Jakob Michael Reinhold Lenz
Pandämonium Germanicum
Eine Skizze

[250]

[Motto]

Difficile est satiram non scribere

Der deutschen Wändekritzler Heer

Unzählbar wie der Sand am Meer

Ist, meiner Seel', beim Lichten besehn

Nicht einmal wert, am Pranger zu stehn.

Ein Dunsiadisch Spottgedicht

Lohnt da, Gott weiß, der Mühe nicht

Und ihre Namen nur aufzuschreiben,

Das ließ' der Teufel selbst fein bleiben.

[250]

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Der steil' Berg
Goethe. Lenz im Reis'kleid.

GOETHE.
Was ist das für ein steil Gebirg mit sovielen Zugängen?
LENZ.
Ich weiß nicht, Goethe, ich komm erst hier an.
GOETHE.

Ist's doch herrlich, dort von oben zuzusehn, wie die Leutlein ansetzen und immer wieder zurückrutschen. Ich will hinauf.

LENZ.
Wart doch, wo willt du hin, ich hab dir noch so manches zu erzählen.
GOETHE.
Ein andermal.

Goethe geht um den Berg herum und verschwindt.
LENZ.

Wenn er hinaufkommt, werd ich ihn schon zu sehen kriegen. Hätt ihn gern kennen lernen, er war mir wie eine Erscheinung. Ich denk er wird mir winken wenn er auf jenen Felsen kommt. Unterdessen will ich den Regen von meinem Reiserock schütteln.


Erscheint eine andere Seite des Berges, ganz mit Busch überwachsen. Lenz kriecht auf allen Vieren.
LENZ
sich umkehrend und ausruhend.

Das ist böse Arbeit. Seh ich doch niemand hier mit dem ich reden könnte. Goethe, Goethe! wenn wir zusammenblieben wären. Ich fühl's mit dir wär ich gesprungen wo ich itzt klettern muß. Es sollte mich einer der stolzen Kritiker sehn, wie würd er die Nase rümpfen! Was gehn sie mich an, kommen sie mir hier doch nicht nach und sieht mich hier keiner. Aber weh! es fängt wieder an zu regnen. Himmel! bist du so erbost über einen handhohen Sterblichen, der nichts als sich umsehen will. Fort! das Nachdenken macht Kopfweh. Klettert von neuem.


[251] Wieder eine andere Seite des Berges aus der ein kahler Fels hervorsticht. Goethe springt 'nauf.
GOETHE
sich umsehend.

Lenz! Lenz! daß er da wäre – Welch herrliche Aussicht! – Da – o da steht Klopstock. Wie daß ich ihn von unten nicht wahrnahm? Ich will zu ihm. Er deucht mich auszuruhen auf dem Ellbogen gestützt. Edler Mann! wie wird's dich freuen jemand Lebendiges hier zu sehn.


Wieder eine andere Seite des Berges. Lenz versucht zu stehen.
LENZ.

Gottlob daß ich einmal wieder auf meine Füße kommen darf. Mir ist vom Klettern das Blut in den Kopf geschossen. O so allein. Daß ich stürbe! Ich sehe hier wohl Fußtapfen, aber alle hinunter, keinen herauf. Gütiger Gott so allein.


In einiger Entfernung Goethe auf einem Felsen der ihn gewahr wird. Mit einem Sprung ist er bei ihm.
GOETHE.
Lenz was Teutscher machst du denn hier.
LENZ
ihm entgegen.
Bruder Goethe. Drückt ihn ans Herz.
GOETHE.
Wo zum Henker bist du mir nachkommen?
LENZ.
Ich weiß nicht wo du gegangen bist, aber ich hab einen beschwerlichen Weg gemacht.
GOETHE.
Ruh hier aus – und dann weiter.
LENZ.
An deiner Brust. Goethe, es ist mir, als ob ich meine ganze Reise gemacht um dich zu finden.
GOETHE.
Wo kommst du denn her?
LENZ.

Aus dem hintersten Norden. Ist mir's doch als ob ich mit dir geboren und erzogen wäre. Wer bist du denn?

GOETHE.
Ich bin hier geboren. Weiß ich wo ich her bin. Was wissen wir alle wo wir herstammen?
LENZ.
Du edler Junge! Ich fühl kein Haar mehr von all meinen Mühseligkeiten.
GOETHE.
Tatst du die Reise für deinen Kopf?
LENZ.

Wohl für meinen. Alle kluge und erfahrne Leute [252] widerrieten's mir. Sie sagten, ich suche zu sehr, was zum Gutsein gehöre und versäume dar über das Sein. Ich dachte: seid! und ich will gut sein.

GOETHE.
Bis mir willkommen Bübchen! Es ist mir als ob ich mich in dir bespiegelte.
LENZ.
O mach mich nicht rot.
GOETHE.
Weiter!
LENZ.
Weiß es der Henker, wie mir mein Schwindel vergangen ist, seitdem ich dich unter den Armen habe.

Gehn beide einer Anhöhe zu.
2. Szene
Zweite Szene
Die Nachahmer
Goethe steht auf einem Felsen und ruft herunter zu einem ganzen Haufen Gaffer.

GOETHE.

Meine werte Herrn! wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur da herumkommen – denn daherum und denn daherum, 's ist gar nicht hoch ich versichere euch und die Aussicht ist herrlich. – Lenz nun sollst du deinen Spaß haben. Geht ein jämmerlich Gepurzel an. Bleiben ihrer etliche am Fuß des Berges auf Feldsteinen stehen und rufen den andern zu. Meine Herren wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur daherum kommen.

ANDERE VON DEM HAUFEN.
Sollst gleich herunter sein, Hanns Pickelhäring, bist ja nur um eine Hand hoch höher als wir.

Stoßen einander herunter, jene wehren sich mit den Steinen, auf welchen sie stunden.
GOETHE
schlägt in die Hände.
Zu Lenz. Ist das nicht ein Gaudium?

Die so jene vorher heruntergestoßen sagen.

Wollen doch sehen ob wir die von oben nicht auch hinabbekommen können, ist's uns doch mit diesen gelungen.

[253]
EINER.

Hör, hast du nicht eine Lorgnette bei dir, ich kann sie nicht recht unterscheiden dort oben, ich möchte dem einen zu Leibe der uns herabgerufen hat.

DER ANDERE.
Mensch wo denkst du hin, wie willst du an ihn kommen?
ERSTER.

Kam doch David mit der Schleuder bis an Goliath herauf und ich bin doch auch so niedrig nicht. Ich will mich auf jenen Stein stellen dort gegen mich über.

DER ANDERE.
Probier's.

