1.
Beim »alten Knaster«
Der Reiteroberst a.D. Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen stand am geöffneten Fenster, gehüllt in eine undurchdringliche Tabakswolke, die sich unter den kräftigen Zügen, welche er aus der langen, holländischen Thonpfeife that, immer vergrößerte, so daß sie endlich das ganze Zimmer erfüllte und das Erkennen der in demselben befindlichen Gegenstände wirklich und allen Ernstes erschwerte. Durch diese Rauchmasse, welche die liebste Atmosphäre des alten, wackeren Degenknopfes war, ertönte zuweilen ein kurzes, grimmiges Knurren, dem bald ein anhaltendes, mehrmaliges Räuspern und endlich ein lauter, zorniger Ruf folgte:
»Heinz!«
Es erschien Niemand.
»Heeeeeeeeiiiiiiiinz!!«
Kein Mensch wollte hören.
Der Prinz trat zur Thür, ergriff den Klingelzug und schellte in einer Weise, als ob das ganze Schloß in Brand gerathen sei. Da erhob sich draußen auf dem Corridore ein Lärm, als sei ein ganzes Heer von Holzpantoffeln in Bewegung gesetzt worden, es stampfte und donnerte näher, und unter dem geöffneten Eingange erschien ein Mann, dessen steifgewichste und rabenschwarzen Schnurrbarthälften wie zwei unter der Nase befestigte Lanzenspitzen zu beiden Seiten des außerordentlich gutmüthigen Gesichtes hinausragten. Er hatte nur ein Bein; das andere wurde durch einen Stelzfuß ersetzt, und in der Hand hielt er den derben Knotenstock, mit dessen Hilfe er sich das beschwerliche Gehen erleichterte. Es war der Leibdiener des Prinzen, Heinrich, von Letzterem aber kurzweg Heinz genannt. Beide hatten die Befreiungskriege mitgemacht und seit jener Zeit nicht wieder von einander lassen können.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Ich bin nicht Durchlaucht, sondern Offizier! Weißt Du das?«
»Zu Befehl, Herr Oberst!« antwortete der Angedonnerte mit einem besorgten Seitenblicke, der es aber nicht vermochte, den consistenten Tabaksqualm zu durchdringen. Er wußte, daß sein Herr und Gebieter stets bei schlimmer Laune war, wenn er von dem Prinzen Nichts wissen wollte und an dessen Stelle den Offizier herauskehrte.
»Wo steckst Du denn in aller Welt? Ich habe gerufen, daß mir die Lunge platzen möchte, Du aber hörst es nicht! [321] Wo bleibt denn die Jungfer Adeline wieder einmal mit dem Kaffee?«
»Die Krakehline, Dorchlaucht? Ich war soeben bei ihr und habe ihr ganz gehörig den Marsch geblasen. Die Sahne ist ihr wie gewöhnlich übergelaufen; nun riechts auf Wildauen wie in einem Rinderstalle, und der gnädige Herr Oberst müssen auf den Kaffee warten. Soll ich ihr vielleicht Eins mit dem Stocke geben?«
»Das laß' nur sein, denn Du verdienst es selber! Wo sind die Pfeifen, die Du mir zu stopfen hast?«
»Sie liegen ja alle in Reih' und Glied hier auf dem Tisch, Herr Oberst!«
»Ach so!« klang es etwas besänftigter. »Die Luft hier ist so dick und gesund, daß man die Pfeifen wahrhaftig fast nicht sehen kann. Steck' mir eine neue an!«
Der Diener folgte dieser Aufforderung, nahm die ausgerauchte Holländische in Empfang und reichte dem Prinzen dafür eine in den Brand gesetzte entgegen.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?«
Der neue Tabak hatte einen so trefflichen Geruch und einen solchen Wohlgeschmack, daß der Unmuth des Rauchers gleich bei den ersten Zügen zu schwinden begann, darum war er mit dem Titel, den er vorhin nicht hören wollte, jetzt vollständig einverstanden.
»Weißt Du, was heute für ein Tag ist?«
»Was denn für einer, Dorchlaucht?«
»Sinne einmal nach!«
»Hm, Dorchlaucht, das Denken und Sinnen ist meiner Gesundheit niemals zuträglich gewesen; ich habe nicht die rechte Uebung darin. In meinem ganzen Leben hat es nur eine einzige kurze Zeit gegeben, wo ich zuweilen nicht gewußt habe, wohin mit all' den Gedanken, die ich mir machte; das Draufgehen und Dreinschlagen ist mir sonst immer lieber gewesen. Diese Gedanken hatte ich nämlich damals anno Vierzehn, als Sie mit mir in Frankreich standen. Wir lagen bei einer jungen Wittfrau in Quartier, die ganz verteufelt hübsch war und ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich habe von dem Weibsvolke Niemals viel gehalten, und die Jungfer Krakehline ist die Schlimmste von Allen, aber damals war ich doch nahe daran, den dummen Streich zu machen und mich zu verschameriren. Denn eines schönen Tages stehe ich unter der Thür und putze grad' mein Lederzeug, – der Herr Oberst waren damals noch Lieutenant und eben auf Ordonanz geritten, – da kommt sie die Treppe herunter und stellt sich mit einer Miene vor mich hin, daß – – –«
Er wurde unterbrochen. Es klopfte mit höflich auseinander klingenden Schlägen an die Thür.
»Herrrrein!« befahl der Prinz.
Der Eingang wurde vorsichtig geöffnet, und unter demselben erschien eine weibliche Person, deren Leibesumfang ein so bedeutender war, daß es zu ihrem Einlaß eigentlich einer ansehnlich breiteren Thür bedurft hätte. Als es ihr glücklich gelungen war, sich hereinzudrängen, rauschte sie, das wohlgeordnete Kaffeebret in den fetten Händen, mit wehendem Morgenkleide und fliegenden Haubenbändern auf den Prinzen zu.
»Guten Morgen, gnädiger Herr! Ich erlaube mir, Ew. Durchlaucht den Kaffee zu serviren.«
»Laß' Sie nur Ihre ›Durchlaucht‹ bei Seite; ich bin Offizier, und da wird Sie wohl wissen, wie Sie mich zu nennen hat!« entgegnete ihr der sich wieder auf seinen Zorn besinnende Gebieter. »Sie steht nun fast zehn Jahre in meinem Dienst, aber an die gehörige Ordnung wird Sie sich wohl niemals gewöhnen können. Ich werde mir eine andere Wirthschafterin engagiren müssen! Weiß Sie, wann Sie den Kaffee zu bringen hat?«
»Ja, Herr Oberst; um acht Uhr!«
»Ja, Herr Schuster, und ja, Herr Schneider, oder meinetwegen auch ja, Herr Kesselflicker! Einem ehrenvoll verabschiedeten Kavallerie-Obersten gegenüber gebraucht man dienstlichere Ausdrücke; Sie aber wird sich so Etwas im ganzen Leben nicht merken. Heinz, sage ihr, wie es heißt!«
»Zu Befehl, Herr Oberst, um acht Uhr!« donnerte es mit der tiefsten Baßstimme unter dem gewaltigen Schnurrbarte hervor.
»Hat Sie es verstanden, Jungfer?«
»Zu Befehl, Herr Oberst!«
»Schön! Also warum kommt sie um volle fünf Minuten zu spät?«
»Weil mir der Heinz die Milch verschüttet hat und ich deshalb andere ansetzen mußte.«
Der Diener stampfte um einige Schritte näher und warf der Sprecherin einen so vernichtenden Blick zu, wie er ihn nur fertig zu bringen vermochte.
