Dritte Szene
Zu Halle in Sachsen.
Pätus' Zimmer.
Fritz von Berg. Pätus, im Schlafrock an einem Tisch sitzend.
PÄTUS.
Ei was Berg! du bist ja kein Kind mehr, daß du nach Papa und Mama – Pfui Teufel! ich hab dich allezeit für einen braven Kerl gehalten, wenn du nicht mein Schulkamerad wärst: ich würde mich schämen, mit dir umzugehen.
FRITZ.
Pätus, auf meine Ehr, es ist nicht Heimweh, du machst mich bis über die Ohren rot mit dem dummen Verdacht. Ich möchte gern Nachricht von Hause haben, das gesteh ich, aber das hat seine Ursachen – –
PÄTUS.
Gustchen – Nicht wahr? Denk doch, du arme Seele! Hundertachtzig Stunden von ihr entfernt – Was für Wälder und Ströme liegen nicht zwischen euch? Aber warte, wir haben hier auch Mädchen; wenn ich nur besser besponnen wäre, ich wollte dich heut in eine Gesellschaft führen – Ich weiß nicht, wie du auch bist; ein Jahr in Halle und noch mit keinem Mädchen gesprochen: das muß melancholisch machen; es kann nicht anders sein. Warte, du mußt mir hier einziehen, daß du lustig wirst. Was machst du da bei dem Pfarrer? Das ist keine Stube für dich –
FRITZ.
Was zahlst du hier?
PÄTUS.
Ich zahle – Wahrhaftig, Bruder, ich weiß es nicht. Es ist ein guter ehrlicher Philister, bei dem ich wohne; seine Frau ist freilich bisweilen ein bißchen wunderlich, aber mag's. Was geht's mich an? Wir zanken uns einmal herum und denn laß ich sie laufen: und die schreiben mir alles auf, Hausmiete, Kaffee, Tabak, alles was ich verlange, und denn zahl ich die Rechnung alle Jahre, wenn mein Wechsel kommt.
[33]FRITZ.
Bist du jetzt viel schuldig?
PÄTUS.
Ich habe die vorige Woche bezahlt. Das ist wahr, diesmal haben sie mir's arg gemacht: mein ganzer Wechsel hat herhalten müssen bis auf den letzten Pfennig, und mein Rock, den ich Tags vorher versetzt hatte, weil ich in der äußersten Not war, steht noch zu Gevattern. Weiß der Himmel, wenn ich ihn wieder einlösen kann.
FRITZ.
Und wie machst du's denn itzt?
PÄTUS.
Ich? – Ich bin krank. Heut morgen hat mich die Frau Rätin Hamster invitieren lassen, gleich kroch ich ins Bett ...
FRITZ.
Aber bei dem schönen Wetter immer zu Hause zu sitzen.
PÄTUS.
Was macht das? des Abends geh ich im Schlafrock spazieren, es ist ohnedem in den Hundstagen am Tage nicht auszuhalten – Aber Potz Mordio! Wo bleibt denn mein Kaffee? Pocht mit dem Fuß. Frau Blitzer! – Nun sollst du sehn, wie ich meinen Leuten umspringe – Frau Blitzer! in aller Welt Frau Blitzer. Klingelt und pocht. – Ich habe sie kürzlich bezahlt: nun kann ich schon breiter tun – Frau ...
FRAU BLITZER
tritt herein mit einer Portion Kaffee.
PÄTUS.
In aller Welt, Mutter! wo bleibst du denn? Das Wetter soll dich regieren. Ich warte hier schon über eine Stunde –
FRAU BLITZER.
Was? Du nichtsnutziger Kerl, was lärmst du? Bist du schon wieder nichts nutz, abgeschabte Laus? Den Augenblick trag ich meinen Kaffee wieder herunter –
PÄTUS
gießt sich ein.
Nun, nun, nicht so böse Mutter! aber Zwieback – Wo ist denn Zwieback?
FRAU BLITZER.
Ja, kleine Steine dir! Es ist kein Zwieback im Hause. Denk doch, ob so ein kahler lausigter Kerl nun alle Nachmittag Zwieback frißt oder nicht – –
PÄTUS.
Was tausend alle Welt! Stampft mit dem Fuß. Sie [34] weiß, daß ich keinen Kaffee ohne Zwieback ins Maul nehme – Wofür gebe ich denn mein Geld aus –
FRAU BLITZER
langt ihm Zwieback aus der Schürze, wobei sie ihn an den Haaren zupft.
