IV. Zur Hochzeit der Schwester Paolina.

(1824.)


Nun du so bald den Frieden
Des stillen Vaterhauses wirst vermissen
Und weit von deiner Jugend Trug und Wahn,
Die unser ödes Land verschönt, geschieden
Dich in des Lebens Staub und Lärm fortan
Dein Schicksal ruft, nun, Schwester, sollst du wissen,
Zu welcher Schmach der Himmel uns verdammt.
Sollst du ja selbst in schweren
Nothjahren voller Leid
[43]
Des unglücksel'gen Vaterlands unselig
Geschlecht vermehren. Stähle drum beizeit
An hohen Mustern deine Söhne. Wehren
Die Götter doch ein fröhlich
Gedeihn heut jeder Kraft,
Und kein verzärtelt Herz bleibt tugendhaft.
Elende – oder Feige
Wirst du gebären. Laß sie elend werden!
Denn einen Abgrund zwischen Glück und Werth
Schuf diese Zeit. Zu spät, da schon zur Neige
Die menschlichen Geschicke sich gekehrt,
Erwacht, wer heut geboren wird auf Erden.
Das überlaß dem Himmel. Dir am Herzen
Liege die Sorge bloß,
Nicht zu der Jagd nach Glück
Die Söhne zu erziehn, und nimmer auch
Zu Narr'n der Furcht und Hoffnung. Ihr Geschick
Rühmt dann die künft'ge Zeit als schön und groß,
Da wir – nach feigem Brauch
Der heuchlerischen Weisen –
Lebend'ge Tugend schmähn und todte preisen.
Viel hofft von euch, ihr Frauen,
Das Vaterland; und nicht zu Schimpf und Schaden
Der Menschensöhne ward dem sanften Strahl
Aus euren Augen Macht, wohin sie schauen,
Zu bänd'gen Feu'r und Schwert. Ihr lenkt zumal
Den Weisen wie den Starken klug am Faden,
Und was die Sonn' umkreiset, neigt sich euch.
Drum sollt für diese Zeit
Ihr Rechenschaft mir geben.
Der Jugend heil'ge Glut – ließ eure Hand
Sie denn erlöschen? Ward denn unser Leben
Marklos und morsch durch euch? Wenn Ueppigkeit
[44]
Und Schlafsucht uns entmannt
Und Nerv' und Muskel missen
Die alte Kraft, – habt ihr' s auf dem Gewissen?
Ein Sporn zu edlen Thaten
Ist Liebe, recht erkannt, und hohes Streben
Erweckt die Schönheit. Der ist liebeleer,
Der nicht frohlockend fühlt das Herz erbeben
In tiefster Brust, wenn an den Felsengraten
Die Stürme toben, wenn gewitterschwer
Der Himmel sich umwölkt und Flutgebraus
Die Berge peitscht. Ihr Bräute
Und Jungfrau'n, wer Gefahren
Sich feig entzieht, wer seinem Vaterlande
Unehre bringt mit niedrigem Gebahren
Und wessen Herz gemeiner Regung Beute,
Straft ihn mit Haß und Schande,
Wenn anders Frauenseelen
Für Männer glühn, nicht Weiber sich erwählen.
Wehrloser Söhne Mütter
Zu heißen, dünk' euch Schimpf. Lehrt eure Brut
Trotz aller Leiden nach der Tugend trachten,
Und was die jämmerliche Zeit an Flitter
Und eitlem Tande liebt und ehrt, verachten.
Weiht sie dem Vaterland mit hohem Muth
Und heißt sie dankerfüllt der Väter denken.
So von den Heldensagen
Der Ahnen stets umklungen
Wuchs einst heran der Sparter junge Schaar,
Bis dann die Gattin mit dem Schwert den jungen
Gemahl umgürtet; bald vielleicht mit Klagen
Hüllt sie ihr schwarzes Haar
Um seine nackten Glieder,
Kehrt er im wohlbewahrten Schild ihr wieder.
[45]
Ach, deine zarten Wangen,
Virginia, kos'te noch mit Zaubermacht
Die Götterhand der Schönheit. Da erglühte,
Voll Grimm, daß du verachtet sein Verlangen,
Roms wilder Herr. Schön warst du, in der Blüte
Der holden Zeit, die lieblich träumen macht,
Als deines Vater Stahl den schneeigen Busen
Zerrissen aus Erbarmen
Und du zum Styx hinab
Freiwillig schrittst. Eh' soll mir Greisenschwäche
Die Glieder lösen, Vater, eh' empfange
Das Grab mich, sprach sie, eh' mich zu umarmen
Sich der Tyrann erfreche!
Und wenn aus dieser Noth
Mein Blut euch retten kann, gieb mir den Tod!
Hochherz'ge, wohl erglänzte
Noch eine schön're Sonne deinen Tagen,
Als heut; und doch nicht trostverlassen war
Das Grab, das dir dein Vaterland bekränzte
Mit tausend Thränen. Siehe, wie die Schaar
Der Remusenkel sich mit wilder Klage
Um deine Leiche drängt, wie des Tyrannen
Haupthaar in Staub gerissen,
Und Freiheit neu entzündet
Die stumpfen Seelen. Wie ein breiter Strom
Braus't Latiums Macht und hat ihr Reich gegründet
Von Wüstenglut zu Nordens Finsternissen.
So ist das ew'ge Rom
Aus trägen Schlummers Banden
Durch eines Weibes Opfer neu erstanden.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Leopardi, Giacomo. Lyrik. Gesänge. 4. Zur Hochzeit der Schwester Paolina. 4. Zur Hochzeit der Schwester Paolina. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E42A-9