»Der Herr Oberst hören jetzt deutlich, daß sie schon wieder Krakehl anfangen will! Darum darf sie nicht Adeline, sondern Krakehline heißen. Sie hat dem Briefträger einen Brief abgenommen, den nicht sie, sondern ich zu übergeben habe; ich kenne meine Pflicht und wollte ihn ihr wegnehmen, und dabei ist die Sahne umgefallen.«
»Wo ist der Brief? Hat Sie ihn mitgebracht?«
»Zu Befehl, Herr Oberst! Er liegt hier auf dem Service.«
»Meine Briefe gehören nicht zwischen Butter und Zwieback hinein, und nur der Heinz hat sie mir zu bringen. Sie hat ihm überhaupt in Allem, was nicht in Ihre Küche gehört, gerade so gehorsam zu sein, wie mir selbst. Jetzt kann Sie wieder gehn!«
Sie wandte sich um und rauschte an Heinz mit einem Blicke vorüber, welcher jedenfalls niederschmetternd wirken sollte, aber keine andre Wirkung hatte, als daß er ihr mit einer ironischen Verbeugung den Knotenstock zeigte und dann, vom Prinzen unbemerkt, mit demselben durch die Luft strich.
Der Letztere öffnete den Brief und begann, ihn zu lesen. Er schien sehr lang zu sein. Die Pfeife dampfte fort; der Kaffee blieb unberührt, und ein verrätherisches Hüsteln und Räuspern drang aus der immer dichter cumulirenden Tabakswolke hervor.
[322] »Heinz!« klang es endlich, und zwar in einem so linden und weichen Tone, wie er bei dem »alten Knaster«, wie der Prinz in der halben Armee und bei seinen sämmtlichen Bekannten vom Civil genannt wurde, höchst selten war.
»Was denn, Dorchlaucht?« frug der Diener mit dem sanftesten Laute seiner Violonbaßstimme. Das lange Zusammenleben mit seinem Herrn hatte eine Accomodationsfähigkeit in ihm entwickelt, welche sich sogar auf die Modulation seiner Redeweise erstreckte.
»Weißt Du noch immer nicht, was heut für ein Tag ist?«
»Hm, Reiten kann ich aus dem Fundament, Fechten, Schießen und Zuschlagen auch wie nur irgend Einer, aber sagen, was für ein Tag es ist, das habe ich niemals fertig gebracht. Was nicht ist, das ist nicht, Dorchlaucht, und es kommt niemals Etwas dabei heraus, wenn man sich mit den Tagen herumärgert oder gar sich über sie kränkt und Grillen macht. Denn allzuviel Gutes haben sie noch Niemandem gebracht.«
»Hast Recht, Heinz! Auf den heutigen Tag paßt das ganz besonders. Er ist für mich der böseste im ganzen Jahre, und wenn er kommt, so wünsche ich stets, ich möchte gestorben sein. Weißt Du nun, welchen ich meine?«
»Dorchlaucht, jetzt weiß ich's gleich! Er geht nicht blos Ihnen, sondern auch dem alten Heinz zu nahe. Der junge Herr war so wacker, so hübsch und droll und auch so gut dabei; wie mag er nur jetzt aussehen!«
»Er ist Offizier bei der Vereinigten Staaten-Marine, natürlich unter anderem Namen. Da gilt es jetzt, sich tapfer zu halten; der Krieg steht drüben vor der Thür, und bei den dortigen Verhältnissen hat die Marine ganz besonderen Antheil an ihm zu nehmen.«
»Gott sei Dank, daß es endlich wieder einmal irgendwo losgeht! Ein Wenig Frieden ist gut; man kann ausruhn und neue Kräfte sammeln; aber wenn er zu lang dauert, so macht er die Menschheit abständig und träge; die Knochen werden weich und die Nerven schwach, und man fühlt sich nicht eher wiederge sund, als bis die Faust von Neuem an dem Säbel liegt. Ich habe das an mir selbst erfahren, damals anno Vierzehn, als Sie mit mir in Frankreich standen. Wir lagen bei einer jungen Wittwe in Quartier, die ganz verteufelt hübsch war und natürlich ein Auge auf mich geworfen hatte. Eigentlich habe ich niemals viel auf die Weibsvölker gehalten; sie sind kaum einen Schuß Pulvers werth, und die Krakehline erst recht nicht, aber damals wäre es mir doch beinahe arrivirt, daß ich einen dummen Streich gemacht und mich in unsre Wirthin versehen hätte. Die jungen Wittweiber haben immer etwas Reiterangriffähnliches an sich. Ich stand so eines Tages vor der Thür und putzte grad mein Lederzeug – ich glaube, der Herr Oberst waren damals noch Lieutenant und eben auf Ordonanz geritten, – da kam sie plötzlich die Treppe herab und trat mit einer Miene auf mich zu, daß – – –«
Wieder wurde er unterbrochen. Die Thür öffnete sich, dieses Mal ohne vorheriges Anklopfen, und es stürmte ein Wesen herein, welches, zwar auch ein weibliches, doch nicht die geringste Aehnlichkeit mit der schweren, wohlbeleibten Figur der Jungfer hatte. Die Schleppe des seidenen Reitkleides auf dem Arm, die schwanke Gerte in dem Händchen und das unter dem Schleier kaum sichtbare kleine Hütchen auf den reichen, tief herniederwallenden Locken, blieb sie einen Augenblick lang vor Heinz stehen und zupfte ihn mit lachenden Augen und einem so freundlichen Kopfnicken am Barte, wie es seine verteufelt hübsche Wittfrau wohl kaum zu Wege gebracht hätte; dann eilte sie leichten Schrittes auf den Prinzen zu, dem sie den Mund zum Kusse bot.
»Guten Morgen, mein lieber Onkel! Was, da steht der Kaffe noch, und Du bist im Hausrocke? Mach sehr schnell, denn ich will mit Dir ausreiten!«
»Ausreiten?« frug er, die Pfeife wieder zwischen die paffenden Lippen schiebend. »Davon habe ich ja gar Nichts gewußt!«
»Das ist keine Entschuldigung, Herr Oberst! Ein Kavallerieoffizier muß stets fertig sein, in den Sattel zu springen. Es ist heut so schönes Wetter; die Pferde stehen bereit, und wenn Du mir gehorchst, so erlaube ich Dir auch ausnahmsweise, unterwegs eine von Deinen schlimmen Cigarren zu rauchen!«
»Das wird nicht gehen, Kind, denn ich habe keine schlimmen!«
»Sie sind alle bös, eine immer böser als die andere, und Deine Pfeifen sind am häßlichsten, das merke Dir. Wenn ich Deine Frau wäre, so spazierten Alle zum Fenster hinaus! Also Du kommst mit, und zwar gleich?«
»Heut nicht, Wanda, heut nicht; der Heinz mag Dich begleiten!«
»Warum nicht heut? Hast Du so viel Beschäftigung, daß Dir kein kurzes Stündchen für mich übrig bleibt?«
»Das nicht, das nun grad nicht,« meinte er zögernd. »Aber heut ist ein Tag, an welchem ich am liebsten zu Hause bleibe.«
Sie sah ihn forschend an. Seinem Blicke folgend, gewahrte sie den Brief, welchen er auf den Tisch gelegt hatte. Rasch ergriff sie denselben und trat damit an das Fenster. Der Prinz wollte ihn ihr entreißen; sie aber wehrte ihn ab.
»Wenn Du so schweigsam bist, so muß ich mir die Ursache selbst suchen, und ich sehe Dir es an, daß ich sie hier in diesen Zeilen finde. Laß sehen, was sie enthalten!«
Sie war die Tochter eines verstorbenen Kriegskameraden des Prinzen und als elternlose Weise seine Mündel geworden. Seit dem Tode des Vaters hatte sie auf Wildauen gewohnt und später eine Pension der Residenz besucht, von welcher sie erst vor einigen Tagen zurückgekehrt war. Sie hing mit kindlicher Liebe und Dankbarkeit an dem bärbeißigen aber tief gemüthlichen Haudegen, und er vergalt ihr diese Liebe mit einer Zuneigung, welche sich selbst die kleinen Tyranneien des liebenswürdigen Wesens geduldig gefallen ließ, obgleich es sonst Niemand hätte wagen dürfen, sich etwas Aehnliches zu gestatten.
