[210] 88.
Tantalus. Ein Dramolet auf dem Olymp

Apoll und Merkur kommen heraus.

Merkur.

War das nicht eine herrliche Jagd?
Apoll, das mußt du doch gestehen,
Der Sterbliche hat uns Spass gemacht!
Apoll.

Er schnitt doch der Juno gegenüber
Eine Figur, als hätt ers Fieber.
Zevs, den kützelt' es innerlich –
Aber sag mir, entzaubere mich!
Wo führt' ihn das böse Wetter
Zu uns herauf an die Tafel der Götter?
Merkur.

Still, der Einfall kommt von mir.
Wollten Juno ein wenig pikiren,
Und Vater Jupitern desennuyiren,
War ja alles so traurig hier.
Apoll.

Ha ha ha! wie er dasaß beklommen,
Ganz in Nektar und Lieb verschwommen.
In ihrer Blicke Wiederschein
Meint' er Jupiter selber zu seyn.
Merkur.

Nein, aber darüber ging doch nichts,
Der Meisterstreich, den er ausgehen ließ,
Du hast es ja gesehn – der Schnitt des Gesichts,
Als er mit Zevs die Gesundheit stieß.
[211] Apoll.

Die Gesundheit mit Zevs – wie ist das zu verstehn?
Merkur.

Ey so hast du ja nichts gesehn!
Vater Zevs, Vulkanen zu scheeren,
Stieß mit Mars die Gesundheit an:
Der schönsten Frau vom frömmsten Mann!
Meister Tantalus stieß mit an.
Der Donnerer durfte sein Glas nicht leeren,
Der ganze Olymp schien bestürzt voll Verdruss,
Nur nicht Meister Tantalus.
Apoll.

Was sagte Juno?
Merkur.

Was sollte sie sagen? –
O das ist noch nicht genug.
Hast du denn nichts gehört, man schlug
Beym Nachtisch einen Spatziergang vor,
Mein Tantalus über und über Ohr
Als Juno sagte, sie wollte im Garten
Die andern Göttinnen um zehne erwarten,
Sie setzte spöttisch hinzu: es ist warm,
Herr Tantalus giebt euch vielleicht den Arm.
Mein Tantalus nahm's in Ernst und bückte
Bis unter den Tisch sich, rückte und rückte
Den Stuhl – daß alles für Lachen erstickte.
Bis ihn Juno zurechte wies,
Es sei ihr Ernst nicht – und er's ließ.
Apoll.

O still, nun weiß ich, warum mit dem Alten
Cupido vorhin Kriegsrath gehalten.
Sie wollten eine Wolke staffieren,
[212]
Ihn, wenn er heimgieng, zu intriguiren.
Still, da kommt er selber ja wohl,
Wenn ich nicht irre –
Merkur.

Er ists, Apoll!

Tantalus (tritt auf.)
(Merkur und Apoll halten sich seitwärts ihm zuzuhorchen.)

In dieser freundlichen Sommernacht,
Wo ausser Feuerwürmchen und Heimchen
Kein Geschöpf mehr neben mir wacht,
Niemand mich hört, als Myrthenbäumchen
Und die stillen Schauer der Nacht:
Hier wird es doch erlaubt seyn, das endlose Grauen,
Die entzückende Beklemmung meines Herzens,
Den ganzen Himmel meines Schmerzens
Nur mit einem Blick zu überschauen,
Und dir Allmutter Natur, zu vertrauen.
Ich liebe – darf ich mir selber es sagen?
Wohin die verirrteste Phantasey,
Wohin der Titanen Waghälserey
Nie kühn genug war, sich hinzuwagen,
Wagt mein verrätherisch Herz sich hin,
Ich liebe der Götter Königinn.
Es ist gesagt, ihr hörtet es Götter!
Auf denn, führt die rächenden Wetter
Ueber mein schuldiges sterbliches Haupt,
Euch ist die grausame Lust erlaubt.
Ihr selbst fachtet sie an diese Flammen,
Ihr die ihr darinn Trost suchen müßt,
Das an andern zu verdammen,
Was euer Lieblingsverbrechen ist.
Da spart euren Witz in Erfindung der Strafen!
Was euch unerträglich däucht,
Ist gegen die Qualen, die hier noch schlafen,
Die ihr nicht ahnden könnt, Federleicht.
[213]
Empfandt ihr je verzweifelnde Triebe?
Reicht eure Phantasey dahin?
Ich bin ein Sterblicher und ich liebe –
Liebe der Götter Königinn.
(Indem er sich umwendet, wird er eine Wolke gewahr, in Junos Bildung.)

Sie ists – sie ist es selbst – o Himmel und Erde!
Sie hat es gehört das verwegne Geständniss,
Ihr Blick wird mich tödten, sie hat es gehört. –
Sie sieht mich nicht. Im hohen Selbstgenusse
Lustwandelnd unterm Schleyer der Nacht
Froh wie es scheint, daß unter ihrem Fusse
Die Erde schläft und kein Geschöpf mehr wacht,
Das sich zu ihrem Dienst bemühte.
Hier wacht noch eins, unendliche Güte!
In seliger Qualentrunkenheit –
Sie wendet sich – O hat Mnemosyne
Endimious Schicksal nicht geweiht?
O alle Strafen die ich verdiene,
Gegen eine mitleidige Miene,
Gegen einen Blick, der mir verzeyht –
Sie nähert sich – Kam sie wohl, weil die Nacht
Alle Verhältnisse ähnlicher macht?
(Er will sich ihr zu Füssen werfen.)

