[1] Sommertag

Mit dem Bädeker in der Hand
Bin ich durch eine Stadt gerannt,
Die weithin thät nach allen Enden
Ihre Straßen und Züge senden.
Auf den Zeilen und Märkten und Plätzen und Brücken
Konnt' ich mich kaum durch die Menge drücken.
In all dem Gewühl, in all dem Gesuche
Lief ich umher mit dem roten Buche,
Bis ich mich unter dem heißen Himmel
Gänzlich verlor im Volksgewimmel:
Karroussel und Affentheater,
Pudeldressur und gelehrte Kater,
Seiltänzer, Schießbuden, Mechanik,
Orgelgedreh, Musikantengequiek:
Gelangweilt halb, halb angeregt,
Hab' ich mich im Gewoge bewegt,
Ließ mich treiben und ließ mich schieben,
Bin hier gegangen und dort geblieben,
Und war endlich zufrieden und froh,
Als ich dem Zetermordio
Den Rücken wandte; doch halt noch einmal,
Da gab's noch einen Zaubersaal.
Sehnsüchtig harrten der Kinder viel
Und sähen zu gerne das Puppenspiel.
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Und wie's so geht, ich lüfte mein Geld,
Und ließ sie hinein in die Wunderwelt.
Das war ein Jauchzen und war ein Jubel,
Nur eine wagt es nicht im Trubel
Mit zu drängen im polternden Heer,
Und auch, sie war ein Kind nicht mehr:
Ein Mädel von siebenzehn, achtzehn Jahren,
Mit braunen Augen und blonden Haaren,
Die sandte mir Blicke, ich wär' nicht von Stein,
Ob sie nicht auch dabei könnte sein.
Gewiß, nur zu, und ich geh' mit,
Und halte mit ihr den gleichen Schritt.
Und während sich zeigten Adam und Eva,
Hanswurst, der Pfalzgraf und Genofeva,
Blieb fast stetig mein Auge hangen
An meiner Nachbarin weichen Wangen.
Wie zart und blaß war ihr Gesicht,
Die hat im Leben viel Freude nicht.
Einen Hauch schon entdeckt' ich der täglichen Sorgen,
Den die Angst ihr gab vor dem nächsten Morgen.
Sie aber fühlte nicht meine Gedanken,
Sah auf der Bühne dem Keifen und Zanken
Voll Neugier zu und lacht und klatscht,
Wenn Kasperl den bösen Teufel klabatscht.
Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und alles strömt in's Freie hinaus.
Das Dirnlein aber, das süße Kind,
»Die hat was in mir angezünd't.«
Ich nahm bei der Hand sie und bat sie fein,
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Ich wär' in der Stadt hier ganz allein,
Sie möchte mit mir den Tag genießen,
Es sollte sie wahrlich nicht verdrießen.
Und stell's ihr vor, und Arm in Arm,
Tauchen wir unter im Menschenschwarm.
Wie haben den Tag wir uns amüsiert,
Sind viel gefahren und viel spaziert,
Haben gegessen und gut getrunken,
Und sind uns in die Arme gesunken,
Wenn's der Kellner nicht sah, und die werten Gäste
Ihre Gläser verließen und Speisereste.
Und allerlei schenkt' ich dem jungen Blut,
Natürlich zuerst einen neuen Hut.
Den Bädeker hab' ich vergessen wo,
Was schiert's mich, ich war so frisch und froh,
Was soll mir die Kunst heut, die lass' ich stehn,
Was Kirchen, Paläste, Musik und Museen.
Des Abends schritt ich mit ihr nach Haus,
Das lag in ärmlicher Vorstadt drauß.
Hat keiner sich weiter um uns geschoren,
Und Amor zog's Nachtmützchen über die Ohren.
Einmal erwacht' ich, die Glocke schlug zwei,
Da hört' ich Wiegen und Kindergeschrei
Und Hundegeheul und Katzenmiau,
Und einer schalt wütend auf seine Frau.
Ein Betrunkener stolpert fluchend herauf
Und stößt die Treppe beinahe zu Hauf.
Und diese ganze Nachbarschaft
War meiner Seele so grauenhaft.
Das Mädel indessen schlief unbewegt,
Hat einen Arm um den Hals mir gelegt,
Und lehnte ihr Haupt an meine Brust,
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Und hat nichts von Streit und Lärm gewußt.
Und über ihr Herz ein Traum sich spann:
Du guter, du lieber, du bester Mann,
O halte mich sicher, o halte mich fest,
Dann hab' ich ein Leben, dann hab' ich ein Nest,
Dann leid' ich nicht Hunger und leide nicht Not,
Hab' immer mein Linnen und immer mein Brot.
Des Morgens, schon schien die Sonne herein,
Mach' ich mich fertig, der Abschied muß sein.
Die Kleine, gebückt auf meinen Schuh,
Bindet geschäftig die Bänder ihm zu.
Und über den leuchtenden Flechtenschimmer,
Schaut' ich mich um in ihrem Zimmer.
An der Wand die Bilder: Ein Wasserfall;
Von der Säule das goldne Kalb schlägt Lassalle
In tausend Trümmer mit wuchtigen Hieben,
Ein Vorderhuf nur noch war stehn geblieben;
Ein gütiges greises Kaisergesicht;
Daneben im Rahmen ein Glückwunschgedicht.
In der Ecke stand öde die Nähmaschine,
Des Blondchens geizige Honigbiene.
Noch einmal küßt' ich das junge Ding,
Daß ihr und mir der Atem verging.
Ein leises Zittern, ein flüchtig Erblassen,
Dann hab' ich entschlossen das Mädchen verlassen.
Nur nicht gezögert beim Lebewohl,
Sonst hängt sich Blei an Sattel und Sohl'.
Und bald schon saß ich im nächsten Zug,
Der rücksichtslos in die Ferne mich trug.
Leg' ich zuweilen im Abendschein
Auf dem Lebensstrome die Ruder ein
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Und lasse mich treiben, stütze mein Kinn,
Dann zieht mir Vergangenes durch den Sinn,
Und, ich fühl's an meines Herzens Schlag,
Auch dieser lustige Sommertag.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Haidegänger. Sommertag. Sommertag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-ED5F-9