[323][337] Außer dem Obersten gab es noch Einen, der Wanda in sein altes Herz geschlossen hatte, daß er bereit gewesen wäre, sein Leben für sie hinzugeben. Das war Heinz. Sie stand ihm fast noch höher, als seine Erinnerungen von anno Vierzehn, das wußte sie und war ihm daher ebenso sehr gewogen, wie sie es verstand, in kindlichem Uebermuthe seine Ergebenheit den sonderbarsten und eigensinnigsten Proben zu unterwerfen. Ihre Erziehung war unter der Aufsicht des Obersten eine solche gewesen, daß sie schon als Kind gelernt hatte, das ganze Haus zu dominiren. Aber ihre Herrschaft war eine recht erträgliche und brachte frisches und zuweilen sogar munteres Leben in den stillen Kreis der wenigen und dabei eigenthümlichen Personen, welche auf Schloß Wildauen hausten. Die kleine Tyrannin machte sich auch jetzt kein Gewissen daraus, den Brief zu annectiren, welcher wohl gar nicht für ihre Augen bestimmt war, und der Oberst, welcher an der Spitze seines Regimentes die kühnsten Choqs ausgeführt hatte und sich sicher von keinem anderen Menschenkinde imponiren ließ, stand dabei wie Einer, dem es an Muth gebricht, einen eigenen Willen zu haben.
Ihr Blick glitt langsam und mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit über die Zeilen; sie mußten Etwas enthalten, was ihre vollste Theilnahme in Anspruch nahm. Je weiter sie kam, desto ernster wurden ihre vorher so heiteren und unbefangenen Züge; ihre Hände begannen unter einer tiefen Bewegung leise zu zittern; ihr Auge wurde feucht und immer feuchter, und als sie endlich zu Ende war, stand es voll glänzender Thränen, welche unter der langen, seidenen Wimper hervor in großen Tropfen über die Wangen perlten.
»Onkel,« rief sie, die Arme um den Prinzen schlingend und das Köpfchen warm und innig an seine Brust legend; »nicht wahr, er ist unschuldig, er hat den Mord nicht begangen?«
Die Pfeife knirrschte in seiner Hand; er hatte sie unter den düstern Gedanken, die ihn erfüllten, zermalmt und schleuderte die Bruchstücke mit einer zornigen Bewegung durch das offene Fenster.
»Er? Ein Schönberg-Wildauen? Ein Mann, der diesen Namen trägt, begeht keinen Mord! Das Unglück hat mich damals auf das Krankenlager geworfen, so daß ich nicht anders konnte, als leiden und schweigen. Wagte es aber heut Jemand, mit der Behauptung vor mich hinzutreten daß mein Sohn ein Mörder sei, ich – ich zermalmte ihn!«
Seine geballte Faust schlug auf den Tisch, daß es dröhnte, und vorn an der Thür, wo Heinz noch stand, ließ sich ein zustimmendes Stampfen und Stoßen vernehmen.
[337] »Ist es denn nicht möglich gewesen, seine Unschuld zu beweisen?«
»Nein; es war Alles, Alles gegen ihn, obgleich man ihn nicht bei der fürchterlichen That betroffen haben konnte. Er wurde zum Tode verurtheilt und von dem Könige zu lebenslänglicher Gefangenschaft – begnadigt. Er hat es nicht aushalten können und ist eines schönen Tages davongegangen. Die Flucht ist ihm geglückt; er hat in der Fremde eine neue Heimath gefunden und darf es jetzt sogar wagen, dem Vater zu schreiben.«
»Der arme, gute Max, und Du armer, armer, lieber Onkel!«
»Ja, arm bin ich, unendlich arm, mein Kind! Der Sohn ist mir verloren, der Name befleckt und das Leben verbittert. Ich gäbe es hin, gleich, auf der Stelle und mit tausend Freuden, wenn mir Einer sagen könnte, welche Hand den verbrecherischen Stahl geführt hat. Ich dürfte wieder stolz auf meinen entehrten Stammbaum blicken und ließ den gerechtfertigten Sohn im Triumph zur Heimath zurückbringen, um ihn noch ein Mal an mein altes, morsches Herz zu drücken und dann beruhigt zu sterben. Brächte Jemand mir diesen Frieden, ich wollte ihm lohnen mit Haufen von dem armseligen Golde, welches mir gehört, ohne daß ich seiner froh zu werden vermag!«
Er schob das Service mit dem kalt gewordenen Getränk weit von sich.
»Heinz!«
»Was denn, Dorchlaucht?« klang die gewöhnliche, stereotype Frage des Dieners, aber es war, als brächte er sie nur mit Mühe hervor. Der breite Schnurrbart zuckte gar verrätherisch um seine Lippen, und die Lider drückten sich auf die treuen, ehrlichen Augen, als müßten sie Etwas zurückdrängen, was Niemand sehen sollte.
»Ich mag den Kaffee nicht. Steck mir eine neue Pfeife an!«
»Nein, Heinz, der Onkel raucht jetzt nicht,« entgegnete das Mädchen mit einer Miene, der es anzusehen war, daß kein großer Widerspruch zu erwarten sei. »Er wird doch noch mit mir ausreiten, und Du begleitest uns!«
»Laß mich heut frei, Wanda! Was soll ich draußen im Freien, wo die Sonne lacht und Alles froh und glücklich ist an dem Tage, der mir den schwersten Schlag brachte, der mich jemals betroffen hat!«
»Und was sollst Du heute hier in dem einsamen, verräucherten Zimmer an dem Tage, an welchem Du des Trostes und der Erheiterung bedarfst, mehr als an jedem anderen! Ich lasse Dich nicht los, Onkel, Du mußt mit fort, mußt mit hinaus, damit Du wenigstens für kurze Zeit den Gram vergissest, der Dir das Leben trübt!«
»Du bist ein Plagegeist, dem man nur dadurch entgeht, daß man ihm seinen Willen thut. Heinz, ankleiden!«
Das war für Wanda das Zeichen, daß sie wieder eines jener kleinen, häuslichen Gefechte gewonnen habe, in welche sie den Vormund zu verwickeln pflegte. Sie verabschiedete sich dankend und schritt hinunter in den Schloßhof, wo drei aufgezäumte Pferde standen, der Beweis, daß sie sicher gewesen war, ihre Absicht zu erreichen. Sie streichelte dem Schimmel, welcher den Damensattel trug, liebkosend den Hals und flüsterte dabei mit glücklichem Ausdrucke in dem schönen, jugendfrischen Gesichte:
»Er wird heut kommen; er hat mir es geschrieben, und ich kann es nicht erwarten, ich muß ihm entgegen. Er hat mich noch nicht reiten sehen und will nicht glauben, daß ich es kann. O, er soll sich verwundern! Er nannte mich immer seine ›furchtsame Blume‹, weil ich mich scheute, seinetwegen gegen die Hausordnung zu sündigen. Aber ich will ihm schon zeigen, daß ich Muth besitze. Ich werde ihm gleich zum Willkommen etwas Tüchtiges vorgaloppiren und dann auch beweisen, daß ich beim Onkel für ihn kämpfen kann!«
Sie wurde sichtlich von einer ungewöhnlichen Unruhe beherrscht und konnte das Erscheinen der beiden Begleiter kaum erwarten. Als dieselben die Empfangstreppe herabgestiegen kamen, saß sie schon auf dem Thiere, welches ungeduldig mit den Hufen scharrte und von der Reiterin kaum gehalten werden konnte. Sobald die Männer aufgestiegen waren, ging es fort, den Schloßberg hinab, um das Städtchen herum und von da hinaus nach dem Bahnhofe, wo der »alte Knaster« mit seinem unvermeidlichen Heinz ein zwar nur kurze Zeit verweilender, aber fast täglicher Besucher zu sein pflegte.
Heut wurde der Weg zu Pferde in so kurzer Zeit zurückgelegt, daß man beschloß, den Spazierritt noch eine Strecke weiter auszudehnen. Erst als die Zeit nahte, in welcher der Personenzug zu kommen pflegte, welcher hier längere Zeit zu halten hatte, da er erst später Anschluß fand, kehrten sie zurück und stiegen vor der Wartehalle ab, um, die Pferde dem alten Heinz überlassend, in dem Salon eine Erfrischung zu nehmen.
