[78] [82]9. Clorinda betrachtet den theuren Verlurst der edlen zum Heyl von Gott gegebenen/ und von ihro boßhafft-zugebrachten Zeit

Recogitabo tibi omnes annos meos in amaritudine animæ meæ.

Isa. 38. v. 15.


Ich will dir alle meine Jahr in Bitterkeit meiner Seelen gedencken.


1.
Beginn' ich meine Jahr
Ein wenig zu betrachten/
So muß ich nur nicht gar
In Kümmernuß verschmachten/
Dann ich Betrübte find'/
Daß wie der Rauch im Wind/
Mein Leben ohne Frucht
Genommen hat die Flucht!
2.
Ich hab von Kindheit an
Geführt ein eitles Leben/
Mich auff die Tugend-Bahn
Mit keinem Fuß begeben/
Mein gantze Arbeit war'
Die Schmückung meiner Haar:
[82]
Kein ander Ding mein Ziel/
Als Lust/ und Freudenspiel.
3.
Die Andacht wolte mir
Durchaus nicht gehn zu Hertzen/
Ich suchte für und für
Nur mit der Welt zu schertzen:
In eitlem Müßiggang
Hab' ich mein Leben-lang
Die Zeiten zugebracht/
Des Heyls niemahl gedacht.
4.
Und ob ich schon (ô Spott!)
Zu seyn andächtig scheinte/
Ich dannoch es mit Gott
Niemahlen redlich meynte/
Fromm stellt' ich mich allein
Zum äusserlichen Schein:
Mein Welt-verwirrtes Hertz
War' immer anderwerts.
5.
Nun fühl' ich (aber ach
Zu spaht!) den grossen Schaden/
Weil Clotho allgemach 1
Vollendet meinen Faden:
Wie hätt' nicht können ich
Mit Gott bereichen mich?
Nun muß ich arm/ und bloß
Mit Charon auff den Floß. 2
[83] 6.
Und diese Armut wär'
Noch endlich zu erdulden/
Wann ich nur nicht so schwär
Beladen auch mit Schulden:
Nichts haben/ und doch ein
Noch grosser Schuldner seyn/
Ist ein sehr armer Stand/
Der selten ohne Schand.
7.
Wer arm/ doch Schulden-frey/
Kan noch getröstet sterben/
Dann niemand wird darbey
Gebracht in das Verderben:
Ich aber schuldig bin/
Daß meine Seel mithin
(Beraubet meiner Buß)
Elend verderben muß!
8.
Ich hab auff sie gemacht
Nur Schulden über Schulden/
Und sie dardurch gebracht
Aus ihres Gläubers Hulden/
Nun geht zum End dahin
Der strenge Pfands-Termin/
Und weil nichts in der Hand/
Gilt es das Unterpfand.
9.
So bald mir die Vernunfft
Gefangen an zu scheinen/
[84]
Beginnt' ich nach der Zunfft
Der Uppigkeit zu geinen.
Der rauche Tugend-Weeg
Auff schmahlen Himmels-Steeg/
Den ich antretten solt'/
Mir nicht behagen 3 wolt.
10.
Den Augen hab' ich gleich
Den freyen Flug gelassen/
Und sie ohn' alle Scheuh
Geschickt nach allen Gassen/
Wordurch ich dann gantz frech/
Im Sehen/ und Gespräch/
Fürwitzig angeschaut/
Was niemand sich getraut.
11.
Das Gegen-Theil-Geschlecht
Gefiehle mir vor allen/
Drumb sucht ich/ wo ich möcht'/
Demselben zu gefallen/
Ich schmuckte zum Verkauff
Mich auff das prächtigst auff/
Gold/ Perlen/ Edelgstein
Flocht in den Haaren ein.
12.
Ein Meer-Schneck müßte mir
Die bleiche Wangen färben/
Die schöne Seelen-Zier
Ließ' ich im Kaht verderben/
[85]
Mir könnt kein teutsche Hand
Recht machen mein Gewand/
Um Kleyder schickt ich biß
Nach Lyon/ und Pariß.
13.
Ich gienge geil daher/
Zur Reitzung der Gelüsten/
Als wann ich Venus wär'/
Mit halb-entblößten Brüsten:
Viel keusche Augen hab'
Ich lockende Rahab, 4
Durch mein' schamlose Tracht
Gantz geil und frech gemacht.
14.
Ich führte heimlich kein
Penelopeisch 5 Leben/
Und dannoch wolt' ich seyn
Lucretia 6 darneben:
Kein Mensch in gantzem Reich
War mir an Hoffart gleich/
Casiope 7 so gar
Mir unvergleichlich war'.
15.
Bey allen Spielen führt'
Ich Uppigste den Reyen/
Ich gieng' herein geziert/
Wie Flora 8 in dem Meyen/
[86]
Es wallte mir das Blut
Im Leib vor Ubermuht:
Dem Spielen/ und dem Tantz
War' ich ergeben gantz.
16.
Nur an den Zucker-Huht
Wolt' ich den Schnabl wetzen/
Mein Hertz nach vollem Wuht
Der Sinnlichkeit ergützen:
Wann auff dem Marckt nur was
Rebhünlein/ oder Haas)
Seltzames kommen ein/
War' es unfehlbar mein.
17.
Gar offt bin ich zur Beicht/
Doch ohne Reu/ gegangen/
Hab' mich gar nicht gescheuht
Unwürdig zu empfangen
Zu meiner Seelen Todt
Das süsse Himmels-Brodt/
Hab' es zu seyn erkennt
Ein Brodt/ kein Sacrament.
18.
Das ist der blosse Schaum
Von meinem bösen Leben/
Weil ich vor Schmertzen kaum
Den Schatten kan angeben/
Aus Forcht der Aergernuß
Ich viel verschweigen muß/
[87]
So meiner Seelen heiß
Offt macht biß auff den Schweiß.
19.
Wann erst wird zu Gericht
Der bleiche Richter sitzen/
Wie werd' ich arme nicht
Alsdann erbärmlich schwitzen!
Wann ich auch kleine Ding/
Die ich geschätzet ring/
Werd' in dem strengen Feur
Dort müssen zahlen theur.
20.
O Freunde dieses macht/
Daß ich in dunckler Hölen
Die böse Jahr betracht'
In Bitterkeit der Seelen:
Dann ich kein' Ursach hab'/
Die Traur zu legen ab/
Biß Daphnis zu mir sagt:
Steh auff bereute Magd.

Fußnoten

1 Der Tod.

2 Ein Höllischer Schiffmann. Poët.

3 Gefallen.

4 Eine offene Sünderin/ Iosue 2. v. 1.

5 Penelope eine Frau wunderlicher Keuschheit.

6 Lucretia eine keusche Römerin.

7 Ein sehr hoffärtiges Weib.

8 Die Göttin der Blumen/Poët.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Laurentius von Schnüffis. Gedichte. Mirantisches Flötlein. Der Clorinden erster Theil. [Beginn' ich meine Jahr]. [Beginn' ich meine Jahr]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-DBBB-C