Fanny Lewald
Eine Lebensfrage
Von der Verfasserin der Clementine und Jenny

Erster Theil

1
I

Alfred von Reichenbach, ein Mann in der Mitte der dreißiger Jahre, saß eifrig arbeitend vor dem Schreibtische in seinem Studirzimmer, das, nach den aufgestellten Bücherschränken, Büsten und Bildern zu urtheilen, auf einen Besitzer schließen ließ, der Wissenschaften und Künste liebte und über die Mittel gebot, seinen Neigungen Befriedigung zu verschaffen.

Die mächtigen Bäume, welche sein Schloß umgaben, die geschlossenen Jalousien, verbreiteten eine milde Dämmerung in dem Zimmer und trotz der drückenden Wärme eines Sommerabends war es hier frisch und luftig. Eine tiefe Stille herrschte in dem Gemach, nur unterbrochen von dem leisen Geräusch, welches Alfred's Feder auf dem Papier verursachte. Er schrieb mit wachsender Schnelle und sein Gesicht zeigte den Ausdruck jener freudigen Begeisterung, den das Gelingen einer Arbeit hervorruft.

Da öffnete eine stattliche blonde Frau die Thüre und sagte: es ist drüben so warm in den Stuben, daß man es nicht ertragen kann, ich werde mich mit meiner Arbeit zu Dir setzen.

Es war die Frau des Schloßherrn. Er schreckte aus seinen Gedanken empor, sah sie zerstreut einen Augenblick an, nickte mit dem Kopfe und arbeitete emsig weiter.

Frau von Reichenbach beachtete das nicht. Sie schob mit Geräusch einen Tisch an das Fenster, rückte einen Stuhl zurecht [5] und zog eine Tapisserie-Arbeit aus ihrem Nähkorbe, wobei Scheere und andere Geräthschaften klappernd zur Erde fielen. Alfred fuhr beunruhigt mehrmals mit der Hand über die Stirn, hielt im Schreiben an, überlas das Fertige, wollte weiter arbeiten, aber er war zerstreut worden, konnte dieselbe Gedankenreihe nicht finden und das Schaffen schritt langsamer vorwärts.

Nimm's nicht übel, Alfred! rief die Nähende nach einer kurzen Pause, es ist aber förmlich Nacht in Deiner Stube, ich muß die Jalousien öffnen, ich kann das Muster hier nicht zählen.

Die Jalousien, von ihr losgehakt, flogen zurück, das blendende Licht der untergehenden Sonne fiel plötzlich strahlend in das Zimmer, und mißmuthig sagte Alfred: Du weißt, Caroline, wie peinlich und störend mir solch grelles Licht ist, wenn ich arbeite.

Was soll ich aber thun, wenn ich die Stiche nicht zählen kann? wiederholte sie, und fragte bald darauf: Hast Du davon gehört, daß des Inspectors Tochter eine Liebschaft mit einem Studenten hat, seit sie den Winter in der Stadt war?

Laß mich arbeiten, meine Liebe! bat Alfred, ich möchte das Kapitel gern beendigen.

Caroline schwieg einige Zeit, Alfred's Feder bewegte sich wieder schneller, da bog seine Frau sich weit aus dem geöffneten Fenster hinaus, und rief einem im Hofe beschäftigten Mädchen in scheltendem Tone die Worte zu: Die Röcke sollen ein für allemal nicht mit Nadeln an den Trockenschnüren befestigt werden; wie oft soll ich das sagen?

Alfred stand ungeduldig auf, murmelte leise: Ganz unerträglich! nahm sich dann aber zusammen und fragte ruhig: Wo ist Felix?

Er spielt im Garten.

So laß uns auch hinabgehen.

[6] Jetzt? in dieser Hitze?

In den Alleen ist's schon schattig.

Aber Du wolltest ja arbeiten? meinte Caroline. Wie kann man so launenhaft sein! Du hattest mir beim Kaffee ausdrücklich gesagt, wir sollten Dich nicht stören.

Deshalb kamst Du wohl herein und plaudertest unaufhörlich? sagte Alfred im Tone eines freundlichen Vorwurfs. Sie schickte sich zu einer Entgegnung an, aber er wiederholte seinen Wunsch, zu dem Sohne hinabzugehen, und bald darauf finden wir die Eheleute in den stattlichen Alleen des Gartens wieder.

Der schöne, zehnjährige Felix sprang den Eltern froh entgegen, ward von dem Vater geliebkoset und fing an, von seinen Spielen, von seinen Hunden und von dem Kutscher zu erzählen, während sie durch den Laubgang vorwärtsschritten. Plötzlich hielt der Knabe in seinen Berichten inne, sah dem Vater prüfend in das Gesicht und ging dann schweigend und ruhig neben ihm her. Alfred bemerkte dies Schweigen nicht und schien auch eine gleichgültige Frage seiner Frau zu überhören, so daß sie unmuthig ausrief: Aber wenn Du mich nur hier haben wolltest, damit ich neben Dir hergehe, so hättest Du mich im Hause lassen können, wo ich zu thun hatte.

Alfred erwachte aus seiner Zerstreutheit. Vergib! sagte er, ich habe so plötzlich zu arbeiten aufgehört, da weilt die Seele unwillkürlich noch bei den Vorstellungen, die sie beschäftigten. Ich dachte in diesem Augenblick mehr an die Vergangenheit und an mein Gedicht, als an Euch und an die Gegenwart.

Das sah ich, Vater! bemerkte Felix, und darum war ich lieber still. Ich weiß es gleich, wenn Du an Deine Arbeiten denkst. Dann sehen Deine Augen ganz anders aus, als könntest Du nicht mit ihnen sehen, was um Dich her vorgeht. Bist [7] Du vergnügt, wenn Du Dir Deine Gedichte und Geschichten ausdenkst?

Ja, mein Sohn, und recht vergnügt! Ich wollte, auch in Deine Brust hätte die Natur den schöpferischen Funken gelegt, der in uns eine neue Welt voll Freuden und Leiden hervorruft. Indeß selbst in den Leiden liegt noch Glück und Schönheit, und wohl Dem, der jenes doppelte Leben kennt, das den Dichter in den Momenten des Schaffens zum glücklichsten Menschen macht, sagte Alfred, zu seiner Frau gewendet.

Das ist aber ein sehr einseitiges Glück, meinte diese, von dem Niemand etwas genießt, als nur Du selbst. Für Deine Umgebung bist Du verloren, wenn Du so in das Arbeiten hineinkommst. Ob ich mich mit den Leuten plagen muß, ob ich Verdruß und Aerger habe, danach fragst Du nicht; Du dichtest! Und gerade heute habe ich Verdruß gehabt, denn ich habe der neuen Wirthschafterin den Dienst gleich wieder aufkündigen müssen.

So! sagte Alfred gleichgültig und theilnahmlos.

Und Du fragst nicht einmal weshalb?

Gewöhnlich, Beste, scheinen mir Deine Gründe für diese sich oft wiederholenden Gewaltmaßregeln nicht ausreichend. Du weißt, ich habe dabei früher stets zu vermitteln, einzuschreiten versucht, jetzt bin ich es müde geworden. Du willst nicht einsehen, daß Du Dir all den Verdruß durch Deine Ungeduld mit den Leuten selbst bereitest; deshalb lasse ich Dich nach Belieben schalten und ertrage die Unbequemlichkeit, fortwährend neue Dienstboten um uns zu haben.

Als ob Dich auch nur Etwas von diesen Unbequemlichkeiten träfe! als ob ich nicht Alles auf mich nähme! Ich denke, Du kannst Dich nicht darüber beklagen, daß Du je Deine gewohnte Bequemlichkeit entbehrst, daß ich es Dich je empfinden lasse, welche Plage die schlechten Leute sind! rief Caroline empfindlich, [8] und Alle schwiegen, bis Felix den Vater bat, den Garten zu verlassen, um durch die Felder auf den Berg zu gehen.

Der Vater war es gern zufrieden, indeß die Mutter machte Einwendungen. Sie fürchtete die Wärme, den weiten Weg, ließ sich aber dennoch überreden, ihres Mannes Arm zu nehmen und die Ihrigen zu begleiten. Der Knabe lief fröhlich voran und bald hatte man die Höhe erreicht, von der aus sich ein weiter Blick über die großen Reichenbach'schen Besitzungen eröffnete.

Mäßige Hügelketten durchzogen das Land, bald mit üppigen Laubwäldern, bald mit wogenden Getreidefeldern geschmückt, die in goldiger Fülle der Ernte entgegenreiften. Dazwischen schlängelte sich von der Höhe ein Flüßchen hinab, das im Thale einen Kupferhammer trieb und weiter hin einen hellen Teich bildete, der, wie die blaue Wunderblume der Märchenwelt, funkelnd und strahlend aus der Tiefe hervorleuchtete. Glitzernd zitterten die letzten Sonnenstrahlen auf dem ruhigen Gewässer und färbten mit bräunlichem Golde die Spitzen der Bäume, die sich leise unter dem erfrischenden Wehen der Abendluft zu regen begannen. Die ersten langgezogenen Finkenschläge tönten aus den Büschen, Säulen von schwärmenden Mücken sonnten sich in der Luft, und Alles was lebte, schien sich der schönen letzten Tagesstunde mit Glück bewußt zu sein.

Alfred blickte lange entzückt umher, schwelgend in Anbetung und Freude. Caroline hatte sich auf einen Stein niedergesetzt, sie war mit den Bändern ihrer Schuhe beschäftigt. Ihr Mann ließ sie ruhig gewähren. Plötzlich, als die Farben immer tiefer wurden, als es überall heller leuchtete, rief er wie im Selbstgespräch: Wie verdient man diese Welt? wie genießt man all diese Herrlichkeit? Felix! siehst Du denn, mein Sohn, wie schön es hier ist? Siehst Du, wie dort, wo Dein Schwan [9] durch den Teich zieht, lange, lange Goldstreifen sich spiegeln, als Widerschein des Lichtes? Da streichelt die Sonne mit goldener Hand die feuchte, heiße Wange der müden, entschlummernden Erde, und wünscht ihr gute Ruhe und selige Träume, wie wir es mit Dir machen. Und die Erde wird still und ruhig und träumt von Glück und Frieden! Wollte Gott, daß morgen, wenn sie erwacht, der Traum Wahrheit geworden wäre, daß – –

Hier ist's aber vor Mücken nicht zu bleiben! fiel seine Frau ihm in das Wort, und überhaupt möchte ich zurückgehen, mich drücken die Schuhe und ich will auch der Haushälterin noch etwas sagen.

So komm! sagte Alfred seufzend und, eine düstere Wolke des Unmuthes auf der Stirne, trat er den Rückweg an, seine Frau am Arme führend, die sich fest und schwer darauf lehnte und unablässig über ihre unbequemen Schuhe klagte.

[10]
2
II

Alfred war der Sohn adliger und edler Eltern. Den Vater hatte er wenig gekannt, die Mutter, welche ihn mit vollster Hingebung erzogen, war gestorben, als er kaum das Jünglingsalter erreicht hatte und Offizier geworden war. Von dieser trefflichen Frau an ein geistiges Zusammenleben mit ihr gewöhnt, fand er nach ihrem Tode sich einsam und verlassen. Die lauten, wüsten Kreise seiner Kameraden zogen ihn nicht an und, in ein kleines Garnisonstädtchen versetzt, führte er ein zurückgezogenes freudloses Dasein, bis ihm in der Liebe neue Hoffnung erblühte.

Er hatte eine Wohnung in dem Hause eines adligen Subalternbeamten gemiethet, dessen einzige Tochter, Caroline, für das schönste Mädchen der Stadt galt, das von den Launen einer jungen Stiefmutter viel zu dulden hatte. Alfred bedauerte sie, wollte sie trösten, sie durch seine Theilnahme für ihre Leiden entschädigen. Während dieser Bestrebungen verwandelten sich allmälig sein Mitgefühl und des Mädchens Dankbarkeit in Liebe, die sie sich mit der Befangenheit der ersten Jugend gestanden.

Beide waren neunzehnjährig und schön. Alfred's Seele schmachtete liebedurstig nach einem Ideale, und freigebig schmückte er in seinem Geiste das junge Mädchen mit allen Vorzügen, die er in ihm ersehnte, die es nicht besaß. Kleine Mißhelligkeiten, [11] die oftmals vorfielen, wurden durch die Küsse und Schwüre der Versöhnungsstunden ausgeglichen; es war ein Verhältniß, wie viele andere, das sich gleichblieb, bis Alfred die Garnison verließ, um die Kriegsschule in Berlin zu beziehen. Eine Trennung, ohne sichere Aussichten für künftiges Wiedersehen, schien den Liebenden unmöglich. Man entdeckte sich den Eltern und, da dem Vater der stattliche Schwiegersohn, der Stiefmutter die Verheirathung der Tochter willkommen war, erlangte das junge Paar die Einwilligung der Eltern mit dem Versprechen, der begüterte Vater wolle die Verheirathung Carolinen's möglich machen, sobald der Lieutenant seine Studien beendet haben würde.

In Berlin fand Alfred einen greisen Großonkel, der sich väterlich des strebsamen Jünglings annahm. Er war Domherr, hatte an verschiedenen größeren Höfen gelebt und zeichnete sich ebenso sehr durch Geist und feine Sitten, als durch ein starres Festhalten an den Grundsätzen der katholischen Kirche aus. Von ihm ward Alfred in die gebildeten, kunstsinnigen Kreise der Hauptstadt eingeführt; unter seiner Leitung suchte er auf jede Weise seinen Geist zu bilden, und der Neigung für Künste und Wissenschaft zu genügen, die er in seinen früheren Verhältnissen nicht befriedigen können.

Nachdem dies beglückende Verhältniß ein paar Jahre gedauert hatte, starb der Greis plötzlich und Alfred sah sich, unerwartet zu dessen alleinigem Erben ernannt, in dem Besitze eines bedeutenden Vermögens. Freudig ward die Nachricht der Braut verkündet und die Hoffnung baldiger Hochzeit daran geknüpft; aber in der Freude seines Herzens hatte der junge Mann eine Bedingung des Testaments nicht beachtet, welche jene Aussicht noch in weite Ferne hinausschob.

Das Testament verlangte, daß Alfred sich nicht vor vollendetem vierundzwanzigsten Jahre verheirathen, bis dahin in Berlin [12] bleiben oder reisen, und seine Braut nicht wiedersehen dürfe, bis er nach erlangter Großjährigkeit die Erbschaft angetreten haben würde, welche bis dahin für ihn von den Domherren des geistlichen Stiftes verwaltet werden sollte.

Nur mit Widerstreben fügte sich das Brautpaar in das Unabänderliche. Carolinen's Klagen über ihre traurigen Verhältnisse zur Stiefmutter suchte Alfred mit Schilderungen der glücklichern Zukunft zu beschwichtigen; während er jetzt schon mit zärtlicher Großmuth bemüht war, ihr Loos erträglich zu machen und dem sinkenden Wohlstande ihrer Eltern wieder empor zu helfen. Die reichsten Geschenke, die ausführlichsten Briefe, die feurigsten Liebeslieder wurden ihr gesendet; aber Nichts vermochte sie zu erheitern, Nichts sie von dem Verdachte zu befreien, Alfred vergesse ihrer, und sein Wille müsse die Hindernisse überwinden können, die sich ihrer Verbindung im Augenblicke entgegenstellten. Das sprach sie mit Bitterkeit in jedem ihrer Briefe aus und verminderte dadurch die Sehnsucht, mit welcher er ihnen sonst entgegengeharrt hatte.

Bald darauf trat er seine Reisen an. Er sah Länder und Völker und lernte den Menschen verstehen, von dem Palaste des Herrschers bis hinab in die Hütte des Armen. Die Natur hatte ihm eine poetische Auffassungsgabe und eine schöne gestaltende Kraft verliehen. Es trieb ihn also, was er gefühlt und gedacht, für sich und Andere in bleibender Form fest zu halten und auf Zureden eines Freundes gab er einen Band von Liedern und Gedichten heraus, die er in begeisterten Stunden geschrieben hatte.

Als er nach Verlauf einiger Jahre in die Heimath zurückkehrte, begrüßte ihn das Mitgefühl des deutschen Vaterlandes, das die Versuche des jungen Dichters wohlwollend willkommen hieß; aber er entriß sich schnell dem verlockenden Treiben der großen Welt, um zu seiner Verlobten zu eilen.

[13] Wer jedoch beschreibt seine Empfindungen, als er die Ersehnte wiedersah? In den beständigen Reibungen mit der Stiefmutter, in den kleinlichen Verhältnissen eines Landstädtchens war der mädchenhafte, jugendliche Reiz, der auch die weniger begabten Frauen liebenswürdig macht, gänzlich entschwunden, und Alfred fühlte sein Herz erstarren in dem Begegnen mit der Braut.

Der Gedanke, mit ihr zu brechen, regte sich in ihm, aber er unterdrückte ihn schnell; denn er hatte ihr sein Wort verpfändet, sie hatte ihre Jugend im Vertrauen darauf durchlebt und ihr Vater war verarmt. Daneben wachte auch die Erinnerung an die erste Zeit ihrer Liebe mächtig in ihm auf. Er wähnte, Caroline bilden, sie zu sich erheben zu können. In dieser Erwartung ward ihre Ehe geschlossen, und noch am Hochzeitstage führte er die junge Gattin in sein Schloß, das mit gebildetem Schönheitssinn für ein poetisches Zusammenleben eingerichtet worden war.

Aber seine Hoffnungen täuschten ihn. Carolinen's Herz war nicht böse, es fehlte ihr nicht an Verstand, sie liebte ihren Mann auf ihre Weise, aber sie war kalt und herb, und Alfred entdeckte bald eine Kluft zwischen sich und ihr, die sie weit von einander trennte. Die Weise, in der er, bei großer praktischer Tüchtigkeit, Welt und Leben geistig erfaßte, seine Bestrebungen für Menschenwohl im Großen, sein ganzes Wollen und Wirken lagen außer den engen Grenzen, in denen der Geist seiner Frau sich bewegte. Seine ganze Richtung erschien ihr phantastisch, sie fühlte, daß sie ihm nicht folgen, ihm nicht genügen könne, daß er mehr verlange, als sie ihm sei. Das machte sie eifersüchtig, launenhaft und reizbar, und selbst die Geburt eines Sohnes brachte keine vollständige Annäherung zuwege, obgleich beide Eltern mit gleicher Liebe an dem Kinde hingen.

[14] Häusliches Unbehagen führte die Gatten vom Lande nach der Stadt, wo sie eine Weile zu leben versuchten; Carolinen's Eifersucht trieb sie wieder auf das Land zurück. In immer neuen Verstimmungen flossen die Jahre dahin, und die Mißhelligkeiten steigerten sich, seit die Erziehung des zehnjährigen Sohnes die religiösen Ansichten der Eltern einander gegenüberstellte. Alfred und seine Frau waren beide katholisch; während aber Jener einem reinen Deismus huldigte, hing Caroline streng an dem äußern Kultus der römischen Kirche und suchte, unter Anleitung ihres Beichtvaters, eines Kaplan Ruhberg, vom Domstifte zu Maria-Gnad, das in der Nähe des Schlosses lag, auch Felix zu dem äußern Gottesdienste anzuhalten, was ganz gegen die Ansicht ihres Mannes verstieß.

Caroline, an beständigen Streit mit der Stiefmutter gewöhnt, war gegen das Verletzende der oft wiederkehrenden Zerwürfnisse zwischen sich und ihrem Manne nicht allzu empfindlich, während sein feineres Gemüth beständig darunter litt und bei jedem neuen Anlasse schmerzlicher blutete, so daß das Leben an der Seite seiner Frau ihm bald zu einer drückenden Bürde wurde, gegen die er nur in rastloser Thätigkeit Trost und Zerstreuung fand. Schulen und Fabriken wurden auf seinen Gütern gegründet, Noth und Elend schwanden von seinen Besitzungen, er sah sich nach wenig Jahren von frohen, dankbaren Menschen umgeben und sein großer, ererbter Reichthum nahm mächtig zu. Er wußte, daß er seine Pflicht that, und er that sie gern.

Aber je mehr er es fühlte, wie er in dem Gelingen dieser Bestrebungen, in seinen dichterischen Erfolgen und vor Allem in dem fröhlichen Heranwachsen seines Sohnes, alle Mittel zu dem vollkommensten Glück besitze, um so schmerzlicher entbehrte er in der Mutter dieses Knaben die gleichfühlende Gefährtin, die all das Gute mit ihm theilen sollte, und um so größer ward die Entfernung, die ihn geistig von ihr trennte. Was [15] blieb ihm also übrig, als sich endlich vor dem Unerreichbaren entsagend zu bescheiden? Alles, was er erlangen konnte, war eine verhältnißmäßige Ruhe, und diese strebte er also an. Er gab den Launen Carolinen's so weit als möglich nach, ließ sie in ihrer Neigung für Luxus gewähren, er aber lebte seinen Pflichten, seinen Arbeiten und seinem Sohne.

[16]
3
III

Noch klang die Erinnerung an die letzten Streitigkeiten in Alfred's mißmuthiger Stimmung fort, als schon ein neues Unwetter an seinem Ehehimmel heraufzog. Er hatte eine bestimmte Menge von Lebensmitteln festgesetzt, welche allwöchentlich an diejenigen Gutsinsassen vertheilt werden sollten, die durch Alter oder Krankheit zur Arbeit unfähig geworden waren. Jahre lang hatte diese Maßregel ruhig fortbestanden, jetzt aber trat plötzlich der Verwalter mit der Frage an ihn heran, wie er es künftig mit der Austheilung dieser Unterstützung zu halten habe, da er mit dem dazu bewilligten Quantum nicht mehr auszureichen vermöge.

Woran liegt das, fragte Alfred, grade jetzt, wo der Gesundheitszustand bei dem schönen Wetter vortrefflich und alle Welt bei der Ernte beschäftigt ist? In dieser Zeit pflegte doch sonst die Nothwendigkeit der Unterstützung sehr gering zu sein und die Sommermonate mußten den Winter übertragen helfen.

Gnädiger Herr! wendete der Verwalter ein, sonst hatten wir die wöchentlichen Sendungen in's Kloster Maria Gnad nicht zu machen.

Nach Maria Gnad? In's Kloster? Was soll das heißen?

Ich meine die Sendung, die ich seit einigen Wochen dort hin schaffen muß.

Alfred sah den Verwalter überrascht an, faßte sich aber schnell, den Zusammenhang errathend, und sagte: Ja so! – [17] nun, ich will das überlegen. Ich werde Ihnen morgen den Bescheid geben, wenn Sie in der Frühe zu mir kommen.

Mit dieser Weisung empfahl sich der Verwalter und Alfred eilte zu seiner Frau. Hast Du den Befehl gegeben, fragte er, regelmäßige Lieferungen von Lebensmitteln nach Maria Gnad zu machen?

Ich sehe nicht ein, entgegnete Caroline, die gerade Antwort umgehend, weshalb Du allein Dir das Recht aneignest, Wohlthaten zu spenden; weshalb ich nicht Theil an den guten Werken haben soll, auf meine Weise?

Daß Du nicht Theil daran nahmst auf vernünftige Weise, hat mich oft genug verdrossen! entgegnete er ihr. Wie häufig habe ich Dir gesagt, Du könntest wahre Wohlthaten thun auf unsern Gütern, wenn Du Deinen Einfluß auf die Frauen der Leute verständig geltend machen wolltest. Du könntest mir die Hälfte der Arbeit abnehmen, die mir die Gewöhnung der Einwohner zu verständigem Gebrauch ihrer Mittel verursacht! Ich wollte Dich so gern als die Schöpferin des Guten verehren lassen, das hier allmälig geschieht. Immer bist Du mir dann aber mit kleinlicher Sparsamkeit, mit pietistischen Bedenken entgegengetreten; und nun befiehlst Du, ohne mich zu fragen, plötzlich Sendungen in das Kloster zu machen, die meinen arbeitsamen Leuten entzogen werden, um drüben die faulen Mönche fett zu füttern!

Um von den frommen Herren an fromme, gottgefällige Christen vertheilt zu werden, die sich durch christlichen Wandel des Beistandes würdig machen, fiel ihm Caroline fest ins Wort. So lange Du Deine Leute in dem unkirchlichen Leben bestärkst, so lange Du sie ermunterst, an den heiligen Tagen zu arbeiten und die Messe zu versäumen, so lange kann Deine Wohlthätigkeit nicht die meine sein; und sie wird auch keinen Segen bringen weil ihr der Segen des Himmels fehlt.

[18] Immer das alte Einerlei! rief Alfred verdrießlich. Daß ich doch endlich die Mittel begreifen lernte, durch die alle Lehren der Pfaffen Eingang bei Dir finden, während Du bei meinen Vorstellungen, meinen dringendsten Bitten taub bleibst!

Warum bleibst Du taub bei meiner flehentlichen Bitte, Felix, wenigstens im Christenthum, von dem würdigen jungen Manne unterrichten zu lassen, den Kaplan Ruhberg uns vorschlägt?

Weil ich nicht will, daß man den gesunden Verstand des Knaben mit unklaren Begriffen verdunkle; weil er ein verständiger Mensch werden soll und kein Heuchler, wie Ruhberg und sein Gehilfe es sind. Ehe ich diesen jungen Mann in meinem Hause dulde, lieber –

Lieber? – fragte Caroline spöttisch.

Zwinge mich nicht, das Härteste zu sagen! rief Alfred, als der Diener erschien und den Besuch einer adligen Dame von dem Nachbargute meldete.

Sehr willkommen! sagte Caroline und ging freundlich, als ob nichts Unangenehmes sie berührt hätte, der Gemeldeten entgegen, die gleich darauf eintrat. Alfred hatte das Zimmer verlassen, er fühlte sich nicht gestimmt zu gleichgültig heiterem Gespräch.

Mit dem Gaste zugleich kam aber auch Felix herein. Sein glühendes Gesicht strahlte vor Freude und er wollte eilig durch das Zimmer laufen, als die Mutter, nachdem sie die Baronin begrüßt, ihn bei der Hand nahm und, ihn betrachtend, ausrief: Aber um Gottes willen, Felix! wie siehst Du aus? Wo hast Du Schuhe und Strümpfe gelassen? Wie hast Du Deine Blouse zugerichtet!

Ich habe Ihren Sohn eine tüchtige Strecke vom Schlosse gefunden, bemerkte die Baronin, während sie dem verlegen schweigenden Knaben die Wange streichelte, und ich habe ihn [19] in meinem Wagen hierher gebracht, da er es doch wohl nicht gewohnt ist, ohne Schuhe und Strümpfe einher zu gehen.

Der ganze Unmuth Carolinen's, den der Streit mit ihrem Manne in ihr zurückgelassen hatte, wendete sich nun gegen den Knaben. Was ist das wieder für ein gottloser Streich! rief sie heftig. Du machst mir nichts als Verdruß und Schande, Du folgst nie! Sehen Sie, Beste, wie er aussieht! Es ist der ungerathenste Knabe von der Welt!

Mutter! sagte Felix leise, der arme Junge sah so elend aus, er hat das Fieber und einen lahmen schlimmen Fuß. Ich dachte, der Vater würde nicht böse sein, es war wirklich nicht weit von hier, und er hatte bis nach Heindorf mit dem schlimmen Fuß.

Und ich sage Dir, Du sollst Deine Sachen nicht jedem Bettelbuben schenken und nicht barfuß umherlaufen wie ein Bauernjunge! Mache, daß Du hinauskommst, und lasse Dich ankleiden, Du ungerathenes Kind! – Damit schob sie den Knaben nach der Thüre, mit so unvorsichtiger Heftigkeit, daß er auf dem glatten Fußboden stolperte und gefallen wäre, hätte nicht Alfred ihn in seinen Armen aufgefangen, der hinzueilte, als er die keifende Stimme der Mutter in dem Nebenzimmer hörte.

Er hieß die Baronin in gewohnter edler Form willkommen, aber Caroline unterbrach ihn: Da siehst Du nun selbst einmal die Folgen Deiner genialen Erziehung an dem Knaben! sagte sie. Fast eine Stunde vom Schlosse hat ihn die gute Baronin gefunden und ihn in dem saubern Aufzuge hierhergebracht. Hieltest Du ihm den Lehrer, den ich Dir heute wieder vorschlug, dann kämen solche Dinge auch nicht vor.

Der zurecht gewiesene Vater versuchte die Sache lächelnd und leicht aufzunehmen. Ich finde in der That nicht, daß der Knabe ein so großes Unrecht gethan hat, sagte er. In der [20] Umgegend umherzulaufen, haben wir ihm stets erlaubt, da er für seine Jahre selbstständig und vernünftig ist; und daß er einmal seine Schuhe aus Mitleid fortgab und eine halbe Stunde barfuß einherging, das wird ihm gar nichts schaden. Mag er sehen, wie es dem Armen thut.

Ich meine auch, versetzte begütigend die Baronin, der dieser Auftritt natürlich sehr unangenehm sein mußte, Sie nehmen die Sache viel zu streng, liebste Freundin! Ihr Felix darf mehr noch als andere Knaben eine gewisse Ungebundenheit zeigen und seinen augenblicklichen Eingebungen folgen. Er ist ja der Sohn eines Dichters und seine Augen sehen aus, als ob viel von dem väterlichen Genius auf ihn übergegangen wäre.

Aber die versöhnenden Worte der Baronin brachten eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervor. Caroline nahm es übel, daß sie ihr nicht beistimmte, daß, wie gewöhnlich, die Meinung der Fremden sich für ihren Mann entschied.

Wenn ich nur nicht dies ewige »ein Dichter!« hören müßte! rief sie in einem Tone, der nun ihrer Seits auch scherzhaft klingen sollte, während er die äußerste Gereiztheit verrieth. Wenn die Leute nur wüßten, wie unbequem solche poetische Naturen im täglichen Leben sein können, wie die prosaische Umgebung von der Poesie, von ihrer Freigeisterei, und von ihren Ueberspanntheiten bisweilen leiden muß.

Du schmeichelst mir eben nicht, Caroline! unterbrach sie Alfred, und die Baronin bemerkte, man höre wohl, daß Frau von Reichenbach nur scherze; aber sie beachtete die Weisung nicht.

O, ich schmeichle und heuchle nie! rief sie, und es ist, wie ich es sage, glauben Sie mir das! Die Menschen werden durch die Poesien eines Dichters entzückt; aber während er dichtet, fällt alle Sorge für Haus und Hof, alle Noth mit der Erziehung, alle häusliche Plage auf die Frau, denn für solche Kleinigkeiten hat ein Dichter nicht Sinn und nicht die Zeit.[21] Kommt er dann endlich aus dem Studirzimmer heraus, so soll die poetische Welt auch im Leben ausgeführt werden; Alles, was nicht damit in Uebereinstimmung ist, heißt ungroßmüthig, kalt und kleinlich. Gewiß, Sie kennen das nicht.

Caroline war so heftig erregt, daß ihre Stimme zitterte, die Baronin, welche es nicht wissen konnte, daß vor ihrer Ankunft ein lebhafter Streit stattgefunden hatte, war in der peinlichsten Verlegenheit. Alfred's Farbe wechselte während dieser Scene mehrmals schnell, doch versuchte er seinen Zorn niederzukämpfen und der Sache eine schicklichere Wendung zu geben. Mit erzwungenem Lächeln sagte er: Da sehen Sie, gnädige Frau! wie unsere kleine poetische Glorie bei näherer Betrachtung ein Feuer ist, das alles häusliche Glück verzehrt! Indeß ist es wohl nicht so arg. Es wäre ja zu traurig, wenn Das, was unser Glück ist, zur Plage unserer Lieben würde. Meine Frau fällt mir ins Fach, sie dichtet heute ein wenig und übertreibt dabei wohl etwas.

Die Baronin ging auf diese Wendung ein, aber die quälende Spannung der Einzelnen lähmte jede Unterhaltung. Alfred war verstimmt, Caroline blieb gereizt und bitter, und die Baronin entfernte sich, sobald es in guter Weise möglich war.

Alfred eilte auf sein Zimmer, nachdem er sie zu ihrem Wagen geleitet, und ging in stürmischer Bewegung umher, wie es seine Art war, wenn ein Ereigniß ihn schmerzlich beschäftigte. Mehrmals blieb er stehen, den Kopf gegen die Fensterscheiben gestützt, und sah sinnend in die Gegend hinaus. Dann setzte er die frühere Bewegung wieder fort, ging an die Thüre, um die Glocke zu ziehen, aber plötzlich zögernd ließ er die Schnur aus der Hand entgleiten, trat zurück und warf sich in den Sessel, der vor seinem Schreibtische stand.

Hier saß er, in Gedanken verloren, lange Zeit, bis er sich plötzlich aufraffte, die Klingel zog, dem Diener befahl, die [22] gnädige Frau zu ihm zu bitten, und dann, sie erwartend, auf's Neue in tiefes Nachdenken versank.

Carolinen's Erscheinen machte ihn erbleichen. Du hast mich rufen lassen, was willst Du von mir? fragte sie mit Eiseskälte.

Habe die Güte, Dich zu mir zu setzen, bat er sie.

Die äußere Ruhe ihres Mannes bei sichtlicher innerer Erregtheit erschreckte sie, und theils, um sich Muth zu machen, theils auch ihr früheres Betragen bereuend, rief sie: Um Gottes willen, lieber Alfred, nur keine Ermahnung, sage einfach, was Du willst, und mach' es kurz!

Dabei legte sie ihren Arm um seinen Nacken und neigte sich zu ihm, als ob sie ihn küssen wollte, aber er wehrte es ihr leise und sagte sehr ernsthaft: Die Zeiten sind vorüber, in denen eine Liebkosung mich mit Deinen Fehlern versöhnte. Ich bin es herzlich müde, mich und den Knaben von Dir tyrannisiren zu lassen, ich bin es müde, jeden Freudenbecher, den das Leben mir bietet, durch Dich in Wermuth verwandeln zu sehen. Wir werden uns trennen!

Sie sah ihn in sprachloser Erstaunung an. Sein Ernst ließ sie das Schlimmste fürchten, aber sie wünschte von Herzen, sich zu täuschen, und sagte mit erzwungenem Lächeln: Soll das ein Kapitel aus Deinem neuen Roman sein? Es klingt sehr traurig.

Scherze nicht! entgegnete er ihr, es ist das entscheidende Kapitel unseres Ehestandes.

Aber was ist denn geschehen? rief sie, was bringt Dich gerade heute mit einem Mal so plötzlich auf?

Die Ungerechtigkeit und die Härte, welche Du heute wieder gegen den Knaben und gegen mich begangen hast. Sage selbst, was hatte ich Dir gethan? Warum hast Du das Kind, und obenein im Beisein einer Fremden, so hart gescholten?

[23] Weil er wieder wie ein Bauernjunge mit zerrissenen Kleidern nach Hause kam, weil er gar nicht mehr zu bändigen ist, gegenredete die Mutter, den ersten Theil der Frage geschickt umgehend. Aber das sind die Folgen Deiner ewigen Lehren von der allgemeinen Gleichheit der Menschen, von der wahren Barmherzigkeit. Nun siehst Du selbst, wohin das führt. So mitten unter allem Gesindel läßt kein Edelmann seine Kinder aufwachsen, so verkennt Niemand als Du, was er seiner Stellung schuldig ist.

Und das sagst Du mir?

O! Du brauchst mich nicht zu erinnern, daß ich Dir eine glänzendere Stellung verdanke, als ich sie zu Hause gehabt; ich weiß wohl, daß es Dich oft genug gereut hat, die arme Registratorstochter geheirathet zu haben. Obgleich mein Vater so gut ein Edelmann war, als Du, hast Du Dich meiner doch von je geschämt.

Caroline! das sagst Du mir? fragte Alfred noch mals. Dann nahm er sie bei der Hand, führte sie zu dem Sopha, setzte sich neben sie und sagte mit befehlendem Ernst: Jetzt unterbrich mich einmal nicht! – Ja! Du hast wahr gesprochen, wahrer als Du weißt. Ja! ich schäme mich Deiner, ich habe mich Deiner oft geschämt, aber nicht um Deines armen, wackern Vaters willen, den ich hochgeschätzt, wie alles Tüchtige, das weißt Du wohl. Ich habe mich Deiner geschämt, wenn Du in ungezügelter Heftigkeit den Unfrieden unserer traurigen Ehe fremden Blicken preisgegeben hast, wie heute; wenn Du in blinder Eifersucht Dich und mich dem Spotte unserer Bekannten aussetztest.

Weiß es nicht längst alle Welt, daß Du und ich nie gleicher Ansicht sind? Wo steckt das große Verbrechen, daß ich dies heute halb im Scherze der Baronin sagte, und Felix einen Verweis gab, den er reichlich verdient hat! unterbrach sie ihn [24] trotz seiner Warnung. Das thut jede Mutter; das thäten all die geistreichen Damen auch, die mir mit ihrer Anbetung für Dich, als wir in der Residenz waren, Dein Herz entfremdeten. Das hätte auch Deine Freundin, das hätte jene Baronin auch gethan, die Dir vor unserer Verheirathung wie ein Ideal erschien, im Gegensatz zu mir, und deren Bruder Dich zu allen Deinen poetischen Thorheiten verleitete.

Alfred fuhr auf und seine Hand ballte sich krampfhaft zusammen, doch sagte er ruhig: Therese Brand, die Du vermuthlich meinst, war eben so wenig Baronin als Du, aber eine sehr edele Natur, die mit lebhaftem Gefühl die Dichtungen begriff, welche ich Dir aus vollem Herzen weihte, und die Du nicht empfandest. Daß ihr Bruder Julian mich zum Drucke jener Gedichte überredete, war keine Thorheit; aber von dem Allen ist jetzt die Rede nicht.

Und hat er Dich nicht mit Gewalt bereden wollen, mit mir zu brechen? Habe ich nicht selbst den Brief gelesen, als Du einmal Deine Brieftasche bei uns hast liegen lassen? Er meinte, wir paßten nicht für einander, Du seist zu jung zum Heirathen, Du solltest mich aufgeben, mir eine reiche Mitgift aussetzen, damit ich bald einen andern Mann fände. Daran hätte es mir auch ohne eine Mitgift nicht gefehlt, und vielleicht wäre es besser für mich gewesen.

Alfred entgegnete ihr keine Sylbe; es entstand eine lange Stille, denn Caroline fand nicht den Muth, das Schweigen zu brechen, das drückend auf ihr lastete. Endlich that es Alfred.

Nach dieser Aeußerung, Caroline! sagte er sehr ruhig und bestimmt, obschon in seinem Antlitz seine innere Erregung klar zu lesen war, nach dieser Aeußerung und nach den Vorgängen der letzten Tage und Stunden, hoffe ich bei Dir auf keine Einwendungen zu stoßen, wenn ich Dir mittheile, was ich für uns beschlossen habe. Ich gehe noch heute nach der Stadt, werde [25] dort bleiben und Felix, dessen Erziehung dies ohnehin erheischt, nachkommen lassen. Du magst über Deine Zukunft bestimmen, Dich einrichten, wie es Dir wünschenswerth scheint, nur nach Berlin komme für das Erste nicht. Darum bitte ich Dich, es würde uns die nothwendige Trennung nur erschweren.

Alfred! schrie Caroline im Tone des wahrsten Schmerzes auf, ist es denn möglich, Du willst mich verlassen? Habe ich Dir je Anlaß gegeben, an meiner Liebe zu zweifeln? Bin ich Dir nicht stets ein treues Weib gewesen?

Erniedrige Dich nicht durch solch ein Lob! versetzte er. Was frommte Treue, was galt Liebe, wo jeder Tag, jede Stunde mir Leid gebracht hat? Wir sind unglücklich gewesen durch einander, so wollen wir uns trennen, um fern von einander wenn nicht Glück, doch Ruhe und Frieden zu finden; um Felix dem üblen Einflusse zu entziehen, den unser Unglück auf ihn ausüben muß, je mehr er es begreifen lernt.

Alfred! flehte sie weinend und warf sich an seine Brust, Alfred! ich bin die Mutter Deines Kindes! Um unseres Felix willen vergib, vergib nur noch dies eine Mal, und bleibe!

Er aber machte sich sanft von ihr los und antwortete mit Thränen in den Augen: Ist es das erste Mal, daß solche Auftritte zwischen uns vorfallen? Ich weiß, Du bist an mich gewöhnt, Du liebst den Knaben, Du bist nicht böse, aber wie oft hast Du mir schon gelobt, Dich zu ändern? Wie oft hast Du mir versprochen, Deine Heftigkeit zu überwinden, Dich von dem Einfluß des Kaplan Ruhberg loszusagen, meinen Ansichten, meinen Wünschen Gehör zu geben, wie ich es stets mit den Deinen that? Ist es anders geworden trotz aller Deiner Versprechungen?

Sie schwieg, getroffen von der Wahrheit in den Worten ihres Mannes, und dieser fuhr fort: Glaubst Du, daß mir nicht das Herz blutet, jetzt, da ich von Dir scheide? Mit wie [26] viel gutem Willen, mit wie redlichen Vorsätzen führte ich Dich in mein Haus! – Vielleicht war es unrecht, daß ich es that, obgleich ich fühlte, daß Manches störend zwischen uns lag. Ich habe vielleicht zu viel von Dir verlangt; verlangt, was Du nicht leisten konntest, und Du wärst glücklicher mit jedem andern Manne geworden, wie Du vorhin sagtest – das könnte sein und das wäre hart!

Eine neue Pause entstand. Caroline weinte laut, Alfred ging wieder im Zimmer umher, endlich blieb er vor seiner Frau stehen und sagte mit gepreßter Stimme: Der Verwalter hat meine Befehle für die nächste Zeit. Felix werde ich nicht sehen in diesem schweren Moment, sei nicht zu streng gegen ihn. Dann schritt er der Thüre zu, kehrte zurück, bot seiner Frau die Hand und sprach: Vergib mir, wenn Du so viel gelitten hast als ich, und versuche es, glücklicher zu werden.

Damit verließ er das Zimmer, sein harrender Kammerdiener warf ihm den Mantel über, er stieg in den Wagen, seine raschen Pferde brachten ihn zu der nächsten Station, von dort wollte er mit Postpferden nach der Residenz fahren.

Caroline blieb betäubt zurück; dann holte sie ihren Sohn, den sie mit Zärtlichkeit überhäufte. Auf seine Fragen, ob der Vater ausgefahren, ob er bald wiederkomme, antwortete sie bejahend, denn sie glaubte zuversichtlich an die Rückkehr ihres Mannes. Sie kannte sein weiches Herz, und sie hatte nicht so schwer durch ihre unglückliche Ehe gelitten, als er.

[27]
4
IV

Alfred fuhr die ganze Nacht hindurch. Er konnte nicht schlafen, denn sein Gemüth war zu aufgeregt durch das Scheiden von seiner Frau; all seine Gedanken wendeten sich der Heimat zu. Er sah seine Frau weinen, seinen Sohn nach dem Vater verlangen, das kleine Arbeitscabinet leer. Eine tiefe Wehmuth überfiel ihn, und wieder und immer wieder gedachte er prüfend der letzten Jahre, um sich zu überzeugen, daß der Schritt nothwendig, ja daß er unerläßlich gewesen sei, den er am Abende gethan hatte.

Diese Ueberzeugung beruhigte ihn allmälig, so daß er mit einer Art von Heiterkeit und mit einem Gefühl von Freiheit in die Natur hinausblickte, als ein frischer Windhauch seine Stirne kühlte und der junge Morgen die Erde beleuchtete. Es war ihm, wie in jenen Tagen erster Jugend, in denen man bei jedem Schritte aus dem gewohnten Kreise besondere Begebenheiten erwartet und Abenteuer träumt; und wirklich bereitete sich, während er über sich lächelte, ein ganz artiges Ereigniß für ihn vor.

Eine halbe Stunde näher zur Residenz fuhr ebenfalls ein eleganter, von Postpferden gezogener Reisewagen auf der Chaussee. Die Fenster desselben waren geschlossen, Postillon und Diener waren eingeschlafen, die Pferde gingen ruhig den oft gemachten Weg. Plötzlich, als die Straße sich senkte, trat das eine Pferd über die Deichsel und fiel nieder. Das erweckte den Postillon, [28] er zerrte an den Zügeln, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, das sich in vergeblichen Bestrebungen hin und her warf. Man hörte ein leises Knacken und der Postillon erklärte fluchend dem indeß erwachten und abgestiegenen Diener, daß die Deichsel zerbrochen sei.

Da fielen zu beiden Seiten des Wagens die Fenster nieder und aus jedem sah ein Frauenkopf hervor. Während aber die eine Dame verwirrte Fragen an den Postillon richtete, befahl die andere, ihr den Wagenschlag zu öffnen, und stieg aus. Sie überzeugte sich bald von der Unmöglichkeit, den Wagen zur Weiterreise herzustellen, erfuhr, daß man etwa in der Mitte der Station, also eine Meile von den beiden nächsten Posthäusern entfernt sei, und faßte den Entschluß, in Begleitung des Dieners bis in das nächste Dorf zu gehen und nachzufragen, wie man sich dort helfen könne.

Während dessen hatte sich die andere Dame ganz ruhig in die Wagenecke zurückgelehnt und schien wirklich noch zu schlummern, als die Ausgestiegene sie freundlich zu ermuntern strebte. Komm Eva, komm! sagte sie, wir wollen uns auf den Weg machen! Wir müssen vorwärts! Es hilft uns Nichts.

Auf den Weg machen? – Gehen? – fragte Eva, wir Beide allein, hier in der fremden Gegend, das ist ja unmöglich!

Der Wille ihrer Freundin mußte aber wohl bestimmenden Einfluß auf sie üben, denn trotz ihrer Einwendungen schickte sie sich an, den Wagen zu verlassen, nachdem sie sich fest in den rothen Plaidmantel gehüllt, die seidene Capotte aufgesetzt und sich überzeugt hatte, daß das Spitzenhäubchen nicht vom Schlafe gelitten hätte. Die ältere der Beiden ließ darauf den Wagen schließen, befahl dem Postillon zur Bewachung desselben zurückzubleiben und schritt dann ruhig, Eva's Arm in den ihren legend, von dem Diener begleitet, die Poststraße hinan.

Sie schien mit rechter Wonne des schönen Morgens zu genießen, [29] während Eva über den Thau, über Ermüdung und über tausend andere Unbequemlichkeiten klagte, und endlich ganz vergnügt ausrief: Ach Gott sei Dank! da höre ich ein Posthorn, da kommt gewiß die Schnellpost, da können wir mitfahren, hoffe ich!

Es fragt sich, ob Plätze für uns frei sein werden, wendete die Freundin ein.

Nun, wenn die Post voll ist, so sind doch gewiß auch Herren darin, die uns ihre Plätze abtreten. So ungalant wird doch kein Mann sein, daß er in dem großen Wagen vorüberfährt und uns auf der staubigen Chaussee zurückläßt.

Schnellpostreisende pflegen Eile zu haben, entgegnete Therese, und kein Gewerbe von ritterlicher Galanterie zu machen. Zudem scheint mir das nicht das Signal der Schnellpost, sondern das einer Extrapost zu sein, und damit werden Deine Hoffnungen noch ungewisser.

Das wäre aber schrecklich! Ich bin so müde von dem Fahren in der Nacht. Ich kann so weit nicht gehen, klagte Eva, von der plötzlichen Heiterkeit wieder in ihre frühere Verstimmung zurücksinkend.

Therese sprach ihr Muth ein, Eva hörte es schweigend mit an, und sie gingen auf's Neue vorwärts, als das Posthorn abermals und ganz in ihrer Nähe ertönte. Alfred's Wagen hielt vor ihnen, er stieg aus und begrüßte sie.

Ich habe Ihren Wagen auf dem Wege liegen gefunden, sagte er, und von dem Postillon gehört, daß Sie, meine Damen, mit mir dasselbe Ziel verfolgen. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, meinen Wagen zu benutzen?

Sie sind sehr liebenswürdig, sagte Eva.

Sie haben aber in Ihrer Kalesche nur für zwei Personen Platz, was wird aus Ihnen? fragte Therese.

Ich werde mich neben den Postillon setzen, mein Diener [30] mag mit dem Ihrigen uns bis in das nächste Dorf zu Fuß nachkommen. Es würde mir eine Freude sein, Ihnen zu dienen. Mein Name ist von Reichenbach.

Der Name schien Therese sehr angenehm zu überraschen. Sie sah Alfred mit sichtlichem Vergnügen an und sagte dann: Wie wäre es, wenn wir Alle bis in das nächste Dorf gingen, dessen Thurm wir schon deutlich sehen? In der großen Stadt wird uns nicht leicht ein so frischer Morgen zu Theil werden. Finden wir im Dorfe nicht die Möglichkeit, weiter zu kommen, ohne Herrn von Reichenbach zur Last zu fallen, so wollen wir dankbar seinen Wagen bis zur nächsten Station benutzen. Plötzlich, sich an Eva's Klagen erinnernd, fragte sie diese: Aber Du möchtest wohl lieber gleich einsteigen, Eva? Du warst ermüdet.

Ich? Nicht im geringsten! antwortete diese ganz fröhlich und munter, und in Reichenbach's Begleitung machte man sich auf den Weg.

Neben den Damen einhergehend, hatte er die Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Die ältere von Beiden war groß und schlank, aber nichts weniger als schön. Weiches blondes Haar umgab in breiten Flechten eine edle Stirn, die mit großen, dunkeln Augen dem Gesicht einen anziehenden Charakter gab. Ihr Teint war zart doch farblos. Sie mochte fast dreißig Jahre alt sein und sah ruhig und verständig aus. Ihre sehr einfache Kleidung paßte ganz zu ihrer Erscheinung und fiel deshalb nicht als etwas Besonderes an ihr auf. Alfred war gewiß, eine Frau aus den höhern Ständen in ihr zu sehen, denn in ihrem Betragen gegen ihre jüngere Freundin lag das sichere Bewußtsein einer Selbstständigkeit, die dieser zum Schutze diente.

Eva war sehr klein und das rosigste Bild der Jugend. Noch heller blond als Therese, hatte sie schöne blaue Augen, die übermüthig froh in die Welt blickten. Ihre kleine Stumpfnase, [31] die üppigen Lippen waren nicht gerade regelmäßig schön, aber das ganze Gesicht so voll blühenden Lebens, daß man es, mit den tiefen Grübchen in Wange und Kinn, höchst reizend finden mußte.

Auch war die muntere Eva es, die zuerst eine Unterhaltung begann. Es bleibt immer ein mislich Ding, sagte sie, wenn Frauen allein reisen. Wie leicht entsteht ein Unfall und dann steht man hilflos da.

Und doch warst Du es gerade, die sich sehr darauf freute, ohne männliche Begleitung zu sein, die sogar mit der Schnellpost und ohne Diener reisen wollte, entgegnete Therese.

O! das war nur ein Einfall, eine Laune, weil mein Mann immer behauptete, Frauen könnten und dürften sich nicht allein auf Reisen begeben.

Ihr Mann? fragte Alfred verwundert, der sie für ein Mädchen gehalten hatte.

Mein verstorbener Mann, ich bin Witwe! erklärte Eva mit so viel Wehmuth und Würde, als sie in sich erzwingen konnte. Sie sah dabei aber so schalkhaft aus, daß Alfred und ihre Freundin wider ihren Willen lächelten.

Sie haben, nahm die Letztere das Wort, uns Ihren Beistand angeboten, Herr von Reichenbach, dessen wir, wie ich besorge, nöthig haben werden; Sie müssen also doch erfahren, wer wir sind. Meine Freundin ist Frau von Barnfeld, die Wittwe des Majors von Barnfeld, und ich – sie hielt inne, sah Alfred freundlich an und fragte: Erinnern Sie sich meiner nicht, habe ich mich denn so sehr verändert?

Therese, Fräulein von Brand! rief Alfred lebhaft. Es ist mir unerklärlich, daß ich Sie nicht gleich erkannte; mir war der Ausdruck Ihrer Augen doch so deutlich in der Seele geblieben, und ich hatte Ihrer erst neuerdings sehr oft gedacht.

[32] Ich erkannte Sie gleich, sagte Therese, indem sie dem alten Freunde die Hand bot, obgleich wir uns mehr als zehn Jahre nicht gesehen haben; denn so lange ist es sicher her, seit wir uns in Berlin einst trennten.

Gewiß, antwortete er. Als ich drei Jahre später dorthin zurückkehrte, war Ihre verehrte Mutter schon gestorben, Julian an den Rhein versetzt und Sie ihm dorthin gefolgt. Nun hoffe ich ihn in Berlin zu finden.

Er ist augenblicklich nicht dort. Er hat diesen Sommer eine große Reise gemacht, von der er erst in diesen Tagen wiederkehren soll. Deshalb habe ich Frau von Barnfeld überredet, mit mir aus dem Seebade auch etwas früher nach Berlin zu gehen, damit Julian mich, wenn er kommt, schon wieder häuslich eingerichtet und in Ordnung findet.

Von beiden Seiten freute man sich des unerwarteten Begegnens. Fragen und Antworten folgten einander schnell. Sie waren so lange getrennt gewesen, daß sie viel nachzuholen hatten. Therese fragte, was Alfred nach Berlin führe, ob er lange dort verweilen werde? Er antwortete, daß sein Sohn in dem Alter sei, in welchem Schulbesuch für ihn zum Bedürfniß werde, und daß die Erziehung seines Knaben es ihm wünschenswerth mache, künftig in Berlin zu leben.

Das ist schön, Herr von Reichenbach, das wird Julian sehr glücklich machen, sagte Therese. Hoffentlich kehren uns dadurch die guten Stunden wieder, in denen wir uns zuerst Ihrer Arbeiten erfreuen durften. Ich war freilich damals kein zuverlässiger Richter, bin es wohl auch jetzt noch nicht, doch machte es mir große Freude, wenn Sie mich fragten: Ist es so gut? habe ich's so recht gemacht?

Und Sie haben mir immer den rechten Weg gewiesen, weil Ihr angeborner Schönheitssinn immer das Wahre und Schöne herausfand! Es war mit die glücklichste Zeit meines [33] Lebens, und ich habe nie mit größerer Lust neue Arbeiten gelesen, als vor Ihrer Mutter, vor Ihnen und vor Julian. Wir haben recht frohe Stunden miteinander verlebt, sagte Alfred freundlich.

Bis dahin hörte Eva ruhig zu, dann aber ertrug sie es nicht länger, untheilnehmend bei einer Unterhaltung sein zu müssen, und rief: O, bitte! kommen Sie ein wenig aus der alten Vergangenheit in die Gegenwart zurück, zu der ich auch gehöre. Ich möchte Ihnen danken, Herr von Reichenbach, für den Genuß, den mir Ihre Werke gewährt haben. Mir ist, obgleich ich Sie nie vorher sah, als ob ich in Ihnen auch einen alten Bekannten wiederfände.

Das ist das Schöne in dem Leben eines Dichters, daß er sich Freunde erwirbt in weitester Ferne, wenn es ihm gelingt, jene Saiten zu berühren, die in jeder Brust wiederklingen. Wir senden die Empfindungen unseres tiefsten Innern als Gruß der Menschheit zu, und sie beantwortet ihn mit offnem Herzen, mit freundlichem Willkommen, wie Sie, meine gnädigste Frau! Das ist eine große Freude, haben Sie Dank dafür, sagte Alfred.

Bald darauf erreichte man das Dorf, fand, wie man es erwartet hatte, kein genügendes Fuhrwerk und fügte sich mit guter Art in Alfred's Anerbieten. Die Diener beider Herrschaften blieben zurück; man legte ein drittes Pferd vor die Kalesche, das der Postillon bestieg, die Damen nahmen die Plätze in der Kalesche, Alfred den Kutschersitz ein. Das Ungewohnte der Lage stimmte die drei Reisenden sehr heiter. Unter Scherzen mancher Art erreichte man die Station und ließ sich von Alfred überreden, in derselben Weise seine Begleitung nach Berlin anzunehmen, das nur noch ein paar Stationen entfernt war.

[34] Als die Damen einige Stunden mit Alfred zusammengewesen waren und abwechselnd mit ihm und untereinander geplaudert hatten, sagte Eva zu ihrer Freundin: Mir ist selten ein liebenswürdigerer Mann vorgekommen, als es Reichenbach zu sein scheint; selbst Dein Bruder ist nicht so angenehm.

Bist Du schon wieder wankelmüthig? fragte Therese neckend. Gestern erklärtest du mir, Julian sei, obschon er nichts weniger als hübsch, ja eigentlich sogar häßlich sei, der liebenswürdigste Mann, den Du noch je gekannt hättest.

Das ist auch wahr! denn daß Dein Bruder häßlich ist, das schadet nichts, sagte Eva lebhaft, ich liebe ihn dennoch. Er ist so geistreich, so liebenswürdig, so herablassend – – Siehst Du, das ist es, das ist das Schlimme! rief sie, sich plötzlich unterbrechend. Julian ist oft so gut, daß man sich ganz sorglos ihm gegenüber gehen läßt. Er gibt sich jedem Scherz, jeder Persönlichkeit freundlich hin, aber er thut es, wie Jemand, der sich aus Gnade dazu herabläßt. Während er ganz freundlich ist, zucken plötzlich seine Lippen, er kann den innern Spott nicht mehr verbergen, er lacht über die Andern und über seine Herablassung, und dann ist er mir unerträglich.

Du solltest ihm das einmal sagen, liebe Eva!

Ich habe ihm das oft gesagt, als ich ihn kennen lernte und er sein Vetterrecht, ich weiß nicht im wievielten Grade, dazu benutzte, mich häufig zu besuchen. Ich mußte mir Muth gegen Euch schaffen, ich hatte kindische Furcht vor Julian's Spott und vor Deiner Ruhe. Ich konnte nicht begreifen, warum meine selige Mutter, als auch sie mir starb, durchaus verlangte, daß ich in Deiner Nähe leben und Julian der Verwalter meines Vermögens werden sollte. Jetzt freilich weiß ich, daß du mein guter Engel bist! – schloß sie, der Freundin die Hand bietend, die sie herzlich drückte.

In dem Augenblick wendete Alfred sich um und machte [35] seine Schützlinge darauf aufmerksam, daß man die Stadt schon sehen könne. Therese, die wie ihr Reisegefährte ein sehr scharfes Auge hatte, entdeckte gleich ihm die Thürme am Horizonte. Die kurzsichtige Eva nahm ihr Glas zu Hilfe und klagte dann: Es ist ein Unglück, daß ich so klein bin, der große Kutschersitz raubt mir die Aussicht. Ich bin der ländlichen Freuden längst satt gewesen, ich denke mit Wonne an Berlin und nun kann ich es nicht einmal sehen.

Alfred, um sie zufrieden zu stellen, bot ihr seine Hände, sich daran zu erheben und festzuhalten, falls sie aufstehen wollte. Das nahm sie an und wußte sich vor Freude nicht zu lassen, als auch sie die Stadt erblickte.

Ach, rief sie der Freundin zu, mir ist unglaublich froh zu Sinne! Als ob uns jetzt lauter Liebes und Gutes in Berlin begegnen müßte und ganz Unerhörtes obenein. Ich habe noch nie einen Winter in Berlin verlebt, ich denke mir diese Bälle, Feste und Concerte gar zu prächtig! Ich wollte nur, die Bäume wären nicht mehr so sommerlich grün und der Winter wäre schon da!

Sie Glückliche! sagte Alfred, und es war Eva, als ob er ihre Hände leise in den seinen drückte. Wer so wie Sie nur Freude erwartet und Feste träumt, dem muß das Leben seine rosigste Seite gezeigt haben. Möge es immer so bleiben!

Und Sie erwarten nichts? fragte sie ihn.

Ich erwarte das Leben zu finden, wie es ist. Ernst mit gebieterischen Anforderungen, mit viel Leid und Elend, viel Jammer und Schlechtheit, und doch voll Freude und voll Großem und Erhabenem.

Eva sah ihn befremdet an. Dann setzte sie sich nieder und versank schweigend in Nachdenken, bis man die Stadtmauer erreichte. Alfred fuhr Therese erst nach ihrer Behausung in der Wilhelmsstraße, dann ging es nach Eva's Wohnung unter [36] den Linden. Mit Freude hörte sie, daß ihr Begleiter ganz in ihrer Nähe wohnen werde. Er mußte versprechen, sie gleich am nächsten Morgen zu besuchen, und man trennte sich herzlich, wie alte Bekannte, weil die gemeinsame Reise die Fremden einander näher gebracht und über manche Förmlichkeiten fortgeholfen hatte.

[37]
5
V

Am nächsten Morgen ließ sich Alfred bei Frau von Barnfeld melden. Er fand sie in einem Zimmer, das nach den Forderungen der Mode auf das glänzendste eingerichtet, voll von gepolsterten Sopha's und Sesseln und so mit Bildern, Kleinigkeiten, Blumen und Epheuwänden überfüllt war, daß es dem Spielzeugschränkchen eines verwöhnten Kindes glich.

Eva selbst lag in weißem, mit rosa Bändern geziertem Negligée auf einem dunkelgrünen Plüschsopha, das von einer Epheulaube beschattet war. Unwillkürlich mußte Alfred lächeln. Sie sah aus, wie jene Wachspüppchen, die man in Nuß- oder Eierschalen verbirgt, und die uns, wenn wir die Hülle öffnen, aus grünem Blätternetz rosig entgegenlächeln.

Bei Alfred's Eintritt richtete sie sich ein wenig empor und sagte: Ich weiß wohl, Herr von Reichenbach, daß ich Sie, als einen neuen, werthen Gast, mit mehr Form empfangen müßte; ich bin aber müde von der Reise und so froh, mich auf einem ordentlichen Sopha von den ländlichen Divans des Seebades zu erholen, daß Sie Nachsicht haben müssen.

Alfred bat sie, sich nicht stören zu lassen. Eine bejahrte Frau, die im Zimmer mit weiblicher Arbeit beschäftigt war, rückte ihm einen Sessel zurecht und, nachdem er Platz genommen hatte, fragte ihn Eva: Wissen Sie es denn schon, daß der Präsident von Brand auch gestern und noch früher angekommen ist als wir? Therese hat es mir heute sagen lassen. Damit[38] ist ihr nun die Freude verloren gegangen, den Bruder zu überraschen.

So darf ich vielleicht hoffen, ihn bald bei Ihnen zu sehen? fragte Reichenbach.

Wo denken Sie hin! rief Eva. Julian schon am ersten Morgen seiner Ankunft bei mir? Mit nichten! Da kommt erst das parfümirte Bad, ein langes Frühstück, eine lange Freude mit der Schwester, die er anbetet, und dann die Aktenrevision und dann die – – nun! davon spricht man nicht, so sehr sie auch zu des Präsidenten Leben gehört. Erst spät am Abend komme ich. Die Brocken seines Geistes, die nach der Tagesarbeit übrig bleiben, die wirft er mir dann im Vorübergehen zu und denkt: Für die Eva ist es eben noch genug. Er hat's im Frühjahr, als ich nach Berlin zog, immer so gehalten.

Erstaunt betrachtete Alfred die reizende Frau. Es schien, als ob sie scherze, und doch lag eine Bitterkeit in ihrer Stimme, die ihm auffiel, so daß er begütigend sagte: Der glückliche Freund! wenn Sie ihn ahnen ließen, daß Sie ihn gern früher wiedersehen würden, wie müßte er eilen Ihren Wunsch zu erfüllen.

Glauben Sie das nicht. Er ist ja mein Vetter und das Prädikat ist ein vollauf genügender Grund für jedes Betragen. Ein junger Mann macht einem Mädchen leidenschaftlich den Hof und man findet die Auszeichnung in der Ordnung, denn es ist ja ihr Vetter. Ein Anderer ist rücksichtslos, beleidigend gegen eine Dame und wieder sagt man entschuldigend: Mit einem Vetter nimmt man es nicht so genau. Ich wollte, es gäbe gar keine Vettern in der Welt.

Aber Julian ist als Bruder so liebenswürdig, daß –

Eben! Das verschlimmert ihn noch als Vetter! unterbrach ihn Eva. Liebe Werner, befahl sie dann der arbeitenden Frau, lassen Sie das Frühstück bringen.

[39] Frau Werner ging hinaus, den Befehl zu vollziehen, und Eva sagte zu Alfred: Sie kennen ja den Präsidenten, da kann man offener gegen Sie sprechen. Auch sagte ich Ihnen gleich gestern, Sie kommen mir nicht wie ein Fremder vor. Sie sind mir durch Ihre Schriften, durch Julian's und Theresen's Erzählungen wie ein alter Bekannter und Freund. Sagen Sie mir, wollen Sie mir das sein?

Alfred's Verwunderung stieg mehr und mehr; aber Eva war so hübsch, daß er dankbar die angebotene Freundschaft annahm und den neuen Bund mit einem Kuß auf die kleine Hand besiegelte, die Eva ihm reichte.

Ich habe schon lange gewünscht, Jemanden zu finden, dem ich mittheilen könnte, was mir das Herz bedrückt, meinte Eva. Glauben Sie mir, Herr von Reichenbach, Julian und Therese machen sich unglücklich. Es ist wahr, Julian betet Therese an. Er liebt sie wie ein Bruder und wie ein Vater zugleich. Diese Liebe ist aber der Grund, daß Therese nicht die Nothwendigkeit begreift, sich zu verheirathen, wozu es hohe Zeit wäre, denn Therese muß fast dreißig Jahre alt sein. Andrerseits hält ihre Anwesenheit im Hause auch Julian vom Heirathen ab und – eine Frau darf das wohl sagen – dadurch kommt er zu solchen Verbindungen, wie die mit der Harcourt, durch die er sich zum Stadtgespräche macht. Das thut mir weh und macht gewiß auch der Schwester Kummer, obgleich sie nie darüber spricht. Dagegen sollen Sie Rath schaffen, Herr von Reichenbach, das sollen Sie ändern.

Da schrie der Papagei, der während des Sprechens von seiner Stange herab und auf Eva's Schultern gestiegen war, sein: Eva! Eva! die Kanarienvögel schmetterten dazwischen und das Wachtelhündchen, das bis dahin ruhig zu den Füßen seiner Herrin gelegen, verlangte durch tausend Liebkosungen Aufmerksamkeit. Eva ward plötzlich von ihrer ernsten Unterhaltung [40] abgezogen, das Frühstück erschien, sie machte mit großer Zärtlichkeit Alfred's Wirthin, theilte mit Coco und dem Hündchen ihr Biscuit, trieb tausend Possen und hatte ihre beglückenden Absichten für Julian und Therese darüber ganz und gar vergessen.

Bald darauf empfahl sich Alfred, von Eva mit vielen unwesentlichen Bestellungen für Therese beauftragt.

Als er nun allein den Weg zur Wohnung seines alten Freundes antrat, dachte er an das eben Erlebte zurück und vermochte sich Eva's Wesen nicht zu erklären, wenn er nicht annahm, daß sie, sich selbst unbewußt, eine Leidenschaft für den Präsidenten nähre, der nach ihren Schilderungen noch ganz der alte Epikuräer sein mußte.

So reizend Eva war, so hatte doch Alfred sich unbehaglich bei ihr gefühlt. Das Geräusch, das von der Straße herauftönte, erhöht durch die Unruhe der Thiere, und Eva's unstätes Wesen selbst, hatten ihm einen peinlichen Eindruck gemacht. Um so erquickender erschienen ihm die tiefe Stille und Ruhe im Hause des Präsidenten, als er es erreicht hatte.

Er fand Therese allein in großen, räumlichen Zimmern, die nach einem Garten hinauslagen. Es war nichts Ueberflüssiges, keine Modespielereien in dem Gemache, aber es fehlte auch Nichts, das wahrer Behaglichkeit förderlich sein konnte. Die Thüren zwischen den Zimmern waren geöffnet, so auch ein paar von Vorhängen beschattete Fenster. Einzelne prächtige Kupferstiche zierten die Wände, fremdländische Pflanzen einen Balkon, der aus dem Zimmer in den Garten führte.

Therese war mit dem Ordnen verschiedener Gegenstände beschäftigt, die während ihrer Abwesenheit von der gewohnten Stelle genommen sein mochten. Sie empfing den Freund heiter, aber doch mit mehr Zurückhaltung, als sie ihm am vorigen Tage auf der Reise gezeigt hatte. Alfred beklagte sich darüber und beschwichtigend sagte sie: Denken Sie nur, Herr von[41] Reichenbach! welch lange Reihe von Jahren zwischen unserer ersten Bekanntschaft und unserm Wiedersehen liegt. Da bildet sich viel an dem Menschen aus, Eigenschaften und Fehler mancher Art, man wird ein ganz Anderer, man kennt einander nicht mehr und noch nicht, Sie haben mich gestern selbst äußerlich nicht mehr gekannt. So kann es uns auch geistig leicht geschehen; darum wollen wir uns nicht blind in ein ganz neues Verhältniß stürzen, sondern es der Zeit überlassen, das alte Zutrauen herzustellen, das sich gewiß bald finden wird.

Alfred mißfiel diese Aeußerung. Ich will nicht fürchten, sagte er, daß Sie eine Andere geworden sind, denn Sie waren gut. Ich für mein Theil bin ganz der Alte geblieben und brachte Ihnen und Julian die alte, feste Neigung entgegen. Es wäre traurig, wenn auch er der Zeit bedürfte, den Freund in mir wiederzuerkennen.

Indem trat Julian ins Zimmer und die Herzlichkeit, mit der er Alfred bewillkommte, verscheuchte jeden Zweifel desselben. Die Freunde mußten sich viel zu sagen haben, Therese entfernte sich also unter dem Vorwande häuslicher Geschäfte.

So fanden Julian und Alfred sich nach vieljähriger Trennung zuerst wieder allein, und es konnte kaum eine größere Verschiedenheit geben, als das Aeußere dieser beiden Männer sie darbot. Alfred hatte die edeln, regelmäßigen Züge, die man oft bei den alten Familien des deutschen Adels findet. Eine schöne kräftige Gestalt über Mittelgröße und dunkelblaue Augen bei reichem, dunklem Haar, das mit einem üppigen Bartwuchs sein Gesicht umgab, machten ihn zu einer eben so anziehenden, als schönen Erscheinung. Er sah jung aus, wenngleich leichte Falten auf der Stirne von tiefem Denken und langer geistiger Thätigkeit zeugten.

Julian hingegen war, wie es Therese und Eva bereits gesagt, entschieden häßlich. Sehr groß und mager, trug er sich [42] ein wenig gebückt. Schwarzes, schon mit Grau gemischtes Haar fiel auf eine sehr edle, hohe Stirn herab, unter der große schwarze Augen geistreich hervorblickten, obgleich eine Brille ihr Feuer mäßigte. Starke Backenknochen, eine stumpfe Nase, Lippen, in denen Lavater ein sinnliches Temperament erkannt hätte, gaben ihm etwas von der Physiognomie eines Mulatten, und sein Gesicht trug in stark ausgeprägten Zügen die Spuren eines leidenschaftlichen Charakters und reichen Lebensgenusses. Er sah kalt und oft spöttisch aus, wie ihn Eva geschildert hatte. Alfred fand ihn sehr gealtert, obgleich Julian erst in der Mitte der Vierziger sein konnte.

Nach den ersten herzlichen Begrüßungen fragte Julian: Was führt Dich endlich einmal nach der Residenz und wie lange wird man Dich hier behalten?

Ich denke in Berlin zu bleiben, für jetzt wenigstens.

Mit Frau und Kind? das ist vernünftig.

Mein Felix kommt mir nach, meine Frau nicht, sagte Alfred.

Deine Frau nicht? fragte Julian plötzlich ernst geworden, was soll das bedeuten?

Es bedeutet, antwortete Alfred seufzend, daß ich mich nach langer Ueberlegung und bitterm Kampfe von meiner Frau zu trennen gedenke.

Also doch! sagte Julian. Armer Freund, das wird Dir schwer werden, wie ich Dich kenne. Also doch! – Und immer noch Eifersucht und all die Quälereien, die Dir schon in den ersten Jahren Deiner Ehe Noth gemacht?

Vor Allem die Unmöglichkeit, neben einer Frau zu leben, mit der ich in keiner Beziehung übereinstimme, der mein ganzes Seelenleben fremd bleibt.

Es entstand eine Pause, dann zuckte ein leichtes, mephistophelisches Lächeln um Julian's Lippen und er sagte: Und da [43] kommst Du nun nach Berlin, um Dich hier mit unsern Schönen in dem Strudel der Residenz von dem einsamen Landleben zu erholen? Das ist natürlich und vernünftig.

Du irrst, das ist nicht der Grund. Du weißt, das ist es nicht. Ich kam her, um mir Ruhe zu schaffen vor täglicher Plage, um Menschen zu finden, mit denen ich geistig leben kann, um Herz und Geist an Edlem und Schönem zu erfrischen.

Aber was soll Dir das Kind dabei? fragte Julian; soll das auch erfrischt werden und Menschen finden, Du lieber Phantast?

Es soll dem katholisch-pietistischen Eifer, dem Einfluß der Mutter überhaupt, entzogen werden, antwortete Jener. Das Erste, was mir hier zu thun obliegt, ist, einen Gouverneur und eine Schule für den Knaben zu wählen.

Ich würde den Knaben, der an Einsamkeit gewöhnt ist, nicht gleich einer öffentlichen Anstalt anvertrauen, wendete Julian ein, um von der ersten Unterhaltung abzulenken. Aber ehe Alfred Zeit zur Antwort gewann, erschien ein Diener, der dem Präsidenten ein Billet in buntverziertem Couvert überbrachte. Dieser, der sehr kurzsichtig war, führte es nahe an die Augen und sagte kopfschüttelnd, nachdem er es betrachtet hatte: Immer dieselbe Geschmacklosigkeit! daß sie sich so etwas nicht abgewöhnen lassen!

Dann las er den Inhalt und sagte zum Diener: Es ist gut, machen Sie meine Empfehlung, ich werde kommen.

Der Diener ging hinaus und Julian sprach lächelnd, indem er sich das Rückenkissen zurechtlegte und die ausgestreckten Beine behaglich kreuzte: Das Billet kommt von Sophie Harcourt, einer Französin, mit der ich liirt bin, länger als es sonst zu dauern pflegte. Sie ist hier bei dem Theater angestellt und ich danke es ihr, noch einmal alle Thorheiten früher Jugend in vollem Ernste durchgemacht zu haben. Sie galt [44] für spröde und ich war wie zu zwanzig Jahren, wie ein Jüngling in sie verliebt. Ich schlage Dir vor, Dich zu ihr zu führen.

Und Deine Eifersucht läßt das zu? oder bin ich schon so ungefährlich? fragte Alfred.

Im Gegentheil! sie betet das Genie an und der gefeierte Dichter wird sie in Entzücken versetzen. Aber wir – oder vielmehr ich – ich bin nun über die große Leidenschaft für sie hinweg. Sie ist ewig in Extase und ich bin der großen affectvollen Scenen etwas müde. Das wird aufreibend mit der Zeit und ich sähe es nicht ungern, wenn sie auswärts ein gutes Engagement fände. Ich unternahm meine Reise zum Theil, um sie an eine Trennung von mir zu gewöhnen.

Und was zwingt Dich, wenn dem so ist, gleich heute wieder in die alten Fesseln?

Die Furcht vor ihrer Rücksichtslosigkeit. Sie bildet sich ein, sie liebe mich leidenschaftlich und ich muß es fast glauben. Käme ich nicht, so wäre sie im Stande, mich hier aufzusuchen. Das will ich vermeiden und – die Fesseln sind denn doch so drückend nicht. Ich wollte sie schon noch eine Weile tragen, sie sind mir in der Gewohnheit sogar lieb geworden; aber ich möchte sie in ein ruhiges bequemes Band verwandeln. Nur daß ich täglich von Leidenschaft hören soll, daß sie verzweifelt, wenn sie mich in irgend einer andern Verbindung vermuthet, das ist mir lästig. Du spartest mir in der That eine Menge Vorwürfe über mein langes Ausbleiben, über mein Nichtschreiben, wenn Du mich zu ihr begleiten wolltest.

Alfred lachte laut auf. Julian! aber Julian! rief er, wie bist Du der Alte geblieben, ganz und gar. Dieselbe Eitelkeit, dieselbe Furcht vor peinlichen Erörterungen, wie früher. Ist mir's doch, als wären wir wieder der Assessor Brand und der Lieutenant Reichenbach geworden. Hast Du denn wirklich noch [45] Lust an solchen Theaterintriguen? Fühlst Du Dich noch glücklich in solchen Verbindungen?

Sehr glücklich! antwortete zuversichtlich der Präsident. Es sind die einzigen, bei denen man nicht Gefahr läuft, eine Laune des Herzens durch lebenslängliches Elend abzubüßen. Im solid bürgerlichen Leben verliebt man sich, wird getraut und hat nun eine Frau, die man in tausend Fällen wenig kennt. Die Braut schien ein Engel, denn sie wollte gefallen. Die Frau, deren Loos gesichert ist, findet das nicht mehr der Mühe werth; der Mann, ebenfalls am Ziel seiner Wünsche, läßt sich in gleicher Bequemlichkeit gehen. Nach wenig Monaten leben zwei Menschen, die mit einander leben sollten, nur noch neben einander und vergehen vor Ueberdruß und Gleichgültigkeit. Dies ist das treue Bild einer rechtmäßigen Ehe! schloß er, mit seinem gewohnten spöttischen Lächeln.

Du malst es in Deiner Weise, mit dem Pinsel der Satire! meinte Alfred. Warum schilderst Du grade eine unglückliche Ehe?

Weil es mir im Allgemeinen an Vorbildern für glücklichere fehlt; weil eine Ehe auf gegenseitiges Verstehen, auf geistiges Zusammenleben gegründet, zu den Seltenheiten gehört.

Alfred schwieg und Julian fuhr fort: Weiß eine Frau, daß wir sie jeden Augenblick verlassen können, so denkt sie jeden Augenblick daran, uns zu fesseln, scheint uns immer neu und reizend, und wir lieben die Schöpferin unseres Glückes, die dadurch ebenfalls glücklich wird. Dies ist der natürlichste Erfolg vernünftiger Freiheit. Ich bin in der That gewiß, daß Sophie mich liebt, ich habe nie an ihrer Treue gezweifelt, und sie ist mir, trotz meiner Klagen gegen sie, unendlich werth.

Aber Du sähest es nicht ungern, wenn sie auswärts ein gutes Engagement fände, wie Du mir vorhin gesagt, meinte Alfred. Dies spricht nicht sehr für die Dauer Deiner Liebe, [46] für Deine Hingebung an sie. Wer sichert sie und Dich selbst, daß Du nicht jeder ungünstigen Aufwallung gegen sie nachgibst, daß Du sie nicht morgen verlässest, wenn es Dir angemessen scheint? wenn neue Reize Dich verlocken?

Ihre eigene Liebenswürdigkeit.

Und wenn diese ihre Anziehungskraft für Dich verliert?

Dann werden wir uns trennen, sagte der Präsident sehr ruhig. Aber glaube mir, weil Sophie das fühlt, bleiben wir glücklich und vereint. Wärst Du nicht durch Eide an Caroline gebunden, wüßte sie sich nicht in sicherem Besitz, sie wäre vielleicht eine treffliche Frau geworden und ihr hättet mit einander wie die Engel gelebt.

So wenig Alfred Ursache gehabt hatte, mit seiner Frau zufrieden zu sein, so verletzte es ihn doch, Julian in dieser leichtsinnigen Weise von ihr und seiner Ehe sprechen zu hören.

Du selbst glaubst Deinen Worten nicht, mein Freund! sagte er, denn es liegt Unedles, Unwahres darin. Wer Frauen so hoch zu schätzen vermag, wie Du Deine Mutter geschätzt hast, Deine Schwester schätzest, der kann die Gattin allein nicht zum Gegenstande genußsüchtiger Berechnung erniedrigen, der kann nicht die treue, liebende Gefährtin, die Mutter seiner Kinder zur Buhlerin entwürdigen wollen, die man verstößt, wenn man ihrer müde ist. In dem festen Zusammengehören, in dem Bewußtsein der Dauer, liegen die Heiligkeit, die Schönheit der Ehe, die uns das Leid gemeinsam leichter tragen, Freude doppelt genießen lassen und die vollste, edelste Entwicklung der menschlichen Natur zur Blüthe bringen. Wenn wir die rechte Wahl getroffen, eine Frau gefunden haben....

Und wenn nicht? fiel ihm Julian ins Wort, wenn man die rechte Wahl nicht getroffen hat? Dann bleibt nichts übrig, als Leiden, vor denen man sich sichert durch Ungebundenheit. [47] Das Bewußtsein der Freiheit wiegt in jedem Verhältnisse alles Andere auf; sie ist das höchste, wahrste Glück!

Wirst Du nie anders denken? Wird der genußreiche Wechsel Dich dauernd beglücken? Wirst Du bei Deinem feinen, lebhaften Gefühl, bei Deiner Eifersucht nie nach einem treuen, jungfräulichen Wesen verlangen, deren ganzes Sein in Dir begründet ist? fragte Alfred sehr ernst und fügte hinzu: Ich fürchte, Julian, Du täuschest Dich über Dich selbst und erheuchelst Dir ein Glück, das Du nicht fühlst. Du bist zu stolz, einzuräumen, daß Du es vielleicht gesucht und nicht gefunden hast.

Du irrst! versicherte Julian. Ich habe Alles, was ich wünsche. Eine Stellung, die mir zusagt; Therese, die ein seltenes Mädchen ist, zur treuen, nachsichtigen Gefährtin, eine bequeme Häuslichkeit, eine reizende Geliebte und niemals Langeweile. Mehr werde ich nie verlangen. Ich bin durchaus zufrieden und gönne Andern das ruhige häusliche Glück und die ehelichen Freuden.

Bei Julian's letzten Worten kehrte seine Schwester wieder zu ihnen zurück, gesellte sich zu den Männern und die Unterhaltung wendete sich bald auf die erste Zeit ihrer Bekanntschaft zurück.

Ich erinnere mich noch deutlich des Abends, sagte Julian, da ich Dich einsam schreibend in Deinem Mansardstübchen fand und gegen Deinen Willen Deine Schreiberei durchlas. Für eine poetische Natur hatte ich Dich stets gehalten, und der lyrische Lieutenant war mir oft ergötzlich gewesen, wenn er mitten in den Orgien, denen unser Kreis sich damals überließ, sich hinweg sehnte nach Wald und Flur, nach Ruhe und Stille. Nun ich Deine Verse las, begriff ich Dich plötzlich ganz, ich rief Dir das »Ich hab's gefunden« zu. Ich sagte Dir, Du bist ein [48] Dichter, und ohne mein Dazwischentreten hättest Du vielleicht noch lange Deinen eigentlichen Beruf verkannt.

Ich habe des Augenblickes später selbst oft gedacht, sagte Alfred, und mich gefragt, wann ich wohl eigentlich zu dichten angefangen habe? Ich konnte es aber nie ergründen, denn mein erstes Bewußtwerden mag ziemlich mit dem ersten Dichten zusammen gefallen sein. Wie das Meer seit dem Moment der Schöpfung sich in rastlosem Wechsel bewegt, wie es nicht existirt ohne Bewegung und in seiner Ruhe noch den Himmel mit Sonne, Mond und Sternen widerspiegelt, also auch in der Ruhe noch Bilder des Himmels schafft, so ist es mit der Seele des Dichters. – Ich bin mir jetzt noch schreckhafter Nächte aus meiner ersten Kindheit bewußt, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in denen ich unwillkürlich Das, was ich gehört hatte, weiter fortspann; von Krieg und Erdbeben, von dem Tode Derer, die ich liebte, wachend träumte und es mir mit gräßlicher Genauigkeit ausmalte, weil ich die Grenzen des Wahrscheinlichen von denen des Möglichen nicht zu sondern vermochte. Die schreckhafteste Möglichkeit hielt ich immer für Das, was sich ereignen werde und müsse.