Goethe stößt Lenzen an, der lauert gleichfalls hinunter.
ERSTER
schwingt einen Stein.
Hör du dort, halt mir ein wenig den Arm fest, er ist mir aus dem Gelenk gegangen.
ZWEITER
durch die Lorgnette guckend.

Da da oben, gerade wo ich mit dem Finger hindeute, da steht der Goethe, ich kenn ihn eigentlich mit seinen großen schwarzen Augen, er paßt auf, er wird sich wohl bücken wenn der Stein kommt, und der andere hat sich hinter ihm verkrochen.

ERSTER
schleudert aus aller seiner Macht.

Da mag er's denn darnach haben. Der Stein fällt wieder zurück und ihm auf den Fuß. Hinkt herum. Aye! Aye! was hab ich doch gemacht?

ZWEITER.

O du alte Hure! hat grade soviel Kraft in seiner Hand als meine alte Großmutter. Wirft die Lorgnette weg, faßt den Stein ganz wütend und wirft blindlings über die Schulter seinem Nachbar ins Gesicht, daß der tot zur Erde fällt. Der Teufel! ich dacht ihn doch recht gezielt zu haben. So hat mich die Lorgnette betrogen. Es wird heutzutage doch kein vernünftig Glas mehr geschliffen.

GOETHE.
Wollen uns doch die Lust machen und was herunterwerfen! Hast du ein Bogen Papier bei dir?
LENZ.
Da ist.
GOETHE.
Sie werden meinen es sei ein Felsstück. Du sollst dich zu Tode lachen. Läßt den Bogen herabfallen.

[254] Sie laufen alle mit erbärmlichem Geschrei.

O weh! er zermalmt uns die Eingeweide, er wird einen zweiten Ätna auf uns werfen.

Einige springen ins Wasser, andere kehren alle Vier in die Höhe, als ob der Berg schon auf ihnen läge.
EIN PAAR PEDANTEN.

Wir wollen sehen, ob wir uns nicht Schilde flechten können, testudines nach Art der Alten. Es werden solcher mehr kommen.


Verlieren sich in ein Weidengebüsch.
EIN GANZER HAUFEN
auf Knien, die Hände in die Höhe.
O schone, schone! weitwerfender Apoll!
GOETHE
kehrt sich lachend um, zu Lenz.
Die Narren!
LENZ.
Ich möchte fast herunter zu ihnen und sie bedeuten.
GOETHE.
Laß sie doch. Wenn keine Narren auf der Welt wären, was wär die Welt!

Der ganze Haufe kommt den Berg herangekrochen wie Ameisen, rutschen alle Augenblick zurück und machen die possierlichsten Capriolen.
UNTEN.
Das ist ein Berg!

Der Henker hol den Berg!
Ist ein Schwerenotsberg.

Ei was ist dran zu steigen, wollen gehen und sagen wir sind droben gewesen.
ALLE.

Das wird das gescheutste sein. Kommt ein Haufen Fremde zu ihnen, sie komplimentieren sich. Kennen Sie den Herrn Goethe? Und seinen Nachahmer den Lenz? Wir sind eben bei ihnen gewesen, die Narren wollten nicht mit herunterkommen, sie sagten es gefiel ihnen so wohl da in der dünnen Luft.

EIN FREMDER.
Wo geht man hinauf meine Herren, ich möchte sie gern besuchen.
EINER.
Ich rat es Ihnen nicht. Wenn Sie zum Schwindel geneigt sind –
FREMDER.
Ich bin nicht schwindligt.
ERSTER.

Schadt nichts, Sie werden's schon werden. Unter uns gesagt, die Wege sind auch verflucht verworren [255] durcheinander, wir müßten Sie bis oben hinauf begleiten. Der Lenz selber soll sich einmal verirrt haben ganzer drei Tage lang.

FREMDER.
Wer ist denn der Lenz, den kenn ich ja gar nicht.
ERSTER.

Ein junges aufkeimendes Genie aus Kurland, der bald wieder nach Hause zurückreisen wird. Er ist von meinen vertrautsten Freunden und schreibt kein Blatt, das er nicht vorher mir weist.

FREMDER.
Und der ist so hoch heraufkommen?
ERSTER.

Der Goethe hat ihn mitgenommen, er hat mir's auch angetragen, aber ich wollte nicht, meine Lunge ist mir zu lieb. Doch hab ich ihn besucht oben.

FREMDER.
Ich möchte doch die beiden Leute gern kennen lernen, es müssen sonderbare Menschen sein.
ERSTER.
Ach sie werden gleich herunterkommen, wenn wir ihnen winken werden.

Winken mit Schnupftüchern, jene kehren sich um und gehen fort.
ERSTER.
Sehn Sie? Warten Sie nur einen Augenblick, sie werden gleich da sein.
ZWEITER.
Wart du bis morgen früh. Da sind sie schon auf einem andern Hügel.
FREMDER.
Das ist impertinent. Wenn man bei uns Auteur ruft und er kommt nicht, wird er ausgepfiffen.
ERSTER.
Wollen wir auch pfeifen?
ZWEITER.
Was hilft's, sie hören's doch nicht.
ERSTER.
Desto besser.
[256]
3. Szene
Dritte Szene
Die Philister
Lenz sitzt an einem einsamen Ort ins Tal hinabsehend, seinen Hofmeister im Arm. Einige Bürger aus dem Tal reden mit ihm.

EINER.
Es freut uns daß wir Sie näher kennen lernen.
ZWEITER.
Es verdrießt mich aber doch in der Tat, daß Ihre Stücke meist unter einem andern Namen herumlaufen.
LENZ.

Und mich freut's. Wenn sie so geschwinder ihr Glück machen, soll ich's meinen Kindern mißgönnen? Würd ein Vater sich grämen wenn sein Sohn seinen Namen veränderte, um desto leichter emporzukommen?

DRITTER.
Wenn man nun aber zu zweifeln anfinge, ob Sie allein im Stande gewesen wären –
LENZ.

Laß sie zweifeln. Was würd ich durch ihren Glauben gewinnen? Das Gefühl, an diesem Herzen ist er warm geworden, hier hat er sein Feuer und alle gutartige Mienen bekommen, die andern Leuten an seinem Gesicht Vergnügen machen, ist stärker und göttlicher als alles Schnettern der Trompete der Fama eins aufschütteln kann. Dies Gefühl ist mein Preis und der angenehme Taumel in den mich der Anblick eines solchen Sohnes bisweilen zurücksetzt und der fast der Entzückung gleicht mit der er geboren ward.


Goethe, über ein Tal herabhängend, in welchem eine Menge Bürger emporgucken und die Hände in die Höhe strecken.
EINER.
Traut ihm nicht.
ZWEITER.
Da bewegt er sich. Gewiß in der andern Hand, die er auf dem Rücken hat, hält er nichts Guts.
EIN GELEHRTER UNTER IHNEN.
Es scheint der Mann will gar nicht rezensiert sein.
EIN PHILISTER.