Himmlische Güte! verzeyhe, verzeyhe,
Jetzt oder nie, der Bewunderung
Des Entzückens verwegenstem Schwung.
(Das Bild verschwindet.)

Ha du fliehst mich – Ungetreue!
Götter was sprach ich? – Lästerung!
Meine Freundinn – die schlafende Erde
Ha ich fühls, bebt auf unter mir,
Macht sich geflügelt auf, ich werde
Bald auf ewig verschlungen von ihr,
Ach auf ewig entfernt von dir
[214]
In des Orkus Abgründe sinken,
Zur Vollendung meiner Pein
Lethens kalte Fluthen trinken,
Und ohne Mitleid elend seyn. –
Wars nur ein Bild meiner Phantasey?
Es ist verschwunden. Nimmer, nimmer!
Meine Thränen, mein Geschrey
Meine Verzweiflung zieht sie herbey.
(Das Bild erscheint wieder. Er zieht eine Tafel heraus und fängt an, es abzuzeichnen.)

Leitet meine Züge, leitet,
Ihr von uns gefeyerten Spötter
Unsrer Leiden, die ihr bereitet,
Meine Züge, selige Götter!
Laßt durch keine Künsteleyn
Eure Zierde mich entweyhn.
(Indem er zeichnet, verschwindet das Bild.)

O muss ich elend denn vor soviel Reitzen stehn,
Und, hasch' ich nach, sie spottend fliehen sehn?
Ists möglich, elend in dem Grade!
Im Angesicht so vieler Seligkeit
Erzürnte Götter! Gnade, Gnade!
Nur einen Augenblick, bis ich sie konterfeyt!
(Das Bild erscheint wieder; er zeichnet es nach.)

Lasset euren Zorn erweichen,
Große Götter, hört mein Flehn,
Laßt mich dieses Bild erreichen
Wenn ich werth war, es zu sehn.
Ach ich solls euch wiedergeben,
All mein Glück wird mir entwandt.
Strenge Götter! nehmt mein Leben,
Oder führet mir die Hand.
Nein, ihr hört mich nicht, Tyrannen!
Ihr beneidt dies Bildniß mir,
Weil es milder ist als ihr,
[215]
Weil ihm meine Thränen rannen,
Weil es meinen Geist erhebt,
Daß er euch zu nahe schwebt.
Lasset euren Zorn erweichen,
Grosse Götter, hört mein Flehn,
Laßt mich dieses Bild erreichen,
Wenn ich werth war, es zu sehn.
(Das Bild verschwindet abermals. Er ist ausser sich.)

Götter –

(Sich an die Stirne schlagend.)

Amor (erscheint.)

Ey, wie so fleißig Herr Tantalus?
Weisen Sie doch her, was giebts da wieder?
Ich hörte, Sie riefen um Hülfe, drum stieg ich
Aus meiner Mutter Schooss hernieder,
Ich dachte, was Ihnen begegnet seyn muß!
Fehlt Ihnen was?
Tantalus.

Ich bin verloren,
Ich bin zum Unglück bestimmt, geboren –
Amor.

Haben Sie was –
Tantalus.

Zu Qual und Leid –
Amor.

Haben Sie was abkonterfeyt?
Tantalus.

Bin ich geboren, bin ich erkohren!
Amor.

Haben Sie etwa was verloren?
Vielleicht im Monde? – Ich helf' Ihnen suchen.
Hören Sie, weil Sie so artig fluchen –
[216]
Mein Vater ist ganz bezaubert davon,
Sie wissen, Zevs ist ein Mann vom Ton –
Lässt er Sie ganz ergebenst ersuchen,
Sie möchten ihm künftig die Ehre erweisen,
Alle Tage mit ihm zu speisen,
Mit ihm und Juno –
Tantalus.

Unsterblicher Retter!
Ewig sey Dir, schönster der Götter,
Meiner Entzückungen Dank gebracht.
Amor.

Aber nehmen Sie ja sich in Acht,
Nichts anzurühren, was Ihr nicht gehöret,
Nichts anzusehn, was Ihre Ruhe stöhret,
Sonst lieber Schatz! verschwindet es sogleich.
Ey warum macht Sie denn das so bleich?
Tantalus.

Nichts hören noch sehen? –
Amor.

Nichts hören noch sehen,
Wiewohl das Hören zuzugestehen
Jupiter kein Bedenken sich macht,
Doch nur dann, wenn man Ihrer lacht.
Sie sollen überdem alle Nacht
Mit Junos Schatten spatzieren gehen,
Aber sobald Sie auch nur nach ihm sehen –
Tantalus.

Was soll ich denn? Nicht sehen, nicht hören,
Nicht essen, nicht trinken –
Amor.

Wer sagt denn vom Hören?
Und ein ächter Liebhaber muss
Eigentlich nichts thun, Herr Tantalus,
Als den Göttern zur Farce dienen.
Leben Sie wohl; ich empfehl mich Ihnen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Gedichte. Gedichte. 88. Tantalus. 88. Tantalus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E3A6-C