Und ist man früh auf Ihre Anlagen und Ihr Treiben aufmerksam geworden? fragte Therese.

Nein! antwortete Alfred. Die Qualen jener Nächte verschwieg ich, ohne zu wissen, weshalb. Später, als ich anfing, meinen Spielgenossen ganz wunderbare Geschichten zu erzählen, die mir oder meinen Eltern begegnet sein sollten, da wurden die Eltern aufmerksam, schalten mich wegen der Unwahrheiten, die ich erzählt hatte, und drohten mit ernster Strafe, falls ich je wieder auf gleichem Unrecht ertappt werden sollte. Daraus erwuchs mir neue Qual. Ich traute mir selbst nicht mehr. Da ich nicht für wahr ausgeben durfte, was sich an Ideen in mir ausbildete, fing ich auch an, an Dem zu zweifeln, was [49] ich wirklich erlebt hatte. Aus dieser gänzlichen Verwirrung tauchte als unwiderlegliche Wahrheit eine Geschichte in mir auf, in der Napoleon und mein Vater die Hauptrollen spielten.

Und war das eine wirkliche Begebenheit? fragte der Präsident.

Nichts weniger als das, antwortete Alfred. Meine Kindheit fiel in die Zeit nach den Befreiungskriegen, in der die Heldengestalt Napoleon's noch ganz im Vordergrund der Ereignisse stand. Ich hatte sein Bild oft gesehen, mein Vater, ein großer Bewunderer des Kaisers, sprach viel von ihm und war einmal in amtlichen Verhältnissen in der nächsten Umgebung desselben gewesen. Vermuthlich daraus hatte sich in mir eine lange Geschichte gebildet, die ich besonders gern erzählte. Ich behauptete, mich deutlich des Tages zu erinnern, an dem mein Vater in einer gelben Carosse in großem Aufzuge dem Kaiser entgegen gefahren sei, ihm auf rothem Sammetkissen die Schlüssel der Stadt überreicht habe und was daran sich noch fabelhaft und kindisch Erfundenes anreihte. – Diese Erzählung erreichte auch das Ohr meiner Eltern und zog mir, weil es meine großartigste Erfindung war, auch die lang versprochene großartige Strafe in tüchtigen Schlägen zu. Dies war der Lohn und das erste Honorar für mein erstes Heldengedicht.

Der Präsident lachte, Therese aber sagte: Es ist recht schlimm, daß in den Seelen der Kinder all ihre Empfindungen, ihnen selbst unklar, oft so lange verborgen liegen. Wie mich ein krankes Kind immer noch mehr rührt, als ein Erwachsener in gleicher Lage, weil es bei zarterer Constitution tiefer leiden mag, als Jener, und nicht sein Leid zu klagen vermag, so jammern mich Kinder mit reichem Seelenleben doppelt, denn sie müssen davon gepeinigt werden. Wenn man es nur verstände, sie zu errathen, ihnen zu Hilfe zu kommen, man würde vielleicht manche große Anlage entdecken, die jetzt verloren geht.

[50] Dies ist eine recht haushälterische Sorge, liebe Therese! neckte sie der Bruder, es soll nichts umkommen, nichts verschwendet werden. Aber sei nur unbesorgt, die Natur selbst ist die beste Haushälterin. Allem von ihr Geschaffenen wohnt die Fähigkeit und der Trieb ein, alle Hindernisse zu überwinden, alle Bande zu sprengen und durch tiefe Nacht zum rechten Lichte zu dringen. Ein Talent, eine Anlage, die durch Verhältnisse unterdrückt werden, verdienen kein Gedeihen. Dagegen ist es in der Natur des Genius, daß er immer und überall Sieger ist.

Das glaube ich auch, bekräftigte Alfred. Es ist gar nicht nöthig, den Menschen in dieser Beziehung beizustehen, es ist mit ihnen grade wie mit den Pflanzen. Wollen Sie eine Hyazinthe früh zur Blüthe bringen, setzen Sie dieselbe beständig in das beste Licht, in die behaglichste Wärme, so wird allerdings eine frühere Blüthe Ihnen die Pflege lohnen, aber sie wird oft schwächer und vergänglicher sein, als die, welche unter Nachtfrost und Schnee sich langsam, reif und kräftig, ohne andern Beistand als den eignen Trieb, aus dunkler Erde ans Licht hervorringt. Daß meine Eltern die Eiseskälte der Zweifel und einen kleinen Hagel von Schlägen über mich ausgeschüttet, hat mir gewiß nicht geschadet.

Indeß war es spät geworden, Alfred erhob sich und schickte sich an, die Freunde zu verlassen, aber Therese und der Präsident baten ihn, den Mittag mit ihnen einzunehmen, und Alfred ließ sich willig dazu finden.

In einem mäßig großen, von Bäumen beschatteten Zimmer war der kleine Tisch für drei Personen gedeckt, mit Vasen voll frischer Blumen und einem schönen silbernen Korbe geziert, in dem feines Obst so trefflich geordnet war, daß es zu einem Schmuck der Tafel wurde. Alfred äußerte sein Wohlgefallen daran, man nahm Platz und Julian sagte, während die ersten [51] Speisen aufgetragen wurden, zu Alfred: Du empfindest lebhaft für das Schöne, Du besingst es auf die würdigste Weise, wo es Dir begegnet, nur für Eine Richtung geht Dir der Sinn ab und das ist ein großer Mangel. Ich glaube, Du hast keinen Sinn für die rechte Bequemlichkeit, für materielles Wohlsein.

Du irrst! antwortete Alfred. Ich empfinde Unbequemes lebhaft und störend.

Das glaube ich schon, denn Du müßtest kein Mensch sein, wenn Du es nicht empfändest, sagte der Präsident. Aber vom Empfinden des Unbequemen bis zum tiefen, bewußten Genießen sinnlichen Wohlseins ist eine große Entfernung. In dieser Kunst, denn eine Kunst ist es, sollten die Alten unsere Lehrer sein.

Es sieht aus, als ob Du schon nicht geringe Studien darin gemacht hättest, meinte Alfred, und ich finde, daß Deine Schwester Deinen desfallsigen Bestrebungen sehr umsichtig entgegenkommt.

So ist es, bestätigte Julian. Ich bilde mir viel darauf ein, mit Verstand an dies Geschäft zu gehen. Es ist mir heiliger Ernst, ein Theil meiner Poesie – ein Theil meiner Religion sogar.

Der Religion, Julian! wendete Therese tadelnd ein, die möchte mit Essen und Trinken schwerlich etwas gemein haben.

Doch, liebe Schwester! Wie willst Du, daß sich der Mensch vortheilhafter von dem Thiere unterscheide, wie willst Du, daß er besser danke für das Geschaffensein und für Das, was für ihn geschaffen ist, als indem er es so selbstbewußt, so vollkommen genießt, als es ihm möglich ist. Die Griechen, die einer reinen Gottanbetung viel näher waren, als wir, bekränzten Haupt und Becher mit Rosen und opferten Libationen, wenn sie an das hohe Geschäft gingen, die nothwendige Nahrung zu sich zu nehmen. Selbst in den Klöstern ließ man dem Körper [52] noch sein Recht widerfahren. Man legte sich Bußen, Fasten auf, man geißelte sich, um nachher das Essen desto schmackhafter zu finden, um die mangelnde Bewegung zu ersetzen, und die Tafeln waren mit höchster Sorgfalt behandelt. Luther, ein an Körper und Geist durchweg gesunder Mensch, pries begeistert Wein, Weiber und Gesang, und liebte eine gute Mahlzeit. Ueberall, wo poetischer oder nur gesunder Sinn war, schätzte man materiellen Genuß. Erst der spätern, am Schreibtisch verkümmerten, kranken Zeit, erst den protestantischen Gelehrten mit schwacher Verdauung, den schwindsüchtigen Pietisten gelang es, das Essen als ein niedriges Bedürfniß darzustellen; erst sie sind thöricht genug gewesen, die gesunde Sinnlichkeit ihrer angebornen Poesie zu entkleiden, dem Körper sein Recht entziehen zu wollen.

Dafür stehen denn auch in unsern Tagen solche wackere Kämpfer auf als Du, Julian! sagte Alfred. Du solltest der Stifter eines neuen Cultus werden.

Und wer sagt Dir, daß ich es nicht möchte, wenn die Zeit reif dafür wäre? fragte Julian. Wäre es denn nicht ganz poetisch, wenn man, von sinnlichem Genießen ausgehend, endlich zu einer tiefgefühlten Anbetung des Schaffenden, zu einer erhabenen Anschauung alles Erschaffenen gelangte? Wäre es nicht schön, wenn jeder Einzelne den Weg ginge, den das Menschengeschlecht ursprünglich verfolgte, um zur Gotterkenntniß zu gelangen? Uns sagt man: Gott hat die Welt für uns erschaffen, danke ihm dafür! Aber man hindert uns, seine Gaben zu genießen, man sagt uns, das sei sogar sündhaft. Die Heiden genossen in vollen Zügen, und dann in der Freude des höchsten Genusses fand sich das Danken von selbst. – Ich bitte Dich, mein Freund, das überlege, das besinge einmal und Du sollst mir der König der Dichter heißen.

Seine Zuhörer lachten und freuten sich sein, denn der [53] Präsident besaß wirklich ein besonderes Talent, den Materialismus, dem er huldigte, zu veredeln. Man mußte ihn sehen, wie er sich zur Tafel setzte, sich das Haar von der Stirn strich, als wolle er zugleich jeden unangenehmen Gedanken verbannen; wie er die Brille zurechtrückte, die Serviette entfaltete und dann prüfend und genießend das Mahl einnahm, um seine Behauptungen gerechtfertigt zu finden.

Aber hast Du denn ein wirkliches Vergnügen vom Essen und Trinken? fragte Alfred. Sobald ich das Bedürfniß danach befriedigt habe, hört für mich der Genuß auf, es wird mir sogar lästig.

Das Erstere, antwortete der Präsident, war eine ziemlich sonderbare Frage, lieber Freund! Freilich habe ich eigentliches Vergnügen daran und was die Uebersättigung betrifft, so kommt die nur davon her, daß man es als ein Sattmachen, als eine thierische Fütterung betreibt. Wer, wie ein ordinairer Mensch, nahrhafte, sättigende Kost ißt, der wird schläfrig nach dem Essen, der wird fett und setzt sich einem Schlagfluß aus. Anders Derjenige, der die Mahlzeit künstlerisch behandelt, wie etwa ein Virtuose sein Concert. Dieser wird Dich, wenn er sein Fach versteht, nicht mit großen Concertstücken, in wilder Hast auf einander gehäuft, belästigen. Er wird Dir abwechselnd Ernstes und Heiteres, Schweres und Leichtes bieten, damit jeder Deiner Neigungen harmonisch begegnet werde. Dasselbe verständige Maß verlange ich von der Hausfrau, die eine Mahlzeit anordnet. Licht, Wärme, Wohlgerüche, Blumen und Geräthe in gehörigem Verhältniß', damit alle Sinne beschäftigt, keiner vorzugsweise erregt werde, und vor Allem Das, um was schon Faust den Mephisto anging, als er fast Unerreichbares forderte: »Speise die nicht sättigt.« Wer so lebt, kann lange leben und genießen. Er wird nie träge, nie stark werden und [54] nie den Schlagfluß, sondern höchstens das Podagra zu fürchten haben, das denn doch immer ein aristokratisches Leiden ist.

Gleichsam als bereue er die Anstrengung, welche ihm die Auseinandersetzung verursacht hatte, lehnte sich der Präsident in den Sessel zurück und Alfred sagte: Du bist freilich schon von Jugend an durch die ganz eigenthümliche Zierlichkeit Deiner Mutter und Deiner Schwester an die geschmackvollste Häuslichkeit gewöhnt worden! Ich habe daran oft gedacht!

Vermuthlich, weil Ihre Frau denselben Sinn für das Schöne hat, als wir! meinte Therese.

Nein, weil er ihr fehlt! sagte Alfred. Aber er erschrak vor seiner unwillkürlichen Aeußerung und meinte dann ablenkend, da Therese ihn betroffen anblickte, ihre große Sorgfalt für Julian's Tafelgenüsse sei um so lobenswerther, als Frauen an denselben gewöhnlich keine Lust zu haben pflegten.

Da irrst Du abermals, widerlegte ihn der Präsident. Meine Schwester hat allerdings den Fehler, gleichgültig dagegen zu sein, aber unsere kleine Freundin Eva ist es zum Beispiel ganz und gar nicht. Sie bedarf sehr wenig, um ihren Hunger zu stillen, sie ist aber so begehrlich nach Leckerbissen und Näschereien, weiß sie so niedlich zu verzehren, daß sie dadurch einen neuen Reiz für mich gewinnt.

Sie ist auch darin ein wahres Kind, wendete Therese ein; doch ist das in meinen Augen keine von ihren guten Eigenschaften, deren sie gar manche hat. Finden Sie Eva nicht sehr schön, Herr von Reichenbach, und sehr anmuthig?

Wenn ich die Wahrheit sagen darf, nein. Sie ist schon zu klein und zu unruhig, um mir schön und anmuthig zu erscheinen. Ich kenne sie freilich erst seit gestern, aber ich halte sie für eine kleine Kokette, die Kindlichkeit vorschützt, um ihren Launen Duldung zu verschaffen.

O, das ist schlecht von Ihnen, Herr von Reichenbach! [55] schalt ihn Therese. Unsere Freundin Eva ist in der That ganz so kindlich und kindisch, als sie erscheint. Sie war das einzige Kind sehr reicher Eltern, die sie in jedem Sinn verwöhnten. Der Vater starb, die Mutter verheirathete Eva, das fünfzehnjährige Mädchen, mit dem Major von Barnfeld, einem Freunde ihres verstorbenen Mannes, und man zog auf das väterliche Gut, um dort zu leben.

Das Uebrige, sagte der Präsident, da Therese innehielt, folgt nun von selbst. Mutter und Gatte verhätschelten die kleine Frau nun vollends um die Wette, und Beide unterdrückten alle Selbstständigkeit in ihr. Zwischen Kornblumenkränzen, Nachbarstöchtern, Voß' Idyllen, Landjunkern und andern unschädlichen Dingen wuchs sie auf; lachend, wo sich Anlaß dazu bot, froh, verheirathet zu sein, weil sie nichts mehr zu lernen brauchte, was ihr von jeher verhaßt war, und sie hat denn auch gar nichts gelernt.

Julian, das dürftest Du am wenigsten sagen, der Du sie in ihrer Unwissenheit so reizend findest! bemerkte ihm die Schwester.

Mache ich ihr denn jetzt einen Vorwurf daraus? fragte der Präsident. Ihre unglaubliche Unwissenheit ist für mich ihr schönstes Lob in einer Zeit, in der es lauter gebildete, geniale Frauen gibt, zur tödtlichen Plage für den Mann. Eva hat die seltensten Eigenschaften. Sie ist hübsch, gutmüthig, reich und gar nicht geistreich, also leicht zu beherrschen. Sie ist eitel, kindisch und naschhaft, also bequem und leicht zu erfreuen. Solch eine Frau ist ein Phönix in unsern Tagen.

Seit wann lebt sie denn in Berlin? fragte Alfred.

Noch nicht lange, erst seit dem Tode ihrer Mutter, antwortete Therese. Herr von Barnfeld starb, als Eva achtzehn Jahre alt war. Die Mutter verkaufte die Besitzungen und zog mit Eva in die nächste Stadt, und die kleine junge Wittwe sah [56] sich so von allen Männern umschwärmt, daß sie wohl ein wenig übermüthig geworden sein mag. In Zerstreuungen und Huldigungen jeder Art lebte sie fröhlich fort, bis vor sechs Monaten ihre Mutter starb. Seitdem wohnt sie, nach dem Wunsch der Verstorbenen, in unserer Nähe und Julian ist zu ihrem Vormunde ernannt. Sie ist uns sehr lieb geworden und wird auch Ihnen gefallen, wenn Sie hinter dem flüchtigen Wesen einen tüchtigen Verstand und das offenste Herz entdecken werden.

Unter diesen und andern Gesprächen verging die Zeit während der Mahlzeit schnell, man stand auf und der Präsident fragte seine Schwester, welche Entwürfe sie für den Abend gemacht habe?

Ich habe noch Einiges im Hause zu schaffen, sagte Therese, um erst wieder in die gewohnte Ordnung zu kommen. Ist das beendet, dann will ich ganz still ausruhen.

So wirst Du mich nicht vermissen, falls ich vielleicht später nach Hause komme. Ich werde mit Reichenbach den Abend zubringen.

Darauf trennte man sich, nachdem Alfred auf Julian's wiederholte Anfrage es abgelehnt hatte, ihn zu begleiten, weil er noch für einige Stunden Geschäfte habe, die er abzumachen wünschte.

Therese ging nach der Entfernung der Beiden an ihre Arbeiten, aber unaufhörlich dachte sie dabei an Alfred's Worte: Nein! weil er ihr fehlt! – Ob Alfred's Ehe nicht glücklich ist? fragte sie sich und wünschte den Morgen herbei, um von dem Bruder Auskunft über diese Angelegenheit zu erhalten, die sie lebhaft beschäftigte.

[57]
6
VI

Abends um die neunte Stunde ging der Präsident in ein stattliches Haus der .... Straße, stieg zwei Treppen hinauf, öffnete mit einem Schlüssel, den er mit sich hatte, einen geschlossenen Corridor und trat bald darauf, ohne anzuklopfen, in ein kostbar eingerichtetes Zimmer.

Ein junger Mann in altfranzösischer Tracht stand am Fenster und sah auf die Straße hinaus. Bei Julian's Eintritt wendete Jener sich plötzlich um und stürzte mit einem Jubelruf ihm entgegen und in seine Arme.

Es war Sophie Harcourt, die den Geliebten empfing. Er war zu ihr gekommen, mit dem festen Vorsatz, ihr ernste Vorwürfe zu machen, weil sie gleich am Morgen seiner Ankunft von derselben unterrichtet gewesen, also nach ihm gefragt, ihn ausgespäht haben mußte. Jetzt, als er sie sah, dachte er nicht mehr daran, sondern zog sie mit sich auf das Sopha und fragte: Hast Du doch spielen müssen heute Abend? Du bist ja im Costüme.

Ich erwartete Dich schon lange, antwortete sie, und um nicht zu empfinden, wie lange, probirte ich das Costüm an, in dem ich in der nächsten Woche auftreten will.

Kokette! sagte scheltend Julian, während er sie auf seine Knie nahm und ihre feine Hand, die aus den breiten Spitzenmanschetten zierlich hervorsah, auf seine Augen drückte. Kokette! Du wußtest wohl, wie reizend Du bist in dieser Männertracht, [58] in der ich Dich zuerst sah. Du wußtest, daß ich Dir Vorwürfe machen würde, und wolltest mich bestechen. Aber ich sehe Dich nicht an! mit Deinen eigenen Händen halte ich mir die Augen zu.

Glücklicherweise ist der Mund frei! rief sie, indem sie einen Kuß auf Julian's Lippen drückte, den er mit vielen andern erwiderte. Dann machte sie sich los und sagte: Du zerdrückst mir den schönen Sammetrock und hast doch noch gar nicht gesehen, wie er mich kleidet, so roh und wild bist Du gleich mit Deiner Zärtlichkeit über mich hergefallen. Sieh mich an, mein Freund, wie gefalle ich Dir?

Sie fing nun an im Zimmer umherzugehen, sich in mancherlei Stellungen bald vor dem Spiegel, bald vor Julian zu bewegen, und man konnte in der That kaum höhern Liebreiz finden. Sie war groß, schlank und kräftig gebaut, ohne große Fülle zu haben. Die Männerkleidung stand ihr vortrefflich und die schwarzen Augen sahen blitzend und zärtlich unter der gepuderten Perrücke hervor. Der Präsident betrachtete sie mit Entzücken. Dessen war sie sich deutlich bewußt, und auf ihren Reiz vertrauend, warf sie den kleinen Stahldegen, mit dem sie Fechtübungen gemacht hatte, von sich, setzte sich dicht neben den Geliebten, schmiegte sich an ihn und fragte: Julian! Warum hast Du mir nicht ein einziges Mal geschrieben? Warum hast Du mich nicht wissen lassen, wann Du wiederkommen würdest? Ich habe vor Ungeduld fast täglich in Dein Haus geschickt.

Diese Frage erinnerte den Präsidenten, daß er sich über seine schöne Freundin zu beklagen habe, und die Gelegenheit benutzend, sagte er: Weil ich die Absicht hatte, gar nicht wiederzukommen, weil Dein Spioniren und Nachfragen mir unerträglich ist. Gleich heute wieder! Wie oft habe ich Dir verboten, Deinen Diener zu mir zu schicken, wie oft Dir gesagt: schreibe nicht auf dem närrischen, bunten Papier, das auf zehn Schritte ein [59] billet doux verräth! Nun thust Du gleich das Alles auf einmal. Erspähst, natürlich durch Bestechung meiner Leute, wann ich zurückkehre, schickst den baumhohen Diener in mein Haus und schreibst auf bunt bemaltem Papier, damit vom Kutscher bis zur Küchenmagd Jeder errathen kann, von wem die Botschaft kommt. Du bist unerträglich indiscret. – Nimm die Perrücke ab, der Puderstaub belästigt mich.

Sie that augenblicklich, wie er verlangte, und sagte dann: Indiscret nennst Du mich, wenn ich vor Sehnsucht nach Dir vergehe? wenn ich den Augenblick nicht erwarten kann, in dem Du wieder bei mir bist? Du weißt es: wie ich Dich liebe, habe ich keinen Andern je geliebt.

Eine schöne Liebe, die Vergleiche mit früheren anzustellen hat, warf Julian spottend hin.

Da trat Sophie dicht vor ihn hin und sagte: Julian! ich schwöre nicht, denn Du würdest sagen: wer glaubt dem Schwur einer Schauspielerin? Ich mache mich nicht besser, als ich bin. Ich habe es Dir nicht verborgen, als Du mit glühendem Verlangen um mich warbst, daß Du nicht der Erste bist, dem ich und meine Liebe gehörten.

Und ich werde nicht der Letzte sein! rief Julian bitter, das bedarf keines Schwures, ich glaube es.

Nun denn, auch das kann sein! – Ich fühle es, Du willst mir wehe thun, mich verlassen, Du suchst Streit. Vielleicht werde ich nicht ewig trauern, vielleicht äußerlich bald getröstet scheinen, denn ich bin jung und das Leben ist schön; aber ich werde lange, immerfort leiden um Dich, tief im Herzen, denn so wahr Gott über uns lebt, Julian, ich liebe Dich sehr!

Thorheit! schalt der Präsident. Du willst heute das Maß voll machen, mich nun noch mit Scenen plagen, die mir verhaßt sind. Wollte ich mich quälen lassen, ich hätte mich längst verheirathet.

[60] Als sie diese Worte hörte, brach Sophie plötzlich in das lauteste Gelächter aus, nahm seinen Kopf in ihre Hände, küßte ihn auf die Stirne und rief: Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute von Dir höre. Du hast Recht, eine gute wackere Frau muß eine entsetzliche Qual sein. Ewig tugendhaft, also ohne Nachsicht; im Gefühl des Besitzes ruhig, also nicht ein bischen eroberungssüchtig. Wenn ich ein Mann wäre, ich heirathete gewiß nicht.

Das ist erhabene Weisheit aus Deinem Munde, sagte der Präsident, der noch immer den Beleidigten spielte. Und was thätest Du denn? Nicht wahr, Du liebtest eine Schauspielerin?

Ich sehe nicht ein, warum nicht? Oder glaubst Du, eine Schauspielerin sei oft nicht besser, als Eure Tugendheldinnen aus der stillen Häuslichkeit? O! es ist schon bequem, zwischen Vater und Mutter aufzuwachsen, behütet vor jedem Gedanken, der den Unschuldshauch von den Seraphsschwingen abwischen könnte. Es mag recht hübsch sein, aus den Armen der Eltern in die des Gatten überzugehen und in ihm auch wieder den Schutz zu finden, dessen man bedarf, um tugendhaft zu bleiben. Das heißt tugendhaft vor dem Gericht der Welt, trotz der heimlichen Untreue im Herzen, die oft nicht fehlt.

Du schwärmst, Mädchen! sagte Julian.

Aber Sophie achtete die Unterbrechung nicht. Ja! fuhr sie heftig fort, ich verachte Eure scheinheilige Tugend, Eure gute Gesellschaft. Ich bin mir mit Stolz des Tadels bewußt, den die andern Frauen auf mich werfen. Ich bin Schauspielerin, ich bin Deine Geliebte! Ja! – Aber ich bin's mit voller Hingebung, so lange ich es bin. Ich bin nur Dein in Deinen Armen. Bis in die Ewigkeit reicht mein Gedanke nicht hinüber. Es gibt keine Ewigkeit für Liebeslust, es braucht ja auch keine zu geben, wo ein Augenblick für Jahrhunderte Genuß gewährt.

Sophie, Sophie! rief der Präsident, der hingerissen ward [61] von der unwiderstehlichen Anmuth der Künstlerin, die Männerkleider machen Dich verwegen. Kleide Dich um und werde Weib, Sophie!

Weshalb? fragte sie, bist Du besorgt, ich wolle Dich besiegen, gegen Deinen Willen? Du willst gar nicht widerstehen, Du kannst nicht von mir lassen, Du kehrst ja dennoch wieder, sagte sie schmeichelnd. Es liegt nicht im Gewande; hier tief in der Brust, in meiner und Deiner, steckt der Zauber; die Liebe hält Dich fest.

Indeß zog sie den dunklen Sammetrock ab und stand nun in den Sammetescarpins, weißseidnen Strümpfen und einer Weste von Goldbrokat vor ihm, die genau Taille und Hüften bezeichnete, fast bis an das runde Knie hinabreichte und ihren wundervollen Wuchs noch mehr hervorhob. Der Präsident sprang auf und wollte sie umfassen, sie lief aber blitzschnell in das Nebenzimmer, das sie hinter sich zuschloß, und rief: O, ich kann auch tugendhaft sein, mein Herr Präsident!

Julian wußte, daß man sie gewähren lassen müsse, und setzte sich nieder. Bald wollte er sie erwarten, bald sie verlassen. Sie war ihm noch interessant, sie fesselte ihn durch die Gewalt ihrer Reize, aber Alfred's Vermuthung war nicht ungegründet, die Verbindung mit Sophie füllte die Seele Julian's nicht aus, sie befriedigte ihn nicht mehr ganz. Ohne daß er es sich selbst gestand, fing er an, sich nach Ruhe, nach festbegründeter Häuslichkeit zu sehnen. Er dachte bisweilen daran, sich zu verheirathen, aber sein Verhältniß zu Sophien war allgemein bekannt und man hielt es für bindend. Das war ihm doppelt unbequem in seiner Stellung. Er war zu ihr gekommen, sie auf eine mögliche Trennung vorzubereiten, er dachte wohl noch daran, wie aber sollte er dem reizenden Weibe wehe thun, das ihn so innig liebte? Wie konnte er in dieser Stunde ihr gegenüber kalt bleiben? Er hatte am Morgen verächtlich von [62] dem ruhigen Glück der Ehe gesprochen, jetzt peinigte ihn Sophiens Ringen um seine Liebe, die sie zu verlieren fürchtete.

Nach wenig Minuten schon kehrte sie wieder zu ihm zurück. Sie hatte ein seidenes Gewand übergeworfen, das nur mit einer Schnur um die Taille befestigt war und Hals und Nacken frei ließ. Das Haar war ungeflochten mit einem Kamme aufgenestelt. In der Hand trug sie ein Kistchen mit Cigarren. Sie war eine ganz Andere geworden.

Ruhig setzte sie sich an der Seite ihres Freundes nieder und sagte: Nun ist's des tollen Spiels genug, wir wollen vernünftig sein. Nimmst Du keine Cigarre, lieber Julian?

Der Präsident nahm sie schweigend an, sie reichte ihm Feuerzeug, hing einen Ueberwurf über die Lampe, wie er es liebte, und schickte sich an, ihm den Thee zu bereiten, den man indeß hereingebracht hatte. Das Alles geschah so ruhig und anspruchslos, so dienstbeflissen, daß es wohlthuend sein mußte.

Es war ganz stille im Zimmer, man hörte nur das Summen des Samovar. Der Präsident hatte Tagesblätter vorgefunden, die er durchflog, Sophie störte ihn nicht. Sie lag ruhig in der Sophaecke und betrachtete den Geliebten. Ihre Hingebung machte ihn weich, aber er ließ es sie nicht merken; er war in einer jener gereizten Stimmungen, in denen man eine Lust daran findet, Diejenigen zu quälen, die man liebt. Er ließ es geschehen, daß Sophie ihm Alles zubereitete, ihm den Thee einschenkte, wie er es gern hatte, doch er dankte ihr nicht dafür und las ruhig weiter fort.

Endlich unterbrach Sophie die Stille. Sie lehnte sich an den Präsidenten und fragte demüthig: Julian! könnte eine Hausfrau Dir es besser machen?

Ja! antwortete er kalt, sie machte es eben so und absichtslos. Du stellst dar, wie immer, Du willst gefallen.

Eine Thräne des Zornes trat in das flammende Auge [63] der Schauspielerin, aber sie zerdrückte sie schnell und rief: Gefallen? Doch nur Dir will ich gefallen, Julian, nur Dir! Ist das ein Unrecht? – Sie war jetzt vor den Präsidenten hingekniet, der, als draußen die eilfte Stunde schlug, sich zum Fortgehen erheben wollte.

Sophie, indem sie vor ihm kniete, hielt ihn davon zurück. Ist es ein Unrecht, fragte sie nochmals, daß ich Alles, was ich vermag, anwende, um Dir zu gefallen? Kann ich dafür, daß ich verwaist aufwuchs, daß ich die Bühne betrat, auf die mein Talent mich hinwies? Wer von den Frauen, die sich ihrer Tugend rühmen und mich mit Verachtung eine Buhlerin nennen, hat wie ich zu sechzehn Jahren dagestanden, verwaist, arm, schön genug, um Liebe zu erwecken, und umgeben von der männlichen, glänzenden Jugend in Paris?

Julian sah sie milder an und strich sinnend mit der Hand über ihren Scheitel. Dabei glitt der Kamm heraus und das üppige Haar fiel wie ein dichter, schwarzer Schleier auf sie herab. Sie umfaßte den Präsidenten mit beiden Armen, sah ihm zärtlich in die Augen und fragte: Oder ist das mein Verbrechen, daß ich Dich liebe? Daß ich Dich festhalten will, daß ich Dein bleiben will um jeden Preis?

Da konnte Julian nicht länger widerstehen, nicht länger sich mäßigen. Mit heftigster Leidenschaft zog er das reizende Weib zu sich empor und sank an ihre Brust. Ihr Haupt ruhte auf seiner Schulter und leise bittend fragte sie: Und Du verläßt mich nicht? Du bleibst mein?

Kannst Du noch fragen?

Und Du liebst mich wieder? lispelte sie.

Mehr als alle tugendhaften Weiber der Welt! antwortete er und schloß sie fest an sich, sie mit seinen heißen Küssen bedeckend.

[64]
7
VII

Während der Präsident bei Sophien war, saß Alfred einsam in seinem großen Hause. So allein hatte er auch darin gelebt, bald nachdem es ihm mit der Erbschaft zugefallen war. Er erinnerte sich des Tages, an dem er von dem palastähnlichen Gebäude Besitz genommen, und eines andern bald darauf, an dem er Julian mit Mutter und Schwester in demselben zum Frühstück bewirthet hatte. Damals hatte Therese viel mehr zu werden versprochen, als sie jetzt zu sein schien. Er fand sie freundlich und verständig, aber fast matronenhaft ernst; vornehm in der Form, wenngleich in anderm Sinne gewöhnlich. Das verstimmte ihn, ohne daß er selbst es wußte.

Dazu kam ein unbehagliches Gefühl anderer Art. Bei der eiligen Abreise hatte er nur die Dinge einpacken lassen, deren er am nöthigsten zu bedürfen geglaubt. Jetzt fehlte ihm Vieles, an das er gewöhnt war; nichts fand sich, wie er es wünschte.

Mißmuthig und zerstreut, ging er an den Schreibtisch, um die mitgebrachten Papiere zu ordnen, und zog mechanisch eine der Schubladen um die andere heraus. Die Mehrzahl derselben stand leer, in der einen lagen beschriebene Blätter; sie waren mit einem verblichenen Bande zusammengebunden. Er erkannte sie gleich wieder. Als er mit Julian an die Herausgabe seiner ersten Gedichte gegangen war, hatten sie diese Blätter ausgesondert, die sich weniger für den Druck zu eignen [65] geschienen hatten. Das verblichene Band, das sie zusammenhielt, hatte Carolinen gehört.

Er las die Papiere durch. Es waren Klagen über die Trennung von der Geliebten und Liebeslieder mancher Art. Sie kamen ihm jetzt viel besser vor als früher. Jetzt lag jene Zeit mit ihrer jugendlichen Schwärmerei abgeschlossen, beendet vor ihm da. Er urtheilte über sie, als über eine geschichtliche Thatsache, eine Durchgangsepoche, die ihr volles Recht in Anspruch nehmen durfte; und wie er sich damals des weichen Liebelebens fast geschämt hatte, so freute es ihn jetzt, daß er einst dieses vollen, hingebenden Gefühles fähig gewesen war.

Es lag für ihn ein wehmüthiger Reiz darin, sein eigenes vergangenes Leben prüfend zu betrachten; denn so lange man von der Gegenwart beherrscht wird, kommt man zu keinem Urtheil über sich selbst. Der Tag macht sein Recht geltend, wir nehmen Partei für die Wünsche, die uns bewegen. Nur wenn wir gleichgültig gegen Etwas geworden sind, beurtheilen wir es unparteiisch. Da ist denn nichts so gut, nichts so schlimm geworden, als wir es gehofft oder gefürchtet hatten, was uns stürmisch bewegt, ist vollendet, ohne unsere Erwartungen befriedigt zu haben; was wir mit Angst herannahen gesehen, hat uns gefördert. Das Leben erscheint wie eine künstlerisch angelegte Dichtung. Wenn wir die Wirrnisse sich entwickeln und lösen gesehen, gewinnen wir Zutrauen zu dem schöpferischen Geist, der über und in uns waltet, und erwarten ruhig das Ende der Erscheinungen.

Alfred konnte mit ruhigem Gewissen auf sein Leben zurückblicken, mit Freude auf einzelne Punkte desselben. Er konnte sich nicht freisprechen von mancher Schwäche, manchem Irrthum, aber er hatte stets nach dem Besten gestrebt, es auf jede Weise zu fördern gesucht. Nichts hatte zu seinem Glücke gefehlt, als eine glückliche Ehe. Wie Julian in stets wechselnden Verhältnissen [66] Genuß zu finden, hatte nie in seiner Art gelegen, sie hätten ihm keine innere Befriedigung gewährt. Er verlangte nach dauernder, voller Liebe, nach tiefem, gegenseitigem Verständniß, nach einer Ehe in ihrer idealsten Bedeutung.

Er konnte es sich nicht verbergen, daß ihm einst die achtzehnjährige Therese in seiner Jugend eine lebhafte Neigung eingeflößt, daß er ihrer im Gegensatz zu seiner Frau gedacht hatte, als seine Ehe eine so unglückliche Wendung genommen hatte. Daß er nun auch diese Therese nur als eine gewöhnliche Frau wiedersah, machte ihn nachsichtiger gegen Caroline.

Hier, in diesem Zimmer hatte er mit seiner Frau gelebt, hatte Felix gespielt. Oft hatten die jungen Gatten es sich ausgemalt, wie hier in dem großen Gebäude Raum sein werde für sie, für den verheiratheten Sohn und für blühende Enkel, wenn sie selbst an den Grenzen des Lebens stehen würden, denn die Jugend liebt es nur zu sehr, im Gefühl ihrer Kraft, der Zeit zu gedenken, in der sie ihr fehlen wird, und ist doch so voll Lebenslust, daß ihr die Gegenwart allein nicht genügt, daß sie das Glück der vergangenen und kommenden Lebensalter in fröhlicher Erinnerung und in ahnendem Vorgenusse auf einmal empfinden will.

Jetzt, von Caroline getrennt, fühlte er mehr als je, wie eng das Leben der Gatten ineinander verschlungen sei, wie Felix ein festes, heiliges Band zwischen ihnen bilde. Caroline schien ihm weniger Unrecht zu haben, da er augenblicklich nicht mehr von ihr verletzt ward, und in der mildesten Stimmung setzte er sich nieder, ihr zu schreiben, als er einen Brief von ihr vorfand, der am Abend angekommen war. Der Diener hatte ihn auf den Schreibtisch gelegt, er war unter andere Papiere gerathen und Alfred bemerkte ihn erst jetzt. Er lautete also:

»Lieber Alfred! Ich habe die ganze Nacht wachend und in Thränen zugebracht, habe Alles überlegt und kann Dein [67] gestriges Betragen gegen mich weder entschuldigen noch begreifen. Ich bin mir bewußt, keine meiner Pflichten gegen Dich verletzt zu haben, ich habe kein anderes Interesse, als Dein Wohl und das Wohl von unserm Felix! Das weißt Du selbst.

Unser letzter Streit ist wegen der Unterstützung entstanden, die ich dem Kloster ohne Deine Erlaubniß zukommen ließ; aber fragst Du mich denn um Rath, wenn Du Wohlthaten ertheilst auf Deine Weise? Was heißt denn die Unabhängigkeit einer Frau, wenn ich Dich erst um Alles befragen soll? wenn Du außer Dir geräthst, sobald ich einmal selbstständig handle? – Und wegen Ruhberg kann und werde ich nicht nachgeben. Du hast und kannst gegen Ruhberg nichts haben, der ein edler, guter Mensch, ein treuer Seelsorger ist und den alle Welt achtet. Dich verdrißt es, daß ich überhaupt zur Beichte gehe, daß ich nicht wie Du, in stolzer Ueberhebung mir selbst genug bin und dadurch Gott verleugne. Dies kann und werde ich nie thun, und werde auch bis zum letzten Athemzuge Mutterpflicht an Felix erfüllen und wenigstens ihn vor Deiner Freigeisterei zu bewahren suchen. Lehre Du ihn, was Du willst; Gott fürchten und fromm sein, soll er von mir lernen. Gib mir nur darin nach und wir werden uns besser vertragen, denn daß Du jenen kleinen Streit so schwer nimmst, das ist sehr unrecht von Dir und nicht meine Schuld.

Mein Gott! wenn man in der Ehe jedes Wort auf die Goldwage legen, wenn man sich vor seinem Manne, wie vor einem Fremden, beherrschen soll, was wäre da das eheliche Vertrauen? Deine Dichterseele reißt Dich hin, Alfred, in der Ehe einen ewigen poetischen Brautstand zu suchen; laß mich die Vernünftigere, die Ruhigere sein und Dir sagen, daß das in der Prosa des Alltagslebens nicht bestehen kann. Man hat im täglichen Leben so viel Verdruß, daß man nicht immer in guter Laune sein kann, daß man einmal ein hartes Wort sagt; aber [68] gerade Deine Weise ist von der Art, eine ruhige, verständige Frau verdrießlich und heftig zu machen. Du bist nicht wie andere Männer, Du bist gar zu überspannt und wir sind doch schon eilf Jahre verheirathet, da kann doch eine Frau nicht ewig sich gleich sein.

Ich hoffe, diese Vorstellungen bringen Dich mir zurück, denn ich sehne mich nach Dir, als ob Du nicht achtzehn Stunden, sondern achtzehn Monate fort wärest. Auch Felix fragt unablässig nach Dir, und daß in der Wirthschaft ohne den Herrn, trotz meiner strengen Aufsicht, Alles verkehrt gehen wird, kannst Du Dir denken. Ich habe nun gesehen, daß Du mich verlassen könntest; nun Du mir die harte Lehre gegeben hast, wird es wohl für beide Theile genug sein. Ich will vergeben und vergessen, darum komme nur bald zurück. Zugleich könntest Du mir ein Dutzend Handschuhe, halb hell, halb dunkel mitbringen, und der B. sagen, daß ich einen Herbsthut in rosa und einige Hauben spätestens kommende Woche haben muß. Adieu, lieber Alfred! auf baldige Rückkehr! Frage doch auch wegen der Ofenschirme nach, von denen wir neulich sprachen, und vergiß meiner nicht in Berlin, sondern denke an Deine treue, Dich liebende Caroline.«

Während des Lesens verdüsterte sich Alfred's Stirne. Der Brief war ein so treues Bild von Carolinen's unliebenswürdiger Weise, von der Unbildung ihres Geistes und Herzens, daß er ihn nicht zu Ende zu lesen vermochte. Er warf ihn verdrießlich auf den Schreibtisch, ging heftig im Zimmer umher und setzte sich dann zum Schreiben nieder, tief aufathmend wie Jemand, der an ein schweres Geschäft geht.

Er schrieb lange. Es ward spät in der Nacht, und als er geendet hatte und den Brief durchlas, fand er, der das Wort so gewaltig zu brauchen wußte, daß er nichts von alle Dem gesagt hatte, was er sagen wollen. Er wünschte Caroline nicht [69] nur auf eine Trennung, sondern auf eine gänzliche Scheidung vorzubereiten, die ihn nach dem Empfang ihres Briefes nur noch unerläßlicher dünkte, weil er fühlte, daß zwei so verschiedene Naturen sich nie verstehen würden. Aber wo er mit höchster Schonung zu verfahren gewünscht, klangen seine Worte streng; wo er zart zu sein gestrebt, schien ihm die Wendung kränkend. An andern Stellen fürchtete er, Caroline könne den Wunsch nach neuer Vereinigung darin angedeutet finden, die ganz außer seiner Absicht lag.

Er fühlte, daß er in dieser Angelegenheit seine gewohnte Klarheit nicht besitze, daß er nicht Ruhe genug habe, selbst für sich zu handeln, deshalb zerriß er das Geschriebene wieder und seine Hoffnung richtete sich auf den Präsidenten. Er nahm sich vor, sobald als möglich mit diesem Rücksprache zu halten, was er für Caroline thun und wie man es anfangen solle, die schmerzliche Angelegenheit so gelinde als möglich zu behandeln und zu erledigen.

[70]
8
VIII

Als Alfred an einem der folgenden Abende in das Zimmer des Freundes trat, fand er ihn in Aktenstößen vergraben, mit einem seiner Beamten über eine Rechtsfrage verhandelnd. In dem strengen Ernste des Geschäftsmannes, in der schlagenden Kürze seiner Beweise erkannte man den Lebemann nicht wieder, der so weitläufig über die Bereitung einer Mahlzeit zu sprechen verstand. Er fertigte seinen Untergebenen schnell, aber sehr zuvorkommend ab und wendete sich dann mit freundlicher Begrüßung dem Freunde zu.

Dieser erklärte ihm gleich, welche Angelegenheit ihn beschäftige, und bat um den Rath des Präsidenten. Ich dachte, sagte er, als ich von Hause schied, nur an eine Trennung von meiner Frau; ja, ich war in diesen Tagen schon wieder einer Aussöhnung nicht abgeneigt, denn Du kannst Dir denken, daß ein solcher Entschluß mir hart ankommt. Ein Brief, den ich neulich von ihr erhielt, hat mich indeß in meinen Vorsätzen befestigt. Ich fühle, daß wir uns nie verstehen werden, daß ich in dem ewig schwankenden Zustand nicht leben kann. Ich hoffe nicht auf Glück, aber ich verlange Ruhe, innere Ruhe und meine Freiheit wieder. Unsere Ehe muß gerichtlich geschieden werden. Ich kenne die Schwierigkeiten, die man dabei macht; deshalb komme ich, Dich zu fragen: wie hilft man sich am leichtesten darüber fort?

Ist Deine Frau mit der Scheidung einverstanden? fragte der Präsident.

[71] Sieh, lieber Freund, da fangen die Schwierigkeiten gleich an. Du weißt es ja selbst, daß Caroline und ich katholisch sind. Nun fürchte ich, sie wird nicht in die Scheidung willigen, einmal, weil sie sich nicht so unglücklich in unserer Verbindung fühlt, als ich; zweitens, weil ihr die Trennung von Felix schwer sein wird, und endlich, weil sie nach ihren Begriffen durch die Scheidung eine Sünde begeht, ein Sakrament bricht.

Nicht zu vergessen, daß Du Dich leicht zu einer neuen Ehe entschließen dürftest, was Deiner Frau von den Pfaffen verwehrt werden möchte, ergänzte Julian mit seinem ironischen Lächeln.

Alfred beachtete die Worte nicht und fuhr fort: Ferner habe ich die Güter von meinem Großonkel, dem Domherrn, ererbt, und das Testament verlangt, daß sie immer von einem der katholischen Religion angehörenden und ergebenen Nachkommen der Reichenbach'schen Familie besessen werden, wo nicht, der Kirche zufallen sollen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die katholische Geistlichkeit des betreffenden Klosters, die eine Abschrift des Testaments besitzt, ihre Ansprüche gegen mich erheben wird, wenn sich ihr die Möglichkeit dazu eröffnet. Dasselbe könnte auch von Seiten eines sehr entfernten Agnaten geschehen. Ich für mein Theil würde mich unschwer entschließen, der Erbschaft zu entsagen, wenn dies das einzige Mittel wäre, mich frei zu machen. Ich habe durch die Fabriken, die ich angelegt, ein selbstständiges Vermögen erworben, das ich mein nennen darf, abgesehen davon, daß mir meine literarische Thätigkeit ein mäßiges Kapital abgeworfen, welches ich bis jetzt nie benutzt habe. Die Frage ist nur, ob es irgendwie bedenklich ist, daß mein Felix, als nächster Erbe, die Erbschaft antritt, wenn ich darauf verzichte?

Das hängt ganz von dem Testamente ab, meinte der Präsident, und ich würde Dich bitten, es mir zur Prüfung zu übergeben.

[72] Ich habe es Dir zu dem Zwecke mitgebracht, hier sind die Papiere. Hast Du Muße, Dich gleich jetzt damit zu beschäftigen, so möchte ich den Bescheid bei Deiner Schwester abwarten.

Thue das, lieber Freund! sagte der Präsident, und setzte sich an die Arbeit, nachdem Alfred sich bei Therese hatte melden lassen.

Er fand sie schreibend und entschuldigte sich wegen der Störung.

Es ist mir eine Freude, sagte sie, daß Sie kommen und daß es überhaupt diesen Winter recht lebhaft in unserm Hause werden wird. Sie waren der Erste, der sich uns als einen Gast für die langen Abende meldete, und Sie scheinen uns Glück gebracht zu haben. Unser Kreis wird sich noch um eine oder gar um zwei Personen vergrößern.

Und darf ich fragen, wer diese sein werden?

Der eine Gast wird ein junger Sternau sein.

Ein Verwandter von Ihnen? fragte Alfred.

Nein, antwortete Therese, ich kenne ihn gar nicht und darum bangt mir etwas bei dem Gedanken an seine Ankunft. Er soll ein liebenswürdiger junger Mann, von tiefem Gemüth, aber sehr kränklich und von der Mutter, deren einziges Kind er ist, körperlich und geistig verweichlicht worden sein. Der Vater, um ihn ins Leben einzuweisen, hat ihn angehalten, die juristische Laufbahn zu verfolgen, während des jungen Mannes Neigung ihn zum Landleben hinzog, für das der reiche Landbesitz des Vaters, der selbst Landwirth ist, ihn zu bestimmen schien. Das hat Teophil in mancherlei Zweifel gestürzt und eine unglückliche Liebe soll ihn in der letzten Zeit noch mehr entmuthigt haben. Er soll kränkeln und einen Lebensüberdruß verrathen, der selbst den ruhigen Vater sehr besorgt macht. Während nun der Sohn mehr als je nach der Einsamkeit verlangt, [73] sieht der Vater für ihn nur in angestrengter Thätigkeit Rettung, und die Mutter wünscht, daß er sich hier der Behandlung eines bedeutenden Arztes unterziehe. Beide Eltern haben sich an meinen Bruder gewendet, mit dem sie sehr befreundet sind, und dieser hat, als ob es von ihm ausginge, den jungen Mann auf seiner Reise besucht. Er hat sein Vertrauen erworben, ihn überredet, als Hilfsarbeiter bei seinem Collegium einzutreten und als willkommener Gast in unserm Hause zu leben. Morgen vielleicht dürfen wir ihn bereits erwarten.

Da sollen Sie also eine Erziehung übernehmen, eine Bekehrung machen! Beides ist entweder sehr leicht oder sehr schwer, bemerkte Alfred.

Das empfinde ich so lebhaft, sagte Therese, daß ich es fast abgelehnt habe, einer Freundin gefällig zu sein, die mir ihre sechzehnjährige Tochter für einige Zeit anvertrauen will, damit sie hier Unterricht im Tanzen und im Französischen nehmen könne. Es ist nicht zu berechnen, welchen Eindrücken solch ein junges Mädchen in ganz ungewohnter Umgebung ausgesetzt ist, und wie sie nachhaltig wirken können. So lieb mir die kleine Agnes war, als ich sie vor Jahren sah, so habe ich doch noch nichts bestimmt versprochen, weil ich mich vor der Verantwortung fürchte, wenn der Aufenthalt in der Residenz das Mädchen in seinen Wünschen und Ansprüchen verändern sollte.

Bei diesen Worten Theresen's trat der Präsident in das Zimmer. Ich bin in der Prüfung Deiner Papiere mehrmals durch unabweisliche Besuche gestört wor den, bester Reichenbach, sagte er, und muß sie nun auf die Frühstunden des nächsten Morgens verschieben, die immer meine ruhigste Arbeitszeit sind. Gönne mir Frist bis dahin. Ich bin ermüdet von der heutigen endlosen Sitzung, und mehr aufgelegt, mit Dir und Therese eine Stunde zu verplaudern, als angestrengt eine so wichtige [74] Sache zu prüfen. – Wovon war die Rede, als ich Euch unterbrach?

Von den Hausgenossen, die man uns für den Winter zugedacht hat, sagte Therese, und von all den Bedenken, die sich in mir dagegen regen.

Ich begreife diese Besorgnisse nicht, meinte der Präsident. Wären wir Eheleute, ich würde denken, die Erinnerung an Goethe's Wahlverwandtschaften mache Dich ängstlich, in denen durch den Zutritt neuer Personen ein altes, anscheinend wohl begründetes Verhältniß zerstört wird; denn allerdings hat unsere Lage mit den dortigen Zuständen eine gewisse Aehnlichkeit.

Therese lächelte und sagte erröthend: Wirst Du mich eine Thörin schelten, wenn ich Dir bekenne, daß gerade dieser Gedanke mir selbst gekommen ist und mich beunruhigt hat? Wer weiß, ob Dir unsere Häuslichkeit nicht einsam erscheinen wird, wenn unsere Gäste uns verlassen, ob ich Dir nicht eine zu ernste Gesellschafterin sein werde, wenn Dich die kleine Agnes an größere Fröhlichkeit gewöhnt haben wird.

Dacht' ich's doch! das ist echte Frauennatur! rief lachend der Präsident. Sie ist wirklich im voraus eifersüchtig auf ein Kind, das ich noch gar nicht kenne. Aber fürchte nichts! sagte er, indem er ihr die Hand bot, lasse die Kleine immerhin kommen, wie ich den Telemach kommen lasse, zu dessen Mentor man mich erkoren hat. Mich und Dich trennt Niemand.

Therese drückte dem Bruder die Hand und sagte dann nach einer kleinen Pause: Erinnern Sie sich wol, Herr von Reichenbach, daß Sie es waren, der mich zuerst mit den Wahlverwandtschaften bekannt gemacht hat?

Gewiß! antwortete Alfred, und ich weiß es gar wohl, daß es mir Vorwürfe von Ihrer Frau Mutter zuzog, weil selbst diese verständige Frau von dem Glauben befangen war, daß die Tendenz des Romanes eine unsittliche sei.

[75] Und ist sie dies nicht wirklich? fragte Therese.

Nichts weniger als das! erwiderte Alfred. Unsittlich ist die Tendenz eines Buches, wenn Das, was gegen die Moraloder die hergebrachten Sittengesetze verstößt, beschönigt, als Recht dargestellt und vom Glück gekrönt wird, wie das jetzt oft in den französischen und deutschen Romanen geschieht. Davon aber finden Sie in den Wahlverwandtschaften kein Beispiel!

Und wie wollen Sie es nennen, fragte Therese, wenn Gatten den Schwur der Treue brechen, der sie unauflöslich an einander bindet? Wie nennen Sie Charlotten's Liebe zu dem Hauptmann, Eduard's Leidenschaft für Ottilie? Wie wollen Sie das entschuldigen?

Entschuldigen! rief Alfred. Liebe, Leidenschaft entschuldigen? Liebe und Leidenschaft an sich bedürfen nie und nirgend einer Entschuldigung. Jede wahrhafte Liebe trägt wie ein Gottesurtheil ihre Freisprechung in sich.

Und so finden Sie die Personen des Romans frei von aller Schuld? fragte Therese zweifelnd. Mir scheint, mit dieser Ansicht von dem Recht der Liebe heben Sie das heilige Recht der Ehe auf. Nach Ihrer Theorie hätte jeder das Recht, eine Ehe aufzulösen, wenn er neue Liebe in seinem Herzen sich regen fühlt und – – sie stockte, im Bewußtsein, einen Gegenstand berührt zu haben, der dem Gaste peinlich sein könnte; Alfred selbst aber nahm das Wort.

Glauben Sie denn nicht, rief er, daß in tausend Fällen die Trennung einer Ehe eine hohe, sittliche That sein könne, ja, das sie in solchen Fällen zu einer heiligen Pflicht werden kann?

Gewiß! sagte der Präsident, denn im Grunde ehrt jede Ehescheidung den Gedanken der Ehe.

Wenn zwei Menschen empfinden, daß sie dem Gedanken einer wahren Ehe nicht genügen können, daß sie innerlich getrennt [76] sind, daß sie eigentlich nie zu einander gehörten und sich nur aus jugendlichem Misverstehen verbanden, sollen diese lebenslang zusammengeschmiedet bleiben? Sollen sie mitsammen leben, Unfrieden, Gram, und vielleicht am Ende noch eine wahre und edle Liebe für einen andern Gegenstand im Herzen? fragte Alfred heftig.

Therese schwieg mit scheuer Zurückhaltung und Alfred fuhr fort: Verbrechen werden allerdings in den Wahlverwandtschaften begangen. Daß Eduard aus eigensinniger Laune auf eine Verbindung mit der einst geliebten Charlotte besteht, daß diese, ganz gegen ihre bessere Ueberzeugung, aus Eitelkeit nachgibt, das ist das erste Verbrechen, das begangen wird. Wenn dann die verständige Charlotte den Hauptmann, Eduard die himmlische Ottilie liebt, so folgen sie nur dem Gesetz der Natur, die Ungleiches trennen, Zusammengehörendes verbinden will. Das fühlen Alle und hier tritt der Fall ein, in dem die Trennung einer Ehe, wie ich es nannte, zu einer hohen sittlichen That wird. Aber solche Thaten fordern Muth, fordern ein großes, sittliches Bewußtsein. Dies hat in dem Roman keiner von Allen, die es haben müßten. Von Ottilie ist es nicht zu verlangen; Charlotte hat die Einsicht, aber ängstliche Scheu vor dem Tadel der Welt, vor großem Aufsehen hält sie zurück. Der Hauptmann schweigt aus falschem Stolz, Eduard gibt nach aus kleinlicher Schwäche. Das sind die Verbrechen, die Sünden, welche begangen werden in dem Roman, und das ist es, was alle Betheiligten in die Hände der vergeltenden Nemesis liefert, die hier, wie in der antiken Tragödie, furchtbar waltet.

Ich stimme Dir ganz bei, sagte der Präsident, und habe selbst oft gestrebt, Therese für diese Ansicht zu gewinnen. Ich wüßte kaum eine andere Dichtung, in der diese Idee so rein und vollendet ausgesprochen wäre.

Denken Sie nur, rief Alfred, der sich um so mehr von [77] dem Gegenstand hinreißen ließ, als er sein innerstes Seelenleben so nahe berührte, denken Sie nur, meine Freundin; Ottilie, der sanfte, hingebende Engel selbst, muß das Werkzeug werden zum Tode des Kindes, das aus der verbrecherischen Umarmung der Gatten entsprang. Sie stirbt verzweifelnd, Eduard folgt ihr nach. Charlotte steht einsam zwischen den Gräbern aller Derer, die sie einst liebte, durch diese Gräber für immer von dem Hauptmann getrennt. Ihr wird das schwerste Loos, zur Strafe, weil sie es gewesen ist, welche den Fluch bannen konnte und aus selbstischen Rücksichten das Zauberwort verschwieg.

Ich muß Ihnen in gewissem Sinne beistimmen, sagte Therese, und doch kann ich des Widerwillens gegen diesen Roman nicht Herr werden. Schon auf den ersten Seiten, schon bei dem ersten Schritt in diesen Zauberkreis fühlt man den Athem der Dämonen wehen, die hier walten. Man möchte fliehen, sich losreißen, weil man die Nähe eines furchtbaren Geschickes, die Nähe schwerer Schuld empfindet; aber man ist gebannt durch das allmächtige Wort des Dichters, der uns zu Mitschuldigen macht, weil wir selbst zuletzt Recht und Unrecht kaum noch von einander zu scheiden vermögen. Alle Personen des Romans, Ottilie ausgenommen, sehen die Leidenschaften und die Drangsale hereinbrechen und Jeder überläßt sich in weicher Schwäche der unerlaubten Neigung. Darum nenne ich das Buch unsittlich, darum flößt es mir, ungeachtet all Eurer Erkärungen, ein heimliches Grauen ein, und doppeltes Grauen, weil ich den Sündern nicht zürnen kann, weil ich mich zuletzt, wie sie selbst, willenlos an die Gewalt ihrer Leidenschaft hingebe.

Das gerade ist der Triumph der Wahrheit in der Dichtung, sagte Alfred.

Oder das Verbrechen des Dichters, meinte Therese.

Es ist die Wahrheit des Romans und Goethe's vollendete [78] Kunst in der Technik, die das Werk zu einem Meisterstücke machen. Es beweist für die tiefe Einsicht Goethe's in das Menschenherz, bemerkte der Präsident, daß wir in seinen Romanen niemals den ganz unnatürlichen Engels- oder Teufelsfiguren begegnen, die uns so häufig geboten werden. Wenn dichtende Frauen uns Engelsgestalten vorführen, die unter dem Mantel ewiger Entsagung, nicht Fleisch, nicht Blut, sondern nur einen zarten Teint und eine frische Toilette haben; wenn ihnen jeder Mensch mit heißem Blut und daraus entspringenden Fehlern gleich wie ein Dämon vorkommt, so liegt das in einer an sich sehr schönen Eigenschaft des weiblichen Gemüths, aber mehr noch an gänzlicher Unkenntniß des Menschen und des Lebens. Diese würde ich den Frauen zur Ehre rechnen, falls sie nur nicht schreiben wollten. Daß aber auch Männer uns mit Engeln und Teufeln behelligen, die immer ganz uninteressant sind, weil ihnen die Wahrheit fehlt, das hat mich oft überrascht.

Darin liegt nichts Auffallendes, meinte Alfred; es ist nur ein Zeichen, daß sich auch in der Literatur, wie in allen Künsten, jetzt viel Stümperhaftes findet. Ein schlechter Maler, unfähig selbständig zu schaffen, und eben so unfähig, Das, was er wirklich gesehen hat, treu und schön wiederzugeben, wird aus jedem Portrait eine Caricatur machen, indem er Schönes sowohl als Unschönes übertreibt. Das begegnet in unsern Dichtungen ebenfalls täglich. Das Schlimmste aber scheint mir, wenn das fehlende Interesse an den Gestalten durch die Sonderbarkeit der Begebenheit ersetzt werden soll. Die fabelhaftesten Ereignisse werden aneinander gereiht, mit unnatürlichen Verbrechen, mit Verwirrungen, die ein Wort lösen könnte, stürmt man auf uns ein. Man hetzt uns, da das Reisen Gebrauch ist, durch alle Weltheile, wir müssen mit dem Helden unter den Cedern des Libanon jauchzen, auf Sibiriens Schneefeldern seufzen [79] und haben wir das Alles überwunden, sind wir endlich an das Ziel gelangt, so sind wir nur zu oft herzlich müde und ohne alle innere Anregung, ohne geistige Befriedigung geblieben. Man hat uns ein Märchen erzählt und wir haben die Zeit verloren. Daß Goethe uns in schlichtester Umgebung, in ganz gewöhnlichen Ereignissen das Menschenherz mit seinen Leidenschaften darzulegen weiß, daß er im Gefühl, Wahrheit sei Schönheit und Schönheit bedürfe der Zierrathen nicht, stets ebenso einfach als edel bleibt, das macht seine Dichtungen für alle Zeiten zu einem Vorbilde, das macht ihn zu einem classischen Dichter.

Alfred schwieg nachsinnend, denn obgleich er mit Theilnahme über die Schönheit der Wahlverwandtschaften gesprochen hatte, so war es doch vornehmlich die Tendenz des Buches, die ihn in diesem Augenblick beschäftigte. Er war leidenschaftlich bewegt, seine Freunde fühlten mit ihm und, nachdem man ihm Zeit zu innerer Beruhigung gegönnt, lenkte man die Unterhaltung andern Gegenständen zu und der Abend ging in erheiternden Gesprächen schnell vorüber.

[80]
9
IX

Am folgenden Tage langte, wie man es erwartet hatte, Teophil an und fand sich bald heimisch in dem Hause und der Gesellschaft seiner Gastfreunde. Er war ein hübscher, blonder Mann mit fast weiblichen Zügen und einem gut durchgebildeten, stillen Wesen, das auf Therese einen wohlthuenden Eindruck machte, weil sie edle Formen im Betragen besonders hochschätzte. Man ließ dem jungen Manne Zeit, sich in die neue Häuslichkeit und die fremde Umgebung zu finden, man wollte ihn nicht gewaltsam sich selbst und seiner gewohnten Weise entreißen und erst, nachdem er selbst den Wunsch ausgesprochen, führte der Präsident ihn in das Collegium ein.

Theophil ging mit redlichem Eifer, ja mit einer gewissen Freudigkeit an das Geschäft. Julian's feurige Thätigkeit schien ihn zu beleben und, wenngleich körperlich ermüdet, kam er doch gewöhnlich mit ziemlicher Heiterkeit aus den Sitzungen des Collegiums und von seinen Arbeiten zu Therese zurück, der er bald ein angenehmer Gesellschafter wurde. Er war sehr viel gereist, hatte Menschen und Gegenstände mit Verstand betrachtet, mancherlei Kenntnisse sich zu eigen gemacht und, wenn man ihn auch in keiner Beziehung als besonders bedeutend ansprechen konnte, so mußte man ihn doch für einen liebenswürdigen jungen Mann erklären, der das Talent, angenehm zu plaudern, in hohem Maße besaß. Dabei entwickelte er in näherem Umgange eine solche Geradheit der Gesinnung, eine so große, fast [81] kindliche Gutmüthigkeit, daß man ihm ein herzliches Wohlwollen nicht versagen konnte und Nachsicht mit seinen Schwächen gewann, die namentlich Therese nur seiner Kränklichkeit zuschreiben wollte.

Eva, neugierig und lebhaft, wie die Stammmutter im Paradiese, war gleich nach Theophil's Ankunft den Gast ihrer Freunde, wie sie es nannte, besehen gekommen und hatte es nicht verschmäht, ihre fröhlichste Laune, ihre tollsten Einfälle zur Erheiterung desselben mitzubringen. Die laute Fröhlichkeit der jungen Wittwe schien ihn aber mehr zu peinigen, als zu erfreuen, während der Präsident sich davon zu gleicher Heiterkeit hinreißen ließ und auch Alfred, der gegenwärtig war, sich dem belebenden Einflusse der Schalkhaften nicht entzog. Das hatte einen gar fröhlichen Abend gegeben, und je kürzer die Tage wurden, je mehr das schnell wechselnde Wetter den herannahenden Herbst verkündete, um so mehr gewöhnten die Männer sich, die letzten Stunden des Tages bei Therese zuzubringen, wo sich denn auch Eva, sicher, die Freunde zu finden, noch häufiger als sonst einstellte.

Hier im traulichen Kreise ward es Theresen sehr wohl. Sie liebte die großen Gesellschaften nicht, ihre ganze Natur hatte etwas in sich Gekehrtes und es war ihr gradezu peinlich, sich über Gegenstände, an denen sie einen wahren Antheil nahm, mit fremden Personen zu unterhalten. Deshalb galt sie bei Leuten, die sie nicht kannten, bald für kalt, bald für stolz oder gar für unbedeutend, während Diejenigen, die ihr nahe standen, an ihr die seltensten Eigenschaften des Herzens und des Geistes verehrten. Von der Mutter zur tüchtigen Haushälterin gebildet, durch Julian's Bequemlichkeitsliebe an höchste Sorgfalt für häusliches Wohlsein gewöhnt, war sie das Ideal einer sorgsamen und angenehmen Wirthin geworden. Man empfand in ihrem Hause, in ihrer Nähe ein körperliches Behagen, das sich [82] ganz unmerkbar dem Geiste mittheilte, so daß Jeder sich nicht nur frei und ungehindert, sondern durch die Liebenswürdigkeit der Geschwister selbst geistig gehoben bei ihnen fühlte.

Auch Julian fand die neue Lebensweise in seinem Hause sehr angenehm, und während er sonst an jedem Abend, wäre es auch nur für eine Stunde gewesen, zu Sophie zu gehen pflegte und das französische Theater nie zu besuchen versäumte, so oft diese auftrat, unterließ er jetzt bald das Eine, bald das Andere, sich bei sich selbst und bei der klagenden Geliebten mit Rücksichten für seine Gäste oder mit andern Gründen entschuldigend. Therese sah das mit großer Freude. Ihr war des Bruders Verhältniß zu Sophien immer ein Gegenstand des Kummers und manch schmerzlicher Berührung gewesen, und sie hatte nie aufgehört, eine Lösung dieser Verbindung zu wünschen. Aus Widerwillen gegen Sophie hatte sie das französische Theater selten besucht, Julian sie niemals dazu zu überreden gestrebt. Er war stets allein hingegangen, so sehr er bei allen anderen Anlässen die Begleitung seiner Schwester geliebt, und hatte seinen Platz zunächst der Bühne gehabt, um ganz in Sophien's Nähe zu sein.

Deshalb überraschte es Therese, daß Julian an einem Abend den versammelten Freunden den Vorschlag machte, ob man nicht für das Benefiz eines beliebten französischen Schauspielers am nächsten Tage eine Loge bestellen und gemeinschaftlich das Theater besuchen wolle? Alle waren damit einverstanden und um die bestimmte Zeit fanden sie sich in der Loge zusammen.

Man gab ein neues Schauspiel, in welchem auch Sophie eine Hauptrolle zu spielen hatte. Sie trat mit gewohnter Sicherheit und Anmuth auf, und Alfred, der sie noch nicht gesehen, war von dem edeln Ausdruck ihres Profils, wie von ihrer ganzen Erscheinung lebhaft angezogen. Sie stellte eine [83] Frau dar, die von ihrem Gatten verrathen, von ihm aus blinder Eifersucht der Untreue angeklagt wird, während sie ihn leidenschaftlich liebt und in stiller Demuth die ungerechten Vorwürfe, die bittern Kränkungen erträgt, nur bemüht, dem Auge der Welt das unwürdige Betragen ihres Mannes zu verbergen, um ihn und seine Ehre nicht dem Tadel der Fremden preiszugeben.

Sophien's erster Blick suchte den Präsidenten auf dem gewohnten Platze. Sie hatte ihn mehrere Tage nicht gesehen, ihn schriftlich gebeten, mindestens im Theater zu erscheinen, und er hatte es ihr zugesagt. Nun sie ihn vermißte, schien sie unruhig zu werden, und Julian, der jede ihrer Bewegungen kannte, dem kein Ton ihrer Stimme fremd war, konnte bemerken, daß sie ihrer Aufregung kaum Herr zu bleiben vermochte, als sie ihn mit Therese und Eva in der Loge erblickte. Sie kannte Eva dem Namen nach; das Gerücht einer möglichen Verbindung zwischen dieser und dem Präsidenten hatte ihr Ohr erreicht und war ihr ein Anlaß zu lebhafter Eifersucht geworden. In diesem Augenblick hielt sie ihr Schicksal für entschieden und, so sagte sie sich, der Treulose hatte nicht einmal die Rücksicht für sie, ihrer glücklichen Nebenbuhlerin den Anblick der Verzweiflung zu entziehen, die ihre Brust zerriß und die, das fühlte sie, aus jedem Worte widerklingen mußte, das sie aussprach. Sie war dem Erliegen nahe. Aber sie raffte sich empor und mit der edelsten Haltung spielte sie ihre Rolle weiter, die in vielen Scenen eine verhältnißmäßige Aehnlichkeit mit ihrer eignen Lage darbot.

Als sie dem ungetreuen Gatten Vorwürfe machte, als sie von ihrer glühenden Liebe sprach, von der Unmöglichkeit, für einen Andern zu leben, und ihr flammendes Auge dabei zu Julian emporblickte, verließ dieser die Loge. Therese ward tief erschüttert. Sie weinte, fast kein weibliches Auge im Theater war ohne Thränen und das ganze Publikum überhäufte die [84] beliebte Künstlerin mit einem Beifallssturm, wie ihn nur die wirkliche Bewunderung hervorzurufen vermag. Alfred war ganz entzückt von der Darstellung. Theophil lehnte sinnend in der Logenecke und schien Eva's Plaudern gar nicht zu bemerken, die während der rührendsten Scenen ihn bald dies, bald jenes gefragt hatte und fröhlich lachend auf die Bühne hinabsah, während Sophien's Klagen rührend die Seelen der Hörer durchzitterten. Wie ein Dolchstoß zuckte dies Lachen durch Sophien's Brust, sie fuhr mit der Hand nach dem Herzen, spielte, immer leiser sprechend, weiter, sank dann ohnmächtig ihrem Mitspielenden in die Arme und die Vorstellung mußte beendet werden.

Zeichen der allgemeinsten Theilnahme, des wirklichen Bedauerns wurden laut. Nie war der gefeierten Künstlerin ein ähnlicher Anfall zugestoßen. Man blieb noch in den Logen, man wollte Nachricht von ihrem Ergehen haben, die Ursache des Zufalls wissen. Therese, der ihr weibliches Gefühl die Lösung des Räthsels leicht machte, war sichtlich bewegt und wendete sich von Eva ab, die, noch immer lachend, sagte: Wenn ihr eine Vorstellung hättet, wie komisch all das Tragiren erscheint, wenn man, wie ich, nicht ein Wort Französisch versteht, ihr würdet lachen wie ich. Ich bin heute zum ersten Mal in einer französischen Vorstellung und es ist ein wahres Glück, daß der Präsident uns grade in ein Trauerspiel geführt hat, denn wäre es noch obenein ein Lustspiel gewesen, ich hätte vor Lachen sterben müssen.

Lache nur jetzt nicht, bat Therese verdrießlich, wo das ganze Publikum in so entgegengesetzter Stimmung ist, Du machst Dich dadurch unangenehm auffällig.

Man hatte einen Augenblick auf Julian gewartet, als man das Theater verlassen wollte. Da er nicht kam, nahm Therese Alfred's Arm, Theophil führte Eva und man stieg die Treppen hinab.

[85] Die Harcourt ist in der That die größte Künstlerin in ihrem Fache, die ich jemals gesehen habe, sagte Alfred, und sie muß überhaupt eine sehr geistreiche Frau sein. Ich habe Lust bekommen, sie persönlich kennen zu lernen. Welche Wahrheit in der Darstellung der Leidenschaft! so spielt man nur, was man vollkommen versteht. Nur etwas mehr Stolz hätte ich ihr gewünscht, den ungerechten Anschuldigungen gegenüber, die der Gemahl auf sie häuft.

Therese, im Innern lebhaft mit Sophien und den Ereignissen der letzten Augenblicke beschäftigt, ging schweigend neben Reichenbach her, seine Worte bedenkend. Plötzlich sagte sie nach langer Pause: Das grade ist das Wahrste in Sophien's Spiel gewesen! sie muß die Liebe bis zu ihrem Höhepunkte kennen. Ihr Männer urtheilt, wie ihr es versteht, ihr sprecht von Stolz in der Liebe. Mein Gott! Stolz in der Liebe! – wiederholte sie leise.

Und zweifeln Sie, daß es den gäbe? fragte Alfred. Zweifeln Sie, daß es einen Grad der Kränkung gibt, dem gegenüber es Pflicht wird und Nothwendigkeit, sich mit dem Gefühl der eigenen Würde zu waffnen, um sich nicht untergehen zu lassen?

Ich weiß es nicht, entgegnete Therese, ich aber würde gewiß die Kraft dazu nicht in mir finden, selbst wenn ich sie suchen wollte. Stolz setzt doch immer Eigenliebe voraus und wahre weibliche Liebe ist ganz Hingebung, ganz Demuth. Wie kann man Stolz empfinden, wo man in opferfreudiger Liebe sich einem Anderen zu eigen macht? Daß die Harcourt allen Kränkungen gegenüber kein anderes Gefühl darstellt, als den tiefen Kummer, nicht geliebt zu werden, die tiefe Betrübniß, nicht von ihrer Liebe überzeugen, nicht durch sie beglücken zu können, das ist ja eben so groß und so wahr in ihr.

Sie werden wenig Frauen finden, die diese Ansicht mit [86] Ihnen theilen, meinte Alfred, so unwiderstehlich diejenigen auch sein würden, die danach handelten.

Weil wenig Frauen groß genug sind, sagte Therese mit schöner Erhebung, jene wahre Liebe zu fassen, mit der die Frauen des alten Testamentes sprachen: »Herr! ich bin Deine Magd.« – Wie viel Frauen kennen denn das Glück, in einer großen Liebe aufzugehen, sich ihr ganz ausschließlich hinzugeben und nichts zu wollen, als nur sie?

Therese! rief Alfred im Tone reinster Freude, theure Therese, jetzt endlich finde ich Sie wieder; das ist das warme, das schöne Herz, das ich früher kannte, in das ich blicken durfte, als wir Beide noch gar so wenig vom Leben wußten. Auch ich, Therese, glaube noch an die großen Ideale unserer Jugend, aber haben Sie, außer der Ihren, viele Seelen gefunden, die dieser unselbstischen Liebe fähig gewesen sind?

Nein, nur wenige! antwortete Therese, doch das war nicht Schuld der weiblichen Natur, denn dieser wohnt der Trieb inne, aufzugehen in der Liebe zu dem Manne ihrer Wahl. Es ist die Schuld der weiblichen Erziehung und unserer mißgestalteten Verhältnisse. Nicht die Liebe ist es, was die Meisten verlangen, es ist die einträgliche Stelle einer Hausfrau, das gesicherte Dasein einer solchen. Sie heirathen, um den Tand zu besitzen, den Flitter, an dem ihr Herz hängt, der sie beglückt; sie wollen glücklich sein, nicht glücklich machen. Jene Liebe, welche die Harcourt uns zeigte, die einzig wahre, die will nichts für sich, als lieben und leben dürfen für den Geliebten!

Nicht auch dem Geliebten ganz zu eigen sein, ihn ganz ihr Eigen nennen? fragte Alfred. Glauben Sie, daß es eine wahre Liebe gibt, die nicht nach gänzlicher Vereinigung strebt? Ich halte das für ihr Kennzeichen. Schelten Sie mich engherzig, eigensüchtig – ich muß es ertragen. Ich hasse alle Entsagungstheorien. Ich will besitzen, was ich liebe, es soll mein sein und müßte ich es der Welt abtrotzen. Ja! ich hasse [87] sie tief, all die blasse verzichtende Entsagung, denn wir sind sicher zum Glück, nicht zum Entbehren auf der Welt.

Der Muth zum Kampfe und die Lust daran mögen in der Natur des Mannes liegen, ich besitze sie Beide nicht, entgegnete Therese. Der bloße Gedanke an große Zerwürfnisse ängstigt mich, ich habe Furcht vor dem Urtheile der Menge; ich wäre untröstlich, müßte ich je einen Schritt thun, der die Augen fremder Leute auf mich zöge; und ich begreife nicht, wie eine Frau es überwindet, mit der Oeffentlichkeit in Berührung zu treten.

Und doch haben Sie eben die Harcourt bewundert! Glauben Sie nicht, daß diese einen Beruf erfüllt? Sagten Sie nicht eben, daß Sie sie einer großen, wahren Liebe fähig hielten, einer Liebe, die jeder weiblichen Natur den höchsten Adelsbrief ertheilt?

Da Therese schwieg, nahm Alfred nach einer Weile das Wort und sagte: Warum verbergen Sie Ihr besseres Gefühl, warum wollen Sie, die eben in so großer Seelenschönheit vor mir standen, klein sein und von Vorurtheilen befangen? Ich weiß, was Sie gegen die Harcourt einnimmt – aber gewiß, Therese, Sie haben Unrecht.

Das kann wohl sein, antwortete sie ihm, aber ich liebe die Frauen nicht, welche den Muth haben, sich über Vorurtheile wegzusetzen; denn dieser Muth ist in meinen Augen eine Feigheit.

Das ist hart! sagte Alfred.

Theresen's Arm zitterte in dem seinen und mit bebender Stimme sagte sie: Begreifen kann ich es, daß eine Frau aus Liebe so feig wird, nicht entsagen zu können, sich selbst untreu zu werden – vergeben kann ich es nie.

So beten Sie, daß nie die Stunde der Versuchung für Sie komme! rief Alfred ernst, als sie Theresen's Wohnung erreicht hatten und er sich empfahl, während Theophil und Eva mit ihr in das Haus gingen, um den Abend bei ihr zuzubringen.

[88]
10
X

Ich komme, Dich zu fragen, sagte an einem der nächsten Tage Herr von Reichenbach zu dem Präsidenten, ob Du das Testament geprüft hast und was Du davon hältst?

Der Präsident zog bedenklich die Schultern in die Höhe und meinte: die Sachen stehen für Dich nicht eben günstig. Ich halte es nicht für unmöglich, daß der Clerus in Deiner Ehescheidung, und namentlich, wenn Du daran denken solltest, Dich anderweit zu verheirathen, diese Handlung als ein Zeichen Deines Austrittes aus dem Kirchenbunde ansehen könnte, da ihm thörichter Weise von dem Erblasser eine Art geistlicher Aufsicht über die Besitzer des Nachlasses eingeräumt ist. Indeß fehlen noch die beiden Codicille, von denen Du mir gesagt hast und ohne die ich Dir darüber und wegen der Nachfolge Deines Sohnes keine bestimmte Auskunft geben kann.

Alfred bedauerte diese Papiere nicht zur Hand zu haben, sie waren in seinem Schreibtisch geblieben und er konnte sie nicht gut von einem Andern hervorsuchen und sich nachsenden lassen. Der Präsident rieth ihm selbst davon ab und fügte hinzu: Ueberhaupt würde ich zunächst an Deiner Stelle die Sache nicht auf die Spitze stellen. Was gewinnst Du bei dem Scheidungsprozesse?

Welche Frage! rief Alfred, ich lebe in der unglücklichsten Ehe, ich will mich trennen und Du fragst, was ich dadurch gewinne? – Ich gewinne meine Freiheit wieder.

[89] Und fehlt Dir die jetzt? fragte der Präsident. Bist Du nicht frei in diesem Augenblick? Wärst Du ein armer Bürger, der sein kümmerliches Geschäft betreibt und eine Schaar kleiner Kinder hat, die einer Mutter bedürfen, wenn die rechte Mutter nichts taugt, so begriffe ich Deinen Wunsch, von der einen Frau geschieden zu werden, wenn Du eine andere nehmen wolltest. Für Dich aber ist es ein unkluger Schritt. Du liebst Deine Frau nicht, aber Du liebst vorläufig doch noch keine Andere. Gut! so lebe Du hier und mag sie dort nach ihrer Neigung schalten. Der Plan, Dich von Deiner Frau durch den hiesigen Aufenthalt zu trennen, war vernünftig; er machte Dich von den unangenehmen Berührungen völlig frei und gab kein unnöthiges Gespräch und Aufsehen. Der Vorsatz, Dich gerichtlich scheiden zu lassen, ist unpraktisch; er macht Dich nicht freier und wird großes Gerede geben, da auf Dich, den beliebten Autor, die Augen der Menge gerichtet sind. Zur Scheidung ist es noch Zeit, wenn Du einmal eine neue Ehe eingehen wolltest, bis dahin warte damit. Was soll überhaupt die unnütze Eile?

Alfred saß nachdenkend da. Es lag viel Wahrheit in den Behauptungen des Präsidenten und dennoch war Etwas darin, das ihm widerwärtig und abstoßend erschien. Was ihn leidenschaftlich bewegte, was ihm zu einer Lebensfrage geworden war, von Andern kalt beurtheilt, es zum Gegenstande einer ruhigen Erwägung und Berechnung gemacht zu sehen, hatte etwas Schmerzliches und Verletzendes für ihn. Zudem verlangte sein Gemüth nach Schönheit, nach vollständigem Genügen, und in der Halbheit, die der Präsident ihm vorschlug, fanden auch diese Ansprüche sich nicht befriedigt.

Mir sind gewaltsame Schritte allerdings auch sehr zuwider, sagte Alfred nach einer Pause, weil sie mein Gefühl beleidigen; das, was Du Aufsehen nennst, ist mir aber sehr gleichgültig. [90] Ich bin es gewohnt, dem Publikum gegenüber zu stehen mit meinem Dichten und Wirken; ich scheue es nicht, ihm auch meine eigensten Verhältnisse darzulegen; denn ich thue Nichts, was ich nicht vertreten kann, nichts als Das, was ich für mein heiligstes Recht, für meine Pflicht erachte.

Wer spricht denn davon, daß Du ein Unrecht zu verheimlichen hättest? entgegnete der Präsident. Aber denke Dir nur die Bemerkungen der Fremden, das Herumschleppen vor den Gerichten und was daran Widerwärtiges noch hängt, und ich glaube Du stimmst mir bei.

Das fällt fort, meinte Alfred, wenn Caroline ebenfalls in die Scheidung willigt.

Ganz und gar nicht! nur bei kinderlosen Ehen genügt die gegenseitige Einwilligung zu einer Trennung und Du bist ja der Zustimmung Deiner Frau noch keineswegs sicher. Folge mir, Alfred! laß die Angelegenheit noch eine Weile schweben. Wer weiß, wie sich Carolinen's Ansicht, wie Deine eigene Meinung sich noch ändert. Das Aeußerste zu thun, bleibt Dir ja immer Zeit.

Inzwischen schreibt mir Caroline fast alltäglich, und in einer Weise, daß ihre Briefe mich immer neu verstimmen, sagte Alfred mißmuthig und seufzend.

Schicke sie uneröffnet zurück.