Da siehst du, da ist Zwieback, Posaunenkerl! Er hat eine Stimme wie ein ganzes Regiment Soldaten. Nu, ist der Kaffee gut? Ist er nicht? Gleich sag mir's, oder ich reiß Ihm das letzte Haar aus Seinem kahlen Kopf heraus.
PÄTUS
trinkt.
Unvergleichlich – Aye! – Ich hab in meinem Leben keinen bessern getrunken.
FRAU BLITZER.
Siehst du Hundejunge! Wenn du die Mutter nicht hättest, die sich deiner annähme und dir zu essen und zu trinken gäbe, du müßtest an der Straße verhungern. Sehen Sie ihn einmal an, Herr von Berg, wie er daher geht, keinen Rock auf dem Leibe und sein Schlafrock ist auch, als ob er darin wär aufgehenkt worden und wieder vom Galgen gefallen. Sie sind doch ein hübscher Herr, ich weiß nicht wie Sie mit dem Menschen umgehen können, nun freilich unter Landsleuten da ist immer so eine kleine Blutsverwandtschaft, drum sag ich immer, wenn doch der Herr von Berg zu uns einlogieren täte. Ich weiß, daß Sie viel Gewalt über ihn haben: da könnte doch noch was Ordentliches aus ihm werden, aber sonst wahrhaftig –
Geht ab.
PÄTUS.
Siehst du, ist das nicht ein gut fidel Weib. Ich seh ihr all etwas durch die Finger, aber potz, wenn ich auch einmal ernsthaft werde, kusch ist sie wie die Wand – Willst du nicht eine Tasse mit trinken? Gießt ihm ein. Siehst du, ich bin hier wohl bedient; ich zahle was Rechts, das ist wahr, aber dafür hab ich auch was ...
FRITZ
trinkt.
Der Kaffee schmeckt nach Gerste.
PÄTUS.
Was sagst du? – Schmeckt gleichfalls. Ja wahrhaftig, mit dem Zwieback hab ich's nicht so –Sieht in die Kanne. Nun so hol dich! Wirft das Kaffeezeug zum Fenster hinaus. Gerstenkaffee und fünfhundert Gulden jährlich! –
[35]FRAU BLITZER
stürzt herein.
Wie? Was zum Teufel, was ist das? Herr, ist Er rasend oder plagt Ihn gar der Teufel? –
PÄTUS.
Still Mutter!
FRAU BLITZER
mit gräßlichem Geschrei.
Aber wo ist mein Kaffeezeug? Ei! zum Henker! aus dem Fenster – Ich kratz Ihm die Augen aus dem Kopf heraus.
PÄTUS.
Es war eine Spinne darin und ich warf's in der Angst – Was kann ich dafür, daß das Fenster offen stand?
FRAU BLITZER.
Daß du verreckt wärst an der Spinne, wenn ich dich mit Haut und Haar verkaufe, so kannst du mir mein Kaffeezeug nicht bezahlen, nichtswürdiger Hund! Nichts als Schaden und Unglück kann Er machen. Ich will dich verklagen; ich will dich in Karzer werfen lassen.
Läuft heraus.
PÄTUS
lachend.
Was ist zu machen, Bruder! man muß sie schon ausrasen lassen.
FRITZ.
Aber für dein Geld?
PÄTUS.
Ei was! – Wenn ich bis Weihnachten warten muß, wer wird mir sogleich bis dahin kreditieren? Und denn ist's ja nur ein Weib und ein närrisch Weib dazu, dem's nicht immer so von Herzen geht: wenn mir's der Mann gesagt hätte, das wär was anders, dem schlüg ich das Leder voll – Siehst du wohl!
FRITZ.
Hast du Feder und Tinte?
PÄTUS.
Dort auf dem Fenster –
FRITZ.
Ich weiß nicht, das Herz ist mir so schwer – Ich habe nie was auf Ahndungen gehalten.
PÄTUS.
Ja mir auch – Die Döbblinsche Gesellschaft ist angekommen. Ich möchte gern in die Komödie gehn und habe keinen Rock anzuziehen. Der Schurke mein Wirt leiht mir keinen, und ich bin eine so große dicke Bestie, daß mir keiner von all euren Röcken passen würde.
FRITZ.
Ich muß gleich nach Hause schreiben.
Setzt sich an ein Fenster nieder und schreibt.
[36]PÄTUS
setzt sich einem Wolfspelz gegenüber, der an der Wand hängt.