Eben hatten sie Platz genommen, als der Zug einfuhr. Die Passagiere stiegen aus und suchten die Warteräume auf. Er war stark besetzt gewesen, und die Tische reichten kaum zu, die Gäste alle aufzunehmen. Es ging sehr laut unter den Letzteren her. Die Meisten kamen aus entlegenen Gegenden, hatten sich im Coupee getroffen und flossen über von Berichten über ihre Heimath, den Zweck und das Ziel ihrer Reise und die Erlebnisse, welche ihnen dieselbe geboten hatte.
Einer besonders zeichnete sich vor Allen durch eine Sprachfertigkeit aus, welche jede andere Conversation übertäubte. Er sprach einen fremdländischen Dialect und brüstete sich mit Abenteuern, die er in aller Herren Länder erlebt haben wollte. Seine aufdringlichen Erzählungen wurden den Zuhörern nachgerade unangenehm, und schon machte der Oberst Miene, den Salon zu verlassen, als ein interessantes Intermezzo ihn noch länger fesselte.
Ein junger Mann war eingetreten und hatte sich unweit der Thür niedergelassen. Ohne irgend welches Reisegepäck bei sich zu haben, war er sehr einfach gekleidet und von einer Fußwanderung, die er jedenfalls unternommen hatte, ziemlich bestäubt und in seinem Aeußern derangirt. [338] Wir er so da vorn am Eingange saß, schien er für den oberflächligen Beobachter gar nicht zu der Gesellschaftsstufe zu gehören, welche hier vertreten war. Und wirklich hielten auch Viele der Anwesenden die Blicke auf ihn gerichtet und mochten ihn für einen Unkundigen halten, der aus Versehen hier Zutritt genommen hatte.
Wanda hatte ihn sofort bei seinem Erscheinen bemerkt und einen stillen, lächelnden Gruß von ihm erhalten. Sie befand sich in einiger Verlegenheit. Warum kam er in dieser Weise? Auch dem redseligen Erzähler war er aufgefallen. Dieser schien die Anwesenheit des einfachen Mannes übel zu vermerken und erging sich in spitzen Bemerkungen, welche der Betreffende gar nicht zu vernehmen schien. Er hatte ein Zeitungsblatt vorgenommen und studirte es mit einem Eifer, als habe der Inhalt desselben die allergrößte Wichtigkeit für ihn. Als er damit fertig war, erhob er sich, trat an den Tisch, an welchem der Bramarbas seine Reden hielt und frug mit höflichem Tone:
»Entschuldigen die Herren! Ist vielleicht eine von den hierliegenden Zeitungen frei?«
»Nein!« wies ihn der Erwähnte mit einer Miene ab, die so geringschätzend und verächtlich wie möglich war. »Ich lese sie selbst!«
»Alle auf einmal?« Es war ein sonderbarer, räthselhafter Blick, den er dabei auf den Sprecher richtete.
»Alle!«
»Dann bitte ich um Entschuldigung!«
Er kehrte an seinen Platz zurück und vertiefte sich wieder in die bereits vorgenommene Lectüre. Nach einiger Zeit erhob er sich zum zweiten Male.
»Bedürfen Sie auch jetzt dieser Zeitungen noch, mein Herr?«
»Ich werde sie gleich vornehmen!« klang es kurz und barsch.
»So bitte, bezeichnen Sie mir Diejenige, welche Sie zuletzt lesen werden; ich möchte mir dieselbe für einige Augenblicke leihen!«
»Ich brauche sie Alle!«
»Möglich, aber wie es scheint, nicht zum Lesen. Wie ich bemerke, zögern Sie auffällig mit dem Beweise, daß Sie es überhaupt gelernt haben!«
»Kellner!« rief statt aller Antwort der auf diese Weise für seine Arroganz Bestrafte. Und als der Gerufene erschien, fügte er hinzu: »Dieser Mann hier hat sich verlaufen; bringen Sie ihn doch einmal in das Wartezimmer vierter Classe, wo er jedenfalls hingehört!«
Der dienstbereite Serviteur machte eine zustimmende Verbeugung und betrachtete den Deliquenten mit einem Blicke, welcher diesen ganz unzweifelhaft zur vierten Classe verurtheilte.
»Zeigen Sie mir einmal Ihre Fahrkarte vor, damit ich mich überzeuge, ob Sie berechtigt sind, hier Zutritt zu nehmen!«
Mit einem belustigten Lächeln griff der Aufgeforderte in die Tasche.
»Hier ist sie, mein ganz Verehrtester!«
Der Kellner warf einen Blick darauf und gab sie sofort mit einem Gesichte zurück, auf welchem sich Enttäuschung und Verlegenheit zu einem urkomischen Ausdrucke vereinigten.
»Retourbillet erster Klasse! Sie dürfen natürlich hier bleiben!«
»Ich danke Ihnen sehr, mein Gnädigster! Aber Scherz bei Seite. Jetzt fragen Sie nun auch einmal diesen Herrn nach der betreffenden Karte!«
Der Kellner mußte es thun, und der Vorwitzige sah sich zur allgemeinen Belustigung gezwungen, nun auch seinerseits der Aufforderung zu entsprechen. Er fühlte sich dadurch so verletzt, daß er sich erhob, um den Salon zu verlassen; da aber trat ihm der Andere in den Weg.
»Bitte, mein Herr, verweilen Sie noch kurze Zeit. Wir sind noch nicht fertig!«
Das Fenster öffnend, gab er einen Wink hinaus. Im nächsten Augenblicke stand ein Gendarm an seiner Seite. Jetzt forschte er noch einmal mit scharfem Blicke in den Zügen seines Gegenübers und fuhr dann in vollständig verändertem Tone fort:
»Die Gegenwart dieses Polizeibeamten, mein Herr, wird Ihnen die Situation klar machen! Ich hatte das Vergnügen, Sie einsteigen zu sehen und bemerkte dabei gewisse Gründe, mit Ihnen eine kurze Unterredung herbeizuführen. Dieselbe wäre jedenfalls unter vier Augen geschehen, wenn Sie es unterlassen hätten, mich durch Ihr Verhalten zur Oeffentlichkeit zu bewegen. Sie haben die Fragen, welche ich an Sie richten werde, ohne Weigerung und der Wahrheit gemäß zu beantworten, wenn Sie es nicht vorziehen, dieselben an einem sehr unöffentlichen Orte vorgelegt zu erhalten. Bitte also, Ihre Legitimation!«
»Aber mein Herr, ich weiß ja gar nicht – – –«
»Echauffiren Sie sich nicht! Ich will Sie durch die Mittheilung beruhigen, daß mein Verfahren nicht direct gegen Sie gerichtet ist. Also, Ihre Legitimation!«
Der Inquirirte zog ein Portefeuille hervor und entnahm demselben ein Papier, welches er auseinanderschlug und dann überreichte. Es wurde mit sichtbarer Sorgfalt geprüft.
»Dieser Paß ist gut und richtig! Sie sind ein Franzose und aus l'Havre de grace. Haben Sie Familie?«
»Ja; Frau und Kinder.«
»Eltern?«
»Nein.«
»Geschwister?«
»Einen einzigen Bruder.«
»Dieser heißt?«
»Natürlich ebenso wie ich, Latour, Francois Latour.«
[339][353] »Was ist Ihr Bruder?« frug der junge Mann den Franzosen weiter.