Das vermag ich nicht, ich kann meiner Frau, so lange sie noch meine Frau ist, solch eine Beleidigung nicht anthun! erklärte Alfred sehr bestimmt, am Wenigsten, da Felix jetzt noch bei ihr ist.

So hole ihn her, sagte der Präsident. Du hast mir, denke ich, schon vor einiger Zeit gesagt, daß Du einen Lehrer für ihn gefunden und Alles für seinen hiesigen Aufenthalt vorbereitet hättest.

Ach, mein Freund! rief Alfred schmerzlich, wenn Du Dir [91] vorstellen könntest, wie all diese Verhältnisse mir das Herz zerreißen, wie sehr ich unter ihnen leide, Du würdest mich weniger schwach schelten, als ich Dir offenbar erscheine. Felix durch einen Fremden von der Mutter abholen zu lassen, scheint mir eine entsetzliche Härte; und ich selbst? – Ich kämpfe seit vielen Tagen mit dem Gedanken, wie ich es anfange, mir den Sohn herzuschaffen, ohne daß seine Mutter es zu schwer empfindet. Ich will selbst nach dem Schlosse gehen, aber mir bangt vor dem Wiedersehen und vor der Trennung.

Fasse einen festen Entschluß und gehe morgen, sagte der Präsident.

Morgen? wiederholte Alfred, nein! morgen nicht, ich würde dann gerade am achtundzwanzigsten, an Carolinen's Namenstage eintreffen – das ist unmöglich. Er seufzte und sagte: Aber ich werde bald thun, was gethan sein muß. Ich werde zu ihr reisen, werde Felix mitbringen und mir ihre Zustimmung zu unserer Scheidung zu verschaffen suchen. Ich muß der Sache ein Ende machen, dieses beständige Schwanken ertrage ich nicht.

Thue, was Du nicht ändern kannst, meinte der Präsident, und im Grunde kann ich Dich so hart nicht tadeln, denn auch ich habe heute einen entscheidenden Schritt gethan, um mich aus peinlichen Verhältnissen zu erlösen. Ich habe mit der Harcourt gebrochen.

Heute? fragte Alfred bestürzt, heute? nach dem neulichen Vorfall? Nimmermehr!

Gerade deshalb, sagte Julian. Ist ihr Betragen denn nicht höchst verletzend für mich gewesen? Wie eine Rasende spielt sie Komödie in der Komödie, macht mich zum Zielpunkt für alle Blicke, und weshalb? – Weil irgend ein närrischer Mensch ihr vorgeschwatzt, ich wolle Eva heirathen. Ich sah den Sturm heranziehen, ich verließ die Loge, um sie in ihrer [92] Garderobe aufzusuchen; kaum aber bin ich dort, so bringt man sie ohnmächtig herein, die andern Schauspielerinnen stürzen hilfeleistend nach, und sie erwacht mit meinem Namen auf den Lippen. Nun geht die interessante Neuigkeit von der Bühne in's Parterre, von dem Parterre durch die ganze Stadt und ich bin heute, Dank Eva's Kinderei und Sophien's Wahnsinn, das Gespräch der Kaffeehäuser.

Er ging verdrießlich im Zimmer umher. Und ist sie Dir denn gar nichts mehr? fragte Alfred. Ich bin überzeugt, daß sie Dich leidenschaftlich liebt; gilt Dir das nichts?

Wie kann mich freuen, was mich quält? Du sprichst von Liebe, als ob wir junge Männer wären, als ob ich Theophil von seiner ungetreuen Schönheit sprechen hörte. Die Zeiten sind für mich vorbei. Wer hat denn jetzt noch Muße zu einer sogenannten großen Liebe? Sophie und ich, wir haben uns nicht verstanden, sie fordert mehr, als eine Frau verlangen dürfte! Ich werde sie nicht wiedersehen.

Und heute gerade wollte ich Dich zu ihr begleiten. Sie hat mich neulich so sehr angezogen, daß ich be gierig bin, sie näher kennen zu lernen.

Das trifft sich sehr glücklich, sagte der Präsident, denn ich wollte Dich bitten, zu ihr zu gehen. Ich verlange es sogar als einen Freundesdienst von Dir. Stelle ihr vor, wie die Sachen stehen. Sieh zu, daß Du sie von Uebereilungen, von Thorheiten abhältst. In Stunden der Aufregung pflegte sie das Unerhörteste zu lieben, das Ungewöhnlichste zu thun. Beruhige sie und rathe ihr sich verständig in das Unabänderliche zu fügen. Solche Frauen bedenken nicht, wie sehr wir den Anstand zu schonen haben, wie die Augen der Vorgesetzten und der Untergebenen auf uns ruhen, wie die ganze Journalistenmenge nur darauf wartet, einem hochgestellten Beamten etwas anhaben zu [93] können! Sophie hat mir schon die unangenehmsten Verwickelungen zugezogen und –

In dem Augenblick klopfte es an die Thür, eine Stimme rief: Ich bitte um Audienz! und Eva trat herein, Theophil nach sich ziehend.

Julian's Antlitz erheiterte sich sogleich, er ging der jungen Frau entgegen, küßte ihr die Hand und führte sie zum Sopha. Was schafft mir das ganz unerwartete Glück, theure Cousine! Sie in meinem Zimmer zu sehen? fragte er galant.

Man sagte mir, daß Sie um diese Zeit Audienz ertheilen und ich komme, Sie in einer wichtigen Angelegenheit zu Rathe zu ziehen. Hier Ihr Herr Assessor hat mich schwer verletzt und beleidigt, und Sie, Herr Präsident! sollen mir Recht verschaffen und eine glänzende Genugthuung; ich werde Sie königlich dafür belohnen.

Ich bestreite aber dem Präsidenten, als Ihrem Verwandten, gnädige Frau, das Recht, Richter in unserer Angelegenheit zu sein. Er ist nicht unparteiisch, wendete der Assessor scherzend ein.

Wo fänden Sie denn einen Richter, lieber Theophil! sagte der Präsident, der nicht augenblicklich für Ihre schöne Gegnerin Partei nähme, sobald sie in Person die Klage anbringt? – Das ist ein Nachtheil des öffentlichen Verfahrens, welches jetzt so heiß begehrt wird. Aber fürchten Sie nichts. Klägerin hat mich selbst oft so schwer gekränkt, daß die dadurch bewirkte Animosität ein Gleichgewicht gegen meine sonstige Vorliebe bilden wird. Rechnen Sie Beide auf volle Unparteilichkeit und, Frau von Barnfeld! beginnen Sie Ihre Klage, ich bin ganz Ohr!

Erstens, sagte Eva, hat der junge Herr mich zwei Stunden hindurch immerfort gelangweilt.

Wodurch? fragte der Präsident.

[94] Mein Gott! wodurch – durch Langeweile. Er hat mit Therese sehr ernsthaft über Unsterblichkeit gesprochen –

Sie haben uns nicht dazu kommen lassen, gnädige Frau! wendete der Assessor ein.

Nicht? fragte Eva – und woher, als von Ihnen, wüßte ich denn in diesem Augenblick, daß Mendelsohn einen Phaedon – oder wie das Ding sonst heißt, geschrieben hat? Woher wüßte ich, daß Spinoza der Urheber des – Julian, heißt's Pantheismus? fragte sie sich unterbrechend.

Der Präsident nickte bejahend und sie fuhr fort: daß der Spinoza also den Pantheismus erfunden hat? Glauben Sie, irgend ein anderer Mann wird einer lebenden Frau von so todten Dingen vorsprechen, wie Unsterblichkeit und Seelen? Wer es gehört, hätte glauben müssen, der Pastor sei da und Therese oder ich lägen schon im Sterben.

Die Männer lachten, und Eva fuhr dadurch ermuthigt, fort: Als ich es gar nicht mehr aushalten konnte und, um nur ein vernünftiges Wort zu hören, Therese fragte, wo sie ihren Winterhut kaufen werde, hat mir der Herr Theophil ein wüthendes Gesicht gemacht und dann mit Beharrlichkeit geschwiegen.

Das ist mindestens kein Verbrechen! sagte Theophil.

Mindestens keine Verbalinjurie! meinte der Präsident. Man würde es höchstens als eine Unterlassungssünde bezeichnen können und die gehört nicht vor mein Forum. Aber was haben Sie weiter vorzubringen?

Darauf, da Herr Theophil eigensinnig schwieg, forderte ich ihn auf, mit mir vierhändig zu spielen. Er lehnte es ab, weil er Kopfweh habe.

Das ist allerdings Ihnen gegenüber ein wirkliches Verbrechen, sagte der Präsident; wie kann man denn etwas Anderes empfinden, als heftiges Herzklopfen, wenn man Sie sieht?

Sie sind liebenswürdig! rief Eva freudig, ich ahne es, [95] Sie schaffen mir Genugthuung. Nun hören Sie, nun kommt die Hauptsache. Als er sich hartnäckig geweigert, mit mir zu spielen, habe ich mich beschieden, mich ganz still an das Clavier gesetzt und Galoppaden gespielt – ganz leise, weil er Kopfschmerz hatte, so gut war ich. Kaum aber habe ich einige Takte versucht, so sprechen sie wieder von Unsterblichkeit. Ich bitte sie, stille zu sein, mir zuzuhören, da steht er hastig auf und will hinaus. Ich springe ihm nach: Halt! mein Herr! habe ich Ihre langweilige Unsterblichkeit ausgehalten, so halten Sie meine Galoppaden aus! sagte ich. Ist das nicht recht und billig, Herr von Reichenbach, ich frage Sie?

Vollkommen! bestätigte dieser.

Und nun hören Sie, was er antwortet. Ich schäme mich, es zu wiederholen. Er sieht mich an, lacht und spricht: Ich muß sterben, wenn ich noch länger all die falschen Accorde hören soll, schöne Frau! und Sie wollen ja nicht einmal, daß ich mich während des martervollen Todes mit dem Gedanken an die Unsterblichkeit tröste.

Das hat der Angeklagte wirklich gewagt? fragte der Präsident lachend. Was haben Sie zu Ihrer Vertheidigung zu sagen?

Ich muß in allen Punkten mein Unrecht eingestehen, antwortete Theophil, ich fühle mein Verbrechen und wollte gar nicht erscheinen, sondern mich in contumaciam verurtheilen lassen, aber meine Gegnerin bestand darauf, daß ich mit ihr gehen und in Person mein Urtheil holen sollte.

So wäre denn keine weitere Vernehmung, kein Zeugenverhör nöthig, erklärte der Präsident, die Acten sind geschlossen, das Urtheil kann gefällt werden, und ich erkenne, daß unser Freund sich gegen einen Höherstehenden einer groben Injurie schuldig gemacht hat, denn Frau von Barnfeld ist ein Engel und der Assessor wie wir Andern Alle nur ein armer sterblicher [96] Mensch. Deshalb mag er Frau von Barnfeld demüthig um Verzeihung bitten, sich als den ärgsten Sünder bekennen und entweder sich für ihren Gefangenen auf Lebenszeit erklären oder die Gefängnißstrafe auf recht galante Weise abzubüßen suchen. Zugleich verurtheilen wir ihn aber nur in die Hälfte der Prozeßkosten, da er während des Streites die Klägerin »schöne Frau« genannt, was sein Unrecht mindert und von der Klägerin mit Uebernahme der halben Kosten anerkannt werden muß, und das von Rechts wegen.

Theophil kniete auf Eva's Verlangen nieder, bat um Vergebung und durfte ihre kleine Hand zum Zeichen der Versöhnung küssen. Dann sprang sie fröhlich von ihrem Platze auf, reichte dem Präsidenten beide Hände und sagte: Sie sind weise wie der König Salomo, Gott lohne es Ihnen, daß Sie einer armen, schwergekränkten Wittib zu ihrem Rechte verhelfen, daß Sie die verfolgte Unschuld nicht unterdrücken lassen. Ich danke Ihnen dafür und nun kommen Sie zu Therese, die uns erwartet.

So weit sind wir noch nicht, bedeutete der Präsident; Sie haben die Hälfte der Kosten noch nicht bezahlt und sind mir auch noch die königliche Belohnung schuldig, die Sie mir versprochen haben.

Das ist wahr, rief Eva; was verlangen Sie?

Können Sie fragen, was man von Ihnen verlangt? fragte der Präsident, was Ihr Cousin von Ihnen fordert?

Sehen Sie, Herr von Reichenbach, jetzt wird er wieder Cousin! neckte Eva, während eine glühende Röthe ihr Gesicht überzog. Aber daraus wird nichts, Julian! gewiß! daraus wird nichts. Sie sind gar zu anspruchsvoll – sehen Sie mich nicht so lächelnd an.

Er hatte ihre Hand ergriffen, sie machte sich los und lief [97] hinaus. Aber im Abgehen rief sie: Ich fahre in's Theater, leben Sie wohl, Julian? heute sehen wir uns nicht mehr.

So werde ich mir morgen meine Gebühren einfordern kommen, antwortete der Präsident und, gegen die Freunde gewendet, bemerkte er: Dieser ewige Frohsinn ist für mich bezaubernd.

Das begreife ich nicht, meinte Alfred, denn, wie bei dem ersten Begegnen, läßt Eva mich auch jetzt ganz kalt. Ihre unruhige Fröhlichkeit ermüdet mich.

Sie haben Recht, Herr von Reichenbach! rief Theophil, eine Frau, wie diese, könnte ich niemals lieben. Ihr fehlt jene Tiefe des Gemüthes, auf deren Boden allein die Liebe erblüht.

Sind das Thoren! lachte der Präsident, sind das biedere Deutsche! – Aber wer denkt denn an Liebe, wer denkt denn an Ehe? Wie der Schmetterling nur da ist, sich und uns zu erfreuen, so gibt es Frauen, geschaffen, zu spielen und zu entzücken. Auch Champagner stillt den Durst des Verschmachtenden nicht für immer; aber sein perlender Schaum belebt die abgespannten Nerven des Leidenden und zaubert strahlendes Licht in die düstern Nebel, die ihn umlagern. Wißt Ihr denn, ob ich nicht auch einmal solch ein Leidender bin? Könnt Ihr wissen, ob ich nicht der Erheiterung bedarf? Eva, die blonde, tändelnde Eva ist vielleicht der Champagnerschaum, in dem ich mich berausche, und dazu ist sie wie geschaffen.

Egoist! schalt Alfred.

Sie sind ein zu großer Epikuräer, meinte Theophil.

Als ob von meinem Egoismus die kleine Frau nicht mehr Freude, nicht mehr Genuß hätte, als von Eurer Bedächtigkeit und Tugend! Lernt endlich den weisen Epikur, lernt endlich einmal das Leben verstehen! Ihr sollt genießen und genießen lassen, das ist der Zweck des Daseins! den erfülle ich mit Andacht! sagte der Präsident, als man sich trennte.

[98]
11
XI

Alfred konnte nicht aufhören, an Sophie zu denken, er hatte Mitleid mit ihr, er wünschte zu wissen, wie sie die Trennung von dem Präsidenten ertrage; er wollte dessen Aufträge ausrichten. Er ging also zu ihr und ließ um die Erlaubniß bitten, sie zu sehen.

Sophie nahm seinen Besuch an. Als er bei ihr eintrat, war es hoher Mittag, darum überraschte ihn die Dunkelheit, welche in dem Zimmer herrschte. Alle Vorhänge waren heruntergelassen, die Jalousien fast ganz geschlossen. Sophie hatte in einem Lehnstuhl geruht. Sobald sie Alfred's Schritte hörte, stand sie auf, ging ihm entgegen und sagte: Sie sind ein Freund des Präsidenten von Brand, Herr von Reichenbach, Sie kommen von ihm. Was bringen Sie mir?

Es war nicht allein der Wunsch meines Freundes, entgegnete Alfred, der mich herführte, sondern auch das eigne Verlangen, Sie kennen zu lernen und Ihnen für den Genuß zu danken, den Sie mir neulich durch Ihre Kunst in so hohem Grade gewährt haben.

Wieder Einer, der mir Weihrauchdampf bietet, wo ich verschmachtend nach Lebensluft verlange! Wieder Einer, der sich an fremdem Herzblut erfreut! Lieben Sie den sterbenden Fechter? fragte sie spöttisch –

Ja! sagte Alfred, denn ich sehe in dem Todeskampf desselben, daß die starke Seele das Leid besiegen, daß sie den Tod überwinden, daß sie rein eingehen wird in ein schöneres Dasein.

[99] Sophie sah ihn prüfend an; ihr großes, dunkles Auge ruhte fest auf ihm, dann sagte sie: Den Tod zu überwinden, das ist leicht, aber wie erträgt man das Leben, mit dem Tode im Herzen? – Ich habe viele Tage und Nächte daran gedacht, wie ich leben solle ohne Julian's Liebe, ich habe nach einem Gedanken gesucht, an dem ich mich aufrichten, an den ich mich halten könnte. Ich finde keinen. Man bricht die Blume, um sich an ihrem Dufte zu erfreuen, und man wirft sie von sich, wenn sie uns nicht mehr reizt. Aber ein Herz von sich zu stoßen, das mit all seinen Fasern an ihm hängt, das nur in der Liebe zu ihm lebt, das hätte ich ihm niemals zugetraut.

Sie faltete die Hände zusammen und große Thränen fielen langsam aus ihren Augen, während sich keine Miene ihres Gesichtes verzog. Sie war noch in ihrem großen Schmerze schön, das ist ein Vorzug, den nur wenig Auserwählte haben.

Alfred ehrte ihren Schmerz durch sein Schweigen. Als er sie gefaßter sah, sagte er: Gönnen Sie es mir, Sie auf sich selbst zu verweisen. Eine Natur wie die Ihre muß eine Lebenskraft in sich haben, die sie über Schmerzen fortträgt, an welcher gewöhnliche Frauen sich verbluten.

Sie schüttelte zweifelnd das Haupt. Gewöhnliche Frauen? und was bin ich als ein gewöhnliches Weib ohne Julian's verklärende Liebe? Was bin ich ohne ihn? Was bleibt mir, wenn ich ihn verliere?

Die Kunst! antwortete Alfred. Wie Viele haben gleich Ihnen das schwerste Leid empfunden und besaßen nicht, wie Sie, den Genius der Kunst als Tröster.

Ich werde nicht wieder die Bühne betreten, Herr von Reichenbach! sagen Sie das dem Präsidenten, bis er es von mir fordert. Nur wenn er es verlangt, nur wenn es ihn noch erfreute wie einst, würde ich wieder spielen.

Das wird ihn sehr betrüben, bemerkte Alfred, er opfert [100] Sie und seine Liebe mit blutendem Herzen auf; er hofft, Sie vielleicht später ruhiger wiederzufinden – und Sie werden sich ermannen. Ist es nicht –

Sagen Sie nicht, was Sie selbst nicht glauben! rief Sophie, ihn heftig unterbrechend, Julian ist kalt, ihn schmerzt das Opfer nicht. O! wie hatte ich Recht, wie ist das wahr geworden, was ich einstmals sagte! – Sie schien in Erinnerung verloren, dann sprach sie: Wir fuhren über Land, Julian und ich. Da sah ich Farrenkraut neben uns an einem Felsen blühen. Die großen Blätter wuchsen fröhlich aus dem Gestein empor, die ganze reiche Wurzel hing frei in der Luft, nur die zartesten Aederchen verbanden sie mit dem Felsen, aus dem sie Leben zog. Das sind wir, sagte ich damals. Du bist der kalte Stein, ich bin das Farrenkraut; sieh, wie fest es an dem Felsen hängt, wie es sich an den Kalten schmiegt. Er blickte hin und meinte: Weißt Du nicht, daß in dem Steine, der Dir so kalt erscheint, heißes, vulkanisches Feuer glüht? Fühlst Du nicht, daß Du nur durch dies Feuer leben, nur in der Wärme meiner Liebe blühen kannst? – Und wenn der Winter kommt? fragte ich scherzend. – Dann muß Alles welken, was blühte, antwortete Julian, damit Raum werde für neues Leben, das ist Naturgesetz. Er hatte es auch nur scherzend gesprochen, aber doch zerriß es mir die Seele in bangem Vorempfinden. Nun ist's geschehen! Es war schon lange Herbst, ich wollte es nicht bemerken; nun ist der Winter da!

Es lag ein großes Weh in der Milde, mit der sie die letzten Worte sprach. Alfred fühlte sich unfähig, ihr einen Trost zu geben. Er war voll Bewunderung, voll Theilnahme für sie. Er ergriff ihre Hand und sagte: Der Mann, der das Leid der ganzen Menschheit wie sein eigenes empfand, der zu sterben vermochte, um der Menschheit die Freiheit des Gedankens zu erkaufen, Christus sprach das göttliche Wort: Ich [101] habe die Welt überwunden! – Ueberwinden Sie den Schmerz, begraben Sie die Vergangenheit! so viel Liebe darf sich nicht eigensüchtig in sich selbst verzehren. Suchen Sie den Weg, auf dem Sie zu wandeln vermögen; und kann die Sorgfalt eines Sie bewundernden Mannes Sie dorthin führen, Ihnen Stütze sein, so nehmen Sie mein Wort darauf, daß Ihnen meine Freundschaft niemals fehlen soll, wenn Sie sie nicht verschmähen.

Sophie drückte ihm schweigend die Hand. Dann sagte sie nach einer Weile: Sie geben mir viel, mehr als ich Ihnen danken kann in diesem Augenblick, aber ich nehme es an. Noch weiß ich nicht, was mir frommt. Ich muß allein sein, allein mit mir fertig werden, das fühle ich. Verlassen Sie mich. Wenn ich Ihrer bedarf, wenn ich Ihrer würdig bin, fordre ich Sie auf, zu mir zu kommen. Leben Sie wohl, Herr von Reichenbach! – Sie reichte ihm nochmals die Hand und ging ohne weitere Rücksicht auf ihn in das andere Gemach.

Alfred sah ihr lange nach und blieb sinnend eine Weile in ihrem Zimmer sitzen. Er konnte sich nicht erklären, wie Julian gleichgültig werden mochte gegen eine Frau wie diese, wie er Gefallen finden konnte an der leichten Tändelei Eva's nach dem Besitz von so viel Geist und Herz, als sich in Sophie vereinigt fand. Er wollte dem Freunde Vorstellungen machen, er wollte versuchen, ihn wieder mit der einst Geliebten auszusöhnen, aber er kannte das Menschenherz zu gut, er kannte Julian zu gut, um an die Dauer einer solchen Versöhnung zu glauben, und es war und blieb ja auch etwas Mißliches in dem Verhältniß, das bei des Präsidenten Stellung doppelt in das Gewicht fallen mußte. Dazu war Julian's Charakter ein sehr eigenthümlicher. Bei einer anscheinend kalten Außenseite, die den Fremden abstieß, besaß er eine große Weichheit des Gefühls und eine Beweglichkeit des Geistes, die ihn jedem [102] neuen und besonders jedem schönen Eindruck leicht zugänglich machten. Alles Große und Wahre ergriff ihn tief und schnell. In solchen Stimmungen war er großer Opfer, war er einer uneigennützigen Großmuth fähig, aber eine anhaltende Begeisterung für denselben Gegenstand, eine dauernde Liebe lagen nicht in seiner Art. Was er im Augenblick der Gefühlserregung mit voller Hingebung gethan hatte, konnte oft wenig Stunden darauf sein zersetzender Verstand als lächerlich bespötteln. Diese Charaktere nennt die Menge Verstandesmenschen, während man sie Gefühlsmenschen heißen sollte. Sie gelten für stark und sind doch schwach, weil sie nicht nach Ueberzeugungen, sondern nach augenblicklichen Eingebungen handeln. Conventionelle Begriffe, wie Ehrgefühl und Schicklichkeit müssen bei ihnen das wahre Pflichtgefühl ersetzen, und dennoch sehen wir gerade solche Menschen oft Thaten vollbringen, welche dem selbstständigsten, festesten Charakter schwer fallen würden.

Seinen Freunden ein zuverlässiger Freund, seiner Schwester der zärtlichste Beschützer, besaß er den Frauen gegenüber eine Genußsucht und einen Leichtsinn, die schon manches Herz verwundet, manches gebrochen hatten. Wenn ihn weibliche Anmuth reizte, trieb es ihn unwiderstehlich, nach ihrem Besitz zu streben; und ohne jemals seine Ansicht von der Flüchtigkeit solcher Verbindungen zu verbergen, errang er fast immer Liebe, wo er sie forderte. Er hatte einen feurigen, phantasiereichen Geist, eine einschmeichelnde Liebenswürdigkeit und eine überzeugende Wohlredenheit. Dazu besaß er die sicherste Waffe des Mannes gegen die Frauen, den Ruf, unbeständig und ihrer Ruhe gefährlich zu sein.

Solch einen Mann, sagte sich Alfred, wollen alle Frauen kennen lernen, man beschäftigt sich schon im voraus mit ihm. Die Eitele hofft ihn dauernd zu fesseln; die Edle, ihn zu bessern. Jede traut sich die Kraft und die Klugheit zu, die Gefahr zu [103] vermeiden, die ihr von dem siegreichen Manne droht. Leichtsinnig, neugierig stürzen sie sich in den ungleichen Kampf und kehren bald mit zerrissenem Herzen daraus zurück, wie die arme Sophie.

Von diesen und ähnlichen Gedanken bewegt, ging er eilig durch die Straßen und fand sich, ohne daß er es beabsichtigte, vor des Freundes Wohnung wieder. Er hatte den Klingelzug bereits gefaßt, als er sich fragte, was er eigentlich in dieser Stunde hier bei ihm wolle? Er wußte es nicht und mußte sich es endlich eingestehen, daß die Gewohnheit, Therese täglich zu sprechen, wieder feste Wurzel in ihm geschlagen habe; daß ein Tag, an dem er sie nicht gesehen, ihm ein verlorener scheine. Schon wollte er sich entfernen, als er sich besann, daß er sie heute jedenfalls besuchen müsse, um sich von ihr zu beurlauben, ehe er nach seinem Gute hinausgehe, Felix zu holen, was am nächstfolgenden Abende geschehen sollte. Sein Gesicht überflog ein Freudenstrahl; er zog schnell die Glocke und eilte in das Haus.

Er fand die Freundin daheim wie fast beständig; sie arbeitete und Theophil las ihr aus geschriebenen Heften vor. Er war sichtlich erregt und legte die Blätter aus den Händen, als Alfred bei ihr eintrat.

Was lasen Sie? fragte ihn dieser freundlich nach den ersten Begrüßungen.

Fräulein von Brand erlaubte mir, ihr aus den Aufzeichnungen Einiges mitzutheilen, welche ich für mich zu machen pflegte, sagte Theophil.

Und es war sehr viel Schönes darunter, fügte Therese hinzu. Ich habe während des Lesens mehrmals an die Bemerkung gedacht, welche Sie, Herr von Reichenbach, uns neulich machten. Es ist wirklich thöricht, wenn die Schriftsteller in weiter Ferne den Stoff für ihre Arbeiten suchen. In jedem [104] Menschenleben liegt Poesie verborgen und es kommt nur darauf an, das Blatt zu finden, auf welchem sie verzeichnet steht.

Das ist natürlich, sagte Theophil, denn kein Menschenleben ist so arm, daß die Liebe mit ihrem belebenden Strahl es nicht ein Mal erleuchtet hätte. Wo sie nur erscheint, wird es Frühling und Tag in der Menschenbrust, und das Dasein zum Gedicht und zum Roman. Freilich ist die Nacht um so tiefer, wenn sie nachher entschwindet. Er seufzte, fuhr mehrmals mit der Hand über die Stirne und schloß langsam die Augen, so daß man vermuthen mußte, sein Kopfweh plage ihn wieder.

Therese betrachtete ihn mit freundlicher Besorgniß. Sie trug einen starkduftenden Heliotrop, der auf dem Tische vor ihnen gestanden, an einen entfernteren Platz und ließ den Vorhang herunter, um das eindringende Sonnenlicht zu mildern.

Während deß bemerkte Alfred, der Theresen's Theilnahme für Theophil mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtet: Sie scheinen also auch der Ansicht zu sein, daß die Liebe an sich schon ein ausreichender Stoff für den Roman sei. Der Meinung bin ich nicht. Jede wahre Liebe ist bis zu einem gewissen Grade der andern gleich. Jede hat ihr Glück, ihr Leid und die Freude, das Hoffen und Verzweifeln mit allen andern gemein. So sehr für den Einzelnen dies Thema Lebensfrage sein und bleiben wird, so dünkt mich, ist seit lange die Schilderung auch der höchsten, reinsten Liebe in einem Romane unfruchtbar und unnöthig, wenn es eben nur die Liebe gilt. Mehr oder weniger anziehend und bedeutend wird sie nur durch den Menschen, in dessen Seele sie entstanden ist, und aus dessen Natur heraus sie ihr besonderes Gepräge erhält, ja eigentlich nur durch die Art der Hindernisse, die sich der Erreichung ihrer Wünsche entgegenstellen.

Gewiß, versicherte Theophil, so hatte ich es auch gemeint. Denn wie unter den tausend Blättern eines Baumes nicht zwei [105] einander vollkommen gleichen, so bringt jedes Menschenleben neue Erscheinungen in der Liebe zur Entfaltung, welche für einen Beobachter wie Sie zu besondern Erfahrungen Anlaß geben müssen.

Sie erinnern mich mit diesen Behauptungen an Ereignisse aus der ersten Zeit meines öffentlichen Auftretens, sagte Alfred. Als es in dem Kreise meiner Bekannten zu verlauten anfing, daß ich der Verfasser eines Romans sei, drängte sich Alt und Jung mit geheimnißvollem Vertrauen zu mir, um mir aus den eigenen Erlebnissen Stoff für meine künftigen Arbeiten mitzutheilen. Jeder Mann, der in seiner Jugend die Kammerjungfer seiner Mutter geliebt und dann eine andere Frau geheirathet hatte, kam sich in der Erinnerung wie ein Romanheld vor und verlangte, daß ich diese seine Jugendliebe zum Mittelpunkt einer Dichtung erheben sollte. Man hat mich über die Gebühr mit diesen Mittheilungen ermüdet und ich bin manch mal aus Aerger versucht gewesen, den Leuten solche Erzählungen zu schreiben, um sie von der Verkehrtheit ihrer Ansicht zu überzeugen, die aus der kleinlichsten Selbstüberschätzung entspringt. Die Liebe an sich ist das eigentliche Thema des lyrischen Gedichts. Für den Roman wird sie erst geeignet, wenn sie mit der Außenwelt in Streit geräth; und mich interessirt sie als Thema erst dann, wenn die Hindernisse, welche ihr entgegentreten, aus den Ideen oder Thatsachen hervorgehen, die in das Gebiet der Zeitfragen gehören. Ein Roman, der nicht in genauer Beziehung zu der Zeit steht, in der er geschrieben ward, wird selten ein gelungenes Werk sein.

Und der Werther? und die andern Goethe'schen Romane? wendete Therese fragend ein.

Sind sprechende Bilder der Zeit, in der sie entstanden, fiel Alfred ein. Grade diese sind aus dem dringenden Bedürfnisse hervorgegangen, das der Dichter hatte, sich und die [106] Mitwelt aufzuklären über Das, was damals stürmisch in Allen wogte. Weil sie aus Ideen ihr Leben schöpften, die damals alle strebsamen Naturen beschäftigten, haben sie Leben gehabt und werden es behalten. Darum ist ihre Wirkung auch noch fast eine magnetische auf uns Alle. Im Werther spiegelt sich die schwache Gefühlsschwelgerei der Empfindsamkeitsepoche; in dem Wilhelm Meister das Illuminatenwesen und jenes Streben des begabten Bürgerstandes, die Stelle einzunehmen, welche ihm später die französische Revolution errang. Jene Motive lagen Goethe damals als Tagesfragen nahe, darum behandelte er sie und läuterte seine Ansicht von ihnen durch das freie, dichterische Gestalten. Man sollte es also auch jetzt nicht tadeln, wenn sich die Fragen, welche unsere Zeit zu lösen hat, ebenfalls in der Dichtkunst spiegeln, wenn wir mit ihrer reinigenden Kraft uns den Ueberzeugungen dienstbar machen, für die wir leben.

Mit der Anforderung, daß der Roman sich dem Tage anschließe, dem er gehört, bemerkte Theophil, ziehen sie aber die freie Göttin der Poesie in das Gebiet eines gewöhnlichen Arbeiters herab. Sie soll Ihnen für Ihre Ziele nutzbar werden; das ist doch aber nicht ihr eigentlicher Beruf.

Es gibt nur Epochen, in denen Niemand feiern darf, in denen Götter, wenn sie noch auf Erden wallten, selbst Hand anlegen würden, sagte Alfred.

Erlauben Sie mir den Einwand, entgegnete ihm Theophil, daß Diejenigen, welche die reine Lyrik und den historischen Roman mit dichterischer Begabung und glücklichem Erfolg bearbeiteten, gegen Sie sprechen. Und auch das Urtheil des großen Publikums möchte sich nicht für Ihre Meinung entscheiden, wie wir es an den Scott'schen und an vielen andern Romanen gesehen haben.

Die große Masse will nur unterhalten sein, das ist leider richtig. Sie will ein paar müßige Stunden ohne Nachdenken [107] zu Ende bringen und wer ihr dazu verhilft, kann leicht ihr Liebling werden. Das aber soll den Dichter nicht bestechen, sagte Alfred. Ich ehre von Herzen Diejenigen, welche den historischen Roman in würdiger Absicht bearbeiten, ich erkenne jede Eigenthümlichkeit an, die Schönes hervorbringt. Ich meine aber, der Beruf eines Dichters lege ihm in den verschiedenen Zeitaltern und Ländern verschiedene Pflichten auf. In Ländern, in denen das Volk selbstregierend Theil nimmt an allen Zeitinteressen, wo die Unterhaltung darüber von dem Palast bis in die Hütte dringt, wo Jeder die Gegenwart kennt, da darf der Dichter sich in poetischer Betrachtung der Vergangenheit zuwenden, denn die Arbeit des Tages wird gethan. Er darf die Vergangenheit erläutern und verklären, aus der die beglückende Gegenwart geboren ward. Das that Scott, aber sehr ausschließlich und entschieden im Sinne der Partei, der er angehörte; das thaten manche unserer Dichter mit großem Glück und Erfolg. Doch dünkt es mich augenblicklich in Deutschland eben nicht die Zeit dazu zu sein.

Nicht Zeit? fragte Therese und sagte dann, zu Theophil gewendet, leise: Sie stützen noch immer den Kopf auf die Hand, Sie haben Schmerzen. Wollen Sie, daß ich ein Fenster öffne?

Theophil dankte ihr und Alfred antwortete nach einer Pause, in der irgend ein der Unterhaltung fernliegender Gedanke ihn beschäftigt haben mochte: Nein! wir haben jetzt nicht Zeit, in poetischen Ergüssen zu feiern; denn unsere Tage sind Tage des Kampfes und der Arbeit. Warfen doch alle Dichter die Leier fort, zu der sie Liebeslieder sangen, um Schlachtgesänge zu jubeln, als es galt, das Vaterland von den Feinden zu befreien, die seine Grenzen überschwemmten. Die Welt des Gedankens ist unser wahres Vaterland, die Freiheit des Wollens und Handelns ein höheres Gut, als die Scholle, auf welcher wir zufällig den Tag zuerst erblickten. Für diese Heiligthümer [108] streiten wir jetzt; und Keiner, der mit geistigen Waffen für diese heiligsten geistigen Güter zu ringen Kraft fühlt, darf in müßigen Träumen feiern. Unser deutsches Volk schwelgt gar zu gern in der Poesie der Vergangenheit und in nebligen Hoffnungen einer glücklichen Zukunft, die nicht kommen wird, wenn man sie nicht mit dem Aufwande aller vereinten Kräfte erschafft.

Theophil lächelte etwas spöttisch und Alfred, der es bemerkte, fuhr noch lebhafter fort: Der Dichter, der sein Volk liebt, dem die Menschheit heilig ist, soll jetzt mit jedem Worte an die Kammer der Schlafenden pochen. Wie der Ruf eines Herolds soll seine Stimme durch das Vaterland erschallen. So lange nicht Dasjenige, was das Volk bedarf, was die Zeit erheischt, von Vertretern des Volkes berathen wird; so lange das Volk nicht frei seine Meinung sagen darf, so lange muß der Dichter in Bildern für sein Volk sprechen und in Bildern erklären, was die Nation bedarf und fordert.

Aber heißt das nicht, wiederholte Theophil, die Poesie vom Himmel zur Erde ziehen, und den Dichter zum Sklaven der Partei erniedrigen, da er doch über dem Leben stehen und mit unparteiischem Auge auf die Welt blicken soll.

Ueber dem Leben steht Niemand! rief Alfred sehr ernst. Wohl Dem, der auf der Höhe seiner Zeit steht und sie mit gesundem Auge betrachtet. Ich vermag die Gegenwart und die Vergangenheit zu überblicken, ich strebe, die Dunkelheit der Zukunft zu durchdringen; aber immer nur von meinem menschlichen Standpunkte aus, der innerhalb unserer Zeit, innerhalb des Lebens liegt. Was von dem Punkte, auf dem ich stehe, mir gerade erscheint, das sieht von einer andern Seite schief aus; so bilden sich für Jeden, der in die Ferne blickt, die verschiedenen Ansichten, die Parteimeinungen. Wer davon frei zu bleiben glaubt, irrt gewiß. Es wäre nur für Denjenigen möglich, der [109] eigensüchtig die Augen schlösse, um Nichts zu empfinden als sich selbst.

Ich habe, sagte Therese, bisher eine ähnliche Ansicht wie Theophil über den Beruf des Dichters gehabt. Ich glaubte, es wäre seine Aufgabe, das Leben zu verschönen, die misklingenden Dissonanzen in reine Harmonien aufzulösen und uns die Dornenpfade des Lebens mit Blumen zu schmücken.

Möglich, daß es einst so war, sagte Alfred, und daß noch mancher Dichter es so empfindet. Ich, der ich von Grund der Seele Partei nehme für unsere Zeit, ich vermag es nicht. Wenn ich von den entschwundenen Herrlichkeiten des deutschen Kaiserreichs, von dem Glanz der Vorzeit oder von ihrer Noth erzählte, immer würde an mein Ohr der Ruf des lebenden Volkes tönen, dem noch so Vielerlei zu wünschen bleibt. Ich würde es für eine Sünde halten, zur bloßen Belustigung Märchen zu schreiben, während noch wichtige Arbeit im Vaterlande zu thun ist.

Mit dem Roman läßt sich aber die Welt trotz alle dem nicht reformiren, meinte Theophil.

Aber Denen, die sich nicht mit den Ereignissen des Tages beschäftigen, denen die Bestrebungen der Zeit fremd bleiben würden, wenn man ihnen in wissenschaftlicher Form davon spräche, den Menschen kann der Roman sagen, was ihnen zu wissen Noth thut, und das soll er thun. Nicht nur großer Granitblöcke bedarf man, den Bau der Zukunft zu gründen, auch die leichtere Arbeit des Bildhauers gehört dazu und fördert, wenn sie an rechter Stelle und zu rechter Zeit gethan wird.

Wohin wird man sich nur vor dem Lärm der Arbeitenden flüchten? Wie wird man sich einen Augenblick Ruhe schaffen können? fragte Theophil.

Man wird, wie ich schon vorhin sagte, wenn man nervenschwach ist, sich selbstsüchtig in die Vergangenheit versenken und [110] unter Illusionen von der glücklichen Gegenwart müßig auf eine herrliche Zukunft hoffen, die nie kommen wird, wenn wir sie uns nicht schaffen.

Theophil erbleichte und eine heftige Entgegnung schwebte auf seinen Lippen, das sah Therese. Auch Reichenbach war in einer ihr unerklärlichen Aufregung, und sie fühlte, daß es Zeit sei, vermittelnd zwischen die Streitenden zu treten.

Nun! rief sie, Sie, meine Freunde, stehen mindestens nicht außerhalb der Zeit und der Partei, das beweist die Lebhaftigkeit Ihres Streites, die es mir bisher unmöglich machte, eine Frage einzuschalten. Ich möchte wissen, Herr von Reichenbach, ob Sie Ihre eigenen Erlebnisse zum Stoff für Ihre Arbeiten benutzen?

Es bedurfte nur der Erinnerung Theresen's, um beide Männer empfinden zu lassen, daß sie zu weit gegangen waren. Sie nahmen sich zusammen, verbargen den Unmuth, der in ihnen herrschte, und Alfred sagte: Darauf kann ich Ihnen ja und nein antworten. Ich gebe die Erfahrungen, die mich das Leben machen lassen, in der Form, welche mir die geeignetste dafür scheint. Die Erlebnisse selbst in nackter Wahrheit darzustellen, würde ich, falls es nicht eben eine biographische Arbeit gilt, für eine Indiscretion gegen mich selbst und gegen Andere halten, die mit mir auf dem Lebenswege zusammentrafen.

Aber die Charaktere entnehmen Sie dem Leben? Es scheint mir wenigstens, als ob ich die Originale zu manchen der Gestalten in Ihren Arbeiten erkennen könnte.

Da ich mich bis jetzt nur mit den Ereignissen unserer Zeit beschäftigte, da jede Zeit sich ihre eigenen Charaktere schafft, so müssen Sie nothwendig in meinen Arbeiten auf Erscheinungen stoßen, die Ihnen nicht fremd sind, ohne deshalb Portraits zu sein. Die äußeren Verhältnisse bilden den Menschen, wie er andrerseits die Verhältnisse gestaltet. Sobald ich also neue [111] Verhältnisse erfinde, muß ich auch die Gestalten der Gegenwart, die mir vorschweben, jenen erfundenen Verhältnissen so eng anzupassen suchen, daß sie sich gegenseitig bedingen. Gelingt mir das, so gewinnt die Dichtung Wahrheit, den Schein des Lebens, und dieser ist es, der dann zu dem Glauben verleitet, man schreibe das Leben ab, man gebe sich selbst und die nächste Umgebung wieder. Freilich kann ich die Welt nur mit meinen Augen betrachten und daraus entsteht die Subjectivität jeder Dichtung; aber ich kann, wenn ich gesunde Augen habe, in die Weite blicken, ich brauche nicht beständig meinen Nachbar oder mich selbst im Spiegel anzusehen.

Es entstand eine Pause, wie sie nie ausbleibt, wenn sich eine Misstimmung in einen kleinen Kreis eingeschlichen hat. Theophil benutzte sie, sich mit dem Bemerken, daß er heftiges Kopfweh habe, zu entfernen, aber auch nach seinem Fortgehen dauerte ein gewisser Zwang fort. Therese besiegte ihn zuerst.

Mich beunruhigt Theophil's Zustand! sagte sie. Er kann seit einigen Tagen wieder nicht die geringste Aufregung ertragen, ohne von seinen Nervenleiden geplagt zu werden. An Arbeiten ist gar nicht zu denken, er ist häufig niedergeschlagen und ich bin sehr erfreut, daß er sich gewöhnt, diese übeln Tage bei mir, statt einsam in seinem Zimmer zuzubringen.

Ihr Mitleid wird ihn noch mehr verweichlichen, als er es schon ist, wendete Alfred ein. Er ist nur zu träge, sich in ernster und anhaltender Thätigkeit Kraft zu suchen. Man hat ihm das Leben immer leicht gemacht, das Glück hat ihn begünstigt, so daß er lange nur zu genießen und mit dem Dasein zu spielen brauchte. Das Tändeln ist ihm darüber zu einer andern Natur geworden, und als dann endlich ein Leid über ihn kam, spielte er kindisch mit dem Schmerz. Ich hasse das an Männern, wenn schon Sie diese Schwäche interessant zu finden scheinen, schloß er, mit einer Bitterkeit, die ihm sonst nicht eigen war.

[112] Therese sah ihn lange ruhig an, als wolle sie in seinen Zügen lesen; dann sagte sie: Was fehlt Ihnen, mein Freund! denn so hart urtheilen Sie nicht, wenn Ihre Seele ruhig ist. Können und wollen Sie mir nicht sagen, was Ihnen geschehen ist?

Die Worte sagten nichts mehr, als jede Frau in ähnlichem Falle äußern würde; aber der Ton der Theilnahme, der Besorgniß machten sie für Alfred unschätzbar. Es schien, als ob er eines quälenden Zweifels ledig würde. Er ergriff Theresen's Hand und küßte sie. Sie haben Recht, sagte er, ich war einen Augenblick nicht ich selbst. Vergeben Sie es mir!

Und wieder stockte die Unterhaltung, bis er endlich nach einer Weile sagte: Ich komme, Abschied von Ihnen zu nehmen. Ich gehe noch heute nach Rosenthal.

Sie kommen Abschied nehmen? Sie gehen nach Hause? Und ich hoffte, Sie würden den Winter mit uns zubringen, ich fürchtete nicht, Sie so schnell zu verlieren! sagte Therese in einer Weise, die wider ihre Absicht, ihre schmerzliche Ueberraschung kund gab.

Alfred ward davon ergriffen. Sie hofften, daß ich bleibe, Sie fürchteten nicht, daß ich gehe? So bin ich Ihnen also doch etwas? So nimmt Theophil nicht all Ihre Theilnahme in Anspruch? rief er, überwältigt von der Macht eines Gefühls, dessen er sich plötzlich bewußt worden war, als er, bei Therese eintretend, sie mit Theophil allein gefunden hatte. Sagen Sie mir, daß meine Rückkehr Sie freut, Therese! Nur das Eine sagen Sie mir, und ich werde versuchen, die Stunden in Minuten zu verwandeln, die ich von hier entfernt sein muß.

Das hatte Therese nicht erwartet, nicht für möglich gehalten. Ihre Hand, die Alfred in der seinen hielt, zitterte leise, aber sie bezwang sich und sagte ruhig: Glauben Sie, daß ich den alten geprüften Freund über den neuen vergessen könne, [113] Herr von Reichenbach? Ich werde mich herzlich freuen, wenn Sie bald zurückkehren. Sie bringen dann Felix mit, nicht wahr? Sie bringen Ihren Sohn hieher?

Ich würde Ihren Worten glauben, Therese! rief Alfred, wenn Ihre Hand sie nicht Lügen strafte. Ihre Worte sind sehr ruhig, aber Ihre Hand zittert in der meinen. Lassen Sie mich Ihnen die liebe Hand dafür küssen. Auf Wiedersehen in möglichst kurzer Frist, theure Therese! auf recht baldiges Wiedersehen!

Er drückte ihre Hand an seine Lippen und ging schnell hinaus. Therese blieb in dumpfer Betäubung sitzen, dann faltete sie die Hände und schien nach langem lautlosen Brüten wieder zu der Ruhe und Klarheit gelangt zu sein, die ein hervorstechender Zug in ihrem Wesen waren.

[114]
12
XII

In beglückter Erregung legte Alfred den Weg nach seiner Wohnung zurück. Er hatte endlich sich selbst und sein Herz erkannt, er liebte Therese. Oft hatte er sich in der letzten Zeit gefragt, woher die Arbeitsfreudigkeit? woher der neue Liederreichthum in meiner Brust? und immer war er um die rechte Antwort verlegen gewesen. Jetzt war ihm das Räthsel gelöst und alle Zweifel über das gehoben, was ihm zu thun obliege. Therese mußte sein werden so bald als möglich; er fühlte, daß sie Bedingniß seines Glückes sei. Was er für sie empfand, war weit entfernt von dem glühenden Rausche jugendlicher Leidenschaft; es war reiner, edler, erhebender als jene. Therese war nicht jung, nicht schön, keine blendende Eigenschaft fesselte ihn an sie; aber sein Herz öffnete sich den erhabensten Gefühlen, sein Geist nahm den freudigsten Aufschwung in ihrer Nähe, weil er wußte, sie fühle tief wie er, sie folge theilnehmend dem Fluge seiner Gedanken. Ihr grader Charakter war ihm achtungswerth, ihre Art zu sein sagte all seinen Gewohnheiten und Neigungen zu. Es schien ihm die höchste Lust, sie beständig zur Gefährtin zu haben, denn er hatte die Zuversicht, mit ihr und in ihr das Glück zu finden, das er bis jetzt so sehr entbehrt hatte. Er liebte sie mit derselben Innigkeit, die ihn in der Jugend bei ihrem ersten Begegnen zu ihr gezogen hatte, und mit der Ruhe des reifen Mannes, die festzuhalten strebt, was sie einmal als das Rechte erkannt hat.

[115] Mit Lebhaftigkeit ordnete er Alles für seine Abreise an. Er schrieb Sophien, daß er Berlin auf einige Tage verlasse, daß er sie wiederzusehen hoffe und sie bäte, keinen für ihre Zukunft entscheidenden Schritt zu thun, ohne ihn davon zu benachrichtigen. Auch von Julian und von Eva nahm er schriftlich Abschied und nach beendigten Geschäften fuhr er den Weg nach Rosenthal zurück, auf dem er vor zwei Monaten Therese und Eva begegnet war.

Die Gegend, die er damals im reichen Farbenschmuck des beginnenden Herbstes gesehen, lag jetzt traurig und öde vor ihm; aber so sehr er sonst äußern Eindrücken der Art zugänglich war, so wenig berührten sie ihn diesmal. All seine Gedanken weilten bei Therese. Bald machte er sich Vorwürfe, daß er sich nicht entschieden gegen sie ausgesprochen und um ihre Liebe geworben habe, bald freute es ihn wieder. Noch war er mit einer Andern vermählt, noch dieses Band zu lösen. Die Sehnsucht nach Therese, die Vorstellung der Leiden, die er seiner Frau bereiten, die er selbst bei der Scheidung empfinden würde, rangen in seiner Seele miteinander und gewannen abwechselnd die Herrschaft. Das neuerwachte Gefühl zog ihn zu Therese; lange Gewohnheit, die uns bis zu einem gewissen Grade Alles werth macht, band ihn an seine Frau, an die Mutter seines Sohnes. Er prüfte sich lange, er schwankte oft, bis er sich mit beruhigtem Gewissen endlich sagte, daß nicht die Liebe für Therese, sondern die Abneigung gegen Caroline ihn zu der Scheidung genöthigt habe. Das beruhigte ihn in etwas. Er wollte alles Schwere und Schmerzliche, das ihn noch von einer Verbindung mit Therese trennte, allein durchkämpfen, und sie dann erst um ihre Hand angehen, wenn er sie in Ruhe und Frieden zu der Seinen machen konnte. Dann wieder schweifte sein Geist plötzlich zu den Arbeiten zurück, die er in der letzten Zeit begonnen und die er Therese noch nicht vorgelegt hatte. [116] Mit Freude dachte er daran, wie sie hier und dort den Anklang ihrer beiderseitigen Unterredungen, den Widerschein ihres eignen Wesens wieder finden würde. Er ahnte, was ihren Beifall haben, was gegen ihre Ansicht sein könne, und immer lieblicher malte er sich die Zukunft an ihrer Seite aus.

So verging ihm der Abend schnell und die Stunden der Nacht. Am Morgen, als er halten ließ, um sein Frühstück einzunehmen, fand er in dem Gasthofe einen Bekannten, dessen Besitzungen an die seinigen grenzten.

Nun? kommen Sie endlich doch hinaus? rief der Nachbar ihm entgegen, sobald er ihn erblickte; Sie sind lange ausgeblieben! Ja! die Residenz läßt Einen nicht leicht los. Aber es ist Zeit, daß Sie zusehen! Die Hälfte der Kartoffeln stecken bei Ihnen noch in der Erde, das sah ich im Vorüberfahren.

Ich weiß es, sagte Reichenbach. Mein Inspector schrieb mir, daß er sie noch in der Erde lasse, es ist nur ein ganz kleiner Theil. Ich will sie versuchsweise wie am Rheine zusammenstampfen lassen, und dafür mußten erst Keller zugerichtet werden. Mit verdoppelten Arbeitern und gutem Lohn ist der Zeitverlust bald eingebracht.

Will wünschen, daß Sie gut Wetter behalten. Bei mir ist Alles unter Dach, haben heute schon den ersten November. Sie bleiben doch nun wieder zu Hause? Ich finde Sie bei meiner Rückkehr? fragte der Gutsbesitzer.

Es kommt darauf an, wie lange Sie in Berlin verweilen, denn ich denke wieder dahin zurückzukehren.

Oho! rief der Andere, also spukt wieder einmal der Poet in Ihnen und läßt dem Landwirth keine Ruhe. Nun, Ihre Frau wird's sich gefallen lassen. Sie haben die letzten Jahre in der That wie Einsiedler gelebt; hat Niemand etwas von Ihrer Gesellschaft gehabt, außer den Kaplänen von Maria-Gnad. Der Kaplan Ruhberg ist ja seit einigen Wochen auch [117] wieder bei Ihnen zur Milchkur. Er sprach bei mir vor, ehe er zu Ihnen ging. Frommer, charmanter Herr! – Pferde fertig? abgefüttert? fragte er dann den eintretenden Kutscher und nahm mit derbem Händedruck und dem Wunsche, ihn bald wiederzusehen, von Alfred Abschied, als man ihm sagte, daß sein Wagen ihn erwarte.

Auf Alfred hatte die kurze Unterhaltung aber einen peinlichen Eindruck gemacht. Sie hatte ihn aus den heitern Entwürfen für seine Zukunft plötzlich in die Gegenwart zurückgerufen, in der noch so viel Hindernisse vor ihm lagen, noch so viel Wirren zu lösen waren. Seine Gedanken wendeten sich der Heimat mit immer größerer Sorge zu, je näher er ihr kam. Endlich erreichte er die Grenze seines Besitzes. Da fand sich bald hier, bald dort eine Vernachlässigung zu rügen; Anordnungen, die er vor seiner Abreise getroffen und deren schnellste Ausführung er befohlen hatte, waren nicht befolgt worden; er sah, daß er seinen Inspektor für zuverlässiger gehalten hatte, als er sich erwies. Mit wachsender Verstimmung fuhr er durch seinen reichen Besitz. Erst als er sein Schloß erblickte, wich sie dem Gedanken an den Sohn. Es that ihm leid, daß er seine bevorstehende Ankunft nicht gemeldet, daß er nicht den Befehl gegeben hatte, ihm Felix entgegenzuschicken; aber seine Abreise war so schnell gekommen, daß es nicht thunlich gewesen war.

Vor dem großen Rasenplatz angelangt, der sich an der einen Seite des Schlosses befand, hoffte er mit Sicherheit seinen Sohn zu erblicken, der dort in den Morgenstunden seine Spiele zu treiben pflegte. Er war aber nicht da und das beunruhigte seinen Vater. Caroline hatte in ihrem letzten Briefe des Knaben nicht gedacht, Felix nicht, wie er pflegte, ein Blättchen für den Vater beigelegt. Er fürchtete also den Knaben krank zu finden und, als er das Schloß erreicht hatte, als die Dienerschaft [118] herbeikam, ihn zu empfangen, war seine erste Frage nach dem Sohne.

Die gnädige Frau ist mit dem Herrn Kaplan zur Kirche nach Maria-Gnad gefahren und hat den jungen Herrn mitgenommen, gab man ihm zur Antwort.

Das beruhigte den Vater, aber sich besinnend fragte er: In die Kirche? heute?

Gnädiger Herr! es ist Allerheiligen! sagte der eine Diener.

Ja so! nun gut! Lassen Sie abpacken! Mit den Worten stieg Alfred die Treppe hinauf und wollte sich in sein Zimmer verfügen. Sein Diener aber bemerkte, da man des gnädigen Herrn Eintreffen nicht erwartet hätte, wären seine Zimmer nicht geheizt.

So sehen Sie zu, daß es gleich geschieht, befahl Alfred und trat inzwischen in das Wohnzimmer ein. Ungeduldig ging er umher und blieb dann an dem Fenster sitzen, um die Rückkehr der Seinen zu erwarten. Die Zeit schien ihm still zu stehen, jede Minute brachte ihm ein neues peinliches Gefühl. Die Diener, von der unklugen Gebieterin in die Geheimnisse der Eheleute zum Theile eingeweiht, schlichen scheu und ängstlich umher. Alles kam ihm fremd vor und doch war er in der Heimat. Die Stille, die Einsamkeit wurden ihm unerträglich: er verlangte den Sohn zu umarmen und bangte bei dem Gedanken, daß die Mutter mit demselben zugleich erscheinen werde. Er überlegte, was er ihr sagen, wie er es ihr sagen solle; da schlug fern ein Hund an. Er kannte den Laut, es war sein schöner Neufundländer, der sich niemals von dem Knaben trennte. Sein Herz klopfte ihm heftiger als sonst. Er hörte Wagengerassel, Pferdetritte, ging die Treppe hinab, Felix sprang aus dem Wagen und warf sich dem Vater mit beiden Armen an die Brust.

Caroline schrie auf, als sie ihres Mannes ansichtig ward, [119] und fiel ihm um den Hals. Alfred mußte es geschehen lassen, um vor der Dienerschaft keinen unangenehmen Auftritt zu veranlassen. Er bewillkommte kalt den Kaplan, bot seiner Frau den Arm und führte sie in das Haus.

Die Freude des Knaben kannte keine Grenzen und ward nur von der lautlosen Zärtlichkeit des Vaters übertroffen. Man konnte kaum ein schöneres Bild sehen, als den kräftigen Mann mit dem blühenden Sohne, wie sie voll Liebe aneinander hingen.

Mein Vater ist da! mein lieber Vater ist da! rief Felix. Nun werde ich wieder auf dem Castor mit Dir ausreiten. Nun werde ich wieder von den tapfern Rittern bei Dir lernen und nicht immer von den frommen Kindern! nicht wahr, Vater? fragte er.

Ja, mein Sohn! antwortete dieser, wir machen Alles wieder so wie sonst.

Und Du gehst nicht wieder fort, und ich und der Neptun schlafen auch wieder bei Dir. Du bleibst doch nun wieder ganz zu Hause, lieber Vater? Du gehst nicht wieder fort?

Doch, mein Sohn! aber ich nehme Dich mit, entgegnete der Vater.

Caroline, die in großer Verlegenheit sich mit dem Ablegen ihres Mantels, mit dem Zurechtrücken von Meubeln beschäftigt und mit dem Kaplan gesprochen hatte, der ihnen in das Wohnzimmer gefolgt war, und schweigend in der Fensterbrüstung saß, weil der Hausherr ihn geflissentlich vermied, trat plötzlich vor ihren Gatten hin und fragte: Wann willst Du, daß wir reisen, Alfred?

Ich denke nur so lange hier zu bleiben, als es unerläßlich nöthig ist. Längstens acht Tage, antwortete dieser.

Sehen Sie, lieber Kaplan! rief Caroline, die es nöthig fand, sich ihres geistlichen Freundes anzunehmen, sehen Sie, so machen es die Männer immer. Nun werden wir in fliegender [120] Eile von hier aufbrechen und ich hatte Sie eingeladen, unser Gast zu sein, bis Ihre Kur beendet wäre.

Du weißt, Caroline, daß es ganz in Deinem Willen steht, so lange hier zu verweilen, als es Dir beliebt, bemerkte Alfred laut; denn ich kam nicht in der Absicht, Dich zu holen, fügte er leise hinzu.

Hast Du meinen letzten Brief denn nicht erhalten? fragte Caroline.

Ja! antwortete Alfred.

Herr Kaplan! rief Caroline lebhaft, denken Sie nur, mein Mann hat meinen Brief erhalten und nach all den Demüthigungen, nach all den Zugeständnissen, die ich ihm auf Ihr Anrathen gemacht, beharrt er dennoch auf den alten Vorsätzen, wie es scheint. – Sie hätte für sich und ihren Freund nichts Ungeeigneteres sagen können.

Alfred fuhr heftig auf. Also daher, sprach er, kamen die guten Lehren? Ich hätte es ahnen können. Nun denn! mein Herr Kaplan, da ich Ihnen vermuthlich all die freundlichen Vorwürfe über mein Thun und Treiben, und eine Menge von Ermahnungen verdanke, die mir in den letzten Briefen meiner Frau zu Theil geworden sind, so erlauben Sie mir Ihnen auch eine gute Lehre zu geben. Stören Sie nie durch Ihre Gegenwart das Wiedersehen einer Familie, gleichviel ob diese sich in Frieden oder in Unfrieden begegnet. Der Fremde ist dabei stets überflüssig.

Der Kaplan, ein großer, hagerer Mann mit scharfen Zügen und schlichtem blonden Haar, schoß einen tückischen Blick auf Alfred, während er mit Salbung sagte: Ich fürchtete, wie es sich denn auch bewährt, daß Sie sich nicht in Frieden begegnen würden; und ich blieb da, um der gnädigen Frau beizustehen, wie es dem Beichtvater geziemt, in der Stunde der Prüfung.

[121] Ihres Beistandes wird Frau von Reichenbach mir gegenüber nie bedürfen, denn die Mutter meines Sohnes, die meinen Namen trägt, ist mir heilig wie meine Ehre, sagte Alfred mit Würde. Was wir aber mit einander abzumachen haben, das kümmert die Kirche bis jetzt noch nicht, und ich würde es Ihnen Dank wissen, mein Herr, wenn Sie sich entschlössen, die wenigen Tage, die ich hier verweile, uns selbst und unserm eigenen Nachdenken zu überlassen.

Das war mehr, als der Geistliche erwartet hatte, aber er suchte sich zu beherrschen, obschon er sich verfärbte. Ich bin nicht aus freiem Antrieb hier, entgegnete er mit erheuchelter Gelassenheit, ich kam nicht als Gast in Ihrer Abwesenheit in Ihr Haus, mein Herr von Reichenbach! Ich kam kraft meines Amtes auf den Ruf der verehrten gnädigen Frau, die Trost von mir verlangte, in der Vereinsamung, zu der Sie sie verdammt. Mit Ihrer Rückkehr ist mein Amt von selbst zu Ende! sagte er, und wollte sich, nach einer ehrfurchtsvollen Verbeugung vor der Hausfrau, hochgehobenen Hauptes entfernen; aber Caroline vertrat ihm rasch den Weg und, seine Hand ergreifend, sagte sie: Bleiben Sie, verehrter Freund, bleiben Sie und verlassen Sie mich nicht. Lassen Sie sich das Beispiel der Heiligen vorhalten, die wie Sie Schmähungen litten und Beleidigungen vergaben. Wie soll ich mir rathen oder wie soll ich Ruhe finden, ohne Ihren milden Trost, der seit Monaten hier meine einzige Zuflucht gewesen ist!

Wenn Sie mein bedürfen, gnädige Frau, erwiderte der Kaplan, werde ich Ihnen niemals fehlen. Dann verneigte er sich wieder, sagte Alfred mit einer Ruhe Lebewohl, als ob gar nichts Störendes zwischen ihnen vorgefallen wäre, und ging hinaus. Caroline folgte ihm auf dem Fuße nach.

Felix verstand natürlich den Vorgang in seiner wirklichen Bedeutung nicht, aber er sah, daß sein Vater verdrießlich sei, [122] schmiegte sich befangen an ihn, blickte ihm mit seinen großen Augen lange ins Gesicht und sagte dann: Du bist traurig, lieber Vater! so warst Du auch an dem Abend, als Du abreistest, ohne mir Lebewohl zu sagen. Bist Du krank, mein Vater?

Ich habe Kummer, mein Sohn! antwortete er ihm; indeß es wird besser werden, und dann werden wir auch wieder fröhlich sein wie sonst.

Aber Du bist nicht böse auf mich?

Niemals, mein Felix, wenn Du brav bist, und das warst Du doch, nicht wahr?

Felix ward roth, wollte sprechen und schwieg dann still. Man sah, daß seine junge Seele mit einem gewaltsamen Entschlusse ringe. Endlich fragte er: Hat's Dir die Mutter nicht geschrieben?

Sie hat mir geschrieben, daß Du artig und folgsam warst, und das hat mich gefreut, mein lieber Junge! sagte Alfred und zog den Knaben an sich, um ihn zu küssen. Da fiel Felix ihm an die Brust und rief, in Thränen ausbrechend: Es ist nicht wahr, Vater! ich war nicht brav und nicht artig. Ich war feig, als es blitzte, ganz feig; und ich habe auch den alten Leonhard geschlagen. Aber Mama und der Kaplan haben gesagt, sie wollten es Dir nicht schreiben und ich brauchte es Dir nicht zu erzählen. Ich solle es nur immer dem Herrn Kaplan sagen, wenn ich Unrecht gethan hätte, der würde mit mir Paternoster beten und mir Alles verzeihen.

Alfred fuhr mit einer Bewegung des Unmuthes empor. Der Knabe, welcher wähnte, dieser Zorn gelte ihm, rief traurig:

Sei nicht böse, Vater! ich thue es nie wieder. Ich werde nie mehr feig sein und Niemand schlagen. Ich wollte Dir es lieber verschweigen, aber ich dachte, wenn der Kaplan mir verzeiht, den ich gar nicht mag, so würdest Du mir's ja auch verzeihen.

[123] Damit schlang er seine kräftigen Arme um den Hals des Vaters, der ihn mit zärtlich ernsten Worten ermahnte und ihn fragte: Hast Du denn den alten Leonhard um Verzeihung gebeten?

Nein! zuerst wollte ich es thun, denn es that mir leid, aber die Mutter sagte, das sei gar nicht nöthig; ich sei ein Junker und der Leonhard ein Diener, dem hätte ich nichts abzubitten, antwortete der Knabe.

Alfred's Unmuth stieg mehr und mehr. Dies war die Weise, in welcher Caroline und der Kaplan, der sie vollständig beherrschte, das Gemüth und den Verstand des Knaben verdunkelten; und es hatte ihm Mühe genug gekostet, dagegen anzukämpfen, ohne dem Kinde die Anhänglichkeit und die Verehrung für die eigne Mutter zu rauben. Auch jetzt mußte er sich begnügen, dem Knaben sein Betragen zu verweisen, so gern er ihn zu einer Abbitte bei dem alten Diener veranlaßt hätte; aber das Ereigniß bestärkte ihn in dem Vorsatz, so schnell als möglich abzureisen.

Vor allen Dingen mußte er dazu sich mit seiner Frau verständigen. Daß dies in mündlicher Unterredung nicht möglich sei, wußte er bestimmt. Er kam also auf den Gedanken, einen alten Geistlichen, einen Freund seines verstorbenen Onkels, der auch ihm zugethan war, zum Vermittler zu brauchen. Wie der Kaplan, war auch der Domherr Geistlicher am Domstifte zu Maria-Gnad, das ganz in der Nähe von Alfred's Gütern lag, und Erbe der Güter werden sollte, falls die Reichenbach'sche Familie ausstürbe, oder sich durch Austritt aus dem Katholicismus des Besitzes verlustig machte.

Alfred schrieb dem geistlichen Freunde, bat ihn, sich zu ihm zu verfügen, und trat dann eine Wanderung durch seine Besitzungen an, auf der ihn Felix begleitete.

In der freien Natur erheiterte sich sein Gemüth. Es war [124] spät im Jahre, aber die Sonne hatte, als sie in ihrem Höhepunkte stand, die Nebel des Herbstes besiegt und leuchtete warm und freundlich am klaren Himmel. Die Luft war belebend frisch; ein Theil des Laubes hing in buntfarbiger Pracht noch an den Bäumen; das Gras war noch grün an vielen Stellen und hier und da drängte sich eine Blume an das Licht hervor. Felix und sein großer Hund sprangen jubelnd neben Alfred her, der mit der Lust des Besitzers durch die Gegend ging. Des Feiertages wegen rasteten die Arbeiter; es war still und friedlich umher. Einzelne Männer und Frauen, die in behaglicher Sonntagsruhe in ihren Häusern saßen, traten, den Herrn erkennend, vor die Thüren, um ihn willkommen zu heißen. Jeder hatte ihm Etwas zu erzählen, ihn um Etwas zu fragen. Der Eine dankte für eine Unterstützung, die ihm geworden, der Andere bat um eine solche, mit der Zuversicht, welche die Gewißheit der Erhörung gibt. Dazwischen wurden denn auch Klagen laut. Man beschwerte sich, daß man auf Befehl des Herrn Kaplan zwei kleinere Festtage habe rasten müssen, was den Tagelohn verringert. Man machte dem Inspektor der Fabriken den Vorwurf, daß er die Kinder zwei Stunden länger an jedem Tage habe arbeiten lassen, als Alfred es festgesetzt, und daß er sie benutzt habe, am Sonntage in seinem Garten zu jäten, ohne sie dafür zu entschädigen. Alfred hörte theilnehmend zu, versprach für Alles zu sorgen, die Uebelstände abzustellen, lobte hier die Ordnung, die er fand, tadelte in andern Häusern manchen Mißbrauch. Ueberall aber begegnete ihm ein offenes Zutrauen, ein williger Gehorsam, denn seine Untergebenen kannten und verehrten ihn als einen wohlwollenden, gerechten Herrn.

Das gewährte ihm eine innige Befriedigung. Hier, das fühlte er, war sein eigentlicher Wirkungskreis; das Loos dieser Menschen hatte ein günstiges Geschick in seine Hände gelegt, es [125] war seine Pflicht, für sie nach seiner besten Einsicht zu sorgen. Er hatte für die Güter und die Leute schon sehr viel gethan; die Insassen waren träge, arm und unbrauchbar gewesen. Aus einem dumpfen, bedürfnißlosen Leben hatte er sie zu einem verständigen Gebrauch ihrer Kräfte und ihrer Mittel erhoben. Hier wandelte er in einer Umgebung, die praktisch den Werth jener Theorien bewies, für die seine Feder kämpfte. Alles war ihm hier lieb und werth und mit freudigem Stolze hatte er oft Denen, die ihn einen Schwärmer schalten, geantwortet: Kommt zu mir hinaus und seht die Früchte meiner Schwärmerei. Tragen meine Felder weniger, gedeihen meine Fabriken minder, weil zufriedene Menschen sie bearbeiten? Fragt nach, ob ich mich über Ungehorsam zu beklagen habe, wo Jeder einsehen gelernt hat, daß ich nicht eigensüchtig nur an mich denke, sondern daß mir das Wohl Derer, die für mich ihre Kräfte anstrengen, lebhaft am Herzen liegt.

Es that ihm leid, daß die Sorge für die Erziehung seines Knaben ihn nöthigte, künftig ganz in der Stadt zu leben. Mit Therese, die eben so warm als er selbst für die Menschheit empfand, in vereinter Thätigkeit hier zu walten, schien ihm das neidenswertheste Glück. In der Stadt, nur auf literarische Beschäftigung angewiesen, kam er sich unthätig vor; hier, wo er mit ganzer Kraft sich der Bewirthschaftung seiner Güter überließ, fühlte er sich doppelt froh, in den Stunden der Muße sich geistiger Arbeit hinzugeben.

Eine Stunde und länger mochte er umhergegangen sein, als die Schloßglocke zum Mittag läutete und Felix ihn mit der Bemerkung aus seinen Gedanken riß, daß die Mutter auf sie warten werde. Anfangs hatte Alfred die Absicht gehabt, schon jetzt von seiner Frau getrennt, ganz in seinen Zimmern zu leben; allein Rücksicht auf den Knaben, dem dies befremdlich sein mußte, hielt ihn davon zurück. Er wollte den Schein des [126] guten Einverständnisses vor Felix bewahren und verfügte sich mit ihm in das Schloß zur Tafel.

Die Mahlzeit ging traurig vorüber. Caroline, schwankend zwischen dem Wunsche einer Annäherung an Alfred und dem Groll über die Ausweisung des Kaplans, ging von freundlichen Scherzen zu bitterer Gereiztheit über. Sie fragte nach Alfred's Treiben in der Stadt, nach den Personen, die er dort gesehen hatte. Sie klagte, daß er ihren besten Freund, den Einzigen, wie sie ihn nannte, so schnöde behandelt, und Alfred fühlte sich von diesem gezwungenen Beisammensein mehr als je gedrückt. Sobald es möglich war, beendete er die Tafel und zog sich auf sein Zimmer zurück.

Am Abend traf der Domherr bei ihm ein. Er hatte vermuthet, weshalb Alfred ihn beschieden, denn durch den Kaplan war er seit Wochen von den Absichten seines Freundes unterrichtet worden.

Ich ahnte eine solche Krisis lange, sagte er nach den ersten Besprechungen, aber wie Ihr Freund, der Präsident von Brand, rathe ich Ihnen von der Scheidung ab. Sie haben, wie Sie mir sagen, die Nachträge zu dem Testamente nicht dem Präsidenten vorgelegt; diese sprechen sich entschieden gegen Sie aus. Sie werden der Güter verlustig werden.

Alfred ging an sein Bureau, holte die Papiere hervor und sah sie durch. Als er es gethan hatte, erklärte er dem Freunde, daß er nichts Bedrohliches darin finde.

Geben Sie mir den dritten Nachtrag her, lieber Reichenbach, bat der Domherr, dieser enthält, was Ihnen gefährlich ist.

Den dritten? fragte Reichenbach, es existiren nur zwei.

So wissen Sie nicht, sagte Fernow verwundert, daß Ihr Onkel ein drittes Codicill in unsern Archiven niedergelegt hat?

Kein Wort weiß ich davon! entgegnete Alfred. Und was enthält dieses, wenn ich fragen darf?

[127] Es bestimmt ausdrücklich, daß den Geistlichen unseres Stiftes eine strenge Beaufsichtigung der Besitzer von Rosenthal zur Pflicht gemacht wird, und daß eine Uebertretung der Satzungen unserer Kirche, Seitens der Besitzer, die Güter in unsere Hände liefert, wenn kein katholischer Reichenbach sie übernehmen kann.

Alfred hatte das nicht vermuthet, er schwieg nachdenkend eine geraume Zeit, dann sagte er gefaßt: Im Grunde erfahre ich durch Sie eigentlich Nichts, was ich nicht wußte; denn schon die früheren Nachträge bestimmen ziemlich dasselbe, und was Sie mir sagen, darf in meinem Entschlusse keine Aenderung machen.

Da nahm der Greis, dessen edles Wesen Zutrauen erweckte, Alfred's Hand, drückte sie herzlich und sagte: Ich weiß, daß ich nicht in dem Geiste unserer Kirche verfahre, wenn ich Ihnen Rathschläge gebe, um Ihnen die Güter zu erhalten, denn unsere Kirche trachtet auch nach weltlichem Besitz. Ich bin es aber von je gewohnt gewesen, der Stimme meines Innern zu folgen und habe mein Ohr und mein Auge nie den Anforderungen der gegenwärtigen Zeit verschlossen. Ich sah Ihr Walten auf diesen schönen Besitzungen mit inniger Freude. Sie haben durch gutes Beispiel, durch vernünftige Lehren hier mehr gewirkt, als alle meine Amtsbrüder in ihren Diöcesen durch die Lehren der Kirche. Sie haben die Menschen zu dem Gefühl ihrer Menschenwürde herangebildet, indem Sie sie glücklich machten; Sie haben sie vor Verbrechen bewahrt, indem Sie sie vor Mangel und Verwilderung schützten. Mehr soll und kann die Kirche nicht. Alle diese Menschen sehen mit Zuversicht auf Sie, hoffen eine gesicherte Zukunft von Ihnen, und Sie denken nur an Ihr eigenes Glück? Darin, mein verehrter Freund! erkenne ich Sie zum ersten Mal nicht wieder!

[128] Alfred versank in ernstes Sinnen. Der Domherr ließ ihn gewähren, dann sagte er: Bis zu der Großjährigkeit Ihres Sohnes würden wir, ich an der Spitze, die Verwaltung der Güter übernehmen; aber ich bin alt und kann jeden Augenblick abgerufen werden von der Erde. Der Kaplan Ruhberg wird, wie voraussichtlich, mein Nachfolger sein. Sie kennen ihn und seinen fanatischen Eifer. Wollen Sie ihm Ihr schönes Werk überlassen? – Felix ist zehn Jahre alt, noch vierzehn Jahre trennen ihn von dem Besitz, und vierzehn Jahre können all das Gute zerstören, das Sie geschaffen haben.

Mein edler, mein wackrer Freund! rief Alfred übermannt; glauben Sie mir, ich gehe nicht leichtsinnig von dem Posten, auf den das Geschick mich gestellt hat. Ich hänge an diesen Verhältnissen wie ein Vater an seinem Kinde. Ich liebe meine Schöpfung hier, wie ein Künstler sein bestes Werk; aber ich habe elf freudlose Jahre in unglücklicher Ehe verlebt. Ich habe die Frau wiedergefunden, deren Besitz mich hoch beglücken würde; ich liebe sie, ich habe sie längst geliebt, dessen bin ich mir jetzt bewußt. Fühlen Sie, welch schweren Kampf ich kämpfe?

Sobald Sie kämpfen, meinte der Domherr, werden Sie auch siegen, dafür bürgt mir die Redlichkeit Ihres starken Willens.

Ich persönlich hänge nicht übermäßig an Hab und Gut, sagte Alfred, aber ich wünsche natürlich meinem Sohne den Besitz und den Wirkungskreis, denen ich so reines Glück verdanke, einst zu hinterlassen. Ich hoffe ihn zu einem Manne zu erziehen, der mich bei den Kindern meiner Gutsinsassen vertreten, der für sie werden soll, was ich den Vätern bin, ein treuer Schutz und Schirm.

Und glauben Sie, daß man Ihnen die Erziehung Ihres Sohnes überlassen werde? fragte der Domherr.

[129] Wer kann mir dieses Recht streitig machen? rief Alfred.

Die Kirche! antwortete der Domherr. Denn jenes Codicill bestimmt für diesen Fall ausdrücklich, daß ihr die Erziehung eines minorennen Erben zufalle.

O, das ist zu viel! sagte Alfred im Tone höchster Empörung. Das ist zu viel! Das ist mehr als Sklaverei. Wie konnten Sie mir dies Dokument bis jetzt verheimlichen, das mich ganz und gar in Ihre Hände gibt?

Ich glaubte Sie davon unterrichtet; ich war überzeugt, daß auch Sie eine Abschrift davon erhalten hätten. Ihr verstorbener Onkel übergab es mir nur kurze Zeit vor seinem Tode. Er hatte mit mir davon gesprochen, daß er Sie zu seinem Erben ernannt habe. Dann war ihm der Gedanke gekommen, daß bei Ihren ihm bekannten Gesinnungen ein Religionswechsel möglich sei, und diese Rücksicht scheint die Bestimmungen veranlaßt zu haben, welche das letzte Codicill enthält. Ich allein kenne dieses dritte Codicill; ich habe mir nie eine Beaufsichtigung Ihrer Handlungsweise erlaubt, denn ich kannte und schätzte Sie und Ihre Absichten und Thaten. Das ganze Stift aber kennt das Testament, und eine Ehescheidungsklage, von Ihnen angestellt, würde mehr als genug für Ruhberg sein, den Sie oft in seiner geistlichen Eitelkeit verletzt haben, gegen Sie aufzutreten und den Andern begreiflich zu machen, was man durch einen Angriff gegen Sie gewinnen könne.

Welch unwürdige Behandlung, welche verdammenswerthe Täuschung! rief Alfred mit zorniger Empörung. Man setzt mich unter Vormundschaft wie ein Kind; wie ein Kind, dem man nicht den freien Gebrauch seiner Kräfte gönnt, hält man mich an unsichtbaren Banden fest! Mein freudigstes Schaffen, mein redlichstes Bestreben wende ich für die Menschen an, denen ich Herr geworden bin; und nun, da Alles gedeihet und blühet, [130] da ich ernten möchte, was ich gesäet, nun ruft man mich wie einen müßigen Knecht von der Arbeit, die mein Glück und meine Freude war. Und warum? Weil ich das Recht verlange, das auch dem Niedrigsten zusteht, das Recht, nach seinem freien Willen zu handeln.

Der Domherr antwortete ihm nicht, und Alfred fuhr nach einer Pause fort: Zusehen soll ich, wie blinder Fanatismus und Aberglaube die Vernunft Derer verdunkeln, die ich mühsam ans Licht gewöhnt! Man wird zerstören, was ich für eine Zukunft fruchtbringend gehofft; und meinen Sohn, meinen eignen Sohn will man mir rauben, um ihn zum Werkzeug einer Ansicht zu machen, die ich tief verdamme! Nimmermehr! Das soll und wird nun und nimmermehr geschehen!

Er ging heftig im Zimmer umher, der Domherr störte ihn nicht. Plötzlich blieb Alfred vor ihm stehen und sprach: Vergeben Sie mir, theurer Freund, wenn ich Sie gekränkt haben sollte. Ich kann der Empörung noch nicht Herr werden, mit der mich Ihre Mittheilungen erfüllten. Ich bin zu aufgeregt, ich weiß mich nicht zu entscheiden, haben Sie Nachsicht mit mir.

O! weit mehr als das! ich bedaure Sie, mein Freund! sagte der Greis sehr mild. Aber suchen Sie mit sich einig zu werden, und vor allen Dingen entscheiden Sie sich nicht schnell. Bedenken Sie, wie gleichgültig wir oft schon nach wenig Jahren gegen Dasjenige werden, was wir einst lebhaft gewünscht haben. Urtheilen Sie in Ihrer Angelegenheit mit dem kalten Blute des Greises, nicht mit Ihrem heißen Herzen, und lassen Sie mich wissen, wofür Sie sich entschieden haben.

Und was thäten Sie? fragte Alfred.

Ich habe durch vierzig Jahre gelernt, mein Glück in dem Wohle Anderer zu suchen; ich habe nichts für mich erstrebt; meine eignen Wünsche früh begraben. Fragen Sie mich nicht, [131] es muß Jeder aus seiner eignen Natur den rechten Weg ermitteln. Gott sei mit Ihnen, werther Freund!

Alfred umarmte den Greis gerührt und eine Thräne perlte in seinen Augen. Ob sie der Zorn, ob sie der Schmerz erpreßt? wer wollte das entscheiden, in einer Stunde, in der so verschiedene Gefühle ihn bestürmten!

[132]
13
XIII

Die Nacht verging dem heftig Erregten ohne Schlaf. Er legte das Wohl seiner Untergebenen gegen seine eigenen Wünsche in die Wagschale; er hielt es sich vor, wie man seinen Sohn von ihm trennen, ihn in einer Richtung erziehen werde, die ihm verwerflich schien. Bald wollte er Alles opfern, um nur frei zu werden, bald fühlte er den Muth, dem Glück der Liebe zu entsagen, um in Pflichterfüllung Ruhe und geistige Befriedigung zu erlangen. Je länger er wachte, je mehr erhitzte sich seine Phantasie. Jeder Athemzug des schlafenden Knaben berührte schmerzlich sein Ohr. Das Kind schlief so ruhig, es ahnte nicht, welch schweren Kampf sein Vater in sich kämpfte, wie er mit sich rang, dem Sohne das größte Opfer zu bringen. Alfred konnte keine Ruhe auf dem Lager finden, er stand auf, um dem Präsidenten den Vorfall zu berichten. Dann schrieb er dem Domherrn und bat, wenn sie zu schaffen sei, um eine Abschrift des betreffenden Codicills. Darüber kam endlich der Morgen heran, und noch lastete die in bangen Zweifeln verlebte Nacht schwer auf seinem Geiste. Die Stunden der Dunkelheit hatten seinen Blick in die Zukunft getrübt; er sah die Welt in den düstersten Farben an, und athmete erst auf, als der erste Lichtstrahl in sein Auge fiel, als er das Licht wieder in der Natur erblickte. Damit wachte die Hoffnung in ihm auf, sein Muth belebte sich und die Fähigkeit zu kräftigen Entschlüssen fing sich in ihm wieder zu regen an.

