Kopf oben
Laß doch das Wimmern und das Weinen,
Das Winseln über Qual und Not,
Nicht immer kann die Sonne scheinen,
Nicht immer glänzt das Morgenrot,
Es muß auch Regenwolken geben
Und Sturmgeheul und Wetterschein,
Langweilig wär das Menschenleben,
Wollt' es ein ew'ger Maitag sein.
Und wird die Welt zu ungezogen
Und stichelt grob an dir herum,
Brauch' deine derben Ellenbogen
Und deinen Mund, doch bleib' nicht stumm;
[161]Wozu das rücksichtsvolle Zieren,
Hau dem Gesindel ins Gesicht,
Das wird der Menge imponieren,
Und Jubel erntet dein Gedicht.
Und wenn die lauen Winde kosen,
Dann werde nicht sentimental,
Mit beiden Händen pflück' die Rosen,
Bekränz' damit dein Ideal,
Die Qualen, die am Herz dir saugen,
Versenk in des Vergessens Grab,
Und wenn dir lächeln liebe Augen,
Dann küss' die roten Lippen ab.
Und kommt die Zeit an dich, zu sterben,
Erheb' kein großes Wehgeschrei,
Jedwedes Leben muß verderben
Und eingehn in das Einerlei,
Steh' auf – ein Schwarm von neuen Gästen,
Der drängt dich weg aus deinem Raum,
Du zahlst noch lange nicht am besten,
Geh' ab und schlaf' den ew'gen Traum.
Münster, September 1890