[49] [53]6. Clorinda betrachtet die Falschheit der Welt sammt ihren schnöden Wollüsten/ und verändert ihre Welt-Lieb in dero heiligen Haß

Meliùs est ire ad domum luctus, quàm ad domum convivii.

Eccles. 7. v. 3.


Es ist besser in das Klag-Hauß/ dann in das Trinck-Hauß gehen.


1.
O falsche Welt/ wer kan
Wohl deine Tück ergründen/
Dem Volck genug verkünden/
Und ernstlich zeigen an!
Hierzu zu wenig wäre
Der Pytho 1 Zungen-Kunst/
Was ich darvon erkläre/
Nur Schatten ist/ und Dunst.
2.
Doch muß ich deine Tück'/
So gut ich kan/ beschreiben/
Zu diesem Werck mich treiben
Mein Elend und Unglück/
In welche mich gestürtzet
[53]
Dein falsche Boßheit hat/
So/ daß ich Heyl-verkürtzet
Muß leben ohne Raht.
3.
Du bist dem Straussen gleich/
Wild/ grausam/ und zornmühtig:
Ob du schon scheinest gütig/
Holdselig/ und liebreich/ 2
Du legst die Wollust-Wäider
Zwar süß an deine Brust/
Erwürgst sie aber/ läider!
In mitten ihrer Lust.
4.
Was Dalila einmahl
An Samson hat begangen/ 3
Das hast du/ Bruth der Schlangen/
Verübet ohne Zahl/
Niemand ist dir entwichen/
(Der deine Gunst gesucht)
So nicht/ mit vielen Stichen
Verwundet/ dich verflucht.
5.
Du pflegest auch so gar
Der Seelen zu beranben/
Die deiner Falschheit glauben/
Sehnd Kinder der Gefahr:
[54]
Du scheinest zwar zu lieben
Den/ welcher dir anhangt/
Ach aber gleich dem Dieben/
Der nach dem Beutel langt.
6.
Du bist den Apfflen gleich/
Die dort auff Sodoms-Heyden/
Zu sehen an mit Freuden/
Als wären sie Gold-reich/
Innwendig seynd sie aber
Voll Aschen; wie man meldt/
So ist/ ô Welt-Liebhaber/
Auch deine Braut/ die Welt.
7.
Auswendig/ wie der May/
Inwendig viel unstäter/
Als das Aprillen- Wetter/
Falsch/ wie ein altes Ay:
Auswendig schertzst/ und lachest/
Innwendig ungeheur/
Gleich einer Bomben/ krachest/
Die heiß schon von dem Feur.
8.
Du Seelen- Rauberin
Bist ärger/ und viel schlimmer/
Als dort gewesen nimmer
Circe die Zauberin/
So die Ulyss-Gesellen
Aus Spaß in Schwein verkehrt:
[55]
Die dir anhangen wöllen/
Desgleichen wiederfahrt.
9.
Circe 4 hat wiederumb
In Menschen sie verwandlet/
Mit ihnen mild gehandlet/
Als eine/ die noch frumb/
Du läider auch verkehrest
Die deinige in Schwein/
Ach aber ihnen sperrest
Den Menschen gleich zu seyn!
10.
Was Meroë 5 gestifft
Für Unheil bey den Leuten/
Viel deren auszureuten
Mit ihrem Zauber-Gifft/
Ist gegen deinen Thaten
Nichts/ als ein Kinder-Spiel/
Viel tausend müssen braten/
Die dir getraut zu viel.
11.
Es ist/ ô böse Welt/
Dein arge Lieb beschaffen/
Gleich wie die Lieb der Affen/
Die nur den Liebsten quält/
Gehst um mit deinen Jungen
Im Schein der Lieb so hart/
Daß dero Seel gezwungen
Aus nach der Höllen fahrt.
[56] 12.
Gleich wie der Wind geneigt/
(Den Schiffmann unerschrocken
Nach hohem Meer zu locken)
Sich an dem Port erzeigt/
Wann er das Schiff erhoben/
Und weit hinein geweht/
Fangt er an wild zu toben/
Biß es zu scheitern geht.
13.
Auch du/ Wind-gleiche Welt/
Erzeigest dich auswendig
In deiner Lieb beständig/
Biß man dir Glauben hält/
Wann du das Hertz gewonnen/
Erfahrt man deine Treu/
Was du falsch angesponnen/
Verübst du ohne Scheu.
14.
Wer ist in deiner Gnad
Beständig je geblieben/
Dem du nicht umbgetrieben
Das leichte Glückes-Rad?
Wer diesen sich darff nennen/
Aus gantzer deiner Rott/
Der komm'/ ich will erkennen 6
Ihn für den Lorbeer-Gott.
[57] 15.
Gleich wie der Artzt aus List
Die Pillulen vergüldet/
Dem Krancken süß fürbildet/
Was Gallen-bitter ist/
So gibst du auch mit Zucker
Das Gifft dem Menschen ein/
Da meint der arme Schlucker/
Es sey gewürtzter Wein.
16.
Wann bey dem Sünder dann
Die Wollust was verjesen/
So findt er/ daß gewesen
Der Zucker Entzian/
Drauff kommt die Forcht der Sünden/
Und machet solche Qual/
Die schärffer zu empfinden/
Als ein geschliffner Stahl.
17.
Der nie-vergnügte Schwamm
Der weltlichen Gelüsten
Ist gleich den Dracken-Brüsten/
Wo Milch und Gifft beysamm/
Vergifftet/ und ergötzet/
O wohl ein schöne Freud!
Wodurch die Seel verletzet/
Fallt in das gröste Läid.
[58] 18.
Man sagt viel von dem Zwang
Der reitzenden Sirenen,
Wie sie die Schiff-Leut hönen
Mit lieblichem Gesang:
Wann ihnen man zuhöret/
Wird das verzuckte Schiff
Von ihnen umbgekehret
Durch gantz verborgne Griff'.
19.
Du auch pflegst lieblich sehr
Den Menschen vorzusingen
Dein Untreu anzubringen
Auff diesem wilden Meer:
Mit deiner süssen Kählen
Bethörest du die Leut/
Daß die fürnehmste Seelen
Auch werden deine Beut.
20.
Weil niemand in der Höll/
Der nicht durch deine Thaten/
O Welt/ dahin gerahten/
So lieb' dich/ wer da wöll'/
Ich aber will verfluchen
Nun deine Grausamkeit/
Und meiner Seelen suchen
Die wahre Sicherheit.

Fußnoten

1 Die Beredungs-Göttin. Poët.

2 Filia populi mei crudelis, quasi ftruthio in deserto. Thren. 4. v. 3.

3 Iudic. 16.

4 Zauberin.

5 Zauberin.

6 Eris mihi magnus Apollo. Gott der Weißheit. Poët.

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TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden erster Theil. [O falsche Welt- wer kan]. [O falsche Welt- wer kan]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DBAB-0