8.

O wie ward der Tod ein andrer,
Als die Griechen ihn geschildert!
Aus dem milden Götterboten
Ist zum Schreckbild er verwildert.
Als ein Genius, der die Reise
Sterblichen verkünden soll,
Seine Hand zur Wange haltend
Stand der Tod gedankenvoll;
Oder zeigte, mildsymbolisch,
Daß die Erdenlust zu Ende,
Löschend die gestürzte Fackel,
Kreuzt' er drüber seine Hände.
Leise trat sein Fuß die Psyche;
Wie der Freund dem Freund ein Zeichen
Leise gibt, vom Festgelage
Ohne Störung fortzuschleichen.
Schlaf und Tod als Zwillingsbrüder
Standen oft auf einem Bilde;
Beiden, ach, so weit Verschiednen
Gleiche Bildung gab die Milde.
[417]
Zweifelhaft erschien der Genius,
Fragen sollte der Beschauer:
Ists der Schlaf und die Erholung?
Ists das Sterben und die Trauer?
Nur zuweilen ward gesondert,
Und das herbre Bildnis trug,
Daß der Blick den Tod erkenne,
Falter, Kranz und Aschenkrug.
Dort den Charos sieht der Grieche
Noch in späten, rauhern Zeiten
Mit der dunkeln Schar der Seinen
Über das Gebirge reiten;
Ihm voraus die Jungen wandern,
Alte kommen nachgeschlichen;
Und gereiht am Sattel sitzen
Zarte Kinder, frühverblichen. –
Heiter kam er noch als Fiedler,
Sein Gesinde trat den Reigen,
Und zu Lust und Tanz von hinnen
Rief sein Pfeifen, helles Geigen. – –
Thanatos, ach, ward ein Krieger,
Auf die Opfer Speere schwingend;
Ein Athlet, auf glattem Boden
Jeden Helden niederringend;
Thanatos, der edle Genius,
Ist zum Sensenmann verbauert,
Mäht den Menschen, einen Grashalm,
Der zur Erde niederschauert.
Fischer, mit dem leisen Köder,
Angelt er im Meer der Luft;
[418]
Legt uns Schlingen als ein Vogler,
Der mit falschen Stimmen ruft.
Nur noch feindlich naht der Wilde,
Drohend, ins Verderben lockend,
Auch dem Menschen wie ein Kobold,
Irrwisch auf dem Halse hockend.
Gräßlich naht uns mit der Sense,
Schreck- und Vorbild, das Gerippe;
Für ein mildes Lächeln hat es
Keine Wange, keine Lippe. –
So in wechselnden Gestalten
Macht der Tod die Erdenrunde;
Heute aber geht im Heere
Sigismunds die Schreckenskunde:
»Weil den Ziska, schlachtermüdet,
Leichter Schlummer überkommen,
Hat der Tod, ihn zu ersetzen,
Seine Rüstung umgenommen;
Denn unwiderstehlich jeden,
Der ihm naht im Schlachtgebraus,
Winkt der schwarze Helmbusch Ziskas
In die ewge Nacht hinaus.«

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TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Gedichte. Gedichte. Fünftes Buch. Vermischte Gedichte. Johannes Ziska. 8. [O wie ward der Tod ein andrer]. 8. [O wie ward der Tod ein andrer]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E135-3