[133] Aber sein Kopf glühte, sein Körper war fieberisch erregt, er ging hinaus ins Freie, um sich abzukühlen. Ein frischer Reif hatte sich über den Boden gelegt und zitterte glitzernd auf Gras und Laub. Es war empfindlich kalt, indeß diese Kälte that dem Aufgeregten wohl. Die Gegend erschien ihm doppelt schön, sein Besitz war ihm doppelt lieb, da er an die Möglichkeit dachte, sich von allem Diesem trennen zu müssen. Er band im Garten ein paar junge Bäume fest, die er einst selbst gepflanzt hatte; es that ihm leid, daß man sie in seiner Abwesenheit nicht gehörig besorgt hatte. Mitten in der Arbeit hielt er inne: Das Schicksal eines Baumes bewegt Dich, sagte er, und Du könntest daran denken, das Loos aller Deiner Untergebenen, das Loos Deines Sohnes einer fremden Hand anzuvertrauen? Unmöglich!

Sein Entschluß, in seinem bisherigen Wirkungskreise zu bleiben, befestigte sich in seiner Seele; aber als er ihn gefaßt, als er ihn ganz durchdacht hatte, da drängte sich ihm schmerzlich die Frage auf, wie er es tragen werde, auf das Glück zu verzichten, das er sich in der Vereinigung mit Therese erhofft hatte. Er wollte ihr schreiben. Was sollte, was konnte er ihr aber sagen? Er zweifelte nicht an ihrer Liebe, er wußte, daß sie die seine kenne. Durch Julian mußte sie erfahren, wie es ihm unmöglich werde, den Wünschen seines Herzens zu folgen; wie er sich Dem opfere, was er für seine Pflicht halte. Zu schreiben fehlte ihm der Muth, dennoch verlangte er lebhaft sie wiederzusehen.

Um die Frühstückszeit kehrte er in das Schloß zurück. Er küßte Felix und drückte ihn an sich mit einer Bewegung, die dem Knaben nicht entging. Lange hielt er ihn in seinen Armen fest, er erkaufte den Sohn mit dem Glück der eignen Zukunft.

Sein Begegnen mit Caroline war kalt. So sehr er dagegen kämpfte, er konnte eines Grolles gegen sie nicht Herr [134] werden, den er früher nicht empfunden hatte. Es war ihm, als stände nicht das Testament des Onkels, sondern sie allein zwischen ihm und seinen Wünschen, als trenne sie allein ihn von seinem Glück.

Der Tag verging in Thätigkeit mancher Art. Er hatte Berechnungen durchzusehen, die Arbeiten im Felde und in den Fabriken zu revidiren. Eine Vermessung des Forstes war nöthig, sie sollte am heutigen Tage angefangen werden, und Alfred wollte dabei sein. Er ritt hinaus, nahm den Knaben mit sich; aber er konnte die rechte Lust an der Arbeit nicht finden. Er fühlte sich innerlich gehemmt. Die Leute, mit denen er sprach, fanden ihn nicht so klar und so bestimmt wie sonst, ihm selber war zu Muthe, als trete er heute den Besitz aufs Neue an; aber er freute ihn nicht, denn er litt noch zu sehr von dem Opfer, durch das er sich ihn erwarb und erhielt.

Ein reitender Bote war zum Domherrn nach Maria-Gnad gesendet. Er kam zurück und brachte die Antwort, der Domherr werde wieder zu ihm kommen, und der würdige Greis hielt ihm sein Wort.

Alfred ging ihm bis an die Grenze seines Parks entgegen. Des Domherrn Blicke fragten, was er beschlossen habe? Alfred verstand die stumme Frage und sagte tiefaufathmend, sobald er mit dem Freunde allein war: Ich bleibe hier, mein Freund! Aber die Worte klangen so muthlos, daß der Domherr ihn bekümmert ansah und ihn fragte: Und erhebt Sie der schöne Entschluß nicht, den Sie gefaßt haben?

Nein, antwortete Alfred, ich bringe das Opfer nicht freudig; ich fühle meine Pflicht wie eine schwere, drückende Bürde.

Das ist der erste Schmerz, meinte der Domherr; Sie werden ihn überwinden, glauben Sie mir, und Glück und Freude wird Ihnen daraus erwachsen.

[135] Alfred schüttelte ungläubig das Haupt und schwieg. Dann sagte er: Nun habe ich eine Bitte an Sie, theurer Freund! Uebernehmen Sie es, mit meiner Frau die Maßregeln zu besprechen, die für unsere Zukunft nöthig sind. Ich würde es gern sehen, wenn sie von Rosenthal, das mir besonders werth ist, fortzöge. Sie soll wählen, ob sie auf Worben oder auf Plessen wohnen will. Das Gut, das sie vorzieht, will ich ganz nach ihren Wünschen einrichten lassen; gleichviel, ob sie es für immer oder nur als Sommeraufenthalt zu bewohnen gedenkt. Sie selbst soll das Jahrgeld bestimmen, das sie zu bedürfen glaubt, und jede Verfügung treffen, die ihr für ihr Leben angenehm scheint. Ich werde in Berlin bleiben, meines Sohnes wegen, denke aber alle sechs, acht Wochen mindestens ein paar Tage hieherzukommen. Ohne das Auge des Herrn gedeiht nichts, das sehe ich, und ich hoffe, auf die Weise, die ich Ihnen andeutete, all meinen Pflichten genügen zu können.

Der Domherr hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann: Es ist mein Beruf, zu versöhnen, nicht zu scheiden. Ihren Gütern habe ich Sie durch meine Bitten erhalten; wäre es mir doch möglich, Sie auch Ihrer Frau zu erhalten! Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen. Bedenken Sie nur, daß aller Vortheil dieser Trennung Ihnen allein zu Gute kommt. Sie behalten den Sohn, Sie haben ein freies, durch Thätigkeit mancher Art ausgefülltes Leben; was hat eine Frau zu erwarten, die man von ihrer Familie trennt?

Kein schlimmer Loos, als ich alle diese Jahre hindurch an ihrer Seite erduldet habe, sagte Alfred.

Aber Sie hatten den Sohn, sich zu trösten! wendete der Domherr ein.

Und was hat das vortreffliche, edle Mädchen, das ich liebe, dem ich entsage, sich zu trösten, als sich selbst? rief Alfred bitter. [136] Muß dieses, das schuldlos leiden wird, nicht trachten, mit sich einig zu werden, in sich die Kraft für ihr Leben zu finden? Muß ich nicht ein einsames Dasein erdulden? Muß ich nicht darben, wo ich ein Glück genießen könnte? – Nein, nein, lieber Freund! verschwenden Sie Ihre wohlgemeinten Bemühungen nicht. Ich weiß, was mir frommt, was uns frommt. Gehen Sie zu meiner Frau und machen Sie meinen Wünschen sie geneigt. Ich bin zu jedem Zugeständnisse bereit, wenn wir uns auf friedlichem Wege trennen können. Aber trennen müssen wir uns!

Vergebens machte der Domherr neue Friedensvorschläge, Alfred beharrte auf seinem Willen und Jener verfügte sich zu Caroline, um ihr die Wünsche ihres Mannes mitzutheilen. Sie hörte den Greis, der ihr durch sein geistliches Amt ebenso Ehrfurcht gebot, wie durch seine Person, mit mehr Ruhe an, als ihr sonst eigen war, beschwerte sich dann bitter über das Loos, mit einem so phantastischen, launenhaften Manne verbunden zu sein, klagte Alfred wegen einer Menge Fehler an, und sagte endlich: sie könne keinen Entschluß fassen, sie wolle sich erst mit dem Kaplan berathen, da ihr Mann den Domherrn zu seinem Beistand erwählt habe. Damit erklärte dieser sich, wiewohl ungern, einverstanden, weil er dem Kaplan mißtraute, und ging zu Alfred zurück, ihn von dem Erfolg seiner Sendung zu benachrichtigen.

Im Hause herrschte danach ein sehr peinlicher Zustand. Die Gatten sahen sich gar nicht, außer während der Mahlzeiten. Alfred saß verdüstert an der Tafel, Caroline ließ ihren Mißmuth an der Dienerschaft aus, die verlegen und eingeschüchtert ihr Amt verrichtete, und selbst Felix ward scheu und unlustig. Er kam Alfred wie ein Vogel vor, der bei herannahendem Sturm instinktmäßig die Gefahr empfindet, bange umherflattert [137] und nicht weiß, wie er sich schützen soll, da er das Uebel nicht kennt, das ihn bedroht. Das Kind that ihm sehr leid und machte ihm durch seine sorglosen Fragen Kummer. Alfred erwartete deshalb die Entscheidung mit Ungeduld; aber der Kaplan war für ein paar Tage verreist und man mußte sich bis zu seiner Rückkehr bescheiden.

[138]
14
XIV

Sobald der Kaplan heimgekommen war, verfügte er sich zu Caroline. Er hörte ihr zu, als sie ihm klagte, und hatte, wie es seine Art war, das Gesicht in die Hand gelehnt, so daß er den Ausdruck seiner Züge verbarg. Als sie ihren Bericht geendet hatte, sagte sie: Nun wissen Sie Alles, nun rathen Sie mir, was soll ich thun?

Was wünschen Sie zu thun? fragte er.

Können Sie das fragen? rief Caroline. Ich habe es Ihnen tausend Mal gesagt, es ist eine wahre Thorheit, daß mein Mann an eine Scheidung denkt; es ist gar kein Grund dazu vorhanden. Mein Gott! ich habe ja nie geleugnet, daß es dann und wann einen Streit zwischen uns gegeben hat, aber wo wäre eine Ehe, in der das nicht vorkäme? Mein Vater hat mit beiden Frauen wie die Engel im Himmel gelebt und nach jedem kleinen Zank ist die Versöhnung eine neue Freude geworden. Warum nimmt mein Mann denn Alles so gar schwer?

Also wünschen Sie mit ihm vereint zu leben? fragte der Kaplan weiter!

Natürlich! sagte Caroline. Ich allein habe mich im Grunde zu beklagen. Ich weiß, daß mein Mann in der Stadt in vielfachen Verhältnissen lebt, die meine Rechte beeinträchtigen, während ich ihm ganz und gar ergeben bin. Ich habe das getadelt, ich habe ihm gesagt, daß ich eifersüchtig sei, aber muß [139] man sich deshalb trennen? Was gewinne ich denn durch eine Trennung? Mein Sohn wird mir entzogen, das ist das Schrecklichste für eine Mutter. Aus einer Frau, die jetzt die schönste Stellung in der ganzen Provinz hat, die Jeder beneidet, soll ich zu einer Wittwe werden, die ein Gnadenbrot genießt. Und weshalb? Weil Alfred sich einbildet, unglücklich zu sein. Aber ich habe mich nicht unglücklich gefühlt, und ich will es auch nicht werden. Alfred wird allmälig seine poetischen Grillen vergessen und wir werden wieder ganz zufrieden leben wie bisher. Eigentlich war es eine Kleinigkeit, ein unbedeutender Streit, der den ganzen Aufruhr veranlaßte; ich wäre also thöricht, wollte ich nachgeben und mich in die Vorschläge meines Mannes fügen.

Glauben Sie, daß Herr von Reichenbach sich von Ihnen zu einer Wiedervereinigung bewegen läßt? fragte Ruhberg.

Ich zweifle daran, denn er ist sehr eigensinnig.

Und Sie wollen sich um keinen Preis von ihm trennen?

Nein! rief Caroline bestimmt.

So vertrauen Sie mir, sagte der Kaplan, und folgen Sie unbedingt meinem Rathe. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Sie allein sollen schwere Opfer bringen, damit Herr von Reichenbach seinen Neigungen ungehindert nachgeben könne, und obenein will er sie zwingen, eine Sünde zu begehen. Da sei Gott für, daß ich dies geschehen lasse! Ihre Seele ist vom Himmel meiner Obhut anvertraut, ich muß jenseits Rechenschaft für sie ablegen, und ich darf und werde nicht zugeben, daß man Sie dazu drängt, ein Unrecht zu begehen. Er hielt inne und sagte dann nach einiger Ueberlegung: Verwerfen Sie alle Anträge, die Herr von Reichenbach Ihnen macht. Erklären Sie fest, daß Sie sich nicht von ihm trennen wollen, daß Sie verlangen, er solle Sie in alle Ihre Rechte wieder einsetzen.

Und wenn er es verweigert?

[140] So bestehen Sie dennoch darauf. Einstweilen bleiben Sie äußerlich in der Stellung, die Ihnen werth ist, und wir gewinnen Zeit; und Zeit gewonnen, Alles gewonnen!

Aber wohin soll das führen?

Zu einer Vereinigung Derer, die zueinander gehören, sagte der Kaplan. Zögert Herr von Reichenbach, sich mit Ihnen auszusöhnen, so thun wir, als ob Sie eine gerichtliche Scheidung verlangten oder gänzliche Vereinigung. Zu der Ersten kann er es aus Gründen, die ich Ihnen seiner Zeit enthüllen werde, nicht kommen lassen; er wird den friedlichern Ausweg wählen und ich hoffe, Sie werden es nicht zu bereuen haben, daß Sie sich mir vertrauten.

Mein Mann wünscht in einigen Tagen von hier abzureisen und will meinen Sohn mit sich nehmen, sagte Caroline nachdenkend und zögernd.

Hindern Sie ihn nicht daran, diese Trennung ist für den Augenblick nothwendig. Sie müssen Beide ruhiger werden, um sich mit einander verständigen zu können.

Herr Kaplan! rief Caroline, ich habe nur den einzigen Sohn, ich liebe ihn wie mein Leben; fühlen Sie, wie mir der Gedanke das Herz bricht, mich von ihm zu trennen?

Arme Frau! sagte Ruhberg und drückte zärtlich ihre Hand. Mag das Beispiel der gebenedeiten Gottesmutter Sie stärken. Je schwerer der Kampf, desto schöner der Sieg. Sie bringen sich selbst zum Opfer, um Ihren Gatten zu seiner Pflicht zurückzuführen. Solche Werke gefallen Gott wohl.

[141]
15
XV

Am Abend dieses Tages begab sich Caroline in das Zimmer ihres Mannes, der mit dem Domherrn über Land gefahren war. Sie hatte Alfred ihren Entschluß schriftlich mitgetheilt, Ruhberg den Brief gezeigt und ging jetzt, ihn auf den Schreibtisch zu legen, damit jener ihn bei seiner Rückkehr fände. Schon wollte sie sich wieder entfernen, als ein anderer Brief ihre Aufmerksamkeit fesselte. Er war an Alfred gerichtet und offenbar von weiblicher Hand geschrieben. Carolinen's Mistrauen war augenblicklich angefacht. Sie hielt den Brief prüfend gegen das Licht. Das Couvert war von dunklem Papier, sie konnte nichts von dem Inhalt erspähen. Sie schwankte eine Weile, dann sah sie nach der Uhr, berechnete, daß ihr noch eine lange Zeit bis zu Alfred's Rückkehr bleibe, nahm den Brief und eilte damit in ihr Zimmer. Dort angekommen, eröffnete sie ihn. Er war französisch geschrieben und »Sophie Harcourt« unterzeichnet. Ihre Eifersucht flammte hell auf. Der Brief lautete: »Mein theurer Freund! Ich habe bis jetzt vergebens Ihre Rückkehr erwartet, ich habe darauf gehofft, wie auf das einzige Glück, das mir noch werden kann. Mein Herz verlangt darnach, sich vor Ihnen zu öffnen, keine Falte meiner Seele soll Ihnen verborgen bleiben; ganz und ungetheilt sollen Sie mich kennen. Ich bin gewiß, Sie werden mich nicht verdammen, Sie werden den Schritt billigen, den ich zu thun gedenke. O! wüßten Sie, was ich für Sie empfand in der Stunde unseres Begegnens; [142] wüßten Sie, mit welchen Gefühlen ich an Sie denke! Sie haben mich vor schwerem Verbrechen bewahrt. Eifersucht, Verzweiflung durchtobten mich, ich war zu dem Aeußersten bereit. Da kamen Sie wie mein guter Engel, wie zu meinem Schutzgeist blicke ich zu Ihnen empor!«

So weit hatte Caroline zitternd gelesen, als sie das Rollen eines Wagens hörte. Sie steckte den Brief in das Couvert, machte dies geschickt wieder zu und eilte, es auf den Schreibtisch ihres Mannes zu legen, der gleich darauf in das Zimmer trat.

Er langte hastig nach dem Briefe seiner Frau und sah mit Ueberraschung, daß sie alle seine Vorschläge verwarf. Das hatte er nicht erwartet, er begriff nicht, was sie zu erreichen hoffte, was sie mehr verlangen könne. Die neuen Hindernisse verstimmten ihn, mehr noch die Art, in welcher der Brief geschrieben war. Mit der kalten Gewohnheit des Geschäftsmannes öffnete er das andere Schreiben und las es mit immer wachsender Theilnahme und Rührung. Nach der ersten Einleitung hieß es weiter:

»Ich bin in einer Welt erzogen, in der man die hergebrachten Sitten und Gewohnheiten geringschätzt, ich habe sie verachten gelernt. Ich habe Frauen und Männer gekannt, die unter dem Schein der Zucht und Ehrbarkeit all ihren Lüsten fröhnten. Heute sah ich junge Gatten sich vor dem Altare verbinden und schon wenig Wochen darauf kniete der Mann, der einem Engel der Unschuld Treue gelobt, zu den Füßen eines Weibes, das nicht werth war, jenem Engel die Schuhriemen zu lösen. Ehrenmänner vertrauten der Tugend ihrer Frauen, die in den Armen junger Laffen den unbefleckten Namen ihres Gatten preisgaben – und die Welt hielt jene Frauen für rein, jene Männer für untadelhaft!

In meinem Beruf darauf angewiesen, durch den Schein die Wahrheit darzustellen, ist mir der Schein verhaßt geworden [143] und mein ganzes Dasein ist ein Streben nach Wahrheit gewesen. Jene Verbindungen, die aus Habsucht und tausend andern Rücksichten geschlossen, mit dem ehrbaren Namen einer ›rechtmäßigen Ehe‹ die ungezügelte Freiheit des Lasters heiligen, widerten mich an. Mich dünkte die Fessel unwürdig, die man sich mit einem Eide auferlegt. Waren doch so Viele nur zu bereit, die drückende Kette zu lockern, sich so frei darin zu bewegen, als möglich. Ich habe die Ehe in ihrer jetzigen Form tief verachtet. Man setzt einen Preis für die gegenseitige Liebe fest, man zügelt dies Gefühl bis zu der Stunde, in der ein fremder Mann, ein Priester, erlaubt, daß man sich an gehören dürfe. Dann werden fremde Menschen zu festlichem Gelage vereint; in perlendem Wein erhitzen sich die Geister, freier und kühner werden die Scherze der glückwünschenden Männer vor dem beleidigten Ohre der zitternden Braut, und mitten aus dem wilden Gewühl entführt sie der Bräutigam zu den Mysterien der Liebe, wie ein Sultan die Odaliske, und das freche Lächeln der Hochzeitgäste begrüßt am nächsten Morgen die Neuvermählte. Das nennt man Sitte, das nennt man Keuschheit und Civilisation! das heiligt die Kirche, das beschützt der Staat!

Wie tief entwürdigt erschien mir in solchen Augenblicken das Weib, wie roh die Menschen, die solche Hochzeitsfeier heilig nennen! Wie glücklich, wie rein fühlte ich mich in dem Gedanken, einem geliebten Manne zu gehören, ohne Eid und Schwur; sein geworden zu sein in einer Stunde seligster Entzückung, in der wir die Welt im Herzen trugen, die heiligste Welt der Liebe, die keiner geputzten Hochzeitzeugen bedarf, weil sie das Recht zu gänzlicher Vereinigung in sich selbst besitzt!

Ich habe geglaubt, der Mensch bedürfe keines andern Zwanges; die Erkenntniß des Wahren, die Liebe, das Recht, das seien die Gesetze, das sei die Religion für den Denkenden. Ich wollte nicht heimlich thun, was ich für Recht hielt, ich [144] wollte nicht geduldet werden durch scheinbare Unterwerfung unter die Sitte. Frei und stolz, habe ich gesagt, so handle ich, und ich handle Recht, weil ich weiß, daß ich nie von dem Wege wahrer Pflicht und wahrer Ehre weichen werde.

Ich habe nie verlangt, daß Julian sich mir mit heiligen Schwüren gelobe, ich habe ihm niemals Treue versprochen. Schwört man denn zu halten, was man nicht unterlassen kann, ohne in Verzweiflung unterzugehen? Hätte ich je aufhören können, Julian zu lieben, so würde ich mich für frei gehalten haben. Oft habe ich ihm das gesagt; oft ihn versichert, er solle frei sein von jedem Bande, das ihn an mich binde, sobald er mich nicht mehr seiner Liebe würdig fände. Ich war meiner so gewiß; ich hielt seine Liebe für so unwandelbar als die meine.

Ich habe mich getäuscht. Ich habe dem Herkommen, der Sitte Hohn gesprochen, jetzt rächen sie sich an mir. Julian, den ich frei wähnte von den Vorurtheilen der andern Menschen; Julian, dem ich rückhaltlos vertraute, verläßt mich jetzt. Seine Liebe ist erkaltet. Er läßt sich von mir reißen durch den Tadel, den die thörichte Menge auf mich und auf unsere Verbindung wirft. Ich habe ihn verloren, mein Leben ist damit zu Ende.

Ich wollte sterben, weil ich nicht zu leben wußte, weil außer Julian kein Mensch für mich lebte in der Welt; weil Alles mir gleichgültig war außer ihm. Sterben schien mir das seligste Ruhen nach schwerem Leid.

Da kamen Sie! – Ein Mensch! rief es in mir. Ihr Wort war mild, Ihr Ton, Ihr Blick Erbarmen. Gott lohne es Ihnen, Sie haben mich vom Tode gerettet; Sie wollten mich dem Leben der Kunst wiedergeben, ich folgte Ihnen gern, aber ich vermag es nicht.

Wie könnte ich heiter schaffen, wie könnte ich jetzt noch Andere erfreuen? Was könnte mich belohnen, wenn sein Auge mir nicht mehr folgt, mir nicht mehr Beifall winkt?

[145] Die Zeit des Spiels, des Glückes ist vorüber, die Tage der Buße sollen ihr folgen. Ich vermaß mich im thörichten Uebermuth der Jugend, freier, stärker zu sein, als es dem Menschen gegeben ist. Mein Glück sollte ein Beweis werden, daß nur in der Freiheit der Liebe die Reinheit der Ehe bewahrt bleibe; daß der Mensch die Freiheit verdiene, daß sein Gewissen die Gottheit sei, die sich Gesetze gibt nach dem eigenen Bedürfniß.

In den Stunden des tiefsten Leides, als meine Kraft mich verließ, schlug ich angstvoll die Hände zusammen und hob sie empor gen Himmel. Von Oben kam mir Stärkung und Trost. Ich fühlte, daß Einer über den Wolken lebt und daß wir Staub sind. Ich habe beten gelernt.

Jetzt ist mir wohl, ich bin müde, aber frei von Schmerz und Kampf. Ich weiß, was allein mir für die Zukunft frommt. Ich habe gefehlt gegen die Gesetze der Sitte, die Gott und Menschen mit hoher Weisheit zwischen uns und unsere Leidenschaften stellten. Gott und die Menschen muß ich versöhnen, damit ich Ruhe finde in mir.

Mein Entschluß steht fest, ich hoffe, Sie werden ihn billigen. Kommen Sie bald. Gott sei mit Ihnen und mache Sie glücklich!«

Sinnend betrachtete Alfred das Blatt, als er den Brief geendet hatte. Wer wirft den ersten Stein auf sie? fragte er sich selbst. Das Schicksal der Verlassenen rührte ihn sehr. Sophie, die von der Welt, von unsern Sitten Gebrandmarkte, Sophie, auf welche die Frauen der guten Gesellschaft mit schnöder Verachtung hinabblickten, wie rein und schön stand sie vor ihm! Welche Liebe, welche Wahrheit und welche kühne Seele offenbarten sich in den Fehltritten dieser Frau!

Warum stand ihr kein schützender Vater, keine treue Mutter zur Seite? fragte es in ihm. Warum ward diese edle Natur hingeschleudert in den Kreis einer Sittenverderbniß, von der sie [146] sich verletzt abwendete, um sich den misverstandenen Lehren einer Schule zuzuneigen, die zwar Wahrheit und Recht erstrebt, aber auf falschem Wege? Warum ihr der furchtbare Kampf? Warum ihr das schwere Leid? Das waren Fragen, für die er keine Lösung in sich fand, und mit bewegtem Gemüth seufzte er, als er den Brief von sich legte: Gott gebe, daß sie jetzt wirklich richtig erkenne, was ihr frommt, daß sie Ruhe und Frieden finde.

Da stürzte Felix in heftiger Aufregung in des Vaters Zimmer: Vater! rief er, Vater! die Mutter weint und schilt auf Dich. Sie sagt, Du wärst ein schlechter Mann und Du hättest sie betrogen. Ich sage, das ist nicht wahr, denn das thust Du nicht. Da hat die Mutter mich von sich gestoßen und gesagt: ach! Du bist wie der Vater, gehe zu ihm, ich mag Dich nicht!

Noch während des Knaben Erzählung trat die Mutter ein. Caroline! rief Alfred, was hast Du gethan? Ist es meine Schuld, daß der Knabe so Schmachvolles erlebt? Kann eine Mutter so wenig Achtung vor ihrem Kinde haben? Was hat Dich denn jetzt wieder so ganz verwirrt?

Und Du kannst noch fragen? Verstoßen zu werden um einer Schauspielerin, um einer Dirne willen? rief Caroline völlig außer sich. Aber ich will es nicht erleben, daß eine solche die Stiefmutter meines Kindes werde, an meiner Festigkeit sollen alle Deine Ränke scheitern!

Jetzt erst begriff Alfred, was geschehen war. Geh hinaus, Felix! die Mutter ist krank, sie redet irre, ich bleibe bei ihr, sagte er, und führte den Sohn hinweg. Dann kehrte er zu seiner Frau zurück.

Ich weiß, woher Dein Argwohn stammt, sagte er, Du hast wieder einmal meine Briefe zu lesen versucht und mußt dabei gestört worden sein. Du sollst vollenden, was Du begonnen [147] hast. Hier ist das Blatt, lies es zu Ende.

Ich finde keine Unterhaltung in Liebesbriefen, die Schauspielerinnen meinem Manne schreiben! spottete Caroline.

Nicht von meiner Liebe ist darin die Rede, entgegnete Alfred, sondern von Julian's, den Verhältnisse zwingen, sich von einer Frau zu trennen, welche seiner vollen Liebe werth ist. Auf seinen Wunsch habe ich sie einmal gesehen. Aber lies den Brief, so unrecht es ist, Sophien's Vertrauen preis zu geben, so kann sie in diesem Falle nur dabei gewinnen, und ich nehme die Verantwortung auf mich. Lies ihren Brief, ich fordere es von Dir.

Sie that, wie er's verlangte, aber ihre Hände zitterten dabei, sie schämte sich des Unrechts, das sie ihrem Manne angethan, und er wußte ihr diese Bewegung Dank, sie stimmte ihn milder gegen sie. Kaum aber hatte sie den Brief beendet, kaum sah sie die Spannung, mit der ihr Mann sie betrachtete, als sie sich ihrer weicheren Gefühle wie einer Schwäche anzuklagen begann. Die Geliebte Julian's schien ihr keines Mitleids werth, jede Beziehung ihres Mannes zu einer leichtfertigen Schauspielerin eine Sünde gegen sie und gegen die eheliche Treue.

Sie legte den Brief mit kalter Miene aus der Hand, und sagte mit verächtlichem Achselzucken: Warum vergaß sie Pflicht und Ehre? Da bleibt die Reue niemals aus. Verdienen solche Personen es denn anders? Können sie Besseres erwarten? Und um solch elende Geschöpfe werden wir verlassen!

O! daß Ihr Alle die Seele dieser Frau besäßet, daß ihr die himmlische Liebe verständet, sprach Alfred sehr ernst, die sich in ihrer freien Hingebung verräth! Ihr würdet nie verlassen, Ihr würdet angebetet werden!

So weit ist es gekommen, rief Caroline außer sich, daß Du mir, daß Du Deiner Frau eine verlorene Person zum Vorbild aufzustellen wagst? Liebe, wen Du willst, aber beleidige [148] mich wenigstens nicht durch solche empörende Vergleiche. Diese Verachtung verdiene und ertrage ich nicht von Dir.

Aber können wir uns denn gar nicht mehr verstehen? fiel ihr Alfred in die Rede. Willst Du Dich und mich denn absichtlich nur immer mehr verletzen, leiden wir nicht schon genug? Wir können nicht neben einander leben, das fühle ich mehr und mehr; aber laß uns wenigstens in Frieden scheiden. Wir haben nicht zusammengehört, wir werden uns trennen und doch einander nicht vergessen können. Laß unser letztes Beisammensein denn ruhig enden, laß uns von einan der scheiden ohne Haß und Groll.

Er schwieg, sie weinte. Alfred! rief sie dann ganz plötzlich aus, schwöre mir, daß Du Sophie nicht liebst, daß Du nicht nach Berlin zurückkehrst, und ich will Dir alles Andre glauben, Alles soll vergessen sein, Alles soll gut werden, ich versprech es Dir.

Was soll gut werden? was war denn gut? Hat Deine Eifersucht jemals geschwiegen? Hat sie mich nicht gemartert, wo immer und wie immer wir auch lebten? fragte Alfred.

Ich will Dein Betragen vergessen aus Liebe für Dich, fuhr Caroline fort, ich will Alles verzeihen, aber –

Was willst Du vergessen und verzeihen? fragte Alfred nochmals; den ungerechten Argwohn, den Du hegst, obgleich Du den Beweis dagegen in Händen hast? – Du willst vergessen, daß Deine Launen, Deine Unliebenswürdigkeit mich aus der Heimat trieben? Denn nur sie, nur unsere unglücklichen Zerwürfnisse zwangen mich dazu, das schwöre ich Dir! – Du willst mir verzeihen, daß Du mich in Gegenwart unseres Sohnes mit niedrigen Vorwürfen überhäuftest? – Das ist großmüthig von Dir!

Ich will vergessen, daß Du mich nicht liebst, daß Du Dich von der Mutter Deines Sohnes trennen willst, sagte Caroline [149] erweicht und leise weinend. Alfred thue das nicht, denn – glaube mir – ich überlebe es nicht.

Der Ton schlug an sein Herz und der schwere Kampf der letzten Tage erneute sich in ihm. Alte Erinnerungen sprachen für die alten Bande, für Frieden und Nachsicht; aber Carolinen's falsche Begriffe von der Würde der Gattin zerstörten den guten Eindruck wieder. Sie hatte die bittenden Worte kaum gesprochen, als sie gleich wieder fürchtete, sich zu sehr gedemüthigt, ihren Rechten Etwas vergeben zu haben, und mit gewohnter Kälte und Heftigkeit fügte sie hinzu: Denn in die Scheidung, das weißt Du, willige ich niemals; ich werde Rosenthal freiwillig nie verlassen, denn ich würde es für ein Verbrechen gegen Felix halten, meine und damit seine heiligen Rechte zu opfern, nur weil es Dir bequemer wäre, frei und zügellos zu leben wie der Präsident.

Die Worte empörten Alfred. Ein neuer heftiger Streit entstand, und endete mit einer gegenseitigen Erbitterung, wie die Gatten sie in solchem Grade noch nicht gegeneinander empfunden hatten.

Spät am Abende ließ Alfred seine und des Knaben Sachen packen, schrieb danach dem Domherrn, daß noch kein Vergleich zwischen ihm und seiner Frau zu Stande gekommen sei, und daß er ihn also bäte, auf einen solchen hinzuwirken. Dann setzte er die nöthigen Verhaltungsbefehle für den Inspektor der Fabriken und für den Wirthschafter auf und schickte seiner Frau folgendes Billet:

»Ich räume Dir das Feld, da Du trotz meiner Bitte darauf beharrst in Rosenthal zu bleiben. Morgen früh fahre ich mit Felix nach Worben, dann nach Plessen. Ich habe an beiden Orten noch für mehrere Tage zu thun und verlange, daß Du nach keinem von beiden kommest, so lange ich dort verweile. Ich kann Dir nicht verwehren, Felix vor der Abreise [150] zu sehen; aber ich fordere, daß Du dem Kinde keinen ähnlichen Auftritt bereitest, wie der heutige es war. Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn zu der Geschäfts-Reise mit mir nehme; laß ihm den Glauben und beflecke seine junge Phantasie nicht mit den widrigen Bildern unseres Streites. Für ihn und für Dich verlange ich, daß Du ihm Dein Andenken rein erhältst.«

[151]
16
XVI

Der Morgen war regnerisch und kalt. Alfred blieb mit Felix in seinem Zimmer, wo sie allein das Frühstück eingenommen hatten. Das Kind war schlaftrunken und fröstelte. Als Alles zur Abreise bereit war, ging er mit ihm zu Caroline.

Schon? rief diese erbleichend, als sie bei ihr eintraten.

Alfred, eben so erschüttert und bleich als sie, entgegnete: Ich wünsche zeitig nach Worben zu kommen. Sage der Mutter Adieu, Felix.

Der Knabe that es mit gänzlicher Unbefangenheit. Er reichte der Mutter die Hand und drückte einen Kuß auf ihre Lippen. Da rang sich ein Schrei des Schmerzes aus ihrer Brust, vor dem Alfred erzitterte; es war einer jener Naturlaute, die der Wilde mit dem civilisirtesten Menschen gemein hat. Sie preßte den Knaben an sich, als ob sie ihn für ewig halten wollte, und ihre glühenden Thränen flossen auf ihn herab.

Auch Alfred's Augen schwammen in Thränen, aber er ermannte sich, sagte leise: komm, mein Sohn! und schritt mit ihm davon.

Caroline stürzte ihnen nach, kniete neben Felix nieder, prüfte, ob sein Anzug warm und fest sitze, zog ihm den Kragen des Mantels in die Höhe und knüpfte diesen mit einem Tuche fest, das sie sich vom Halse nahm. Alfred's Herz blutete ihm in der Brust.

Mit abgewendetem Gesicht reichte er seiner Frau die Hand: [152] Wie meinen Augapfel werde ich ihn behüten! sagte er mit dem Tone, mit dem man einen heiligen Eid schwört. Sie hielt seine Hand fest, drückte einen Kuß darauf und rief: Lehre ihn nicht, mich zu hassen.

Da sei Gott vor! entgegnete Alfred und ging schnell mit Felix hinaus, der, vor Ueberraschung sprachlos, Alles mit sich geschehen ließ.

Mit gerungenen Händen sank Caroline auf das Sopha; dann eilte sie zum Fenster und blickte dem fortrollenden Wagen nach, so lange ihre Blicke ihn erreichen konnten.

[153][155]

Zweiter Theil

1
I

Gegen das Ende des Octobermonates war die vornehme Gesellschaft von Reisen, aus den Bädern, und von ihren Landsitzen heimgekehrt und die Winterunterhaltungen nahmen in der Residenz ihren Anfang.

Wie ein fröhliches Kind in eine blühende Wiese hineinspringt, jauchzend vor Lust und ungewiß, welche Blume es pflücken soll, weil alle ihm gleich schön und begehrenswerth erscheinen, so stürzte Eva sich in die Zerstreuungen, die sich ihr darboten. Theater, Concerte, Bälle und Gesellschaften wurden ihr zu reichen Quellen der Freude, und um so reicher, als ihre Anmuth und Fröhlichkeit einen großen Kreis von Bewunderern um sie versammelten.

Da sie fast an jedem Tage in Gesellschaft oder durch andere Zerstreuungen in Anspruch genommen war, kam sie seltener zu Therese, brachte aber, so oft sie erschien, einen solchen Schatz von guter Laune mit, daß Julian sich höchlich daran ergötzte. Eines Abends kam sie früher, als sie pflegte, und ihr Diener trug ihr mehrere Päcke Bücher nach.

Therese bewillkommte sie, und Theophil, der dabei war, sagte: Meine gnädige Frau! was bedeuten die Folianten, die Sie uns mitbringen? Sollten Sie die Absicht haben, sich den Wissenschaften zu widmen?

Komme ich Ihnen so alt und so häß ich vor, daß ich solch trauriger Zuflucht bedürfte? entgegnete sie und fügte hinzu: [157] aber eine ernste Angelegenheit ist es allerdings und Ihr Alle sollt mir Rath geben.

Therese und Theophil boten bereitwillig ihre Dienste an und wünschten zu wissen, um was es sich handle.

Das sage ich nicht eher, als bis Sie, Herr Assessor, mir eine Frage beantwortet haben. Könnten Sie sich entschließen, mir einen Dienst zu leisten, an dem mir sehr viel gelegen ist?

Von Herzen gern, wenn es in meiner Macht steht.

O! das ist schon eine Hinterthüre, durch die Sie entschlüpfen wollen, dies: wenn es in meiner Macht steht. Daß Sie es thun können, das weiß ich, sonst forderte ich es ja nicht. Etwas Ueberwindung könnte es Sie kosten, aber dafür wäre es Ihnen auch höchst heilsam.

Und was ist es denn? fragte Theophil.

Sie sollen mit mir bei der Baronin Wöhrstein heute über drei Wochen in einer maskirten Quadrille tanzen.

Sie erzeigen mir zu viel Ehre, sagte Theophil, indem Sie Ihre Wahl auf mich fallen ließen, aber ich verdiene sie nicht. Ich bin ein schlechter Tänzer, gehöre überhaupt zu derlei Festen nicht und habe das der Baronin selbst gesagt, die mich dazu eingeladen hat.

Ach, das weiß ich ja Alles! rief Eva ungeduldig, das hat mir die Baronin erzählt und doch müssen und werden Sie kommen. Erstens taugt Ihnen das ewige Studiren, das Lesen und wieder Lesen gar nichts. Aus all den gelehrten Büchern holen Sie sich Ihre Kopfschmerzen und aus den poetischen Romanen den Lebensüberdruß und was Sie sonst noch quält. Sehen Sie, Herr Assessor, ich nehme nie ein Buch in die Hand; aber ich gehe aus, ich spreche mit vernünftigen Leuten, ich zerstreue mich alle Tage und davon bin ich gesund und zuletzt eben so gescheidt als alle Andern. So sollen Sie es auch machen.

[158] Dies war nur »Erstens«, sagte Therese lachend, willst Du uns nicht das Zweitens mittheilen?

Zweitens, rief Eva, wird kein Cavalier einer Dame solche Bitte abschlagen, drittens werden wir Beide zusammen vortrefflich sein und viertens will ich es so, und darum muß es geschehen.

Dies ist allerdings so entscheidend wie der letzte Beweis der Könige, die Kanonen. Aber wollen Sie mir nicht wenigstens eine kurze Bedenkzeit gestatten? fragte Theophil.

Eva zog die Uhr aus dem Gürtel und sagte: Es ist jetzt sechs ein halb Uhr, um sieben, hat mir heute früh der Präsident gesagt, werde er zu Hause sein, um an der Berathung Theil zu nehmen; so lange gebe ich Ihnen Frist, dann müssen Sie sich entschieden haben. Inzwischen erlauben Sie, daß ich mit meiner Freundin eine Privatverhandlung abmache. Nun denken Sie nach, edler Assessor! rief sie und zog Therese an den Kamin, wo sie sich Beide niederließen.

Auf Theresen's Frage, was Eva wünsche, sagte diese: Ach Gott! ich möchte gern so praktisch sein als Du. Da ist in diesen Tagen eine alte Frau bei mir gewesen, deren Tochter Wittwe ist und sechs kleine Kinder hat. Der Mann ist schon vor vier Monaten gestorben und nun soll das siebente Kind geboren werden. Des Mannes lange Krankheit hat ihr ganzes Hab und Gut aufgezehrt, sie sind im höchsten Elend, haben nichts zu essen, keine warmen Kleider, nichts, nichts. Natürlich gab ich gleich Geld, damit sie Nahrungsmittel kaufen konnten und Holz. Ich wollte auch gern von meinen Kleidern geben, aber was für nutzlose Lappen besitzen wir in unserer Garderobe! Ich fand kaum ein vernünftiges Stück, das die Leute brauchen konnten, nichts als elenden Atlas und Flor und solch dummes Zeug.

Therese wollte wissen, wie die Frau heiße, wer sie an [159] Eva gewiesen und wo sie wohne? Eva antwortete: Das hatte ich Alles zu fragen vergessen, aber meine Werner hat es erkundet, weil sie unbarmherziger Weise der Unglücklichen nicht traute. Sie sagte, man müsse sich durch den Augenschein überzeugen. Ich fuhr also mit ihr hin. Du ahnst es nicht, Beste! welch Elend ich da gesehen habe! ich habe nie geglaubt, daß es solche Noth gäbe. Seitdem kann ich an gar nichts Anderes denken, als an diese Armen, und da ich so etwas gar nicht verstehe, sollst Du mir sagen, wie ich helfen soll. Ich möchte es gern recht gut, recht verständig machen; ich habe nie gearbeitet und bin so glücklich, und die Leute, die so schwer arbeiten, sind so unglücklich, daß ich mich vor Ihnen schäme.

Therese umarmte die junge Frau herzlich, erbot sich, selbst noch mit ihr zu der unglücklichen Familie zu fahren, um zu sehen, wie man dem Elende am besten steuern und den Leuten emporhelfen könne, und sagte: So, meine Eva, gefällst Du mir, darin erkenne ich Dein gutes Herz. Wenn ich Dich ganz und gar von den schalsten Zerstreuungen ausgefüllt sehe, bangt mir oft um Dich. Ich wollte doch, Du betrachtetest das Leben nicht ganz wie ein Spiel, Du dächtest auch an den Ernst desselben.

Das kann ich nicht, rief Eva, das kann ich so wenig, als ein Schmetterling arbeiten kann. Ich werde traurig, wenn ich ernst sein muß, deshalb probire ich es gar nicht. Gott hat mir einen fröhlichen Sinn gegeben, mit dem ich das Leben genieße, weil ich jung bin. Werde ich alt und das Leben ist nicht mehr schön, dann wird sich der Ernst schon finden. Bis dahin laßt mich gewähren!

Bei Eva's letzten Worten erschien der Präsident und reichte ihr die Hand zum Willkomm. Sie schlug aber die Arme übereinander und wendete sich ab, ohne ihn anzusehen.

Sind Sie noch böse, Eva? fragte er leise.

[160] Was haben Sie denn gethan, Verzeihung zu verdienen? entgegnete sie. Den ganzen Morgen haben Sie mir Vorwürfe gemacht über meine Verschwendung, über meine Koketterie. Sie waren grade so liebenswürdig als mein seliger Mann, wenn das Podagra bei ihm im Anzuge war und er üble Laune hatte. Bedürfte ich nicht Ihres Rathes für mein Costüme und Ihres Beistandes, um den Assessor zu überreden, ich wäre heute gar nicht hergekommen, das können Sie mir glauben.

Der Präsident entschuldigte sich, so gut er konnte, Eva ließ sich begütigen und Jener sagte, nachdem Therese sich entfernt hatte: Sie sollen mich ganz zu Ihren Diensten finden, Eva; nur das Eine gestehen Sie mir, daß Ihnen Theophil besonders gut gefällt, daß Sie ihn vor allen Männern auszeichnen.

Das wäre eine Unwahrheit, wenn ich es gestände! rief Eva. Theophil ist hübsch, er ist gut und er thut mir leid, weil er oft traurig und krank ist.

Das Mitleid ist ein Vorläufer der Liebe, man könnte ihn darum beneiden!

Sie doch nicht etwa, Julian? Sie, der mir heute bewies, die Liebe eines Mannes beruhe auf dem Grade der Herrschaft, den er über eine Frau ausübe? Sie haben mir gesagt, Sie forderten von einer Frau nichts als Unterwerfung, Sie würden am meisten eine Frau lieben, die Ihnen Alles verdankte, und Sie könnten Theophil um das Mitleid einer Frau beneiden?

Um das Mitleid nicht, antwortete Julian, aber um die Neigung, aus der es entspringt. Sie lieben Theophil.

Eva sah ihn lächelnd an, ward verlegen und rief, als des Präsidenten Auge durchdringend auf ihr ruhte: Und wer will mich daran hindern, wenn ich ihn liebe?

Ich gewiß nicht! antwortete der Präsident mit einem leichten Anfluge von Spott.

[161] Eva schwieg eine Weile, dann wendete sie sich schnell von dem Präsidenten zu Theophil und fragte, ob er entschlossen sei, mit ihr zu tanzen. Er bejahte es und nun holte Eva die Folianten hervor, die sie mitgebracht. Es waren Werke über Nationaltrachten und Costüme. Eine lange Berathung begann, während welcher Eva's Heiterkeit unwiderstehlich war. Tausend Plane wurden gemacht und verworfen; endlich blieb es dabei, daß sie als Oberon und Titania erscheinen sollten, da durch die Aufführung des Sommernachtstraumes auf der Bühne das Interesse für diese Dichtung lebhaft angeregt worden war. Die Costüme wurden gewählt, alle nöthigen Verabredungen getroffen, Eva war glücklich in der Aussicht auf den maskirten Ball.

Nun sehen Sie nur auch ein wenig fröhlich aus, lieber Theophil! sagte sie. Sie wissen gar nicht, was Sie mir für einen doppelten Dienst leisten. Einmal freut mich's, daß ich gerade Sie zum Partner habe, denn wir Beide passen ganz prächtig zusammen mit unserm blonden Haar; Sie sind auch nicht so groß, als all die langen Gardeoffiziere, die sich mir zu Tänzern angetragen haben und gegen die man so gar klein erscheint. Sehen Sie nur, passen wir nicht gut? rief sie und zog ihn nach dem Spiegel hin. Dann sagte sie: Ferner verhelfen Sie mir zu dem schönsten Armbande in Berlin. Frau von Wöhrstein und ich trafen uns bei dem Hofjuwelier und handelten Beide um dasselbe Armband, wollten es auch Beide sogleich besitzen. Inzwischen sprachen wir davon, daß Sie nicht auf den Ball kommen wollten, was der Baronin leid that. Da fiel ich auf einen Ausweg. Ich wette, sagte ich, daß ich Ihnen den Assessor für die Quadrille schaffe, wenn Sie das Armband zum Preise aussetzen. Das war sie lachend zufrieden und nun haben wir alle Beide unsern Willen und sind Ihnen Beide verpflichtet. Aber Sie scheinen sehr gleichgültig gegen meinen Triumph! – Und in der That theilte Theophil die [162] Freude der jungen Frau nicht, die sich bald darauf entfernte, um in eine Gesellschaft zu fahren, in die Julian ihr folgen sollte, denn der ganze Scherz mißfiel ihm.

Das liebenswürdige Wesen bringt mich aus all meinen Gewohnheiten, sagte der Präsident, nachdem er Eva an den Wagen begleitet hatte. Es ist eine solche Lust, einen ganz glücklichen Menschen zu sehen, daß ich Eva in Allem nachgebe, ihr gern überall hin folge, um mich an der seltenen Erscheinung zu ergötzen. Sie lebt wie die glücklichen Wesen des goldenen Zeitalters, ohne Sorge, ohne Kummer, ohne Denken möchte man fast sagen, und eben so harmlos und rein, wie jene. Darin liegt ein hoher Reiz für den Betrachter. Sie erquickt mich wie Poesie nach einer ermüdenden Arbeit, und ich danke ihr das sehr gern durch Nachgiebigkeit in ihre Einfälle. Es ist mir unbegreiflich, daß Sie sie nicht ebenso reizend finden, Theophil! besonders da sich Eva für Sie offenbar interessirt. Das wäre nun grade eine Frau für Sie! die würde Sie schon erheitern, schloß der Präsident, während er die Brille zurechtrückte und den jungen Freund forschend betrachtete.

Das ist mir auch eingefallen, während Eva neben Ihnen vor dem Spiegel stand bemerkte Therese. Sie passen wirklich gut zu einander.

Ihnen? Ihnen ist das eingefallen? fragte Theophil im Tone schmerzlicher Ueberraschung. Ich hätte geglaubt, Sie kennten mich besser, Sie wüßten, daß Eva mir ganz gleichgültig ist.

Während Therese sehr ernst wurde, schien Julian sich der Erklärung zu freuen. Beide schwiegen aber, und Jener fuhr fort: Sie glauben es nicht, wie ungelegen mir dieser Maskenball kommt. Ich liebe dergleichen gar nicht, und daß Frau von Barnfeld mich zum Gegenstand einer thörichten Wette macht, ist mir vollends so verdrießlich, daß ich am liebsten mein Versprechen [163] zurücknähme. Es liegt für mich etwas Beleidigendes darin.

Es sollte Ihnen schmeichelhaft sein, daß zwei so reizende Frauen an Sie denken, meinte Therese.

Wie an ein Spielzeug! fügte Theophil verdrießlich hinzu. Frau von Barnfeld wünscht mich zum Tänzer, wie sie das Armband begehrt, weil ihr die Erreichung des Wunsches unwahrscheinlich war.

Verbirgt sich Eitelkeit oder gekränkte Liebe hinter diesen Worten? fragte der Präsident.

Nichts weiter als Langeweile. Ich hasse diese Maskeraden, die bei uns etwas Gemachtes sind. Wir Deutschen passen nicht dazu. In Italien, wo man sich gelegentlich wol noch hinter Schleier und Kapuze verbirgt und so verborgen durch die Straßen wandelt, ist eine Maskerade ein aus der Volksgewohnheit hervorgehender Scherz. Wir, die wir nicht gern mit Jemand sprechen, dessen Namen und Stand wir nicht kennen, wir taugen mit unserm Ernst nicht dazu, und sind gewiß in dem Domino oder im Panzerhemde eben so unbeholfen und ungesellig, als im schwarzen Frack.

Sie sprechen ganz meine Meinung aus, sagte Therese. All diese Maskeraden, die lebenden Bilder, das Komödienspielen und Musiciren in unsern Gesellschaften sind nur Beweise, daß es an wahrer Geselligkeit fehlt. Wie selten findet man ein Haus, in dem die Wirthin ihre Gäste gewähren läßt, in dem die Gleichgestimmten sich von selbst zusammenfinden und mit einander in ungezwungener Unterhaltung verkehren dürfen! Ueberall will man etwas bedeuten, man will einen musikalischen, einen besonders geistreichen, einen literarischen Kreis um sich versammeln. Da werden nun die unbedeutendsten Leistungen von Dilettanten präsentirt. Eine halbe Stunde geht mit Nöthigen und Zurüstungen hin, dann hört oder sieht man etwas [164] sehr Unvollkommenes, muß sich mit lügnerischem Entzücken dafür bedanken und am Ende hat man sich gelangweilt. Man müßte es mit unserer Gesellschaft wie mit den Kindern machen. Gewöhnt man diese daran, ihre Spiele zu leiten, so lernen sie nicht allein zu spielen: man kann nichts Besseres für sie thun, als sie ganz sich selbst zu überlassen, dann helfen sie sich auch selbst.

Und wie albern werde ich als Oberon aussehen! wie paßt denn ein Mann, der Tage hindurch bei den Akten sitzt, zu solch luftigem Scherz! sagte Theophil. Ich begreife nicht, wie Sie Frau von Barnfeld in dem Gedanken bestärken konnte.

So lange Oberon und Titania nur als poetische Gebilde in unsern Seelen lebten, meinte der Präsident, mochte eine solche Wahl bedenklich sein. Seitdem man nun den Sommernachtstraum aber aufgeführt, ihn aus dem Reich des Ideals in die grobe Wirklichkeit gezerrt hat, scheint es mir weniger gewagt, und Sie Beide werden ganz gut aussehen als streitendes Elfenpärchen.

Sie sind also auch gegen die Aufführung dieses Gedichtes gewesen?

Ganz und gar, sagte der Präsident. Es gibt Dichtungen, wie eben der Sommernachtstraum, der gestiefelte Kater, die so sehr in das Gebiet des Phantastischen streifen, daß man sie zerstört, wenn man sie festhalten will. Dem Menschen bleibt aus seiner Kindheit die Fähigkeit, sich ein Wunder, ein Märchen in der Seele lieblich auszuschmücken, mit der Phantasie alle Lücken auszufüllen, alle Zweifel zu beschwichtigen. Das schöne Gebild erfreut ihn, er mag es nicht zerstören, er hat es lieb, es ist für ihn wirklich da, so lange es nur in ihm ist. Will man aber den flüchtigen Wellenschaum fassen, will man ihn uns zum Ansehen hinreichen, so zerfließt er; er wird gewöhnliches Seewasser und sein poetischer Reiz ist dahin. Ich [165] glaube an Puck, ich glaube an den Weber Zettel, dem ein Eselskopf wächst, ich kann mir das lebhaft denken. Tritt aber Puck auf, so ist es allerdings eine reizende Schauspielerin, aber nicht mehr mein kleiner Puck; an den Eselskopf von Papiermaché oder Leinwand glaube ich nicht, und das poetische Gedicht wird zu einer gewöhnlichen Zauberposse.

Du pflegtest Aehnliches auch von der Darstellung des Faust zu sagen, bemerkte Therese.

Gewiß! sagte Julian, und ich werde jede Darstellung mißbilligen, in der man uns das Unkörperliche verkörpern will. Mephisto ist die Versuchung, die Verlockung des irdischen Reizes, die einen Menschen, gegen seine bessere Ueberzeugung, zu Handlungen verführt, welche von den gewöhnlichen Moralgesetzen, von der christlichen Religion verdammt werden. Mephisto ist das böse Princip im Menschen, das Goethe verkörpert darstellt, um sich damit dem alten Volksgedichte vom Faust anzuschließen. Mephisto enthüllt, wie der griechische Chor, was in der Seele des Helden vorgeht, seine Wünsche, seine Zweifel, seinen innern Kampf, das Unterliegen seines Gewissens und seine Reue. Hat nun das Auftreten des griechischen Chors immer etwas störsam Befremdliches für uns, so ist die Erscheinung des Mephisto für mich fast ebenso störend. Ich habe den Faust auf den verschiedensten Bühnen aufführen, den Mephisto von den verschiedensten Schauspielern darstellen sehen, und immer habe ich die Empfindung gehabt, daß man die Dichtung vom Himmel durch die Welt zur Hölle schleppe!

Und auch hier in Berlin haben Sie das gefunden? fragte Theophil. Mich dünkt, daß man hier das Höchstmögliche dafür gethan hat, ihn würdig darzustellen.

Nirgend habe ich die Darstellung plumper, materieller gefunden, als gerade hier. Ich halte Seidelmann's Talent in Ehren, das sich in vielen Rollen trefflich bewährte; aber sein [166] Mephisto war das widerwärtigste Zerrbild von der Welt. In dem Bestreben, jeden Charakterzug des Bösen zur Anschauung zu bringen, wurde er so garstig, sein höllisches Grinsen, Blasen und Zähnefletschen so entsetzlich, daß Gretchen's ahnungsvolles Grauen vor ihm einen viel natürlichern Grund hatte, als den geheimnißvollen Schauer einer reinen Seele, wenn sich ihr das Böse naht. Es bedurfte nicht ihrer instinktmäßigen Furcht, sie von ihm zurückzuscheuchen, er war so garstig, daß ihn Jeder geflohen hätte. Das Böse aber muß blendend sein, um uns zu verführen, und ich möchte wol einem geistreichen Schauspieler rathen, einmal den Mephisto als schönen, jungen Cavalier mit den feinsten Sitten darzustellen, soweit das mit dem Goetheschen Bilde vereinbar ist. Durch die schöne, gewandte Form müßte der teuflische Hohn durchblitzen, man müßte sich wundern, warum Gretchen, warum wir selbst uns vor dem feinen Ritter scheuen, der uns anzieht und gefällt. Mephisto soll eine Klapperschlange sein, der die Vögel schaudernd in den Rachen fliegen, nicht ein Unthier, vor dem Alles flieht, was gesunde Augen hat. Soll und muß der Mephisto durchaus dargestellt werden, so könnte es nur auf diese Weise mit einer Art von Wahrscheinlichkeit geschehen. Die Hahnenfeder auf dem Hut, das Mäntelchen von starrer Seide sprechen dafür, und der hinkende Fuß ist kein Hinderniß dabei, denn Lord Byron konnte hinkend alle Herzen bezaubern.

Es ist wahr, sagte Therese, daß man im Faust auf der hiesigen Bühne der Phantasie zu wenig Spielraum läßt, daß man in dem guten Willen, Alles recht deutlich zu machen, manches Possierliche zu Wege bringt. So zum Beispiel verderben sie ganz und gar die wundervolle Scene im Dome, in welcher Gretchen von dem bösen Geist ihre Sünden vorgehalten werden, während vom Chore das »Dies irae, dies illa« ertönt. Diese Scene, die durchaus in die Kirche gehört, geht auf der Straße [167] vor sich; ein wirklicher böser Geist, ein Gnom von Fleisch und Bein, schießt aus der Erde hervor, hockt sich zusammengekauert Gretchen gegenüber und sagt ihr in's Gesicht, was ihr Gewissen innerlich bewegt. Das ist lächerlich und dergleichen kommt noch mancherlei in der Aufführung vor.

Lächerlich darf aber eben im Faust nichts sein! rief der Präsident. Es ist so hoher, heiliger Ernst in der Dichtung. Wer es empfunden hat, wie der Geist oft muthlos verzweifelt im Ringen nach dem Höchsten, wie man es für unerreichbar hält und sich verzweifelnd schadlos halten möchte an den Freuden der Erde, die allerdings ihre unleugbaren Reize haben und große Befriedigung gewähren, fügte er lächelnd hinzu, der wird mir zugestehen, daß Jeder sich seinen eignen Faust, seinen eignen Mephisto innerlich erschafft und daß es ein mißliches Unternehmen bleibt, solche Figuren darstellen zu wollen.

Ich glaube auch, wir bringen den rechten Sinn nicht mehr in das Schauspielhaus mit, meinte Theophil, wir prüfen zu viel, wir beurtheilen zu viel.

Darum muß man uns nur Dasjenige bieten, was die Prüfung, die Beurtheilung aushält, antwortete der Präsident. Unsere Gesinnung, unsere Anforderungen haben sich mit der Zeit geändert; wir wollen noch unterhalten sein, wie früher, aber Das, was man uns als Unterhaltung vorschlägt, erfüllt den Zweck nicht immer. Wir sind des ewigen Liebesgewinsels, der kleinlichen Eifersuchtsscenen müde, wir wollen größere Motive, weil unsere Zeit größere Zwecke hat.

Wie sehr man dies überall empfindet, bemerkte Theophil, dafür zeugt ja gerade, daß man nach neuen Dingen greift. Die Aufführung des Sommernachtstraums, des gestiefelten Katers, die Wiederbelebung des Sophokles, die Versuche, die man mit Terenz und Plautus angestellt hat, die alle bürgen dafür, daß man etwas Anderes, etwas Neues erstrebt.

[168] Etwas Anderes, das ist wahr, sagte der Präsident, etwas Neues nicht. Oder nennen Sie Terenz und Plautus neu? – Ich gehöre gewiß nicht zu den Neuerungssüchtigen, die ohne Kenntnisse der Staatsverhältnisse, ohne Kenntniß der Staatsverwaltung überall Reformen verlangen. Ich bin Beamter und kenne die Schwierigkeiten, die sich dem raschen Verlangen der sogenannten Liberalen entgegensetzen. Ich bin ihnen in vielen Beziehungen abgeneigt, ihren Bestrebungen entgegen, aber deshalb verkenne ich nicht, daß sich die Zeit und die Gesinnung der Menschen nicht künstlich oder gewaltsam zurückschrauben lassen. Das Alte, das man uns bietet, ist schön, es war doppelt schön, als es zeitgemäß war; aber die Alten haben ihre Dichter geehrt, ihnen Raum zu freier Entwicklung gegönnt, als sie lebten; so ahme man ihnen darin nach und gebe den Lebenden, was ihnen gebührt, das freie Wort vor ihrem Volke von der Bühne, und Dank und Ehre, wenn sie es schön gesagt.

Theophil stimmte ihm bei und der Präsident fuhr fort: Das Theater, wie es jetzt beschaffen ist, ist das unerfreulichste, nutzloseste Institut von der Welt. Ueberall regt sich Leben, überall Fortschritt; nur im Theater, das in Deutschland Millionen verschlingt, bleibt es bei dem sogenannten guten Alten, das so schlecht ist. Man sollte die Pforten weit aufmachen, damit das Tageslicht, damit die Strahlen der Zukunft auch dahineinfallen und die letzte Vergangenheit hineindringen könne. Die Schweizer, welche ihr Leben in den Tuilerien einbüßten, liegen unserer Theilnahme näher als die Spartaner, die bei Thermopylä fielen; Mirabeau zieht uns lebhafter an als Demosthenes. Friedrich der Große und Blücher sind unserm Herzen theurer, würden ganz andere Begeisterung hervorrufen als irgend ein Held aus den längstverwichenen Jahrhunderten. Hätten diese ebenfalls die sonderbare Scheu vor der Gegenwart und die unwandelbare Anhänglichkeit an die Vergangenheit gehabt, die man[169] jetzt an den Tag legt, so hielten wir noch bei dem ersten Liede, das irgend ein Schäfer auf der Flöte blies, und könnten uns an den ursprünglichsten Rhapsodien ergötzen, die vielleicht auch ihre Reize gehabt haben mögen.

Bei diesen Worten erhob sich der Präsident, um sich in die Gesellschaft zu begeben, in der ihn Eva erwartete.

Theophil und Therese blieben allein zurück, und so sehr sie sich sonst mit einander zu unterhalten liebten, heute wollte trotz Theresen's Bemühungen kein rechtes Gespräch in Gang kommen. Theophil schien zerstreut, antwortete einsylbig, so daß seine Freundin ihn endlich um den Grund seiner Mißstimmung befragte.

Es ist eine tadelnswerthe Schwäche, sagte er, daß ich mein Gefühl so wenig verbergen kann, denn ich wollte es Ihnen eigentlich nicht zeigen, daß Sie mir heute wehe gethan haben.

Ich? Ihnen wehe gethan? fragte Therese, wie ist das möglich?

Doch! versetzte er. Wie wenig müssen Sie mich kennen, wie wenig müssen Sie mich einer nähern Beachtung werth gehalten haben, wenn Sie zu glauben vermögen, daß Frau von Barnfeld und ich zu einander gehören! Scheine ich Ihnen denn so ganz oberflächlich, so ohne allen tiefern Gehalt zu sein? fragte er im Tone des Vorwurfs.

Das nicht, antwortete Therese, dafür bürgt Ihnen die lebhafte Freundschaft, die ich für Sie fühle und die ich Ihnen offen entgegentrage. Aber Eva steht Ihnen im Alter gleich, Ihre Eltern wünschen, daß Sie sich bald zu einer Heirath entschließen, ich halte Eva für gut und bildungsfähig; da konnte mir leicht ein solcher Gedanke kommen, gerade weil Sie alle Beide mir werth sind. Eva's Heiterkeit würde Sie zerstreuen; das Gefühl, einer des Schutzes durchaus bedürftigen Frau diesen Schutz zu gewähren, würde Sie selbst stärken; und reich, wie [170] Sie Beide es sind, würden Sie jeder Sorge um das Dasein enthoben sein.

Ist das Ihre wirkliche Meinung? fragte Theophil, glauben Sie, daß ich um irgend eines äußern Vortheils willen mich zu einer Ehe entschließen könnte? – Und Gleichheit des Alters, was bedeutet die, wenn die Seelen sich nicht verstehen? Er hielt eine Weile inne, dann sagte er: Ich habe geliebt, ich habe den höchsten Grad der Leidenschaft kennen gelernt, deren ich fähig bin; wie eine Gottheit habe ich ein junges Mädchen angebetet und sie hat mich getäuscht. Das hat mich mißtrauisch gegen mich selbst gemacht, ich bin eben keine Natur, die Liebe erweckt. Man kann mir gut sein, mich achten, und mehr begehre ich auch nicht. Ich kann Niemand beschützen, ich verlange nach einer Seele, an die ich mich lehne, denn das Leben macht mich müde; es ist mir eine Arbeit und keine Lust. So wie jetzt mit Ihnen zu sein, an Ihrem milden und doch so starken Geist mich zu erheben, Sie und Ihr Wirken täglich vor Augen zu haben, das macht mich froh und stärkt mich mehr, als alle Arzneien des Doctors. Schicken Sie mich nie von sich, Therese, denn ich würde nicht gehen.

Er sprach die letzten Worte mit einer Bewegung, die Therese überraschte, weil sie nicht wußte, wie sie sie deuten sollte. Auch ich, sagte sie, habe mich so sehr an Ihre Gegenwart gewöhnt, mein Freund, daß ich Sie ungern scheiden sehen würde, wenn Ihre amtlichen Verhältnisse Sie einmal abrufen, oder sonst ein Ereigniß Sie von hier entfernen sollte. Indeß, das wird ja unabänderlich nöthig sein und wir sehen uns dann wohl auch wieder.

Ich gehe nicht fort, Therese! sagte er ernsthaft, ich habe mir das selbst gelobt. Was soll ich in der Welt suchen nach Glück, nach Ehre? Mein Glück ist bei Ihnen, mein Stolz, mein höchster Ehrgeiz wäre es, Ihnen eben so unentbehrlich zu [171] sein, als Sie mir. Mein ganzes Streben ist, Ihnen Freude zu machen, Sie zu erheitern, denn Sie sind traurig seit einiger Zeit. Ich sehe Sie leiden und ich weiß nicht wodurch. Könnten Sie mir doch vertrauen, könnte ich Ihnen doch Etwas sein.

Sie sind mir viel, sehr viel! antwortete sie, da sie jetzt plötzlich zu ahnen begann, welche Gefühle Theophil für sie hege. Sie sind mir theuer, wie ein jüngerer Bruder, dem man gern vertraut, auf dessen Zukunft man hofft, weil man sie mit genießen will. Ich rechne darauf, Sie einst froh und stark in das Leben blicken zu sehen, und daß ich Ihnen werth bin, daß Sie gern mit mir sind, macht mich sehr, sehr glücklich. Glauben Sie mir das, mein Freund!

Aber Sie lieben mich nicht, Therese? fragte er plötzlich.

Sie schwieg erschreckt. Sie werden mich niemals lieben? fragte er dringender. Scheine ich Ihnen des Glückes so ganz unwerth?

Er sprach nicht lauter, nicht lebhafter, als er es sonst pflegte, er sah sogar ganz ruhig aus und doch hatte die tiefe Innerlichkeit seines Tones etwas so Klagendes, daß sie davon schmerzlich erschüttert ward. Sie ergriff seine Hand und sagte sehr weich: Ich bin sicher, Sie täuschen sich über sich selbst. Ich hoffe zuversichtlich, Sie lieben mich nicht, denn ich könnte die Liebe, die Sie fordern, nicht erwidern, so theuer Sie mir sind. Ich bin nicht frei, nicht Herr meiner Neigung. Nehmen Sie das Geständniß, das ich mir selbst kaum zu machen wage, als den höchsten Beweis von Vertrauen, den ich Ihnen geben kann.

Theophil barg das Gesicht in seinen Händen und schwieg. Das peinigte sie und sie fuhr fort: Glauben Sie mir, mein Freund! es ist wie ich Ihnen sage. Denken Sie nur, ich bin um mehre Jahre älter als Sie; Sie sind so jung, Sie können ein Herz verlangen, das in der Liebe zu Ihnen zum Bewußtsein [172] erwacht. Ich habe meine Jugend früh in Hoffnungslosigkeit verloren, ich bin nicht glücklich gewesen, Theophil!

Darum möchte ich versuchen, Sie glücklicher zu machen, rief er. Lassen Sie mir wenigstens die Hoffnung, daß Ihr Sinn sich einst zu mir wendet, daß es mir einst gelingt, Sie über eine frühere Neigung zu trösten.

Nein, sagte Therese bestimmt, das können Sie nicht; ich liebe heute noch ganz so und stärker, als in den Tagen der frühesten Jugend. Jene Liebe ist mein Leben. Ich kann der Hoffnung entsagen, glücklich durch sie zu werden, und das habe ich früh gethan, die Liebe verleugnen kann und – werde ich nie.

Und ich hatte Ihnen meine Zukunft geweiht, klagte er schmerzlich. In Ihnen, Therese, ruhte mein Glück und meine Hoffnung! – und Sie stoßen mich von sich?

Nein! nein! rief sie. Ich stoße Sie nicht von mir, ich wünsche vielmehr, daß Sie uns nicht verlassen. Bleiben Sie bei uns, prüfen Sie sich selbst und Sie werden ruhiger werden, als wenn Sie sich gewaltsam von uns trennten. Sie halten mich für gut, mein Freund! Die Art, in der ich das Leben erfasse, sagt Ihnen zu; Sie freuen sich, daß ich bei Ihnen bin, wenn Ihre kleinen Leiden Sie muthlos machen, und weil Sie mich lieb haben, glauben Sie, mir mit Ihrer Liebe danken zu müssen. Wie unrecht wäre es aber, nähme ich dies Geschenk von Ihnen an; es hieße Wucher treiben, verlangte ich Liebe auch für die innigste Freundschaft. Ich bleibe Ihnen ja, ich selbst will Sie glücklich wissen und wie ich Ihr Wort darauf verlange, daß Sie nicht jetzt, nicht plötzlich von uns gehen, so verspreche ich Ihnen, daß Sie in allen Wechselfällen des Lebens die treueste Freundin in mir finden sollen, die theilnehmendste Vertraute. Wollen Sie mich zu einer solchen annehmen, Theophil? Wollen Sie mir die hohe Freude machen, mir einst zu [173] sagen, daß Sie sich über Ihre Gefühle für mich täuschten, wenn Sie ein Mädchen gefunden haben werden, das besser für Sie paßt als ich?

Theophil schüttelte schweigend das Haupt, aber er drückte die Hand, die sie ihm geboten hatte, an seine Lippen und sagte: Ich höre den lieben Ton Ihrer Stimme, aber ich fasse Ihre Worte nicht. Mir ist, als ob der Boden wankte, auf dem ich mein Haus gebaut. Ich werde bleiben, Therese! denn in Ihrer Nähe zu leiden, ist mir noch Labsal gegen die Trennung von Ihnen. Auf Wiedersehen denn!

Mit den Worten ging er seufzend hinaus.

[174]
2
II

Ich bekomme so eben einen Brief von Reichenbach, der mich beunruhigt, sagte an einem der nächsten Tage der Präsident zu seiner Schwester, als sie allein bei dem Frühstück waren. Alfred schreibt mir, daß seine Frau nicht darein willige, sich von ihm zu trennen, daß er sich andererseits verpflichtet glaube, die Güter, die durch den Scheidungsproceß für ihn verloren gehen würden, für Felix zu erhalten, und daß er deshalb seine Wünsche seiner Pflicht opfern und sich nicht von seiner Frau scheiden lassen werde. Das ist mir nun sehr lieb, denn ich habe ihm selbst schon früher aus vollster Ueberzeugung den Rath gegeben. Er ist aber bei dem Schreiben des Briefes offenbar in so heftiger Aufregung gewesen, daß ich für die Ruhe seiner Zukunft sehr besorgt bin. Ich wollte, wir hätten ihn erst wieder bei uns, denn die Einsamkeit in Plessen, wohin er mit Felix gegangen ist, taugt ihm in seiner Stimmung gar nicht.

Therese hatte während der Erzählung ihres Bruders mehrmals die Farbe gewechselt; als er geendet, fragte sie leise: Und er kehrt dennoch wieder?

Beunruhigt Dich das? fragte der Präsident. Da warf sich Therese an des Bruders Brust, ohne zu antworten, aber große, schwere Thränen fielen aus ihren Augen, als Julian sie fest an sich drückte und mit großer Zärtlichkeit sagte: Ach! arme Schwester! blutet die alte Wunde noch? – Er lehnte ihren [175] Kopf an seine Brust, strich ihr, wie einem Kinde, schmeichelnd mit der Hand über das Haar und schien fast eben so bewegt zu sein, als sie. Eine Weile schwiegen Beide, dann sagte der Präsident, als Therese sich emporrichtete und die Augen trocknete, während sie zu lächeln versuchte: Im Frauenherzen ist die wahre Liebe doch eine unverwelkliche Blüthe. Gänzliche Hoffnungslosigkeit hemmt für den Augenblick wohl ihren Wuchs, aber sie vermag sie nicht zu ertödten, und bei dem geringsten Strahl von Hoffnung schießt sie mächtig wieder empor, und hätte sie noch so lange im Winterschlafe gelegen. Du warst so heiter geworden, Beste, ich glaubte Dich längst von dieser Liebe geheilt, die Dich bewog, früher alle Bewerbungen um Deine Hand abzulehnen. Es schien mir, als sähest Du Alfred jetzt ruhig wieder, als hätte sich ein schönes, freundliches Verhältniß zwischen Euch gebildet. Aber Alfred's leidenschaftliche Unruhe, Deine heißen Thränen verrathen mir das Gegentheil. Was ist denn vorgegangen zwischen Euch? Wie steht Ihr mit einander?

Sie erzählte und berichtete ihm treu. Er hörte ihr mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Als sie geendet hatte, fragte er: Und wie willst Du, daß wir es halten, wenn Alfred wiederkehrt?

Ich möchte, daß es bliebe wie bisher, lieber Bruder, antwortete sie ihm. Ich traue mir die Kraft zu, äußerlich ruhig und fest zu bleiben. Alfred weiß es ja nicht, daß mein ganzes Dasein ihm gehört hat, von meiner frühesten Jugend an, und wenn ich damals den Muth gehabt habe, mich niemals zu verrathen, so hoffe ich, mir auch jetzt getreu zu bleiben.

Und traust Du auch Alfred die nöthige Ruhe zu? Ihr Frauen, gewohnt, Euch zu beherrschen, zu dulden, bezwingt Euch leichter als der Mann, der sich die Verhältnisse zu schaffen verlangt. Wozu soll es führen, wenn Ihr Euch täglich begegnet, [176] wenn eine Liebe tief und immer tiefer wurzelt, die keine Zukunft hat?

Julian, sagte Therese, laß mich einmal Deiner Lehre vom Genuß des Augenblickes folgen! Laß mich Alfred's Gegenwart genießen! Wer weiß, wie bald das Leben uns trennt! Jahre lang habe ich ruhig und glücklich im Andenken der Vergangenheit gelebt, habe mich gefreut, wenn ich ihn in jedem seiner Werke größer und herrlicher wiederfand; habe einen frohen Tag gehabt, wenn die Zeitungen nur seinen Namen nannten.

Das ist aber doch ein sehr trauriges Glück! unterbrach sie der Bruder.

Nicht traurig für ein Frauenherz, antwortete sie, nicht traurig für mich; glaube mir das, mein Bruder! Ich hatte Dich, ich hatte das Andenken an ihn, ich war zufrieden und ganz ausgefüllt; ich werde es wieder, werde wieder ganz heiter sein, wenn Alfred einmal von uns scheidet. So lange er aber bei uns bleibt, so lange er bleiben will, gönne mir die Freude, ihn zu sehen, es wird mir Glück für viele, viele Jahre sein. Willst Du mir das gestatten, Bruder? bat sie. Glaube mir, ich werde ruhiger sein, wenn ich ihn wiedersehe.

Der Präsident versuchte noch Einwendungen zu machen, da er seiner Schwester den Schmerz zu ersparen wünschte, aber ihre Bitten und Gegenvorstellungen besiegten ihn. Er gab nach und wollte sich entfernen, als ihm Therese berichtete, was zwischen ihr und Theophil vorgefallen war.

Theophil ist ein Thor, sagte der Präsident. Er kann ohne Leiden nicht leben und es hilft nichts, wenn Du ihm klar machst, daß er sich seine Neigung für Dich nur einbilde, was ich selbst glaube. Es ist ein Bedürfniß nach Gefühlserregungen in ihm. Das Leben gesund und froh zu genießen, ist er zu schwach; da macht er sich denn ein Liebesleid zurecht, das er betrauern, über das er seufzen kann, und das ihm nach seiner [177] Meinung ein Recht gibt, unglücklich zu sein und müssig das Leben zu verträumen. Du könntest ihm keinen bessern Dienst erweisen, als wenn Du seine Liebe erhörtest. Thätest Du ihm den Gefallen, so würde er bald einsehen, daß er nicht für Dich paßt, daß er Dir auf die Länge geistig nicht genügt, und eine neue Quelle des Kummers würde glücklich für ihn gefunden sein. Ich kenne solcher Menschen mehr.

Du beurtheilst ihn zu streng, meinte Therese. Du siehst wohl, daß ich in gewisser Art Deine Ansicht theile, aber –

Aber, fiel ihr der Präsident lächelnd ein, Du kannst Niemand gram sein, Niemand verdammen, der Dich zu lieben behauptet. Das ist in der Ordnung und Du wärst keine Frau, wenn Du es könntest. Sieh zu, was Du mit dem blonden Schäfer anfängst, die Sache überlasse ich Dir; was Du thust, wird gewiß das Rechte sein.

Ich meinte, sagte Therese, ob es nicht gerade jetzt an der Zeit wäre, daß ich mich bereit erklärte, Agnes zu uns in das Haus zu nehmen. Wie wir Theophil kennen, ist es gewiß nicht rathsam, wenn wir ihn schnell zu entfernen suchen. Das gäbe ihm Stoff für seine Melancholie und wir wollen ja ihm und seinen Eltern so gern nützen. Aber das häufige Alleinsein mit ihm ist mir nach dem letzten Vorgange doch nicht angenehm, und darüber würde die Gegenwart von Agnes mir forthelfen.

Gewiß! und sie würde Dich zerstreuen, Dir Beschäftigung geben, sprach Julian; so schreibe denn, daß die Kleine je früher je besser komme und daß wir uns freuen würden, sie bei uns zu sehen.

[178]
3
III

Alfred hatte seine nöthigsten Geschäfte kaum geordnet, als er in die Stadt zurückeilte. Er verlangte Therese wiederzusehen und doch bangte ihm davor. Und in ähnlicher Weise empfand auch sie selbst, seit sie von seiner Ankunft unterrichtet war. Mit Herzklopfen blickte sie nach der Thüre, so oft die Hausklingel ertönte. Endlich, es war an einem stürmischen Abende, trat er bei ihr ein, er brachte seinen Knaben mit sich. Das gab Theresen Augenblicks die Haltung, deren sie bedurfte.

Mein Sohn! sagte er, ihr den Knaben zuführend, der sie zuversichtlich mit seinen großen, dunkeln Augen ansah.

Sie umarmte den schönen Knaben zärtlich, aber während sie eifrig mit ihm beschäftigt war, ihn um seine Reise und um andre Dinge befragte, saß sein Vater ernst und schweigend in sich versunken neben ihnen. Therese fand ihn in den wenigen Wochen, die er von ihr entfernt gewesen war, merklich verändert. Er sah bleich aus und ein düsterer Zug hatte sich auf seine freie Stirne gelagert. Endlich erwachte er aus seinem Sinnen, reichte der Geliebten die Hand und sagte: Ich habe in dem Drang des schmerzlichen Augenblickes kaum zu empfinden gewagt, daß im Wiedersehen Freude liegt. Mich bewegt Ihre Güte für Felix; wie wenig ahnt er, welche Opfer ich ihm bringe!

Aber er ist sie werth, und er wird Sie einst reich belohnen! fiel sie schnell ihm in das Wort. Dies edle Gesicht verspricht eine schöne Zukunft. Bauen Sie darauf und lassen Sie mich [179] Theil daran haben, so weit es möglich ist. Schicken Sie ihn mir – –

Der Vater hat gesagt, fiel der Knabe ein, er würde mich oft mitnehmen zu Dir, liebe Tante! und wenn ich den Weg erst einmal am Tage gemacht habe, so finde ich ihn allein und man braucht mich nicht zu schicken. Die Mutter wollte immer, daß ein Diener mit mir ginge, aber der Vater sagt, das sei nicht nöthig, ich sei ein großer Mensch, ich könne allein gehen und ich gehe auch lieber allein. Aber allein reiten darf ich nicht – hast Du auch Pferde?

Nein, Felix! antwortete sie, aber schöne Blumen habe ich und schöne Bilder, und ich weiß allenfalls auch Geschichten für Dich, wenn Du sie magst.

Erzähle mir eine! jetzt gleich! bat er dringend.

Der Vater sagte, das sei für den Augenblick unmöglich.

So hole mir Deine Bilder! schlug Felix vor und Therese entfernte sich, ihm seinen Willen zu thun.

Als sie mit Mappen und Büchern wiederkehrte, beeilte sich Alfred, dieselben auf einem Tische zurecht zu legen, der in einem Nebenzimmer stand, so jedoch, daß man ihn von dem Sopha der Wohnstube übersehen konnte. Der Knabe sprang fröhlich dorthin, hatte sich bald in den Bilderreichthum vertieft und beachtete es nicht, daß sein Vater Therese aufforderte, mit ihm in das andere Zimmer zurückzukehren und den Knaben sich selbst zu überlassen.

Eine Weile saßen die Beiden sich schweigend gegenüber. Therese beschäftigte sich anscheinend fleißig mit einer Stickerei, die sie in ihren Händen hielt, und Alfred sah ihr so gespannt zu, als ob er die Kunstgriffe der Arbeit von ihr lernen wollte. Dies Schweigen wurde ihr je länger, je peinlicher, und sie kämpfte mit sich es zu überwinden. Sie rang nach einem Gedanken, nach einer gleichgültigen Frage zuletzt, mit der sie die Stille [180] unterbrechen konnte, aber vergebens. Ein herbes Leid preßte ihr Herz zusammen, sie fand nichts in sich, als einen bittern Schmerz, dem sie keine Worte geben durfte. Es war ihr, als müsse der erste Laut von ihren Lippen ein Aufschrei sein, und doch wollte sie gern zuerst die Unterhaltung beginnen, weil sie vor demjenigen bangte, was Alfred ihr zu sagen hatte. Endlich war er es dennoch, der das Schweigen brach.

Therese! sagte er mit gepreßter Stimme, bei Allem, was uns heilig ist, beschwöre ich Sie, sitzen Sie mir nicht so kalt, so fremd gegenüber! Sprechen Sie mit mir, sagen Sie mir, daß Sie meinen Entschluß verdammen, daß Sie die Stunde beklagen, die uns wieder zusammenführte, nur sprechen Sie mit mir. Ach, wenn Sie wüßten, was ich erlitten habe, was ich leide, und wie glücklich ich bin, Sie wiederzusehen!

Sie reichte ihm die Hand, die er fest in den seinen drückte, aber zu antworten vermochte sie noch nicht. Es entstand eine neue Pause, bis Alfred fest die Frage aufwarf: Und was soll jetzt aus uns werden?

Da nahm sich Therese gewaltsam zusammen, und mit klarer fester Stimme, ohne irgend ein Zeichen von Bewegung, sagte sie: Sie sollen nach wie vor mein theurer, mein werthester Freund bleiben, lieber Alfred! Sie sollen vergessen, daß Sie ein paar Tage lang mehr in mir gesehen haben, als eine Freundin, die Sie von Herzen bewundert, Ihnen von Jugend an ergeben war und Sie jetzt doppelt und dreifach verehrt, weil Sie Ihre Pflicht thun. Stören Sie das schöne Bild nicht, Alfred, das ich von Ihnen habe. Sie thäten mir zu wehe damit.