Ihr Narren, wenn er euch auch freien Willen [257] ließe, er würde bald unter die Füße kommen. Und er streitet nicht für sich allein, sondern auch für seine Freunde.

4. Szene
Vierte Szene
Die Journalisten

EINER.

Es fängt da oben an bald zu wölken bald zu tagen. Hört Kinder, es ist euch kein andrer Rat, wir müssen hinauf und sehen wie die Leute das machen.

ZWEITER.
Ganz gut, wie kommen wir aber hinauf.
ERSTER.
Wollen wir ein Luftschiff machen wie die bösen Geister im Noah das uns in die Höhe hebt.
ZWEITER.
Ein fürtrefflicher Einfall. Es kommt auch so ein Wind von oben herab, der uns schon heben wird.
ERSTER.
Ich hab auch eben nichts Bessers zu tun und es wäre doch kurios den Leuten auf die Finger zu sehen.
DRITTER.

Mir wird die Zeit auch so verflucht lang hier unten, ich weiß wahrhaftig nicht mehr was ich angreifen soll.

VIERTER.
So können wir uns auch mit leichter Mühe berühmt machen.
FÜNFTER.

Und ich will meine Akten und all ins Feuer werfen, was Henkers nützen einem auch die Brodstudia. Es soll uns so an Geld nicht fehlen.

SECHSTER
zum Siebenten.

Wenn die droben sind, wollen wir einen Geist der Journale schreiben. Das geneigte Publikum wird doch gescheut sein und pränumerieren, wie dem Klopstock da.

SIEBENTER.
Wenn aber ein Achter käm und schrieb einen Geist des Geists?
SECHSTER.
Es ist der Geist der Zeit. Laß uns keine Zeit verlieren, wer zuerst kommt der mahlt erst.

[258] Heben sich auf ihrem Luftschiff mit Goethens Wind und machen ihm Komplimente.
GOETHE.

Landt an, landt an! Zu Lenz. Wollen den Spaß mit den Kerlen haben. Wirft ihnen ein Seil zu, die Journalisten verwandeln sich alle in Schmeißfliegen und besetzen ihn von oben bis unten. Nun zum Sackerment. Schüttelt sie ab.


Sie bekommen die Gestalt kleiner Jungen und laufen auf dem Berg herum, Hügelein auf, Hügelein ab. Goethe steigt eine neue Erhöhung hinan, eine Menge von ihnen umklammert ihm die Füße.

Nimm mich mit, nimm mich mit.
GOETHE.
Liebe Jungens laßt mich los, ich kann ja sonst nicht weiter kommen.
EINER.

Womit soll ich dich vergleichen? Alexander, Cäsar, Friedrich: o das waren alles kleine Leute gegen dich.

ZWEITER.
Wo sind die großen Genieen der Nachbarn, die Shakespear, die Voltaire, die Rousseau.
DRITTER.

Was sind die so sehr gerühmten Alten selber? der Schwätzer Ovid, der elende Virgil und dein so sehr erhabner Homer selbst. Du du bist der Dichter der Deutschen und soviel Vorzüge unsere Nation vor den alten Griechen –

LENZ
sein Haupt verhüllend.
O weh sie verderben mir meinen Goethe.
GOETHE.

Daß euch die schwere Not. Schüttelt sie von den Beinen und wirft sie alle kopflängs den Berg hinunter. Ihr Schurken, daß ihr euch immer mit fremder Größe beschäftigt und nie eure eigene ausstudiert. Wie seid ihr im Stande zu fühlen was Alexander war, oder was Cäsar war, wie seid ihr im Stande zu fühlen was ich bin. Wie unendlich anders die Größe eines Helden, eines Staatsmannes eines Gelehrten und eines Künstlers! Ich bin Künstler dumme Bestien und verlangte nie mehr zu sein. Sagt mir ob's mir in meiner Kunst geglückt ist, ob ich wo einen Strich wider die Natur gemacht habe, [259] und denn sollt ihr mir willkommen sein. Übrigens aber haltt's Maul mit euren wahnwitzigen Ausrufungen von Groß Göttlich und merkt euch die Antwort die der König von Preußen einem gab, der ihn zum Halbgott machen wollte. Und der König von Preußen ist doch ein ganz andrer Mann als ich.

DIE JOURNALISTEN.
Wir wollen alle Künstler werden.
GOETHE.
In Gottes Namen, ich will euch dazu behülflich sein.
EINER.
Wir brauchen Eurer Hülfe nicht. Ich bin schon ein zehnmal größrer Mann als du bist.
LENZ
sieht wieder hervor.
Also auch als alle die, die er unter dich gestellt hat.
GOETHE
lacht.
So aber gefällt mir der Kerl.
LENZ.
Lieber Goethe, ich möchte mein Dasein verwünschen, wenn's lauter Leute so da unten gäbe.
GOETHE.

Haben sie's andern Nationen besser gemacht? Woher denn der Verfall der Künste, wenn sie zu einer gewissen Höhe gestiegen waren.

LENZ.
Ich wünschte denn lieber mit Rousseau wir hätten gar keine und kröchen auf allen Vieren herum.
GOETHE.
Wer kann davor?
LENZ.

Ach ich nahm mir vor hinabzugehn und ein Maler der menschlichen Gesellschaft zu werden: aber wer mag da malen wenn lauter solche Fratzengesichter unten anzutreffen. Glücklicher Aristophanes, glücklicher Plautus, der noch Leser und Zuschauer fand. Wir finden, weh uns, nichts als Rezensenten und könnten eben so gut in die Tollhäuser gehen um menschliche Natur zu malen.

[260]

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Hagedorn spaziert einsam herum und pfeift zum Zeitvertreib Liederchen.

HAGEDORN.
Wie wird mir die Zeit so lang, Gesellschaft zu finden.

Setzt sich an eine schwarze Tafel und malt einige Tiere hin.
LAFONTAINE
der mit einigen andern Franzosen hinter einem Gitter auf dem Chor sitzt, bückt sich über dasselbe hervor und ruft indem er in die Hände patscht.
Bon! bon! cela passe!

Tritt herein ein schmächtiger Philosoph, ducknackigt, mit hagerem Gesicht, großer Nase, eingefallenen hellblauen Augen, die Hände auf die Brust gefaltet. Bleibt verwundernd Hagedorn gegenüber stehen ohn aus seiner Stellung zu kommen. Auf einmal erblickt er Lafontainen, kehrt sich weg und tritt in den Winkel um nicht gesehen zu werden. Nach einer Weile kommt er
mit einigen Papieren voll Zeichnungen hervor, die er sich vor die Stirne hält. Hagedorn läßt die Kreide fallen, eine Menge Menschen umringen und bewundern ihn, der Haufe wird immer größer, er verzieht seine sauertöpfische Miene und sagt mit hohler Stimme und hypochondrischem Lachen.