»Er war früher Seemann; jetzt privatisirt er.«
»Wo?«
»In den Vereinigten Staaten. Ich erhielt die letzte Zuschrift aus Boston von ihm.«
»Wann war dies?«
»Vor ungefähr einem Monate.«
»Wo befindet sich dieselbe?«
»Zu Hause in l'Havre. Sie liegt bei den andern Briefen, welche ich von ihm bekam.«
»Haben Sie eine Photographie von ihm?«
»Ja.«
»Wo?«
»Sie hängt in meinem Zimmer.«
»Ich danke Ihnen. Nun nur noch Eins: War dieser Bruder jemals in Deutschland?«
»Längere Zeit.«
»Auch in der Residenz unseres Landes?«
»So viel ich mich erinnere, ja. Er hat von dort aus öfters geschrieben; die Briefe sind noch da.«
»Ich danke nochmals. Wir sind jetzt fertig.«
Der Verhörte war durch die Wendung, welche das kleine Ereigniß genommen hatte, so vollständig verblüfft, daß er die ihm vorgelegten Fragen mit fast naiver Treue und Ausführlichkeit beantwortet hatte. Er mochte ein ganz unbescholtener Mann sein, aber es war ihm dennoch Angst geworden. Der Schweiß stand auf seiner Stirn, und er öffnete den Rock, um das Taschentuch hervorzuziehen. Bei dieser Gelegenheit wurde eine Uhrkette von so vorzüglicher Arbeit sichtbar, daß sie die Aufmerksamkeit des Kenners sofort erregen mußte. Auch der junge Mann bemerkte sie, und der Anblick brachte eine eigenthümliche Wirkung hervor.
»Halt, warten Sie noch einen Augenblick!«
Er ergriff die Kette, ließ sie prüfend durch die Hand gleiten und zog dann die an ihr befestigte Uhr hervor. Nachdem er sie geöffnet hatte, untersuchte er die Stelle, an welcher gewöhnlich die Chiffre des Verfertigers angebracht ist, und ließ sie dann wieder in die Tasche zurückgleiten.
»Diese Uhr gehört Ihnen?«
»Ja.«
»Wie kamen Sie in den Besitz derselben?«
»Ich erhielt sie als Geschenk.«
»Von wem?«
»Von meinem Bruder.«
»Von demselben, von welchem wir vorhin sprachen?«
[353] »Ja.«
»Uhr und Kette zusammen?«
»Ja.«
»Auf welche Art und Weise und von wem hat er Beides erworben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wann machte er Ihnen das Geschenk?«
»Als er aus Deutschland kam.«
»Und ehe er nach Amerika ging?«
»Ja.«
»Besaß er eine größere Anzahl ähnlicher Sachen, vielleicht Ringe und sonstige Schmuckgegenstände?«
»So viel ich weiß, nein!«
Der Frager flüsterte dem Gensd'arm einige Worte zu und fuhr dann fort:
»Ich muß Sie ersuchen, Ihre Reise auf kurze Zeit zu unterbrechen. Dieser Herr wird Ihr Begleiter sein, bis wir uns wiedersehen!«
Der Franzose erschrack, daß er leichenblaß wurde.
»Mein Gott, ich bin mir ja Nichts bewußt, was Sie veranlassen könnte, mich – – –«
»Ich bat Sie schon, sich nicht zu beunruhigen, und wiederhole meine Versicherung, daß Sie Nichts zu befürchten haben. Es handelt sich einfach nur um eine Feststellung, zu welcher ich Ihrer Hülfe nothwendig bedarf. Folgen Sie also nur immerhin Ihrem Führer. Wir werden uns jedenfalls bald und freundlich wiederbegegnen!«
Diese kurze Scene hatte unter den Anwesenden ein ungeheures Aufsehen erregt. Wer war der einfach gekleidete Mann, der trotz seiner Jugend so sicher und geläufig aufzutreten wußte und auf alle Fälle eine nicht unbedeutende Polizeistelle begleiten mußte? Hatte er nicht eigentlich eine Sünde gegen die polizeilichen Verordnungen begangen, als er das Verhör vor so vielen Zeugen vornahm? Er mußte ein großes Selbstvertrauen besitzen, um so Etwas wagen zu können.
Die Gedanken und Vermuthungen hatten freien Spielraum; er aber kümmerte sich nicht um die Blicke, welche jetzt so respectvoll auf ihm ruhten, sondern entnahm, als der Franzose den Salon verlassen hatte, seinem eigenen Portefeuille eine Karte, übergab die selbe, nachdem er einige Worte auf deren Rückseite bemerkt und sie in ein Couvert gelegt hatte, dem Kellner und winkte nach dem Prinzen hin. Dieser empfing das Monogramm, warf einen Blick auf die beigefügte Bemerkung und erhob sich mit einem zustimmenden Kopfnicken. Der Fremde trat in ehrerbietiger Haltung an den Tisch.
»Sie kennen mich, Herr Lieutenant?« frug der Oberst verwundert.
»Ich hatte leider bisher noch nicht die Ehre, Ew. Durchlaucht persönlich zu begegnen, vermuthete aber aus gewissen Umständen, daß ich jetzt so glücklich sei, Ew. Hoheit zu sehen.«
»Sie haben sich allerdings nicht geirrt.« Und dann fügte er vorstellend hinzu: »Herr Polizeilieutenant von Treskow, Fräulein von Tzernowska, meine Mündel.«
»Besten Dank, Durchlaucht; es wurde mir schon früher die ehrenvolle Auszeichnung zu Theil, Fräulein von Tzernowska vorgestellt zu werden!«
»Ah!« klang es verwundert. »Warum schwiegst Du darüber, Wanda? Oder erkanntest Du den Herrn nicht wieder?«
»Doch!« versicherte sie lächelnd. »Aber ich wußte nicht, ob ich das Incognito verletzen dürfe, in welches sich die Herren von der Polizei zuweilen hüllen.«
»Und welches heut ein für mich sehr unangenehmes ist,« ergänzte Treskow mit einem Blicke auf seinen anspruchslosen Habitus. »Ich hatte eine Recognition vorzunehmen, bei welcher es nicht in meiner Absicht lag, erkannt zu werden. Sie wurde glücklich vollendet und zugleich durch einen außerordentlichen Zufall belohnt, welcher mir in einer andern und auch für Ew. Durchlaucht hochwichtigen Angelegenheit von unendlicher Bedeutung ist.«
»Für mich? Meinen Sie vielleicht das Rencontre mit diesem unbequemen Franzosen?«
»Dasselbe! Ich sah ihn einsteigen; sein Gesicht fiel mir auf; es hatte eine wirklich frappante Aehnlichkeit mit einem anderen, dem ich bisher erfolglos nachgestrebt habe. Es konnte nicht anders sein, es mußte hier eine nahe Verwandtschaft vorliegen. Ich ließ den Mann nicht aus dem Auge und sah hier nicht nur meine Vermuthung bestätigt, sondern machte auch eine Entdeckung dabei, welche mich veranlaßte, mich dem Herrn Obersten augenblicklich vorzustellen.«
»Dann darf ich wohl nach dem Grunde dieser Eile fragen?«
»Gewiß! Meine Antwort muß aber eine Angelegenheit berühren, welche ich ohne vorherige Erlaubniß mir nicht zur Sprache zu bringen gestatte.«
»Sprechen Sie!«
»Die Kette, welche ich vorhin durch einen glücklichen Umstand entdeckte, gehörte dem ermordeten Hofjuwelier Wallerstein.«
»Wallerstein!« rief der Prinz so laut, daß alle Anwesenden aufmerksam wurden. Dies bemerkend, setzte er sich wieder auf den Platz, von welchem er aufgefahren war, und frug hastig aber mit gedämpfter Stimme: »Wissen Sie das genau? Ist Ihnen dieser Fall bekannt?«
»Es giebt wohl nur Einen, der ihn besser kennt als ich, und das ist der eigentliche Thäter, nach welchem ich schon seit Langem suche.«
»Der eigentliche, sagen Sie! Sie glauben also, daß der – daß Derjenige, welchen man verurtheilt hat, nicht der wirkliche Thäter ist? Sie suchen noch heute den Raubmörder, den die Richter doch schon längst gefunden zu haben meinen, und auch der Strafe überlieferten?«
»So ist es, Durchlaucht! Diese auch für den Herrn Obersten hochwichtige Angelegenheit meinte ich, als ich vorhin meine Zudringlichkeit entschuldigte; sie führte mich nach Wildauen, wo ich heute um eine Audienz gebeten hätte.«
[354] »Sie versetzen mich in ein Erstaunen, welches der Wißbegierde, die ich empfinden muß, vollständig gleichkommt!«
»Ich begreife das und bin zur Aufklärung gern bereit; nur dürfte sich der Ort, an welchem wir uns gegenwärtig befinden, nicht zu derselben eignen. Ich bitte daher um die Erlaubniß, mich – –«
»Sie gehen mit mir, Herr Lieutenant,« fiel ihm der Prinz in die Rede, »Sie reiten mit uns nach Hause; ich lasse Sie nicht wieder aus dem Auge!«
»Diese Aufmerksamkeit ist eine mir hoch willkommene und kann mich nur zur Dankbarkeit verpflichten!«
»So kommen Sie gleich! Sie sind auf Wildauen Gast, so lange es Ihnen beliebt; denn Ihr Erscheinen läßt eine Hoffnung in mir erwachen, welche ich schon fast aufgegeben hatte!«
Er erhob sich und schritt den Beiden voran. Treskow bot mit einer galanten Verbeugung Wanda den Arm. Der vorher aus dem Salon Gewiesene bekam von schönen Lippen die Erlaubniß, die Mündel eines Prinzen in vertraulicher Berührung durch die Reihen der Gäste zu führen. Vor dem Stationsgebäude angekommen, half er ihr auf das Pferd und bestieg selbst dasjenige, welches Heinz geritten hatte, welcher den Herrschaften auf seinem Stelzfuße langsam nachgehumpelt kam.