Er sah sie ernst und prüfend an, aber keine Miene ihres Gesichtes bekundete das Opfer, das sie in diesem Augenblicke brachte, und so sehr er nach einem Zeichen spähte, das ihm verrathen hätte, sie wolle ihn großmüthig über ihren Schmerz täuschen, er konnte keines entdecken. Dennoch mistraute er ihrer [181] Ruhe, weil ihre leidenschaftliche Erregung vorher ganz unverkennbar gewesen war. Täuschen Sie sich, oder wollen Sie mich täuschen über ihr Gefühl? fragte er sie. Menschen, wie wir Beide, haben Kraft zu leiden und gehen nicht unter, ich weiß das wie Sie. Ich habe entsagt und ich will vollenden, was ich über mich genommen habe; aber lassen Sie mich als ein Pfand des Glückes den Glauben in meine öde Zukunft hinübernehmen, daß ich Ihnen theuer war. Sagen Sie mir nur einmal, daß Sie mich lieben, und dann fordern Sie von mir, was Sie wollen.

Mein Freund! antwortete sie, wie traurig wäre es, wenn ich wie Sie empfände? Wir müßten uns trennen ohne Hoffnung, uns wiedersehen zu dürfen. Sie haben mir manchmal den Vorwurf gemacht, ich sei kalt, ich sei keiner Leidenschaft fähig. Ich glaube es selbst. Ich halte mich für eine jener Naturen, die mehr für die Freundschaft, als für die Liebe geschaffen sind. Ich wäre untröstlich, müßte ich Sie verlieren; ich bin ganz befriedigt, wenn Sie mir, wenn Sie uns bleiben. Rauben Sie mir dies Glück nicht durch Forderungen, die ich nicht gewähren, durch Geständnisse, die ich nicht ewidern kann.

Er war bestürzt. Theresen's Selbstbeherrschung täuschte ihn und war ihm schmerzlich, denn er ward irre an ihr und an sich selbst. Konnte er sich so sehr über ihre Gefühle verblendet haben? War es nur der lebhafte Wunsch, ihre Liebe zu besitzen, der ihn zu dem Glauben verleitet hatte, daß sie seine Neigung theile und erwidere? Sie hatte ihm allerdings niemals ein Wort gesagt, das ihn zu Hoffnungen berechtigen konnte, Sollte er sich wirklich betrogen haben? oder sollte sie ihn dennoch täuschen? Das Erstere zu glauben, fiel ihm schwer, das Letztere unmöglich, denn er kannte Therese als eine durchaus wahrhafte Natur. Quälende Zweifel rangen in seiner Seele, und eben wollte er die Geliebte nochmals dringend um Wahrheit beschwören, [182] als Felix mit einem großen Buche herbeikam und von dem Vater Aufschluß über die Bedeutung eines Bildes verlangte.

Es stellt Luther dar vor der Reichsversammlung zu Worms, erläuterte Alfred und erzählte dem Sohne kurz, was ihm zur Erklärung nöthig war. Luther wußte, sagte Alfred, daß ihm sein Geständniß das Leben oder die Freiheit kosten könne; doch zögerte er nicht, die Wahrheit zu sagen, denn die Wahrheit ist das Heiligste in der Welt. Er ist abgebildet, wie er vor dem Kaiser, vor den Fürsten und den Cardinälen die unsterblichen Worte ausrief: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!«

Der Knabe hörte ernsthaft zu. Hast Du niemals eine Unwahrheit gesagt, lieber Vater? fragte er dann.

Ich hoffe, daß ich es nie wissentlich gethan habe, antwortete der Vater.

Und du, Tante? fragte Felix weiter.

Ich habe mich immer bestrebt, das Rechte zu thun; sagte Therese.

Dann hast Du gewiß nie eine Unwahrheit gesagt, meinte Felix.

Aber die Wahrheit verhehlen, ist auch Sünde, rief Alfred mit Bedeutung, und schwere Sünde, wenn das Lebensglück eines Andern daran hängt, der gewohnt ist, unsern Worten zu glauben, der darauf sein Leben, seine Zukunft baut!

Der Knabe sah den Vater befremdet an, weil er ihn nicht verstand. Therese schwieg, Alfred befahl seinem Sohne der Tante Lebewohl zu sagen, und wollte sich entfernen. Noch in der Thüre wendete er sich um, noch einmal sagte er Theresen gute Nacht und zögerte, so lange er konnte; denn immer noch hoffte er, sie werde ihm ein Wort, ein Zeichen geben, das ihm verrathe, sie liebe ihn wie er sie liebte. Aber Therese blieb freundlich [183] wie immer und sagte, als er sich endlich von ihr trennte, so ruhig ihr »Auf Wiedersehen, lieber Reichenbach!« daß er davor erschrak.

Kaum aber hörte sie seine Tritte nicht mehr, als sie sich verzweifelnd in die Kissen des Sophas warf. Ich konnte nicht anders, Gott helfe mir, Amen! rief sie aus und unaufhaltsam strömten ihre Thränen.

Sie, die so ernst nach Wahrheit strebte, hatte sich zu einer Unwahrheit entschlossen; sie, die mit Freuden ihr Leben für Alfred hingegeben hätte, hatte ihm Schmerz bereitet. War das recht gewesen? Hatte es kein anderes Mittel, keinen edleren Ausweg gegeben? Sie hatte es dem geliebten Manne verbergen wollen, daß sie eben so schwer an ihrem Schicksal trage, als er an dem seinen; sie hatte ihm die Sorge um sie und ihren Gram ersparen, ihn wo möglich beruhigen wollen. Er mußte sie leichter verschmerzen, wenn er nicht an ihre Liebe glaubte, er mußte sich leichter trösten, leichter glücklich und heiter werden. Und glücklich sein sollte Alfred um jeden Preis. Um jeden Preis? fragte sie sich. Auch indem ich ihm den Glauben an mich nehme? indem ich die Ueberzeugung zerstöre, daß er einem würdigen Gegenstande seine Liebe weihte? daß ich es werth war, sein Herz auszufüllen? Hat mich allein die Rücksicht auf ihn bestimmt? Habe ich ihm nicht wehe gethan, mich selbst zur Lüge erniedrigt, um das Glück seiner Gegenwart zu genießen? – Eine glühende Schamröthe überdeckte ihr Gesicht, das sie weinend in ihre Hände stützte.

Es war still in dem Zimmer. Draußen peitschte der Wind den Regen gegen die Fenster, die letzten Blätter der Bäume raschelten dürr gegeneinander und knarrend bewegten sich die Aeste. Sie stand auf, ging unruhig im Zimmer umher, trat an das Fenster und blickte in den Garten hinaus. Es war tiefe Nacht, kein Stern am Himmel, man konnte keinen [184] Gegenstand unterscheiden. Beklommen aufathmend ließ sie den Vorhang fallen und wendete sich in das Zimmer zurück.

Wie öde erschien ihr das! Dort stand der Tisch, an dem Felix gespielt, hier hatte Alfred neben ihr gesessen, als sein dunkles Auge bittend zu ihr gesprochen, als er sie um ein tröstendes Wort, um ein Liebeszeichen gebeten – und sie hatte geschwiegen, sie hatte sich für immer zum Schweigen, zu schrecklicher Einsamkeit verdammt. Ja! einsam mit ihrer Liebe und mit ihrem Schmerze war sie gewesen, ihr Leben lang. Sie liebte den Bruder, sein Wohl und Wehe fand lebhaften Widerhall in ihrem Herzen; fremdes Glück erfreute, fremdes Leid betrübte sie. Sie hatte Freunde gefunden, Kunst und Wissenschaft hatten ihr über manche schwere Stunde fortgeholfen; aber war das Glück? war das ein Glück, wie sie es in der Jugend gehofft?

Glück wäre es, die Gattin des Geliebten zu sein, in friedlicher Ruhe das Haupt stützen an seine breite Brust, den Schlag des Herzens fühlen, das für mich klopft, und seine Kinder auf den Knien wiegen! so sprach es in ihr und trostlos schlug sie die Hände zusammen und ließ sie müde niedersinken in den Schooß. Dies Glück war unmöglich für sie und es gab doch kein zweites.

Stürmisch und düster wie der Abend war, sah es in ihrem Herzen aus; sie konnte nicht ruhig verweilen, wo sie eben mit Alfred gelebt hatte; ihr graute vor der Einsamkeit, sie wollte sich den Qualen entreißen, die in ihr tobten, und eilte in das Zimmer ihres Bruders, um Muth zu fassen in seiner Nähe. Aber das Zimmer war dunkel, Julian war ausgegangen. Drüben in den benachbarten Häusern blitzte helles Licht aus manchen Fenstern, während hinter andern ein kleines Lämpchen schimmerte.

Lange blickte sie hinüber: Wer weiß, welche Wunden dort [185] unbeachtet bluten, welche Thränen dort fließen? und Jeder von uns hält sein Leid für das größte, sein Glück für nothwendig, sagte sie sich. Und wir leiden und jauchzen auf dem großen Ameisenhaufen, den wir stolz die Welt nennen, und über uns gehen die Sterne ruhig und kalt ihre ewig unwandelbaren Wege. Ein schmerzliches Lächeln überflog ihr Gesicht. O! wer auf den Sternen wäre, in Ruhe und Frieden! Wer es wüßte, was recht sein wird vor dem Geiste, wenn die Schranken des Irdischen einst fallen, wenn Liebe und Freiheit die einzigen Gesetze sein werden! rief sie und verstummte vor den heiligen Räthseln.

[186]
4
IV

Die junge erwartete Hausgenossin war angelangt und Therese hatte sie in ihren eigenen Zimmern eingerichtet. Aus dem Kinde war ein blühendes gesundes Mädchen von sechzehn Jahren geworden, das mit seinen großen, dunkeln Augen sehr verständig umherblickte und sich bald in den fremden Verhältnissen zurecht fand. Ihre Eltern waren nicht eben reich, hatten viele Kinder, deren ältestes sie war, und frühe schon hatte die tüchtige Mutter die Tochter als Hilfe benutzt, wo es im Hause etwas zu schaffen gab. Sie hatte die Eltern oft in Sorgen gesehen, hatte, soweit ihre Einsicht reichte, Theil daran genommen, die jüngeren Geschwister erziehen helfen und in Krankheiten gepflegt. Dadurch war sie praktisch gewandt und über ihre Jahre ernst geworden. Um so anmuthiger erschien es aber, wenn mitten in diesem jungfräulichen Ernst der kindliche Frohsinn zum Ausbruch kam.

Therese fand bald Freude an ihrer Gefährtin und vielerlei Beschäftigung durch und für sie. Sie mußte ihr Lehrer auswählen, ihr eine Art Zeiteintheilung machen und auch für ihre Kleidung Sorge tragen, deren ländliche Einfachheit nicht für die Kreise paßte, in denen sich Agnes für jetzt bewegen sollte.

Auch Julian nahm Theil an seiner Pflegetochter, wie er sie nannte, und es gefiel ihm gar wohl, wenn er sich Abends nach der Arbeit an den Theetisch setzte, der jetzt für vier Personen gedeckt ward. Oft vermehrte Eva die Zahl der Tischgenossen [187] durch ihre Gegenwart, oder Alfred kam mit seinem Knaben dazu, und man war äußerlich recht heiter beisammen, während die verschiedenartigsten widersprechendsten Empfindungen in den Herzen der Einzelnen sich regten.

Alfred hatte nach jenem Abende lange geschwankt, ob er Therese wiedersehen solle, ob nicht. Er war viele Tage ausgeblieben und hatte sie damit in eine peinliche Ungewißheit gestürzt. Endlich, als die Sehnsucht in ihm zu groß geworden, hatte er angefangen, ihr Verhalten zu billigen. Er wollte kein Geständniß mehr von ihr ertrotzen, er ehrte ihr Schweigen, denn eine innere Ueberzeugung ließ ihn nicht an ihrer Liebe zweifeln. Nur ihr, das fühlte er, dankte er die Möglichkeit, sie sehen und auch künftig in ihrer Nähe leben zu können. So war er ihr bewegt und versöhnend entgegengetreten. Keiner Erklärung hatte es bedurft und ein friedliches, inniges Verhältniß stellte sich zwischen ihnen her. Er besuchte Therese täglich, aber er sah sie nur selten allein. Sein ganzes Fühlen und Denken sprach er vor ihr aus, die leisesten Regungen seiner Seele enthüllte er ihr, und seine Liebe, seine Verehrung für sie stiegen noch mit jedem Tage. Sie schien beglückt durch sein Vertrauen, sie hatte ihre äußere Ruhe wiedergefunden, Jedermann mußte sie für zufrieden, selbst für glücklich halten, denn Niemand sah ihre stillen Thränen, ihr verzagtes Zusammenbrechen in der Einsamkeit. Alle Zärtlichkeit, die sie für Alfred hegte und ihm verbarg, breitete sie über seinen Sohn aus. Die Nähe des Knaben war ihr eine Wohlthat und Felix fühlte sich bald so heimisch bei ihr, daß er, so oft er durfte, zu ihr eilte.

Er und Agnes wurden denn auch bald die besten Freunde von der Welt. Stundenlang konnte sie sich mit ihm unterhalten und mit ihm wie mit ihren kleinen Brüdern spielen. [188] Dann trat das kindliche Element in ihrem Wesen entschieden hervor, so daß es kaum zu sagen war, wer mehr Lust an dem Spiele empfände, ob sie oder der Knabe. Die größte Freude aber machten sie dem Präsidenten. Er konnte nicht müde werden, ihnen zuzusehen. Er baute mit Felix die schönsten Festungen aus den Steinen seines Baukastens, hörte eifrig den Märchen zu, die Agnes ihm erzählte, wußte daran Belehrungen für sie und den Knaben zu knüpfen und erschien so liebenswürdig, daß Beide ihm von Herzen zugethan waren und seine Ankunft jedesmal freudig begrüßten.

Es gab Stunden, in denen selbst Therese und Alfred ihren heimlichen Gram vergaßen und sich heiter wie Julian dem Frohsinn der Jugend überließen. Nur Theophil nahm keinen Theil daran. Lässig und mißgestimmt betrieb er widerwillig die Zurüstungen für den Ball, der jetzt schon nahe bevorstand. Sein Unwohlsein kehrte häufiger wieder, er klagte über große Abspannung, mußte bisweilen seine Amtsgeschäfte versäumen und endlich wieder den Rath des Arztes in Anspruch nehmen, der ihn, wie immer, auf die eigene Kraft, auf Thätigkeit und Zerstreuung verwies. Das aber waren Mittel, die eine Natur wie die seine nicht anzuwenden vermochte.

Er folgte Therese wie ihr Schatten, schien nur in ihrer Nähe zufrieden; dennoch wußte sie ihn soweit zu beherrschen, daß er ihr niemals von seiner Liebe sprach, die er ziemlich unverhohlen an den Tag legte und als den Grund seines Leidens bezeichnete. Klagte er über Gemüthsbewegungen, die ihn aufrieben, sprach er von einer Idee, die ihn ausschließlich erfülle und ihm alles Andere zur Last mache, dann rieth ihm Therese, zu reisen, sich in das Gewühl des Lebens zu stürzen, und machte damit seine Klagen verstummen, bis irgend ein neuer Anlaß sie hervorrief. So sehr diese von ihr nicht getheilte Liebe sie bisweilen peinigte, so gab es doch Augenblicke, in [189] denen sie ihr wohlthat. Wenn sie sich selbst recht unglücklich, an Freude verarmt erschien, linderte das Bewußtsein ihren Schmerz, daß sie in ihrer Liebe einen Schatz besitze, der im Stande sei, Theophil's Wünsche zu krönen, sein Glück zu machen. Sie verzieh ihm dann gern seinen Mismuth, seine Klagen; sie that, was sie konnte, ihn zu erfreuen, ohne ihm jedoch irgend eine Hoffnung zu geben, daß sie jemals die Seine werden wolle oder könne.

[190]
5
V

Der November war nun fast zu Ende und man näherte sich dem Tage, an dem der Maskenball statthaben sollte. Der Präsident und Therese hatten der Baronin ihre Gegenwart für den Abend zugesagt und diese hatte auch Agnes dazu eingeladen, die den Wunsch ausgesprochen, die ungekannte Freude zu genießen. Therese hatte sich, trotz Agnes' Bitten, dagegen erklärt, aber als nun der Termin heranrückte, als Agnes bei Frau von Barnfeld beständig von dem Feste sprechen hörte, als diese und Theophil von den Handwerkern die einzelnen Garderobestücke angefertigt erhielten, da stieg ihre Lust, dem Balle beizuwohnen, höher und immer höher.

Eines Tages saß sie mit einem Buche in Theresen's Zimmer, während diese ausgegangen war, und dachte wieder lebhaft an den Ball und seine Freuden, als der Präsident hereintrat und ihr über die Schultern in das Buch blickte.

Was lesen Sie, Agnes? fragte er.

Romeo und Julie, Herr Präsident! Therese hat es mir gegeben.

Julian nahm das Buch, blätterte darin und fing an, dem jungen Mädchen die erste Scene vorzulesen, in der Romeo und Julie sich auf dem Balle begegnen. Er hatte bei seinem regen Gefühl für Poesie es bald vergessen, daß er nur auf einen Augenblick gekommen war. Die Schönheit des Gedichtes riß ihn hin, und mit seinem wohlklingenden Organ und aller Begeisterung, [191] die er für Shakspeare hegte, las er weiter und immer weiter, bald diese, bald jene Stelle, bis er endlich die Balkonscene aufschlug. Agnes hatte gespannt zugehört, doch kam es dem Präsidenten vor, als erlösche allmälig ihre Theilnahme, und er forderte sie auf, die Julia selbst zu lesen. Sie gehorchte anfangs zögernd und ein wenig befangen, dann ward sie wärmer und freier. Der Präsident hörte ihr mit steigender Ueberraschung zu und las den Romeo mit solchem Eifer, mit so großer Hingebung, daß er sich selbst darüber wunderte, als die Scene zu Ende war und er das Buch zusammenschlug.

Agnes, durch das Lesen erhitzt, ebenso entzückt als verschämt, hatte begeistert die glühenden Liebesworte gesprochen und blickte nun mit klopfendem Herzen und lächelnd den Präsidenten an, der seinen Augen und Ohren nicht traute. Sie war sehr schön in diesem Augenblick. So konnte Julia ausgesehen haben. Das glänzend schwarze Haar, das die reine Stirn umgab, die großen unschuldigen Augen hatten etwas höchst Jugendliches, die Form der Nase und des Mundes etwas Italienisches. Er wunderte sich, daß er dies Alles bis jetzt nicht bemerkt hatte, daß ihm entgangen war, wie viel Geist und Gefühl in dem jungen Mädchen schlummre. Er nahm sich vor, aufmerksamer auf sie zu werden, und fragte sie, wie ihr das Gelesene gefallen habe?

Sehr gut, sehr gut, sagte sie, besonders die Scene auf dem Maskenballe. Ach, Herr Präsident! Sie glauben nicht, wie glücklich ich wäre, wenn Sie Therese überredeten, mich mitzunehmen.

Julian mußte lachen, weil der Ton ihrer Bitte so gar kindlich klang.

Sehen Sie, wie ungerecht es in der Welt hergeht! sagte sie. Theophil, der ewig stöhnt und ächzt, der kann thun was er mag. Der geht stöhnend und kauft sich den prächtigsten [192] Anzug und wird ächzend mit Frau von Barnfeld tanzen, und ich ganz allein werde zu Hause bleiben und Sie Alle recht beneiden.

Sie wären lieber an Frau von Barnfeld's Stelle mit dem hübschen Theophil, liebes Kind! Das glaube ich, sagte Julian neckend, aber dazu haben die Eltern Sie eigentlich nicht hergeschickt.

Glauben Sie, daß mir der Assessor gefällt? Da irren Sie sehr. Ich kann es gar nicht leiden, wenn ein Mann immer so unglücklich thut. Mein Vater hat gewiß mehr Sorgen als der Assessor, aber er ist doch immer heiter, wenn er noch so viel zu thun hat, und so soll doch ein Mann auch sein und nicht wie Theophil.

Theophil ist krank, begütigte Julian, haben Sie Mitleid mit ihm, suchen Sie ihn zu zerstreuen.

Haben mich meine Eltern dazu in die Stadt geschickt? spottete sie und sagte dann: Gewiß, ich will Alles thun, was Therese und die Eltern von mir verlangen, ich bin ja auch sehr fleißig dabei, aber gegen den Ball hätte meine Mutter ganz bestimmt nichts einzuwenden, und ich wäre so glücklich, könnte ich ihn mitmachen.

Plötzlich schien ein Gedanke in dem Präsidenten aufzutauchen und er sagte: Agnes, können Sie wohl schweigen?

Wie das Grab!

Und wollen Sie mir einen Gefallen thun?

Von Herzen gern, Herr Präsident.

So sagen Sie nicht, daß Sie mit mir von dem Balle gesprochen haben, sprechen Sie überhaupt nicht mehr davon.

Aber weshalb denn nicht? ich möchte so gern hinkommen.

Haben Sie nie von guten Elfen gehört, die den frommen Kindern ihre Wünsche erfüllen? Beten Sie nur fleißig, vielleicht kommt der Elf und hilft.

Herr Präsident, Sie nehmen mich mit! rief Agnes jubelnd.

[193] Ich bin kein Elf, liebste Agnes, und Theresen's Willen darf ich nicht entgegenhandeln, antwortete er und ging hinaus.

Agnes lächelte still vor sich hin.

Den ganzen Tag sah sie strahlend vor Glück aus, so daß Therese sie um den Grund ihres Frohsinns befragte, aber sie behauptete, es sei ihr gar nichts begegnet, und freute sich, als am Abend Alfred seinen Felix mitbrachte, mit dem sie ihrer Lust in den tollsten Schwänken freien Lauf ließ.

War Theresen der ungewöhnliche Frohsinn des jungen Mädchens aufgefallen, so erschreckte sie andrerseits der ungewöhnlich trübe Ernst in Alfred's Zügen und, sobald sie allein miteinander waren, bat sie ihn besorgt, ihr zu sagen, was ihn beunruhige.

Ich habe schon einmal, sagte er, mit Ihnen von einer Frau sprechen wollen, die mir die innigste Theilnahme einflößt, von der Harkourt.

Therese erschrak, Alfred bemerkte es, ließ sich aber dadurch nicht stören, sondern fuhr fort: Sie kennen das Verhältniß, in dem Julian zu ihr gestanden hat. Sie werden wissen, daß er sie nicht mehr sieht und jede Beziehung zu ihr abgebrochen hat. Sie ist aber eine in jedem Betrachte bedeutende Frau, und wenig Männer möchten die Kraft haben, ihr gegenüber kalt zu bleiben, noch wenigere würden sie so schnell verlassen haben als Ihr Bruder, an dem sie noch mit leidenschaftlicher Liebe hängt. Ich mag über sein Verhalten zu ihr, über den Grund seines jetzigen Betragens nicht urtheilen. Das sind Dinge, die Jeder mit sich selbst abzumachen hat, die man vor sich selbst rechtfertigen muß, und das kann Julian nach seiner Ansicht auch gewiß. Aber ich möchte Sophie vor dem Verderben bewahren, dem sie entgegeneilt, und dazu sollen Sie mir Ihren Rath ertheilen.

Therese hatte anfangs sich scheu von diesen Mittheilungen abgewendet, die sie verletzten. Sie zürnte mit Alfred, sie begriff nicht, was diese Erörterungen ihr sollten. Als er aber [194] Sophie eine Unglückliche nannte, als er Beistand für sie verlangte, schwand jedes Bedenken in ihr und sie bat ihn, ihr zu sagen, wie sie helfen möchte.

Alfred erzählte, auf welche Weise er Sophie kennen gelernt habe, sprach von dem Briefe, den sie ihm nach Rosenthal geschrieben, und sagte, daß er sie bald nach seiner Ankunft besucht habe. Ich fand sie die ersten Tage, als ich zu ihr ging, nicht zu Hause. Sie sei in der Kirche, sagte man mir. Erst bei dem dritten Besuche traf ich sie selbst. Der Gram hat ihre Wangen gebleicht, sie sieht sehr leidend aus. Sie empfing mich mit einer Ruhe, die etwas sehr Trauriges hatte, und erklärte mir, daß sie nach langem Kampfe mit sich zu einem Entschluß gekommen, daß sie Willens sei, der Welt zu entsagen und in ein Kloster ihres Vaterlandes einzutreten.

Die Harkourt? fragte Therese zweifelnd.

Es überrascht Sie, bemerkte Alfred, weil Sie sie nicht kennen; mir ist es ganz begreiflich. Sie hat nach einem höchsten Glück gestrebt; ihr Dasein war aufgegangen in Liebe. Nun, da diese sie verläßt, findet sie keinen Halt in sich. Die Gesellschaft der Frauen, denen sie sich vertrauend zu nahen vermöchte, weiset sie von sich, da wirft sie sich verzweifelnd der Kirche in die Arme und hofft Glück hinter den Klosterpforten zu finden, die ihre Phantasie sich wie ein Asyl voll Ruhe und Frieden ausmalt. – Denken Sie nur: Sophie, die Lebensvolle, Strahlende, in den grauen Mauern eines Klosters!

Therese hörte nachdenkend zu, dann sagte sie, als Alfred schwieg: Ich begreife Sophien's Entschluß vollkommen, wenn sie fühlt, daß sie fertig mit dem Leben ist, daß es ihr nichts mehr bieten kann, sie für ihren Verlust zu entschädigen.

Sie billigen es, daß man in ein Kloster geht? daß man sich lebendig begräbt und das Leben hinsterbend vertrauert?

Der Widerwille, den Sie gegen jede Beschränkung der [195] Freiheit haben, lieber Reichenbach, wendete Therese ein, macht Sie in diesem Falle ungerecht. Sie wissen es, wie fern mir der Katholicismus, wie fremd und meiner Natur zuwider mir Frömmelei ist. Dennoch habe ich oftmals daran gedacht, daß es gut wäre, wenn man, besonders für Frauen, noch jene stillen Zufluchtsorte hätte, in denen man, aller Lebenssorgen enthoben, der Erinnerung, der Selbstbetrachtung leben könnte und ausruhen von den Stürmen der Welt. Sie sah eine Weile nachdenkend vor sich nieder, dann fuhr sie fort: Es gibt Schicksalsschläge, die so gewaltsam das Leben einer Frau zerstören, Leiden, von denen nicht jede Natur sich erholen kann. Nicht Jede hat einen Wirkungskreis, in dem sie nützen, Pflichten, die sie erfüllen soll. Was kann es für eine Frau in dem Falle Beglückenderes geben, als Einsamkeit und Ruhe?

Diese Ansicht hätte ich bei Ihnen nicht vermuthet, rief Alfred. Sie! Sie könnten es billigen, daß man ohne Zweck dem Grabe entgegenlebt? daß man feige sagt, die Last wird mir zu schwer, ich werfe sie von mir? Therese! das ist nicht Ihre Ansicht, Sie widersprechen sich seltsam. Und wenn Sophie das Gelübde gethan hat, wenn sie dann einsieht, daß sie sich getäuscht hat, daß Ruhe und Friede nur aus der eigenen Seele quellen, was wird sie dann vor dem Verzweifeln bewahren, wenn es mir nicht gelingt, sie von dem Schritte abzuhalten, den sie zu thun gedenkt? Glauben Sie, daß sie Frieden findet in dem Zwang eines Gelübdes?

Das kann ich nicht ermessen, da ich die Harkourt nicht kenne, antwortete Therese, auch spreche ich mehr im Allgemeinen als von ihr. Es sind erst wenige Tage, daß ich in irgend einem Blatte von den Zufluchtshäusern las, welche die Puseyiten in England zu errichten beabsichtigen. Dieser Gedanke schwebte mir vor und ist mir segensreich erschienen, weil kein Eid zu ewigem Verweilen darin verpflichtet; weil eine Rückkehr [196] in das Leben offen bleibt, wenn der Wunsch des Menschen ihn dorthin zurückzieht. – Wie glücklich wäre manche Frau, könnte sie für einige Jahre in solche Einsamkeit flüchten! welche Erleichterung kann es unter gewissen Verhältnissen sein, einen großen Schmerz ruhig auszuweinen, in tiefer Stille neue Kraft zu suchen. Ist es doch gar so schwer, über das blutende Herz den eiteln Tand einer Gesellschaftskleidung zu legen, die Thränen hinter Lächeln zu verbergen und sich umhertreiben zu lassen in den hohlen Genüssen der Gesellschaft, an denen die Seele keinen Theil hat. Wie Vielen, die gramerfüllt unter uns umherwandeln, würde ein solcher Zufluchtsort willkommen und selbst heilsam sein.

Alfred war von ihren Worten sehr ergriffen, er fühlte, welch tiefen Antheil ihre eigenen Erfahrungen an dem Gesagten hatten. Er sah sie lange traurig an und drückte dann ihre Hand, ohne zu sprechen, die sie ruhig in der seinen ruhen ließ. Was bedarf es auch der Worte zwischen Seelen, die nur Ein Dasein haben? Das tiefste Verständniß, das heiligste Glück der Liebe ruht in diesem Schweigen. Der höchste Schmerz und das größte Glück sind wortlos. Therese und Alfred empfanden es jetzt; aber Beide gaben sich der Täuschung hin, treu an den Vorsätzen zu halten, die sie gefaßt hatten, Beide vergaßen, daß jeder Blick, jede Miene zum Verräther an ihnen ward und daß sie keines Wortes zum Geständniß ihrer gegenseitigen Liebe bedurften, weil sie Einer in des Andern Seele empfanden.

Ein tiefer Seufzer Alfred's riß Therese endlich aus den Gedanken, in die sie versunken war. Ich fühle die Wahrheit Ihrer Ansicht, sagte er dann, und ich würde, falls es solch ein Asyl für Sophie gäbe, sie ruhig dahin gehen sehen, aber in ein Kloster niemals. Man soll sich nicht durch Eide binden, die unsere Freiheit beschränken, man darf nie und nimmer ein Gelübde leisten, das uns zum Fluche werden, das uns zu einer[197] Zeit fesseln kann, in der wir selbst es als einen Irrthum betrachten, in der wir sehnsüchtig nach Freiheit verlangen.

Eine zweite, noch gefährlichere Pause entstand, Therese fühlte es und fragte: Und was denken Sie der Armen zu rathen?

Ich weiß es selbst nicht, antwortete er. Glücklicherweise ist sie hier noch durch ihr Engagement gebunden. Sie tritt nicht auf, und man muß sich darein finden, weil sie wirklich leidend ist; aber man will sie nicht frei geben, sie nicht ihrer Verpflichtungen entlassen. Sie verlangt, daß ich mit der Direction unterhandele, und ich habe die einleitenden Schritte dazu gethan. Daß sie hier bleibt, scheint mir selbst nicht rathsam, dennoch betreibe ich die Angelegenheit ohne Eile, um Zeit zu gewinnen, um ihr Zeit zu reiflicher Ueberlegung zu lassen. Wären Sie nicht Julian's Schwester, ich ließe nicht mit Bitten nach, bis Sie sich Sophien näherten, bis Sie sie in Ihren Schutz, in Ihre Pflege nähmen. Eine solche Natur vor sichrer Reue zu retten, das wäre ein schöner Beruf für ein edles Frauenherz, das sich zu ihr neigen wollte.

Er sprach mit Wärme, erwartete sichtlich Beistimmung, hoffte vielleicht gar auf irgend eine Ermuthigung, aber Therese schwieg. Sophie dauerte sie, sie glaubte an alles Gute, das Alfred von ihr aussagte, dennoch konnte sie sich nicht überwinden, in irgend eine Beziehung zu ihr zu treten. Sophien's Verhältniß zu ihrem Bruder hatte ihr zu viel Kummer gemacht, sie konnte und wollte den Unwillen nicht besiegen, den sie gegen jede Uebertretung der Sitte fühlte, und vielleicht that ihr auch die Theilnahme Alfred's an Sophien wehe. Ihr besseres Selbst tadelte sie deshalb, aber sie bot den Beistand nicht an, den Alfred verlangte.

Felix und Agnes kehrten zurück und eine allgemeine Unterhaltung zog Therese von den Zweifeln ab, die sie innerlich beunruhigten.

[198]
6
VI

Seit vielen Tagen hatte Alfred einen Brief von seinem Freunde, dem Domherrn, erwartet. Endlich langte er an. Nach einer kurzen Einleitung hieß es in demselben:

»Ich kann Frau von Reichenbach zu keiner bestimmten Erklärung, zu keinem Eingehen auf Ihre Wünsche bewegen. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn diese Hartnäckigkeit nicht von den Rathschlägen des Herrn Kaplan herrühren sollte. Er ist Ihr entschiedener Feind. Ich weiß nicht, womit Sie ihn bei Ihrer letzten Anwesenheit in Rosenthal verletzt haben mögen, aber er verbirgt seinen Widerwillen gegen Sie durchaus nicht. Er tadelt überall laut das Verfahren gegen Ihre Frau, er hat dieser gesagt, daß bei einer Ehescheidung Sie allein für den schuldigen Theil erklärt werden, daß man Sie böslicher Verlassung beschuldigen würde und daß Frau von Reichenbach viel vortheilhafter bei einer Scheidung gestellt sein dürfte, als bei der Trennung, die Sie ihr vorschlagen. Dies sagte mir Ihre Frau selbst; zugleich aber auch, daß Ruhberg ihr rathe, sich noch nicht zu entscheiden, sondern Ihre Rückkehr zu hoffen und zu fordern.«

»Ruhberg spielt ein schlecht verstecktes Spiel. Mich dünkt, er will Sie durch den Widerstand Ihrer Frau zu einem Aeußersten treiben; er hofft, daß Sie die gerichtliche Scheidung endlich doch verlangen werden, und sieht sich im Geiste bereits an meiner Stelle und als Verwalter Ihrer Güter, als Erzieher[199] Ihres Sohnes. Irgend einen bestimmten Anschlag führt er ganz entschieden gegen Sie im Schilde, darum seien Sie vorsichtig, lieber Freund! Lassen Sie sich nicht ungeduldig machen, denken Sie an die Vorsätze, die Sie gefaßt, sich für fremdes Wohl zu opfern, und beharren Sie fest in Dem, was Sie für das Rechte erkannt haben. Ich gebe die Angelegenheit nicht aus den Händen, vielleicht sende ich Ihnen bald eine bessere Botschaft. – Seien Sie vorsichtig, mistrauen Sie allen Vorschlägen, die Ihnen von Ruhberg kommen, und verzeihen Sie es einem alten Freunde, wenn er Sie vielleicht in übergroßer Besorgniß mit Rathschlägen belästigt, deren ein Mann wie Sie sicher nicht bedarf.«

Alfred ward durch diesen Brief in die bitterste, verdrießlichste Stimmung versetzt. Er hatte, als er ihn empfing, mit Lust bei der Arbeit gesessen und in warmen Worten das Glück getheilter Liebe, das Glück einer Ehe geschildert. Spöttisch sah er jetzt auf die Blätter herab, die vor ihm lagen.

Welch lächerliches, widerwärtiges Narrenspiel ist das Leben! sagte er zu sich selbst. Da sitze ich und spreche von einem Glücke, das ich nie gekannt habe; das mir aus nächster Nähe winkt und das ich nicht erfassen darf. Da male ich Liebe und fühle nichts als Zorn, während die Welt vielleicht einst mich um das eheliche Glück beneidet, dem ich diese Schilderung nachbildete. O! wenn das Publikum wüßte, welche tiefe Wunden, welche heiße Sehnsucht sich oft hinter den Worten verbergen, an denen es sich erfreut! Wenn sie wüßten, daß nur zu oft der Schmerz es ist, der die Binde von unseren Augen nimmt und uns lehrt nach den Geheimnissen in der eigenen Brust zu forschen und fremde Seelen zu verstehen! Wenn sie ahnten, wie schwer wir die Erfahrungen bezahlt haben, wie herb, wie drückend sie uns gewesen sind, die wir für sie mit dem Zauber der Dichtkunst verklären, die wir ihnen darbringen als eine [200] Warnung, gehüllt in die duftigen Schleier der Fabel! – Wie arglose Kinder spielen sie mit der Rose, erfreuen sich an dem Glanz der Tropfen in ihr und denken, es sei der Thau, der die Blume erfrischt. Es sind unsere Thränen, ihr Thoren! heiße, bittere Thränen. Unser Herzblut ist es, das wir vergossen haben, als die Dornen uns zerrissen, die wir euch zu vermeiden lehren. O! das Leben thut oft weh; es macht Schmerz, in seine Tiefen zu schauen, und wie selten erringt man die lichte Höhe, auf der das Glück thront und die Freiheit und der Friede.

Er stützte das Haupt in die Hand und blieb nachdenkend, bis der Schritt eines Eintretenden ihn aufstörte. Es war der Präsident. Er sah ungemein heiter aus und rief ihm schon an der Thüre zu: Nun! Noch nicht im Costüme?

Alfred stand auf und fragte zerstreut: Wovon sprichst Du da?

Von dem Balle bei Frau von Wöhrstein.

Ja so! den hatte ich im Augenblicke wirklich fast vergessen!

Du kommst doch hin? fragte der Präsident.

Ich hatte es mir vorgenommen, weil unser ganzer Kreis daran Theil nimmt; nun ist mir aber die Lust vergangen. Ich bin verstimmt, habe unangenehme Nachrichten erhalten und bleibe lieber zu Hause.

Julian fragte, was dem Freunde begegnet sei, Alfred berichtete und jener meinte: Das ist nun ein peinlicher Zustand, den Du noch eine Weile zu ertragen haben wirst. Solche Verhältnisse ordnen sich endlich, wenn auch langsam, und sie ordnen sich nicht schneller, falls man sich das Leben durch sie verbittern läßt. Uebrigens ist nicht von Deinem Vergnügen die Rede, sondern von einem Dienste, den Du mir leisten sollst. Ich bin plötzlich behindert, durch unabweisliche Geschäfte, den Ball zu besuchen; Therese will deshalb auch zu Hause bleiben. Das [201] möchte ich nicht, um der Baronin willen, und ich wollte Dich bitten, meine Schwester zu begleiten. Kann ich es möglich machen, so komme ich vielleicht später etwas hin, aber ich zweifle daran.

Alfred erklärte sich sofort bereit, den Präsidenten zu vertreten, und man verabredete, daß er in seinem Wagen mit dem Assessor, Therese und Eva in dem Wagen der Letztern fahren und man sich dort zusammenfinden sollte.

So bleibt Agnes doch zu Hause? fragte Alfred.

Therese hat es verlangt und sie kann Recht haben, entgegnete Julian. Sie behauptet, das Mädchen sei anscheinend nicht bestimmt, in der großen Welt zu leben; deshalb wolle sie es an keinen Luxus gewöhnen, und was dergleichen Rücksichten mehr sind. Uebrigens würde es mich gar nicht wundern, wenn Agnes sich hier vortheilhaft verheirathete; denn sie wird täglich schöner. Findest Du das nicht?

Ich habe nicht darauf geachtet; aber sie ist hübsch und natürlich, meinte Alfred.

Das ist für mich ihr größter Reiz! sagte der Präsident. Wenn ich an Sophien's Genialität mit Bewunderung zurückdenke, wenn das tiefe, durch Welt- und Menschenkenntniß gebildete Wesen meiner Schwester mir Achtung gebietet, oder wenn die neckische Sorglosigkeit Eva's mich belustigt, so muß ich mich oft wundern, wie der Zufall hier in unserm Kreise gerade drei Frauen nebeneinander stellte, die man als die Resultate unserer socialen Verhältnisse auf die Bildung der Frauen in den höheren Ständen bezeichnen könnte.

Ich habe die Bemerkung ebenfalls gemacht, meinte Alfred, mochte sie Dir aber nicht mittheilen, weil Deine Schwester dabei betheiligt war. Eva ist eins von den vielen harmlosen Mädchen, die von ihren Müttern für den Heirathsmarkt erzogen und mit jenen oberflächlichen Reizmitteln geschmückt worden sind, die die [202] Käufer anlocken und blenden. Wie leer diese armen, kleinen Odalisken selbst dabei ausgehen, wie ohne innern Halt sie dabei bleiben, wenn das Leben ihnen später eine ernstere Seite zeigt, das berücksichtigen die Mütter eben so wenig, als die Prediger der Frauenemancipation an das Elend denken, in das sie Naturen, wie Sophie stürzen. Herausgerissen aus der schönen Begrenzung der Sitte, der Gewalt ihres Liebesbedürfnisses, der wechselsuchenden Leidenschaft des Mannes überlassen, müssen gerade die reichsten Frauenherzen am schwersten darunter leiden und ewig sehnsuchtsvoll nach jener reinen Höhe blicken –

Alfred hielt inne, weil ihn eine unüberwindliche Scheu abhielt, von Therese zu sprechen. Julian bemerkte es und sagte: Du meinst nach der reinen Höhe der Weiblichkeit, auf der meine Schwester steht?

Alfred bejahte es und Jener meinte: Damit ist es auch ein eigen Ding! – Ich fühle, daß Therese geschaffen ist, durch ihr Herz, durch ihren Geist das Glück eines Mannes zu machen, und doch, so sehr ich dies anerkenne und sie liebe, gestehe ich Dir, ich würde mir vielleicht eine weniger selbständige Natur zur Frau erwählen. In ihrer selbständigen Durchbildung liegt mehr Emancipation verborgen, als in Sophien's ganzer Vergangenheit.

Das heißt, sagte Alfred lebhaft, jene edle Entwicklung aller weiblichen Seelenkräfte, welche die Frau zur schönen Ergänzung des Mannes, zu seiner wahrhaft würdigen Gefährtin macht und –

Dem Manne das reizende Vorrecht entzieht, die Geliebte zu beschützen, ihr Alles in Allem zu sein, unterbrach ihn Julian. Eben diese Art von weiblicher Vollendung hat für mich doch auch ihre Bedenken. Das ist in unsern Verhältnissen so geworden, es hat sein Gutes, aber man wird manchmal aller Civilisation müde und verlangt Natur. Solch ein Naturkind [203] ist Agnes. Ich habe Eva einmal scherzend mit Champagnerschaum verglichen; Agnes ist der klare Bergquell, aus dem ein Trank uns Labsal wird, wenn unsere überreizten Nerven nach Erfrischung schmachten; sie ist das helle Wasser, in dem sich Erde und Himmel rein und unentstellt spiegeln. Du glaubst nicht, welche Anlagen diese Kleine hat. Es unterhält mich immer wieder sie zu beobachten, und ich glaube, sie wird mir fehlen, wenn die Eltern sie einst zurückfordern werden.

Es scheint mir, als würdest Du diese einstige Trennung zu verhindern wissen, bemerkte lächelnd Alfred. Uebrigens sehe ich nicht ein, was Dich davon abhalten könnte, wenn es Dir wünschenswerth wäre.

Hältst Du mich für so thöricht? rief der Präsident, glaubst Du, ich würde mir eine Frau aufbürden? und obenein ein solches junges Kind? Das fällt mir nicht ein; am wenigsten jetzt, wo man im Staatsrath ernstlich daran denkt, die goldenen Ketten der Ehe in ganz solide Fesseln zu verwandeln.

Was heißt das? fragte Alfred.

Nun, ich meine, wir sprachen schon davon, daß man wieder die Berathungen über das neue Ehescheidungsgesetz aufgenommen hat, das die Trennungen erschwert. Aber davon ein andermal. Ich muß eilen; mich rufen Geschäfte und ich werde meiner Schwester sagen, daß sie und Eva auf Dich rechnen können.

Mit diesen Worten empfahl sich der Präsident.

[204]
7
VII

Die Baronin Wöhrstein ging, in einen rosa Domino gehüllt, am Arme ihres bedeutend älteren Mannes durch die erleuchteten, blumengeschmückten Gemächer ihres schönen Hauses. Sie hatte mehr als zweihundert Personen eingeladen und man war übereingekommen, verlarvt zu erscheinen, um einmal die Freuden eines Maskenballs in der ruhigen Gewißheit zu genießen, daß man sich im Kreise von Bekannten und in der besten Gesellschaft bewege. Nur die Theilnehmer an der Quadrille, in der Eva und der Assessor tanzten, hatten eine Verabredung über das Costüme getroffen; alles Uebrige war dem Zufalle überlassen worden, der heute die Herrschaft führen sollte.

Allmälig füllten sich die Zimmer mit Masken an. Alle Nationen, alle Zeiten waren vertreten; rauschende Musik empfing die Gäste, die sich anfangs mit deutscher Befangenheit schüchtern nebeneinander bewegten, bis der erste Walzer die Tanzenden in seine Wirbel tauchte und man sich frei und heiter zu fühlen begann.

Nach dem Walzer erschien ein Zug von Shakspear'schen Charakteren, unter ihnen Theophil und Eva, die im Vorübergehen Therese und Alfred begrüßten, trotz der Verabredung, daß man sich nicht als Bekannte verrathen wolle. Die Letztern befanden sich unter den Zuschauenden und hatten lange in ruhiger Unterhaltung bei einander gesessen, als die Quadrille vorüberzog und alle Blicke sich ihr zuwendeten. Plötzlich blickte Alfred [205] nach der Eingangsthüre und sagte: Sehen Sie, das sind ein Paar prächtige Figuren!

Dabei wies er auf einen Mann in schwarzem Sammtdomino und Federhut, der eine italienische Bäuerin von Ischia am Arme führte. Der Domino hatte eine edle, hohe Gestalt, ein entschieden vornehmes Wesen, und die Italienerin, offenbar ein ganz jugendliches Mädchen, fiel durch ihre feinen und doch kräftigen Formen, durch die Fülle ihrer reichen schwarzen Flechten auf, die über den frischen, blendenden Nacken herunterfielen.

Alle Augen wendeten sich auf die eben Angekommenen, die allmälig der Mitte des Saales zuschritten; auch Therese blickte hin und glaubte einen Moment ihren Bruder in dem Domino zu erkennen. Da sie ihn aber beschäftigt wußte, da er außerdem sich einen weißen Domino bestellt hatte und eine ihr fremde Dame am Arme führte, lachte sie über ihre Vermuthung und sah sich wieder nach einer Nonne um, die einsam dem fröhlichen Treiben zugeschaut und alle Aufforderungen zu tanzen abgelehnt hatte.

Die Erscheinung der Nonne, ihre Kleidung waren so ungesucht, die kalte Ruhe, mit der sie in die laute Lust der Gesellschaft blickte, so ungekünstelt, daß Therese kein Auge von ihr wenden konnte und Alfred auf sie aufmerksam machte.

Sie ist mir auch seit einiger Zeit aufgefallen, sagte Alfred, und ich habe bei ihrem Anblick lebhaft an das gedacht, was Sie mir neulich über die Frauen sagten, die, ein heimliches Leid im Herzen, genöthigt sind, sich in die Anforderungen der Alltagswelt zu fügen. Jene Nonne sieht wirklich theilnahmlos aus.

Das finde ich nicht, entgegnete Therese; es scheint mir im Gegentheil, als suche sie Jemand, als erwarte sie irgend Etwas. Sehen Sie, jetzt verläßt sie endlich ihren Platz; die [206] Quadrille ist zu Ende, die Nonne verliert sich unter die übrige Gesellschaft.

Während Alfred mit dem Auge der Nonne folgte, trat Eva zu Theresen heran. Es ist prächtig hier, sagte sie, dies ist endlich einmal ein Fest, wie ich es mir lange gewünscht habe. Ich schwimme in einem Meer von Wonne und selbst Dein Theophil ist ganz heiter und galant. Er hat mich eben versichert, daß er, wenn er wirklich Oberon wäre, mir nicht nur das Feenkind überlassen, sondern mir sein ganzes Reich zu Füßen legen würde, wenn ich immer so schön wäre als diesen Abend. Ich versichere Dich, er ist sogar eifersüchtig auf all die Complimente, die man mir macht. – So ein Maskenball ist Dir sehr gesund, ich werde Dich künftig öfter zu dergleichen überreden, theurer Oberon! sagte sie scherzend, als Theophil in ihre Nähe kam, in Lust und Frohsinn wirst Du schnell genesen und glücklich sein.

Bin ich es denn nicht jetzt? fragte er.

Ist es meine Nähe oder die der stolzen, kalten Königin Therese, die Dich glücklich macht?

Eva! schalt Therese leise.

Nein! nein! rief sie, er soll und muß es gestehen; oder ich nehme ihn gleich von Dir fort und führe ihn der Porzia zu, die dort noch ohne Tänzer steht und die ich kenne. Ich tanze den nächsten Tanz mit einem prächtigen Malteser. – Schade, daß Dein Bruder nicht auf dem Balle ist, sagte sie im Fortgehen, er fehlt mir heute recht.

Ohne Theophil's Antwort abzuwarten, nahm sie den Arm des herantretenden Maltesers. Die letzten Worte hatte die Nonne gehört, die bis in Eva's Nähe gekommen war und jetzt ihr folgte. Dir fehlt er heute, mir wird er ewig fehlen, schöne Feenkönigin! sagte sie leise; hüte Dich, daß Deine Lust nicht auch in Thränen ende. Kehre zurück in Dein luftiges Himmelreich, [207] ehe die unbarmherzige Hand der Erdensöhne Deine Schwingen zerknickt und Deine Freude in Jammer verwandelt.

Eva fuhr erschreckt zusammen; auch der Malteser, der die Worte gehört hatte, sah sich nach der Nonne um, die sich schnell entfernt hatte und bald neben Therese und Theophil stand.

So sehe ich Sie gern, lieber Freund! sagte Therese. Mich dünkt, Sie bereuen es nicht mehr, hierher gegangen zu sein.

Ich ließe mich wol von der allgemeinen Lust tragen, wüßte ich nur, daß Sie Theil daran nähmen, daß auch Sie fröhlich wären. Ihre Gedanken sind nicht bei dem Feste, antwortete Theophil.

Ich vermag keine Lust von außen in mich aufzunehmen; ich bin zu alt dazu, glaube ich, oder zu ernst, zu deutsch – nennen Sie es, wie Sie es mögen, sagte Therese, als er auf ihre Bemerkung, sie sei zu alt, eine Widerlegung machen wollte. Ich kann nicht aus mir heraus gehen, ich bin immer ich, gleichviel in welchem Kleide, in welcher Umgebung.

Und ist Sie selbst sein, nicht das Höchste? Sind Sie, gerade wie Sie sind, nicht das Ziel, die Ursache –

Die Ursache, aus der Sie hier sind, ist zu tanzen, unterbrach ihn Therese. Hier die Nonne feiert müssig wie Sie; warum führt der lustige Oberon die ernste Nonne nicht in das fröhliche Leben?

Weil der Nonne das Leben zur Last ist, weil sie nach Grabesstille, nicht nach flüchtigem Sinnensrausch verlangt, entgegnete sie ernst, während Theophil, von einer Spanierin zum Tanze gewählt, dahinflog.

Alfred hatte sich entfernt, als er Therese mit Theophil und Eva gesehen hatte. Jetzt war sie mit der Nonne allein und diese sagte: Im Leben, in dem Alles uns lügt, verbirgt man sich am leichtesten in der Maske der Wahrheit; denn die Wahrheit vermuthet man nirgends.

[208] Sprichst Du von Deiner Maske, heilige Frau? fragte Therese.

Nenne mich nicht heilig; Du thätest es nicht, stände ich außerhalb dieser Räume vor Dir. Du bist heilig und rein; Du bist der Liebe des Edelsten werth. Ich weiß, daß er Dich liebt, daß Du all Deine Kraft bedarfst, seinen Wünschen zu entfliehen und dem Verlangen in der eigenen Brust. Du trägst die Nonnentracht unter dem farbigen Kleide; Du hast entsagt mitten in dem fröhlichen Gewühl der Welt. O! wäre ich gewesen wie Du, dann brauchte ich nicht zu büßen, was ich nicht allein gesündigt.

Wer sind Sie? Um Gottes willen, wer sind Sie? rief Therese erschüttert und ergriff die Hand der Nonne, damit sie ihr nicht entschlüpfe.

Eine Unglückliche wie Du, deren Herz an hoffnungsloser Liebe verblutet, antwortete die Nonne, indem sie Theresen's Hand an ihr Herz und dann an ihre Lippen drückte. Mit diesem Kusse bitte ich Dich um Vergebung, wenn ich Dich je betrübte. Ich scheide von der Welt, laß mich die Gewißheit hinübernehmen in die Einsamkeit, daß Du mich nicht verachtest; daß Du mich für eine Unglückliche, nicht für eine Ehrlose hältst.

Sie sind – – rief Therese –

Aber die Nonne fiel ihr in das Wort: Du weißt wer ich bin, nenne meinen Namen nicht; sein trauriger Klang paßt nicht zu dem heitern Feste. Gib mir Deine Hand als Segenszeichen, lebe wohl und Gott behüte Dich!

Sie ergriff nochmals Theresen's Hand, die sie bebend drückte, trat schnell hinter eine Gruppe von Masken, die sich vor ihnen gesammelt hatte, und Therese vermochte sie nicht zu entdecken, obgleich sie ihr folgte. Man demaskirte sich in diesem Augenblick, wodurch ein so buntes, fröhliches Gewühl entstand, daß der Einzelne sich leicht darin verlieren konnte.

[209] Viele Herren hatten gespannt auf den schwarzen Domino und die Italienerin geblickt. Jetzt, da sie die Larven abnahmen, begrüßte man freundlich den Präsidenten, während man bewundernd Agnes betrachtete, die strahlend vor Vergnügen, Schönheit und Jugend, sich mit kindlicher Schüchternheit auf seinen Arm stützte. Von allen Seiten fragte man Julian, wer seine Begleiterin wäre. Man wollte ihr vorgestellt sein und er genoß heiter den Triumph, das schönste Mädchen des Balles als seine Dame aufzuführen.

An jenem Tage, als Agnes so sehnsüchtig nach dem Balle verlangt hatte, war der Gedanke an diese Ueberraschung in ihm aufgestiegen. Er war zu dem Schneider gegangen, der für Agnes gearbeitet, hatte ein reiches, geschmackvolles Costüme für sie bestellt, die kostbarsten Spangen und Nadeln gekauft, und als Therese auf den Ball gefahren, da war er mit seinen Schätzen vor Agnes hingetreten. Sie hatte den Andern traurig nachgeblickt, keine Hoffnung mehr gehabt und vergebens überdacht, was jene Worte des Präsidenten bedeutet haben mochten, auf die sie ihre Aussichten gebaut. Um so größer war nun ihre Ueberraschung, ihr Entzücken gewesen, als Julian die prächtige Kleidung vor ihr ausgebreitet und ihr die Kammerjungfer geschickt hatte, sie anzukleiden. Agnes hatte sich nie in so glänzendem Costüme gesehen; ihr schönes Gesicht, ihre volle, frische Gestalt wurden durch die kleidsame Tracht bedeutend hervorgehoben. Sie selbst empfand mit stiller Freude, daß sie schön sei, was die Kammerjungfer ihr unablässig versicherte; und als der Präsident sie abzuholen kam, als auch er entzückt ausrief: Wie schön sehen Sie aus! da konnte sie sich vor Freude und Erkenntlichkeit nicht helfen und fiel ihm um den Hals, ihm mit einem Kusse für seine Güte zu danken. Julian hatte die größte Lust, sie fest an sich zu drücken, aber das kindlich unbefangene Vertrauen der Jungfrau hielt ihn in ehrfurchtsvoller [210] Scheu davon zurück. Er wagte nicht, ihre Hingebung zu misbrauchen; es war ihm, als entweihe er sie durch die leiseste Berührung, und nur seinen Augen gönnte er die Lust, sich an ihrer Schönheit zu weiden.

Er hatte mit Agnes verabredet, daß sie sich Therese nicht zu erkennen geben wollten, bis man allgemein die Larven ablegen würde. An seinem Arme war sie froh und stolz durch die Reihen der Tanzenden gewandelt; er hatte sich an ihren naiven Bemerkungen, an ihrer Freude ergötzt und war unangenehm berührt, als er jetzt mit ihr vor seine Schwester hintrat und ein misbilligender Blick Theresen's ihn in seiner guten Laune störte.

Therese unterdrückte aber ihren Unwillen schnell. Zu guthmüthig, Agnes in ihrem Glücke zu stören, hatte sie selbst Freude an dem schönen Mädchen und war innerlich so sehr mit der Erscheinung der Nonne beschäftigt, daß sie nur flüchtig auf die Erzählungen ihres Bruders und ihrer Pflegetochter achtete, bis diese sie fragte, ob sie es wol wagen dürfe, auf einem solchen Balle zu tanzen.

Warum denn nicht? meinte Theophil, der sie um eine Galoppade gebeten hatte.

Sie wissen es ja, ich habe noch gar nicht tanzen gelernt; ich fürchte, man lacht mich aus, wenn ich es schlecht mache, sagte Agnes.

Tanzen Sie immerhin! rieth der Präsident. Wen die Natur ausgestattet wie Sie, über den lacht man nur vor Wohlgefallen; der macht Alles recht und bedarf der Kunst nicht.

Auch Theophil redete ihr zu und sie nahm seine Aufforderung an, während Eva gegen Julian bemerkte: Sie werden dem Kinde noch den Kopf verdrehen. Agnes ist wirklich hübsch und die Tracht steht ihr sehr gut, aber für solch junges Mädchen ist sie doch zu groß und viel zu stark; sie wird kolossal werden[211] und bis jetzt kann sie weder gehen noch stehen. Sehen Sie nur, sie tanzt wirklich wie eine Bäuerin.

Da neigte der Präsident sich zu Eva hernieder und fragte: Fürchtet die schöne Titania, daß ein Staubgeborner sich lieber der irdischen Bäuerin zuwendet? Fürchtet sie, daß man ihr treulos werden könnte?

Eva wurde roth und rief: Wer denkt denn daran? Glauben Sie, daß ich mir jemals eingebildet habe, mit meinen kleinen Elfenhänden einen Riesen wie Sie zu fesseln?

Aber den Oberon vielleicht, der jetzt so zärtlich mit meiner Italienerin spricht und sie mit seinen Elfenhänden recht fest zu halten scheint. Sehen Sie, wie sie dort hinfliegen! Der Treulose blickt sich nicht einmal nach Ihnen um! Aber trösten Sie sich und denken Sie, daß ich Ihnen bleibe, wenn Jener Sie verläßt; daß ein Mann auf Erden eben so gut ist, als ein Elfe in den Wolken.

Sie sind immer derselbe, Julian! rief Eva lachend, hing sich an seinen Arm und machte plaudernd einige Gänge mit ihm durch den Saal, bis der Tanz beendet war, Theophil und Agnes sich zu ihnen gesellten und der Präsident dieser seinen andern Arm anbot.

Mit den beiden jungen Schönheiten durchwandelte er die ganze Zimmerreihe, um sie die geschmackvolle Einrichtung des Hauses bewundern zu lassen, und verweilte endlich in dem letzten Kabinette, wo er seine Begleiterinnen aufforderte zu ruhen und sich von der Wärme des Tanzsaales zu erholen.

Es war ein kleines Gemach, das durch blühende Blumen und Schlingpflanzen in eine Laube verwandelt war. Der Thüre, welche auf den Hausflur führte, hatte man durch das Vorsetzen eines Schirmes, mit eingerahmten Lithophanien, hinter welchen Licht brannte, das Ansehen eines Fensters gegeben. Es war ein sehr liebliches Plätzchen und Eva warf sich tiefaufathmend [212] in eine Bergère, die vor dem Fenster stand. Auch Agnes wollte sich niederlassen, legte aber erst behutsam den Sammtüberwurf, den sie trug, auf die Seite, um ihn nicht zu zerdrücken. Kaum sah das Eva, der nichts entging, als sie ausrief: Sehen Sie, wie natürlich die Kleine spielt; man sollte sie wirklich für eine Bäuerin halten, so ängstlich geht sie mit dem Sonntagsstaate um. Schämen Sie sich, Agnes, wissen Sie nicht, daß man in der Gesellschaft niemals an einen Anzug denken darf? Sparsamkeit ist zu ländlich und paßt nicht neben Ihrem Cavalier!

Ich bin keine Dame, sondern nur ein Landmädchen, und wenn ich etwas Ungeschicktes thue, sollten Sie es mir nicht so spottend vorhalten, antwortete Agnes empfindlich über die Neckereien Eva's. Es würde mir leid sein, wenn ich der Güte des Herrn Präsidenten Schande machte.

Seien Sie unbesorgt, Agnes, beruhigte sie dieser; Titania ist heute übler Laune, sie mag nicht andere Götter haben neben sich. Ich freue mich, daß ich Sie hergeführt habe, und um Ihnen meinen Dank zu zeigen, gebe ich Ihnen, da ich eben nichts Schöneres habe, diese Rose, so frisch und blühend als Sie.

Dabei brach er eine Rose von einem nahestehenden Strauche, reichte sie Agnes und schickte sich an für Eva eine zweite zu pflücken, als eine Stimme dicht hinter ihnen rief: Es sind nicht die ersten Blumen, die Du brichst!

Die drei Plaudernden sahen sich verwundert um, eine Nonne trat hinter dem Schirme hervor und sagte vorüberschreitend: Wüßtest Du, wie schnell gebrochne Blumen welken, Du würdest barmherziger werden.

Julian sprang empor und wollte der Nonne erbleichend folgen, als Alfred ihm entgegentrat und hastig und leise zu ihm sagte: Sophie ist auf dem Balle.

[213] Ich weiß es, antwortete Julian. Bleibe einen Augen blick bei den Beiden hier. Wo ist meine Schwester?

Ich verließ sie im Saale mit Theophil.

Gut denn! tragt Sorge für die Frauen und, falls ich nicht gleich wiederkehre, begleitet sie nach Hause.

[214]
8
VIII

Fast alle Personen unserer Erzählung waren am Morgen nach der Maskerade verstimmt oder traurig. Eva's gehoffter Triumph war durch das Erscheinen von Agnes gestört, die Aufmerksamkeit Julian's und Theophil's zwischen ihr und Agnes getheilt gewesen, und das plötzliche Auftreten der Nonne hatte beide junge Damen unheimlich berührt.

Der Präsident hatte Sophie nicht mehr eingeholt, da noch andere Männer außer ihm und Alfred sie erkannt, und dieser sie beschworen hatte, den Ball zu verlassen, zu dem sie sich eine Einladung verschafft. Eine unwiderstehliche Sehnsucht, Julian noch einmal zu sprechen, Therese und Eva kennen zu lernen, die sie durch Alfred's Erzählung auf dem Feste wußte, hatte sie zu dem auffallenden Schritte verleitet, der dem Präsidenten ein peinliches Gerede zugezogen und ein wiederholtes Stadtgespräch über dies Verhältniß zuwege gebracht hatte.

In der gereizten Stimmung hatte er noch in der Nacht an Sophie geschrieben, ihr heftige Vorwürfe gemacht und dem Diener den Brief zur Besorgung übergeben, der ihn in aller Frühe an seine Adresse befördert hatte. Jetzt am Morgen bereute er seine Härte. Das Andenken an ihre Liebe sprach versöhnend für sie, aber der Brief war abgesendet, die Sache unabänderlich. Er tadelte sich lebhaft und war in der Unzufriedenheit mit sich nicht aufgelegt, die Vorstellungen gelassen hinzunehmen, die ihm seine Schwester machte.

[215] Wie kann ich von Agnes Vertrauen fordern, wie soll ich mich gegen ihre Mutter rechtfertigen, sagte Therese, wenn Du selbst sie zu Heimlichkeiten verleitest?

Was das nun für ein Aufhebens ist, liebe Therese, weil ich dem Kinde eine Freude ohne Deine Erlaubniß gemacht habe! Bilde Dir doch nicht ein, daß das Mädchen Dich wie einen Beichtvater betrachtet. Hast Du zu sechszehn Jahren nicht Deine kleinen Geheimnisse gehabt? Was soll die unnöthige Strenge? Agnes war unter meinem Schutze wohl aufgehoben und ich übernehme die Verantwortung, entgegnete Julian ablehnend.

Sie ist aber meinem Schutze anvertraut, bemerkte Therese, und es war Dir gewiß weniger um ihr Vergnügen, als um das Deine zu thun. Agnes bedarf so rauschender Feste noch nicht und ich finde Deine Handlungsweise in diesem Falle unvorsichtig.

Quäle mich doch nicht mit Gouvernantenmoral! sagte Julian verdrießlich, Agnes ist erwachsen genug, über sich selbst zu bestimmen, und Eltern, die ihre Tochter unbedenklich verheirathen, sie ganz selbständig machen würden, verlangen eine Beaufsichtigung, wie Du sie meinst, gewiß nicht mehr. Darum verschone mich mit Vorwürfen, die mir lästig sind, sie klingen wirklich ganz altjüngferlich. Gewöhne Dir diese unnöthige Strenge doch nicht an.

Mit den Worten ging er hinaus und ließ Therese, die dergleichen Ermahnungen von dem Bruder nicht gewohnt war, unmuthig zurück.

Später am Tage kam Eva, sie zu fragen, ob sie etwas dagegen hätte, wenn man den Abend bei ihr, statt bei Therese zubrächte, wie man es verabredet hatte. Therese nahm den Vorschlag an und Eva plauderte von dem Balle, von dem sonderbaren Einfalle des Präsidenten, Agnes gegen Theresen's [216] Willen hinzuführen, von den Eroberungen, die sie selbst gemacht, und von tausend andern Dingen.

Uebrigens sei auf Deiner Hut, Therese! sagte sie, Dein Bruder ist von Agnes wie bezaubert. Ich glaube, er denkt daran, sie zu heirathen.

Das ist ein thörichter Einfall von Dir, meinte Therese, wie kommst Du nur darauf? Mein Bruder und das kaum erwachsene Kind, das ist ein unmögliches Paar.

Nicht so unmöglich als Du glaubst, rief Eva eifrig. Du solltest nur hören, wie er seit Wochen von der reinen Natürlichkeit, von der häuslichen Tüchtigkeit und dem Verstande von Agnes spricht; wie er ihre gleichgültigsten Aeußerungen mir als etwas Besonderes wiederholt; wie er es sich reizend denkt, sie zur Tochter zu haben, sie zu bilden und zu erziehen – Dir würde, wie mir, die Vermuthung kommen, daß er noch lieber als eine solche Tochter eine solche Frau zu haben wünsche.

Therese hörte nachdenkend zu. Die Möglichkeit, daß Julian sich verheirathen, daß er Agnes heirathen wolle, war ihr befremdend. Er hatte so oft seine Abneigung gegen die Ehe ausgesprochen, sie war an das Zusammenleben mit dem Bruder so sehr gewöhnt, ihre ganze Zukunft so fest darauf gebaut, daß sie nicht an einen Zustand denken mochte, in dem sie von ihm getrennt werden konnte.

Indeß war Eva's Vermuthung nicht unmöglich. Sie dachte der großen Theilnahme, mit der Julian das Mädchen betrachtete, ihr Streit am Morgen fiel ihr ein und sie selbst fing wider ihren Willen sich der Meinung Eva's zuzuneigen an. Das regte sehr verschiedene Gefühle in ihrer Seele auf. Sie wünschte nichts lebhafter, als Julian recht glücklich zu sehen, aber konnte er das in der Ehe mit einer Frau werden, die dreißig Jahre jünger war als er? Agnes war ein Kind –

Soweit war Therese in ihren Gedanken gekommen, als [217] Agnes eintrat und beide Frauen sich überrascht ansahen, denn es war eine ganz merkliche Veränderung mit ihr vorgegangen. Es schien, als habe sie den Schritt aus der Kindheit in das jugendliche Alter plötzlich gemacht; als habe das gestrige Fest, die Bewunderung, die sie gefunden, ihr plötzlich gezeigt, daß sie ein Recht habe, sich den Frauen zuzugesellen, die der Beachtung werth wären. Sie trug sich grader, trat freier auf, hatte ihre Kleidung sorgfältiger geordnet und begrüßte Frau von Barnfeld traulich mit dem Namen Eva, während sie sie bis jetzt »gnädige Frau« zu nennen pflegte.

Ist Theophil nicht hier gewesen, liebe Therese? fragte sie, er wollte, da das Wetter so schön ist, uns auffordern einen Spaziergang zu machen. Wenigstens sagte er mir so, als ich von der französischen Stunde kam.

Die Worte klangen so natürlich als möglich und doch war für Therese etwas Ungewohntes darin. Wie Agnes Frau von Barnfeld nicht bei dem Taufnamen genannt, so hatte sie es auch mit Theophil niemals gethan, niemals sich mit Therese in gleiche Reihe gestellt.

Wie kommen Sie mir denn vor, Agnes! rief Eva, die keinen Eindruck zu verbergen wußte, ich glaube, Sie sind gewachsen seit gestern! Sie haben sich vollständig gemausert. Sind Sie größer als Therese?

Nein, sehen Sie nur, sagte Agnes freundlich, indem sie vor Therese hinkniete und ihr die Hand küßte. Ich bin noch immer Dein Kind, nicht wahr, Therese? und Du bist nicht böse, daß ich Dir nichts von dem Balle gesagt habe. Ich wußte es ja nicht bestimmt und ich dachte, wenn Dein Bruder es mir vorschlage, könne es kein Unrecht sein. Er ist so gut, Dein Bruder.

Therese küßte Agnes, drückte sie an ihr Herz und beruhigte sie durch die Versicherung, ihr nicht zu zürnen; dann gab sie ihr einige Aufträge für den Haushalt, das junge Mädchen [218] entfernte sich dienstfertig und Therese bat Frau von Barnfeld, gegen Niemanden, am wenigsten gegen Agnes etwas davon zu erwähnen, daß sie an eine Neigung des Präsidenten für sie glaube.

Eva versprach es und sagte: Nur das Eine verlange ich zu wissen: glaubst Du, daß ich mich geirrt habe, daß mein Verdacht ungegründet ist?

Ich weiß es nicht, antwortete Therese, aber warum nennst Du es einen Verdacht? Wäre es ein Unrecht, wenn Julian ein gutes, schönes Mädchen zur Frau nähme?

Entsetzlich, o, entsetzlich wäre es! rief Eva in Thränen ausbrechend und eilte mit verhülltem Gesichte hinaus, ohne auf Theresen's dringende Bitte zu achten, daß sie bei ihr bleiben und sich beruhigen solle.

Therese war in großer Gemüthsbewegung. Agnes, die sie von ihrem Bruder trennen konnte, erschien ihr fremd und doch zog der Gedanke, Julian könne das Mädchen lieben und glücklich durch dasselbe werden, sie wieder zu ihm hin. Eine Neigung Eva's für ihren Bruder hatte sie lange vermuthet; nun hatte die Gewißheit derselben sie erschreckt. Wohin sie blickte, Trübsal und Verwirrung. Sie dachte des Tages, an dem sie mit Alfred und dem Bruder über die mögliche Ankunft ihrer Hausgenossen gesprochen, und der Besorgnisse, die sie dagegen gehegt hatte. Jetzt waren sie nahe daran, sich zu erfüllen. Jene heitere Vergangenheit war längst entschwunden. Alfred's und Theophil's Bilder traten ihr beunruhigend vor die Seele. Beide waren nicht glücklich, und welch schweres Leid konnte die Zukunft ihr selbst noch bringen, während nirgend eine Aussicht auf Glück für sie vorhanden war! Sie fühlte sich geistig müde und traurig und es erschien ihr fast wie eine Wohlthat, als ein Billet des Bruders ihr meldete, daß ein dringendes Geschäft ihn und Teophil nöthige, nach [219] einem entfernten Stadttheile zu fahren, und daß sie deshalb auswärts speisen würden. Der Brief endete mit den Worten: »Ich war heute ungerecht gegen Dich, liebe Schwester; Du hast entgelten müssen, was mich innerlich quälte. Vergib mir das, Du liebe Treue! ein reuiger Sünder grüßt Dich mit Wort und Kuß.«

Das erquickte Therese. Sie suchte sich, wie es ihre Art war, alle Möglichkeiten durchzudenken, faßte die Zukunft fest ins Auge, stellte sich die Zeit vor, in der sie einsam ohne Julian leben würde, und sagte dann lächelnd: Habe ich ein Recht zu fordern, daß er für mich lebe? Werde ich nicht glücklich sein in seinem Glücke?

Aber trotz aller Liebe für den Bruder, trotz der reiflichsten Ueberlegungen behielt eine wehmüthige Stimmung die Herrschaft über sie und war nicht gewichen, als man sich am Abend bei Eva versammelte.

Mit Agnes bei Eva anlangend, fand sie Alfred schon dort, Eva ein wenig bleich, aber heiter wie immer, und kurze Zeit darauf erschienen auch Julian und Theophil. Der Erstere gab Theresen die Hand, und die vollständigste Versöhnung ward schweigend durch einen Händedruck besiegelt. Dann begrüßte er die übrigen Personen und sagte: Uns hat heute ein seltsames Ereigniß beschäftigt. Wollt Ihr es, so theile ich es Euch mit, oder besser, Theophil erzählt es Euch, denn er ist eine der Hauptpersonen dabei.

Man bat den Assessor um die Mittheilung. Ich glaube Ihnen schon neulich gesagt zu haben, hub er an, daß die Besorgniß vor dem neuen, die Ehescheidungen erschwerenden Gesetze eine große Menge von Ehescheidungsklagen zuwege bringt, weil die Leute, die in unglücklicher Ehe leben, die Klagen auf Trennung einzureichen wünschen, während das alte Gesetz noch in Kraft ist. Unter diesen Eingaben befand sich auch die Klage [220] einer Frau, deren Mann hier in der Stadt als ein wüster Gesell, ein Spieler von Profession bekannt ist. Es war heute der zweite Termin in der Sache angesetzt, die ich führe. Schon das erste Mal fiel mir das Aeußere der Frau angenehm auf. Sie ist nicht hübsch, etwa in der Hälfte der dreißiger Jahre, hat aber jenes Aussehen, das auf eine gewisse geistige Entwickelung schließen läßt. Ihre Kleidung war dürftig, doch mit großer Sauberkeit und Sorgfalt geordnet. Sie erklärte in der Eingabe, daß sie, seit achtzehn Jahren verheirathet, zwei Töchter habe, von denen die älteste siebzehn, die jüngere funfzehn Jahre alt sei, und daß sie im Verein mit diesen Töchtern sich seit Jahren durch Handarbeit ernähre, da ihr Mann nichts erwerbe oder, falls er etwas erwerben sollte, es außer dem Hause verbrauche. Sie habe seit dem Beginn ihrer Ehe nicht glücklich mit ihrem Manne gelebt, die Eltern hätten sie zu der Heirath gezwungen. Trotzdem glaube sie, ihre Pflicht erfüllt und geduldig die Rohheit ihres Mannes ertragen zu haben. Jetzt aber, da diese täglich zunehme, da ihre Kraft durch den Gram gebrochen sei, da ihre Töchter mit von der Tyrannei zu leiden hätten und man ihr sage, die Scheidung solle künftig erschwert werden, jetzt sehe sie sich genöthigt zu verlangen, daß man sie von ihrem Manne trenne. Sie hatte die Klage offenbar selbst gemacht und war auch im Termine selbst erschienen, weil, wie sie mir sagte, ihr die Mittel fehlten, einen Justizcommissar zu bezahlen. Daß ich mit der größten Schonung gegen die Frau bei dem Termine verfuhr, darf ich nicht erst versichern. Der Mann, früher Offizier, dann in einem Civilamte beschäftigt und wegen Dienstvergehen entlassen, will von der Scheidung nichts hören, weil es ihm bequem zu sein scheint, Wohnung, Speise und Kleidung für sich erwerben zu lassen, während er in Spielhäusern und Weinschenken die Zeit verschwendet, oft betrunken heimkehrt, bisweilen wüste Gesellen mit sich nach [221] Hause bringt und Frau und Töchter auf das äußerste quält. Diese Thatsachen stehen fest. Da er aber seine Frau nie in Gegenwart von Fremden beschimpft, sie nie geschlagen hat, da sie selbst nicht wegen Ehebruch klagt und er sich nicht von ihr trennen will, ist die Sachlage nicht günstig für ihre Wünsche. Mann und Frau waren heute im Termine erschienen und diese Letztere litt sichtlich durch die Erörterungen über ihr eheliches Verhältniß, zu denen der Mann sich erniedrigte. Er klagte sie an, ihn niemals geliebt zu haben, sie hätte ein Verhältniß vor Eingehung ihrer Ehe mit einem Referendarius gehabt, diese Liebe hätte gleich anfangs störend zwischen ihnen gestanden, die Kälte und Abneigung seiner Frau hätten ihn aus dem Hause getrieben und dergleichen Dinge mehr, die im Munde dieses Mannes das Gepräge der Unwahrheit trugen. Als er dann immer roher wurde, zuletzt grobe Beschuldigungen gegen die Treue seiner Frau aussprach und behauptete, daß sie noch nach der Hochzeit in fortgesetztem Verhältniß zu ihrem frühern Geliebten gestanden und diesen oftmals bei sich gesehen habe, sagte die Frau, die schon lange heftig gezittert hatte: Großer Gott! auch das noch und vor all den Männern! und sank in einer Ohnmacht zusammen, so daß man sie hinaustragen mußte. Mir that die Frau sehr leid, der Mann aber schalt sie eine empfindsame Närrin und eilte, da es unmöglich war, den Termin fortzusetzen, gleichmüthig davon.

Als ich ebenfalls im Nachhausegehen in das Vorzimmer kam, wo verschiedene Personen sich damit beschäftigten, die Ohnmächtige ins Leben zu rufen, traf ich einen uns gemeinsam bekannten Justizbeamten. Er fragt mich, was das Gewühl bedeute? ich erzähle es ihm und nenne zufällig den Familiennamen der Frau dabei. Kaum hat er ihn gehört, als er sich durch die Menge drängt, die Ohnmächtige betrachtet und sie mit ihrem Namen anruft. Bei dem ersten Tone seiner Stimme [222] richtet sie sich plötzlich in die Höhe, öffnet die Augen, sieht ihn an, wie man eine unirdische Erscheinung betrachten würde, und sinkt dann in seine Arme, während heiße Thränen aus Beider Augen fließen.

Niemals habe ich Etwas erlebt, was mich in ähnlicher Weise erschüttert hätte. Ich suchte die Leute zu entfernen, die umherstanden. Der Beamte bat mich, nachzusehen, ob er die Leidende nicht in das Sessionszimmer führen könne. Ich that es und, da Niemand als der Präsident darin war, kam er selbst, sie dorthin zu geleiten. Die Frau erholte sich dann und fuhr nach Hause in einem Wagen, den wir herbeigeschafft hatten.

Soweit hatte Theophil erzählt, als der Präsident ihn ablöste. Ihr werdet nun leicht den Zusammenhang errathen, sagte er, wie ihn uns der Beamte nachher erklärte. Er ist jener Jugendgeliebte der unglücklichen Frau. Beide waren arm, ohne alle Aussicht, sich verbinden zu können, und das Mädchen heirathete, von den Eltern dazu gezwungen, ihren jetzigen Mann, der damals noch ein nahmhaftes Vermögen besaß, obgleich er den größten Theil seines Erbes schon verspielt hatte. Der früher Geliebte hat ihr in der ersten Zeit bisweilen geschrieben, wie er sagt, aber keine Antwort von ihr erhalten. Wiedergesehen hat er sie nie, da er bis vor wenig Wochen in den östlichen Provinzen angestellt war, während die Frau lange Zeit am Rheine lebte. Heute haben sich nun die Langgetrennten gefunden und der Beamte konnte der tiefen Erschütterung nicht Herr werden, in der er sich befand. Das Mädchen, das er in behaglichen Verhältnissen, jung und frisch verlassen, hatte er als bleiche, verkümmerte Frau unter den Händen fremder Menschen wiedergesehen; erliegend unter der Last häuslichen Unglücks, geschmäht von einem Manne, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hat. Um Gottes willen, rief er einmal über das andere, wie stellen wir es an, die Unglückliche frei zu machen! – Ich [223] schlug ihm vor, ich wolle selbst mit jenem Manne sprechen, ich wolle ihn überreden, in die Scheidung zu willigen. Der Beamte nahm den Vorschlag an, erklärte, dem Manne eine nicht unbedeutende Summe zahlen zu wollen, wenn er darauf eingehe, und wollte selbst zu der Frau eilen, sie davon zu benachrichtigen. Das widerrieth ich ihm jedoch entschieden, er darf sie nicht eher wiedersehen, bis die Angelegenheit beendet sein wird. Er ist das ihrer Ehre und sich selber schuldig. Ich bat Theophil, statt seiner zu ihr zu gehen und sie von den Vorgängen zu unterrichten, während ich in das Gasthaus fuhr, wo ihr Mann sich gewöhnlich aufhält, und diesem die nöthigen Vorstellungen machte; denn der Beamte beschwor mich, es gleich zu thun, er könne sonst nicht Ruhe finden. Wie mir scheint, wird die Sache sich für den Augenblick hinhalten, und man muß sehen, wie sie enden wird.

Nun, Ihr Beamter wird doch natürlich seine frühere Geliebte heirathen, rief Eva.

Daran zweifle ich, obgleich er unverheirathet ist, meinte der Präsident. Wenigstens läßt mich keine seiner Aeußerungen darauf schließen, daß er diese Absicht habe. Er hat das Mädchen einst geliebt, es geht ihm nahe, die Frau jetzt unglücklich, mishandelt zu wissen, er will sie zu retten suchen, das ist ein sehr natürliches Gefühl. Ob er sie noch liebt? ob sie ihm noch zur Frau begehrenswerth scheint, da ein langes Leben zwischen jener Zeit und ihrem Wiedersehen liegt, das wird die Zukunft lehren. Einstweilen wollte ich die Damen bitten, ob sie der Frau, die augenblicklich, wie mir Theophil sagt, in Noth ist, nicht Arbeit und Erwerb zu schaffen wüßten? Mein Beamter wollte auch hier aushelfen, aber auch davon habe ich abgerathen. Es könnte zu Misdeutungen Anlaß geben, und warum soll man Jemand zur Annahme von Wohlthaten zwingen, dem man die Mittel geben kann, sich selbst zu helfen? Kauft daher [224] Leinwand und andere Stoffe, Ihr Frauen, und gebt der armen Person Arbeit und Verdienst, mehr ist für jetzt nicht nöthig.

Eva und Therese, die, wie Alfred, mit Antheil zugehört hatten, erklärten sich sofort zu jedem Beistand gern bereit und Therese fragte: Wenn nun der Mann auch in die Scheidung willigt, so steht der Trennung doch kein Hinderniß im Wege und die Frau wird frei?

Nach den bisherigen Gesetzen, sagte Theophil, würde dann die Scheidung keine große Schwierigkeiten verursachen, da die Frau gewiß keine Unterstützung von dem Manne verlangt, und sich und die Töchter wie bisher ernähren würde. Nach dem beabsichtigten Gesetz dürfte es aber noch vielen Zweifeln unterworfen sein, ob man diese Ehe überhaupt trennen würde?

Aber was geht das den Staat an, ob zwei Menschen, die sich nicht mögen, miteinander leben oder von einander gehen? fragte Eva. Da der Staat jene Frau nicht gefragt hat, ob sie ihren Mann auch möge, als die Eltern sie zu einer Heirath gegen ihre Neigung zwangen, so hat er doch auch jetzt gewiß nichts danach zu fragen, wenn sie den aufgedrungenen Mann nicht mag und sich von ihm trennt.

Die Ehe und das Familienleben sind die Grundlage eines Staates und er hat deshalb die Pflicht, sie zu schützen, sagte Theophil.