Was seht ihr da? – Wenn ihr mir gute Worte gebt, mal ich euch Menschen.

Gleich drängen sich verschiedene die sein frommes Aussehen dreist macht zu ihm, unter denen ein großer Haufe alter Weiber und zutätiger Mütterchen. Er wendt sich um – und flugs steht eine von ihnen auf dem Papier da, die er darnach vorzeigt. Da geht ein überlautes Gelächter von einer und ein Geschimpf von der andern Seite an.
ALTES WEIB.

Der Gotteslästerer! Er hat keinen Glauben, [261] er hat keine Religion, sonst würd er das ehrwürdige Alter nicht spotten. Es ist ein Atheist.


Bei diesen Worten fällt Gellert auf die Knie und bittet um Gotteswillen man soll ihm das Bild zurückgeben, das man ihm schon aus den Händen gewunden hat, er wolle es verbrennen.
EINIGE FRANZOSEN
hinterm Gitter.
Oh l'original!
MOLIÈRE
sich den Stutzbart streichend.

Je ne puis pas concevoir ces Allemands là. Il se fait un crime d'avoir si bien réussi. Il n'aurait qu'à venir à Paris, il se corrigerait bien de cette maudite timidité.


Herr Weiße, einer aus dem Haufen, sehr weiß gepudert, mit Steinschnallen in den Schuhen, läuft schnell heraus und nimmt sich ein Billet auf die Landkutsche nach Paris.
Gellert unterdessen dringt durch den Haufen zu seinem Winkel, wo er sich auf die Knie wirft und die bittersten Tränen weint. Auf einmal fängt er an geistliche Lieder zu singen, worauf er am Ende in ein gänzlich trübsinniges Stillschweigen verfällt, als ob er ein schwer Verbrechen auf dem Gewissen hätte. Ein Engel fliegt vorbei und küßt ihm die Augen zu.
EINE STIMME.

Redliche Seele! selbst in deinen Ausschweifungen ein Beweis, daß eine deutsche Seele keiner unedlen Narrheit fähig sei.


Als er stirbt.
DIE FRANZOSEN.
Il est fou. Am äußersten Ende des Gitters Rousseau auf beide Ellbogen gestützt. C'est un ange.
2. Szene
Zweite Szene
Rabener tritt herein, den Haufen um Gellert zerstreuend.

RABENER.

Platz, Platz für meinen Bauch Mit der Hand. und nun noch mehr für meinen Satyr, daß er gemächlich auslachen kann. Was in aller Welt sind das Gesichter hier.


[262] Zieht einen zylindrischen Spiegel hervor. Sie halten sich alle die Köpfe und entlaufen mit großem Geschrei wie eine Herde gescheuchter Schafe. Einige ermannen sich und treten sehr gravitätisch näher. Als sie nah kommen, können sie sich doch nicht enthalten, mit den Köpfen zurückzufahren. Als vernünftige Leute lachen sie aber selbst über die Grimassen die sie machen.
RABENER.
Seid ihr's bald müde?

Gibt einem nach dem andern den Spiegel in die Hand, sie erschröcken sich mit ihren eigenen Gesichtern.
ALLE.
So gefällt's uns doch besser als nach dem Leben.
RABELAIS UND SCARRON
von oben.
Au lieu du miroir, s'il s'était ôté la culotte, il aurait mieux fait.

Liscow horcht herauf, und da eben ein paar Waisenhäuserstudenten neben ihm stehen, zieht er sich die Hosen ab, die schlagen ein Kreuz, er jägt sie so rücklings zum Tempel hinaus. Ein ganzer Wisch junger Rezensenten bereden sich, bei erster Gelegenheit ein gleiches zu tun. Klotz bittet sie, nur solang zu warten bis er sich zu jenen drei Stufen hervorgedrängt, auf die er steigen und sodann zu allgemeiner Niederlassung der Hosen das Signal geben will.
KLOTZ.
Das wird einen Teufels-Jokus geben. Es bleibt keine einzige Dame in der Kirche.
EINER.
Die Komödiantinnen bleiben doch.
ZWEITER.
Und die H*ren. Wir wollen Oden auf sie machen.

Anakreons Leier wird hervorgesucht und gestimmt. Die honetten Damen die was merken entfernen sich in eine Ecke der Kirche. Die andern treten näher. Rost spielt auf. Zu gleicher Zeit zieht Klotz die Hosen ab. Eine Menge folgen ihm. Das Gelächter, Gekreisch und Geschimpf wird allgemein. Die honetten Damen und die Herren von gutem Ton machen einen Zirkel um Rabener und lassen sich mit ihm in tiefsinnige Diskurse ein.
EINE STIMME.
Flor der deutschen Literatur.
EINE ANDERE.
Saeculum Augusti.
[263]
DIE FRANZOSEN
von oben.
Voilà ce qui me plaît. Ils commencent à avoir de l'esprit, ces gueux d'Allemands là.
CHAULIEU UND CHAPELLE.

En voila un qui ne dit pas le mot, mais il semble bon enfant, voyez comme il se plaît à tout cela, comme il sourit secouant la tête.


Stoßen ihn mit dem Stock an, winken ihm heraufzukommen, er geht hinauf.
Gleim tritt herein, mit Lorbeern ums Haupt, ganz erhitzt in Waffen. Als er den neckischen tollen Haufen sieht, wirft er Rüstung und Lorbeer weg, setzt sich zu der Leier und spielt, jedermann klatscht. Der ernsthafte Zirkel wird auch aufmerksam, Uz tritt daraus hervor; wie Gleim aufgehört hat, setzt er sich gleichfalls an die Leier.
EIN JUNGER MENSCH
tritt aus dem ernsthaften Haufen hervor, mit verdrehten Augen, die Hände über dem Haupt zusammengeschlagen sagt.

Ω ποποι! was für ein Unterfangen, was für eine zahmlose und schamlose Frechheit ist das? Habt ihr so wenig Achtung, so wenig Entsehen für diese würdige Personen, ihre Ohren und Augen mit solchen Unflätereien zu verwunden? Schämt euch, verkriecht euch, ihr sollt diese Stelle nicht länger schänden die ihr usurpiert habt, heraus mit euch Bänkelsängern, Wollustsängern, Bordellsängern, heraus aus dem Tempel des Ruhms.


Ein paar Priester folgen dicht hinter ihm drein, trommeln mit den Fäusten auf die Bänke, zerschlagen die Leier und jagen sie alle zum Tempel hinaus. Wieland bleibt stehen, die Herren und Damen umringen ihn und erweisen ihm viel Höflichkeiten für die Achtung so er ihnen bewiesen.
WIELAND.