Noch war man nicht gar weit gekommen, so deutete Treskow vorwärts.
»Ich habe heute ebenso wie der Franzmann, welcher sich über mich moquirte, die Erfahrung bestätigt gefunden, daß man sich oft einer ganz gewaltigen Täuschung unterwirft, wenn man einen Menschen nach dem Kleide, welches er trägt, taxirt. Belieben Ew. Durchlaucht doch einmal den Mann anzusehen, welcher da vor uns geht!«
Der Genannte war eine so auffällige Figur, daß ihn die beiden Andern auch schon bemerkt hatten. Von hoher, breiter und außerordentlich muskulöser Figur, trug er einen Hut auf dem glattgeschorenen Kopfe, dessen ungeheure Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Theil einfach über dem Gesichte weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Aermel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Aermeltheile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braungebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsündfluthlichen Riesenthiere anzugehören schienen. Die Beine staken in einem Paar ebenso weiter Hosen von leichtem Zeuge, unter denen ein Paar Stiefel sichtbar wurden, deren Leder aus dem Rücken eines Elephanten herausgeschnitten sein mußte. Der Mann sah in dem alten Hute, dem moosgrünen Rocke und den gelben Hosen einer Maskenballfigur ähnlich, welche sich vom Saale heraus auf die Straße verirrt hat und schritt dabei mit weit auseinandergespreizten Beinen und balancirenden Armen seines Weges, als befinde er sich auf einem Boote, welches von den Wellen auf und niedergeworfen wird.
»Nun?« frug der Prinz.
»Wer sieht es diesem spaßhaften Wesen an, daß es mit mir in einem Coupee erster Classe fuhr?«
Der Oberst hatte seine Antwort noch nicht begonnen, als der sonderbare Wanderer stehen blieb und sich nach den drei Reitern umwandte. Der Rock stand ihm vorn weit offen und ließ bis herunter auf die Brust einen nackten, von der Sonne ausgedorrten Hals sehen, unter welchem ein breites, rothseidenes Tuch in einen kolossalen Knoten geschlungen war und seine beiden, flatternden Enden über den ganzen Unterleib herabhängen ließ.
»Halte – là – heigh – day – heda, Ihr Männer und schönen Fräuleins!« rief er mit einem Gemisch von Französisch, Englisch und Deutsch. »Geht es hier nach der kleinen city, nach der Stadt, die irgend Jemand Wildauen getauft hat?«
Wanda nickte bejahend.
»Merci – thank you, meine kleine, liebe Miß! Aber sagt, giebt es dort auch wirklich ein Schloß, ein castle, wo ein grausam vornehmer Prinz wohnen soll?«
Sie nickte wieder und konnte sich dabei eines Lächelns nicht erwehren.
»Gut, schön, all right! Es ist der Herr von Schönberg, der Duc oder der Lord von Schönberg, wie der alte Swalker genannt wird?«
»Ja,« lachte sie jetzt herzlich auf.
»Huzza – prächtig! Ist er Euch vielleicht ein Wenig bekannt, meine hübsche, kleine Seenixe?«
»Ein Wenig, ja!«
»Dann könnt Ihr mir wohl auch sagen, ob es ein Subject bei ihm giebt, welches am crutch, an der Krücke laufen muß, weil es nur ein Bein hat!«
»So Einen giebt es allerdings.«
»Good lack – hallo, da habe ich den verteufelten Kerl endlich! Heißt er nicht Heinrich Polter?«
»Das stimmt!«
»Stopp, Schaluppe! Jetzt ist es gewiß, daß es der Rechte ist! Aber nun sagt mir auch noch, wo der alte Humpelheinz jetzt ungefähr zu treffen ist! Ich habe einmal Back an Steuer mit ihm zu legen.«
»Dort kommt er eben hinter uns her!«
Der Mann spie den Kautaback, mit dem er den halben Mund gefüllt hatte, auf die Straße und drehte sich um.
»Est – il – vrai, egard, ist er das? So war er wohl gar in dem Eisenbahn-Hafen, und ich habe ihn nicht gesehen? Wart, Mensch, ich werde einmal ›Wind schief in's Tuch‹ auf Dich lossteuern, daß Dir der Stoß das Spriet bis an die Besaan-Lucke treibt!«
Ohne sich einen Augenblick länger um die Reiter zu bekümmern, eilte er mit breit schlendernden Beinen zurück und dem herbeistelzenden Heinz entgegen. Dieser sah die seltsame Gestalt grad auf sich zukommen und blieb, den Schnurrbart streichend, mit neugieriger Miene stehen.
[355][369] »Heinrich Polter, altes bijou,« rief der Nahende, indem er die langen Arme so weit wie möglich ausbreitete; »segelst Du wirklich noch auf diesem Jammerthale herum, welches die Leute Erde nennen? Komm, ich muß Dich küssen und an mein Herz drücken, Du altes, liebes Wrack Du!«
Er faßte den Erstaunten bei den Schultern, zog ihn mit einem kräftigen Rucke an sich und legte seine Lippen herzhaft auf den sich sträubenden Riesenschnurrbart. Heinz suchte sich der unverhofften Umarmung zu entziehen.
»Wer – wo – wie – was soll denn das sein!« rief er unter angestrengtem Sträuben. »Wer ist Er, und was will Er denn eigentlich von mir?«
»Wer ich bin? Zounds, der Mensch kennt mich wahrhaftig nicht! Stell Dich doch einmal gehörig auf Ausguck und lug mich genau an! Wer bin ich?«
Er stellte sich breitspurig vor den prinzlichen Domestiken hin, um sich von ihm in das Auge nehmen zu lassen.