Was heißt das, die Ehen schützen, wenn man eine Frau so unglücklich werden läßt, als die, von der Sie eben berichtet haben? Die Frauen sollte man beschützen, sie sollte man fragen, wenn man neue Gesetze über die Ehe entwirft, rief Eva, und nicht Gesetze geben, die einer Unglücklichen befehlen, das harte Joch zu tragen, wenn es ihr zu schwer wird. Es ist schlimm genug, daß Eltern und Verhältnisse ein Mädchen zwingen können, sich gegen ihren Wunsch zu verheirathen; der Staat braucht nicht die Ungerechtigkeit hinzuzufügen, daß er [225] verlangt, man solle verheirathet bleiben mit einem Manne, den man nicht liebt, nicht achtet, den die Frau hassen muß, wenn er sie gegen ihren Willen zu fesseln begehrt.

Sie machen in Ihrer Entrüstung unbefangen einen Theil der Bemerkungen, die von allen Seiten gegen das neue Gesetz eingewendet werden, das auch mir nicht wohlbedacht erscheint, besonders weil es den Ehebruch bestrafen will, auch ohne daß der gekränkte Theil klagbar dagegen wird, sagte der Präsident. Die Ehe ist ein bürgerliches Institut und ein geistiges Band. Jede dieser Richtungen hat ihre besonderen Rechte. In Frankreich trennt man sie scharf, indem man erst die bürgerliche Ehe vor dem Maire abschließt, die geistige Ehe darauf von dem Priester segnen läßt. Die bürgerliche Ehe, als Staatsinstitut, als die schönste, vollendetste Form menschlicher Vereinigung, zu schirmen und aufrecht zu erhalten, ist Pflicht des Staates, denn mit Aufhebung unserer jetzt bestehenden Ehesitten zerfällt die bürgerliche Gesellschaft in ein wüstes Chaos. Die Trennung dieser Ehe gehört entschieden vor sein Gericht, insofern das Eigenthum und die Rechte des Bürgers dabei gefährdet werden. Die geistige Ehe, die Ehe, welche der Priester segnet, ist Sache des Einzelnen und nur das Gewissen der Gatten hat darüber zu entscheiden. Glaubt der Staat sich ermächtigt, über diese geistige Vereinigung der Gatten zu urtheilen, denkt er daran, Vergehen gegen die ehelichen Pflichten zu bestrafen, welche der gekränkte Theil schweigend ertragen will, so verkennt er seinen Beruf und begeht ein Unrecht. Er drängt sich unbefugt in die Geheimnisse des Einzelnen und beschränkt seinen freien Willen. Dies zu thun ist aber ein Verbrechen, denn die Freiheit eines Menschen darf der Staat nicht antasten, so lange sich Niemand beschwert, daß er sie zum Nachtheil eines Andern misbrauche.

Das ganze Gesetz hat darum etwas so Gehässiges, sagte Theophil, weil es nicht wie ein Schutz- sondern wie ein Strafgesetz [226] aussieht. Es betrachtet die Personen, die auf Scheidung klagen, wie Uebelthäter, die man zu ihrer Pflicht zwingen, wie Verbrecher, die man bestrafen müsse, während in den meisten Fällen mindestens der eine Theil so unglücklich ist, daß man ihn so schnell als möglich erlösen sollte. Die Zahl der Eheleute, die sich aus Leichtsinn trennen, wie es in den Gesetzentwürfen heißt, möchte sehr gering sein; größer ist schon die Zahl der Ehen, die ohne Ueberlegung geschlossen werden. Dies zu verhindern aber vermag der Staat nicht und er kann es nicht einmal wollen.

Was Sie über Ehescheidungen aus Leichtsinn sagen, ist ganz richtig, bemerkte der Präsident. Die Ehe gibt den Gatten eine solche Menge gemeinsamer Pflichten und Lasten, die Interessen derselben sind so fest ineinander verschlungen, veranlassen bei einer Trennung eine solche Menge von Uebelständen für beide Theile, daß wohl der Leichtsinnigste ernst und aufmerksam wird und davor zurückschreckt, wenn eben nur Leichtsinn ihn zu der Scheidung veranlaßte. In den niedern Ständen sind es gewöhnlich sittliche Verwahrlosung oder Noth und Armuth, die unglückliche Ehen zuwege bringen. Diese Noth mildern, das sittliche Bewußtsein, das in unserm Volke vorhanden ist, durch moralische, nicht durch pietistische Erziehung stärken, das ist es allein, was der Staat zur Beförderung glücklicher Ehen thun kann. Glückliche Ehen möglich zu machen, muß sein Ziel sein, nicht unglückliche Ehen zusammenzuhalten. Im Gegentheil ließe sich eher behaupten, daß, da es vernünftiger Grundsatz des Staates ist, den Uebelthäter, gegen den die große Staatsfamilie sich beschwert, von der Gesammtheit auszuscheiden, weil er ihre Rechte kränkt und sie durch sein Beispiel entsittlicht, so müsse der Staat auch, auf Verlangen einer Familie, diese von einer Person befreien, die ihr Wohlergehen verhindert.

[227] Die Andern stimmten dem Präsidenten bei und er fuhr fort: Frau von Barnfeld bemerkte vorhin und Theophil wiederholte es, daß der Staat keine Aufsicht über die Beweggründe führen könne, aus denen sich Ehegatten verbinden. Da er nun die Eingehung einer Ehe dem freien Willen und dem Ermessen der Betheiligten anheimstellen muß, so muß ihnen auch die volle Freiheit bleiben, ein Bündniß, das sie eingingen, um glücklich zu werden, aufzulösen, wenn es diesem Zwecke nicht mehr entspricht, ihm entgegen ist. Mir scheint, der Code Napoleon habe diese Verhältnisse am vollständigsten erfaßt und jeder Richtung ihre gebührende Anerkennung gesichert. Ich finde es angemessen, daß nach dem Code jede Ehe ohne Weiteres getrennt wird, wenn nach zweijähriger Dauer derselben beide Gatten darein willigen und die Eltern oder ein Familienrath die Ordnung der Vermögensverhältnisse und die Zukunft der Kinder für gesichert erklären. Dadurch schützt sich der Staat davor, daß ihm die Ernährung der Familie zur Last falle, und läßt doch dem Menschen das Recht, frei über seine heiligsten Interessen zu entscheiden. – Er hielt inne und sagte dann nach einer Pause: Allerdings kommen auch Fälle vor, in denen eine solche friedliche Lösung unmöglich ist; da muß natürlich der Staat vermittelnd dazwischentreten und das Gesetz die streitenden Parteien zufrieden zu stellen suchen.

Solche lange Auseinandersetzungen lagen nicht in der Art des Präsidenten, heute aber mochte ihn das Interesse dazu bewogen haben, welches die Andern für den Gegenstand zeigten.

Auch Alfred hatte bis dahin schweigend zugehört, jetzt richtete er sich empor und sagte: Inwiefern der Staat sich zu berücksichtigen hat, mag ich augenblicklich nicht erörtern. Mir fällt aber, so oft das Thema berührt wird, ein Ausspruch Rahel's ein, den man als Motto über alle Schriften setzen sollte, welche sich gegen das neue Ehegesetz erklären. Sie sagt:[228] »Die höchste Schmach einer Frau, die tiefste Erniedrigung ist es, daß sie Mutter von Kindern werden kann, deren Vater sie haßt und verachtet.« Mit den wenigen Worten drückt die feinfühlende, scharfsichtige Frau Alles aus, was sich gegen die Unsittlichkeit einer Ehe sagen läßt, an der das Gefühl keinen Theil mehr hat, die man gegen den Wunsch der Gatten zusammenhalten will. Und wenn der Staat die wichtigsten Zwecke durch Aufrechthaltung einer solchen Ehe zu erreichen glaubte, sie würden zu schwer erkauft durch das Elend, das sie über den Einzelnen verhängen, durch die Knechtschaft, zu der sie ihn zwingen wollen. Ein Gesetz, das ein großes, sittliches und verständiges Volk, wie das unsere, verwirft, kann kein gutes Recht sein. Gesetze geben ist so schwer! Jeder Mensch trägt sein besonderes Recht nach seiner Individualität in sich. Jedes besondere Verhältniß schafft und bedingt sein eigenes Recht. Was in dem einen Falle Verbrechen wäre, könnte höchste Tugend in dem andern sein. Nun will man Menschen von der verschiedensten geistigen Erkenntniß, von den abweichendsten Lebensansichten und den verschiedensten gesellschaftlichen Stufen unter ein Gesetz beugen, das Alle verwerfen, das sie sich nicht selbst gegeben haben. Das zu thun, ist eine Sünde, denn dem Menschen ist der freie Wille gegeben, wie kann der Staat ihn vernichten wollen? Wer durch Befehle unserm Gewissen vorschreiben will, was Recht und Unrecht sei; wer uns ein Sittengesetz aufdrängt, gegen das unsere Ueberzeugung sich sträubt; wer uns überhaupt in unsrer rechtmäßigen Freiheit beschränkt, die Stimme des Gewissens in uns vertreten will, der versündigt sich an der Menschheit im Ganzen und an dem Einzelnen, der ist unser Feind und wenn er uns alle Güter der Welt zum Ersatze böte. Elend werden nach eigner Wahl, ist am Ende noch ersprießlicher als ein Glück, das man uns aufdrängt. Wer mich glücklich machen will nach seiner Ansicht, ohne die meine zu befragen, tritt mir zu nahe [229] und Jeder würde ein aufgedrungenes Glück von sich stoßen, wenn er, während man es ihm aufdringt, bedächte, daß jede Unfreiheit eine Schande ist.

Er sprach heftig erregt, denn er kämpfte offenbar für sein eigenes Interesse. Ihn drückte das Bewußtsein, durch den Willen seines verstorbenen Onkels, durch Rücksichten auf seinen Sohn und durch Das, was er für Pflicht gegen seine Schöpfungen hielt, in den Fesseln einer Ehe gebannt zu sein, die er zu lösen verlangte. Er litt unter der Beschränkung der Freiheit, darum sprach er doppelt warm für das Recht der Andern. Therese hatte sich schon vorher mit Felix und Agnes entfernt, weil die Erörterungen zu traurige Ge danken in ihr erweckten und sie auch Agnes vor solchen Betrachtungen bewahren wollte. Jetzt, da nach Alfred's letzten Worten eine längere Pause eintrat, kehrte sie zurück, der Präsident wendete sich mit Freundlichkeit gegen das junge Mädchen und die Unterhaltung nahm eine andere Richtung, obgleich sie noch lange in den Einzelnen nachklang.

[230]
9
IX

In wechselnden Beschäftigungen und Bestrebungen verging die Zeit und man näherte sich dem Weihnachtsfeste. Therese hatte alle Personen ihres nächsten Kreises für den heiligen Abend eingeladen und war rüstig dabei, für Jeden eine Freude zu bereiten. Sobald die Zeitungen dem Präsidenten gebracht wurden, pflegte sie nach den verschiedenen Anzeigen zu greifen, um zu sehen, was Luxus und Mode Neues geschaffen, um darunter für die Ihrigen zu wählen, was ihnen etwa noch erwünscht sein konnte.

Eines Morgens saßen die Geschwister ebenfalls friedlich bei einander, Julian mit den politischen Nachrichten beschäftigt, als eine Stelle unter den vermischten Nachrichten Theresen's Auge fesselte. Sie las sie, das Blatt zitterte in ihren Händen und mit den Worten: Wer hat mir das gethan, wie habe ich das verschuldet? ließ sie die Zeitung zur Erde fallen, während sie ihr Gesicht mit den Händen verhüllte. Der Bruder fuhr erschreckt empor und fragte was es gäbe. Aber sie vermochte nicht zu antworten. Schweigend deutete sie auf das Papier. Er hob es auf und fand bald die Stelle, welche ihre Aufregung veranlaßt hatte. Sie war aus der Hauptstadt der Provinz datirt, in der die Güter des Herrn von Reichenbach lagen, und lautete wie folgt:

»Man spricht in unsern höhern Cirkeln davon, daß der gefeierte Dichter Alfred von Reichenbach, der bedeutende Güter [231] in unserer Provinz besitzt, sich von seiner Frau trennen werde, mit der er seit elf Jahren in friedlicher Ehe gelebt hat. Eine Dame von Stande, ein Fräulein von B. in der Residenz, zu der er schon vor Eingehung seiner Ehe ein Herzens-Verhältniß gehabt hat, soll es verstanden haben, ihn aufs Neue zu fesseln, und Ursache der beabsichtigten Scheidung sein.«

Der Präsident war, wie seine Schwester, von dem unverdienten Angriff hart getroffen. Er drückte das Papier zusammen und schleuderte es von sich; dann aber wich der Zorn über die Kränkung dem Mitleid, das ihm die Schwester einflößte, die durch das Gewicht der Anklage wie vernichtet war.

Sie weinte nicht, sie klagte nicht. Sie hatte die Hände gefaltet und sah starr und regungslos in dumpfem Brüten vor sich nieder. Julian neigte sich zu ihr, zog sie an seine Brust und sagte: Hier findest Du Schutz! hierher zu mir wende Dich und weine Dich aus. Sieh nicht so starr vor Dich nieder; was thut das Geschwätz eines Elenden, wenn wir Alle an Dich glauben und Dein eigenes Gewissen Dich freispricht! Richte Dich auf Therese, sei stark, wie ich Dich immer gekannt habe. Sieh mich an und fühle, daß ich bei Dir bin, daß Dein Bruder bei Dir ist, dem Du heilig bist, wie seine Ehre.

Er hob ihren Kopf sanft empor und zwang sie, ihm in das Auge zu blicken; aber trotz der milden Ruhe in seinen Worten trug sein Gesicht so deutlich die Spuren der Erschütterung, daß Therese, davon getroffen, weinend an seine Brust sank. Er hielt sie lange fest umschlungen und gönnte ihr Zeit, sich innerlich klar zu machen, was ihr geschehen sei, während er selbst sich gewaltsam zu sammeln strebte und mit sich zu Rathe ging über Das, was er in diesem Falle zunächst zu thun habe.

Theresen's erste Worte, nachdem sie ihres Schreckens Herr geworden, galten Alfred. Was wird er sagen? Wie wird [232] er mich bedauern, wie tief wird es ihn selbst verletzen! rief sie aus. Wenn Du mich liebst, Julian, eile zu ihm, sage ihm, daß ich ruhig bin – nein! nein! unterbrach sie sich selbst, das ist eine Lüge, ruhig kann ich darüber nicht werden. Wenn ich denke die Eltern hätten das erlebt an ihrer einzigen Tochter! und Du, Julian, daß Du beschimpft wirst durch mich, o das ertrage ich nicht!

Ein neuer Thränenstrom erstickte ihre Stimme. Der Bruder hielt noch immer ihre Hand in der seinen; zuletzt drückte er sie herzlich und sagte: Glaubst Du, daß ich mein Haupt weniger frei erheben werde, weil ein Elender darnach zu zielen wagt? Wohl Dir und mir, daß seine Waffe uns nicht verwunden kann! Dein Leben ist ohne jeden Fehl! Wo wäre die innere Kraft vernünftiger Selbstschätzung, wenn sie uns in solchem Augenblicke verließe? Wenn wir nicht den Muth hätten, uns über eine elende Schmähung zu erheben? Richte Dich innerlich empor Therese, sei getrost, damit ich die Ruhe gewinne, der Außenwelt die Stirne zu bieten. Sehe ich Dich nur mit Dir selber einig, so wird alles Andere sich leicht zurechtlegen lassen.

O, vergib mir, Bruder, vergib mir! rief Therese noch immer in heftiger Bewegung. Hätte ich Dir gefolgt, hätte ich Alfred nicht wiedergesehen, so wäre das Alles nicht gekommen. Zürne mir nicht, Julian!

Ich sollte Dir zürnen, weil Du schuldlos leidest? Wollte der Himmel, ich hätte Dir jeden Kummer ersparen, Dich so glücklich machen können, als ich es wünschte, als Du es verdienst, mein armes Mädchen! mein Kind und meine Schwester! sagte der Präsident, während sein Auge von Thränen glänzte.

Therese küßte ihm inbrünstig die Hände und rief: Ich will Alfred nicht wiedersehen, wenn Du es verlangst.

Darüber wollen wir noch nichts entscheiden, antwortete [233] Julian, ehe ich ihn selbst gesprochen habe. Daß wir uns innerlich frei fühlen und ruhig sein können, darf uns nicht abhalten, uns gegen die Pfeile zu schützen, die der üble Wille von Fremden auf Dich schleudern könnte. Ich ahne, von welcher Seite die Schmähung kam; es könnten ihr neue Angriffe folgen und die Ehre einer Frau muß durch keinen Verdacht angetastet werden; eine Frau muß auch den Schein eines Tadels zu vermeiden suchen. Wie wir Dir am sichersten Schutz gewähren, das kann ich nur mit Alfred gemeinsam berathen, zu dem ich eilen will, um ihn vor leidenschaftlichen Entschlüssen zu bewahren. Sie dürften seinem Charakter wohl zunächst liegen und würden das Uebel ärger machen. Lebe wohl, Schwester! sagte er, sie umarmend, und mache, daß ich Dich ruhig wiederfinde, denn besonnener Ueberlegung bedürfen wir heute.

Er entfernte sich und langte bald darauf bei Alfred an, dem er schon an der Thüre seines Hauses begegnete. Ich wollte zu Dir kommen, sagte Alfred, ich muß Dich sprechen.

So laß uns hineingehen, antwortete Julian mit einer Gelassenheit, die sehr gegen die Aufregung seines Freundes abstach.

In dem Arbeitszimmer seines Freundes angelangt legte der Präsident Mantel und Hut von sich, setzte sich ruhig nieder und sagte, die Zeitung in die Hand nehmend, die vor ihm auf dem Tische lag: So weißt Du es auch schon?

Meine Frau war bei mir, heute in aller Frühe, rief Alfred, gerade in dem Augenblick, in dem ich das höllische Machwerk las, das die reinste, edelste Seele beschimpfen sollte. Das ist der Schlag, vor dem mich Fernow warnte, den der elende Kaplan beabsichtigt hat. Sie haben es klug ersonnen, daß Caroline gerade heute kommen mußte, um sich an der Wirkung ihrer List zu weiden; aber ich danke es ihnen, denn sie geben mir die Freiheit wieder, indem sie mir neue Pflichten auferlegen und die alten Bande zerstören. Wüßte ich nicht, wie [234] hart Therese von der Unwürdigkeit getroffen sein wird, so könnte ich Jenen danken für die Art, in welcher sie mich vorwärts treiben.

Lasse das, sagte der Präsident, Du bist in einer Aufregung, die nicht geeignet ist für die Besprechung, die ich wünsche. Ich kam zu Dir –

Nein! höre mich, laß mich erst sprechen! rief Alfred. Du weißt es, daß ich Therese liebe, daß ich sie schon in früher Jugend geliebt habe, daß der Wunsch, sie zu besitzen, mir die Fesseln doppelt unerträglich machte, die ich zu zerbrechen wünschte, ehe ich noch Therese wiedergesehen hatte, und in denen ich dennoch blieb, weil ich es für Pflicht hielt. Ich war nicht glücklich, ich wußte, Therese könne es nicht sein, denn eine unwiderlegliche Gewißheit in meiner Seele sagt mir, daß sie mich liebt. Aber ich wußte sie geschützt und geborgen an Deiner Seite, sie bedurfte meiner nicht und ich wollte mich darein finden, sie ein Scheindasein führen zu sehen, wie es das meine war. Nun tritt Caroline gegen sie auf und der elende Ruhberg lehrt sie die Waffen wählen, die am tiefsten verwunden. Sie stellen Therese der üblen Nachrede, dem falschen Urtheil preis, sie beschimpfen das reinste Verhältniß, das reinste Herz, die Frau, die ich liebe. Damit legen sie mir die heilige Pflicht auf, Theresen's Ehre zu retten, damit geben sie mir meine Freiheit wieder. Ich wollte zu Dir kommen, um noch in dieser Stunde die Hand Deiner Schwester von Dir zu fordern. Noch heute übergebe ich die Scheidungsklage dem Gerichte und sobald ich frei bin, wird Therese mein.

Er hielt inne und der Präsident sagte in seinem kühlsten Tone: Und die Leute ersehen daraus, daß jene Nachricht die volle Wahrheit enthielt, daß es wirklich meine Schwester ist, die Dich zu der Scheidung veranlaßt hat.

Alfred war überrascht. In der großen Aufregung, in der [235] Besorgniß für die Geliebte hatte er nur daran gedacht, ihr und sich selbst genug zu thun, und das Urtheil der Menge gar nicht in Betracht gezogen.

So beschützest Du Therese nicht, mein Freund! sagte der Präsident, so gibst Du sie vielmehr dem Tadel absichtlich anheim, thust, wozu Deine Neigung Dich führt, und versäumst, was Du bisher sehr richtig als Deine Pflicht erkannt hast und was auch thatsächlich noch heute Deine Pflicht ist.

Meine Pflicht ist allein, Theresen's Kränkung zu vergüten, den Menschen zu zeigen, wie schuldlos sie an dem Vorwurfe ist, den man ihr macht, rief Alfred.

Der Meinung bin ich selbst, entgegnete der Präsident, darum verlange ich, daß Du Dich mit Deiner Frau vereinigst und –

Unmöglich! das kann nicht sein! unterbrach ihn Alfred; verlange, was Du willst, nur das Eine fordre nicht.

Es gibt keinen andern Ausweg, es ist das Einzige, was Du für Therese thun kannst, sagte der Präsident sehr ernst, eben darum fordre ich es auch von Dir, und werde weder an Deine Freundschaft für mich, noch an Deine Liebe für Therese glauben, wenn Du Dich weigerst, das Opfer zu bringen.

Alfred ging, wie es bei heftiger Gemüthsbewegung seine Art war, mit schnellen Schritten im Zimmer umher. Hast Du Caroline gesprochen? fragte der Präsident.

Nein! ich habe ihr sagen lassen, ich wolle und würde sie nicht sehen.

Und dann? fragte Julian.

Dann ist sie in das Hotel zurückgekehrt, in dem sie gestern abgestiegen ist, wie sie dem Diener sagte. Aber was soll die Frage?

Dich veranlassen, Deine Frau aufzusuchen und sie in Dein Haus zu führen. Folge mir, Alfred, bat er dringend, gib mir [236] nach, denn ich bin ruhiger als Du. Nimm Caroline nachsichtig auf, Du rettest Theresen's Ehre damit, Du vernichtest Ruhberg's Plane, der Dich mit Gewalt aus Deinem Eigenthume vertreiben, die Erziehung Deines Sohnes, das Wohl Deiner Gutsinsassen in seine Hände bekommen möchte. Kannst Du da noch schwanken?

Du zeigst nur eine Seite der Medaille, sagte Alfred; das Elend, die Lüge und das Leid der Kehrseite hältst Du wohlweislich verborgen. Ich soll dem falschen Urtheil der Menge genugthun und mich selbst verachten müssen, wenn ich in den unwürdigsten Ketten liege. Was kümmert uns das sinnlose Urtheil der thörichten Welt, wenn Therese und ich endlich das Glück erreichen, das wir erstreben!

Du schiltst die Welt thöricht und ihr Urtheil sinnlos, jetzt, wo Du es gegen Dich zu haben fürchtest. Als es Dich den Liebling des Volkes nannte, als es Deine Dichtungen bewunderte und Dich wegen der vortrefflichen Einrichtungen auf Deinen Gütern pries, hast du es hochgeschätzt und anders darüber gedacht. Der heutige Tag wird vergehen, mein Freund, Jahre werden sich über die Leiden dieser Zeit hinwälzen, Du wirst ruhig geworden sein über Das, was Dich jetzt bewegt. Gegen das Urtheil der Menschen wird eine Natur wie die Deine nie gleichgültig werden. Ihr Lob, ihre Bewunderung werden Dich freuen, ihr Tadel Dich schmerzen wie heut; und hegtest Du keine Achtung vor der Reinheit Deines eigenen Namens, so fordere ich, daß Du sie vor dem fleckenlosen Rufe meiner Schwester habest, den ich zu schützen verlange.

Alfred gab sich nicht für überwunden. Er versuchte vielmehr den Präsidenten für seine Ansicht zu gewinnen. Er malte ihm in grellen Farben die Zukunft aus, der er ihn überantworten wolle, er erinnerte ihn an ihre Unterhaltung über das Unglück einer Ehe, die in sich zerfallen sei, bestritt, daß der [237] gute Zweck Julian's das Mittel heilige. Umsonst! der Präsident beharrte bei seiner Erklärung und wußte für seine Forderung so entscheidende Gründe anzuführen, daß Alfred endlich ausrief: Uns Beide bewegen zu verschiedene Wünsche, wir sind Beide Partei, unser Urtheil ist befangen. Laß uns zu Therese gehen; sie mag entscheiden, und was sie von mir fordert, das kann, das werde ich thun.

Mit diesem Vorschlage erklärte Julian sich zufrieden und die Freunde machten sich auf den Weg nach der Wohnung des Präsidenten, in der sich inzwischen neue Verwicklungen vorbereitet hatten.

Kaum war nämlich der Präsident von der Schwester hinweggegangen, als der Diener ihr eine Dame meldete, die ihren Namen nicht nennen wolle, sie aber dringend zu sprechen verlange. Therese, unfähig, in ihrer Stimmung eine Fremde zu empfangen, befahl dem Diener, die Dame um Wiederkehr zu einer andern Stunde zu ersuchen. Trotz dieser ablehnenden Antwort öffnete sich bald darauf die Thüre, eine Frau trat heftig herein und sagte: Um Vergebung, wenn ich Sie störe, mein Fräulein, und gegen Ihre Erlaubniß mich bei Ihnen einführe. Ich bin genöthigt, Sie aufzusuchen, da mein Mann, vermuthlich aus Rücksicht für Sie, mich nicht sprechen will. Ich bin die Frau Ihres Freundes, des Herrn von Reichenbach.

Therese war keines Wortes mächtig. Carolinen's unerwartetes gewaltsames Erscheinen, die Art, in welcher sie gegen sie auftrat, nahmen ihr jede Fassung, und es konnten auch kaum zwei verschiedenere Frauen gedacht werden, als diese beiden, die sich jetzt zum ersten Male im Leben einander gegenüber standen. Die unschönen, bleichen Züge Theresen's, aus denen jedoch die Würde einer edlen Seele, die Ruhe wahrer Weiblichkeit sprachen, selbst ihre schlichte Kleidung, bildeten einen großen Gegensatz gegen Frau von Reichenbach, die vor Zorn erglühend, in leidenschaftlicher [238] Unruhe, fast erlag unter der Last ihres überladenen Anzugs. Beide hatten wohl ein anderes Bild von einander gehabt und sahen sich einen Moment befremdet an. Daß Alfred diese Frau nicht lieben, daß er von ihr nicht verstanden werden konnte, fühlte Therese deutlich und sie beklagte ihn von Herzen, während Caroline sich fragte: Wie kann Alfred mir, eben mir dieses bleiche, nicht schöne Mädchen vorziehen? Was kann ihn an sie fesseln? und sollte es mir nicht gelingen, ihn zu mir zurückzuführen, wenn er uns neben einander sähe? Ein Gefühl von Triumph erhob sich in ihrer Brust, trotz der Verlegenheit, die immer mehr Herrschaft über sie gewann, so daß sie keine Worte für Das zu finden wußte, was sie seit lange beschlossen hatte, der verhaßten Nebenbuhlerin zu sagen.

Endlich war es diese, die sich überwand. Was verschafft mir die Ehre, Sie zu sehen, gnädige Frau? Ich will nicht glauben, daß Sie herkamen, sich an meiner Kränkung zu erfreuen! sagte sie so ruhig als sie es vermochte.

Ihre Kränkung! rief Caroline, und wodurch sind Sie gekränkt? Ich verstehe Sie nicht.

Therese reichte ihr statt der Antwort das verhängnißvolle Blatt. Frau von Reichenbach durchlas es und sagte mit einem bösen Aufwerfen der Lippen: Ist es meine Schuld, wenn ein Gerücht, das in unserer Gegend allgemein verbreitet ist und an das ich leider selber glauben muß, den Weg in die Zeitungen findet, da mein Mann leider zu denen gehört, die sich als öffentliche Charaktere derlei auch gelegentlich gefallen lassen müssen.

Die Worte »mein Mann« von Carolinen's Lippen ausgesprochen durchzuckten Therese wie ein Dolch stoß und wider ihren Willen schlug sie die Augen zu Boden, als Caroline heftig ausrief: Sie sagen, daß Sie leiden! und was habe ich anders gethan, als gelitten, seit vielen Jahren und immer nur [239] und ganz allein durch Sie! Ich hatte einen Bräutigam, der mich anbetete, von dem ich das höchste Glück erwartete. Da traten Sie dazwischen und raubten mir seine Liebe. Das Andenken an Sie hat mir sein Herz entfremdet, unsere Ehe unglücklich gemacht. Ich war die Kälte meines Mannes endlich gewohnt worden, ich fing an Ersatz in meinem Sohne zu finden und gab mich endlich darein. Da treten Sie zum zweiten Male zwischen meinen Mann und mich, da verbannen Sie mich aus seiner Nähe und trennen mich von ihm und meinem Kinde. Kennen Sie eine Einsamkeit wie die, in der ich gelebt habe die ganze Zeit hindurch? Ein edler, verständiger Freund räth mir, Alfred noch einmal zur Versöhnung zu überreden. Auf seine Veranlassung fahre ich hierher. Ich treffe am Abende hier ein, aber ich wage nicht das Haus meines Mannes, mein Haus, als das meine zu betrachten, ich muß ein Zimmer in einem Hôtel beziehen. Ich bin an demselben Orte mit meinem Manne und meinem Sohne und ich soll Beide nicht sehen. Mein Mann weiset mich von sich und verweigert mir meinen Sohn, weil er Sie liebt. Die Leiden, die Sie mir verursachen, sind in der That größer, als der Verdruß, den Sie über den Bericht empfinden können, den ich jetzt bei Ihnen zum ersten Male sehe.

Sie hätte noch lange fortfahren können zu sprechen, ohne von Therese unterbrochen zu werden. Der Gedanke, daß man ihrem Verhältniß zu Alfred eine falsche Deutung geben könne, war ihr bis zu diesem Tage nie gekommen. Die heimliche Anklage der Zeitung, Carolinen's Vorwürfe fielen wie ein grelles Licht in ihre Seele und zeigten ihr ihr eignes Bild in völlig veränderter Gestalt. Großmüthig, wie ihre Natur es war, vergaß sie, daß es die üblen Eigenschaften Carolinen's waren, welche Alfred von dieser entfernt hatten. Nur das Gefühl, sie erstrebe die Liebe, sie besitze das Herz eines Mannes, der einer [240] Andern Treue geschworen habe, sie stehe trennend zwischen den Eheleuten, war in ihr rege. Sie fühlte sich tief erniedrigt und beschämt und ihre Thränen strömten unaufhaltsam.

Diese unverkennbare Bewegung ihrer Nebenbuhlerin stimmte Frau von Reichenbach allmälig milder. Sie hatte erwartet, eine Frau in Therese zu finden, die, stolz in ihrem Glücke, den Anforderungen Hohn sprechen würde, welche sie zu machen gekommen war. Theresen's leidendes Aussehen, ihr Schmerz, den Caroline für Reue hielt, söhnten sie gewissermaßen mit ihr aus und gaben ihr Hoffnung. Sie faßte die Hand der Weinenden und sagte nicht ohne eigene Rührung: Mein Mann hat Sie mir so oft als gut und edel geschildert, mein Fräulein! Zeigen Sie mir, daß Sie es sind. Geben Sie ihn frei! Ich will nicht leugnen, ich trage einen Theil der Schuld, die unsere Ehe verdarb; aber sind Sie denn fehlerlos? Ich liebe meinen Mann, ich habe empfinden lernen, wie er mir fehlen würde überall, daß ich nicht glücklich sein kann ohne ihn, und er ist meines Sohnes Vater. Geben Sie ihn frei!

Wollte Gott, ich könnte das! sagte Therese leise.

Sie können es! rief Caroline. Nehmen Sie ihm nur die Hoffnung, sagen Sie ihm nur, daß Sie ihn nie heirathen würden, und er wird zu mir zurückkehren. Ich läugne es Ihnen nicht, ich beklage Sie! Ich will glauben, daß Sie ihn lieben, aber was ist Ihre Liebe gegen die Rechte einer Frau? Was ist ein solches Verhältniß wie das Ihre gegen eine Ehe? Was sind Ihre Ansprüche gegen die meinen? Sie opfern einen Liebhaber, der Sie nicht lieben darf, der eine schwere Sünde damit begeht an Frau und Kind: und ich soll meinen Mann und mein Kind zugleich verlieren? Nimmermehr! aber freilich Sie wissen nicht, was Mutterliebe ist! Sie wissen nicht, was Sie an mir verbrechen!

Vor der unedlen Ausdrucksweise zog sich das Herz der [241] armen Therese kalt zusammen, wie von einer eisigen Hand berührt. Daß eine Frau wie diese ihr solche Vorstellungen machen durfte, daß sie dieselben nicht als ganz grundlos von sich zu weisen vermochte, das erniedrigte sie in ihren eignen Augen. Sie fühlte an dem Schmerz, der sie durchwühlte, wie wenig sie seit lange an eine Trennung von Alfred gedacht, wie sehr sie ihn als zu sich gehörend betrachtet, wie sie sich betrogen hatte mit dem Glauben, Alfred's Freundschaft genüge ihr und sie werde niemals mehr verlangen. Worauf sie gehofft, was sie erwartet und ersehnt, ward ihr jetzt unabweisklich klar und Alfred's Ausspruch stand plötzlich wie mit flammenden Schriftzügen vor ihrem innern Auge: Wahre Liebe strebt nach gänzlicher Vereinigung! Ja! so war es! Sie liebte Alfred, sie wünschte und verlangte die Seine zu werden; sie liebte einen Mann, der durch Bande, die er selbst nicht zu lösen wagte, gefesselt war; und sie hatte sich bis jetzt für schuldlos gehalten, während sie eine Sünde in sich nährte und diese Sünde als Tugend an sich bewunderte.

Mit hoher Selbstüberwindung und mit dem Tone der Wahrheit sprach sie, nachdem sie lange schweigend mit sich gerungen: Es soll anders werden, Frau von Reichenbach! ich will versuchen, Sie mit mir auszusöhnen. Ich will versuchen, Sie zufrieden zu stellen. Was ich kann, werde ich thun, Ihnen den häuslichen Frieden wiederzugeben, ohne Rücksicht auf mich; aber haben Sie Mitleid, haben Sie Nachsicht mit mir und überlassen Sie mich diesen Augenblick mir selbst. Ich ertrage es nicht länger; Ihre Gegenwart drückt mich zu Boden.

Caroline stand auf und betrachtete Therese verwundert: Ist das die Wahrheit oder ist es nur der Wunsch, mich zu entfernen, der Sie zu den Versprechungen veranlaßt? fragte sie.

Der niedrige Verdacht erhob Therese und ruhig antwortete sie: Ich habe Niemand getäuscht im Leben, als mich selbst. [242] Was daraus erwächst an Leid und Schmerz, werde ich ertragen und mich nicht schonen aus selbstsüchtiger Schwäche. Ich konnte irren, aber ich beharre nicht im Irrthum, wenn ich ihn erkannt habe als solchen. Glauben Sie mir das und leben Sie wohl.

Und woran werde ich wissen, daß Sie Ihren Vorsatz ausführen?

Sie sollen noch heute den Beweis davon erhalten, wenn es in meiner Macht steht, entgegnete Therese, während sie Caroline begleitete, die sich entfernte.

In völliger Erschöpfung fiel sie in den Sessel, der ihr zunächst stand; sie wollte einen Plan fassen, ihre Gedanken ordnen, aber eine Stumpfheit ihrer geistigen und körperlichen Kräfte hinderte sie daran. Sie hätte es für eine Gnade des Himmels gehalten, wenn eine Ohnmacht ihr auch nur für wenige Augenblicke das Bewußtsein des Elends genommen hätte, das über sie hereingebrochen war und gegen das anzukämpfen ihr die Kraft fehlte. Sie fühlte, daß sie einen Entschluß fassen müsse, um sich jene Achtung vor sich selbst zu erhalten, die im Stande ist, uns über das schwerste Leid hinwegzutragen. Es war ihr als müsse sie beten um Kraft, aber die Stimme der Vernunft in ihr fragte: Warum beten um Etwas, das die Natur dir gegeben hat? Warum Hülfe erwarten, wo du sie dir selbst gewähren kannst? Du mußt wollen und du wirst können.

Und der starke Wille, das Rechte zu thun, trug auch jetzt den Sieg über die Schwäche davon. Sie richtete sich empor und überlegte, wie sie Dasjenige am besten erreichen könne, was sie für ihre Pflicht hielt, als Alfred selber sich bei ihr melden ließ. Er hatte den Präsidenten gebeten, ihn mit Therese allein zu lassen und nicht durch seinen Einfluß das Urtheil der Schwester zu bestimmen.

O gut, daß Sie kommen! rief sie ihm entgegen: gut, daß ich Sie sehe!

[243] Plötzlich stockte sie. Was hatte sie denn eigentlich im Sinne? Sie wollte Alfred bitten, zu seiner Frau zurückzukehren, sie wollte ihm sagen, daß sie ihre gegenseitige Neigung, ihr Verhältniß für ein strafbares halte; aber das hieße ihm ja eingestehen, daß sie ihn liebe, daß sie auf die Zukunft unbewußt Hoffnungen gebaut habe, vor denen sie jetzt erröthete. So gedemüthigt, wie sie sich vor Caroline gefühlt hatte, so beschämt stand sie vor Alfred, als dieser, ihr Schweigen benutzend, ihr in raschen beredten Worten nochmals seine Liebe gestand und sie beschwor, die Seine zu werden.

Wir waren verblendet, Therese! sagte er, als wir uns sträubten, dem Zuge zu folgen, der unsere Seelen zu einander führt. Ich schuf mir eine Welt von eingebildeten Pflichten, die ich schlecht erfüllte, denn mein Herz erkannte sie nicht an und hatte keinen Theil an ihnen. Wir haben entsagen wollen und haben davon gelitten. Haben wir zu entsagen vermocht? Glüht nicht die heftigste Leidenschaft für Sie in meiner Brust? Fühlen Sie nicht, trotz aller Kämpfe, daß Sie mich lieben? daß wir nicht glücklich sein können ohne einander? daß Sie mein sind und mein bleiben müssen? daß ich Sie nicht lassen kann und werde? Sprechen Sie ein Wort, Therese, nur das eine Wort, und Sie geben mir Leben und Glück und Ruhe wieder.

Er hatte sich bei den letzten Worten zu ihr geneigt und schloß sie an seine Brust. Das erweckte sie aus dem traumhaften Sinnen, mit dem sie auf seine Worte gelauscht hatte. – Die Sprache seiner Liebe überwältigte ihr Herz, ein nie gekanntes Glück erfüllte sie, alle Vorsätze, alle guten Entschlüsse waren vergessen. Vergessen waren Caroline und die Versprechungen, die sie ihr aus vollster Ueberzeugung geleistet. Alfred war da, sie sah ihn wieder, er liebte sie, er bot ihr seine Hand! Das Glück winkte ihr, nur ein Wort von ihrem Munde und sie stand am Ziele ihrer heißesten Wünsche.

[244] Ihre Arme erhoben sich, den Geliebten zu umfangen, ihre Sehnsucht zog sie, an seinem Herzen auszuruhen von ihren Leiden, aber hart und mächtig mahnend rief die Stimme ihres Gewissens sie zurück und erbleichend machte sie sich aus seinen Armen frei.

Nicht um solche Worte zu hören, habe ich Sie zu sehen verlangt, sagte sie seufzend und stockte aufs Neue; nicht dazu! wiederholte sie tiefaufathmend; und freier und wärmer werdend, fügte sie hinzu: Ich habe Frau von Reichenbach gesehen, sie war bei mir, sie verlangt, daß ich ihre Fürsprecherin bei Ihnen werde.

Unmöglich! rief Alfred, sie hätte es gewagt, sich Ihnen zu nähern, nach der Beleidigung, die sie Ihnen angethan?

Nein! unterbrach ihn Therese, nein! Sie irren! Ihre Frau ist nicht dabei im Spiele, sie wußte nichts von der Unwürdigkeit, sie war davon überrascht, sie ist ihr völlig fremd. Aber – Ihre Frau bittet Sie um Vergebung, sie verlangt von ihrer Großmuth Nachsicht. O, Sie wissen es nicht, wie es mir das Herz zerriß, eine Frau zu sehen, die ihren Gatten, ihren Sohn wiederfordert, von mir wiederfordert, sagte sie erröthend. Wie heilig klang mir der Name einer Gattin, einer Mutter aus ihrem Munde! Ich fühlte, daß diese Bande unauflöslich sind, daß sie allein Achtung fordern, daß sie Alles ausgleichen, Alles austilgen müssen, daß kein anderes Verhältniß vor ihnen bestehen darf. Ich hätte mein Herzblut hingeben mögen, um Ihrer Frau genug zu thun, wenn ich allein es bin, die Sie von ihr entfernt hat!

Alfred lächelte mit bitterem Hohn. Wie täuscht Sie Ihr großmüthiges Herz! sagte er. Wie wenig kennen Sie diese Frau, wie wenig verdient sie das Opfer, das Sie ihr bringen wollen!

Sie mag gefehlt haben, Fehler haben, unterbrach ihn Therese, [245] die durchaus vollenden wollte, was sie für ihre Pflicht hielt, aber sind wir frei von Schuld? Sie will auf sich wachen. Alfred, haben Sie Erbarmen mit ihr und mit mir! – Sie ist die Mutter Ihres Sohnes; wie wollen Sie sich an dem geliebten Kinde erfreuen, ohne liebend der Frau zu denken, die es Ihnen geboren hat? – Sie bieten mir Ihre Hand, Sie wollen Ihre Frau verstoßen. Aber kann ich Ruhe finden bei dem Bewußtsein, daß mein Glück auf den Trümmern Ihrer Ehe gegründet wird und daß Ihre Frau der Stunde flucht, die uns verbindet? Lassen Sie uns das Beispiel der Seelengröße nachahmen, die Sie so oft und so begeistert geschildert haben, lassen Sie uns entsagen. Kehren Sie zu Ihrer Frau zurück, geben Sie Ihrem Sohne die Mutter, mir und sich die Achtung vor uns selbst wieder, nehmen Sie den Fluch der Schuld von uns!

Alfred hörte ihr lautlos zu. Was sie von ihm verlangte, was sie ihm als Pflicht vorhielt, er beachtete es kaum. Daß sie ihn liebe, hörte er allein in ihren Worten; sie schien ihm schön und schöner zu werden und nie zuvor hatte er sie stärker und zärtlicher geliebt, als in dem Augenblicke, da sie mit solcher Selbstverleugnung, mit so edler Wärme zu ihm sprach.

Noch einmal und immer wieder schilderte er ihr das Glück, das sie ihm gewähren könne, das Leid seiner unglücklichen Ehe mit Caroline. Waren Sie ohne Schuld daran, haben Sie die Nachsicht für sie gehabt, die eine solche Frau von Ihnen fordern durfte? Sie sind mit einem heimlichen Widerstreben die Ehe eingegangen, hat dies Bewußtsein Sie niemals ungerecht gegen Ihre Frau gemacht? – Und wenn es wirklich wäre, wie Ihre Frau behauptet, wenn es mein unseliges Bild gewesen wäre, welches störend zwischen Ihnen und Caroline gestanden hätte, wenn ich unbewußt die Schuld trüge an Ihrem Unglück, gönnen Sie mir den Trost, versöhnend zwischen Sie und Ihre Frau zu treten. Gönnen Sie mir die Hoffnung, mein theurer, [246] lieber Freund! daß ich es bin, daß die Achtung vor mir und vor sich selbst es ist, die Sie zu Ihrer Frau zurückführt, die Ihrem Sohne die Eltern wieder zusammenführt.

Umsonst! ihre Bitten scheiterten an Alfred's Ueberzeugung, daß er mit seiner Frau nicht glücklich wer den könne. Er verbarg der Geliebten die Ansichten ihres Bruders nicht, aber dennoch forderte er die Erfüllung seiner Wünsche, dennoch beharrte er darauf, daß er es nicht ertragen könne, in der Unwahrheit zu leben, zu der die Vereinigung mit seiner Frau ihn zwinge.

Glauben Sie nicht, Therese, sagte er, daß die Ereignisse des heutigen Tages mich zu meinen Handlungen bewegen. Schon lange fühle ich, daß für mich kein Wirken und Schaffen möglich ist, daß ich elend und muthlos werde, wenn ich mit mir selbst nicht einig bin. Ich habe es versucht, mich zufriedenzustellen durch die Erfüllung meiner Pflicht; sie sollte mir Kraft und Ruhe geben, mich über Ihren Verlust zu trösten. Ich habe mich getäuscht, sie konnte das nicht. Fühlen Sie nicht, daß dem Menschen ein unwiderstehliches Verlangen nach Glück, nach Wahrheit innewohnt? Ich habe das Unrecht begangen, ein Mädchen zu meiner Frau zu machen, die ich nicht mehr liebte. Ich habe in guter Absicht gefehlt und schwer dafür gebüßt. Wollen Sie, daß ich zum Unrecht das Verbrechen füge, in erkanntem Unrecht zu beharren? Wollen Sie, daß ich in den Armen meiner Frau mich nach Ihnen sehne? Wollen Sie in dem falschen Glauben, ich könnte Sie vergessen, mich zu einer Tiefe des Elends hinabstoßen, von der Ihr reiner Blick sich schaudernd abwenden würde, wäre ich hart genug, sie Ihnen zu enthüllen? Das können Sie nicht wollen, das willst Du nicht, Therese! oder Du hast mich nie geliebt. Wenn Du fühltest wie ich, wenn nicht kalte Rücksichten auf das Urtheil der Fremden, wenn nicht die Liebe für Deinen Bruder mächtiger in Dir wären als die Liebe zu mir, wie könntest Du zaudern, [247] mein zu werden, wie könntest Du daran denken, mich von Dir zu stoßen, um mich mit einer Frau wie Caroline auf das Neue zu vereinen, hättest Du mich je geliebt.

Da konnte sie sich nicht länger überwinden. Und wen habe ich geliebt als Dich, seit ich zu denken vermag? rief sie und warf sich in die Arme des Geliebten, die sich öffneten sie zu empfangen, und ruhte weinend an seiner Brust, während seine Küsse auf ihren Lippen brannten.

Aber mitten in dem Entzücken des Augenblicks riß sie sich aus seinen Armen los, und das Gesicht in den Händen bergend, stieß sie leise, wie man in angstvollem Traume zu sich selber spricht, die Worte aus: Das ist Ehebruch, das ist ein Verbrechen.

Alfred ließ sie erschüttert los. Da warf sie sich vor ihm nieder, umfaßte seine Knie und rief in leidenschaftlicher Erregung: Du sagst, Du liebst mich, Alfred! o so rette mich vor dem Schicksal, das über uns hereinbricht. Du bist ein Mann, Du hast Muth, Du hast Kraft. Sei stark, überwinde mehr als die Welt, rette mehr als das Leben – überwinde Dich, rette unsere Seelen vor Verbrechen und Verzweiflung. Kehre zu Deiner Frau zurück, vergiß diese unglückselige Stunde, laß Dein Beispiel mir vorleuchten, ich werde Dir folgen. Sei mehr als ein Mensch, der unwillig vergibt. Sei Gott ähnlich, vergib ihr, und beglücke! Erhebe Caroline barmherzig bis zu Dir; vergib ihr, damit ich mir und Dir vergeben darf, und wie zu dem Heiland, der mich erlöst von Verdammniß, will ich zu Dir emporblicken und zu Dir beten aus der Ferne. Fühle, wie ich Dich liebe, Alfred, wie ich Dir vertraue, wenn ich freudig und getrost ein solches Opfer von Dir fordere, wenn ich Dir die Kraft zutraue, es freudig mir und Deiner Pflicht zu bringen.

Er hob sie auf, Thränen entströmten seinen Augen und [248] mit tiefer Traurigkeit sagte er still und ernst zu ihr: Du weißt nicht was Du bittest, nicht was Du von mir forderst; aber es sei, wie Du es willst! Gott gebe, daß wir diese Stunde nie bereuen. Ich gehe zu meiner Frau.

Langsam schritt er der Thüre zu und verließ das Haus, ohne Julian gesehen zu haben. Als dieser endlich in das Zimmer seiner Schwester trat, nachdem er lange vergebens die Rückkehr des Freundes erwartet, lag sie matt und keines Wortes mächtig in dem Sessel, der zunächst der Thüre stand. Es war zu viel gewesen für ihre Kraft.

[249]
10
X

Zum zweiten Male hatte sich Alfred gegen seine Neigung mit seiner Frau vereinigt. Noch an dem Abend des Tages, an dem jene Ereignisse stattgefunden, die wir geschildert, hatte er Caroline in sein Haus geführt und nach einer erschütternden Scene zwischen den Gatten war eine Aussöhnung zu Stande gekommen.

Ermüdet von dem Kampfe mit sich selbst, überließ er die Bestimmung der äußeren Verhältnisse dem Präsidenten und seiner Frau. Diese hatte Neigung, auf das Land zurückzukehren, aber Julian widerrieth es ihr. Er fürchtete, wenn die Eheleute nach den Vorgängen der letzten Zeit sich allein, in der Stille des Landlebens gegenüberständen, würde das Andenken an die schmerzliche Vergangenheit zu mächtig sprechen und zu laut gehört werden. Es schien ihm wünschenswerth, daß ein gesellig und geistig angeregtes Leben ihnen über ihre mißliche Lage forthelfe, und beide Gatten erklärten sich bereit, in der Stadt zu bleiben, da ohnehin nichts schlagender dem gegen Therese verbreiteten Verdachte widersprechen konnte, als ein gutes Einverständniß der Eheleute und der beiden Familien untereinander.

Die Aufregung, die Gemüthsbewegungen, die Alfred empfunden, tönten in den ersten Tagen seines neuen Beisammenseins mit Carolinen lebhaft in ihm nach; aber edle Naturen haben eine solche Opferfreudigkeit, daß sie sich in vielen Fällen über sich und ihre Kraft, ja selbst über die Größe ihres Opfers [250] täuschen. Je schwerer es ist, je mehr sie darunter leiden, um so mehr erhebt sie das Bewußtsein der Liebe oder der Ueberzeugung, aus der sie es dargebracht haben, um so fester hängen sie an Demjenigen, für den es gebracht ward. So empfand es Alfred, der in sich die Gewißheit trug, ein zerstörtes eheliches Verhältniß, zerstört durch gänzliche Verschiedenheit der Charaktere und Neigungen, könne nie zu einem beglückenden Bande werden. Er wußte, daß er nicht glücklich sein würde, und seine ganze Hoffnung war darauf gerichtet, der von ihm geliebten Freundin die verlorene Ruhe wiederzugeben, und, ungestört durch Carolinen's Nähe, sich selbst und seinen Arbeiten zu leben.

Er ersuchte seine Frau, sich ganz nach ihren Wünschen in der Stadt einzurichten, er stellte ihr mit verschwenderischer Zuvorkommenheit bedeutende Summen zur Verfügung, und that Alles, sie äußerlich zufriedenzustellen. Er wollte ihr gewähren, was er ihr gewähren konnte, um sie dafür zu entschädigen, daß er ihr kein Herz zu bieten vermochte.

Aber diesen Mangel empfand Caroline zum Glück nicht mehr so tief. Sie war seit Jahren daran gewöhnt, daß ihr Mann ein in sich abgeschlossenes Dasein führte. Außer bei den gemeinsamen Mahlzeiten, bei einer Spazierfahrt oder einem Besuche hatten sie sich auch früher oft Tage hindurch nicht gesehen. So blieb es auch jetzt und Caroline war zufrieden, um so mehr als sie die Zerstreuungen der Residenz liebte, sie lange entbehrt hatte und nun eine reiche Unterhaltung in ihnen fand.

Nicht so war es mit ihrem Gatten. Wenn er einsam träumend in seinem Zimmer saß, störte ihn die unruhige Geschäftigkeit seiner Frau, die bald diese, bald jene Anordnung zu machen hatte und laut sprechend oder scheltend ihre Befehle gab, weil ihr, wie den meisten ungebildeten Menschen Ruhe, sowohl körperliche als geistige, kein Bedürfniß, laute Thätigkeit vielmehr ein Labsal war. Sie empfand und kannte das Glück [251] nicht, durch keine äußere Bewegung, durch kein Geräusch gestört, den Geist ausruhen zu lassen in der Betrachtung seiner selbst, die Gedanken zurückkehren zu lassen in die stillen Tiefen der eigenen Seele, in ihr geheimnißvolles Geburtsland, um sie dann erstarkt der Außenwelt und dem Leben wieder zuwenden zu können. Sie wollte wie Menschen von niedriger Stufe der Entwicklung, wie die Kinder, von Außen her angeregt und beschäftigt werden. Sie mußte gehen, schaffen, sprechen und arbeiten, obschon eine zahlreiche Dienerschaft sie solcher Nothwendigkeit enthob. Versagte der Körper endlich ein mal den Dienst, war sie gezwungen, still und unthätig auf derselben Stelle zu bleiben, so mußte sie ihre Hände wenigstens beschäftigen und jedes Bändchen, jede Kleinigkeit, die ihr dann zunächst lag, ward ihr zu willkommenem Spiele.

Sie kannte keine Ruhe und eben deshalb hielt sie sich für fleißig und für thätig. Ihre klappernden Schlüssel, ihr beständiges Kommen, Gehen, Befehlen, die unruhige Hast, mit der sie arbeitete, hatten Alfred von jeher belästigt. Jetzt, wo er sich an die gleichmäßige Ruhe in Theresen's Nähe gewöhnt hatte, machte die Weise seiner Frau ihn so ungeduldig, daß er es kaum zu verbergen, kaum zu ertragen wußte.

Er hatte sich es gelobt, Caroline milder zu beurtheilen, sie zufrieden zu stellen. Jetzt sah er sie heiter, zu jedem Lebensgenusse gestimmt, und es that ihm wehe, daß sie so leicht zu befriedigen war, daß sie glücklich sein konnte ohne Liebe. Er würde Mitleid mit ihr gefühlt, dies Mitleid würde ihn zu ihr gezogen haben, sagte er sich, wenn sie empfunden hätte, wie ganz ihr sein Herz verschlossen war. Daß sie es nicht fühlte, daß sie ihn mit Zärtlichkeiten überhäufte, wenn irgend eine ihrer kostspieligen Launen befriedigt war, mit Zärtlichkeiten, die er weder verlangte noch theilte, das verletzte ihn auf das Aeußerste und machte sie ihm widerwärtig.

[252] Verstimmt und innerlich widerstrebend, erfüllte er ihr Verlangen, sie bei den Besuchen, die sie zu machen hatte, bei den Lustbarkeiten, an denen sie Theil zu nehmen wünschte, zu begleiten. Daß sie nicht an die Erschütterungen dachte, die er erlitten, daß sie selbst nichts davon empfand, schien ihm unglaublich; und wie unzart, wie rücksichtslos mußte sie sein, wenn sie so wenig Schonung für seine Stimmung hatte, ihn zu Genüssen zu überreden, die ihm augenblicklich unmöglich zusagen konnten.

Er hatte auf des Präsidenten Bitte, der ihn häufig besuchte, Therese noch nicht wiedergesehen, und Julian hatte ihm nur wenig von der Schwester gesprochen. So oft er in eine Gesellschaft trat, fürchtete er ihr zu begegnen, und wenn er sie nicht fand, seufzte er über die getäuschte Erwartung. Die blendend hellen Räume des Theaters, die überfüllten Gesellschaftssäle konnten ihn nicht zerstreuen, und bei dem nächsten Anlaß gestand er seiner Frau, daß er sich zu Vergnügungen nicht aufgelegt fühle, daß er sich bei seiner Arbeit und in seinem Hause wohler fühle. Er schlug ihr freundlich vor, den Abend mit ihm allein zuzubringen, und sie erklärte sich dazu bereit, aber mit einer so schlecht verhehlten Verdrießlichkeit, daß er seine Bitte schnell bereute. Sie blieb den ganzen Tag hindurch in übler Laune, sie schalt die Dienstboten, jede Bewegung, jede Miene des Sohnes gaben ihr Anlaß zu Tadel, jede Aeußerung ihres Mannes einen Grund zum Widerspruch. Endlich am Abend schien der Sturm besänftigt. Es ward ruhiger im Hause und Alfred verfügte sich in Carolinen's Zimmer, die eifrig strickend am Theetisch saß, während Felix unter Aufsicht seines Lehrers in einer andern Stube mit den Arbeiten für den kommenden Tag beschäftigt war.

Ein paar Fragen seiner Frau, häusliche Angelegenheiten betreffend, waren bald beantwortet und Alfred griff mechanisch nach einem Buche, das vor ihnen lag. Er schlug es auf, [253] durchblätterte es, der Gegenstand fesselte ihn und er wollte lesen; aber Carolinen's Stricknadeln hinderten ihn daran. Der kleine, immer sich wiederholende Ton der gegeneinander schlagenden Nadeln war ihm lästig. Tausendmal hatte er das seiner Frau gesagt und sie gebeten, die ganz unnöthige Arbeit, wenigstens in seiner Gegenwart, zu unterlassen. Sie aber strickte gern und konnte, wie sie es nannte, nicht müßig sein. Alfred's Widerwille gegen das Strickzeug galt ihr als eine von seinen räthselhaften Grillen, und sie strickte denn auch heute, wo sie nach längerer Trennung zum ersten Male wieder den Abend mit ihrem Manne allein beisammen war.

So gut er konnte, kämpfte er die unangenehme Empfindung nieder, er wollte sie gewähren lassen und sprach es nicht aus, wie ungeduldig sie ihn mache, indeß dabei zu lesen war ihm doch nicht möglich. Er legte das Buch aus den Händen und sagte, an das Gelesene denkend, halb zu sich selbst sprechend: Wie schön sind diese Briefe Yorik's an Elise! welch innige Zärtlichkeit, welche Tiefe des Gefühls ist in ihnen! So oft ich sie vornehme, erfreue ich mich an der schlichten Darstellungsart dieser poetischen Schöpfung auf's Neue.

Findest Du das? entgegnete Caroline, mir kommen sie sehr langweilig vor. Ich nahm sie heute mit, als ich das Eßzimmer aufräumen ließ, wo Du sie vergessen haben mußt, denn Deine Bücher liegen ja überall umher. Da habe ich beim Stricken eine Weile darin gelesen, aber es geht ja gar nichts vor sich in dem Buche!

Muß denn etwas geschehen in einer Dichtung, muß es große Scenen, Entführungen, muß es Mord und Todtschlag geben, damit sie uns anziehend wird? Ist die Schönheit des Gedankens und der Empfindung nicht genug?

Mord und Todtschlag braucht es nicht zu geben, aber Etwas muß doch geschehen, antwortete Caroline, Liebe oder [254] sonst Etwas muß doch in einem Buche sein, die bloßen Gedanken thun es doch nicht.

Und was ist das anders als reinste, heiligste Liebe, rief Alfred lebhaft, nahm das Buch und begann den neunten Brief an Elise zu lesen, den er vorher angefangen hatte. Nach den ersten Seiten hielt er aber inne: Möchtest Du nicht wenigstens das Strickzeug fortlegen, während ich lese? bat er.

Caroline that es und er fuhr in dem Briefe fort; aber kaum hatte er noch ein paar Zeilen gelesen, als er sie leise gähnen hörte. Endlich nahm sie ihr Arbeitskörbchen zur Hand und fing darin etwas zu suchen an. Das störte Alfred, doch ließ er sich nicht unterbrechen und las weiter. »Ich will meine Frau und Tochter kommen lassen, hieß es an der Stelle, die sollen Dich, um zu gesunden, nach Montpellier, nach Bareges, nach Spaa führen, oder wohin Du willst. Du sollst es bestimmen und Ausflüge machen, in welchen Winkel der Welt die Phantasie Dich lockt. Wir wollen an den Gestaden des Arno fischen und uns in den lieblichen Labyrinthen seiner Thäler verlieren, meine Elisa!«

Caroline lachte laut auf. Nun! das wird für die Frau und die Tochter auch kein sonderliches Vergnügen gewesen sein, rief sie aus, wenn der alte Seladon und die sentimentale Elisa sich in den Labyrinthen verirren gegangen sind.

Aber Caroline! wie ist Dir diese Aeußerung möglich! rief Alfred unwillig und betroffen aus.

Ich begreife nicht, was Dir daran auffällt! Du weißt, für Ueberspannung habe ich keinen Sinn. Ich nenne die Dinge beim rechten Namen, und wenn ein verheiratheter, alter Mann einer fremden Frau solche Briefe schreibt, das finde ich unsittlich und empörend und diese Briefe sind langweilig trotz alledem. Ich schlafe dabei ein, wenn ich nicht stricken soll.

Alfred legte das Buch schweigend nieder. In demselben [255] Augenblicke klapperten auch schon wieder die verhaßten Stricknadeln an sein Ohr und Caroline sagte: Du magst es glauben oder nicht und magst es kleinbürgerlich nennen, aber gegen einen guten gestrickten Strumpf kommt der beste gewebte englische nicht auf!

So lasse welche stricken! man hat mir in diesen Tagen von einer Frau gesagt, die mit ihren Töchtern dergleichen Arbeit wünscht! meinte Alfred, um sie zu begütigen.

Kennst Du die Frau? Sind die Töchter jung? fragte aber Caroline sofort mit einem Tone des Verdachtes.

Ich weiß es nicht, ich habe sie nie gesehen. Der Präsident interessirt sich für sie und sie bedürfen, wie er sagte, dringend einer Unterstützung.

Dann sind Mutter und Töchter häßlich! rief Caroline lachend. Wären sie hübsch, so sorgte der Präsident allein für sie.

Alfred zuckte verächtlich die Schultern und schwieg. Nach einer Weile warf Caroline, die wieder einmal eine ihrer besonders unliebenswürdigen Launen hatte, die Frage auf: Ich möchte wohl wissen, wie viel Frau von Barnfeld und die Brand's jährlich verausgaben?

Alfred antwortete nicht darauf, und sie wiederholte die Frage mit dem Zusatz: Warum antwortest Du mir nicht?

Weil mir das sehr gleichgültig ist und weil ich es nicht mag, wenn Du Dich in der Weise um fremde Angelegenheiten kümmerst. Es hat ja Jeder vollauf mit den eigenen zu thun.

Ich glaube nicht, daß ich die meinigen vernachlässige! rief sie mit gewohnter Empfindlichkeit. Der Vorwurf trifft mich nicht.

Wer denkt denn daran, Dir einen Vorwurf zu machen? entgegnete ihr Alfred.

Es ist möglich, daß die Brand weniger bedarf als ich, aber wie armselig ist sie auch gekleidet! Freilich ist sie auch [256] so verblüht, daß ihr die glänzendste Toilette nicht helfen könnte, fuhr Caroline eifrig fort.

Alfred stand auf und wollte sich entfernen, um seinem Zorne keine Worte zu geben, als Felix hereinsprang. Er hatte Theresen's Namen gehört, und als falle ihm plötzlich Etwas ein, wendete er sich mit der Frage an den Vater: Warum gehen wir denn nicht mehr zu Tante Therese, Vater? Es war ja immer so hübsch bei ihr und ich bin ihr gut.

Du auch? rief Caroline.

Freilich! versicherte Felix. Sie weiß ja so viel Geschichten von alten Helden und von Elfen! laß uns doch morgen hingehn! Aber denke Dir, Vater, wie die Mutter drollig ist! Sie sagt, sie liebe Tante Therese nicht, und fragt immer nach ihr, wenn wir allein sind. Immerfort soll ich erzählen, was sie gesagt hat und was sie gethan hat, und was Du thust, wenn wir bei ihr sind. Ob sie auch zu uns herkommt! und heute hat sie mich zuletzt gefragt, ob Du Tante Therese küßtest. Du – die Tante! – Der Knabe lachte dazu, aber Alfred rief im Tone des höchsten Zornes: das ist empörend! stand heftig auf und verließ das Zimmer. Seine Frau folgte ihm erschrocken in seine Arbeitsstube nach. Sie versuchte, sich zu entschuldigen, ein Mißverständniß des Knaben vorzuschützen. Er hörte auf ihre Worte nicht, und als sie sich weinend an seine Brust lehnte, als sie ihn küssen wollte, stieß er zum erstenmale sie so unsanft von sich, daß sie zurücktaumelte. Die Falschheit wäre schlimmer, rief er, wäre strafbarer, als die Küsse, die ich nach Deiner Meinung mit Therese gewechselt haben soll.

Er ließ sie stehen, nahm Hut und Mantel und schritt in die helle Winternacht hinaus.

Der Schnee knisterte unter seinen Fußtritten, als er die Straße hinabging. Von beiden Seiten leuchtete Licht aus den Fenstern der Läden und Gasthäuser. Es war nur wenig Tage [257] vor dem heiligen Abende und viel fröhliches Leben und Treiben in den Straßen. Knaben mit brummenden Waldteufeln liefen umher; Mütter aus den ärmeren Klassen trugen ihre Kinder auf den Armen, die fröhlich von den Wundern des Weihnachtsmarktes erzählten. Andere hatten sich mit Weihnachtsbäumen und einfachem Spielzeug beladen und guckten in die Fenster der Conditoreien hinein, an deren Thüren die Equipagen der reichen Familien hielten. Eben stieg ein stattlicher Mann vor einer derselben aus dem Wagen. Er war Alfred nahe befreundet und glücklich verheirathet. Behutsam hatte er seine Frau herausgehoben und zählte nun lachend die Kinder, welche der Diener ihm auf die Treppe hinaufreichte, damit die kleinen Füße den kalten Boden nicht berührten.

Alfred blickte bewegt auf das heitere Bild. Er wollte dem Freunde ausweichen und hüllte sich, schnell vorüberschreitend, tiefer in den Mantel. Aber der Andere hatte ihn erkannt und rief ihm scherzend zu: Wohin so eilig und so allein in der fröhlichen Weihnachtszeit? Sie schämen sich wol vor mir, daß Sie ohne Frau und Kind umherlaufen? Sehen Sie da, ich habe alle Vier mit hergebracht und war nahe daran, auf Verlangen meiner Frau, sogar die Wärterin mit dem Kleinsten mitzunehmen. Die Weihnachtszeit gehört der Familie an. Wo haben Sie die Ihrigen?

Sie sind zu Hause.

Und wo gehen Sie hin?

Ich will mir Bewegung machen, sagte Alfred. Das Bild des lieblichen Familienlebens that ihm wehe und er suchte zu entkommen, mit der Bemerkung, daß es zu kalt für die Kleinen sei, und daß er sie nicht aufhalten wolle.

Schnell und immer schneller schritt er vorwärts, je trüber die Gedanken in seiner Brust sich entfalteten. Alles war heiter in dieser Zeit; der Aermste suchte für die Weihnacht, für diesen [258] Lichtblick in dem Familienleben der Deutschen, Freude zu schaffen in dem Kreise der Seinen. Elternliebe führte die Eheleute enger noch zusammen, aber er selbst hatte noch nicht an das Fest gedacht, seit er wieder mit seiner Frau unter demselben Dache lebte.

In dumpfem Mißmuth waren seine Tage dahingegangen, ein trübes Weihnachtsfest stand ihm in seinem Hause jetzt bevor. Wie anders hatte er es zu feiern gehofft, wie hatte Therese es dem Knaben seit seiner Ankunft anmuthig zu schildern gewußt! Alfred selbst war zum Kinde geworden mit dem Kinde; wie ein Knabe hatte er sich wieder auf das Fest gefreut. Mit sorgfältiger Liebe hatte er die Geschenke gewählt, die er für Therese bestimmt! Nun lagen sie da, und Therese sollte sie nicht sehen.

So widerwärtig als an diesem Abend war ihm Caroline nie gewesen. Er hatte sie nicht geliebt seit Jahren; heute verabscheute er sie. Er fragte sich, wie es ihm möglich gewesen sei, sich gegen seine bessere Ueberzeugung wieder mit ihr zu verbinden? Er klagte sich selbst unverzeihlicher Schwäche an, er zürnte dem Präsidenten und Theresen besonders. Tausend wilde Phantasien durchkreuzten sein Gehirn. Er wollte, er mußte frei werden.

Was zwang ihn denn, in den unerträglichen Verhältnissen auszudauern? Rücksichten auf seinen Sohn? Und wenn Felix stürbe, ehe er die Früchte dieses Opfers genossen hätte?

Schaudernd bebte er zusammen; denn der fluchenswerthe Gedanke zuckte in ihm auf, daß der Tod seines Sohnes ihn befreien, der Tod seines einzigen Kindes sein Glück begründen könne.

Er war allein in den fernsten Gängen des Thiergartens, tiefe Stille und Dunkelheit um ihn her. Der Wind hatte am Tage den Schnee von den Bäumen herabgeschüttelt, gespenstisch [259] zeichneten sich die dunkeln Stämme der Bäume gegen die weiße Schneefläche des Erdreichs ab, und hoben ihre schwarzen, kahlen Aeste wie schaurige Wahrzeichen zum Himmel empor. Nur dann und wann schwirrte ein Vogel, langsam die breiten Flügel bewegend, an ihm vorüber, sich auf einem Baume das Nachtlager zu suchen. Ein leises Knistern der Zweige verrieth den Ort, an dem er es gefunden, ein paar liegen gebliebene Schneeflöckchen glitten unter seiner Berührung von den Bäumen zur Erde herab, dann regte sich Nichts mehr. Alfred war bange vor sich selbst, sein eignes Herz war ihm fremd und es graute ihm vor sich selber. Er ging und ging – und endlich löste sich die Starrheit, die ihn umfangen hielt.

In dem heiligen Schweigen, in der Ruhe der Natur fing er sich zu beruhigen, sich wieder zu sammeln an. Sein Leid löste sich in Thränen auf, der Sturm der Leidenschaft besänftigte sich, Kraft und Klarheit kehrten allmälig in seine gequälte Seele zurück.

Die frische Kälte der Winternacht kühlte sein erhitztes Blut und legte sich wohlthuend um seine brennende Stirn. Er schlug den Mantel zurück, damit der kalte Strom auch seine Brust berühre, und athmete tief auf, wie Jemand, der eine zu schwere Bürde von sich wirft. Statt scheu in die Zukunft zu sehen, blickte er fest in seine eigne Brust und eine tiefe Unzufriedenheit, eine beschämende Reue bemächtigten sich seiner.

Er hatte Hand an seine Frau gelegt, er hatte sich so tief erniedrigt, ein Weib die Kraft des Stärkern empfinden zu lassen. Sein Glück, er konnte es sich nicht verbergen, war ihm einen Augenblick hindurch theurer erschienen, als das Leben seines Kindes. Er hatte sie jetzt kennen lernen, die schaurigen Geheimnisse, welche die Tiefe der menschlichen Brust verbirgt, und fühlte deutlicher als je, wohin ein Zustand führen könne, der uns mit uns selbst in Widerspruch bringt.

[260] Je länger er vorwärtsschritt, je fester bildete sich ein Entschluß in ihm aus, je zuversichtlicher gelobte er sich, ihn zu halten, aber er war müde geworden von dem innern Kampfe, er mußte einen Augenblick rasten. Trotz der winterlichen Kälte ließ er sich auf einer der Bänke nieder. Er schloß die Augen und ein Gefühl von Erquickung kam über ihn. Die unnatürliche Spannung seiner Geistes- und Körperkräfte ließ nach, die Schwingungen seines Blutes wurden gelinder, er konnte freier denken, freier fühlen.

Wie lange er so gesessen, er wußte es nicht. Das ferne Anschlagen eines Hundes erweckte ihn zur Wirklichkeit. Er erhob sich und schritt der Stadt zu.

Als er seine Wohnung erreichte, war es tief in der Nacht. Caroline hatte sich lange zur Ruhe begeben. Er eilte in sein Zimmer und trat vor das Bett seines Sohnes. Ruhig, mit der blühenden Röthe der Gesundheit auf den Wangen, schlief der schöne Knabe schon seit mehren Stunden. Sein Vater betrachtete ihn mit tiefer Erschütterung, endlich konnte er es sich nicht versagen, einen Kuß auf die Stirn des Sohnes zu drücken. Das erweckte den Knaben. Schlaftrunken blickte er auf und sagte freundlich, den Vater erkennend, indem er die Arme nach ihm ausbreitete: Lieber Vater!

Ein heißer Thränenstrom brach bei den schlichten Worten aus des Vaters Augen. Er drückte den Sohn fest an sich, küßte ihn und legte ihn dann mit weiblicher Sorgfalt in die Kissen zurück. Mein geliebter Sohn! – Das war Alles, was er sagen konnte, und es sagte Alles.

Am nächsten Tage erwachte er in sehr weicher Stimmung. Er suchte seine Frau auf, bot ihr versöhnend die Hand und bat: Laß uns des gestrigen Abends vergessen! Mich reut die Heftigkeit, zu der ich mich hinreißen ließ, aber auch Du warst nicht ohne Schuld. Wir wollen Beide schonender werden, damit [261] unsere neue Vereinigung nicht nur eine leere Form bleibe, damit sie uns endlich zum Frieden verhelfe.

Aber Caroline nahm die Hand nicht, die er ihr bot, und antwortete ihm nicht. Sie nahm ruhig das Frühstück ein, bei dem sie Alfred gefunden hatte. Hörst Du nicht, was ich Dir sage? Hast Du keine Erwiderung darauf? fragte er.

Mißhandlungen kann ich nicht vergeben; ich kann es nicht vergessen, daß Du mich fortgestoßen, daß Du mich mißhandelt hast! sagte Caroline kalt.

Und glaubst Du, mich hätten Deine Worte, Dein Betragen nicht ebenso arg verwundet? Caroline! Worte sind oft verletzender als die schärfste Waffe. Laß uns den Balsam der Vergebung auf unsere Wunden legen, laß uns von Herzen vergessen. Wir haben Alles, was zum Glücke erforderlich ist, warum verbittern wir einander das Leben? warum trüben wir die Kindheit unsers Felix durch unsern beständigen Unfrieden? Komm! laß uns vergessen! Laß uns nur an den Knaben denken, wir wollen ausfahren, für seine Weihnachtsbescherung zu sorgen.

Ich habe in diesem Augenblick nicht Zeit, ich bin auch noch nicht für eine Promenade gekleidet, meinte Caroline schmollend.

So will ich warten; wann denkst Du fertig zu sein?

Mein Gott! Alfred! quäle mich nicht, rief sie heftig aus. Was gestern geschehen ist, ist geschehen. Redensarten ändern das nun einmal nicht, Redensarten habt Ihr Dichter billig. Und daß Du mich jetzt zum Ausgehen zwingst, da ich keine Lust dazu habe, ist auch nicht gemacht, mich zu versöhnen. Ich werde schon für Felix besorgen, was nöthig ist, Du brauchst mich nicht dazu zu treiben. Ich liebe mein Kind so gut als Du.

Alfred stand auf, da er sah, daß seine Frau nicht in der Stimmung war, in der er sie zu finden gehofft hatte. Als er [262] sich entfernte, sagte sie: Gestern Abend ist eine Einladung zu heute Mittag von Frau von Barnfeld für uns abgegeben worden. Denkst Du sie anzunehmen?

Ja! sagte Alfred und ging hinaus.

Sie blickte ihm spöttisch nach. Natürlich! rief sie, aber was thuts? früher oder später mußte das doch geschehen!

Sie rief ihrem Mädchen und ordnete ihre Kleidung für den Mittag so glänzend als möglich an, sie wollte schön und prächtig sein ihrer gehaßten Nebenbuhlerin gegenüber. Sie scheute sich vor diesem Begegnen und doch hatte sie es seit lange gewünscht, um zu sehen, wie Alfred und Therese sich gegen einander verhielten.

[263]
11
XI

Mit ebenso großer Unruhe hatte Therese an das erste Wiedersehen gedacht, das sie nach jenen schmerzlichen Ereignissen mit Alfred haben würde. Ihr Bruder war absichtlich mehrmals mit Reichenbach und seiner Frau im Theater und an andern öffentlichen Orten erschienen, aber Therese hatte sich davon ausgeschlossen, weil sie sich nicht die Kraft zugetraut, den herben Eindrücken zu widerstehen, die ihr daraus erwachsen mußten.

Die Stunden waren ihr langsam hingeflossen und es schienen ihr Jahre entschwunden zu sein, seit sie den Geliebten nicht mehr gesehen hatte. Ruhig hatte sie sich in der Erfüllung ihrer täglichen Pflichten bewegt, gefällig für das Bedürfniß eines Jeden gesorgt, aber es war geschehen, als ob sie es nur aus Gewohnheit thäte, als ob nur der Körper mechanisch den Dienst verrichte, an dem die Seele keinen Theil mehr nahm.

Das entging den Ihrigen nicht. Julian's Liebe und zärtliche Sorgfalt verdoppelten sich für sie; Theophil hing ängstlich beobachtend an ihren Blicken und auch Agnes litt mit ihr, bedrückt durch die Ahnung eines Kummers, dessen ganze Größe sie nicht kannte, den sie aber durch die liebenswürdigste Dienstfertigkeit und Hingebung zu zerstreuen suchte.

An dem Tage, den wir zuletzt im Reichenbach'schen Hause geschildert, befand sich Therese im Dämmerlichte mit Agnes und Theophil in ihrem Zimmer. Man hatte eben zu Mittag gespeist und der Präsident durch den Besuch eines Fremden [264] abgerufen, hatte sich entfernt. Agnes saß auf einem Fußbänkchen vor Therese und hatte, wie sie es gern that, ihr Haupt auf den Schooß ihrer Beschützerin gelegt, während sie deren Hände in den ihren hielt.

Herr Assessor! sagte sie, plötzlich den Kopf erhebend, helfen Sie mir doch etwas ersinnen, womit wir Therese erheitern. Wir haben sie Beide so lieb, besinnen Sie sich, womit machen wir ihr wol eine Freude? Wenn ich denke, wie froh sie war, wie sie mit mir scherzte, als ich hieherkam, kann ich es nicht ertragen, sie so traurig zu sehen. Freut Dich's denn nicht mehr, daß wir Dich so lieb haben, Du Beste?

Von ganzem, ganzem Herzen! entgegnete diese, und es thut mir leid, daß mein Trübsinn auf Dich zurückfällt, mein liebes Kind! – Die Jugend hat ja ein solches Bedürfniß, froh des Lebens zu genießen, ein so heiliges Recht auf Freude, daß man sie darin nicht verkürzen sollte. Ich tadle mich sehr, wenn ich Dich fühlen lasse, daß ich augenblicklich nicht heiter bin. Aber habe nur Geduld, es wird bald besser werden, recht bald wie ich hoffe.

Klage ich denn um meinetwegen? fragte Agnes im Tone leisen Vorwurfs. Ich habe ja am Krankenbette meiner Mutter und bei andern Anlässen, Sorgen und Kummer kennen gelernt, und ich glaube, ich bin nicht verzagt gewesen. Als ich vierzehn Jahre alt war, lag die Mutter zum Sterben krank, ließ mich an ihr Bett rufen und befahl mir, auf die Kinder zu wachen, wenn sie sterben sollte, und dem Vater treu zur Seite zu stehen. Du bist erwachsen genug und wenn Du es redlich willst, wirst Du es können, sagte sie. Wir beide waren ganz allein im Zimmer, denn die Mutter hatte die Wärterin fortgeschickt. Wie traurig das war, werde ich niemals vergessen. Ich weinte sehr und versprach es der Mutter fest; und Gott hat mir denn auch die Kraft gegeben, daß ich alles Nöthige zu thun wußte [265] in den vielen Monaten, während deren meine Mutter daniederlag. Als sie nachher gesund wurde, da sagte sie selbst, ich käme ihr und dem Vater nicht mehr wie ein Kind vor, sondern wie eine Freundin, und die Eltern waren noch viel gütiger als je gegen mich. Ueberhaupt fast aus jedem Leide ist in unserm Hause doch immer etwas Gutes erwachsen, so daß ich immer denke, wenn es einmal recht traurig ist: Gott weiß, was das wieder für ein Gutes geben soll! Und in dem Gedanken ertrage ich es denn auch wieder leichter.

Du gutes Kind! sagte Therese und strich ihr liebkosend die Wangen. Ich habe auch Muth, ich bin nur müde und unzufrieden mit mir; aber ich will wie Du hoffen, daß Gott mir Gutes vorbereitet, das wird mich heiterer machen, denke ich.

Mir fällt immer, wenn ich traurig bin, ein Vers aus dem Zauberring ein, meinte Agnes, den ich sehr lieb habe. Er heißt: »Man geht durch Graus zu Wonne, man geht durch Nacht zu Sonne, durch Tod zum Leben ein.« Das habe ich mir schon oft vorgesagt und immer hat es mich ermuthigt.

Sie küßte bei den letzten Worten Theresen's Hand und ging hinaus, weil sie einen Lehrer erwartete, der bald kommen mußte.

Welch liebes, und welch tapferes Geschöpf ist das! sagte Therese, als Agnes sich entfernt hatte, und Theophil rief, von Herzen in das Lob einstimmend: sie ist so gut als schön, ein wahres Kleinod!

Dann, sich zu Therese neigend, sprach er: Wenn Sie, aus liebender Besorgniß, dem jungen Mädchen verbergen, wie schwer der Schmerz auf Ihrer Seele lastet, so lassen Sie mich wenigstens mit Ihnen leiden. Mein Auge ist nicht zu täuschen über den Grund Ihres Kummers, denn das Herz schärft meinen Blick. Ich habe gelitten wie Sie und die Wunde ist geheilt und vernarbt; ich habe das Leben wieder lieben, ich habe wieder [266] wünschen und hoffen gelernt in Ihrer Nähe. Ich bin nicht mehr krank, ich fühle Kraft, zu leben, Kraft, Sie zu stützen und zu halten, Therese! – Seit vielen Tagen sehnte ich den Augenblick herbei, in dem ich Sie ohne Zeugen sprechen könnte. Nun ist er da und ich weiß nicht, wie ich Ihnen ausdrücken soll, was ich Ihnen zu sagen wünsche.

Er hielt inne und sann nach in stummer Bewegung, dann fuhr er fort: Ich verlange nicht, daß Sie vergessen sollen, ich weiß, das kann man nicht; ich begehre nicht, ein theures Bild aus Ihrer Seele zu verdrängen, für das meine Liebe Ihnen kein genügender Ersatz scheinen möchte. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß mein Leben Ihnen geweiht ist, und daß ich glücklich wäre, wenn Sie mir vertrauen könnten. Fortführen möchte ich Sie von hier, wo tausend schmerzliche Eindrücke Ihrer warten, Sie zu meiner Mutter bringen und geduldig des Zeitpunktes harren, in dem Sie ruhiger geworden, es empfinden könnten, wie ganz ich Ihnen gehöre, wie es mich beglückt, Sie zu beschützen, für Sie zu leben.

Bester, großmüthigster Freund! rief Therese und reichte ihm die Hand, die er küßte, als Agnes, eine Lampe tragend, zurückkehrte. Sie blieb, es gewahrend, erschrocken in der Thüre stehen und sprach sichtlich verwirrt: Ich wollte meine Stunde nehmen, aber mein Lehrer hat absagen lassen, deshalb komme ich zurück.

