[441] Das Ideal

Tief in des Waldes heiligen Schatten saß
Ich, und der Stimme, welche zu edleren
Gedanken lädt im Laubgesäusel,
Horchte die Seele mit leisrem Ohre.
Und es ergriff mich schnell die Begeistrung,
Riß mich fort, – der Busen stürmete lauter mir,
Und weiter riß michs fort, als wollt es
Mich in der Welten Umarmung stürzen.
Schon hört ich nimmer säuseln das Eichenlaub,
Weit wich zurück die Erde mit meinem Grab;
Und jenseits war ich der Verwesung,
In dem Gefilde der Ideale.
Da schwebt' ein Mädchen lächelnd entgegen mir;
Wie aus gelüpftem Schleier der Abendwolk
Der Mond, so strahlte stille Tugend
Ihr aus dem himmlischen Angesichte. –
Donnergeroll jetzt zankte zurück mich, und
Ein kalter Tropfen fiel auf die glühende Stirn:
Da war mein Ideal dahin, – es
Strömte Regen herab vom Himmel.
O schönes Bild! oft sucht ich im Leben dich;
Doch hing die Seele sehnend nach dir hin, ach,
So flohst du mich, und meine Tränen
Netzten das flatternde Lockenhaar dir!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Lenau, Nikolaus. Gedichte. Gedichte. Sechstes Buch. Erste Gedichte. Das Ideal. Das Ideal. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E16D-7