»Wer Er ist? Hm, ich habe Ihn in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, denn so ein Hanswurst ist mir weder damals anno Vierzehn noch sonst zu irgend einer Zeit vorgekommen!«
»Lack – a – day, ein Hanswurst! Ich war Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe ›Nelson‹, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹ und hab mir nachher den ›wilden Westen‹ angesehen, heiße Peter Polter so lang ich lebe, bin sein eigener Bruder, und dies Alles zusammen nennt diese einbeinige Landratte einen Hanswurst!«
»Pe – Pet – – Peter Polter?« rief Heinz halb ungläubig und halb freudig überrascht. »Ist's möglich, ist's wahr, daß Du der Peter bist, der fortgelaufen war, als ich aus Frankreich kam, und seit dieser Zeit spurlos verschwunden gewesen ist?«
»Freilich bin ich's! Wer sollte ich denn sonst sein, wenn ich nicht der Peter Polter bin? Wenn Du es nicht glaubst, so kann Dir kein Fregatten-Chirurg und auch kein Apotheker helfen! Ich war daheim in Langendorf, wo es einst keine loseren Buben gab, als die beiden Polters; aber die ganze Verwandtschaft ist hinauf in den Himmel gesegelt, und nur von Dir erfuhr ich, daß Du so gescheidt gewesen bist, zu warten, bis der Peter kommt. Sogar der alte Schneiderfranz, der uns alle Tage nach Noten abzuwalken hatte, als wir zu ihm in die Schule gingen, ist gestorben. Es ist auch kein Wunder, denn er müßte ja fast an die fünfhundert Jahre alt sein, wenn er noch lebte. Glaubst Du es nun, daß ich es bin?«
[369] »Ja, ich glaub's, Peter! Willkommen tausend Mal!« rief Heinz, dem Bruder die beiden Hände entgegenstreckend. Seine Augen waren plötzlich feucht geworden, und seine Stimme fiel vor Bewegung in den tiefsten Baß herab. »Du hast mit Deinem Fortgehen den Eltern viel Kummer und Sorge gemacht; aber das ist nun vorüber, und ich freue mich königlich, Dich hier im Leben noch einmal zu sehen.«
»Well done! Was Du da von den Eltern sagst, das ist richtig; es hat mir auch schwer und lang genug auf der Seele gelegen. Ich werde Dir Alles erzählen, aber nicht hier auf der Straße, sondern auf dem Schlosse Deines alten Burggrafen, oder was er ist. Du nimmst mich doch mit!«
»Das versteht sich ja ganz von selbst! Er wird sich freuen, wenn er hört, daß dem Heinz auch einmal eine solche Freude widerfahren ist.«
»Wie sieht er denn aus? Ich werde ihn doch zu sehen bekommen?«
»Du hast ihn schon gesehen; es ist der, welcher da vorn den Braunen reitet. Er ist der beste Herr, den es nur geben kann; wir sind ein ganzes, langes Menschenalter beisammengewesen und haben gar mancherlei Abenteuer mit einander erlebt. Besonders damals anno Vierzehn, als er mit mir in Frankreich stand. Wir lagen damals bei einer jungen Wittfrau im Quartier, die ganz verteufelt hübsch war und ein Auge auf mich geworfen hatte. Eines Tages stand ich grad an der Thür und putzte mein Lederzeug, da kam sie die Treppe herunter und machte mir eine Miene, daß – – –«
»Dash, laß Deine junge Wittfrau jetzt einmal über Bord fallen und sage mir lieber, wie es auf Deck bei Euch in Wildauen steht! Es ist immer gut, die Schiffsordnung zu kennen, wenn man auf Planken steigt, die man noch nicht betreten hat.«
Arm in Arm wanderten die beiden Männer, der Eine stelzfüßig und der Andere mit breitspurigem Matrosenschritte, die Straße dahin und nach dem Schlosse zu. Es gab zwischen ihnen der Fragen und Antworten so viele, und die Zeit verging ihnen daher so schnell, daß Heinz verwundert aufschaute, als er bemerkte, daß sie bereits unter dem hohen Portale standen. Er führte den Bruder über den umfangreichen Hof und stieg dann mit ihm die breite Empfangstreppe hinan. Oben öffnete sich die Thür, welche zur Küche führte; Jungfer Adeline blickte hervor.
»Was für eine Vogelscheuche bringt Er denn da nach Schloß Wildauen getrieben? Glaubt Er etwa, daß wir hier ein Raritätenkabinet halten?«
Ehe Heinz nur antworten konnte, war Peter mit einer schnellfertigen Entgegnung da.
»Was ist denn das für eine dicke, holländische Trekschuit, die es wagt, sich uns hier in den Cours zu legen und mich, den Steuermann vom Vereinigten- Staaten-Klipper ›Swallow‹, eine Vogelscheuche zu nennen? Gleich setze Sie alle Segel bei und fahre Sie dahin zurück, woher Sie gekommen ist, sonst werde ich Sie bekabineten, daß Ihr die Wimpeln in alle Winde fahren, Sie alte, neugierige Flattuse Sie!«
Er trat auf sie zu und hielt ihr die braunen, riesigen Fäuste so nahe vor das Gesicht, daß sie sofort wieder hinter der Küchenthür verschwand.
»Heinz!« ertönte es da aus dem Zimmer des Prinzen.
Mit eiligen Schritten stampfte der Gerufene vorwärts, zog den Eingang auf und frug:
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Was giebt es denn für einen Spectakel da draußen?«
»Das ist wieder die Jungfer Krakehline, die sich darüber aufhält, daß ich meinen Bruder mitbringe.«
»Deinen Bruder? Ich denke, der ist längst verschollen!«
»Er ist wieder da, Dorchlaucht, und hat mich heut hier aufgesucht.«
»Den muß ich sehen! Schicke ihn mir nachher einmal herein! Wer war denn der sonderbare Kauz, der uns auf der Straße nach Dir frug?«
»Das war ja eben mein Bruder!«
»Das – war – – er?« klang es gedehnt. »Der Mann sah ja aus wie ein Bärenführer im Sonntagsstaate! Was ist er denn und wo hat er bisher gesteckt?«
»Seemann ist er; er kommt von Amerika.«
»Ist's wahr?« Eine bessere Empfehlung konnte es für Peter nicht geben; der Sohn des Prinzen war ja Offizier der Vereinigten-Staaten-Marine. »So schicke ihn einmal gleich herein!«
Heinz trat zurück, und einige Augenblicke später stand der beurlaubte Steuermann unter der Thür. Er wirbelte mit einiger Verlegenheit den abgenommenen Hut durch die Hände und grüßte die drei anwesenden Personen mit einer tiefen Gestaltsverrenkung, welche jedenfalls eine Verbeugung sein sollte.
»Trete Er einmal näher!« gebot der Prinz. »Ich höre, daß Er der Bruder von meinem Heinz ist.«
»Bon, Master Durchlaucht, das ist richtig! Ich bin der Peter Polter aus Langendorf.«
»Wo kommt Er denn her?«
»Justement grade von New-York. War in Hobokken zuletzt, und da kam mir plötzlich die Sehnsucht nach der Heimath. Bin also über den Atlantischen, den alten Heringsteich, herüber gesegelt und nach den Meinen, die gestorben sind, vergebens herumgelaufen, bis ich endlich nun noch den Heinz gefunden habe.«
»Mit was für Fahrzeugen ist Er gefahren, mit Kriegs- oder mit Handelsschiffen?«
»Bald mit dem und bald mit jenem, je nachdem es opportun gewesen ist.«
»So kennt Er wohl auch viele von diesen Schiffen beim Namen?«
»'Sdeath, Master Prinz, ob ich sie kenne, fragt Ihr? Alle, Alle kenne ich, und habe ihre Namen im Kopfe, wie der Hund die Flöhe im Pelze. Soll ich sie Euch vielleicht hernennen?«
»Nein! Ich wollte nur wissen, ob Er vielleicht schon einmal ein Klipperschiff getroffen hat, welches ›Swallow‹ heißt?«
[370] »Die ›Swallow‹, ob ich die ›Swallow‹ kenne? Herr Durchlaucht, das ist eine Frage, die Ihr Euch hättet ersparen können. Die ›Swallow‹ kenne ich eben so genau wie Ihr hier Euren Tabakskasten kennt; sie ist ein Klipperschiff mit Schoonertakellage, geht über die See wie ein achtzehnjähriges Mädchen beim Tanze und ist der beste Segler, den es nur jemals gegeben hat. Das weiß der Peter Polter am Besten, denn er war ›Steuermann‹ auf ihr und wird in einigen Wochen vielleicht schon wieder auf ihren Planken herumlaufen.«
»Was sagt Er da? Auf der ›Swallow‹ ist Er Steuermann gewesen? Kennt Er den Lieutenant, welcher das Kommando führt?«
»Natürlich kenne ich den alten Segelfresser. Es war der Marinelieutenant Belton, der am Liebsten fuhr, wenn er alle Leinwand sehen konnte. Er hatte sich in den steifen Grog verliebt und darum eine Nase angetrunken, die fast noch röther sah, als eine reife, spanische Pfefferschoote.«
»Das stimmt nicht! Ich denke, der Lieutenant auf dem Klipper heißt Parker, Max Parker?«
»Parker – Parker –! Wartet einmal, Master Schönberg, den sollte ich wohl kennen! der Lieutenant Parker war ja dritter Offizier auf dem Orlogschiffe ›Teifun‹. Wenn er jetzt auf der ›Swallow‹ ist, so hat er ein selbstständiges Kommando erhalten, was ich ihm auch vom Herzen gönne, denn er versteht sein Fach vom Klüverbaum bis hinter an die Sternflagge und hat dabei alle neunundneunzigtausend Teufel im Leibe. Er hat schon Manches zu Wege gebracht, woran Andere vergebens vorübergesegelt sind, und wurde zuletzt gar nach Süden geschickt, wo ein Kaper in der Kampeche-Bai und so daherum sein Wesen trieb, der die ganze Schifffahrt ins Stocken brachte.«
»Richtig, richtig; Er kennt ihn! Hat Er ihn gesehen?«
»Nein, gesehen noch nicht, aber viel gehört von ihm. Er hat auch richtig den Kaper aufgespürt und weggenommen. Die Mannen wurden alle an die Raaen gehänkt, aber der Kapitain ist entwischt. Der Kerl soll ein Franzose sein und eigentlich Labour heißen oder Latour, ich weiß es nicht genau; zur See wird er nicht anders als der ›schwarze Kapitain‹ genannt.«
Treskow horchte bei diesen Worten überrascht auf.