Hm! nichts als den Pelz gerettet von allen meinen Kleidern, die ich habe und die ich mir noch wollte machen lassen. Grade den Pelz, den ich im Sommer nicht tragen kann und den mir nicht einmal der Jude zum Versatz annimmt, weil sich der Wurm leicht hineinsetzt. Hanke, Hanke! das ist doch unverantwortlich, daß du mir keinen Rock auf Pump machen willst. Steht auf und geht herum. Was hab ich dir getan, Hanke, daß du just mir keinen Rock machen willst? Just mir, der ich ihn am nötigsten brauche, weil ich jetzo keinen habe, just mir! – Der Teufel muß dich besitzen, er macht Hunz und Kunz auf Kredit und just mir nicht! Faßt sich an den Kopf und stampft mit dem Fuß. Just mir nicht, just mir nicht! –
BOLLWERK
der sich mittlerweile hineingeschlichen und ihm zugehört, faßt ihn an: er kehrt sich um und bleibt stumm vor Bollwerk stehen.
Ha ha ha ... Nun du armer Pätus – ha ha ha! Nicht wahr, es ist doch ein gottloser Hanke, daß er just dir nicht – Aber wo ist das rote Kleid mit Gold, das du bei ihm bestellt hast, und das blauseidne mit der silberstücknen Weste, und das rotsammetne mit schwarz Sammet gefüttert, das wär vortrefflich bei dieser Jahrszeit. Sage mir! antworte mir! Der verfluchte Hanke! Wollen wir gehn und ihm die Haut vollschlagen? Wo bleibt er so lang mit deiner Arbeit? Wollen wir?
PÄTUS
wirf sich auf einen Stuhl.
Laß mich zufrieden.
BOLLWERK.
Aber hör Pätus, Pätus, Pä Pä Pä PätusSetzt sich zu ihm. Döbblin ist angekommen. Hör Pä Pä Pä Pä Pätus, wie wollen wir das machen? Ich denke, du ziehst deinen Wolfspelz an und gehst heut abend in die Komödie. Was schadt's, du bist doch fremd hier – und die ganze Welt weiß, daß du vier Paar Kleider bei Hanke bestellt hast. Ob er sie dir machen wird, ist gleich [37] viel! – Der verfluchte Kerl! Wollen ihm die Fenster einschlagen, wenn er sie dir nicht macht!
PÄTUS
heftig.
Laß mich zufrieden, sag ich dir.
BOLLWERK.
Aber hör ... aber ... aber ... hör hör hör Pätus; nimm dich in Acht Pätus! daß du mir des Nachts nicht mehr im Schlafrock auf der Gasse läufst. Ich weiß, daß du bange bist vor Hunden; es ist eben ausgetrummelt worden, daß zehn wütige Hunde in der Stadt herumlaufen sollen; sie haben schon einige Kinder gebissen: zwei sind noch davon kommen, aber vier sind auf der Stelle gestorben. Das machen die Hundstage! Nicht wahr Pätus? es ist gut, daß du jetzt nicht ausgehen kannst. Nicht wahr? du gehst itzt mit allem Fleiß nicht aus? Nicht wahr Pä Pä Pätus?
PÄTUS.
Laß mich zufrieden ... oder wir verzürnen uns.
BOLLWERK.
Du wirst doch kein Kind sein – Berg, kommen Sie mit in die Komödie?
FRITZ
zerstreut.
Was? – Was für Komödie?
BOLLWERK.
Es ist eine Gesellschaft angekommen – Legen Sie die Schmieralien weg. Sie können ja auf den Abend schreiben. Man gibt heut Minna von Barnhelm.
FRITZ.
O die muß ich sehen. – – Steckt seine Briefe zu sich. Armer Pätus, daß du keinen Rock hast. –
BOLLWERK.
Ich lieh' ihm gern einen, aber es ist hol mich der Teufel mein einziger, den ich auf dem Leibe habe –
Gehn ab.
PÄTUS
allein.
Geht zum Teufel mit eurem Mitleiden! Das ärgert mich mehr als wenn man mir ins Gesicht schlüge – Ei was mach ich mir draus. Zieht seinen Schlafrock aus. Laß die Leute mich für wahnwitzig halten! Minna von Barnhelm muß ich sehen und wenn ich nackend hingehen sollte! Zieht den Wolfspelz an. Hanke, Hanke! es soll dir zu Hause kommen! Stampft mit dem Fuß. Es soll dir zu Hause kommen! Geht.
[38]