[70] Allerlei Tumult in Hamburg

1483.


Die Bürgermeister Görg Lam und Hans Jübeck
Sind auf dem Hansetag in Lübeck.
Die »Reitendiener« mit Harnisch und Bogen
Waren als Garde mitgezogen.
Die Ältesten aber vom Hohen Rat
Blieben zurück über Stadt und Staat.
Da war der Böttcher Heinrich Loh,
Der ist nie seines Lebens froh:
Der spintisiert, ist niemals zufrieden,
Sein Zornblut will stets übersieden.
Nun, da verreist sind die Bürgermeister,
Häuft er um sich die abholden Geister,
Besteigt eine Tonne, hält eine Rede
Und kündet den Mächtigen Feindschaft und Fehde.
Und er fuchtelt wüst mit Arm und Finger,
Seine Beine tanzen wie Jahrmarktspringer:
»Hört mich, Bürger, man will uns betrügen,
Uns arme Leute will man belügen.
Glaubt mir, daß viele Dinge auf Erden
Vom Gold unterm Hütlein betrieben werden.
Die Reichen schicken nach Island das Korn,
Für uns bleibt nichts als Distel und Dorn.
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Warum Weil die Reichen immerzu
Geld aufstapeln in Strumpf und Truh.
Gestern schickten sie Ochsen und Schweine
Über die Elbe. Fürs Allgemeine?
Für uns? Nein! Sie ziehn Geld draus her,
Ihr Eigennutz kennt keine Grenzen mehr.
Der Hunger frißt schließlich Armut und Not,
Und uns treibt zu Paaren der leidige Tod.
Auf! Zertrümmern wir Spiegel und Speicher
Und plündern und brennen – –«
Wer zog da plötzlich dem Aufwiegler vorbei?
Von Bremen die ganze Klerisei.
Vom Erzstift gesandt, kamen Abt und Prälat
Und Priester an, in großem Ornat.
Sie sollten nach Hamburgs Harvestehude,
Wo das Kloster steht, eine Nonnenbude.
Das Kloster wollen sie visitieren
Und mit Strenge alsbald reformieren,
Weil die lieben Nönnlein darin
Allzu viel treiben weltlichen Sinn.
Das merkt Hein Loh und bleibt auf der Tonne
Und schreit wie nichts Guts in der funkelnden Sonne:
»Was wollen die Mönche, was wollen die hier?
Ins Kloster ziehn, ins Nonnenrevier.
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Laßt doch die grauen Schwestern in Ruh;
Die müssen auch mal Sandalen und Schuh
Hinlenken zu Mannsleuten und in die Welt,
Und sind nicht immer zur Hora gesellt.
Und tun sies heimlich und bei Nacht,
Darüber hat keiner Bann und Acht.
Los, Leute! Laßt uns die Kutten verhauen
Und ihnen verkeilen die schmutzigen Klauen.«
Da fiel Alles über die Bremer her
Mit Faust und Riemen und Knüttel und Speer.
Das ist der Obrigkeit doch zu viel,
Sie macht ein End mit dem wilden Spiel.
Und sie setzen Hein Loh in den Winser Baum,
Da hält ihn ein mächtiger eiserner Zaum.
Nun aber tobt wütend die große Menge
Und macht um die Ratsherren ein Gedränge,
Nehmen von ihnen zwei in die Mitte,
Zwingen sie zu beschleunigtem Schritte
Und führen sie bis ans Gefängnis vor,
Wo Hein Loh saß hinterm geschlossenen Tor.
Die beiden Ratsherren, alt und krumm,
Mit denen gehn sie klotzig um;
Sie spein sie an, und hageldicht
Fällt Schlag auf Schlag in ihr blutend Gesicht.
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Vorm Tor des Gewahrsams halten sie an,
Da zeigt sich der »Thumbherr«, der Kerkersmann.
Der läuft davon, läuft heulend hinaus
Und verkriecht sich im nächsten Spittelhaus,
Zieht sich dort Frauenröcke an,
Daß man ihn nirgends finden kann.
Dann krachen die Türen. Hein Loh ist frei!
Sie bringen ihn weg mit Triumphgeschrei.
Und rechts und links, als höchste Ehren,
Folgen die Ratsherrn dem Volksbegehren
Und gehn zu den Seiten von Hein Loh;
Da lachte sein Auge zum erstenmal froh.
Der Pöbel zupft die beiden Alten
An den langen Bärten und Rockschoßfalten.
Ein Edelmann aus der Nachbarschaft kommt
Mit seinem Pagen vorbei. Dem frommt
Der wütende Haufe nicht. Er bleibt stehn.
Wen sieht er zwischen den Ratsherren gehn?
Und er zeigt mit dem Finger auf Hein Lohn:
»Das ist mein Leibeigner, der ist mir entflohn.
Ein Höriger ists, und der ist mein;
Unehrlich geboren ist das Schwein.
Her mit dem Kerl!« Schon will er ihn packen,
Da springt Hein Loh ihm auf den Nacken
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Und reißt ihn zu Boden und tritt ihn tot.
Dann hebt ihn das Volk hoch, hellentloht,
Und Heins Stimme tut stracks den Platz ausfüllen,
