[242] [246]3. Clorinda wegen Abwesenheit ihres Himmlischen Daphnis gantz unruhig/ sucht denselben an allen Orten

Indica mihi, quem diligit anima mea, ubi pascas, ubi cubes in meridie, ne vagari incipiam post greges sodalium tuorum.

Cant. 1. v. 6.


Sage mir an/ du/ den meine Seele liebet/ wo du weydest/ wo du ruhest im Mittag/ daß ich nicht hin und her gehn müsse nach den Herden deiner Gesellen.


1.
Wer kan mir sagen/
Wo Daphnis sich
Hab' hingeschlagen
Mit seinem Wollen-Vieh?
Ich bin vor Liebe kranck/ und schwach/
Ach aber ach!
An keinem Ort der Winden
Weiß ich Ihn mehr zu finden!
2.
Sag' mir/ mein Leben/
Dem meine Seel
[246]
Gantz ist ergeben/
Was für ein' dunckle Höhl
Halt neidig dich geschlossen ein?
Wilst du dann seyn
Zu Mehrung meiner Sorgen
Vor mir so lang verborgen?
3.
Als Saul alldorten 1
Erlegen schier
An allen Orten
Auffsuchte seine Thier/
Hast du durch den Propheten ihn
Geleitet hin/
Wo er in wenig Stunden
Die Maulthier hat gefunden.
4.
Der Magdalenen
Hast dich gezeigt: 2
Wilst meinen Thränen
Dann bleiben ungeneigt?
Die mich frühe suchen finden mich: 3
(Seynd deine Sprüch')
Wie wilt du der Clorinden
Dann weigern/ dich zu finden?
5.
Sag'/ was für Heyden
Beziehest du?
[247]
Wo wirst du weyden
Zu der Mittages-Ruh? 4
Damit ich nicht geh hin und her
Weit in die Fehr
Nach deiner Hirten Herden
Mit ängstigen Beschwerden.
6.
Als des Narcissen
Liebhaberin 5
Sich lang beflissen
Irgends zu finden ihn/
Ist endlich nach vergebner Mühe
Gesuncken sie/
Und/ weil er sie verachtet/
Vor Traurigkeit verschmachtet.
7.
Ihr Leib verkehret
In einen Stein
Ligt jetzt bethöret/
Die schwache Stimm/ allein
Noch übrig/ klagt durch Berg/ und Thal
Ihr Liebes-Qual/
Kan aber auff der Erden
Nicht mehr getröstet worden.
8.
Als dort Oenone
Den Paris hatt' 6
Gesucht/ und ohne
[248]
Denselben worden matt/
Hat endlich sie in Uberfluß
Der Kümmernuß
Zu Clotho sich gewendet/ 7
Den Faden selbst vollendet.
9.
Wer ohne Finden
Muß suchen lang/
Dem wird geschwinden
Vor grossem Liebes-Zwang:
Hat Dido nicht den Tod erwehlt/
Sich selbst gefällt?
Die Lieb ist gar unärtig/
Will stäts seyn gegenwärtig.
10.
Will nicht verwiesen/
Nicht seyn veracht/
Zeigt gegen diesen
Ein Herculische 8 Macht/
Wo sie einmal geschlichen ein/
Da will sie seyn/
Und solte sich entgegen
Enceladus 9 auch legen.
11.
Evadne rennte
Mit vollem Rann/
Als man verbrennte 10
[249]
Ihr den verstorbnen Mann/ 11
Und stürtzte sich vor Liebes-Hitz/
Gantz ohne Witz
Mit in des Ehemanns Flammen
Zu bleiben stäts beysammen.
12.
Ich auch desgleichen/
O Daphnis, nicht
Von dir will weichen/
Weil grösser meine Pflicht:
Will sterben hertzlich gern mit dir/
Wann du nur mir
Vergönnest dich zu finden
Vergessend meiner Sünden.
13.
Was aber frage
Ich immerzu/
Wo zu Mittage
Du habest deine Ruh'?
Das Creutz ist deine Ligerstatt/
Wohin gantz matt 12
Mit hertzlichem Verlangen
Zu ruhen bist gegangen.
14.
Ich kan nicht irren/
Dort auff dem Berg 13
Der bittern Myrrhen
[250]
Am Holtz/ so überzwerg/
Werd ich dich finden ohne Krafft/
Wo du schmertzhafft
In mitten scharffer Waffen
Vor Lieb in Gott entschlaffen.
15.
Da find' ich Schatten
Bey grosser Hitz/
Wann mich abmatten
Die Forcht- und Kummer-Blitz'/
Da wird mich/ wann mein Hertz gantz trüb/
Dein' grosse Lieb
Mit deinen allergrösten
Angsthafftigkeiten trösten.
16.
Wann ich betrachte/
Wie dich/ ô Gott/
Mein Hochmuht machte
Vor aller Welt zu Spott/
So weiß ich nicht/ wie daß ich soll/
Der Sünden voll/
Hergehn in Gold/ und Seyden/
Kein Unehr wöllen leyden.
17.
Wann ich erwäge/
Wie schmertzlich dich
Die Streich/ und Schläge
Ankommen seynd für mich
Wie du verwundet allerseits/
[251]
So muß mein Creutz
Vor deinem Creutz sich schämen/
Mich zur Gedult bequämen.
18.
Was kan mich schmertzen/
Wann deine Qual
Ich führ' zu Hertzen/
Die ohne Maß/ und Zahl?
Solst du dann leyden nur allein/
Ich frölich seyn?
Wie kan sich das wohl schicken/
Ich lachen/ du ersticken?
19.
Wann ich dich liebte/
Ich billich auch
Mit dir gern übte/
Was mühelich/ hart/ und rauch;
Bin oder besser ich/ als du?
Wer glaubt es nu?
Wer ohne Creutz dich liebet/
Sehr weit dich von sich schiebet.
20.
So will ich ziehen
Dem Berge zu/
Das Creutz nicht fliehen
Dem Leib zu schaffen Ruh';
Dein Joch ist süß/ die Burd ist leicht: 14
Wer es nicht scheucht/
Und selbst sich überwindet/
Dich/ und die Ruh bald findet.

Fußnoten

1 1. Reg. 9.

2 Ioan. 20. v. 16.

3 Prov. 8. v. 17.

4 Cant. 1. v. 6.

5 Echo.

6 Parthanius in Eroticis. c. 4.

7 Zum Tod/ hat sich selbst entleibt.

8 Risen-Macht.

9 Ein grosser Niß.

10 Ovid. lib. 3. de arte.

11 Den Capaneus.

12 Cornel. à Lapide hic Cant. 1. v. 6.

13 Calvari-Berg.

14 Matth. II. v. 30.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden dritter Theil. [Wer kan mir sagen]. [Wer kan mir sagen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DBA5-B