Sie wußte nicht, ob sie gehen oder bleiben sollte, und der Eintritt des Präsidenten erlöste sie aus einer quälenden Verlegenheit. Er nahm ihr die Lampe ab, die sie noch immer hielt, und sagte: Ich komme als Eva's Vorläufer. Sie wird gleich erscheinen und den Abend bei Dir zubringen, liebe Therese! Da es Dir dann nicht an Gesellschaft fehlt, möchte ich Dir den Assessor entführen. Es sind Freunde von mir aus der Provinz angekommen und ich habe mit ihnen ein Zusammentreffen [267] außer dem Hause verabredet. Wollen Sie daran Theil nehmen, Theophil, so werden Sie ein paar gescheidte Männer kennen lernen.

Der Assessor nahm die Einladung an, da auf ein ungestörtes Gespräch mit Therese in Gegenwart der beiden Andern nicht zu rechnen war, und die Männer entfernten sich bald nach Eva's Ankunft, die alle Anwesenden aufforderte, am nächsten Tage ihre Gäste zu sein, da sie Alfred mit der Frau ebenfalls eingeladen habe.

[268]
12
XII

Frau von Barnfeld hatte eine größere Gesellschaft bei sich versammelt. Der Präsident mit der Schwester und seinen beiden andern Hausgenossen waren unter den Ersten, die sich einstellten, und man plauderte schon ziemlich lebhaft, als Alfred mit der Frau und dem Sohne erschien.

Therese fühlte sich einer Ohnmacht nahe und ihre Hand faßte krampfhaft die Lehne des Sessels, als sie Alfred erblickte. Er trat an sie heran, sie zu begrüßen, aber die Worte erstarben auf seinen Lippen. Es war ihm nicht möglich eine gleichgültige Phrase auszusprechen, während sein Herz danach verlangte, sich voll mitzutheilen, sich ganz hinzugeben. Trotz ihrer Gewohnheit, sich in der Gesellschaft zu beherrschen, fanden sie die Worte nicht, bis Felix ihnen mit seiner Unbefangenheit zu Hilfe kam.

Er umfaßte Therese mit beiden Armen, küßte sie und sagte: Tante, ich habe mich recht nach Dir gebangt! Alle Tage habe ich kommen wollen, aber die Mutter hat es nicht erlaubt. Willst Du denn nicht, daß ich zu Dir komme?

Von Herzen gern, mein Felix! antwortete Therese, den Knaben liebkosend, ich will Deine Mutter gleich darum bitten, daß sie Dich zu mir schickt.

Sie stand auf, um Frau von Reichenbach entgegenzugehen, die sie und Alfred unaufhörlich betrachtet hatte und jetzt auf sie zuschritt. Entschuldigen Sie, sagte sie, daß der Knabe so [269] wild und ungezogen über Sie herfiel. Ich habe es ihm unzählige Male verboten, Fremde in der Weise zu belästigen; aber die Nachsicht meines Mannes mit des Knaben Fehlern macht es es mir unmöglich, ihn zu bändigen. Schickt sich's, eine fremde Dame so zu belästigen? fragte sie den Knaben.

Aber die Tante Therese ist ja keine fremde Dame, wendete Felix ihr ein. Als Du noch nicht hier warst, sind wir ja alle Tage zu ihr gegangen und ich habe ganz anders mit ihr und mit Agnes herum getollt, als mit Dir, Mama; die Tanten machen's lange nicht so gefährlich mit ihren Kleidern und mit ihren Sophas. Ich konnte thun was ich wollte. Laß mich doch wieder hingehn!

Wir wollen sehen, ob Du folgsam sein und die Erlaubniß verdienen wirst, sagte Frau von Reichenbach, verdrießlich gemacht durch die Erinnerung an ihres Mannes häufige Besuche bei Therese. Wenn Du Deine Arbeiten so schlecht machst, als in dieser Woche, gehst Du gewiß nicht hin.

Der Knabe wurde roth, und sehr verlegen hing er sich an Theresen's Arm, die begütigend Besserung für ihn verhieß. Als er bald darauf, von Agnes gerufen, zu dieser ging und die Gesellschaft sich in den Eßsaal verfügte, sagte Julian, der besorgt Theresen gefolgt war, als sie mit Frau von Reichenbach sprach, und nun die Letztere zur Tafel geführt hatte: Mir scheint es unrecht, gnädige Frau, daß Sie den Knaben öffentlich tadeln. Er hat ein reges Ehrgefühl, Sie thun ihm wehe damit und bessern Nichts.

Der Meinung bin ich auch! bestätigte Alfred. Es kommt überhaupt durch zu vieles Erziehen nichts Kluges zu Stande. Man künstelt und biegt an der menschlichen Natur zu einer Zeit, in der noch alle Anlagen wie die Blume in der Knospe verhüllt sind. Dabei kann man zu leicht störend eingreifen und verderben, statt zu fördern. Wenn man die Kinder nur vor [270] schädlichen Einflüssen bewahrt, so thut in den meisten Fällen die Natur das Nöthige und Alles, was sich aus dem Individuum selbst entwickelt, ist ihm angemessener, als wir es zu machen verstehen.

Es haben allerdings viele bedeutende Männer ihre Erziehung selbst gemacht, wie die Geschichte uns lehrt, sagte Therese, die sich zwang, wenigstens mit einer gleichgültigen Phrase an der Unterhaltung Theil zu nehmen.

Was die Geschichte lehrt, weiß ich nicht, entgegnete Caroline, gereizt durch die abweichende Meinung der Uebrigen. Ich habe leider in meinem Leben nicht die Muße gehabt, mich viel mit Studien zu beschäftigen. Meine eigne Erfahrung und meine Beobachtungen haben mir aber gezeigt, daß Kinder, die man nicht streng erzieht und beständig überwacht, verwildern und misrathen. Darin ist die Einsicht einer Mutter, wie ich glaube, sicherer als die Geschichte.

Es lag eine solche Bitterkeit, ein solcher Spott in ihren Worten, daß es Allen, die sie hörten, auffiel. Wie kann man so unliebenswürdig sein, sagte Agnes ganz erschrocken zu Theophil, der ihr Nachbar war: Ich fürchte mich vor der Frau, obgleich sie eigentlich schön ist, und ihr Mann und Felix thun mir immer leid. Ich weiß nicht, was es ist, aber sie hat etwas Zurückstoßendes.

Zurückstoßend? meinte Frau von Barnfeld, die gute Reichenbach ist ja heute ganz charmant; was wollen Sie denn, Agnes? Ich habe sie schon ganz anders gesehen. Daß sie ewig von ihrer Würde als verheirathete Frau und von ihrer Kindererziehung spricht, wie ein pensionirter General von seinen Feldzügen, das wollte ich ihr gern verzeihen, das ist nur langweilig. Mich verdrießt und betrübt es aber, daß der liebenswürdige Alfred seine ganze Heiterkeit eingebüßt hat und für[271] uns ganz verloren ist, seit der Ankunft seiner Frau. Er ist nicht mehr derselbe Mann.

Es ist allerdings das unpassendste Paar von der Welt, sagte Theophil, und ein Fremder, der die letzten Worte gehört hatte, fragte: Sprechen Sie von Graf Alten, der die Tochter eines Kaufmanns heirathet?

Nein, sagte Theophil, es war von einem andern Verhältnisse die Rede. In der Heirath des Grafen finde ich nichts Auffallendes. Seine Braut ist ein schönes, gebildetes Mädchen und es ist eine vieljährige Liebe von beiden Seiten.

Die Braut ist aber sehr viel jünger als der Graf, wendete Jemand ein, er ist mehr als vierzig Jahre alt und hat ganz graues Haar.

Liebt man denn einen Mann um seines Haares willen? Ich habe nie daran gedacht, wie alt ein Mann sei, wenn ich ihn liebenswürdig fand, rief Eva dazwischen. Und wenn es wahr ist, daß wir nur in der Welt sind, das Leben der Männer zu verschönen, so müßten wir ja gerade auch mit unserer Jugend das Alter eines Mannes schmücken. Sie hatte die Worte mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit gesprochen. Nun es geschehen war, flog ein brennendes Erröthen über ihr reizendes Gesicht und sie fragte in anmuthigster Verwirrung; Merken Sie, Herr von Reichenbach, daß Ihre Gegenwart mir poetische Bilder eingibt?

Es würde mich nicht wundern, wenn die Grazien einmal die Leier der Musen borgten, erwiderte Alfred, und der Präsident sagte: Ich finde die Bemerkung unserer schönen Wirthin vollkommen wahr. Es gibt keine Altersverschiedenheit zwischen Menschen, die sich lieben. Liebe gleicht jeden Unterschied der Jahre und des Standes aus.

Das sagen Sie, fragte eine Dame, der noch vor wenig Monaten erklärte, er würde nie eine Bürgerliche heirathen?

[272] Ziehen Sie daraus die Lehre, meine Gnädige, daß des Menschen Gesinnung wandelbar ist, versetzte der Präsident. Uebrigens glaube ich nicht, daß ich jemals den sündhaften Gedanken gehabt habe, den Sie mir zumuthen.

Nein! sagte Alfred, das ist gewiß ein Misverständniß. Wer wie der Präsident durchdrungen ist von den Ideen unserer Zeit, wer so fest an die Rechte des Menschen glaubt, der – –

Der kann dennoch, trotz aller unwiderleglichen Theorien von den heiligen Rechten des Menschen, es praktisch finden, eine Frau aus denjenigen Familien zu wählen, welche schon im Besitz dieser Rechte waren, ehe man sie in Frankreich den großen Massen zuerkannte, sagte lächelnd der Präsident. Aber ich glaube selbst nicht, daß ich jene freventliche Gesinnung gehegt habe. Ich kann mir nicht denken, daß ich alle die zärtlichen Seufzer meines Herzens vergessen haben sollte, welche in meiner Jugend oft genug den schönen blühenden Töchtern des gesegneten Bürgerstandes galten. Mein Herz ist zu viel umfassend, um sich einer so ausschließlichen Richtung zu überlassen; und wenn mein Kopf ein hochmüthiger Aristokrat wäre, würde mein Herz mit unbegrenztem Freisinn für Alles klopfen, was schön ist.

Kaum hatte er das in scherzendem Frohsinn gesagt, als er es bereute, in Agnes' Gegenwart sich dergleichen Aeußerungen erlaubt zu haben. Er lenkte plötzlich mit dem Bemerken ein: Indeß jedenfalls haben Sie meine frühere Behauptung wohl misverstanden. Ich kann Nichts gesagt haben, als daß ich nur ein Mädchen von guter Familie und aus edlem Hause heirathen würde. Das braucht dann eben noch keine Dame von Adel zu sein.

Mir und meiner Gesinnung ist nichts willkommener, meinte Alfred, als wenn durch Ehen zwischen Personen aus den verschiedensten Ständen eine allmälige Verschmelzung derselben zu [273] Stande kommt; und ich hoffe es noch zu erleben, daß man die Leute nicht mehr fragt, wer bist du? sondern was bist du?

Deshalb hat Herr von Reichenbach wol eine Frau genommen, bemerkte Theophil's andere Nachbarin, die Niemand zu fragen braucht, was sie ist, weil Jeder es ihr ansieht. – Wie Frau von Reichenbach zu einem Mittagsmahl unter Freunden sich nur so mit Brillanten beladen kann! Sie ist blendend und schimmernd in allen Farben des Regenbogens.

Ein Anderer fragte: So hoffen Sie wol recht alt zu werden, lieber Reichenbach?

Sehen Sie denn nicht, sagte Alfred, daß wir unaufhaltsam dem großen Ziele zuschreiten? Ueberall taucht es auf aus den düstersten Klüften, reines, funkelndes Gold! Es will Tag und Frühling werden in der Welt, und wenn die Gewalthabenden das Dunkel noch so sehr lieben, die kräftigen Strahlen der gesunden Vernunft erhellen die Nacht und erleuchten die Erde. Gehen Sie nach Frankreich und England, sehen Sie, mit welch sicherer Ruhe der dortige Arbeiter seine Zwecke verfolgt, wie genau er seine Rechte kennt, mit welcher Mäßigung er sie fordert, und Sie werden mir zugestehen, daß ein Mensch, der sein gutes Recht so wohl kennt, es fordern darf und es nicht misbrauchen wird. Die politische Bildung hat in jenen Ländern alle Volksklassen so weit durchdrungen, daß die Arbeitenden nicht mehr an andere angeborne Rechte glauben, als an die, welche Jedem angeboren sind, und mit diesem Bewußtsein ist schon der Unterschied der Stände in der That vernichtet. Wenn die Form auch von den Freunden des Alten noch eine Weile aufbewahrt und festgehalten wird, für den denkenden Menschen besteht sie nicht mehr, denn ihr fehlt das Leben und die Wahrheit.

Mir ist es immer ein trauriges Zeichen der menschlichen Selbstsucht gewesen, bemerkte Theophil, daß so Viele danach [274] streben, etwas vor ihren Mitmenschen voraus zu haben. Es scheint, als ob mit dem errungenen oder ererbten Besitz die Lust daran wachse; daß Der, dem schon viel gegeben ist, noch mehr fordert; während es einer edeln Natur angemessener wäre, Jeden so weit möglich des Glückes theilhaftig zu machen, das man selbst als solches empfindet. Mich könnte ein Gut, das ich allein besäße, während alle Andern darben, nie recht erfreuen, und am vollkommensten würde ich es genießen, wüßte ich Alle eben so zufrieden als mich selbst.

Es ist anziehend und lehrreich zugleich, sagte der Präsident, wenn wir die Beweggründe kennen lernen, aus denen in den verschiedenen Menschen die Freisinnigkeit entspringt, die eben noch nicht zu lange unter uns heimisch ist. Wir können uns nicht verbergen, daß bis zur Julirevolution Deutschland in seinem poetischen Halbschlummer sich von den Ereignissen der Jahre dreizehn und fünfzehn ausruhte und feiernd von den geschehenen Großthaten träumte. Dann wachte, durch den Hahnenruf im Westen geweckt, unser theures Vaterland auf und rieb sich zehn Jahre lang die Augen, während unsere Nachbarn jenseits des Rheines ein tüchtig Stück Arbeit beendeten und einen weiten Weg zurücklegten. Nun ist der Tag auch für uns angebrochen. Jeder sieht die Freiheit in der Ferne schweben und wünscht sie dem Vaterlande als Schutzgöttin zu erobern, denn die Göttliche findet auf den verschiedensten Wegen Zugang in die Seelen der Besten. Alfred betet die Freiheit an, weil er den Men schen liebt und die Freiheit schön ist; Theophil, weil sein weiches Gefühl es nicht duldet, Unglückliche zu sehen, während er glücklich ist. Noch Andere erwarten von ihr Erlösung aus Ketten, die sie drücken; bei Vielen ist es das angeborne Rechtsgefühl, das sie der Freiheit entgegenführt. Aber fast Alles, was geistig frisch und tüchtig ist, wendet sich ihr zu. Da ist es wol zu hoffen, daß sie den Forderungen, den Bitten und Bestrebungen [275] sich ergibt und daß auch wir sie bald als Herrscherin neben dem königlichen Beherrscher, dem Verstande, bei uns thronen sehen werden.

Daß Edelleute wie Sie, sich solchen Theorien zuneigen, sagte einer der Gäste, ist mir auffallend. Wie können Sie wünschen, daß man uns die Vorrechte entzieht, welche uns das Verdienst unserer Väter erwarb, wenn wir des Erbtheils würdig sind? Ich betrachte vielmehr Denjenigen, der sich dieser Rechte entäußert, wie einen Verschwender, der sein Gut leichtsinnig von sich wirft, wenn Sie den Vergleich entschuldigen wollen.

Sehr gern, meinte der Präsident, besonders da er uns nicht trifft. Denken Sie, Sie besäßen ein Capital, das vor grauen Jahren einer Ihrer Vorfahren rechtmäßig erwarb, das aber von den Nachfolgenden durch Unredlichkeit, durch wucherische Zinsen, die sie von Ununterrichteten erpreßten, ins Unendliche vergrößert ward. Nun käme Einer von den Beeinträchtigten und spräche: Ich will dich nicht arm machen, aber du sollst mir zum Ersatz für Alles, was die Deinen mir so lange entzogen, nur so viel geben, als ich bedarf, um durch mein Bemühen eben so reich zu werden, als Du, wenn ich dieselben Fähigkeiten besitze, die Deine Ahnen hatten. Könnten und wollten Sie ihm das verweigern, ohne ungerecht und hart zu sein? Es verlangt ja bei uns Niemand, den Adel aufzuheben, das Recht des Besitzenden zu beschränken; es will nur Jeder Raum zu freier Entwicklung haben, Das gelten dürfen, was er ist, und Das erreichen können, wozu die Vernunft ihm den Trieb und die Fähigkeit gibt. Man will denken und sagen dürfen, was man denkt; man will nicht glauben, was vor der Vernunft nicht bestehen kann. Das ist kein Unrecht, sondern eben nur eine vernünftige Forderung.

Daß Sie in Glaubenssachen eben so leicht denken, als mein Mann, das wußte ich längst, rief plötzlich Frau von [276] Reichenbach, aber daß Sie sich auch sonst zu seinen übertriebenen Ansichten neigen, hätte ich nicht geglaubt, Herr Präsident!

Alle sahen sie verwundert an und Julian sagte: Ich finde es begreiflich, gnädige Frau, daß Sie fest an Ihrem Glauben und an Ihren angestammten Vorrechten halten! und dabei sah er so ruhig aus, als wüßte er nichts von dem Spotte, der in diesen Worten lag. Die Frauen haben eine Vorliebe für das Conserviren, darum ist den meisten alles Neue, die Moden ausgenommen, verhaßt, und auch in diesem Bereich lieben sie jetzt wieder das Uralte.

Die Männer, Herr Präsident, lieben freilich die Abwechslung mehr als wir, sagte Caroline, gleichsam um dem Präsidenten zu vergelten, und diesem schien eine scharfe Antwort auf den Lippen zu schweben. Ein Blick auf Alfred aber bewog ihn, sie zu unterdrücken, und er bemerkte, gegen Therese gewendet: Es gibt doch andererseits unter den Frauen auch viele Anhänger unserer Lehre. Meine Schwester hat z.B. die freisinnigsten Ideen.

Das glaube ich! rief Caroline mit solcher Bosheit lachend, als sie bemerkte, daß Alfred und Therese in ein flüchtiges Gespräch mit einander gerathen waren, daß Beide aufschraken, mehr von dem Tone als von den Worten betroffen, die sie nicht genau gehört hatten.

An den bestürzten, misbilligenden Gesichtern der Gesellschaft sahen sie deutlich, es müsse irgend etwas Störendes vorgefallen sein, und Alfred blickte mit instinktartigem Erschrecken nach seiner Frau hinüber. Sie begegnete seinem Auge mit Sicherheit, wechselte aber plötzlich die Farbe, als Julian sich zu ihr neigte, ihr ein Glas Champagner einschenkte und mit freundlichster Miene leise sagte: Sie schaden Niemand als sich selbst; meine Schwester ist unerreichbar für Sie, und ich bin [277] da, sie zu beschützen. Vergessen Sie das nicht, schöne, gnädige Frau!

Sein Mund lächelte dazu wie bei einem Scherze, aber vor dem drohenden Tone seiner gedämpften Stimme, vor seinem durchbohrenden strengen Blick erschrak Caroline heftig. Sie fühlte, dieser Mann sei zu dem Aeußersten fähig, wo es seine Schwester galt, und sie fing an ihn zu fürchten.

Kaum aber hatte er es gesagt, als er sein Glas füllte, Alfred, um dessen Aufmerksamkeit von Caroline abzuziehen, damit begrüßte und ausrief: Auf das Wohl aller jungen Saaten in Deinen Gütern, der geistigen und der wirklichen. Alfred nickte ihm dankend zu und Julian sprach: Damit soll denn auch dem Ernste Lebewohl gerufen werden und mit dem Nachtische der Frohsinn beginnen. Wir haben uns in der That unterhalten, als säßen wir unter Fahnen und Siegestrophäen bei irgend einem langweiligen Zweckessen, nicht in Mitte schöner Frauen bei der liebenswürdigsten Wirthin. Wollen die Damen uns das verzeihen?

Eva meinte, wenn er Besserung gelobe und beweise, solle Gnade für Recht ergehen, und von dem Präsidenten angeregt, fand bald die heiterste Stimmung Eingang in die Gesellschaft. Scherz und Frohsinn gewannen die Herrschaft. Alle überließen sich der fröhlichsten Laune und Julian war die Seele des Ganzen.

Aber je heiterer die Gesellschaft wurde, je trauriger und schwerer empfanden Therese und Alfred ihre Trennung. An dem bewegten Streite über ernste Gegenstände hatten sie Theil zu nehmen vermocht, der laute Frohsinn der Glücklichen scheuchte sie in sich selbst zurück. Nur die Breite der Tafel trennte sie von einander, aber es war ihnen, als ständen sie an den beiden Polen der Erde. Wie Spott klang die Stimme der Scherzenden in ihr Ohr, und es dünkte sie eine Wohlthat, als Eva, Theresen's Schweigen bemerkend, die Tafel aufhob.

[278] Während man sich nun in den andern Zimmern um die Kamine niederließ, suchte Caroline Theresen auf und war ganz Freundlichkeit für sie, ganz Güte. Sie sprach sehr geflissentlich von der Sorgfalt, mit der das Fräulein sich ihres Knaben angenommen, während sie selbst noch auf dem Lande gewesen sei, wo die Arbeiten des Herbstes sie festgehalten hätten. Dann bat sie um die Erlaubniß, den Knaben zu ihr bringen zu dürfen, drückte den Wunsch aus, den Präsidenten und die Schwester während der nächsten Tage bei sich zu sehen, und rühmte in solcher Weise das große Glück ihrer Häuslichkeit, daß Alfred dazwischentrat, weil er fühlte, sie stehe auf dem Punkte, sich und ihn der Spottsucht preiszugeben.

Er mahnte sie an die Heimkehr und die Gäste fingen an aufzubrechen. Dadurch kam er zufällig in Theresen's Nähe, die er nicht mehr gesucht hatte, weil es ihm zu wehe that, ihr fremd und kalt gegenüberstehen zu müssen. Von dem Gedanken an sein eigenes Loos bewegt, war ihm die in Ehescheidung begriffene Frau eingefallen und er fragte Therese, ob sie von derselben Nachricht habe?

Doch! sagte Therese. Ich habe sie kennen lernen, sie ist eine recht tüchtige Frau. Ich will morgen gegen Mittag zu ihr gehen und hören, wie es ihrer Tochter ergeht, die krank geworden ist.

Wo wohnt sie? fragte Alfred.

Therese nannte die Straße und bezeichnete die Nummer des Hauses. Es ist nicht zu weit von unserer Wohnung und das ist mir sehr lieb und in vieler Rücksicht bequem! sagte sie.

Andere Personen traten dazwischen, Agnes bat um die Erlaubniß, noch ein paar Stunden bei Eva zu bleiben, und Therese erklärte sich damit zufrieden. Man kam überein, daß Julian und Theophil, die mit Alfred noch einen Spaziergang [279] beabsichtigten, das junge Mädchen abholen sollten, wenn sie ihn beendet haben würden.

Eva und Agnes saßen bald darauf, nach Entfernung der Gäste, in dem kleinen Stübchen beisammen, in dem Jene einst Alfred am Morgen nach ihrem ersten Begegnen empfangen hatte. Die beiden jungen Damen waren sich in den letzten Tagen näher getreten, ohne zu wissen weshalb oder wodurch. Es schien, als läge Beiden etwas auf dem Herzen, wofür sie Mittheilung bedurften, und Agnes begann diese mit der Bitte: Sagen Sie mir, Eva, was geht um mich her vor? Ich habe mich bei Therese so heimisch gefühlt wie in dem Hause meiner Eltern. Es war auch Alles so friedlich und ruhig als bei uns. Nun ist das anders geworden. Therese ist sehr niedergeschlagen, ich sehe den Präsidenten bald heiter und froh wie sonst, bald von Sorgen bedrückt. Heute ist er gegen mich gut und zärtlich wie mein Vater, dann kommen Tage, in denen er mich kalt und fremd behandelt. Das beängstigt mich. Ich ahne, ja ich kenne den Grund dieser allgemeinen Verstimmung, aber ich begreife nicht, warum das Ereigniß die Guten so sehr betrübt. Können Sie mir das Räthsel lösen?

Erst lassen Sie mich wissen, mein Schatz, was Sie denken, ehe ich mit meiner Weisheit herausrücke, meinte Eva. Was halten Sie für den Grund von Theresen's Trauer?

Ich glaube, sie liebt –

Alfred? fiel ihr Eva ins Wort, da glauben Sie leider etwas sehr Wahres.

Herrn von Reichenbach? fragte Agnes mit dem Erschrecken, mit dem man eine furchtbare Nachricht erhält, die man nicht möglich glaubt. Ach! die Unglückliche! Nein das habe ich nicht geahnt!

Sie fing zu weinen an und nun kam die Reihe des[280] Ueberraschtseins an Eva. Sie betrachtete Agnes verwundert und fragte: Aber was haben Sie sich denn eingebildet?

Ich glaubte Therese liebe Teophil, denn ich sehe ja, wie er nur für sie da ist, Niemand beachtet als sie, und neulich trat ich in das Zimmer, als – Sie hielt inne, denn mädchenhafte Schüchternheit und Achtung vor Therese hinderten sie, zu erzählen, wie sie Zeuge einer Scene geworden war, die nach ihrer Meinung auf ein Herzensverhältniß zwischen ihrer Beschützerin und deren jungem Freunde hindeuten mußte.

Ich hatte wol manchmal gedacht, Theophil sei zu jung für Therese, da er aber so gut und so gescheidt ist, daß man ihn lieb haben muß, meinte ich, sie könnte dennoch sehr glücklich mit ihm werden, und das machte mich ebenfalls glücklich, denn sie ist ja die Güte selber! sagte sie nach einer Pause.

Seit wann sind Sie denn eine Bewundrerin von Theophil geworden? fragte Eva. Ich erinnere mich, daß Sie noch vor wenig Wochen ihn wegen seiner eingebildeten Leiden verspotteten, daß Sie seine Weichheit Schwäche nannten und ihn gar nicht mochten.

Ach, sagte Agnes erröthend, ich habe ihm damit ein Unrecht gethan, ich habe ihn besser kennen lernen. Wenn Sie sehen sollten, wie standhaft er seine Migräne verbirgt, wie er gar nicht mehr klagt, gar nicht mehr an sich denkt, sondern immer nur bestrebt ist, Therese aufzurichten und zu erheitern, seit er sie leidend weiß, Sie würden ihm gut geworden sein wie ich.

In der That war mit Theophil, wie es Agnes richtig bezeichnete, eine wesentliche Veränderung vor sich gegangen. Was weder die Mittel der Aerzte, noch des Präsidenten und Theresen's Ermunterungen zu leisten vermocht, das hatte seine treue Ergebenheit für die Letztere bewirkt. In dem dringenden Wunsche, ihr beizustehen, fand er Kraft, sich und seine Leiden zu vergessen, [281] seine Hypochondrie zu besiegen. Da er nicht mehr unaufhörlich seiner Körperschmerzen gedachte, da er sich bestrebte, heiter zu sein, um die Freundin zu zerstreuen, fand er die verlorene Heiterkeit wieder, seine Gesundheit besserte sich und mit dem gesteigerten Wohlbefinden kam ihm neuer Lebensmuth und neue Kraft. Er war ein ganz Anderer geworden und Agnes konnte seines Lobes kein Ende finden.

Und was sagt der Präsident zu Ihrer Bewunderung des Assessors? zu Ihrem leidenschaftlichen Liebhaben? fragte Eva.

Er freut sich Theophil's Genesung und ist ihm herzlich zugethan, das wissen Sie selbst, liebe Eva! entgegnete Agnes unbefangen.

Und weiter hatten Sie mir nichts zu sagen? Sonst beunruhigt Sie nichts?

Theresen's Schicksal thut mir so leid, wiederholte sie, denn ich kann mir lebhaft denken, wie unglücklich sie ist, und welche Zukunft steht ihr bevor!

Sie meinen, wenn der Präsident sich verheirathet? fragte Eva und sah das Mädchen scharf und prüfend an.

Der Präsident? Julian soll heirathen, aber wen denn? davon weiß ich ja kein Wort, rief Agnes und fügte lachend hinzu: Den Vogel Phönix möchte ich übrigens wohl sehen, den der Präsident sich auserkoren hat. An allen Frauen findet er Mängel, keine ist ihm schön genug. Gewiß, des Präsidenten Braut kennen zu lernen, würde mich sehr erfreuen.

Da nahm Eva einen kleinen Spiegel, der auf dem Tische vor ihr lag, umfaßte Agnes und hielt das Glas so, daß diese ihr Bild erblickte. Was soll das? fragte sie ganz arglos.

Ihnen das Mädchen zeigen, das Julian sich auserkoren hat, und das er heirathen will.

Agnes lachte hell auf. Sie hielt es für einen Scherz, aber Eva wußte ihr mit solcher Lebhaftigkeit von der Vorliebe des [282] Präsidenten für sie zu sprechen, gab ihr so viel kleine und doch schlagende Beweise dafür, daß das arme Mädchen still und ängstlich wurde und endlich seufzend sagte: Ach! hätten mich meine Eltern doch lieber nicht hieher geschickt. In welche Verwirrung gerathe ich hinein! Wenn es wahr wäre, daß der Präsident an mich dächte –

Nun? fragte Eva, was wäre das für ein Unglück? Da Sie ihm gut sind, werden Sie ihn heirathen und das glücklichste Loos von der Welt haben.

Aber liebe Eva, ich bin ja so jung! Freilich! ich schätze den Präsidenten sehr, aber ich habe mir doch immer gewünscht, einmal einen Mann zu heirathen, den ich liebe, und lieben kann ich ihn so wenig, als man seinen Vater heirathen kann. Ich verehre ihn, ich bin ihm von Herzen dankbar, aber er ist ja viel, viel zu alt für mich; lieben und heirathen könnte ich ihn nie! sagte Agnes sehr bestimmt und fest.

Da fiel ihr Eva um den Hals, küßte sie und rief: Du holdes, süßes Kind! und Du hast es gar nicht geahnt, wie er Dir zugethan ist? Du hast nie daran gedacht, daß Julian's Liebe Dich beglücken könnte? Wie entzückt mich Deine Kindlichkeit! Eine solche Schwester wie Du! das muß ein großes Glück, eine wahre Wonne sein. Möchtest Du mich wohl zur Schwester haben, lieber Engel? fragte sie, Agnes mit wahrer Zärtlichkeit liebkosend.

Gewiß, sagte Agnes, denn wenn Sie es wollen, können Sie unwiderstehlich sein und ich liebe Sie, obgleich Sie mir oft recht wehe gethan haben mit Ihren häßlichen Neckereien in Theophil's Gegenwart.

Es soll nie wieder geschehen, betheuerte Eva. Vergiß es, Liebchen! und nenne mich Du. O! so lieb wie ich Dich habe, so lieb hat Dich Niemand. Wie zeige ich es Dir nur?

Sie eilte zu ihrem Toilettentisch, nahm ein kostbares Armband, [283] auf dem sie als Braut gemalt war und das ihrer Mutter gehört hatte, legte es Agnes an und sagte: Nimm das zum Andenken, und wenn Alles wird, wie wir Beide es wünschen, dann flechte ich Dir bald den Brautkranz in Dein wunderschönes Haar und bin selbst sehr, sehr glücklich. Aber so sprich doch, sage doch, daß Du meine neue Schwester bist, nenne mich Du, liebe Agnes!

Die beiden jungen Frauenzimmer umarmten einander, das trauliche Du ward oft von den blühenden Lippen gesprochen, manch süßes Geheimniß getauscht, und als später Theophil und der Präsident das junge Mädchen abzurufen kamen, erglühten Eva und Agnes in dunklem Erröthen und trennten sich mit der herzlichsten Umarmung.

[284]
13
XIII

Um die zwölfte Vormittagsstunde des nächsten Tages stieg eine reichgekleidete Dame die drei Treppen hinauf, welche zu der, von Therese am verwichenen Tage gegen Alfred genannten Wohnung führten.

Es war Caroline. Sie hatte die letzten Worte gehört, die Alfred mit Therese bei Frau von Barnfeld gesprochen, und nicht gezweifelt, daß es auf eine Zusammenkunft zwischen den Liebenden abgesehen sei. In heftiger Eifersucht hatte sie kaum die Stunde erwarten können, in der sie sich Gewißheit über ihren Argwohn zu verschaffen dachte, und als sie ihren Mann nach eilf Uhr hatte ausgehen sehen, hatte sie sich angekleidet und den Weg nach dem bezeichneten Hause eingeschlagen.

Sie sagte der dort Wohnenden, daß man sie ihr als eine geschickte Arbeiterin empfohlen habe und daß sie gekommen sei, ihr einige Aufträge zu geben. Frau Berent nahm diese mit großer Beflissenheit an, bedauerte aber, sie vermuthlich nicht so schnell ausführen zu können, als es verlangt ward, da die Krankheit ihrer ältern Tochter diese und sie selbst von der Arbeit abhalte. Caroline erklärte sich mit dem Aufschub einverstanden und Frau Berent wähnte nun das Geschäft abgethan, als sie mit Verwunderung bemerkte, daß Caroline sich niedersetzte und Boa und Muff von sich legte.

Sie wohnen recht behaglich, liebe Frau, fing sie theilnehmend an, waren Sie immer so gut eingerichtet?

[285] Ich habe bessere Tage gekannt, gnädige Frau, antwortete Jene, und habe mich bestrebt, mir durch angestrengte Arbeit den äußern Anstrich einer Wohlhabenheit zu erhalten, die nie wiederkehren wird. Meine Töchter und ich haben die Nächte zu Hilfe genommen, wenn wir Arbeit hatten, um uns nur nicht von den Möbeln zu trennen, die ich aus dem Hause meiner Eltern mitgebracht habe.

Und hat der Präsident von Brand sich Ihrer in der letzten Zeit nicht angenommen?

Wie ein Schutzgott hat er für uns gesorgt! rief Frau Berent aus. Er hat es dahin gebracht, daß mein Mann eine andere Wohnung bezogen, er hat uns durch seine Schwester Arbeit verschafft, die uns seit den letzten Monaten fehlte, und den Arzt zu meiner kranken Tochter geschickt. Mit wahrer Großmuth erspart er uns die Demüthigung, Almosen annehmen zu müssen, indem er uns das Geld, das er uns auf die schonendste Weise angeboten, als Darlehn, nicht als Geschenk gegeben –

Die Frau konnte kein Ende finden in dem Lobe des Präsidenten, so daß Caroline sie mit der Frage unter brach: Und seine Schwester kommt auch zu Ihnen?

Ja, sie ist schon mehrmals hier gewesen und hat mir, als sie heute Wein für meine Tochter schickte, sagen lassen, daß sie um Mittag nach uns sehen würde.

Und kommt sie allein, wenn sie sich anmelden läßt?

Der Diener begleitet sie bisweilen.

Sonst Niemand? Haben Sie nicht gesehen, daß sonst Jemand sie begleitete oder sie erwartete, wenn sie fortging?

Gnädige Frau! versetzte die Berent, warum machen Sie diese Frage? Fräulein von Brand ist meine Wohlthäterin und –

Und Sie halten sich für verpflichtet, ihr einen Gegendienst zu leisten, das ist in der Ordnung! meinte Caroline spöttisch. Aber wissen Sie, was Sie damit thun? – Ich höre, Sie [286] wollen sich scheiden lassen, Sie haben einen Mann, der Sie schlecht behandelt: da müssen Sie verstehen, wie einer Frau zu Muthe ist, die von ihrem Mann betrogen wird, und Fräulein von Brand ist es, die meinen Mann dazu verleitet.

In dem Augenblick läutete die kleine Thürglocke, Frau Berent ging hinaus zu öffnen und sah mit äußerster Bestürzung Therese anlangen. Von dieser verehrten Beschützerin Arges zu denken, war ihr unmöglich; und anzunehmen, daß eine so vornehm scheinende Dame, wie Frau von Reichenbach, absichtlich einer ihr fremden Frau das Unglück ihrer Ehe und die Ursache desselben mittheilen solle, ohne mindestens Gewißheit über diese zu haben, schien ihr ebenso unglaublich. Sie hätte Hab und Gut darum gegeben, um Therese zu entfernen, aber sie wußte es nicht anzufangen. Verwirrt und stotternd sagte sie, als diese bei ihr eintrat: Seit mehr als einer halben Stunde ist eine Frau von Reichenbach hier, die unaufhörlich nach Ihnen fragt.

Nach mir? wiederholte Therese. Sie hat Ihnen also wohl auf meine Empfehlung an ihren Mann neue Arbeit gebracht? Das freut mich. Wie stehts mit Ihrer Tochter?

Mit den Worten wollte Therese in das Zimmer gehen, aber Jene hielt sie mit angstvoller Geberde zurück und bat: Gehen Sie nicht hinein, folgen Sie mir; ich bin nur eine schlichte Frau, aber hören Sie meinen Rath und gehen Sie zurück. Es ist gewiß besser, gnädiges Fräulein, Sie gehen zurück.

Therese begriff die auffallende Unruhe der Frau nicht und schickte sich zu neuen Fragen an, als Caroline heraustrat und lächelnd sagte: Sie lassen so lange auf sich warten, daß ich fürchten muß, ich bin es, die Sie abhält, näher zu treten. Wenn ich Sie störe, will ich mich entfernen.

Nicht im geringsten! entgegnete Therese, mein Geschäft hier ist bald abgethan.

[287] Sind Sie hergegangen?

Ja wohl! das schöne Wetter lockte mich dazu.

Und Sie haben Ihren Diener mit?

Therese verneinte es. Warum ließen Sie sich denn nicht wie gewöhnlich von Fräulein Agnes begleiten?

Ich dachte daran; es fiel mir aber ein, die Kranke hier möchte einen Ausschlag oder sonst ein Uebel haben, bei dem ich Agnes einer Ansteckung aussetzen könnte, deshalb ließ ich sie zurück.

Die vollkommen unbefangenen Antworten des Fräuleins schienen Caroline schwankend zu machen; dennoch fragte sie, ob Therese erlauben wolle, daß sie hier ihre Rückkehr aus dem Krankenstübchen erwarte und sie nach Hause begleite?

Sie nahm den Vorschlag ohne Weiteres an und ging mit der Hausfrau zu deren Tochter. Man fand sie schlafend, die Mutter schickte das jüngere Mädchen, das die Kranke bewachte, hinaus, ergriff Theresen's Hände, küßte sie und sagte: Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie beleidige. Ich weiß, es ist unmöglich, was jene Dame mir sagte; aber es könnte sein, daß irgend ein unglücklicher Zufall – daß Sie auf der Straße dem Manne der Dame begegneten und sie in der Vermuthung bestärkt würde, Sie wären um seinetwillen hergekommen –

Die arme Frau konnte vor Verlegenheit die Worte nicht finden, sie bat Therese flehend um Vergebung, falls sie zu weit gegangen sei aus redlicher Besorgniß für sie. Tief verletzt, suchte diese die geängstete Frau zu beruhigen, nahm die nöthige Rücksprache wegen der Kranken mit ihr und kehrte zu Caroline zurück, die ihr auf das freundlichste begegnete und mit der sie sich bald darauf entfernte.

Schweigend schritten sie nebeneinander her. Aber Therese konnte sich nicht überwinden, mit Frau von Reichenbach zu sprechen. Sie war zu sehr erschüttert von der neuen Beleidigung, [288] welche diese ihr wieder zugefügt hatte, während Caroline jede Miene ihrer Begleiterin ängstlich bewachte und unruhig umherblickte, überzeugt, Alfred irgendwo zu begegnen. Aber statt Alfred war es Felix, der mit seinem Lehrer zu Pferde aus dem Park zurückkehrte, als die Damen eben in die Hauptstraße eintraten. Er grüßte freundlich und ritt vorüber. Seine Mutter gerieth dadurch in eine unangenehme Verwickelung. Sie mußte fürchten, der Knabe werde sie fragen, wo sie gewesen sei, und diese Frage könne ihrem Manne den Besuch bei Frau Berent verrathen, den sie ihm zu verbergen wünschte. Auch durch Therese konnte er davon benachrichtigt werden, deshalb fiel sie auf einen Ausweg und bat, als sie sich an der Ecke der Wilhelmsstraße trennten: Wenn Sie meinen Mann sehen sollten, liebes Fräulein, verrathen Sie ihm nicht, daß wir uns heute trafen. Ich habe dort eine Arbeit bestellt, mit der ich ihn überraschen möchte.

Therese sah sie ruhig an und sagte mit Würde: Die Bitte konnten Sie ersparen, Frau von Reichenbach! Durch mich soll Ihr Herr Gemahl es nicht erfahren, wie Sie Ihren und meinen Namen durch niedrigen Verdacht entehren.

Caroline wollte etwas erwidern, begütigend einlenken, aber Therese ließ es nicht zu. Sie verbeugte sich kalt und ging davon.

Unruhig und erbittert, weil sie sich gedemüthigt fühlte, legte Frau von Reichenbach den Weg nach ihrem Hause zurück. Diesmal hatte ihr Verdacht sie betrogen; dennoch glaubte sie an ein dauerndes Einverständniß Alfred's mit Theresen und war gewiß, daß Beide sich oft sehen und sprechen mußten. Alfred's Nachgiebigkeit gegen sie selbst, aus der edelsten Quelle entspringend, nahm sie für Zugeständnisse, die er ihr im Bewußtsein seiner Schuld gegen sie mache. Selbst die ruhige Haltung der Beiden am letzten Mittage dünkte sie ein Beweis, [289] daß es nicht das erste Begegnen nach der Trennung gewesen sein könne, und sie gelobte sich, um jeden Preis die Wahrheit zu erfahren.

Felix brachte sie mit dem Vorgeben einer Ueberraschung zum Schweigen über ihr Zusammentreffen auf der Straße und die nächsten Tage verflossen ohne besondere Störungen für die Eheleute.

Eine Art von Waffenstillstand schien dadurch eingetreten zu sein, der Weihnachtsabend brach herein, man zündete die Kerzen des Tannenbaumes für den Knaben an, und die Bescherung fand statt. Aber war es die trübe, schmerzliche Stimmung des Vaters, die den fröhlichen Knaben beängstigte, oder wirkte das Andenken an die Freuden, die ihm Therese und Agnes verheißen, und die er nun entbehren sollte, nachtheilig auf ihn ein: er stand gleichgültig, fast traurig vor seinen neuen Reichthümern. Er betrachtete die Geschenke, die für ihn bereitet waren, die reichen Angebinde des Vaters für die Mutter, und blickte dabei verstohlen den Vater an, der sinnend in einer Ottomane saß und zerstreut den schönen Kopf seines großen Hundes streichelte.

Während Frau von Reichenbach der Dienerschaft und einigen armen Personen die Weihnachtsgaben zutheilte, Jedem die Größe des Geschenkes durch anpreisende Worte fühlbar machte und, wo es thunlich war, Besserung fordernd, eine Strafrede hielt, stieg Alfred's Unmuth mehr und mehr. Ihm war diese üble Gewohnheit Carolinen's, die sie mit allen Engherzigen theilte, verhaßt. Er liebte es, die Menschen zu erfreuen, er hielt es für unerläßliche Schuldigkeit, dem Armen von dem eignen Ueberflusse mitzutheilen, er fühlte sich glücklich, ein trauriges Antlitz zu erheitern. Mehrmals an diesem Abende hatte er schon Carolinen's unliebenswürdige Weise durch Winke und mißbilligende Bewegungen getadelt. Er hatte sie gebeten, sich [290] der Ermahnungen zu enthalten, in Folge deren alle Beschenkten mißmuthig und gekränkt davonschlichen. Endlich ward es ihm zu lästig und er wollte sich entfernen, als ein Blick auf den Sohn ihn davon zurückhielt. Die ganze Scene erschien ihm so freudlos, ihn jammerte des Knaben und er ging an den Weihnachtstisch, um irgend ein Spiel mit Felix zu beginnen, als dieser fragte: Mama! welches ist denn nun die Ueberraschung, die Du neulich mit Tante Therese bestelltest, als ich Euch auf der Straße zusammen begegnet bin?

Alfred horchte auf, Theresen's Namen, die Erwähnung, daß seine Frau sie ohne sein Wissen gesehen, fielen ihm auf und er fragte: Was meint Felix damit?

Ach! er ist ein Kind! entgegnete sie. Er begegnete mir neulich, als ich von der Frau Berent kam, bei der ich zufällig das Fräulein getroffen hatte.

Du bei Frau Berent? und was wolltest Du bei ihr?

Hast Du mich nicht selbst gebeten, ihr Arbeit zu geben und Dich nicht mehr durch Stricken zu belästigen? antwortete Caroline.

Aber von welcher Ueberraschung spricht denn Felix? fuhr Alfred fort.

Ich weiß es nicht, von einer Ueberraschung war gar nicht die Rede. Was sollte ich dort bestellt haben, etwa die Bücher, die ich für Dich gekauft? oder das Necessaire? Felix weiß nicht, was er spricht.

Der Knabe betheuerte, die Mutter habe ihm streng verboten, dem Vater vor Weihnachten zu sagen, daß er ihr begegnet sei, weil sie ihm eine Freude machen wolle. Caroline schalt ihn einen kleinen Lügner, als Alfred plötzlich fragte: Wann warst Du bei der Berent?

Am Freitage.

Den Tag nach dem Mittagsessen bei Frau von Barnfeld, [291] sagte Alfred mit Bedeutung, da ihm der Zusammenhang klar ward. O! nun verstehe ich's, das ist Deine alte Art, das ist Deiner würdig.

Er that als höre er Carolinen's Worte nicht, die sich spöttisch darüber äußerte, daß er sich des Tages so genau erinnere, wendete ihr den Rücken und setzte sich mit Felix nieder, ein chinesisches Zusammensetzspiel zu versuchen, das man ihm beschert hatte.

Aber seine Gedanken schweiften in die Ferne und er war froh, als die zehnte Stunde schlug und der Knabe zur Ruhe gehen mußte. Das arme Kind hatte keine rechte Lust von dem Feste gehabt, denn Leid und Freude des Einzelnen theilen sich elektrisch den Andern mit, und das Unglück seiner Eltern traf auch ihn.

[292]
14
XIV

Im Hause des Präsidenten hatte der Weihnachtsabend heiterer begonnen. Wenn schon nicht Alle fröhlich waren, so herrschte doch das innigste Wohlwollen unter den Mitgliedern des kleinen Kreises, und Therese war bemüht, die Lust der Andern nicht durch ihre Traurigkeit zu stören.

Die schönsten Erzeugnisse des Luxus hatte der Präsident mit verschwenderischer Liebe für Therese, Eva und Agnes herbeigeschafft; die Freude der beiden jüngern Damen war so ungekünstelt und wahr, daß sie die Uebrigen mit sich fortriß.

Wie fröhliche Kinder betrachteten sie bewundernd die verschiedenen Gaben. Schäkernd steckte Eva einen Strauß künstlicher Orangenblüten in Agnes' Haar, die Theophil dieser geschenkt, während sie sich ein Flacon an kleinem, goldenem Kettchen umhing und es, ohne daß es Jemand gewahrte, leise an ihre Lippen drückte. Der Präsident hatte es ihr gegeben.

Mitten unter den Aufforderungen zu Lust und Scherz drängte sich aber heute ein Bild in Julian's Seele, das er nicht zu verscheuchen vermochte und das sich unheimlich vor sein Auge stellte, wenn es mit unendlicher Theilnahme an Agnes hing. Er hatte die spätern Stunden des vorigen Weihnachtsabends mit Sophie verlebt, sie war so glücklich gewesen, wie diese Frauen um ihn her – wie mochte es ihr heute wol ergehen?

Zum ersten Male seit langer Zeit dachte er ihrer mit [293] lebhaftem Bedauern. Er besaß eben so wenig die Willenskraft, dem Begehren zu widerstehen, das ihn zu einer Frau zog, als es ihm möglich war, ein Verhältniß fortzusetzen, wenn es ihm keinen Genuß mehr bot. Er fühlte nicht die geringste Liebe für Sophie, nicht die mindeste Sehnsucht nach ihr, aber es schmerzte ihn, sie unglücklich zu wissen, sie, der er so viel Entzücken verdankt. Er hätte nichts für sie thun mögen, was zu erneuter Annäherung führen konnte, nur leidend, ohne einen Strahl der Freude, wollte er sie an dem Feste nicht wissen. Er stellte sich vor, wie sie einsam vergangener glücklicher Zeiten gedenken werde, und eilte mit einem gleichgültigen Vorgeben davon, und auf die Straße hinunter.

Der Laden einer Blumenhändlerin war bald erreicht, ein Rosenstock von seltener Schönheit gewählt und ein Bote gefunden, ihn in Sophien's Wohnung zu tragen. Sie sollte und konnte nicht ahnen, woher ihr die Gabe käme, nur eine Freude sollte sie empfinden, und beruhigter durch das Bewußtsein, sie ihr bereitet zu haben, kehrte er in seine Behausung zurück, wo er über die lachende Gegenwart bald wieder der Vergangenheit vergaß, und wo die augenblickliche Wehmuth freudigern Gefühlen wich.

Agnes, die sich seit einiger Zeit in ängstlicher Befangenheit von dem Präsidenten entfernt gehalten hatte, was sie ihm nur noch reizender machte, schien heute mit der Freude an dem Kinderfeste auch die alte Sorglosigkeit wiedergefunden zu haben. Sie sprach von der Art, in der das Fest in ihrem väterlichen Hause gefeiert werde, tausend lachende Erinnerungen aus der Kindheit schwebten ihr vor, und Eva überbot sie noch in lustigen Schwänken, so daß man in fröhlichster Stimmung beisammen var, als plötzlich bleich und verstört Alfred unter sie trat.

Alle blickten ihn erschrocken an. Theophil trat an Thereen's Seite, als ob er sie damit vor der Erschütterung bewahren [294] könne, aber Alfred beachtete es nicht. Er schritt auf Therese zu, bot ihr die Hand und sagte: Ich mußte Sie heute doch wenigstens noch sehen.

Erschöpft sank er darauf in den Sessel neben Therese, die Andern standen schweigend umher, er sah so verstört aus, daß selbst der Präsident das rechte Wort, diesem unerwarteten Ereignisse gegenüber, nicht gleich fand, besonders da ein heftiger Schmerz in Kopf und Brust ihn plötzlich überfiel. Er hatte ihn schon leicht empfunden, als er von seinem Einkauf für Sophie zurückgekehrt war, den er in gewohnter Schnelle auszuführen geeilt, ohne sich gegen die empfindliche Kälte des Abends zu schützen. Jetzt, durch die Erschütterung schien das Uebel sich zu verdoppeln und nur mühsam brachte er die Worte hervor: Du hättest nicht kommen sollen, Alfred!

Zugleich preßte er die Hand gegen die Stirne und sagte: Beunruhigt Euch nicht, es wird vorübergehen, aber mir ist unwohl. Er wollte das Zimmer verlassen, konnte jedoch, von betäubendem Schwindel erfaßt, die Thüre nicht mehr erreichen und ließ sich bewußtlos auf das Sopha fallen, zu dem seine erschreckten Freunde ihn geleiteten.

Man trug ihn mit Hilfe seines Dieners in sein Zimmer, Theophil eilte den Arzt herbeizuholen und dieser erklärte, daß irgend eine bedeutende Krankheit im Anzuge sei, daß man jedoch nicht bestimmen könne, was es werden würde. Vor der Unruhe, welche dies Ereigniß mit sich brachte, vor der ängstlichen Sorge um den Präsidenten trat das unerwartete Erscheinen Alfred's in den Hintergrund. Niemand dachte mehr daran. Alfred half mit Theophil mancherlei Vorkehrungen treffen, die für den Kranken nöthig waren, da man die Dienerschaft fortgesendet, um einen Chirurgen und die Mittel herbeizuschaffen, welche der Arzt schleunig anzuwenden verordnet hatte. Bei diesen Beschäftigungen kam er in Julian's Nähe, der seit einigen [295] Augenblicken die Besinnung wiedergewonnen hatte; er winkte Alfred zu sich heran, und sagte, trotz seines Leidens über sich selbst spöttelnd: Ich muß büßen, weil ich so schwach war, Reue zu empfinden. Aus Sentimentalität kaufte ich einen Blumenstock für Sophie, da packte mich der Nordwind in den Straßen – – Heftige Schmerzen schlossen ihm den Mund; als sie nachließen, wendete er sich nochmals zu Alfred mit den Worten: Mache die Verwirrung nicht größer; suche Dir und uns Frieden zu schaffen – und verlasse Sophie nicht –

Dann fiel er in einen Zustand der Betäubung, aus dem ihn die angewendeten Mittel nicht zu reißen vermochten; die Freunde entfernten sich und Therese blieb allein wachend an dem Lager des theuren Kranken zurück.

Aengstlich auf seine ungleichen Athemzüge lauschend, schwanden ihr die Stunden hin. Von den traurigsten Bildern der Zukunft wendete sich ihr inneres Auge den Erlebnissen der letzten Stunden zu. Alfred's unverhoffte Ankunft, Julian's Erkranken, der eben noch in Fülle der Gesundheit dagestanden, das Alles war so plötzlich und gewaltsam gewesen, daß es sie fast unmöglich dünkte. Sie kannte Alfred zu genau, um nicht zu wissen, daß er einen langen Kampf gekämpft hatte, ehe er gekommen war; sie konnte an der Sehnsucht, die sie den ganzen Abend gehegt, ihn nur einen Augenblick zu sehen, das Verlangen ermessen, das ihn zu ihr geführt hatte. Wie mußte er gelitten haben, um so erschöpft zu werden, als sie ihn gesehen? Und wenn auch er erkrankte? Wenn das qualvolle Leben, das er an der Seite seiner Frau führte, ihn aufreiben sollte? Wenn Alfred stürbe? – Sie ertrug den Gedanken nicht, weil eine innere Stimme ihr zurief: Du bist es, die ihn in den Tod schickt – und sie sah ihn sterben.

Schaudernd bebte sie zusammen und blickte in dem dunkeln Zimmer umher, sich zu überzeugen, daß nur ihre Phantasie [296] ihr die entsetzlichen Bilder vorspiegele. Dabei fiel ihr Blick auf ein Päckchen, das sie vorher nicht bemerkt hatte. Sie glaubte, es könne irgend ein Medikament darin enthalten sein, das man aus Vorsorge hingelegt, und trat leise an den Tisch, es zu untersuchen.

Es war an sie adressirt. Beim Oeffnen fielen ihr lose, beschriebene Blätter entgegen, Gedichte und Aufsätze von Alfred's Hand. Dabei lag ein Brief, dessen flüchtige, unregelmäßige Schriftzüge, abweichend von der schönen Regelmäßigkeit seiner Schrift, deutlich das Gepräge der Aufregung trugen, mit der sie auf das Papier geworfen waren. Das Schreiben lautete:

»Mein Felix ist zur Ruhe gegangen, ich bin allein in meinem Zimmer. Was sage ich! allein? – Steht nicht Dein geliebtes Bild mit dem Zauber seiner stillen Weiblichkeit vor mir? Ich breite meine Arme verlangend nach Dir aus, die Sehnsucht der letzten qualvollen Zeit, den Schmerz des heutigen Abends aufzulösen in dem einzigen Gedanken: Ich liebe Dich.

Eine neue Offenbarung ward, nach dem lieblichen Glauben des Christenthums, leuchtend geboren in dieser Nacht. Ein Stern ging auf an dem dunkeln Himmel. Du bist der Stern, der in mein Leben geleuchtet, von Dir wende ich mein Auge nicht ab, Dir muß ich gläubig folgen, wie die Könige aus dem Morgenlande dem Stern im Osten.

Ich habe gethan, was Du verlangst. Ich leide in Ketten, die mich erdrücken – bist Du frei, bist Du glücklich dadurch geworden?

Mitten aus der kalten Eisregion, in der ich lebe und in der mein Herzblut stockt, ließ das Andenken an Dich diese Blüthen entstehen, glühend, wie die heißen Tropfen, die der Schmerz aus meinem Herzen hervorpreßt.

Du hast sie geschaffen, Du allein sollst sie sehen. Nimm sie hin!«

[297] In tiefer Erregung kehrte sie an das Krankenbett zurück. Gewiß hatte Alfred ihr diese Blätter senden wollen, dann aber mußte der Wunsch, sie zu sehen, übermächtig geworden sein und er hatte sie ihr gebracht, er war selbst gekommen.

Was sollte sie beginnen? Alfred von den Pflichten abwendig machen, die er und Julian für bindend erklärt, das konnte und durfte sie nicht. Sie sah, daß er die Ruhe nicht gefunden hatte, die sie für ihn erhofft, sie ward auch ihr nicht zu Theil, so sehr sie danach strebte. Was erwartete Alfred? Was konnte er begehren, da sie ihm jede Hoffnung genommen hatte, die Seine zu werden? Aber scheidet das arme Menschenherz denn von seinen Wünschen, so lange ihm noch der Schatten einer Möglichkeit bleibt, sie zu erreichen?

Mit einemmale tauchte in diesem Augenblicke der Gedanke in ihr empor: Wie! wenn ich eine unumstößliche Scheidewand zwischen uns stellte? Theophil's großmüthige Bewerbung fiel ihr ein. Er kannte ihre Liebe für Alfred seit langer Zeit, er bot ihr dennoch seine Hand. Wenn sie sie annähme, wenn sie Theophil's Frau würde? Wie dankbar wollte sie einem Manne sein, der sie und mit ihr Alfred von den Leiden erlösete, aus denen sie keinen andern Ausweg sah.

Alfred mußte sich dann beruhigen, er mußte sie zu vergessen suchen, er konnte die Frau eines Andern nicht begehren, sagte sie sich. Aber liebte sie selbst nicht Carolinen's Gemahl, und hatte sie trotz aller Kämpfe aufgehört, ihn zu lieben? – Hier von dem Krankenlager des einzigen Bruders, das sein Todtenbett werden konnte, schweifte ihre Seele noch zu Alfred hinüber. Sie konnte des Bruders Leiden für Augenblicke vergessen, sie wollte Theophil's Gattin werden und trug das Bild eines Andern unauslöschlich im Herzen. Theophil, den hingebenden, vertrauenden Freund wollte sie für Alfred opfern, sich selbst zu einer Ehe [298] erniedrigen, die den Keim des Unglücks in sich schloß, weil sie auf Unwahrheit gegründet war.

So weit hatte sie sich schon von der schlichten Pflichterfüllung entfernt, die ihr Ziel gewesen war seit frühester Jugend, und wo war das Ende dieser Leiden? – Angstvoll prüfte sie ihre Handlungen, blickte in die verborgensten Falten ihrer Seele und der Gedanke, sie könne in redlichster Absicht falsche Wege gewandelt sein, fing an sie zu martern, als Julian sich unruhig umherwarf und eine Hilfsleistung von ihr verlangte. Der lethargische Schlummer, der ihn bis dahin gefesselt, machte einem heftigen Fieber Platz. In beängstigenden Phantasien ergriff er die Hände der Schwester, und regungslos, die Augen in tödtlicher Angst auf Julian's bleiches Gesicht geheftet, kniete sie an seinem Lager, bis die ersten trüben Strahlen des Wintermorgens in das Zimmer fielen und mit der Nacht die wilden Träume des Kranken zu fliehen schienen.

[299]
15
XV

In den Stürmen, welche Alfred's Leben bewegt, hatte er Sophien's weniger gedacht und sie fast gar nicht gesehen. Julian's Bitte, sie nicht zu verlassen, fiel wie ein Vorwurf in seine Seele und schon am frühen Morgen des ersten Feiertages schickte er sich an, sie aufzusuchen. Briefe und Journale, die ihm gebracht wurden und die er lesen mußte, hielten ihn davon ab.

Der Verwalter sendete ihm den Abschluß der Jahresrechnung, der höchst günstig ausgefallen war, als Weihnachtsgabe. Alfred sah die Papiere nicht an, jede praktische Beschäftigung war ihm lästig geworden. Der Besitz großer Reichthümer hatte so wenig zu seinem Glücke beigetragen, daß es ihm gleichgültig schien, wenn zu den Summen, die er besaß, sich noch neue ansammelten. Klagen seiner Arbeiter, Bitten um Erlaß von Abgaben blickte er flüchtig durch, und suchte durch Befehle, die er an den Rand schrieb, den Beschwerden abzuhelfen, die Forderungen zu gewähren. Aber das Alles war ihm nicht mehr Lust und Bedürfniß wie früher; er that es, um es abgethan zu haben. Er fühlte sich kalt dem Kummer der Armen gegenüber, er hatte nur Sinn für die eigenen Leiden.

Anfragen seines Buchhändlers, Kritiken seiner letzten Arbeiten legte er ungelesen von sich. Was war ihm das Urtheil der Menge? Konnte es ihn beglücken? Konnte Ruhm ihn vergessen machen, was er entbehrte?

Mit Erschrecken empfand er, wie er gleichgültig geworden [300] sei gegen Alles, was ihm einst erfreulich und theuer gewesen, weil Ein Wunsch jedes andere Interesse überwog und ertödtete. Er kam sich abgestorben vor und legte misgestimmt die Papiere wieder fort, als ihm ein schwarzgesiegelter Brief in die Hände fiel, den er noch nicht eröffnet hatte. Die Handschrift war ihm fremd, er sah nach der Unterschrift und fand Ruhberg's Namen. Mit bedauernden Phrasen und schlechtverhehlter Freude kündete er Alfred den Tod des Domherrn Fernow an und meldete, daß er gleich nach Neujahr in die Stadt kommen werde, wo er die Ehre zu haben hoffe, Frau von Reichenbach, sein geschätztes Beichtkind zu begrüßen. Er bat Alfred, den kleinen Streit, der zwischen ihnen vorgefallen sei, zu vergessen, da der Domherr sterbend den Wunsch ausgesprochen habe, sie möchten sich zu christlicher Versöhnung geneigt finden lassen. Er schloß mit der Versicherung, wie er den innigsten Antheil an dem guten Einverständniß der Eheleute nehme, das er zu seiner großen Freude zum Theil als sein Werk betrachten dürfe.

Die Heuchelei erfüllte Alfred mit Verachtung, und die Aussicht, den verhaßten Ruhberg bald in seiner Nähe zu wissen, war ihm eben so unangenehm, als der Tod des Domherrn schmerzlich. Er hatte einen treuen, zuverlässigen Freund in ihm verloren, einen liebenswürdigen Gutsnachbar, und seine Besitzungen einen geistlichen Hirten, der klar die Bedürfnisse der Zeit verstand und nach diesem Verständniß handelte.

Er trug den Brief in Carolinen's Zimmer. Sie kam aus der Messe und hatte dort von andern Damen das plötzliche und gefährliche Erkranken des Präsidenten erfahren. Sie theilte es ihrem Manne mit, ohne zu ahnen, daß dieser bei dem Vorfalle gegenwärtig gewesen sei, und fragte ihn, ob er nicht hingehen werde, den kranken Freund zu besuchen.

Alfred, von dem Vorschlag aus ihrem Munde überrascht, mochte seine Befremdung darüber nicht genug verbergen, so daß [301] Caroline seine Hand ergriff und sagte: Glaubst Du denn, Alfred, ich hätte kein menschliches Gefühl? Therese dauert mich sehr, sie wird Trost nöthig haben, gehe doch zu ihr.

Er war von diesen Worten bewegt, er wußte sie ihr Dank und hätte sie umarmen mögen, wäre ihm nicht das Bewußtsein störend gewesen, er habe seiner Frau den gestrigen Besuch in Julian's Hause und die Widmung der Gedichte an Therese zu verschweigen. Er fühlte, wie die Nachsicht seiner Frau allein im Stande wäre, ihm das Opfer möglich zu machen, das er sich auferlegte. Er sagte ihr das offen, wie er es ihr bei ihrer ersten Zusammenkunft in Berlin gesagt, aber dies Vertrauen verstand sie nicht zu würdigen.

Sei immer so gut, Caroline! bat er, lehre mich, Dich wieder zu lieben, laß mich eine friedliche Heimath in meinem Hause finden, in der ich ausruhe von dem Kampf meiner Seele. Wir sind durch unsere Schuld in Verwirrungen mancher Art gerathen, stehe mir bei, uns daraus zu erlösen; Du kannst es durch Güte und Sanftmuth. Mein Wille war redlich und gut und mein Kampf ist schwer.

Sie versprach mit tausend Schwüren Alles, was er verlangte. Sie war nicht böse, aber ihre Seele hatte Schaden genommen in ihrer unglücklichen Ehe. Von jedem Aufschwung ihres bessern Gefühls sank sie in die Schwächen zurück, die ihr zur zweiten Natur geworden waren. Sie fühlte nicht, welche Ueberwindung es Alfred kosten mußte, vor ihr seiner Liebe und seines Kampfes zu gedenken; sie begriff das ehrende Vertrauen nicht, das in seiner Bitte lag, ihm durch Güte und Nachsicht beizustehen. Es schien ihr, als müsse Alfred seine Liebe, die sie seit lange kannte, vor ihr verbergen; und doch fehlte ihr die Schonung, dasjenige nicht errathen zu wollen, was er nach ihrer Meinung nicht gestehen durfte.

Sie gehörte nicht zu den großen Frauenseelen, denen es [302] möglich ist, in solchen Verwirrungen wie ein rettender Schutzgeist zu helfen und sie zu lösen. Ihr fehlte das einzige untrügiche Mittel dazu, die Selbstverleugnung und das rückhaltlose Hingeben an das Herz des Mannes. Hätte Caroline das vermocht, hätte sie den Muth und die Liebe besessen, Alfred Zeit zu gönnen, hätte sie sich zu seiner Vertrauten zu machen gesucht, so würde das Gefühl des gerechten Dankes, das sie ihm eingeflößt, zu einem neuen und dauernden Bande zwischen ihnen geworden sein. Aber diese Seelengröße war ihr nicht gegeben.

Schon nach wenig Augenblicken bereute sie es, Alfred zu dem Besuche bei Therese aufgefordert zu haben, und sann auf Mittel, ihn dorthin zu begleiten, als ihm ein Diener ein Billet überbrachte. Es war von Therese und enthielt nur die Worte: »Julian hat ein Nervenfieber, sein Leben ist in Gefahr. Kommen Sie nicht zu mir, ich darf und will nichts denken, als ihn. Ich beschwöre Sie, kommen Sie nicht!«

Er las das Blatt und steckte es zu sich, ohne etwas zu sagen. Caroline hatte in der Adresse eine weibliche Handschrift zu erkennen geglaubt und begehrte in hellauflodernder Eifersucht zu wissen, was das Billet enthalte. Alfred wich Anfangs ihren Forderungen aus, endlich, da sie immer dringender ward, gab er ihr das Blättchen.

So hast Du sie dennoch wiedergesehen! rief sie aus. O! ich Thörin, ich glaubte, Du würdest dazu meiner Erlaubniß bedürfen! ich Thörin, die in blinder Gutmüthigkeit Dich bat ihr Trost zu bringen.

Caroline! sagte Alfred, ich habe Therese nur einmal gesprochen, ohne daß Du es weißt. Ich hatte mir's gelobt, sie nur in Deinem Beisein zu sehen; aber der Unfriede des gestrigen Abends lastete zu schwer auf mir. Das Mistrauen hatte mich erbittert, mit dem Du Therese und mich auf's Neue beleidigtest; mich erdrückte gestern Abend die Freud- und Lieblosigkeit in [303] unserm Hause und fast ohne daß ich es wollte, fand ich mich in Theresen's Nähe nach langem einsamen Umhergehen wieder.

Spare die Entschuldigung, meinte Caroline, außer sich vor Zorn, ich glaube Dir nicht mehr, und Du und sie Ihr verdient keinen Glauben.

Alfred, einer der wahrhaftesten Menschen, empfand diesen Vorwurf schwer, ein neuer, lebhafter Streit entstand. Er endete mit solcher Erbitterung von beiden Theilen, daß sie sich im Laufe der nächsten Tage zu begegnen vermieden und sich auswichen, wenn sie zufällig irgendwie zusammentrafen.

[304]
16
XVI

Die Krankheit des Präsidenten hatte einen sehr gefährlichen Charakter angenommen. Als Alfred zu Sophien kam, war sie von derselben bereits unterrichtet und trat ihm mit der Frage entgegen, wie es Julian ergehe? Er konnte ihr nicht verbergen, daß der Zustand sehr bedenklich sei, fügte aber hinzu, daß man dennoch bei seines Freundes kräftiger Natur das Beste hoffen dürfe.

Sie hörte ihm ungläubig zu, lächelte schmerzlich und sagte: Ich hoffe nichts, Julian wird sterben. Sehen Sie, mein Freund! diesen Rosenstock brachte mir am Weihnachtsabend ein Knabe, als ich in tiefster Wehmuth der Vergangenheit dachte. Der Bote kannte den Geber nicht, aber mein Herz errieth ihn, meine innere Freude sagte mir, er käme von ihm. Die Blumen prangten in vollster Pracht. Glücklich, daß er meiner doch gedenke, daß ich nicht ausgetilgt sei aus seiner Seele, trug ich den Topf in mein Zimmer und drückte mein Gesicht in die Blüthen. Mir schien, als lehnte ich mich an sein Herz. Kaum aber war es geschehen, kaum war der Rosenstock eine kurze Zeit in meinem Besitze, als seine Blätter sich senkten; er fing an zu welken und ich wußte, was mir bevorstand, als ich am nächsten Morgen von meinem Arzte hörte, Julian sei erkrankt.

Vergebens stellte ihr Alfred vor, das Welken des Rosenstockes [305] sei ein durchaus natürliches Ereigniß. Er ist in Treibhauswärme erwachsen, sagte er, dann hat ihn die kalte Nachtluft plötzlich berührt, ehe er in die warme Atmosphäre Ihres Zimmers gebracht wurde, das hat die Pflanze getödtet. Warum denn gleich das Schlimmste glauben? Warum in diesem Zufall so trübe Vorbedeutung suchen?

Sie sind ein Dichter, wendete Sophie ein, und können an das blinde Walten des Zufalls glauben? Haben Sie nie den wunderbaren Zusammenhang alles Erschaffenen empfunden? Haben Sie nie gefühlt, wie die Weltseele das All durchdringt und harmonisch wirkt in uns und in der Pflanze, in den Sternen und in den Thieren? Ich bin gewiß, alles Lebende empfindet mit uns, unsere Liebe klingt auch in den Geschöpfen wieder, denen kalte Philosophen die Empfindung absprechen. Ich halte fest an der Zuversicht, daß ein Theil von der Seele des Geliebten in allen Gaben lebte, die ich ihm verdanke und von denen ich mich nur mit blutendem Herzen trennen werde. Es wird mir ein erneuter Abschiedsschmerz sein und doch muß auch dieser durchlebt werden.

Ihre frühere Lebhaftigkeit hatte einer stillen Trauer weichen müssen, ihre Bewegungen waren langsamer und ruhiger geworden, das Feuer ihres einst so brennenden Auges gedämpft und selbst ihre Kleidung, schwarz und von einfachster Form, trug dazu bei, sie gänzlich verändert scheinen zu lassen. Alfred hatte diese Verwandlung gleich bei seinem Eintreten bemerkt und fragte sie, ob sie denn immer noch bei ihrem frühern Vorsatze beharre. Er hielt ihr die Bedenken vor, die sich in ihm dagegen regten, er bat sie, noch ein Jahr zu warten, er stellte ihr die traurige Einsamkeit des Klosterlebens, die Reize der Welt in den lebhaftesten Farben vor, und ging so weit, sie nochmals auf eine mögliche Aussöhnung mit Julian zu verweisen, um sie nur von ihrem Vorhaben zurückzuhalten.

[306] Sie hörte ihm mit dankender Freundlichkeit zu. Die Erwähnung, daß Julian ihrer mitten in den Schmerzen seiner beginnenden Krankheit gedacht habe, füllte ihr Auge mit Thränen. Gott lohne es ihm, sagte sie, es sind die reinsten Freudenthränen, die ich weine! Daß er meiner liebend gedenkt, das ist der schönste Segen, den ich aus der Welt in die Zukunft hinüberzunehmen verlangen konnte. Ein anderes Glück giebt es für mich nicht und ich habe nur noch einen Wunsch: ich muß ihn sehen, ehe er stirbt.

Er wird nicht sterben und Sie werden ihn noch oft wiedersehen in Fülle der Gesundheit; hoffen Sie es doch mit mir! bat Alfred.

Schreckt Sie der Gedanke an seinen Tod, entgegnete Sophie, so nehmen Sie meine Bitte in anderm Sinne. Lassen Sie mich Julian noch ein Mal sehen, ehe ich sterbe für die Welt. Ist es Ihnen so lieber? fragte sie mit dem anmuthigen Lächeln, das noch vor wenig Monaten die kunstliebende Residenzstadt bezauberte. Ich habe endlich vor einigen Tagen meinen Abschied vom Theater erhalten, ich bin nun frei und könnte die Stadt verlassen, hätte ich ihn noch ein Mal gesehen. Dazu sollen Sie mir verhelfen. Sie sollen mich in sein Zimmer führen, auf welche Art Sie es zu machen wissen; das soll der Dienst sein, den ich von Ihnen fordere.

Alfred berichtete ihr, daß er selbst das Haus des Freundes nicht besuche, daß Therese ihn aus ihrer Nähe verbannt habe, und unwillkürlich ergoß sich der Strom seiner Leiden in Sophien's theilnehmende Seele. Was er ihr aus Rücksicht für seine Gattin und für Therese verschwieg, ergänzte ihr feines Gefühl. Sie hatte das feinste Verständniß für die verborgensten Räthsel in einer fremden Brust. Sie wußte in einer Weise zuzuhören, die mehr erquickte und beruhigte, als die freundlichsten [307] Trostesworte jedes Andern. Ihr Auge tauchte unter in die Seele des Leidenden und sein milder, warmer Schein trocknete die Thränen im tiefsten Grunde des Herzens, die nicht an das Licht hervorzubrechen wagten.

Auch Alfred fühlte sich besänftigt und beruhigt in ihrer Nähe. Er sagte ihr, wie werth sie ihm sei, wie ungern er sie scheiden sähe. Niemand, der wie Sie die Macht zu trösten besitzt, sagte er, darf diese heilige Gabe selbstsüchtig unbenutzt lassen, Ihr Beruf ist es, die Leidenden zu erquicken – –

Das will ich ich ja auch thun, rief sie mit großer Erhebung, das will ich thun, wenn Gott mir die Kraft dazu gibt; das gerade ist ja mein Vorsatz. Ich habe nicht mehr daran gedacht, in müßigem Hinbrüten mein Leben zu verlieren, seit ich mich wieder emporgerafft habe aus der stumpfen Betäubung meines ersten Schmerzes. Mir lebte eine Tante in Paris, die ich in meiner Kindheit oft gesehen habe; später trennten unsere verschiedenen Lebenswege uns gänzlich. Sie ist barmherzige Schwester. –

Alfred schreckte auf, er ahnte, was Sophie ihm sagen würde. Sie bemerkte sein Erstaunen und meinte: Wie die Welt wunderlich urtheilt und selbst die Besten vor ganz natürlichen Dingen erschrecken! Was ist es anders, wenn eine Mutter die kranken Kinder pflegt, wenn eine Frau gramvolle Nächte am Bette des Gatten durchwacht? Ich habe Niemand auf der Welt als Julian, der mein nicht mehr begehrt; ich stehe allein, ein Theil der leidenden Menschheit – sie kann meiner Dienste bedürfen und ihr will ich sie weihen. Ich bin ein Kind des Volkes, ich habe die Reichen und Glücklichen entzückt und erfreut, als ich selbst froh und glücklich war; lassen Sie mich nun zu dem Volke, zu den Armen zurückkehren und die Unglücklichen und Leidenden erquicken. Das dünkt mich der[308] schönste Beruf, seit ich empfunden habe, was das Leiden ist. Ich habe meiner Tante geschrieben, der Brief hat sie noch lebend und rüstig gefunden. Sie freut sich meiner Absicht, sie wirkt noch immer segensreich an den Krankenbetten des Hôtel Dieu und unter ihrer Leitung werde ich meine neue Laufbahn beginnen.

Die sichere, freudige Klarheit, mit der sie sprach, beruhigte Alfred über sie. Er fühlte, daß nicht alle Naturen auf gleiche Weise zum Ziele, zum Frieden mit sich selbst gelangen können. Der Wirkungskreis, den Sophie jetzt erwählte, schien ihm ihrer würdiger, ihrem Gemüthe angemessener, als die klösterliche Einsamkeit, an die sie früher für ihre Zukunft gedacht hatte. Er sagte ihr das und sie bat: Lassen Sie mich denn, nun Sie meinen Vorsatz billigen, sobald als möglich scheiden. Lieber Freund! nur einen Augenblick lang führen Sie mich in Julian's Zimmer, nur noch einmal muß ich vorher seine theuren Züge sehen. Ich darf ja kein anderes Bild von ihm behalten, als das in meinem Herzen! Gönnen Sie mir das einzige Glück, das ich fordere! Erfüllen Sie die erste Bitte, die ich an Sie richte. Sie haben mir ihre Freundschaft angeboten, auf diese richtet sich meine Hoffnung. Ich muß ihn sehen!

Ihre Bitten, ihre feste Erklärung, sie müsse und werde die Erfüllung dieses Wunsches erreichen, machten Alfred ungewiß, was er thun solle. Er kannte sie genug, zu glauben, sie werde nicht von ihrem Verlangen lassen, und er fürchtete, daß sie die Erreichung desselben in einer Weise bewirken dürfte, die für Julian oder Therese nachtheilig werden könnte. Deshalb versprach er ihr, er wolle versuchen, ihren Wunsch zu erfüllen, wenn sie ihm dagegen gelobe, keine Schritte ohne sein Vorwissen zu thun und geduldig zu warten, bis er es möglich machen könne, ihr zu willfahren.

[309] Ich bringe Ihnen Nachricht von Julian, sagte er, ich verheimliche Ihnen nichts, vertrauen Sie mir. Ich komme noch oft, Sie zu sehen, so lange Sie bei uns weilen. Lassen Sie mich Muth und Entschlossenheit in Ihrem Beispiel finden. Mein Herz ist auch wund und mein Geist ist sehr müde; sein Sie auch künftig mir eine barmherzige Schwester, ein Engel des Trostes, wie Sie es mir heute gewesen sind.

[310]
17
XVII

Alfred hielt Wort. Fast täglich besuchte er Sophie, aber die Nachrichten, die er ihr zu bringen hatte, waren wenig erfreulich. Der Zustand des Präsidenten schwankte anfangs hin und her, dann verschlimmerte er sich bedeutend und die Aerzte verwiesen, nachdem der siebente Tag vorüber war, auf eine Krisis am vierzehnten oder einundzwanzigsten Tage. Beide, Alfred sowol als Sophie, empfanden, getrennt von dem Gegenstande ihrer Sorge eine große Unruhe, und das Dasein in seinem Hause trug nicht dazu bei, Alfred über die Sorge fortzuhelfen. Der Unfriede zwischen den Eheleuten wuchs immer mehr. Caroline ging Tage hindurch schmollend an ihrem Manne vorüber, bis sie plötzlich eine Anwandlung von Reue empfand und Versöhnung suchte. Aber Versöhnung setzt gänzliches Vergessen des geschehenen Unrechts voraus und dies Vergessen erfordert Liebe. Liebe vergibt und vergißt, weil sie zu lieben verlangt. Sie freut sich, wenn es ihr gelingt, die Fehler des Geliebten verschleiern, sich über seine Mängel täuschen zu können; sie will nicht Rechte fordern, nicht gerecht sein, sie will gewähren, Nachsicht üben und, wenn es sein kann, bewundern und beglücken.

Diese Liebe hatte der Ehe seit ihrem Beginnen gefehlt und sie allein macht es möglich, daß ein Bündniß zwischen Menschen, bei den Schwächen der menschlichen Natur, ein glückliches werde. Alfred zwang sich, gerecht gegen Caroline zu sein, das mußte [311] zu ihrem Nachtheil ausfallen, denn ihre guten Eigenschaften wurden durch ihre Mängel überwogen. Caroline hingegen fühlte nicht, daß sie sich zur höchsten Würde einer Frau erhebe durch Milde und Schonung; sie fürchtete, sich zu erniedrigen durch Nachsicht, sie fürchtete, in ihren Rechten gekränkt zu werden. Die Eheleute, die nur Einen Willen, nur Einen gemeinsamen Wunsch haben sollten, den Wunsch, zusammen, durch einander glücklich zu werden, standen sich mit getrennten Wünschen, mit gesonderten Interessen gegenüber. Wo es dahin gekommen ist, wo Eheleute einmal empfunden haben, daß sie nicht Eins sind in unauflöslicher Verbindung, wo sie sich als zwei gesonderte Parteien zu denken angefangen haben, da ist das Glück des Hauses unwiederbringlich zerstört. Nur Liebe vermag den menschlichen Egoismus zu besiegen, ohne sie bricht er hervor und fordert gebieterisch Selbsterhaltung und Glück.

Weder die Aufwallungen edlerer Gefühle in Caroline, noch Alfred's gute Vorsätze vermochten die oftmals wiederkehrenden Aussöhnungen dauernd zu machen. Nach kurzem Frieden begann der Streit um so heftiger, und besonders in Alfred, dem das Unschöne dieser Verhältnisse doppelt verletzend war, bildete sich eine dauernde Erbitterung aus, die sich bald von beiden Seiten zu rücksichtsloser Härte steigerte.

Das Leben in seinem Hause wurde ihm so unerträglich, daß er jeden Anlaß wahrnahm, der ihn daraus entfernte. Er besuchte Theater und Gesellschaften, um dem Misbehagen zu entgehen, das ihn plagte, um sich selbst zu entfliehen. Von Natur häuslich und wissenschaftlichem Stillleben geneigt, stürzte er sich in einen Strudel von Vergnügungen, um nicht zu empfinden, wie unmöglich ihm jede Arbeit geworden sei, seit er die innere Ruhe dazu verloren hatte. Aber der Taumel der Zerstreuungen spannte ihn ab, ohne ihn einen Augenblick vergessen zu machen, was er zu vergessen wünschte. Stumpf und [312] ermüdet kehrte er in die Heimath zurück, wo er Caroline fand, ebenfalls übersättigt von leeren Genüssen, verdrießlich und schmollend wie er. Der geringste Anlaß führte in diesen Stimmungen Mishelligkeiten herbei und Felix fing an, die Eltern zu vermeiden, wenn er sie allein beisammen fand. Oftmals ward er von Caroline gescholten, nur weil Alfred ihn gelobt hatte. Sie wußte, es thue Alfred wehe, den Knaben leiden zu sehen; sie litt durch Alfred und in der Aufwallung der gekränkten Gattin vergaß sie die Mutter. Es war das unglückseligste Verhältniß von der Welt.

Nur in Sophien's Nähe besänftigte sich die innere Zerstörtheit Alfred's, die fieberhafte Unruhe, die ihn umhertrieb, das Elend seiner Ehe zu fliehen, und Glück und Liebe zu suchen, die für ihn an Theresen's Seite erblühen mußten. Mit Sophie, der er sein Lieben vertraut, sprach er von seinen Wünschen, von seinen Vorsätzen, bei ihr fand er ein theilnehmendes Herz. Immer länger dehnten sich seine Besuche bei ihr aus und wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, sagte er traurig: Lassen Sie mich hier ausruhen, Sophie! bei Ihnen ist der heilige Tempel, in dessen Mauern die Eumeniden mir nicht zu folgen wagen. Nur so lange lassen Sie mich verweilen, bis ich die Ruhe gefunden habe, zu wollen, was ich muß.

