13. Die drei Bünde.

Deilinghofen.


Ein Königssohn erhielt Kunde von einer Prinzeßin, dem schönsten Fräulein in der Welt, die aber nur dem zu Theil werden sollte, der drei Bünde löste, welche die Mutter, eine Zauberin, aufgab. Er bat daher seinen Vater, dessen einziger Sohn er war, um die Erlaubniß, hinzuziehen und das Abenteuer zu versuchen. Da aber diejenigen, welche sich der Aufgabe nicht zu entledigen vermochten, dem Scharfrichter übergeben wurden, so schlug der Vater die Bitte ab und ließ den Sohn, weil er Ungehorsam fürchtete, in einen sichern Thurm sperren. Der Jüngling magerte hier zusehends ab, und die Aerzte erklärten, er stürbe an der Schwindsucht, wenn man ihm nicht seinen freien Willen ließe. Da endlich erlaubte ihm der König hinzuziehen. Der [239] Prinz machte sich auf den Weg und zog über eine große Heide. In weiter Entfernung glaubte er einen Berg zu sehen; als er aber näher kam, fand es sich, daß dies ein ungeheuer dicker Kerl war. Er redet ihn verwundert an und sagt: »Was machst du dicker Klumpen hier?« – »Ei«, versetzt der Dicke, »wenn ich erst recht was in den Rippen hätte und mich auseinander thäte, so wäre ich wol noch dreitausendmal so dick! Wenn ich dir übrigens dienen kann, will ich's gern thun.« – »Geh denn mit!« antwortet der Prinz. Sie kommen nun auf eine zweite Heide, da sehen sie einen ungeheuer langen Kerl im Grase liegen. Auch den redet der Prinz an und sagt: »Was machst du langer Strang da?« – »Ei«, versetzt der Lange, »wenn ich mich einmal recht ausrecken wollte, so wäre ich wol noch dreitausendmal so lang! Wenn ich dir übrigens dienen kann, will ich's gern thun.« – »Geh mit!« antwortet der Prinz. Weiter kommen sie an einen Ort, da sitzt einer, der trägt eine Binde vor den Augen. »Warum hast du deine Augen verbunden?« fragt ihn der Prinz. »Ei«, sagt jener, »mein Blick ist so scharf, daß er Felsen sprengt! Kann ich dir übrigens dienen, so will ich's gern thun.« – »Geh mit!« antwortet der Prinz. Weiter gelangen sie auf eine Stelle, da sitzt einer, der hält sich die Ohren zu. Der Prinz fragt: »Warum thust du das?« – »Ei«, sagt der Gefragte, »um des Geräusches ledig zu sein! Mein Gehör ist so scharf, daß ich alles vernehme, was in der Welt geschieht. Kann ich dir übrigens dienen, so will ich's gern thun.« – »Geh mit«, antwortet der Prinz. Weiter kommen sie an einen Ort, da sitzt im heißesten Sonnenschein einer, der zittert am ganzen Leibe und klappert mit den Zähnen. »Was ist dir?« fragt der Prinz. »Ich friere so«, sagt jener. »Aber wie«, bei diesem heißen Wetter![240] – »Ja doch, je heißer es ist, desto mehr friert mich. Kann ich dir übrigens dienen, so will ich's gern thun.« – »Geh mit!« sagt der Prinz auch zu diesem. Als sie so zusammen weiter ziehen, muß der Gehörstarke hören, was jetzt am Hofe der schönen Prinzeßin vorgeht. »Ich höre«, sagt er, »ein Schwert sausen, womit eben ein Freier geköpft wird.« Endlich langen sie bei der Zauberin an, und der Prinz begehrt, daß ihm die drei Bünde genannt würden, aber man bescheidet ihn auf den andern Morgen um halb neun. Da wird ihm nun aufgegeben, wie folgt. »Vor fünf Jahren«, sagt die Zauberin, »bin ich über's Meer gefahren, da ist mir ein goldener Ring hineingefallen, den sollst du wieder holen.« Alsobald wird dem Seher aufgegeben, zu sehen, wo der Ring liege, und als derselbe gefunden, holt ihn der Lange mit seinem Arme heraus. Der Prinz begehrt darauf, den zweiten Bund zu wißen. »Dort auf der grünen Weide«, sagt die Zauberin, »grasen dreihundert fette Ochsen, und in meinem Keller liegen dreihundert Fäßer Weins, die sollst du zum Frühstück nehmen.