445.

Am Maitag geht der Hirt (oder Kuhjunge) umher kalver quêken; er geht zuerst zu der Stelle in Berg und Wald, auf welche die ersten Sonnenstrahlen fallen; hier schneidet er einen Zweig eines Vogelbeerbaums (Eberesche) mit einem Ruck ab und kehrt dann zum Hause zurück, wo sich alles um die Sterke versammelt; er schlägt dieselbe dreimal mit dem Zweige und spricht:


»Quêk, quêk, quêk,
miälk ûtem hårn in'n strêk,
sâp ûten eiken
maigras saste geneiten
bunte lêve saste heiten.«

Dafür erhält der Hirt oder der Kuhjunge Eier oder auch Geld und bäckt sich dann einen Eierkuchen; mit den Schalen der Eier wird das quêkrîs nebst Bändern und buntem Papier geschmückt und über der Stallthür aufgestellt. Meinerzhagen, Balwe u.s.w. – In Hemer lautet der Spruch nach Woeste's Mittheilung:


»Quiek, quiek, quiek!
säute miälk in deïnen striek!
sap in de aike,
[157]
huånich in de baüke!
den namen sastu genaiten:
kuålhenne sastu haiten.«

(Ueber genaiten vgl. Woeste in Wolf, Zeitschrift, II, 86.)
In Deilinghofen aber:

»Quiek, quiek, quiek,
säute miälk in deïnen striek!
smant in de kairn!
haü un streåu sastu genaiten,
buntkopp sastu haiten.«

Vgl. Woeste, Volksüberlieferungen, S. 25; Wolf, Beiträge, I, 77. fg. Ueber quêke, quieke siehe Woeste in Wolf, Zeitschrift, II, 85. Es bezeichnet die Eberesche (vgl. auch oben Gebr., Nr. 442, und Norddeutsche Gebr., Nr. 86; Simrock, Mythologie, S. 353). Davon stammt das Denominativum quêken, quieken, »mit der quêke schlagen«. Ueber die Heiligkeit des Baums vgl. noch Afzelius, Volkssagen, deutsch von Ungewitter, I, 43. Pröhle (De Bructeri nominibus, S. 42) führt eine Stelle aus Prätorius an, nach welcher die Ebereschenzweige am Maitage abergläubischem Gebrauch geweiht waren: »Vor allen anderen haben sie zum öfteren anderswo besondere Zweige, so man bei uns Wolburgsmay nennet, von einem Baum oder Staude, der sonsten viel rothe Beerlein träubleinweise träget, und dessen Blätter klein sind, sonsten sorbus torminalis, Eberesche, Vogelber.« Der Baum war, wahrscheinlich wegen seiner rothen Beeren, dem Donar heilig; das nordische Sprichwort nennt ihn bjaurg Thors, da sich Thor an ihm aus dem Fluße Vimur schwang; vgl. Simrock, Mythologie, S. 302, 305. Die Schiffer und Fischer Norwegens müßen etwas von der Eberesche in ihren Fahrzeugen haben; Woeste, Volksüberlieferungen, S. 26. Im Norden hängt man Zweige des Baums am 1. Mai an den Ställen auf; Wolf, Beiträge, I, 77 fg. Vgl. noch den Yajurveda, I, 1, wo die Kälber beim ersten Austrieb mit einem Palâçazweig geschlagen werden, und Ausführlicheres darüber in meiner Schrift über die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Zweiter Theil. Gebräuche und Aberglauben. Maitag. Frühling. 445. [Am Maitag geht der Hirt (oder Kuhjunge) umher kalver quêken; er]. 445. [Am Maitag geht der Hirt (oder Kuhjunge) umher kalver quêken; er]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-CDE1-5