Eines Abends kehrte er von der Freundin zurück und kam in Carolinen's Zimmer, seinen Sohn zu sehen. Er fand den Kaplan Ruhberg bei ihr, und sie ging hinaus, bald nachdem ihr Gatte eingetreten war. Der Kaplan kam dem Hausherrn mit geflissentlicher Freundlichkeit entgegen und bot ihm die Hand. Alfred that, als bemerke er es nicht. Es war ihm unmöglich, einen Mann traulich zu begrüßen, den er nicht in seinem Hause zu sehen wünschte. Ruhberg brachte ihm Nachrichten aus der Heimat und sprach von den Angelegenheiten auf Reichenbach's Gütern, soweit sie die kirchlichen Verhältnisse betrafen. Dann [313] rückte er endlich mit der Bitte hervor, daß Alfred, der mannichfache Bekanntschaften unter den Räthen der verschie denen Ministerien besaß, seinen Einfluß zu Gunsten Ruhberg's verwenden solle, um dessen Bestätigung als Domherr zu erlangen, die noch zweifelhaft schien. Die Behörden standen an, die auf ihn gefallene Wahl gutzuheißen, da seine hierarchischen Tendenzen nur zu sehr bekannt waren.

Alfred nahm seine Bitte kühl auf und sagte, da Ruhberg dringender wurde: Sie verkennen einerseits meinen Einfluß, mein Herr Kaplan, andererseits mich selbst. Ersterer reicht nicht so weit, als Sie glauben, und ich kann ihn nicht unbedenklich für Jemand anwenden, dessen Grundsätze und Ansichten den meinigen so sehr entgegen sind, als die Ihren. Im Uebrigen, Herr Caplan, denken Sie von meiner christlich vergebenden Gesinnung besser als ich selbst, denn ich habe weder vergessen noch kann ich vergeben, was Sie gegen mich verschuldet haben.

Der Kaplan erbleichte und ein Blick, scharf wie der Stachel einer Schlange, schoß aus seinen Augen auf Alfred, aber keine Muskel seines Gesichtes bewegte sich. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Herr von Reichenbach! sagte er. Ich bin mir bewußt, Sie wegen des kleinen Streites in Rosenthal um Vergebung gebeten zu haben, und was die Milde betrifft, er betonte das Wort scharf, die Sie an meinem Vorgänger so hoch geschätzt haben, und die Sie in gewissen Fällen vielleicht selbst bedürfen könnten, so sollen Sie mich so mild als Ihren verstorbenen Freund, den Domherrn, finden. Mit der kirchlichen Würde soll mir die christliche Milde kommen, wie ich hoffe. Es ist schwer in untergeordneter Stellung sich frei und richtig zu entwickeln, das Amt giebt Kraft und Einsicht mit dem Beistand Gottes.

Ich bedarf Ihrer Milde nicht, sagte Alfred stolz, und ich habe Ihnen keine Milde angedeihen zu lassen, nach der Beleidigung, [314] die Sie, und wie ich erkundet habe, Sie allein mir mit der gehässigen Zeitungsanzeige zugefügt haben, deren Sie sich wohl erinnern werden. Damit ist Alles zwischen uns gesagt.

Er schritt hinaus, ließ Ruhberg stehen und ging seine Frau aufzusuchen, der er verbot, den Kaplan bei sich oder außer ihrem Hause zu empfangen und zu sprechen.

[315]
18
XVIII

Langsam und drückend schwer gingen die Tage an Therese vorüber. Sie hatte gleich nach des Bruders Erkranken ihre Pflegetochter von sich entfernen, sie zu Frau von Barnfeld schicken wollen, aber Agnes hatte es mit Bestimmtheit verweigert, sich von ihr zu trennen. Sie erklärte, daß Nichts sie vermögen würde, die Freundin, der sie so viel frohe Stunden verdanke, der sie von Herzen ergeben sei, zu verlassen, nun da diese in Angst und Sorgen sei, und Therese hatte sich in ihre Ansicht gefügt.

Mit verständiger Thätigkeit und großem Geschick übernahm Agnes alle häuslichen Geschäfte, die sonst der ältern Freundin oblagen. Sie sorgte für Alles, wußte für Alles Rath, was Julian irgend bedürfen konnte, so daß Therese sich mit ruhiger Zuversicht ausschließlich der Pflege des Bruders widmen durfte. Dabei schien das junge Mädchen sich recht in ihrem Elemente zu fühlen und trotz wirklicher Sorge um den Präsidenten und mancher körperlichen Anstrengung ihren ruhigen, klaren Sinn zu behalten. Das machte sie Therese immer werther und ward für Eva unschätzbar, die alle Fassung verloren hatte.

Schon am frühesten Morgen kam sie zu den Freundinnen und verließ sie so spät als möglich. Wie Agnes wünschte sie helfen und nützen zu können, aber die gänzliche Unkenntniß aller häuslichen und wirthschaftlichen Fertigkeiten hinderte sie daran. Doppelt betrübt durch die Unthätigkeit, zu der sie sich [316] verdammt fühlte, saß sie tagelang mit verweinten, halbgeschlossenen Augen da. Sie war ein wahres Bild des Kummers, und Therese sowohl als Agnes und Theophil empfanden inniges Mitleid mit ihr. Konnte man irgend eine Beschäftigung für sie ermitteln, die sich auf Julian bezog, dann belebte sie sich plötzlich; war die kleine Arbeit beendet, so sank sie in die frühere Abspannung zurück. Sie machte den rührenden Eindruck eines kranken Kindes und wie ein solches ward sie von Agnes mit unwandelbarer Güte und Nachsicht behandelt, die, obgleich bedeutend jünger als Eva, jetzt wie ihre Beschützerin auftrat.

Theophil entging die große Tüchtigkeit des jungen Mädchens nicht und er wußte ihr die Erleichterung Dank, welche sie Theresen verschaffte. Unablässig für diese besorgt und vorsorgend, dachte er dennoch daran, auch Agnes Beweise seiner Theilnahme und Achtung zu geben, die sich von Tag zu Tag für sie steigerten. Durch Agnes erfuhr er zu jeder Stunde, wie es um Julian stehe, wie Theresen's Stimmung sei, denn diese selbst war nur für Augenblicke sichtbar.

Tag und Nacht an Julian's Lager beschäftigt, schien sie fast übermenschliche Kraft in sich zu finden, um dem Bruder nie zu fehlen, wenn für kurze Zeit die Nebel des Fiebers von ihm wichen und er seine Umgebung erkannte. Am Neujahrsmorgen hatte sie einen Brief von Theophil's Mutter erhalten, die ihr in den wärmsten Ausdrücken für die Güte dankte, welche sie dem leidenden und jetzt genesenen Sohne bewiesen habe. Ein Brief von Theophil war beigelegt, in welchem er sich erfreut über die Rückkehr der Gesundheit und voll Sehnsucht nach einem Glücke aussprach, das er einst vielleicht von der Hand seiner treuen Pflegerin zu erhalten hoffen dürfe. Die zärtliche Mutter beschwor Therese, ihrem Sohne das Glück, das er nicht näher bezeichnet, das sie aber leicht errathen hatte, nicht zu versagen. Sie schilderte ihr die tiefe Verehrung ihres Sohnes für sie, sie [317] rühmte mit mütterlichem Stolz die Vorzüge des Sohnes und hieß im Voraus Therese als die geliebteste Tochter willkommen.

Der Brief, so wenig ihn Theophil selbst gutgeheißen haben würde, hätte er eine Ahnung von seinem Inhalte gehabt, rührte Therese sehr. Es gab sich eine große Güte darin kund und es that ihr leid, die Hoffnungen nicht erfüllen zu können, welche man auf sie baute. Sie begriff die Nothwendigkeit, Theophil nicht länger in Zweifel über seine Aussichten zu lassen, aber die Angst um den Bruder drängte jeden andern Gedanken in den Hintergrund und die erste Woche des neuen Jahres war bereits vorüber, ohne daß sich eine Besserung in dem Zustande des Kranken gezeigt hätte. Der entscheidende einundzwanzigste Tag nahte heran, und mit ihm die tödtliche Spannung, in der man solche Ereignisse erwartet.

In der Befürchtung der traurigsten Möglichkeit gewann es Therese über sich, mit Theophil zu sprechen. Sie fürchtete den Tod des Bruders und der Gedanke, irgend eine naheliegende Pflicht erfüllen zu müssen, nachdem sie den Bruder verloren haben würde, kam ihr hart an.

Sie suchte also Theophil in einem freien Augenblicke auf, dem sie im Wohnzimmer begegnete. In dem lebhaften Wunsche, sobald als möglich zu Julian zurückzukehren, fand sie die Kraft, ohne alle Vorbereitung gerade zum Ziele zu gehen; alle die kleinlichen Rücksichten verschwanden vor der Größe des Kummers, der von allen Seiten auf sie einstürmte.

Sie haben von mir noch Antwort auf eine Frage zu erwarten, guter Theophil, sagte sie, die ich Ihnen längst hätte geben müssen. Sie haben meine Hand begehrt, aber ich kann die Ihre nicht werden. Ich bin nicht frei, wie ich es Ihnen schon früher gesagt habe, wie Sie selbst es jetzt wissen. – Da sie an Theophil's Zügen sah, welch schmerzlichen Eindruck ihre Worte auf ihn machten, und da sie fühlte, daß die Weise, in[318] der sie zu ihm gesprochen, ihn kalt und herzlos dünken müsse, wünschte sie zu begütigen, so weit es in ihrer Macht stand. Sie sagte ihm, daß sie schwankend gewesen sei, was ihr zu thun obliege, daß sie in festem Vertrauen auf seine Großmuth, in der Gewißheit seiner Liebe daran gedacht hätte, seine Frau zu werden, und daß nur die Unmöglichkeit sie davon abgehalten, weil sie ihm nur ihre Hand, nicht ihr Herz zu geben habe.

Glauben Sie mir, Theophil, sagte sie, es kann, es darf nicht sein. Meine Vergangenheit ist ausgefüllt mit dem Bilde, mit der unwandelbarsten Hingebung an das Andenken eines Mannes, der nie der Meine sein wird –

Und die Zukunft? fragte Theophil bittend.

Sagte ich Ihnen nicht, daß diese Liebe unwandelbar sei? Sie wird auch meine Zukunft ausfüllen, wie sie hoffnungslos mein ganzes Leben in sich faßte. Es ist ein Geschick und ich klage nicht darüber; denn eine große Liebe, selbst wenn sie unglücklich ist, ist ein Glück.

Therese, sagte Theophil, ich muß grausam Ihre Wunden berühren, wie der treue Arzt, der zu helfen wünscht. Welches Loos erwarten Sie für sich?

Sie meinen, welch ein Loos ich erwarte, ergänzte Therese, wenn es im unerforschlichen Rathe einer höhern Macht beschlossen ist, daß ich meinen Bruder verliere? – Ihre Stimme ging in Thränen unter, als sie dem Gedanken, den sie seit Wochen in verschwiegener Brust gehegt, zum Erstenmale Worte gab. Es war ihr, als würde das gefürchtete entsetzliche Ereigniß dadurch schon jetzt zur Gewißheit erhoben, als trete es von diesem Augenblicke an in die Reihe der unumstößlichen Thatsachen, und ihr schauderte vor der Gewalt des Wortes. Doch überwand sie sich und sagte: Ich werde leben in Erinnerungen großer Liebe, in der Freude, von den edelsten Herzen geliebt worden zu sein. Für Sie, Theophil, vermag ich nichts, kann ich nichts [319] sein, denn mir fehlt die Jugend, ein neues Leben zu beginnen. Glauben Sie mir das.

Er hörte sie schweigend an, wie man ein Urtheil anhört, dessen Schwere man empfindet und das man für unumstößlich hält. Vergebens erwartete sie irgend ein Wort von ihm, das ihr verkündete, er zürne ihr nicht. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und blickte starr zur Erde nieder, bis der Eintritt des Dieners, der Therese in das Krankenzimmer zurückzurufen kam, ihn aus seinen Gedanken aufstörte.

Sie trat an Theophil und bot ihm die Hand. Können Sie mir nicht vergeben, Theophil? fragte sie. Ich mache Ihnen Kummer und sähe Sie doch so gern, so gern recht glücklich.

Sie wollte fort, aber er preßte ihre Hand an seine Lippen, hielt sie zurück und sagte: Wollen Sie mir eine Gunst gewähren? Ich bitte darum als Zeichen Ihres Vertrauens, ich fordere sie, als ein Recht der heiligsten Freundschaft. Lassen Sie mich in Ihrer Nähe bleiben, bis ich beruhigter über Sie von Ihnen gehen kann. Bis Julian Sie wieder beschützt, lassen Sie mich statt seiner, so gut ich es vermag, Ihnen zur Seite stehen. Ich gehe, sobald Sie meiner nicht mehr bedürfen. Darf ich bleiben, Therese?

Sie antwortete nicht, denn ihre ganze Seele war schon bei dem Bruder, aber der feste, stumme Druck der Hand, mit dem sie Theophil's Rechte erfaßte, gab ihm die Gewißheit, daß seine Bitte erhört sei, und daß er bleiben dürfe.

[320]
19
XIX

In des Kranken Zimmer angelangt, fand sie diesen in wilden Fieberphantasien. Der Arzt wurde geholt, neue Verordnungen wurden gemacht und Eva sah an der ängstlichen Eilfertigkeit, mit der sie vollzogen wurden, an dem schnellen und doch leisen Umhergehen der Frauen, daß die Gefahr von Stunde zu Stunde wachse.

Völlig fassungslos, lag sie auf dem Sopha und hüllte das Gesicht in die Kissen, als Agnes zurückkam und nun, da alles Nöthige geschehen war, sich neben sie setzte. Sie versuchte Eva zu ermuthigen, erzählte ihr von andern Krankheitsfällen, die hoffnungslos geschienen und doch einen glücklichen Ausgang gehabt hatten, aber Eva beachtete es nicht.

Du gutes Mädchen, sagte sie, sich emporrichtend, Du weißt ja nicht, wie mir zu Muthe ist. Ich war ein Kind bis jetzt. Ich kannte vom Leben nichts als die Freuden, man hatte mich absichtlich in Sorglosigkeit erhalten. Nun hat mich die Liebe aus meinem Paradiese erweckt, und statt der blühenden Blumen, von denen ich geträumt, finde ich welke Kränze, ein geliebtes Grab damit zu schmücken.

Eva! bat Agnes, fasse Dich doch, nimm Deinen Muth, Deine Liebe für Therese zu Hilfe. Was soll sie denken, wenn sie Dich so außer Dir findet? Muß sie nicht glauben, der Arzt habe uns jede Hoffnung genommen?

Hat er das gethan? fragte Eva. Sage es mir! o ich[321] weiß, daß es so ist, und dann sterbe ich auch. Ich möchte neben Julian begraben werden. Sie hielt inne, dann bat sie: Agnes! wenn ich todt bin, laß mich nicht von fremden Händen berühren, kleide Du mich an, ganz schlicht, ganz weiß, wie Julian mich gern sah, und das goldene Kettchen mit dem Flacon, das laß mich auch im Grabe behalten, es war Julian's letztes Geschenk.

Sie vertiefte sich immer mehr in den Anordnungen für den Fall ihres Todes und beweinte diesen bald eben so herzlich und aufrichtig, als sie vorher Julian beweint hatte. Dann sank sie wieder in die Kissen zurück, und schlummerte eben auch wie ein Kind, vom Weinen ermüdet, ein.

Es war der Abend, der dem einundzwanzigsten Tage voranging. Die zehnte Stunde war vorüber, Eva's Wagen lange vor der Thüre, sie abzuholen, aber Agnes konnte sich nicht entschließen, sie zu stören. Seit vielen Nächten hatte der Schlummer ihre Augen geflohen, sie bedurfte der Ruhe, und auch Therese meinte, es würde besser sein, sie ruhig auf dem Sopha schlafen zu lassen, als sie zur Heimkehr zu erwecken, da leicht die Nacht wieder ohne Schlaf vergehen und die Einsamkeit ihr qualvoll sein möchte.

Man verdunkelte die Lampe und Agnes zog sich in die Stube zurück, die dem Krankenzimmer zunächst lag, um auf den ersten Wink Theresen's zur Hand zu sein, falls man irgend einen Auftrag auszuführen hätte. Vergebens ermahnte Therese sie, sich zur Ruhe zu begeben, sie blieb beharrlich bei der Bitte, die Freundin möge sie ihr Theil zu des Kranken Pflege beitragen lassen. Ein Nähzeug in der Hand, vollständig angekleidet, saß sie da, als, lange nach Mitternacht, Theophil in das Zimmer trat, von dem Klingeln der Hausglocke auf die Vermuthung gebracht, daß irgend ein neues bedrohliches Ereigniß vorgefallen sei. Ueberrascht blieb er in der Thüre stehen, als er das junge Mädchen erblickte. Sie legte den Finger an [322] die Lippen, zum Zeichen, daß er leise auftreten möge. Sie sah sehr schön aus. Der Schein der Lampe fiel auf ihr reiches schwarzes Haar, und der Ausdruck von ruhigem Verstand gab ihr eine auffallende Aehnlichkeit mit der Madonna della Sedia.

Sie sind noch wach? fragte Theophil leise, als er an sie herantrat. Ermüden Sie denn nicht? Den ganzen Tag hindurch sehe ich Sie rastlos beschäftigt; wird das Nachtwachen für Sie nicht zu anstrengend sein? Sie sind noch so jung!

Haben Sie mich das wol gefragt, als der gute Präsident mich auf die Maskerade geführt hat, von der wir auch erst sehr lange nach Mitternacht aufgebrochen sind?

Die Jugend ist die Zeit der Freude, meinte Theophil, mag sie genießen, so viel sie kann. Zum Leiden findet sich immer später noch Raum im Leben, und es bleibt nicht aus.

Grade darum, wendete Agnes ein, muß man uns schon in der Jugend unsern Antheil an den Leiden nicht nehmen, wir lernen sonst ja nicht, sie zu ertragen, wie wir sollen. Sehen Sie, wie unglücklich jetzt die arme Eva ist, daß sie nirgend helfen, nirgend nützen kann! Ich habe in diesen Tagen es meiner Mutter innerlich schon oft gedankt, daß sie nie schwächliches Mitleid mit mir gehabt und mich gelehrt hat, auch in schweren Stunden Muth und Kraft zu behalten. Ich hoffe das Beste für Julian und ich wollte nur, ich könnte Therese und Ihnen Allen etwas von meiner Zuversicht geben, denn auch Sie, Theophil, sind gänzlich niedergeschlagen seit heute Nachmittag. Haben Sie denn alle Hoffnung verloren?

Alle Hoffnung verloren! wiederholte er träumerisch und sagte dann, als er das Erschrecken von Agnes bemerkte: Verzeihen Sie, Liebe! ich war nicht bei Ihren Worten, ich dachte nicht an Julian, ich sprach von mir.

Sie schwieg und sah lange in sein trauriges Gesicht, wie er so vor sich niederblickte. Je länger sie ihn aber ansah, desto [323] schwerer ward ihr das Herz. Eine ungekannte Angst und Unruhe wurden in ihr wach. Sie wußte nicht, ob sie Theophil liebe, ihn bedauere, oder ob sie ihm zürne und sich beklage. Das Herz klopfte ihr schwer in der Brust, sie fühlte sich so beklommen und traurig, daß ihr die Thränen in die Augen traten, und, sich zu Theophil wendend, sagte sie, als wolle sie ihre Thränen damit entschuldigen: Es thut mir sehr leid, daß Sie unglücklich sind, lieber Theophil!

Erstaunt und überrascht blickte er das junge Mädchen an, nahm ihre Hand und rief: Muß ich denn auch Sie betrüben, gutes, liebes Kind!

Er behielt ihre Hand in der seinen, alles Blut drängte sich Agnes nach dem Herzen, sie fing heftig zu zittern an und Theophil fragte ängstlich: Um Gottes willen, was fehlt Ihnen? Sie sind krank, liebe Agnes! wollen Sie, daß ich Jemand rufe? Sie haben sich doch wol zu sehr angestrengt?

Nein, nein! sagte sie, mir ist schon besser. Sie stand auf, wollte lächeln, aber sie war so bleich geworden, daß Theophil besorgt seinen Arm um sie legte. Da neigte sich ihr schönes Haupt auf seine Schulter und leise weinend ruhte sie an seiner Brust.

Er fühlte das Schlagen ihres Herzens, es herrschte tiefe Stille umher. Agnes war so jung und schön. Er hatte eben noch trauernd an Therese gedacht und doch empfand er plötzlich eine ihm selbst befremdliche Neigung für das junge Mädchen. Fast ohne es zu wollen, drückte er sie an sein Herz, und ein leiser Kuß berührte ihre Stirne, als Therese in angstvoller Hast mit den Worten eintrat: Schnell einen Arzt, mein Bruder stirbt. Ohne Agnes und Theophil zu beachten, eilte sie an das Krankenbett zurück, wo bald, von Teophil gerufen, der Arzt erschien.

Das Uebel hatte seinen höchsten Grad erreicht, nach furchtbarer [324] Erregung trat ein plötzliches Ermatten ein; immer leiser wurden die Athemzüge des Kranken, immer schwächer das Schlagen seiner Pulse. Lautlos saß die Schwester an des Bruders Bette; das einförmige Ticken der Uhr ward ihr zur qualvollsten Marter. In Todesangst zählte sie die Sekunden, denn jede konnte die letzte für den Bruder sein. Sie wagte die Augen nicht von seinem Gesichte zu entfernen, damit ihr kein Aufschlag der seinen verloren gehe, damit sein letzter Blick auf sie falle.

Theophil war bei ihr, der Arzt hielt die Hand des Präsidenten, um die Pulsschläge zu beobachten. Plötzlich ließ er sie los, gab Theophil ein Zeichen, dieser trat leise an Therese heran und, getroffen von der Veränderung in des Bruders Zügen, sank sie, Theophil von sich weisend, vor Julian nieder und drückte ihre Lippen fest auf seine starre, eisigkalte Hand.

Vergebens waren die Bestrebungen des Arztes und Theophil's, sie von dem Bette zu entfernen. Sie bat, sie flehte, man möge sie allein lassen, nur allein könne sie Ruhe und Kraft finden, und man fügte sich ihrem Willen.

Der Arzt fuhr nach Hause, Theophil zog sich in sein Zimmer zurück, Eva schlummerte ruhig fort und Agnes saß weinend in der Nebenstube, betäubt durch bas Leiden, das sie umgab, und verwirrt von der eigenen stürmischen Erregung.

Die tiefste Stille folgte der angstvollen Unruhe, die während der letzten Stunden geherrscht. Von Zeit zu Zeit schlich Agnes an die Thüre des Zimmers, um nach Therese zu sehen. Die Unglückliche kniete regungslos auf derselben Stelle, wie eine Figur auf einem Grabmale anzuschauen. Es schien, als habe das Leben auch sie verlassen, und doch zerriß der herbste Schmerz ihre Seele.

Stunde auf Stunde schwand dahin, plötzlich war es ihr, als höre sie leise Athemzüge. Sie richtete sich empor, Niemand [325] war im Zimmer. Verwirrt, entsetzt blickte sie umher. Der Ton wiederholte sich. Sie stand auf, neigte ihr Haupt an des Bruders Lippen, sie wagte ihrem Ohre nicht zu trauen, das Glück dünkte sie unmöglich. Zitternd in der Furcht, sich getäuscht zu haben, blickte sie starr auf ihn hin, da schlug dieser mühsam die Augen auf und Therese mußte sich gewaltsam zwingen, nicht durch ein unzeitiges Zeichen ihrer Freude den Kranken zu erschrecken.

Sie eilte zu Agnes. Es war schon heller Tag. Schnell wurde der Arzt abermals herbeigerufen, Julian lebte. Ein Starrkrampf, der selbst den erfahrenen Arzt getäuscht hatte, war die Krisis gewesen. Nach vielen Tagen zum Erstenmal erkannte Julian seine Umgebung wieder. Er reichte Therese die Hand, er nannte ihren Namen. Sie erlag fast ihrer Freude, der Umschwung war zu gewaltig gewesen; sie mußte einen Augenblick den Bruder verlassen, um sich von den Eindrücken der letzten Stunden zu erholen.

Kaum aber saß sie in ihrer Stube, als Alfred bei ihr eintrat. Ganz früh am Morgen hatte Theophil zu ihm geschickt, ihm den Tod des Präsidenten zu melden, und noch war die freudige Botschaft der Besserung nicht zu ihm gelangt, als er herbeigeeilt war, Therese zu sehen.

Aller Schmerz der letzten Tage, alle Freude dieser Stunde bestürmten sie aufs Neue, als sie Alfred's ansichtig ward, in dessen Antlitz die Trauer um den Freund sich unverkennbar aussprach. Zagend ging er der Geliebten entgegen, aber mit dem Ausruf: Er lebt, Alfred! er lebt! warf sie sich an seine Brust und weinte ihre Freudenthränen aus befreitem Herzen.

Lange hielt er sie umschlungen, und sie entzog sich ihm nicht; sie duldete und erwiderte seine Küsse, bis sie sich losriß, um zu dem Bruder zurückzukehren.

Indeß war Eva erwacht, der Schlaf hatte sie erquickt, [326] die Freude that das Uebrige. Sie umarmte Agnes, Theophil, Alfred, sie schenkte der Dienerschaft, was sie von Geld und Schmuck an sich hatte, und erklärte dann, mit einem raschen Blick in den Spiegel, nun werde sie nach Hause fahren, um ihren Anzug in Ordnung zu bringen.

Ein neues Leben schien wie für Julian, so auch für alle Andern angebrochen zu sein. Zwar war der Erstere wieder in die Nacht der Bewußtlosigkeit zurückgesunken, dennoch erklärte der Arzt die Gefahr für beseitigt, und versprach mit Zuversicht fortschreitende Genesung.

[327]
20
XX

Ohne Theresen's Erlaubniß erhalten zu haben, kehrte Alfred mehrmals im Laufe des Tages zurück. Sie schien sich deß zu freuen, obgleich sie ihn nur ganz flüchtig dabei sah, es erquickte sie, ihn in ihrer Nähe zu wissen.

Als er spät am Abend nochmals wiederkam, fand er den Arzt bei ihr, der sie und Agnes dringend bat, nun endlich an sich selbst zu denken, sich die Ruhe zu gönnen, deren besonders Therese bedürftig war. Alfred vereinigte seine Bitten mit denen des Doctors und machte den Vorschlag, Frau Berent als Stellvertreterin zu holen, die mehrmals während der Krankheit des Präsidenten ihre Dienste angeboten hatte.

Ihre Tochter war hergestellt, der Mann durch Julian's Vermittelung zur Einwilligung in die Scheidung bewogen, die Frau wünschte lebhaft sich dem Präsidenten dankbar bezeigen zu können, und diese zuverlässige, erfahrene Frau bei dem Bruder zu wissen, beruhigte Therese. Alfred selbst übernahm es also sie zu holen.

Auf dem Wege zu ihr sprach er bei Sophie ein, um auch ihr, wie er verheißen hatte, noch einmal Nachricht von Julian zu bringen. Was sie gelitten, in der tödtlichen Qual der dauernden Ungewißheit, wer vermöchte das zu beschreiben? Täglich und immer flehender hatte sie Alfred beschworen, ihr den ersehnten Anblick des Geliebten zu verschaffen, und immer[328] hatte er es für unausführbar erklärt, immer sie auf eine andere Zeit vertröstet.

Jetzt, als sie von seinem Auftrag hörte, eine Krankenwärterin für die nächste Nacht zu holen, schien plötzlich ein Gedanke in ihr aufzutauchen.

Und wenn die Frau, die Sie holen wollen, behindert ist, fragte sie, was thun Sie dann?

Dann werde ich den Doctor oder sonst Jemand um eine andere zuverlässige Wärterin fragen, entgegnete Alfred, denn Therese muß ruhen, wenn sie nicht unterliegen soll.

Jetzt ist es Zeit! rief Sophie, jetzt oder niemals kann ich ihn wiedersehen! Ich beschwöre Sie, Alfred, lassen Sie mich bei ihm wachen. Sagen Sie, die Frau sei krank, sagen Sie, was Sie für Recht halten, und lassen Sie mich ihre Stelle vertreten.

Unmöglich! sagte Alfred. Wenn Therese, wenn Julian Sie erkennten, wie peinlich müßte es für die Erstere, wie nachtheilig für den Letztern sein. Das ist unmöglich, theure Sophie!

Es soll mich Niemand erkennen, Alfred, versicherte sie, Sie selbst nicht. Trauen Sie so viel meiner alten Gewohnheit, meiner Kunst, die ich zum Letztenmal, zu meiner letzten eigenen Befriedigung üben will.

Aber Sie werden es nicht ertragen. Julian ist sehr verändert, Ihre Bewegung wird Sie verrathen.

Und stürbe ich des martervollsten Todes und wankte das Weltall um mich her, kein Wort, keine Bewegung soll ihm verrathen, daß ich es bin, die neben ihm wacht. Bester, theuerster Freund, rief sie, vertrauen Sie mir, vertrauen Sie meiner Liebe. Alfred! ein Frauenherz bricht eher, als es dem Geliebten ein Leid zufügt. Können Sie Ihrem Freunde, können Sie seiner Schwester eine Pflegerin schaffen, die treuer, liebender über ihn wachte, als ich? Sie wissen, mein Frieden hängt [329] daran, ihn noch einmal zu sehen. Seien Sie barmherzig, Alfred! wer weiß, ob noch einmal der Zufall sich mir so günstig bezeigt. Erfüllen Sie meine Bitte, Sie müssen, Sie werden es thun!

Es sei! – sagte Alfred, ich wage es im Glauben an die Kraft weiblicher Liebe. Kleiden Sie sich an. In einer Stunde komme ich, Sie zu holen.

Sie sprach kein Wort, sondern schlug nur die Hände zusammen und hob sie gen Himmel empor, wie um zu danken für die Erhörung eines heißen Gebetes.

Alfred sah die ausdrucksvolle Geberde mit Rührung. Nun Muth und Kraft, Sophie! sagte er, und verließ sie, um sich vorher noch in seine Wohnung zu verfügen, wo er eine Besorgung hatte.

Als er die Treppe seines Hauses hinaufstieg, schlich eine große, in einen dunkeln Mantel gehüllte Figur an ihm vorüber. Schon seit einigen Tagen war es ihm vorgekommen, als folge ihm dieselbe in gemessener Entfernung, wenn er Abends durch die Straßen ging; er hatte es aber nicht sonderlich beachtet. Nun, da der Schein des Gaslichtes auf den Träger des dunkeln Mantels fiel, erkannte Alfred den Kaplan, der durch eine Seitenthüre nach dem Theile des Hauses ging, in welchem die Zimmer Carolinen's lagen. In der ersten Aufwallung des Zornes wollte er ihm nacheilen, ihn zurückhalten; ein anderer Gedanke schien ihm aber zu kommen, und er ließ den Kaplan ungehindert seinen Weg verfolgen, der ihn bald in Carolinen's Stube führte.

Sie ging dem Kaplan entgegen, der ihre Hand mit einer schlechtverhehlten Zärtlichkeit küßte. Dann nahmen sie nebeneinander Platz und Ruhberg sagte: Ich fürchte, verehrte Freundin, daß die Augenblicke, die ich heute bei Ihnen verweilen darf, uns zugezählt sind. Irre ich nicht, so ist Herr von [330] Reichenbach zu Hause und Sie wissen, wie ich es gern vermeide, ihm zu begegnen, wie nur die innigste Theilnahme für Sie mich veranlassen kann, Ihr Haus zu besuchen, das zugleich das seine ist.

O, ich weiß es, rief Caroline; ich weiß, daß er Sie absichtlich kränkt, weil er mich dadurch tief verwundet. Er will mich von Allem trennen, was mir werth ist, er will mich ganz elend machen, damit ich den Zustand unerträglich finde, damit ich die Scheidung verlange, die er ersehnt. Aber so lange Sie mir bleiben, bleibe ich standhaft. Ihr Beistand soll mir den Muth und die Ausdauer geben, mich fest und beharrlich im Guten zu zeigen.

Wohl mir, wenn ich dazu die Fähigkeit hätte, denn ich fürchte, Ihnen stehen harte Proben bevor, sagte Ruhberg. Nicht von mir ist es, daß Herr von Reichenbach Sie zu entfernen wünscht. Was ist dem stolzen Manne der unbedeutende Priester? Was kann es ihn kümmern, ob seine Gemahlin denselben bei sich sieht, da er selbst sie kaum seiner Beachtung würdigt? Nur als Diener der Kirche fürchtet er mich; die geistige Pflege will er Ihnen entziehen, denn er haßt den Katholicismus und möchte Sie demselben entfremden. Das ist es, was meine Besorgniß erregt, und davor möchte ich Sie bewahren.

Wie wenig kennen Sie Alfred, sagte Caroline, wenn Sie glauben, daß er daran denkt, mich der Kirche abwendig zu machen! Seine Gleichgültigkeit gegen die Religion –

Ist in Haß übergegangen, unterbrach sie Ruhberg, seit die Satzungen der Kirche sich als unübersteigliche Scheidewand zwischen ihn und seine unerlaubte Neigung stellen. Trauen Sie meinen Worten und dem Urtheil unserer Freunde, die ihn beobachten. Es ist Alles nicht so, wie es sein sollte, und während er Sie auf jede Weise beschränkt, überläßt er selbst sich[331] einem Leben, das hart gegen die heiligen Pflichten der Ehe verstößt, die wahre, christliche Ehe vernichtet.

Was meinen Sie damit? fragte Caroline erglühend.

Was anders als das Verhältniß, welches Ihnen so gerechten Kummer macht! entgegnete Ruhberg mit merklicher Zurückhaltung.

Nein! nein! sagte Caroline, das ist es nicht, Sie wissen mehr, Sie verschweigen mir etwas. Bei Ihrem Amte, bei der Pflicht des Seelsorgers beschwöre ich Sie, mich nicht in Zweifel zu lassen. Ich bin auf Alles gefaßt, was mir bevorsteht, aber die Ungewißheit ertrage ich nicht.

Und wenn ich Ihre Bitten aus übergroßer Schwäche für Sie erfülle, was bürgt mir dafür, daß Sie schweigen, daß der gerechte Unmuth der beleidigten Ehefrau Sie nicht hinreißt, das Vertrauen zu verrathen, das ich Ihnen beweise?

Der heiligste Eid, wenn Sie ihn fordern.

Gut, sagte der Kaplan, so hören Sie denn, daß Herr von Reichenbach ein neues Verhältniß mit einer Schauspielerin angeknüpft hat, die früher die Freundin des Präsidenten war. Er besucht Fräulein von Brand nicht mehr, aber er bringt seine Zeit bei der Schauspielerin Sophie Harcourt zu, und so innig und ganz ausfüllend müssen die gegenseitigen Beziehungen sein, daß sie ihren Abschied von der Bühne verlangt hat, vermuthlich um ausschließlich sich und ihrer Liebe zu leben.

O, unerhört, unerhört! rief Caroline und stand auf, um in das Zimmer ihres Mannes zu eilen.

Der Kaplan hielt sie zurück. Wo wollen Sie hin? fragte er.

Zu ihm!

Ist das die Mäßigung, die Ruhe, die ich forderte? Halten Sie so Ihr Versprechen?

[332] Ich muß ihn sehen, ich muß ihm seine Treulosigkeit vorhalten! rief Caroline.

Haben Sie persönlich Beweise dafür? fragte der Kaplan, oder wollen Sie ihm sagen, daß Sie mich gesehen, daß Sie mir die Nachricht verdanken? Es wäre ein schlechter Lohn für die Dienste, die ich Ihnen leiste in einer Zeit, in der mich tausend neue Pflichten in Anspruch nehmen, denn es scheint im Rathe des Himmels beschlossen zu sein, daß mir die verantwortungsvolle Würde unseres verstorbenen Freundes auferlegt wird.

Caroline hörte seine letzten Worte nicht. Ja! sagte sie, ich selbst muß mich davon überzeugen, ich muß selbst Beweise haben für seine Untreue, dann –

Nun und was dann? fragte der Kaplan.

Sie wollte sprechen, hielt aber das Wort zurück und Ruhberg ergänzte für sie: Dann werden Sie, schwergeprüfte Freundin, sich berechtigt glauben, den Ehebund zu lösen, der Sie so unglücklich macht, und frei sein, sich selbst und Ihren Ueberzeugungen zu leben.

Das sagen Sie, Herr Kaplan! rief Caroline, Sie, der Sie mir die Scheidung stets als eine Sünde vorgehalten haben? Sie, der mich fast gezwungen hat, nicht einzuwilligen, als ich auf des Domherrn Rath geneigt war, auf den Willen meines Mannes einzugehen?

Damals hielt ich es für möglich, den Frieden Ihrer Ehe herzustellen, damals glaubte ich an eine Rückkehr Ihres Herrn Gemahls zu seiner Pflicht; aber diese Zuversicht habe ich lange schon verloren, meinte mit bedauerndem Tone der Kaplan.

Da sah ihn Caroline forschend an und sagte: Sie hassen meinen Mann, Herr Kaplan, das weiß ich, und er hat es kaum besser um Sie verdient! Durch den Präsidenten kenne ich aber auch das Verhältniß, in dem unsere Güter zu der [333] Kirche stehen. Sagten Sie nicht, daß Sie sichere Hoffnung hätten, Domherr zu werden an des verstorbenen Fernow Statt?

Ja, wenn der Herr seinen Segen dazu gibt!

Und jetzt scheint Ihnen die Scheidung erlaubt, die Sie früher verwarfen?

Was bezweckt die Frage, gnädige Frau!

Nichts, gar nichts! mein Herr Kaplan, denn ich bedarf Ihrer Antwort nicht, sagte Caroline spöttisch. Aber nun begreife ich den Eifer, mit dem Sie mir die neue Untreue meines Mannes zu verrathen eilten; nun verstehe ich die dringende Ueberredung, mit der Sie mich veranlaßt haben, Sie gegen den Willen meines Mannes zu sehen! Nun sehe ich ein, weshalb die Trennung unserer Ehe für Sie nicht mehr als unzulässig erscheint!

Es war vergebens, daß der Kaplan sie zu unterbrechen suchte, ihre Heftigkeit ließ es nicht dazu kommen.

Sie selber haben mir die Augen aufgethan, rief sie, und jetzt erst sehe ich klar! Aber Sie waren damit zu schnell, Herr Kaplan! denn wie sehr ich Sie auch schätze, ehe ich mich und meinen Sohn völlig in die Abhängigkeit von einem Dritten überantworte, ehe ich die Reichenbach'schen Güter dem freien Besitze ihrer Eigenthümer entziehe, ehe ich meinen Sohn und mich, auch dem verehrtesten Manne, auf Gnade und Ungnade übergebe, will ich lieber all das Leiden noch länger ertragen, das meine jetzigen Verhältnisse mir auferlegen.

In dem Augenblick hörte man den Knaben in dem Vorsaal. Der Kaplan erhob sich. Er hatte sein ruhiges Lächeln nicht einen Augenblick verläugnet. Ueberlegen Sie, was Sie mir sagten, prüfen Sie meine Behauptungen, theure Freundin! sprach er, und wenn Sie sich, wie Sie müssen, von meiner Wahrhaftigkeit überzeugt haben werden, wenn Sie, wie schon so oft, verzweifelnd nach Beistand und Rath verlangen, dann denken [334] Sie, daß ein Diener der Kirche Nachsicht hat für die Verblendeten, daß er persönliche Kränkungen zu vergeben wissen muß. Ich darf und will mich nicht an Ihre Worte erinnern, gnädige Frau, denn Sie sind es nicht, es sind die Qualen der Eifersucht, die aus Ihnen sprechen.

Er wollte sich entfernen, Caroline blieb stehen, ungewiß, was sie beginnen solle. Plötzlich fragte sie: Wo sagten Sie, wo wohnt die Schauspielerin, derer Sie gedachten?

Ich weiß es nicht, entgegnete der Kaplan, aber was thut es auch zur Sache, da Ihre Geduld und Liebe Ihrem Gatten zu verzeihen wünschen.

Sie wendete sich zornig von ihm ab. Ist Dein Vater schon zu Hause, fragte sie den Knaben, der eben in das Zimmer trat. Felix bejahte es, und die Mutter befahl ihm, den Vater zu ihr zu bitten.

Der Knabe richtete die verlangte Botschaft aus, fügte aber aus eignem Antriebe die Nachricht hinzu, daß der Herr Kaplan dagewesen und eben fortgegangen sei. Alfred wußte das bereits.

Das ist komisch, sagte Felix, der Herr Kaplan kommt so oft, lieber Vater, aber immer, wenn Du nicht zu Hause bist. Er kommt immer nur zu der Mutter, nie zu Dir!

Alfred sah den Knaben überrascht an, erschrocken vor der sittlichen Verwahrlosung, die denselben bedrohte. Felix misdeutete die Bestürzung des Vaters und fügte begütigend hinzu: Ich meine, es ist doch unrecht von Mama, weil Du es ihr neulich verboten hast, als ich in der Nebenstube war.

Ein Sohn als Angeber seiner Mutter! ein Kind, eingeweiht in solche Mishelligkeiten! sagte Alfred schaudernd zu sich selbst, und statt zu Caroline zu gehen, hieß er den Knaben der Mutter sagen, daß er behindert sei, sie zu sprechen, weil ein Geschäft ihn zwinge, auszugehen.

Er eilte, im Innern von dem traurigen Ereigniß in seinem [335] Hause beschäftigt, davon, um Sophie zu holen, die seiner bereits lange warten mußte. Als er durch die Säulenhalle vor seinem Hause schritt, vertrat ihm eine Frau den Weg. Es war Caroline.

Was willst Du? fragte er, überrascht sie zu sehen.

Ich muß Dich sprechen, Alfred! sagte sie.

Jetzt nicht, jetzt nicht! rief er ungeduldig. Hat Dir Felix nicht gesagt, daß ich beschäftigt sei? Was soll die unnöthige Eile?

Alfred! man will uns arglistig trennen, der Kaplan –

Jetzt plötzlich? rief er, aber halte mich nicht auf, spiele nicht Komödie, Caroline! Ich bin nicht in der Laune, Dir dabei zu helfen, und die Straße ist kein Ort dazu. Was wir miteinander zu sprechen haben, kann bis morgen ruhen.

Er wollte an ihr vorbeigehen, sie aber hing sich an seinen Arm und sagte ängstlich dringend: Alfred! Du gehst zur Harkourt! Woran soll ich mich halten, wenn mein Mann mich verläßt?

An die Nachrichten und an die guten Lehren des Kaplans, entgegnete er ihr, den ich Dir zu sehen verboten und dem Du die Nachrichten über die Harkourt vermuthlich verdankst.

Er machte sich gewaltsam los und eilte davon.

[336]
21
XXI

Als Alfred zu Sophien kam, erkannte er selbst sie kaum wieder. Sie hatte zu der dunkeln, nonnenhaften Kleidung, die sie jetzt beständig trug, eine Haube aufgesetzt, die mit breiter Stirnbinde das Gesicht verhüllte. Die geschickte Anwendung von Schminke trug dazu bei, sie völlig unkenntlich zu machen, und neben Alfred in einen Platzwagen steigend, fuhr sie nach der Wohnung des Präsidenten.

Wie sie es verabredet hatten, stellte Alfred sie Theresen als eine Wärterin vor, die ihm Frau Berent als zuverlässig empfohlen habe, da sie selbst nicht kommen könne. Therese nahm den Vorwand ohne Mistrauen an und Alfred hoffte, falls sie jemals die Wahrheit entdecke, eine Entschuldigung in Sophien's Liebe für Julian zu besitzen.

Er sprach Therese nur flüchtig und im Beisein von Agnes; dann entfernte sie sich, um Sophie in das Krankenzimmer zu führen, wo sie ihr alle vom Arzte gegebenen Verhaltungsbefehle für die Nacht ertheilte. Alfred war erstaunt über Sophien's Selbstbeherrschung; ihre Bewegungen, der Ton ihrer Stimme waren ein ganz fremder und sogar den französischen Accent, mit dem sie sonst das Deutsche sprach, wußte sie vollkommen zu überwinden. Weder Therese, noch Agnes und Theophil schöpften den geringsten Verdacht gegen sie, und mit völliger Selbstbeherrschung trat sie an das Lager des von ihr geliebten Mannes.

[337] In ängstlicher Gewissenhaftigkeit hörte sie auf Theresen's Anordnungen für den Kranken, versprach die größte Wachsamkeit und Sorgfalt und ließ sich neben dem Bette nieder, nachdem Therese sie dem Präsidenten als die Wartfrau vorgestellt und sich entfernt hatte.

Ihr sehnlichster Wunsch war erfüllt, sie sah ihn wieder. Das starke dunkle Haar des Präsidenten fiel auf die hohe Stirn herab, aber wie eingesunken waren seine Schläfen, wie hohl die Augen! O! die unaussprechlich geliebten Augen! rief es in Sophien's Seele und sie hätte ihr halbes Leben darum gegeben, nur einmal ganz leise ihre Lippen auf diese geschlossenen Lider drücken zu dürfen.

Aber der Kranke hatte keinen Blick für seine Wärterin. Er lag ruhig da, in tiefer Ermattung. Nur dann und wann forderte er einen jener kleinen Dienste, die ihm sonst die Schwester geleistet hatte, und der gebrochene Ton seiner starken Bruststimme klang traurig an Sophien's Ohr.

Das war der Mann, den sie so sehr geliebt! Die engsten, heiligsten Bande ketteten sie an ihn; im Einklang tiefsten Verständnisses, in vollster Liebe hatten ihre Seelen sich einst berührt, sie war sein, ganz sein geworden. Sie fühlte sich ihm zugehörend, ihm gleich an freier, schöner Begeisterung für das Große und Wahre; keine Ehefrau konnte ihrem Manne treuer ergeben sein, keine aufopfernder lieben, und doch stand sie jetzt da, von dem Geliebten verlassen, weil sie der Sitte getrotzt, weil die Welt sie tadelte, weil das oberflächliche Urtheil der gleichgültigen Menge sie verdammte.

Immer wieder regten sich die Fragen in ihr, die seit der Trennung von dem Präsidenten der Mittelpunkt ihres Denkens geworden waren. Sie hatte sich entschlossen, die Welt zu fliehen, welche sie verstieß; sie wollte ihr liebendes Herz der Menschheit weihen, weil Julian ihre Liebe verschmähte, und doch fragte sie [338] in dieser Nacht sich wieder: Was habe ich denn verbrochen? was gesündigt? Kann Menschensatzung und Menschenwort verdammen und freisprechen? Kann das Sünde sein, was Tugend wird, wenn ein besoldeter Priester Worte des Segens darüber spricht, die man oft genug, zerstreut und von der mächtigeren Stimme im Innern übertönt, kaum beachtet? Ich, die nichts verlangte, als das Glück des Geliebten, bin die Verworfene, und jene Frau, die ihrem Manne das Dasein zu einer Qual macht, wird von der Gesellschaft geduldet und geschützt!

Ihr ganzes Leben zog an ihrem Geiste vorbei. Sie dachte des Abends, da Julian sich ihr zuerst vorgestellt und durch seine geistvolle Beredsamkeit einen Eindruck auf sie gemacht, dessen Andenken nur mit ihrem Dasein enden konnte. Der schmeichelnde, herzgewinnende Ton, mit dem er dann später sie um Liebe gefleht; der Jubellaut seiner Brust, als sie, zum ersten Mal an sein Herz gesunken und hingerissen von der Gewalt ihres Gefühls, ihre Arme fest um seinen Hals geschlungen – – das Alles war ihr gegenwärtig in diesen Stunden.

Ihr war, als müsse er sich aufrichten in gesunder Kraft, als müsse er ihren Namen rufen und ihr sagen, sie sei es, die in bangen Fieberträumen das ganz Unmögliche für Wahrheit halte. Er konnte nicht die ganze selige Vergangenheit vergessen haben, und, wenn er ihrer dachte, wie konnte er sie nicht zurücksehnen als sein höchstes Glück? Jeden Augenblick hoffte sie, er müsse wenigstens einmal träumend von ihr sprechen, wie auf eine Himmelsbotschaft wartete sie darauf mit der Zuversicht eines Gläubigen.

Aber sein Schlaf war sanft und traumlos, und sie mußte sich darüber freuen. Sie wendete den Lichtschirm etwas zur Seite, um ihn besser zu sehen. Ein ruhiger Friede war über sein Angesicht verbreitet, der kalte, spöttische Zug um seine Lippen verschwunden, er sah sehr mild und freundlich aus.

[339] Hast Du denn nicht geahnt, daß Du mein Herz gebrochen? fragte sie so leise, daß nur sie selber es vernahm. Wie kannst Du so ruhig sein, so friedlich aussehen, und ich bin neben Dir und bin so elend?

Sie kniete an seinem Lager nieder, ihre schwer errungene Fassung und Entsagung schwanden gänzlich vor dem Anblick des Geliebten. Seine Hand hing schlaff zur Seite herunter und flüchtig wie ein Geisterwehen berührten ihre Lippen diese bleiche Hand.

Aber er mußte es doch empfunden haben, denn ein Lächeln glitt über sein Gesicht.

Agnes, süßes, liebes Kind! sagte er träumend in dem Augenblick, und der Schmerzensschrei, der sich aus Sophien's Herzen hervorringen wollte, kehrte unterdrückt als ein furchtbares Weh in ihre Brust zurück.

Sie stand auf und nahm ihren Platz neben des Kranken Bette wieder ein. War sie ihm doch nichts als eine Wärterin, deren er nicht gedachte. Heiße Thränen strömten aus ihren Augen und fest und fester ruhten ihre Blicke auf seinem Antlitz, denn es war das letzte, das letzte Mal, daß sie ihn sah. Es war ihr erster schwerer Dienst als barmherzige Schwester.

So fand sie der Morgen. Erschöpft und bleich ging sie Therese entgegen, als sie sich nach dem Verlauf der Nacht zu erkundigen kam, und gab ihr den nöthigen Bescheid, den Jene mit großer Zufriedenheit anhörte; dann zog sie sich ängstlich zurück, da Julian erwachte. Sie sah die Zärtlichkeit, mit der er die Schwester begrüßte, das Glück in Theresen's Zügen; sie empfand es ebenso warm als diese, aber wer dachte an sie?

Ein Wink von Therese forderte sie auf, ihr in das andere Zimmer zu folgen, wo sie verabschiedet werden sollte. Noch einmal, ehe sie das Gemach verließ, wendeten sich ihre Blicke nach Julian zurück und klammerten sich mit der Allgewalt der [340] Liebe an ihm fest. Es war ihr, als trenne sich die Seele von dem Körper, als sie ihre Augen von ihm losriß. Der Kranke mochte ihr Zögern bemerken, er machte ein leises Zeichen mit der Hand und sagte: Ich danke Ihnen, Sie waren so sehr achtsam, liebe Frau! ich danke Ihnen! – und mit verhülltem Angesicht stürzte Sophie in dem Nebenzimmer auf die Kniee und rief: es ist vollbracht!

Therese wußte nicht, wie ihr geschah; aber wie sie die Wärterin nun in der vollen Beleuchtung des Tages näher ansah, war das Räthsel ihr gelöst. Sie trat an die Kniende heran und legte ihre Hand leise auf deren Schulter. Da richtete Sophie sich auf und sagte: Es ist vorbei! jetzt kann ich gehen! aber ich mußte ihn noch einmal sehen, vergeben Sie mir! mißgönnen Sie ihn mir nicht, den letzten trüben Trost!

Sie hatte ihre Ruhe wiedergefunden, aber die Spuren der Seelenschmerzen, welche sie in dieser Nacht durchgekämpft, waren deutlich in ihrem Gesichte zu lesen und sie vermochte kaum, sich aufrecht zu erhalten. Therese führte sie zum Sopha, sie hielt ihre Hand umschlungen und bat sie, sich zu erholen, da sie dessen bedürftig scheine. Arme, unglückliche Frau, wie sehr müssen Sie gelitten haben, sagte sie, wie lebhaft empfinde ich mit Ihnen!

Sie war sehr erschüttert und ihre Augen schwammen in Thränen. Sophie warf sich an ihre Brust. O! rief sie, Sie weinen! Diese Thränen sind meine Freisprechung. Sie können, Sie werden mich nicht verdammen, weil ich ihn liebte, weil ich ihn so sehr liebte, daß ich darüber Alles vergaß, Welt und Menschen und Sitte. Ihn noch einmal zu sehen, und mich vor Ihnen zu rechtfertigen, das war mein dringendstes Verlangen. Sie, die Julian und Alfred so tief verehren, Sie waren für mich der Richter, vor dessen Urtheil ich zitterte und von dessen Gerechtigkeit ich dennoch Erbarmen erwartete, um [341] meiner Liebe willen. Sie weinen über mich! nun kann ich ruhig scheiden, meine Schuld gegen die Sitte ist getilgt. Sie erlösen mich durch Ihre Thränen. Leben Sie wohl!

Sophie! rief Therese schmerzlich, gehen Sie nicht fort, bleiben Sie hier, bleiben Sie bei uns! Mein Bruder soll durch mich erfahren, was er an Ihnen verliert; Sie bedürfen nicht der Einsamkeit, sich zurecht zu finden, eine Frau, wie Sie, findet er nicht wieder. So viel Liebe, so edle Entsagung ist ja Tugend, ist die höchste, weibliche Tugend. Mein Bruder kann so vieler Liebe nicht widerstehen –

Sophie lächelte schmerzlich. Hätte ich darauf gehofft, ich wäre nicht gekommen, sprach sie sanft. Nicht um ihn wiederzugewinnen kam ich hieher. Ich that es, weil ich nicht anders konnte.

Und wenn mein Bruder genesen nach Ihnen verlangt, nach Ihnen fragt?

Dann sagen Sie ihm, ich hätte das Recht gehabt, mich aus Liebe für ihn aufzuopfern, und ich hätte das niemals bereut, aber ihn mit mir hinabzuziehen, meine Schande, den Tadel der Welt auf ihn zu wälzen, das vermag ich nicht, das leiden weder meine Liebe noch mein Stolz.

Wunderbares Mädchen! rief Therese.

Es war mein höchstes Glück ihn zu beglücken, fuhr Sophie fort. Was kümmerte mich das spöttische Lächeln der Frauen, wenn ich an seiner Seite war und der zärtliche Blick seines Auges mich wie ein undurchdringlicher Schild gegen die Pfeile ihres Tadels schützte? Ich war ruhig, ich war stolz in dem Gefühle, meine Pflicht zu erfüllen, denn ihn glücklich zu machen, gleichviel um welchen Preis, dazu wähnte ich mich geboren. Nun weiß ich, daß ich mich getäuscht habe, daß ich es nicht vermochte, und deshalb gehe ich, um wenigstens Leiden zu lindern, da ich nicht zu beglücken verstand.

[342]

Sie erhob sich, nahm ein Medaillon von ihrem Halse und gab es Therese. Es ist Julian's Bild, sagte sie weich, nehmen Sie es als ein Andenken von mir an, als eine Reliquie unwandelbarer Liebe, und bitten Sie ihn, daß er mein gedenke.

Therese war in tiefes Nachdenken versunken; als Sophie sich anschickte sie zu verlassen, stand sie auf, umarmte sie und sagte, das Haupt an Sophien's Schulter gelehnt: O! wie viel wahrer, edler und besser sind Sie, als ich, die ich aus selbstsüchtiger Scheu vor dem Urtheil einer kalten Menge nicht thue, was mein Herz mich heißt! – Was Sie gefehlt gegen die Sitte, wie gering erscheint es mir in dieser Stunde gegen das Unrecht, das ich begehe! Dir wird vergeben werden, Du darfst Dir vergeben, denn Du hast geliebt, während ich –

Sie ruhten Herz an Herz in tiefer Stille. Plötzlich hörte man Schritte. Sophie riß sich los, preßte einen leidenschaftlichen Kuß auf Theresens Stirne und sagte: Gott segne Sie! Gott lohne es Ihnen, machen Sie Alfred glücklich! – Damit ging sie schnell davon.

[343]
22
XXII

Julian's Genesung schritt sicher, aber nur sehr langsam fort und mit der Beruhigung über seinen Zustand kehrten Theresen's Gedanken, nach Sophien's Entfernung, doppelt lebhaft zu ihren eignen Verhältnissen zurück.

Sie mußte sich gestehen, daß die Gewalt der Liebe, die sie zu Alfred zog, stärker war, als ihre festesten Entschlüsse. Jeder unbewachte Augenblick führte sie zu ihm zurück und oft schien es ihr, als läge in dieser mächtigen Liebe, wie Sophie es genannt hatte, ihre Rechtfertigung. Sie kam sich klein und zaghaft neben Sophien vor, und schalt dann ihre Liebe ohnmächtig und schwach, vor deren Größe sie wenig Augenblicke vorher sich erschrocken abgewendet hatte.

Sie wünschte Alfred zu sehen und fürchtete sich davor, denn sie war nicht mehr sicher, ihm gegenüber die Ruhe zu bewahren, die sie für Pflicht hielt. Ein Zustand angstvoller Verwirrung kam über sie. Sophien's rückhaltlose Liebe, die alle Schranken niederwarf, allen bürgerlichen Gesetzen Hohn sprach, um den Geliebten zu beglücken und glücklich zu werden durch ihn, dünkte sie der Beweis einer Seelenstärke, um die sie die Künstlerin beneidete; und dennoch stand Sophie als warnendes Beispiel vor ihr und die Stimme der Wahrheit in der eigenen Seele, die Stimme des Rechtes verwarfen jene Handlungsweise und hießen sie ausharren und dulden.

Aus diesem Schwanken rang sich der Gedanke in ihr empor, [344] Alfred zu fliehen. Sie wollte fort, sobald Julian genesen sein würde. Sie fühlte, dies sei der einzige Ausweg aus diesem Labyrinthe, und sie wollte ihn wählen. Aber während sie an Trennung dachte, schienen ihr die Stunden zu Tagen, die Tage zu Jahren zu werden, denn Alfred ließ sich nicht mehr sehen.

Bald fürchtete sie seine Achtung eingebüßt zu haben durch die Schwäche, mit der sie sich neulich seiner stürmischen Zärtlichkeit überlassen, bald wähnte sie, Alfred meide sie und zweifle an ihrer Liebe, weil sie sich bis jetzt geweigert hatte, seinen Wünschen nachzugeben. Sie schrieb dem Geliebten und zerriß das eben Vollendete wieder, ihre Zweifel erreichten den Gipfel der angstvollen Unsicherheit. So schwanden ihr drei lange Tage hin, ohne daß sie Alfred sah. Am Morgen des vierten Tages brachte man ihr einen Brief von ihm, der also lautete:

»Meine Therese! Wenn dieses Blatt in Deine Hände kommt, ist unser Schicksal entschieden, ich bin frei und Du wirst mein. – Du wirst mein! fühlst Du die Seligkeit dieses Gedankens? Erschrick nicht davor, es mußte so kommen und ich empfinde seit lange die ersten Stunden wahren Friedens, des Friedens mit mir selbst, der aus der Ueberzeugung entspringt, das einzig Richtige, das einzig Rechte gethan zu haben.

Denkst Du des Tages, an dem wir über die Wahlverwandtschaften sprachen? des Tadels, den ich auf Charlotte warf, weil sie nicht den Muth gehabt hatte, Bande zu lösen, die zu schmachvollen Fesseln geworden waren? In solchen Banden lagen wir, und auch wir konnten zögern uns würdig zu befreien, auch wir standen am Rande des Verderbens.

Um Dir genugzuthun, um Das zu erfüllen, was ich in thörichter Verblendung für Pflicht hielt, strebte ich eine Verbindung aufrecht zu erhalten, die nie hätte geschlossen werden sollen, die innerlich unsittlich geworden war, weil ihr die Liebe fehlte und das Vertrauen aus ihr entwichen war.

[345] Wir tragen Beide an der Schuld, Caroline und ich, wir sind Beide unglücklich geworden, haben viel gelitten. Ich klage sie nicht an, ich spreche mich nicht frei. Ueble Einflüsse mancher Art und menschliche Irrthümer haben uns in diese Verwirrung gestürzt, aus der wir uns nur gewaltsam befreien können. Versöhnung, Friede und Ruhe ist zwischen uns unmöglich geworden. Ich war auf Dein Verlangen, auf Carolinen's Wunsch noch einmal zu ihr zurückgekehrt; aber Mißtrauen und Eifersucht, Lüge und Haß wuchsen zwischen uns auf wie rankende Giftpflanzen; sie umschlangen Felix und drückten auch ihn nieder. Jeder freie Aufschwung des Geistes ward mir unmöglich, so bleiern schwer lag das Leben auf mir.

Ich hatte mich selbst verloren. In Carolinen's Armen rief mein Herz Deinen Namen und schaudernd stieß ich sie von mir, wenn sie sich zu mir neigte. Ich haßte Caroline, weil sie störend zwischen uns stand, ich konnte einen Augenblick mit Hoffnung daran denken, durch den Tod meines Sohnes frei zu werden von einer Knechtschaft, die ich um seinetwillen erduldete.

Dahin brachte mich das starre Halten an Dem, was ich für Pflicht hielt und was Sünde war; Sünde, Schande und Ehebruch unter dem scheinheiligen Deckmantel der Pflichterfüllung.

Ich ehre die Ehe in ihrer Reinheit, als die schönste Verbindung des Mannes und des Weibes. Weil ich das thue, löse ich meine Ehe mit Caroline auf, die eine Lüge ist und die uns herabzieht zu sittlichem Verderben, Dich, mich und sie. –

Die erste Pflicht des Menschen ist, sich in Frieden zu erhalten mit der Stimme der Wahrheit in der eigenen Seele. Nur wer das erreicht, darf daran denken, das Wohl seiner Mitmenschen segensreich zu fördern. Ich wähnte, es sei meine Aufgabe, Felix das Erbe unserer Familie zu erhalten, ein Beschützer der Landleute zu bleiben, deren Gebieter ich geworden war, und ich hatte doch aufgehört mein eigener Herr zu sein. –

[346] Priesterherrschaft, und Lust an irdischem Besitz für meinen Sohn, beherrschten mich, ich war ihr Sklave geworden, und Lüge, Feigheit, Heuchelei, alle Laster des Unfreien kamen über mich. Diese Bande sind auf immerdar zerrissen. Ich bin ärmer geworden an Hab und Gut, aber ich habe mich selbst wieder gewonnen, meinen Sohn befreit, und ich werde Dich erringen.

Die Scheidungsklage hat der Advokat seit gestern für mich den Gerichten übergeben. Er, wie Julian sind der Ansicht, daß sie mich zwingt, dem Erbe meines Onkels zu entsagen. Ich bin darauf gefaßt, und auch Felix soll dasselbe nie übernehmen, damit er nicht, wie ich, durch geistige Knechtschaft zu solchen Qualen gebracht werde, wie ich sie erlitten habe.

Ich sage mich von dem Katholicismus los und nehme Felix in die Gemeinschaft der Protestanten hinüber. Mein Sohn soll ein freier Mann werden und keinen Richter über sein Gewissen haben, als die reinen, einfachen Satzungen des Christenthums, die Jeder als Gesetz in dem eigenen Herzen findet, so lange er in der Wahrheit und in der Schönheit lebt.

Was ich gesäet in dem Kreise der Menschen, deren Loos das Schicksal für wenig Jahre in meine Hände gelegt hat, wird, ich hoffe es zuversichtlich, nicht verloren sein. Es wird Frucht tragen, und ich denke bald, wenn schon in kleinerm Kreise, dasselbe Werk zu beginnen, in neuer, starker Freudigkeit und mit Deinem Beistande, Du Geliebte!

Der Advokat kennt meinen Wunsch, sobald als möglich frei zu sein, ich will jedes Opfer bringen, das mich zu dem ersehnten Ziele führt. – Ich werde Berlin verlassen, um einen kleinen Besitz zu kaufen, auf dem wir vereint leben und wirken wollen. Sobald ich von Caroline geschieden, sobald ich frei bin, führe ich Dich in mein Haus und Du wirst es sicher nicht verschmähen darin zu wohnen, obschon es kein Schloß mehr sein wird. Ich war ein Sklave und unglücklich in den Schlössern, [347] die ich besaß. Frei und mit Dir! werde ich mich Herr und glücklich fühlen unter dem bescheidenen Dache eines schlichten Landhauses, und Friede und Liebe werden schützend und belebend über und in uns thronen.

Muth und Hoffnung, Geliebte! vertraue mir. Seit ich den rechten Weg für mich gefunden, habe ich die Gewißheit, auch Du müßtest ihn dafür erkennen und ihn freudig an meiner Hand betreten. Wir haben in redlicher Absicht geirrt, das war menschlich und verzeihlich. Zu beharren im Irrthum, wenn man die Wahrheit kennt, ist Sünde.

Ich folge dem Briefe bald. Caroline bleibt, nach ihrem Wunsche, bis zur erfolgten Trennung hier. Ich komme mit Felix Abschied von Dir zu nehmen und erst an dem Tage, an dem Du ganz die Meine wirst, sehe ich Dich wieder. Möchte Deine Seele so ruhig, Dein Herz so freudig sein als das meine. Gott mit Dir und sein Segen mit uns und unserm Felix.«

Wie eine Himmelsbotschaft beseligend wirkte dieser Brief auf Therese. Die Ruhe voller Ueberzeugung, welche aus jeder Zeile sprach, machte den tiefsten Eindruck auf sie. All ihre Zweifel schwanden, sie fühlte sich erlöst, und hätte mit dem Jubel der Hoffnung Alfred danken mögen, hätte nicht die Erinnerung an Caroline ihre Freude getrübt, auf deren zerstörter Ehe sich der Tempel ihres Glückes gründen sollte.

Ihr Zusammentreffen mit Alfred war ernst, fast feierlich zu nennen. Jene Leidenschaft, die wie ein wildes Feuer über ihnen zusammenzuschlagen gedroht, so lange die Glut ihrer Herzen von Zweifeln, wie von einem gewaltigen Sturme angefacht worden war, verklärte sich zu milder, erquickender Wärme, nun sie zur Ruhe und zu einem festen sittlichen Entschlusse gekommen waren. Alfred legte den Sohn in Theresen's Arme, und der feste männliche Druck seiner Hand sagte ihr mehr, als [348] die Sprache auszudrücken vermag. In Gegenwart des Knaben schieden sie von einander ohne Kuß, fast ohne Worte; aber in dem Tone, in dem Alfred »auf Wiedersehen!« sagte, klopften die heißesten Pulse seines Herzens und es lag darin die Bürgschaft einer glücklichen Zukunft, schwer errungen nach langem Irren, nach heißem Kampfe.

Therese lebte neu auf in dem Seelenfrieden und in der Freude über die Herstellung des Bruders, der ihr mit voller Zärtlichkeit ihre ausdauernde Treue zu danken strebte. Sobald sein Zustand es ihm erlaubte, an etwas außer sich zu denken, fragte er nach Alfred und wünschte Agnes zu sehen. Therese sagte ihm, daß der Erstere verreist sei, ohne jedoch der stattgehabten Ereignisse zu gedenken, die Julian noch unbekannt waren, und holte Agnes herbei.

Der Präsident war noch schwach und hatte jene weiche, erregbare Stimmung, die man oft bei Genesenden findet. Er bot Agnes die Hand und sagte, sie mit sichtlicher Freude betrachtend: Nun, Agnes, lebe ich wieder und bin bald so weit, daß wir nachholen können, was Sie durch meine Krankheit entbehrten. Ich möchte Sie gern recht froh in meinem Hause sehen, Sie recht glücklich machen, um Sie zu entschädigen für all die Trauer und Plage, die Sie um meinetwillen ausgestanden haben. Sie sind mir aber deshalb doch nicht gram geworden, nicht wahr, mein Kind?

Agnes versicherte ihn, wie sie nichts entbehrt zu haben glaube, da sie gewohnt sei, still und häuslich zu leben. Bis ich in Ihr Haus und zu Therese kam, kannte ich die Zerstreuungen der Städte nicht, sagte sie, und ich werde sie nicht vermissen, wenn ich wie der bei den Meinen sein werde.

Und sind wir nicht die Ihren? fragte Julian, Sie denken wirklich daran, uns im Frühjahr schon zu verlassen?

Die Eltern bedürfen meiner und Sie wissen ja, daß ich [349] nur wenig Monate in der Stadt bleiben sollte, entgegnete Agnes. Die starken Sonnenstrahlen, die in das Zimmer fallen, erinnern mich nun sehr daran, daß wir nicht lange mehr beisammen sein werden.

Sie sprach das mit einer innern Bewegung, die wehmüthig aus den Worten widerklang und die dem Präsidenten nicht entging. Sein Auge belebte sich, es schien ihn ein angenehmer Gedanke zu beschäftigen, er ergriff die Hand des jungen Mädchens und sagte, sie in der seinen haltend: Es ist brav, Agnes, daß Sie nicht mit zu leichtem Herzen von uns gehen, und wenn es geschieht, so hoffe ich, wir sehen uns bald wieder und es ist sicher nicht der letzte Winter, den Sie mit uns zubringen. Wollen Sie wiederkommen? Wollen Sie wieder mit uns leben, liebe Agnes?

Gewiß! entgegnete sie, Sie sind so gut. Sie stockte, wendete sich erröthend ab, vor dem langen, prüfenden Blick des Präsidenten, der sie verwirrte, und verließ das Zimmer.

An der Thüre desselben begegnete ihr der Assessor und setzte sich im Nebensaale an ihre Seite, da sie an ihrem Nähtisch Platz nahm. Sie beantwortete seine Fragen zerstreut und konnte nicht verbergen, daß sie innerlich von irgend einem Gedanken ausschließlich beschäftigt sei. Theophil betrachtete sie mit Ueberraschung und sagte: Ihnen muß etwas Besonderes begegnet sein, Liebe; denn ich habe Sie selten, wie in diesem Augenblicke, verwirrt und unruhig gesehen. Sie kommen von dem Präsidenten, was kann da vorgefallen sein? Er ist doch wohl?

O ja! er denkt bald hergestellt zu sein. Sie seufzte und schwieg. Auch Theophil's Brust entrang sich ein Seufzer.

Wir werden nun bald scheiden, sagte er, denn nur bis zur gänzlichen Genesung des Präsidenten bleibe ich noch hier.

Agnes sah eifrig auf ihre Arbeit nieder, es entstand eine lange Pause. Mehrmals versuchten Beide zu sprechen, es war [350] aber, als könnten sie das rechte Wort nicht finden. Endlich bemerkte Theophil: Wie sonderbar das Leben sich gestaltet! Krank, gebrochen an Körper und Geist, langte ich bei den Freunden an. Weder Julian noch Therese waren mir damals Etwas, nur der Wunsch meiner Eltern führte mich her, und welche Reihe von Gefühlen habe ich hier durchlebt! Ich bin genesen, ich habe Freude, Schmerz und großes Glück hier empfunden, und nun ist das Alles auch wieder vorüber. Das Stück ist ausgespielt, ich gehe fort, und bald wird Niemand meiner gedenken von Allen, die ich hier verlasse.

Sie sind ungerecht! sagte Agnes leise.

Ich höre nur auf, eitel zu sein, entgegnete Theophil. Therese wird an Alfred's Seite wenig Raum für mein Andenken haben und Sie, Agnes? –

Er sah sie fragend an, sie vermochte nicht die Augen aufzuschlagen und nähte ruhig fort.

Werden Sie an mich denken, Agnes? wiederholte er.

Sie stand auf und trat in die Nische eines andern Fensters. Theophil folgte ihr nach. Sie hatte die Stirne gegen die Scheiben gelehnt; als er sich zu ihr wendete, sah er, daß sie weinte.

Agnes, rief er, wäre es möglich, daß diese Thränen unserm Abschied gelten? Gute, liebe Agnes! nur ein Wort sprechen Sie aus, bin ich Ihnen werth?

Sie antwortete nicht und wollte hinauseilen, aber Theophil hielt sie zurück. Hören Sie mich an, nur wenig Augenblicke! bat er dringend. Sie kennen, ich weiß es, meine Werbung um Therese, Sie kennen auch das Verhältniß, in dem ich zu ihr stehe. Wollte ich Ihnen sagen, ich hätte Sie geliebt, seit ich Sie kenne, es wäre unwahr und Sie würden es nicht glauben. Ausschließlich mit Therese beschäftigt, hatte ich für nichts Anderes Sinn, war ich blind für Ihre Vorzüge. Erst [351] jetzt habe ich Sie kennen, Sie schätzen und Sie herzlich lieben lernen. Ich weiß, daß ein Mädchen wie Sie die erste heiße Liebe eines Männerherzens fordern dürfte, und doch biete ich Ihnen meine Hand. Könnten Sie mir vertrauen, Agnes? Könnten Sie sich entschließen meine Frau zu werden?

Lieber Theophil, sagte sie ängstlich, ich möchte nicht – aus Mitleid sollen Sie nicht –

Theophil sah sie befremdet an; da nahm Agnes sich zusammen und sagte: Nein! Theophil! ich mag nicht, daß –, sie stockte und stieß dann rasch die Worte heraus: Sie sollen sich nicht aus Mitleid opfern, das würde mich in meinen eigenen und in Ihren Augen erniedrigen und dann wäre ich sehr elend.

Ich verstehe Sie nicht, Agnes! sprach er sanft, aber sagen Sie mir nur das Eine, können Sie mich lieben? Nur das eine Wort; denn Sie sprachen in Räthseln bis jetzt. Wie sollte ich Mitleid mit Ihnen fühlen, mit Ihnen –

Weil Sie es ja wissen, daß ich Sie liebe! Eva hat es Ihnen ja gesagt! unterbrach ihn Agnes, laut aufweinend, und nun thue ich Ihnen leid.

Du liebst mich? Du junger, schöner Engel liebst mich! rief er in innigster Freude und zog sie in seine Arme. Sage mir das noch einmal, noch einmal, damit ich es glaube. Sie ruhte an seiner Brust und er küßte die Thränen von ihren Wangen.

Zu Therese, o kommen Sie zu Therese! bat Agnes, sobald sie sich aus dem ersten Rausche des Entzückens gerissen hatte. Es kommt mir wie ein Unrecht vor, daß Sie mich lieben nach ihr. Was bin ich neben ihr?

Ein schöner, reiner Engel! rief Theophil, und bald mein theures Weib! Wie wird sich Therese freuen, wie glücklich werden meine Eltern mit der Tochter sein, die ich ihnen zuführe. Agnes, nur noch einmal sage mir's, daß Du mich liebst.

[352] Ich liebe Dich, sagte sie schüchtern, dann, von ihrem Gefühl gehoben, warf sie ihre Arme um seinen Hals und rief mit so freudiger Zärtlichkeit: O unaussprechlich liebe ich Dich! daß sein Herz davor erbebte.

Er führte sie zu Therese; diese vermochte anfangs seinen Worten nicht zu glauben. Denn selbst die klügsten Frauen begreifen es nicht leicht, wie schnell die Umwälzungen in dem Herzen des Mannes vor sich gehen. Im Frauenherzen gibt es zwar ein plötzliches Erglühen der Liebe, aber kein plötzliches Welken und neues, schnelles Werden. Jedes Gefühl läßt in dem Frauenherzen seine tiefen Spuren zurück, der Mann, den eine Frau einmal geliebt, hört nie völlig auf, in ihrem Herzen fortzuleben und nur mühsam und schwer vermag ein Anderer den Platz auszufüllen. Anders empfindet der Mann. Theophil schwelgte in dem Gedanken an die junge, schöne Geliebte und er schien es nicht zu ahnen, daß, ihr selbst vielleicht kaum merkbar, ein leises Gefühl von gekränkter Eitelkeit sich in Therese regte, als er ihr unverhohlen seine Freude und sein Glück verkündete.

Und in der That währte die unbehagliche Empfindung Theresen's nur wenig Augenblicke. Das Glück des jungen Paares that ihr wohl, wenn schon eine Besorgniß für des Bruders Zukunft in ihr daraus erwuchs. Sie bat ihre jungen Schützlinge, ihr Bündniß dem Präsidenten noch zu verschweigen, versprach die Freiwerberin bei den Eltern des ihr anvertrauten Mädchens zu machen, und verlangte von Theophil, daß er unter irgend einem Vorwande sich entferne, bis die Antwort derselben angelangt sein würde.

Er fügte sich ihrem Wunsche und es ward nun einsam in dem Hause. Agnes trug ihre stillen Hoffnungen froh in ihrer Brust und vermochte kaum den Jubel ihres jungen Herzens zu verschweigen. Julian, je wohler und kräftiger er sich fühlte, ward mehr und mehr von der Schönheit und Liebenswürdigkeit [353] des Mädchens ergriffen, die sich nun in doppeltem Glanze entwickelten, und Therese sah dies Wohlgefallen ihres Bruders an dem jungen Mädchen mit geheimer Scheu. Es drängte sie deshalb, Julian vor einer schmerzlichen Täuschung zu bewahren und ihm zugleich zu verkünden, welche Wendung ihr eigenes Schicksal während seiner Krankheit genommen hatte.

Eines Tages, als sie allein beisammen saßen, holte sie Alfred's Brief herbei und las ihn dem Präsidenten vor. Julian hörte ihn mit sichtlicher Genugthuung. Als Therese geendet hatte, umarmte er sie und sagte: Alfred hat das Rechte gethan und Ihr werdet glücklich sein. Es gibt Entschlüsse, die aus voller Ueberzeugung, aus innerster Seele hervorgehen müssen, und Thaten, wegen deren man Niemand Rechenschaft schuldig ist als sich selbst. Die Trennung einer Ehe ist eine solche. So lange ich ihn unentschlossen, leidenschaftlich erregt sah von der Liebe zu Dir, rieth ich ihm ab, sich von der Frau zu trennen. Diese Liebe konnte vorübergehend sein, er konnte möglicher Weise die Kraft haben, sie zu überwinden. Der Widerwille gegen Caroline, die Mißverhältnisse zwischen den Gatten aber sind nicht zu vertilgen, und deshalb hat er nur die Pflicht, sich von seiner Frau zu trennen, und das Recht, Dich und sich glücklich zu machen, so glücklich, als ich Euch zu sehen wünsche.

Er fragte Therese nach manchen Vorgängen, welche während seiner Krankheit geschehen waren; man gedachte mehrfach der Vergangenheit und Therese erinnerte ihn an den Abend, an dem sie mit so banger Besorgniß der Ankunft von Agnes und Theophil entgegengesehen hatte. Nun sind die Beiden uns so werth geworden, sagte sie, haben uns nur Gutes gebracht, und grade ich, die mein Schicksal mit dem Deinen unlöslich verbunden geglaubt hatte, trenne mich nur von Dir, mein Bruder! – Daß dieß geschehen könne, hätte ich niemals geglaubt und am wenigsten, daß ich so glücklich dabei sein würde. Ich hatte allen [354] Ansprüchen an das Leben entsagt, ich hielt mich für zu alt, um hoffen zu dürfen.

Zu alt? fragte Julian. Was würdest Du denn sagen, wenn ich Dir bekennte, daß ich mich nicht für zu alt erachte, noch zu hoffen und mir eine neue Zukunft zu gründen, wenn Du mich verläßt. Ich habe – –

Julian! fiel ihm Therese mit ängstlicher Eile ins Wort, Du stehst noch nicht am Ende der Ueberraschungen.

Sie wollte nicht, daß er vor ihr seine Neigung für Agnes gestehe, da sie unerwidert geblieben war. Ein Gefühl von Stolz für den Bruder machte ihr Schmerz. Sie wünschte ihm die Kränkung zu ersparen, die Jeder empfindet, wenn er von einer verschmähten Liebe sprechen muß.

Ich bin nicht die einzige Braut in Deinem Hause, sagte sie, auch Agnes hat sich mit Theophil verlobt.

Julian wechselte die Farbe und rief: Agnes mit Theophil! das ist seltsam! sehr seltsam, in der That!

Therese wagte nicht, ihn anzusehen, es that ihr leid, daß sie sich nicht schnell entfernen konnte; sie wünschte etwas zu zu sprechen, etwas zu thun, um das eintretende Schweigen zu unterbrechen. Das Erscheinen des Dieners, der Frau von Barnfeld meldete, war ihr deshalb recht erwünscht.

Sehr willkommen! sagte der Präsident, tief aufathmend.

Er hatte Eva nach seiner Genesung noch nicht gesehen, da der Arzt bis jetzt fast jeden Besuch in dem Krankenzimmer verboten hatte. Bei Eva's Eintritt stand er auf und ging ihr entgegen, sie mit gewohnter Freundlichkeit zu begrüßen. Eva aber, sowie sie ihn erblickte, flog auf ihn zu und fiel ihm mit einem Freudenrufe um den Hals. Dann, noch ehe der Präsident und Therese Zeit gehabt hatten, sich von ihrer Verwunderung zu erholen, rief sie lachend, während ihre Augen in Thränen schwammen: Mein Gott, Vetter! stehen Sie doch nicht da wie eine Salzsäule! Ist's denn solch großes Wunder, daß ich [355] mich freue Sie wiederzusehen? Ich bin freilich gegen Sie stets über Gebühr gütig und liebevoll gewesen.

Das sind die Himmlischen immer für die armen Sterblichen und dies allein gibt uns den Muth, noch mehr Gunst zu fordern, als man uns gewährt, entgegnete der Präsident, schnell wieder Herr über sich geworden und auf den Ton der schönen Eva eingehend. Er umarmte sie, küßte sie noch einmal und sie ließ es lachend geschehen. Dann sprach er anscheinend heiter von den beiden Verlobungen in seinem Hause.

Sie sehen, sagte er, das Heirathen wird epidemisch unter uns; nehmen Sie sich in Acht, Eva! so etwas steckt an.

Nun dann hüten Sie sich doppelt, denn nach Krankheiten ist die Empfänglichkeit für Ansteckung noch größer, neckte sie ihn.

Weil ich das fürchte, werde ich, sobald ich es kann, Urlaub fordern und ein Ende fort, etwa bis nach Paris gehen, meinte der Präsident.

Geht denn alle Welt jetzt nach Paris? fragte Eva.

Wer ist denn sonst schon dort?

Eva schwieg, der Präsident wiederholte seine Frage und Therese sprach zögernd: Eva meint vielleicht die Harcourt.

Ist sie dort engagirt? fragte Julian mit sichtlicher Theilnahme.

Sie ist barmherzige Schwester geworden, wissen Sie das nicht? rief Eva.

Nein! das wußte ich nicht, sagte Julian schmerzlich, und Eva meinte: Wohl ihr! Ich wollte, ich wäre so weit als sie, denn ich habe auch gar keine Freude mehr an dem leeren Treiben der großen Welt, bei dem oft das Herz bricht, während man vor den Leuten dazu lachen muß.

Sie haben wohl lange keinen Ball besucht? Die erste Einladung dazu würde Ihre Grille verscheuchen, schöne Cousine! sprach Julian, dann versank er in Nachdenken und sagte nach einer Weile leise, mit tiefer Wehmuth: Arme Sophie!

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TextGrid Repository (2012). Lewald, Fanny. Romane. Eine Lebensfrage. Eine Lebensfrage. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EAC7-A