Womit kann ich den Damen itzt aufwarten, ich weiß in der Geschwindigkeit wahrhaftig nicht – sind Ihnen Sympathien gefällig – Briefe der Verstorbnen an die Lebendigen, oder befehlen Sie ein Heldengedicht, eine Tragödie.

[264]
DIE GESELLSCHAFT.
Was von Ihnen kommt muß alles vortrefflich sein.

Er kramt seine Taschen aus.
Die Herrn und Dames besehen die Bücher und loben sie höchlich. Endlich weht sich die eine mit dem Fächer, die andere gähnend.

Haben Sie nicht noch mehr Sympathien?
WIELAND.

Nein wahrhaftig gnädige Frau – o lassen Sie sich doch die Zeit nur nicht lang werden – Warten Sie nur noch einen Augenblick, wir wollen sehen ob wir nicht etwas finden können. Geht herum und sucht, findt die zerbrochne Leier die er zu reparieren anfängt. Sogleich, sogleich – nur einen Augenblick – ich will sehen ob ich noch was herausbringe. Spielt.


Alle Damen halten die Fächer vor den Gesichtern, man hört hin und wieder ein Gekreisch.

Um Gottes willen hören Sie doch auf.

Er läßt sich nicht stören, sondern spielt nur immer rasender.
DIE FRANZOSEN.

Ah le gaillard! Les autres s'amusaient avec des grisettes, cela débauche les honnêtes femmes. Il a pourtant bien pris son parti.

EINER.
Je ne crois pas que ce soit un Allemand, c'est un Italien.
CHAPELLE UND CHAULIEU.

Ah ça – pour rire – descendons notre petit Lassen Jacobi auf einer Wolke von Nesseltuch nieder, wie einen Amor gekleidt. cela changera bien la machine.

JEDERMANN.
Ach sehen Sie doch um Himmelswillen.

Jacobi spielt in der Wolke auf einer kleinen Sackvioline. Einige aus der Gesellschaft fangen an zu tanzen. Er läßt eine erschröckliche Menge Papillons fliegen.
DIE DAMES
haschen nach ihnen und rufen.
Liebesgötterchen! Liebesgötterchen!
JACOBI
springt aus der Wolke und schlägt die Arme kreuzweis übereinander, schmachtend zusehend.
O mit welcher Grazie!
[265]
WIELAND.
Von Grazie hab ich auch noch ein Wort zu sagen.

Spielt. Die Damen minaudieren erschröcklich, die Herren setzen sich einer nach dem andern in des Jacobi Wolke und schaukeln damit herum. Andere lassen gleichfalls Papillons fliegen. Die Alten tun sie unter das Vergrößerungsglas und einige Philosophen legen den Finger an die Nase um die Unsterblichkeit der Seele aus ihnen zu beweisen. Eine Menge Offiziers machen sich Kokarden von Papillonsflügeln, andere kratzen mit dem Degen an der Leier sobald Wieland zu spielen aufhört. Endlich gähnen sie alle.
Eine Dame die, um nicht gesehen zu werden, hinter Wielands Rücken unaufmerksam auf alles was vorging gezeichnet hatte, gibt ihm das Bild zum Sehen, er zuckt die Schultern, lächelt, macht ihr ein halbes Kompliment und reicht es großmütig herum. Jedermann macht ihm Komplimente darüber, er bedankt sich schönstens, steckt es wie halbzerstreut in die Tasche und fängt wieder zu spielen an. Die Dame errötet. Die Palatinen der
andern Damen die Wieland zuhören kommen in Unordnung, weil die Herrchen zu ungezogen werden. Wieland winkt ihnen lächelnd zu und Jacobi hüpft wie unsinnig von einer zur andern herum.
Indessen klatscht die ganze Gesellschaft und ruft gähnend.

Bravo! bravo! bravo! le moyen d'ouïr quelque chose de plus ravissant.

Goethe stürzt herein in Tempel, glühend, einen Knochen in der Hand.
GOETHE.

Ihr Deutsche? – – Hier ist eine Reliquie eurer Vorfahren. Zu Boden mit euch und angebetet, was ihr nicht werden könnt.


Wieland macht ein höhnisch Gesicht und spielt fort. Jacobi bleibt mit offenem Mund und niederhangenden Händen stehen.
[266]
GOETHE
auf Wieland zu.

Ha daß du Hektor wärst und ich dich so um die Mauren von Troja schleppen könnte. Zieht ihn an den Haaren herum.

DIE DAMEN.
Um Gotteswillen Herr Goethe, was machen Sie?
GOETHE.
Ich will euch spielen, obschon's ein verstimmtes Instrument ist.

Setzt sich hin, stimmt ein wenig und spielt. Jedermann weint.
WIELAND
auf den Knien.
Das ist göttlich.
JACOBI
hinter Wieland gleichfalls auf Knien.
Das ist eine Grazie, eine Wonneglut.
EINE GANZE MENGE DAMEN
stehn auf und umarmen Goethe.
O Herr Göthe!

Die Chapeaux werden alle ernsthaft. Eine Menge laufen heraus, andere setzen sich Pistolen an die Köpfe, setzen aber gleich wieder ab. Der Küster, der das sieht, läuft und stolpert aus der Kirche.
3. Szene
Dritte Szene
Küster. Pfarrer.

KÜSTER.

O Herr Pfarrer um Gotteswillen, es geschieht Mord und Totschlag in der Kirche wenn Sie nicht zu Hülfe kommen. Da ist der Antichrist plötzlich hereingetreten, der ihnen allen die Köpfe umgedreht hat, daß sie sich das Leben nehmen wollen. Sie haben alle Schießgewehr bei sich, meine arme Frau, meine arme Kinder sind auch drunter, wer weiß wie leicht ein Fehlschuß sie treffen kann.

PFARRER
zitternd und bebend.
Meine Frau ist auch da, Gott steh mir bei. Kann Er sie nicht herausrufen.
KÜSTER.

Nein Herr Pfarrer Sie müssen selber kommen, das ganze Ministerium muß kommen, es ist als ob der Teufel in sie alle gefahren wäre, ich glaube Gott verzeih mir, der Jüngste Tag ist nahe.

[267]
PFARRER
einmal über das andere sich trostlos umsehend.

Wenn meine Frau nur kommen wollte! Konnt Er ihr nicht zurufen? Die Hände ringend. Hab ich das in meinem Leben gehört, sie wollen sich erschießen und warum denn?

KÜSTER.

Um unsrer Weiber willen allerliebster Herr Pfarrer! Das ist Gott zu klagen, ich glaube es ist ein Hexenmeister der unter sie gekommen ist. Vorhin saßen sie da in aller Eintracht und hatten ihren Spaß mit den Papillons, da führt ihn der böse Feind hinein, und sagt, wenn's doch gespielt sein soll, so spielt mit Pistolen.

