[4] An einen Freund

Noch seh' ich deine schwermutsvollen Augen,
Dein blaß Gesichtchen und den herben Zug,
Den deine Lippen auch als Mann behielten.
Wir hatten, Knaben, in die Waldesschatten
Uns scheu zurückgezogen von den Spielen,
Und sprachen wichtig über Welt und Menschen.
Ich fühle noch das Grau'n, als erste Zweifel
Uns kamen über Gott – Unsterblichkeit,
Uns unerklärlich Schauer überliefen,
Wenn wir der Liebe Sphinx zu deuten suchten.
So saßen oft wir, fernab von den Freunden.
Es floß der Waldbach plätschernd uns zu Füßen,
Der Buchfink trillerte, die Drossel pfiff,
Und stieß der Falke seinen kurzen Schrei
In all' die Stille, flogen wir zusammen.
Wie viele Jahre sind seitdem vorüber.
Du stehst im Leben aufrecht, und des Weges
Gehst wohlbewußt du, klar, und ohne Schwanken.
Doch denkst du noch zurück an jene Stunden,
Wenn Buchenkronen dir zu Häupten rauschen,
Und hoch am Himmel schrill der Falke schreit?

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TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Adjudantenritte. An einen Freund. An einen Freund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EE15-5