XV. Der Traum.

(1831.)


Noch frühe war's. Durch die geschlossnen Läden
Stahl über den Balcon der erste Schein
Des Morgenroths sich in mein dunkles Zimmer.
Da, um die Zeit, wo leichter schon und süßer
Der Schlummer uns die Wimpern überschattet,
Stand plötzlich neben mir und sah mich an
Das Bildniß Jener, die zuerst mich Liebe
Gelehrt und dann in Thränen mich verlassen.
Nicht todt, nur traurig schien sie mir, das Antlitz
Verwandelt wie von schwerem Leid. Die Rechte
Bewegte sie nach meinem Haupt und sprach
Mit Seufzen: Lebst du und gedenkst noch irgend
An mich? – Woher, entgegnet' ich, und wie
Kommst du, geliebte Schönheit? Ach, wie trug ich,
Wie trag' ich Leid um dich, und glaubte nicht,
Du könnest darum wissen, und mein Schmerz
Ward ärmer nur an Trost durch diesen Wahn.
Doch willst du nun mich abermals verlassen?
Ich fürcht' es sehr. O sage, wie erging dir's?
Bist du noch, die du warst? Und was bekümmert
Die Seele dir? – Vergessenheit umnachtet
Deine Gedanken, und der Schlaf umhüllt sie,
Sprach Jene. Ich bin todt. Du schautest mich
Zum letzten Mal vor Monden. – Bei den Worten
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Drang ein unendlich Weh durch meine Brust.
Und sie fuhr fort: Im Flor der Jahre starb ich,
Wo Leben uns am süßesten, und eh' noch
Das Herz begriffen, wie so völlig eitel
Der Menschen Hoffnung. Den herbeizuwünschen,
Der ihn erlös't von allem Leid, wie liegt's
Dem kranken Menschen nah! Doch trostlos naht
Der Tod der Jugend, und ein hartes Schicksal
Ereilt die Hoffnung, die im Grab erlischt.
Nicht frommt's zu wissen, was Natur verbirgt
Den Neulingen im Leben; und um Vieles
Ist unerfahrner Weisheit vorzuziehn
Der blinde Schmerz. – O Unglücksel'ge, Theure,
O schweige, rief ich, schweige! Deine Worte
Zerreißen mir das Herz. So bist du wirklich
Todt, o Geliebte, und ich leb', und so
War es verhängt, daß dieser theure Leib,
Der zärtliche, im bangen Todesschweiß
Vergehen sollt' und ich behielte diese
Elende Hülle? Ach, so oft ich auch
Bedenke, daß du nicht mehr lebst und ich
Nie in der Welt dich werde wiederfinden,
Nie kann ich's glauben! Wehe mir! was ist
Das Wesen, das man Tod nennt? Heut einmal
Könnt' ich's erfahren und mein wehrlos Haupt
Dem grimmen Hasse des Geschicks entziehn.
Jung bin ich noch, doch schwindet und verzehrt sich
Mein junges Leben wie ein Greisenthum,
Vor dem mir graut, obwohl mirs noch so fern.
Doch kaum vom Greisenalter unterscheidet
Sich meine Blütezeit. – Zum Weinen wurden
Wir Zwei geboren, sprach sie. Unserm Leben
Hat nie das Glück gelacht; der Himmel freute
Sich unsrer Qual. – Wenn denn das Aug' von Thränen,
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Sprach ich, von Blässe das Gesicht verschleiert
Um deines Scheidens willen und das Herz
Mir schwer von Angst ist, sage mir: hat je
Von Lieb' ein Funken oder Mitleid gegen
Den armen Liebenden dein Herz bewegt,
So lang du lebtest? In Verzweiflung damals,
Dann wieder hoffend lebt' ich Tag' und Nächte;
Am leeren Zweifel müdet heut die Seele
Sich ab. Drum wenn auch nur ein einzig Mal
Du Leid gefühlt um mein verdüstert Leben,
Verbirg mir's nicht, ich flehe, und Erinnrung,
Jetzt da die Zukunft unserm Leben fehlt,
Sei mir ein Trost. Und sie: Getröste dich,
Unglücklicher! Ich war an Mitleid nie
Dir karg, so lang ich lebte, noch auch jetzt;
Denn elend war auch ich. Beklage nicht
Dies unglückseligste von allen Mädchen. –
Bei unsern Leiden, bei der heißen Liebe,
Die in mir lodert, rief ich, bei dem holden
Namen der Jugend, unsrer Tage früh
Verlorner Hoffnung, o vergönn es, Theure,
Daß ich die Hand dir fassen darf! – Da reichte
Sie sanft und traurig sie mir hin. Und als ich
Mit Küssen sie bedecke und, erbebend
Von bittrem Weh und Wonne, an die Brust,
Die wallende, sie drücke, Brust und Antlitz
In feuchte Glut getaucht und mir im Halse
Die Stimme stockt, wankt schon der Tag vorm Auge.
Und sie darauf, in meine Augen zärtlich
Die ihren heftend: Freund, vergissest du,
Sprach sie, daß ich von jedem Reiz entblößt bin?
Und doch umsonst, Unglücklicher, in Liebe
Bebst und erglühst du! Aber nun lebwohl;
Denn unsre armen Seelen, unsre Körper
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Sind ewiglich getrennt. Nicht mehr für mich
Lebst du und sollst du leben. Deinen Schwur
Zerriß das Schicksal. – Da in meiner Angst
Aufschreien wollt' ich, und vergehend fast,
Die Augen schwer von hoffnungslosen Thränen,
Erwacht' ich aus dem Schlaf. Vor meinen Blicken
Stand sie noch immer, und noch immer glaubt' ich
Ihr Bild zu sehn im schwanken Strahl der Sonne.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 15. Der Traum. 15. Der Traum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E41D-7