« – »Darf denn keiner mein Mahl theilen?« fragt der Prinz. »Einer wol, zur Gesellschaft, aber keiner mehr«, versetzt die Zauberin. Alsbald wird der dicke Dienstmann gerufen. Als die Ochsen und der Wein vertilgt sind, sieht sich der noch nach mehr um und sagt: »Ist denn das das ganze Frühstück? Ich, der ich sechs Wochen gefastet habe, hätte gern mehr gegeßen.« Der Prinz begehrt nun die dritte Aufgabe zu wißen. Da wird ihm gesagt, er solle sich auf einen Scheiterhaufen von dreihundert Klaftern Holz setzen und diese unter sich verbrennen laßen. Hier kommt ihm der Frierer zu statten. Als alles zu Asche verbrannt ist, kriecht der aus der Asche hervor und sagt: »Bald hätte ich's vor Kälte nicht ausgehalten.« So sind die drei Bünde gelöst; aber die [241] Prinzeßin erklärt, nun müße auch sie noch eins aufgeben. »Du sollst«, sagt sie, »bei mir schlafen, mußt mich aber um Mitternacht noch im Bette haben.« Da stellt der Prinz alle seine Dienstleute auf Wache, den Dicken gar vor die Thür des Schlafgemachs. Er selbst schläft ein, und als er um halb zwölf erwacht, ist seine Schöne verschwunden. Ihre Mutter hatte sie weggezaubert. Sofort wird der Hörer bestellt, um anzugeben, wo sie geblieben. Er berichtet, sie sitze dreihundert Meilen entfernt in einem Felsen und suche einem Drachen die Läuse ab. Der Lange muß nun den Seher auf die Schultern nehmen und mit Meilenschritten hineilen. Dort angelangt, sprengt der Seher den Felsen mit einem Blick. Die Prinzeßin wird ergriffen und heimgebracht, sodaß der Prinz sie um zwölf Uhr wieder bei sich im Bette hat. Tags darauf zieht er mit der Braut in die Heimat. Unterwegs fällt ihm ein, man möchte ihm nachsetzen und die Prinzeßin mit Gewalt zurückholen wollen. Er läßt seinen Hörer hören, was vorgeht. Der berichtet: »Es folgen uns drei Regimenter Reiter. Sogleich beschleunigen sie ihre Reise, und als sie über einen tiefen trockenen Graben gegangen sind, befreit sich der Dicke von seinem Frühstücke und bläst Staub darüber. Bald darauf kommen die Reiter, und es versinkt Mann und Roß. Als der Prinz nun in seinem Lande ankommt, sagt er zu seiner Braut: ›Es ist nöthig, daß wir etwas treiben, um unsern Unterhalt zu verdienen.‹ So hüten sie eine Zeit lang um Lohn eine Schweineheerde und wieder eine Zeit lang eine Rinderheerde. Dann muß sie mit ihm betteln gehen; er weiß aber zu machen, daß sie überall abgewiesen wird. Mit dem Gelde, welches er erbettelt hat, richtet er eine Weinschenke ein. Da läßt er seiner Frau Kunden kommen, die nicht allein nicht bezahlen, sondern [242] obendrein alle Sachen zerschlagen. ›Hör'!‹ sagt er nun, mit der Wirthschaft will's auch nicht gehen. Hier in der Nähe ist ein königliches Schloß, da brauchen sie eine geschickte Köchin. Geh du dahin! Morgen wird dort eine Hochzeit gefeiert. Da binde dir einen irdenen Topf unter das Kleid und bring mir etwas mit!« So geschieht es. Aber die Köchin wird, wie es auf Hochzeiten Brauch ist, zum Tanze verlangt. Sie mag sich sträuben, soviel sie will; sie muß. Da stürzt der Topf und zerbricht; sie selbst fällt ohnmächtig hin. Als sie wieder zum Bewußtsein kommt, hat sich ihr Anzug ganz verändert. Sie sieht sich als Braut und Königin; sie hat ihre eigene Hochzeit gefeiert.


Vgl. Schluß von Nr. 17.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Zweiter Theil. Anhang. 13. Die drei Bünde. 13. Die drei Bünde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-CAC5-C