würde.

Das in ein Laken gewundene Kind wird dann stillschweigends unter den Tisch gelegt, und erst hervorgenommen, wenn die Mutter ins Bette gebracht ist; sonst ist das Kind nicht ruhig und fromm und schreit zu viel. Vor dem ersten Bade wird der Knabe in einigen Dörfern auf ein Pferd gesetzt, das zu dem Ende in die Stube gebracht wird; das Mädchen muß buttern. Beim Baden wirft der Vater häufig einen Gulden in die Wanne, damit das Kind reich werde.

Der erste Anzug eines neugebornen Kindes darf kein neuer sein, weil das Kind in der Folge zu viel Kleider zerreißen würde; der zweite Anzug kann schon neues Zeug sein; zur ersten Windel muß eigentlich das Brautband der Mutter genommen werden.

Bis zur Taufe ist das Kind der großen Gefahr ausgesetzt, von den Unterirdischen geraubt und durch ein andres ersetzt zu werden. Dies kann man verhüten, wenn ein Blatt aus der Bibel oder dem Gesangbuch [364] in die Wiege gelegt wird, ebenso liegt unter dem Kopfkissen der Wöchnerin ein Gesangbuch, weil sonst die Unterirdischen, während der Zeit die Mutter das Kind bei sich hat, Gewalt über dasselbe bekommen.

Besuchen Nachbarinnen und Verwandte die Wöchnerin, so müssen sie zuerst an die Wiege treten, das Kind enthüllen und sprechen: Gott segn' es! Dann erst können sie sich an die Mutter wenden.

Wenn das Kind zur Taufe getragen wird, so muß die Mutter fleißig in Gottes Wort lesen und beten, damit das Kind auf jenem Gange bewahrt werde und leicht lesen lerne. In andern Gegenden muß die Mutter neunerlei Arbeiten verrichten, damit das Kind thätig werde.

Dem Kinde, das zur Taufe getragen wird, muß ein Zettel, worauf der Vater einige willkührliche Worte geschrieben hat, oder, wenn der Vater nicht schreiben kann, ein Stückchen Gedrucktes ins Wickelband gesteckt werden, dann lernt das Kind nachher gut.

Bei dem Taufacte muß der älteste Gevatter einen Knaben, die älteste Gevatterin ein Mädchen halten, beim Schlußgebet aber der jüngste Gevatter oder die jüngste Gevatterin. – Die jüngsten unter den weiblichen Taufpathen tragen eine mit Blumen und Glasperlen verzierte Krone auf dem Kopfe, von welcher bunte seidene Bänder nach dem Rücken herabhängen. – Wenn der Gevatter das Kind zur Taufe hält, so ist es gut, wenn er einige Worte aus der Agende über Kopf lesen kann; ferner muß er alle Sprüche aus der Bibel,[365] die der Geistliche anführt, nachbeten, sonst lernt das Kind nachher nicht gut.

Werden zwei Kinder zugleich getauft, so darf dies nur mit demselben Taufwasser geschehen, wenn beide von einerlei Geschlecht sind, sonst würde der Knabe zu sehr den Mädchen nachstellen, und das Mädchen später einen Bart bekommen.

Bei der Rückkehr aus der Kirche erhält der jüngste Gevatter an der Hausthür das Kind, um mit demselben so schnell als möglich über die große Diele zur Stube zu laufen, damit das Kind flink werde. Die Mutter muß dann das Kind hinter dem Ofen sitzend empfangen. Jeder Pathe tritt dann herzu und bringt seinen Glückwunsch, der so lautet:


Een Heiden hem we weg drog'n

Un een frohm'n Christ'n breng'ne we jo wedder,

Uns' Herr Gott mag geb'n,

Dat he bald graut wert,

God dait un bald freit,

Riek und selig wert.


Beim Taufmahle wird auf einem hölzernen Teller, in dessen Mitte die Spitze eines halbgeöffneten Taschenmessers steckt, für die Hebamme gesammelt, die, wenn sie das Geld herunterschüttet, spricht: »Nur die kleinen Stücken nehm ich, das größte aber (den Teller) geb ich zurück!« Nun wird auf demselben Teller das Wiegengeld zusammengebracht, das in der Regel eins von den ältesten Geschwistern des Kindes oder die Großältern bekommen, damit sie das Kind gern und willig wiegen. [366] Darauf wird ein kleines Bierglas mit Branntewein gefüllt und herumgegeben, sämmtliche Gevattern werfen Geld hinein, das der Vater des Kindes bekommt, nachdem er das Glas mit einem Zuge geleert hat. Dies heißt der Stärkungstrank.

Dritter Jahresbericht des altm. Vereins S. 80-82.

(Aus dem Hans-Jochen-Winkel.)


In einem Dorfe in der Nähe von Lübben erhielt der Prediger, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, nach vollzogener Taufhandlung ein Brot und einen Käse. Eben dasselbe Geschenk erhielten die Pathen, sie theilten dasselbe unmittelbar darauf in der Kirche unter sich, und gingen dann gleich nach Hause.

Der Prediger zu Sct. Jacobi in der Vorstadt Neumarkt zu Jüterbog erhielt auch alljährlich am Gründonnerstage nach geendigter Predigt sechs Semmeln, die ihm auf den Altar gelegt wurden. Am selben Tage setzte sich der Richter der Vorstadt auf den Tanzberg und vertheilte an die Knaben und Mädchen kleine Stollen.

Ekhard Scriptores rerum Jutrebocensium. I.p. 74.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Märkische Sagen und Märchen. Gebräuche und Aberglauben. Gebräuche bei Entbindungen und Kindtaufen. Gebräuche bei Entbindungen und Kindtaufen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BD25-5