PFARRER.
Ob sie aber auch geladen sind?
KÜSTER.

Das weiß ich nun freilich nicht. Aber auch mit ungeladenen ist's doch sündlich. Man weiß wie leicht der Böse sein Spiel haben kann.

PFARRER
sehr wichtig und nachdenklich.
Wir wollen ein Mandat vom Consistorio auswirken.
KÜSTER.

Das wär meine Meinung auch Herr Pfarrer so. Und daß sie den Prometheus verbrennen sollen, oder den höllischen Proteus wie er da heißt. Andern zur Warnung mein ich.

PFARRER.
Wenn meine Frau nur kommen wollte.
KÜSTER.

Sie wird sich noch in ihn verlieben und meine Frau auf den Kauf mit ein, die Weiber sind all wie bestürzt auf das Ding, sie sagen sie haben sowas in ihrem Leben noch nicht gehört. Denn sehn Sie es ist kein einzig Weib das nicht glaubt, heimlich in der Stille haben sich schon ein zehn zwölf arme Buben um sie zu Tode gegrämt, und dieser erschießt sich gar, das ist ihnen nun ein gar zu gefundenes Fressen das. In Böhmen ist neuerdings wieder ein Baurenkrieg angebrochen, gebt acht Herr Pfarrer, dieser Mensch gibt uns einen Weiberkrieg wo am Ende keine Mannsseele mehr am Leben bleibt als ich und der Herr Pfarrer. Wir wollten endlich das menschliche Geschlecht auch nicht ausgehen lassen.

PFARRER.

Seid unbesorgt. Wenn ich mich nur durch die [268] Hintertür in die Kirche schleichen und dem Unwesen zusehen könnte. Ich wollte sodann ganz in der Stille die Kanzel heraufkriechen und auf einmal zu donnern anfangen. Das tut seine gewisse Wirkung, glaubt es mir.

KÜSTER.

Sicher Herr Pfarrer, ich mein es auch so, und ich will den Glauben zu gleicher Zeit anstimmen, daß der Teufel aus der Kirche fährt.

PFARRER.
Ihr könnt das Te Deum laudamus hernach singen, wenn ich fertig bin. Gehn ab.
4. Szene
Vierte Szene
Goethe zieht Wieland das Blatt Zeichnung aus der Tasche das er vorhin von der Dame eingesteckt.

GOETHE
hält's hoch.
Seht dieses Blatt – und hier ist die Hand die es gezeichnet hat.

Die Verfasserin der Sternheim ehrerbietig an die Hand fassend.
EINE PRÜDE
weht sich mit dem Fächer.
O das wäre sie nimmer im Stande gewesen allein zu machen.
EINE KOKETTE.
Wenn man ein so groß Genie zum Beistand hat, wird es nicht schwer einen Roman zu schreiben.
GOETHE.

Errötest du nicht Wieland? verstummst du nicht? Kannst du ein Lob ruhig anhören, das soviel Schande über dich zusammenhäuft? Wie daß du nicht deine Leier in den Winkel warfst, als die Dame dir das Bild gab, demütig vor ihr hinknietest und gestandst du seist ein Pfuscher? Das allein hätte dir Gnade beim Publikum erworben das deinem Wert nur zu viel zugestand. Seht dieses Bild an.


Stellt es auf eine Höhe.
ALLE MÄNNER
fallen auf ihr Angesicht, rufen.
Sternheim wenn du einen Werther hättest, tausend Leben müßten ihm nicht zu kostbar sein.
PFARRER
von der Kanzel herunter mit Händen und Füßen [269] schlagend.

Bösewichter! Unholde! Ungeheuer! Von wem habt ihr das Leben? Ist es euer? Habt ihr das Recht, drüber zu schalten?

EINER AUS DER GESELLSCHAFT.
Herr Pfarrer halten Sie das Maul.
KÜSTER
mischt sich unter sie.

Ja erlauben Sie meine großgünstige Herren, es ist aber auch ein Unterscheid zwischen einer schönen Liebe und einer solchen gottsvergessenen, und denn so mit Ihrer großgünstigen Erlaubnis, der Herr Pfarrer hat auch so unrecht nicht, denn sehn Sie einmal, meine arme Frau steht auch in Gefahr, eines Menschen Leben auf ihr Gewissen zu laden, und da ich mit den Gespenstern nichts gern zu teilen habe –

EIN BUCHBINDER.
Ei freilich, ich bin auch von des Herrn Küsters Partei, meine Nachtruhe ist mir lieb auch.
KÜSTER.

Also mit Ihrer gnädigen Erlaubnis meine Herren, wäre mein Rat wohl, wir gingen fein alle nach Hause und schlössen die Kirchtür zu. Wer Lust hat den Werther zu machen kann immer drin bleiben, he he he ich denk er wird doch in der Einsamkeit schon zu Verstand kommen, wir andere ehrliche Bürgersleut aber gehen heim nach dem Sprüchlein Lutheri:

Ein jedes lern sein Lektion,

So wird es wohl im Hause stohn.

GOETHE.
Geht in Gottes Namen. Ich bleib allein hier.

Es bleiben einige bei ihm im Tempel. Die meisten gehn heraus und der Küster schließt die Kirchtür zu.
KÜSTER.
So. Du sollst mir nicht mehr herauskommen.
PFARR.
Nur die Schlüssel der Frau nicht gegeben.
FRAU PFARR.
Mannchen! der arme Werther.
PFARR UND KÜSTER.

Da haben wir's, da wirkt das höllische Gift. Ich wollt er läg auf unserm Kirchhof, oder der verachtungswürdige Proteus an seiner Stelle. Wir wollten die Knochen ausgraben lassen, verbrennen und die Asche aufs Meer streuen.

[270]
KÜSTER.

Ich wollt einen Mühlstein an die Asche hängen und sie ersäufen lassen. Er hat mich in die Seele hinein geärgert. Mein armes Weibchen was machst du denn? Du wirst doch nicht toll sein und dir auch deinen Werther schon angelegt haben, ich wollte dich – Es ist wohl gut, daß in Teutschland keine Inquisition ist, aber es ist doch nicht gar zu gut. Ich wollte mein Leben dran setzen einen solchen Rebellen, einen solchen –

KÜSTERS FRAU.
Er ein Rebell?
KÜSTER.

Red mir nicht. Was für schnöde Worte er im Munde führt. Wenn man das alles auseinandersetzte was der Werther sagt.

KÜSTERS FRAU.
Er sagt es ja aber in der Raserei, da er nicht recht bei sich war.
KÜSTER.

