[73] Heimweh

Heut durch den ganzen Tag war ich gezwungen
An meine ferne Heimatwelt zu denken.
Weit liegt sie fort, weit fort.
Die schöne Fürstin
Durft' ich zu Tische führen, wo sich lebhaft
Gespräch entwickelt, Geist an Geist entzündet.
Doch immer, wie gebannt, in Red' und Antwort
Lag mir ein einsamstilles Feld im Sinn:
Der Pflüger zieht dort Furche hinter Furche,
Von Krähen nah begleitet, die ganz scheulos
Mit emsigen Schnäbeln Engerlinge suchen.
Der Frühlingshimmel, wolkenlos, wärmt schon
So stark, daß sich der junge Bauer bald
Die Jacke abgezogen hat. Und nun,
Die Leine um die Schulter, schneidet er,
Den widerspenstigen Sterz fausthart umfassend,
Durch's Herz das alte gute Mutterland.
»O nein, Sie müssen wissen, gar nicht so,
Wie wir uns einen Dichter vorgestellt ...«
Was denn? Wer denn? Mir steht nur immerfort
Der junge Knecht, der brave Pflug vor Augen.
»Den Landmann meinen Hoheit?« »Ah, c'est drôle ...«
Am Abend war mit lustigen Künstlern ich
Zusammen. Lärmend drang es in die Nacht
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Aus unsern Fenstern auf die stummen Straßen.
Ein muntres Weibsgesindel hielt mit uns.
Mir saß die schwarze Olga auf dem Schoße.
Sie fällt mir um den Hals, sie tuschelt mir:
»Komm nun, mach zu, komm, komm, wir wollen gehn ...«
Ich aber schau' dem letzten blassen Mond,
An ihr vorüber, in sein Traumgesicht –
Und vor mir wieder glänzt der Frühlingstag:
Der Pflug, das Krähenvolk, die schwitzenden Pferde;
Die aufgeworf'ne Scholle, wie sie trieft!
Abseits des Ackers liegt ein sandiger Weg,
Von Knicks und Wällen rechts und links besäumt.
An einer Weide dort, wo erste Kätzchen,
Wohl hundertbüschlig, sanft im Westwind schaukeln,
Steh' in Gedanken ich, und meine Hand
Greift in den Busch, daß seine Blüten stäuben.
Und meine Sehnsucht dehnt die straffsten Flügel ...
Da biegst du, Mädchen plötzlich aus der Hecke,
Du, derer ich gedenke mondelang,
Du, der ich meine ganze Seele hingab.
Wie konnt' ich ahnen, hier dir zu begegnen,
An dieser aller Welt entlegnen Stelle.
Sie naht ... ich starre ... jetzt ... in gleicher Höhe ...
»Halt an, bei Gott, halt an, ich liebe dich;
Ich weiß, du bist des andern treue Braut.«
Und sie – hält an, und lächelt: »Dummer Junge,
Bin ich des andern Braut, was geht's dich an?
Ich bin ihm treu, doch liebst du wirklich mich,
Was zögerst du, wenn du mich küssen willst;
Einmal ist keinmal ...«
Was doch wohl die Weide,
Das saftgeschwollne Bäumchen übersegnet ...

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TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Haidegänger. Heimweh. Heimweh. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EF1E-B