2.

Dieselbe Frühlingsnacht lag auch auf Wald und Feld, auf Stadt und Dorf im Norden unseres Vaterlandes. In dem kleinen Orte war alles schon zur Ruhe gegangen. Auch in dem großen, schloßartigen Hause des Amtmannes schien Alles still. Hinter den Fenstern waren die weißen Rouleaux hinuntergelassen. Nur nach der Gartenseite im Erdgeschoß, waren zwei Fenster weit geöffnet. Ein persischer Teppich bedeckte den Fußboden des Zimmers. Auf dem runden Tisch [140] vor dem Sofa stand eine Astrallampe, die den Raum hell erleuchtete. Den Fenstern gegenüber war ein »Bechstein« hingeschoben. – In die Nacht hinaus klang das Impromptü As dur, Opus 142, Nummer 2, von Franz Schubert. Der Zwischensatz wurde zu schnell, zu leidenschaftlich gespielt; es lag etwas wie Angst und Unruhe darin. Bald waren auch die letzten Akkord des vornehmen kleinen Stückes verhallt.

In eines der offenen Fenster trat ein junges Mädchen. Sie faltete die Hände und blickte in den Garten hinein. Das Kleid war bis an den Hals geschlossen; aus der Spitzenkrause hob sich der schöne Kopf, schmal und blaß. – Und eine Kette klagender, schwerer, sehnsuchtsvoller Gedanken zog ihr Herz in die Vergangenheit.

In weiter Ferne hörte man Gesang. Bald deutlicher, bald schwächer. Es waren Soldaten, die auf dem Wege zur Grenze waren, wo der Krieg in diesen Tagen ausgebrochen.

Jetzt klang es klar zu ihr herüber:


»Kein schön'rer Tod ist in der Welt,
Als wer vor'm Feind erschlagen,
Auf grüner Heid', im freien Feld,
Darf nicht hör'n groß Wehklagen;
Im engen Bett nur Ein'r allein
Muß an den Todesreihen:
Hier findet er Gesellschaft fein,
Fall'n mit wie Kräuter im Maien.«

Sie horchte atemlos. Der Mund öffnete sich ein wenig. Die Augen wurden größer. Auf dem holden Gesicht prägte sich Angst und Sorge aus.


»Mit Trommelklang und Pfeif'ngetön
Manch frommer Held war begraben,
Auf grüner Heid' gefallen schön,
Unsterblichen Ruhm thut er haben!«
klang es, schwächer und schwächer werdend. –
[141]
»Auf grüner Heid' gefallen schön,
Unsterblichen Ruhm thut er haben!«

hörte sie noch einmal deutlich.

Die Stirn tief gebeugt, die Augen geschlossen, so hatte sie die letzten Töne vernommen. Nun war es still und einsam um sie her. Langsam ging sie zum Flügel:


»Kein schön'rer Tod ist in der Welt,
Als wer vor'm Feind erschlagen ....«

Sie spielte und sang das alte schöne Soldatenlied. Als sie geendet, lag noch lange die rechte Hand auf den Tasten. Wie oft hatte er es ihr gesungen, mit seiner klaren, ruhigen Stimme. Sie hatte ihn begleitet. Begeistert hatte er dann von den Volks- und Soldatenliedern erzählt. Wie sich die Soldaten selbst ihre Melodien zurechtlegen, zuerst durch kleine Abänderungen von alten Kirchen- und Volksweisen. Wie die Grundstimmung in fast allen ihren Gesängen eine weiche, ernste sei; wie durch alle das Heimweh ziehe, oft unbewußt. –

Ein Nachtfalter flatterte um die Lichter. Sie erhob sich und ging an's Fenster. Die obere Fläche der linken Hand legte sie an die Seitenwand und stützte die Stirn hinein. Aus den großen grauen Augen brachen Thränen, unaufhaltsam.

Ab und zu rauschte ein Windhauch durch die Zweige, klagend und gleichgültig zugleich: er rauschte das ewige Lied der Entsagung – des Todes.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Adjudantenritte. Verloren. 2.. 2.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-ED5A-4