Er soll aber bei sich bleiben der Hund. Wart nur ich will ein Buch schreiben, da will ich dich lehren und alle die den Werther mir so gelobt haben – kurz und gut Weib, lieber doch einen Schwager als einen Werther, kurz von der Sache zu reden. Und damit so weißt du meine Meinung und laß mich mit Frieden.

5. Szene
Fünfte Szene
Die Dramenschreiber
Weiße und Küsters Frau vor der Kirchentür.

WEISSE.

Liebe Frau, ich bin eben aus Welschland zurückgekommen, mach Sie mir nur auf, Ihr Mann wird nichts dawider haben. Ich hab die Taschen voll, ich muß hinein. Ich werd dort gewiß keinen Unfug anrichten, das sei Sie versichert. Sie macht auf. Er tritt herein in einem französischen Sammetkleide mit einer kurzen englischen Perücke, macht im Zirkel herum viel Scharrfüße und fängt folgendergestalten an. Meine werte Gesellschaft, ist es Ihnen gefälliger zu lachen oder zu weinen.[271] Beides sollen Sie in kurzer Zeit auf eine wunderbare Art an sich erfahren. Kehrt sich weg, zieht einige Papiere heraus und murmelt die Expressionen, als ob er sie repetierte. Hell! destruction! damnation!


Darauf tritt er hervor und deklamiert in einem unleidlich hohlen Ton mit erstaunenden Kontorsionen.
HERR SCHMIDT
ein Kunstrichter, steht vor ihm beide Finger auf den Mund gelegt.
Es ist mir als ob ich die Engländer selber hörte.
MICHAELIS.
Es ist unser deutsche Shakespear.
SCHMIDT.

Sehen Sie nur was für eine wunderbare Vereinigung aller Vollkommenheiten, die das englische sowohl als das französische Theater auszeichnen. Das griechische mit eingeschlossen. Ich wünschte Garricken hier.

WEISSE
mit vielen Kratzfüßen sehr freundlich.

So sehr es meiner Bescheidenheit kostet, mich mit in diesen Streit zu mengen, so muß ich doch gestehn daß ich glaube, Herr Schmidt habe mich am richtigsten beurteilt.

MICHAELIS.

Herr Schmidt ist unser deutsche Aristarch, er hört nicht auf das was andere sagen sondern fällt sein Urteil mit einer Festigkeit und Gründlichkeit die eines Scaliger würdig ist.

SCHMIDT.

O ich bitte um Vergebung, ich richte mich mit meinem Urteil immer nach der allgemeinen Stimme von Deutschland. Zu dem Ende korrespondiere ich mit den Pedellen von fast allen deutschen Akademien und bleibt mir nicht viel Zeit übrig im Scaliger zu lesen und seine Manier anzunehmen. Ich bin ein Original.

WEISSE.

Belieben Sie, nun noch ein Pröbchen von einer andern Art zu sehen. Nimmt den Hut untern Arm und trippt auf den Zehen herum. Mais mon Dieu! hi, hi, hi! Im Soubrettenton. Vous êtes un sot animal. Trillert und singt. Monseigneur voyez mes larmes.

EINE STIMME AUS DEM WINKEL.
Das sollen Deutsche sein?
SCHMIDT.

Sehen Sie doch, es ist mir als ob ich in Paris [272] wäre. Es ist wahr, alle die Züge sind nachgeahmt, aber mit solcher Delikatesse als man die blaue Haut einer Pflaume anfaßt, ohne sie abzustreifen.

MICHAELIS.

O wunderbarer Ausspruch eines wahren kritischen Genies. – – Ich habe solche Kopfschmerzen. Herr Schmidt, wollen Sie mich denn nicht auch kritisieren vor meinem Tode.

SCHMIDT.
Mir sind die letzten Briefe ausgeblieben.
MICHAELIS.

Ei Sie sind ja wohl Manns genug selber ein Urteil zu fällen. Sehen Sie hier hab ich auch eine Operette.

SCHMIDT.

Nein nein erlauben Sie mir das wag ich nicht. Seit der selige Klotz vor mir die Hosen abgezogen hat bin ich ein wenig geschröckt worden. Herr Lessing hat mir auch einmal einen Faustschlag unter die Rippen gegeben, von dem ich zehn Tag lang engen Atem behielt. Ich habe hernach alles anwenden müssen, die beiden Herren zu besänftigen: besonders Herrn Lessing zu gefallen hab ich wohl zehn Nächte nach einander aufgesessen um nach seiner Idee zehn englische Stücke in eines zu bringen, und der fürchterliche Plan hat mir eine solche Migräne verursacht, daß ich fürchte, Herr Lessing hat sich auf die Art schlimmer an mir gerochen als auf die erstere.

MICHAELIS.
So muß ich denn wohl unbeurteilt sterben. Deinen Segen deutscher Shakespear.
WEISSE
mit feiner Stimme, wie unter der Maske.
Bon voyage mon cher Monsieur! je vous suis bien obligé de toutes vos politesses.
SCHMIDT
aus den deutschen Literaturbriefen.
Der Mann hat eine wunderbare Gabe sich in alle Formen zu passen.

Lessing, Klopstock, Herder treten herein umarmt, Klopstock in der Mitte, in sehr tiefsinnigen Gesprächen, ohne Weißen gewahr zu werden.
[273]
LESSING.

Was ist das, was haben die Leute? Weiße macht seine Kunststücke fort. Soll das Nachahmung der Franzosen sein oder der Griechen?

WEISSE
scharrfüßelnd.
Beides.
LESSING.

Wißt ihr was die Franzosen für Leute sind? Laßt uns einmal ihre Bilderchen besehen.Tritt vor eine Galerie und examiniert. Da zu hoch, da zu breit, da zu schmal, nirgends Zusammenhang, nirgends Ordnung, nirgends Wahrheit. Und das sind eure Muster?

HERDER.

Ich hörte da was von Shakespear raunen. Kennt ihr den Mann? – Tritt unter uns Shakespear, seliger Geist! steig herab von deinen Himmelshöhen.

SHAKESPEAR
einen Arm um Herder geschlungen.
Da bin ich.

Weiße schleicht zum Tempel heraus. Sein ganzer Anhang folgt ihm. Jedermann drängt zu, Shakespearn zu sehen, einige fallen vor ihm nieder. Aus einer Reihe französischer Dramendichter, die auf einer langen Bank sitzen und alle kritzeln oder zeichnen, hebt sich einer nach dem andern wechselsweise hervor und guckt nach Shakespear, setzt sich aber gleich wieder mit einer verachtungsvollen Miene und zeichnet fort nach griechischen Mustern.
KLOPSTOCK
vor Shakespearn, sieht ihm lange ins Gesicht.
Ich kenne dies Gesicht.
SHAKESPEAR
schlägt den andern Arm um Klopstock.
Wir wollen Freunde sein.
KLOPSTOCK
umarmt ihn brünstig, zuckt auf einmal und sieht sich umher.
Wo sind meine Griechen? Verlaßt mich nicht.