Als wenn hundert Löwen auf einmal brüllen:
»Wir sind die Herren jetzt, und wir sind gleich, rufen!
Und unser sind Stadt und Erdenreich.
Los! Plündert und brennt! Laßt die Sturmglocken
Herunter den Rat von den Marmorstufen!
Wir sind Alle Brüder! Wir saufen und singen!
Man soll mir die Schlüssel von Hamburg bringen!«
Nun ward ein Spektakel, nicht auszusagen,
Und Alles wird kurz und klein geschlagen.
Die Sturmglocken bellen, die Flamme schlägt aus;
Nun meide, wer meiden kann, den Graus.
Besonders zwei Weiber tun sich hervor
Aus dem fürchterlichen Aufrührerkorps.
Sie heißen Geesch Heeschen und Greten Maisch,
Überall hetzt ihr gelles Gekreisch.
Sie zertrümmern Hostie, Kelch und Altar
Und verfluchen Gott und die Heiligenschar.
Es stockt die Zeit! Weltuntergang!
Ein einziger gräßlicher Chaosklang.
Leis klingt und klappt her ein Ton von Lübeck.
Die Bürgermeister Görg Lam und Hans Jübeck
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Jagen zurück. Ihre Gäule schäumen,
So schnell ist ihr Ritt. Gischt weht von den Zäumen
Auf den Knick. Ein Hufeisen geht verloren,
Das tut nichts, nur immer feste die Sporen.
Die »Reitendiener« hinterher,
Die Garde mit lechzendem Todgewehr.
Und allerorts, an den Seitenwegen,
Stehn Ritter und Knappen, die Nachbarn, und fegen
Mit Görg Lam und Hans Jübeck durch Lehm und Lache
Hamburg entgegen mit ihrer Rache.
Görg Lam stürzt in Alt-Rahlstedt zur Erde
Und überkugelt sich mit seinem Pferde.
Tut nichts, schon ist er im Sattel wieder,
Nur weiter, heut hat er steinerne Glieder.
Die Glock ist Mitternacht. Stopp und Halt!
Wie das von Hamburg herüberschallt:
Wie aus einem Kessel, gedämpft und dumpf,
Wie Hexengesang aus einem Sumpf,
Wie brodelnde Blasen auf einem Teich
Von flüssigem Stahl im Höllenreich.
Und über diesem einen einzigen Ton
Sehn sie das alte Hamburg lohn.
Nun gibts ein Gewirr, bis der Hohe Senat
Das Heft wieder in starken Händen hat.
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Und dann: Kommt mal her! Wer wars? Kopf ab!
Kopf ab! Kopf ab! Kopf ab! Kopf ab!
Hendrich Loh sollte am Galgen sterben,
Sein Leichnam zwischen den Krähen verderben.
Die Böttcher aber, die Zunft, bat wehmütig
Den Hohen Rat, wehmütig und demütig,
Hein Loh mit dem Schwerte hinzurichten;
Das ward erlaubt mit »Angstrichterspflichten«.
Einen Maulkorb trug er als letzte Bürde;
Sie hatten Furcht, daß er reden würde.
So hat er denn »zwischen den beyden Thoren«
Sein Haupt mit dem Maulkorb im Sand verloren.
Geesch Heeschen doch und Greten Maisch
Mußten braten lassen ihr Fleisch
Auf einem tüchtigen Scheiterhaufen.
Da kam der Mob hinzugelaufen
Und höhnte sie, stäupte sie mit dem Besen;
Nun, wies von jeher ist gewesen.
Ein Satyrspielchen ist noch zu erwähnen,
Das ist nicht zum Lachen und nicht zum Gähnen.
Wenn in großen Städten die Pest ist verschwunden
Und Druck und Kleinmut sind verwunden,
Dann sieht man wohl vor Fenster und Türen
Die Nachbarn lange Gespräche führen:
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Man erkundigt sich, wer gestorben ist,
Und freut sich, wer noch am Leben ist.
So wars auch nach der schlimmen Empörung,
Nach der argen Philisterstörung:
Cord Hinrichsen ist achtzig Jahr,
Er trägt in Ehren sein weißes Haar,
Das schwarze Käppchen drauf steht ihm gut.
So geht er durchs Tagwerk mit redlichem Mut,
Ist streng gesetzlich, ein trefflicher Schneider,
Macht Bürgermeister und Ratsherren die Kleider.
Der steht, umringt von vielen Leuten,
Die sich die schrecklichen Zeiten deuten.
Er erzählt ihnen das, erzählt ihnen dies –
Zwei Büttel kommen. Der eine stieß
Den andern an: »Kiek, der will von neuem
Unser Hamburg mit Aufruhr bedräuen.«
Blut, ewiger Blutgeruch und Getös
Machen selbst Büttel »etwas nervös«.
Sie reißen den Alten aus dem »Komplott«
Und schleppen ihn eilig aufs Schaffott.
Dort rufen die Raben: Papperlapapp!
Kopf ab! Kopf ab! Kopf ab! Kopf ab!

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TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Gute Nacht. Allerlei Tumult in Hamburg. Allerlei Tumult in Hamburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-ED9E-C