Shakespear verschwindt wieder. Herder wischt sich die Augen.
HERDER
in sanfter Melancholei vorwärts gehend.

Was der Junge dort haben mag, der so im Winkel sitzt und Gesichter über Gesichter schneidt. Ich glaub es gilt den Franzosen. Bübchen was machst du da? Lenz steht auf und antwortet nicht. Was ist dir?

[274]
LENZ.
Es macht mich zu lachen und zu ärgern, beides zusammen.
HERDER.
Was denn?
LENZ.

Die Primaner dort, die uns weismachen wollen sie wären was, und der große hagere Primus in ihrer Mitte, und sind Schulknaben wie ich und andere. Zeichnen da ängstlich und emsig nach Bildern die vor ihnen liegen, und sagen das soll unsern Leuten ähnlich sehen. Und die Leut sind solche Narren und glauben's ihnen.

HERDER.
Was verlangst du denn.
LENZ.

Ich will nicht hinterherzeichnen – oder gar nichts. Wenn Ihr wollt Herr, stell ich Euch gleich ein paar Menschen hin, wie Ihr sie da so vor Euch seht. Was den Alten galt mit ihren Leuten, soll uns doch auch gelten mit unseren.

HERDER
gütig.
Probiert's einmal.
LENZ
kratzt sich in den Kopf.
Ja da müßt ich einen Augenblick allein sein.
HERDER.
So geh in deinen Winkel, und wenn du fertig bist, bring mir's.

Lenz kommt und bringt einen Menschen nach dem andern keichend und stellt sie vor sie hin.
HERDER.
Mensch, die sind viel zu groß für unsre Zeit.
LENZ.

So sind sie für die kommende. Sie sehn doch wenigstens ähnlich. Und Herr! die Welt sollte doch auch itzt anfangen, größere Leute zu haben als ehemals. Ist doch solang gelebt worden.

LESSING.
Eure Leute sind für ein Trauerspiel.
LENZ.

Herr was ehmals auf dem Kothurn ging sollte doch heutzutag mit unsern im Soccus reichen. Soviel Trauerspiele sind doch nicht umsonst gespielt worden, was ehmals grausen machte, das soll uns lächeln machen.

LESSING.
Und unser heutiges Trauerspiel?
LENZ.

O da darf ich mal nicht nach heraufsehn. Das hohe Tragische von heut, ahndet ihr's nicht? Geht in die Geschichte, seht einen emporsteigenden Halbgott auf der [275] letzten Staffel seiner Größe gleiten oder einen wohltätigen Gott schimpflich sterben. Die Leiden griechischer Helden sind für uns bürgerlich, die Leiden unserer sollten sich einer verkannten und duldenden Gottheit nähern. Oder führtet ihr Leiden der Alten auf, so wären es biblische, wie dieser tat Klopstock ansehend. Leiden wie der Götter, wenn eine höhere Macht ihnen entgegenwirkt. Gebt ihnen alle tiefe, voraussehende, Raum und Zeit durchdringende Weisheit der Bibel, gebt ihnen alle Wirksamkeit, Feuer und Leidenschaften von Homers Halbgöttern, und mit Geist und Leib stehn eure Helden da. Möcht ich die Zeiten erleben!

KLOPSTOCK.
Gott segne dich.
GOETHE
springt von hinten zu und umarmt ihn.
Mein Bruder.
LENZ.

Wär' ich alles dessen würdig! Laßt mich in meinen Winkel. Auf dem halben Wege steht er still und betet. Zeit! du große Vollenderin aller geheimen Ratschlüsse des Himmels, Zeit, ewig wie Gott, allmächtig wie er, immer fortwirkend immer verzehrend, immer umschaffend erhöhend vollendend – laß mich – laß mich's erleben. Ab.

KLOPSTOCK, HERDER UND LESSING. Der brave Junge. Leistet er nichts, so hat er doch groß geahndet.

GOETHE.

Ich will's leisten. – Eine Menge junger Leute stürmen herein mit verstörten Haaren. Wir wollen's auch leisten. Bringen mit Ungestüm Papier her, Farben her, schmieren Figuren zusammen, heben die Papiere hoch empor. Sind sie das nicht?

GOETHE.

Hört lieben Kinder! ich will euch eine Fabel erzählen. Als Gott der Herr Adam erschuf, macht' er ihn aus Erde und Wasser sehr sorgfältig, bildete all seine Gliedmaßen, seine Eingeweide, seine Adern, seine Nerven, blies ihm einen lebendigen Odem in die Nase, da ging der Mensch herum und wandelte und freute sich und alle Tiere hatten Respekt vor ihm. Kam der Teufel, [276] sagte: Ei was eine große Kunst ist denn das, solche Figuren zu machen, darf ich nur ein bissel Mörtel zusammenkneten und darauf blosen, wird's gleich herumgehn und leben und die Tiere in Respekt erhalten. Tät er dem auch also, pappte eine Menge Leim zusammen, rollt's in seinen Händen, behaucht' und begeiferte es, blies sich fast den Othem aus, fu fi fi fu – aber geskizzen wor nit gemolen.

3. Akt

Letzter Akt

Gericht


Nacht. Geister. Stimmen.

ERSTE STIMME.
Ist Tugend der Müh wert?
ZWEITE STIMME.
Machen Künst und Wissenschaften besser?
EINE MENGE GEISTER
rufen.
Tugend ist der Müh nicht wert.
EINE MENGE GEISTER
rufen.
Künst und Wissenschaften machen schlechter.
WELTGEIST.
Eßt, liebt und streitet! euer Lohn ist sicher.
EWIGER GEIST.

Euer Lohn ist klein. – Schaut an Klopstock, der auf jene steinigten Pfade Rosen warf. Der muß tugendhaft gewesen sein, der von gegenwärtigem Genuß auf seine Brust hinverweisen kann, auf sein Auge gen Himmel gewandt. Schaut an Herdern, der jene Labyrinthe mit einem ebnen Wege durchschnitt die nur immer um Künste herum, nie zur Kunst selber führten. Tausend Unglücklichen Verirrten ein Retter, die sonst nicht wußten wo sie hinaus wollten und in dieser tödlichen Ungewißheit an Felsenwänden kratzten. –

Wer von euch schweigt, bekennt, er sei nicht fähig euch zu loben. Schweig, Säkulum!


*

LENZ
aus dem Traum erwachend, ganz erhitzt.
Soll ich dem kommenden rufen?

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Dramen. Pandämonium Germanicum. Pandämonium Germanicum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E2C6-8