»Latour?« frug er. »Ein Franzose? Wissen Sie vielleicht, woher er stammt?«
»Alas, mein lieber, junger Gentleman, das kann ich so genau nicht sagen. Aber ich bin mit einem Manne gesegelt, der hat ihn gekannt und sagte, er sei entweder aus Cheerbourg oder gar in l'Havre de grace zu Hause. Er hatte ihn früher gekannt und war als Servant mit ihm auf Reisen gewesen.«
»Wissen Sie den Namen dieses Mannes?« klang die gespannte Frage.
»Sehr gut weiß ich ihn. Der alte Lewdrian hat manchen guten Hieb von mir bekommen; er taugte Nichts und wurde endlich gar von Bord gejagt. Ich glaube gar, er ist nachher zu dem ›schwarzen Kapitain‹ gegangen, wenigstens hat er sich vorher so verlauten lassen. Er war auch ein Franzose und hieß Letrier, Jean Letrier, das weiß ich ganz genau. Wir nannten ihn aber nur den ›bösen Jean‹, weil er voller Ränke und Kniffe war, wie ein alter Fregattenkiel voller Bohrwürmer.«
»Jean Letrier!« rief der Frager, vom Stuhle springend. »Durchlaucht, dieser Tag ist für unsre Angelegenheit ein ganz überraschend glücklicher. So hieß der Diener dessen, den ich für den Mörder halte!« Und sich wieder zu Peter wendend, frug er:
»Sie gehen wieder nach Amerika zurück?«
»Natürlich! Wo soll der Peter Polter denn sonst hingehen? Er wird die ›Swallow‹ suchen und wieder eine ganze Heuer auf ihr nehmen. Wenn der Lieutenant Parker auf ihr befehligt und der Peter Polter das Steuer führt, so giebt es ganz gewiß eine Fahrt, die kein andres Schiff der ›Swallow‹ nachmacht!«
»Wie lange währt Ihr Urlaub?«
»Heigh – ho, so lang' ich will! Ich habe mir ihn selbst genommen und bin mit Sack und Pack von Bord gegangen. Meine Sachen liegen bei ›Mutter Thick‹ in Hobokken und werden warten müssen, bis es mir gefällt, wieder beizulegen.«
»So warten Sie, bis ich reisefertig bin. Ich lasse mich beurlauben und gehe mit!«
»Ihr?« frug Peter verwundert. »Ihr wollt doch nicht etwa Koch oder Kajütenwächter auf der ›Swallow‹ werden?«
»Nein,« lachte Treskow; »aber den Lieutenant Parker muß ich sehen, und dann möchte ich versuchen, ob es möglich ist, ein Wort mit dem ›schwarzen Capitain‹ zu reden.«
»Behold, mein lieber, junger Gentleman, habt Ihr auch ein Tau mit ihm zu kosten? Da macht Euch nur hübsch segelfertig! Der Peter Polter ist der rechte Mann, Euch in den geraden Cours zu bringen. Er kennt die See in allen Ecken und weiß jede Matrosenkneipe und alle Swalkerlöcher aufzufinden. Die ›Swallow‹ werden wir bald haben, sie mag fahren, wo sie will. Der Labour oder Latour wird auch zu treffen sein, und was den ›bösen Jean‹ betrifft, so soll er uns schon einmal an das Fallreep kommen, wenn es in Eurem Wunsche liegt. Was mich betrifft, so wär mir's ganz willkommen; er hat mir meine Uhr mitgehen heißen, und ich möchte ihm für diesen Streich doch gar zu gern ein blaues Zifferblatt auf das Leder schreiben!«
»Peter,« meinte jetzt der Prinz, »Du bist ein ganzer Kerl, grad wie der Heinz! Bleib hier, so lang es Dir gefällt, und laß Dir von ihm ein Zimmer anweisen. Wart, ich werde das gleich selbst besorgen. Heinz!«
Auf den laut schallenden Ruf trat der Diener herbei.
»Was denn, Dorchlaucht?«
»Die Jungfer soll dafür sorgen, daß die blauen Zimmer für den Herrn Lieutenant hier im Stande sind.«
[371][385] »Heinz, für den Peter sorgst Du selbst. Er ist unser Gast; halte ihn, so gut Du kannst!« sagte der Prinz.
»Da soll es ihm an Nichts fehlen, Dorchlaucht! Sie wissen ja, daß ich es verstehe, für Jemand zu sorgen; Sie haben das erfahren, als Sie damals anno Vierzehn mit mir in Frankreich standen. Wir lagen nämlich damals bei einer jungen Wittfrau in Quartier, die ganz verteufelt hübsch war, und ich glaube, sie hatte gar ein Auge auf mich geworfen! Eines Tages nun stehe ich grad' unter der Thür und putze mein Lederzeug – der Herr Oberst waren wohl noch Lieutenant und grad' auf Ordonnanz geritten, – da kommt sie plötzlich die Treppe herab und sieht mich mit einem Gesichte an, daß – – –«
»Stecke mir eine Pfeife an, Heinz!« gebot der Prinz.
Der Diener gehorchte dem Befehle; es that ihm unendlich leid, auch hier vor dem fremden Gaste, der seine schöne Geschichte doch noch gar nicht gehört hatte, unterbrochen zu werden.
»Und dem Herrn Lieutenant auch eine! Sie rauchen doch, Herr von Treskow?«
»Zuweilen, Durchlaucht! Wenn es die Dame gestattet, werde ich die Güte Ihres Tabakes mit Dank zu probiren suchen.«
Wanda lächelte ihm zustimmend entgegen. Er nahm die Pfeife an und meinte dann, als die beiden Brüder sich entfernt hatten:
»Es ist so, wie ich Ihnen zu sagen schon die Ehre hatte; Latour hat den Raubmord begangen, welcher damals so großes Aufsehen erregte; ich bin vollständig davon überzeugt, obgleich es noch verschiedene Punkte giebt, welche der Aufklärung bedürfen. Er muß sich die Freundschaft des Herrn Max von Schönberg zu erringen und zur Zeit der That Eintritt in dessen Wohnung zu verschaffen gewußt haben. Der Juwelier trug den Schmuck zur Herzogin, welche eine Etage desselben Hauses bewohnte, nahm die ungeheure Summe, welche er kostete, in Empfang, und wurde von dem Mörder auf dem Rückwege in das Zimmer gelockt. Um den Verdacht auf Ihren Sohn zu bringen, führte der Letztere diesen dann in eine jener Spielhöllen von noblem Anstriche, wie sie in der Residenz damals nicht selten waren und verlor absichtlich einige der verzeichneten Banknoten an ihn. Die List gelang, wie Durchlaucht ja wissen. Wir haben es überhaupt nicht nur mit einem schlauen und ausgefeimten Betrüger, sondern, wie ich aus dem Berichte des Steuermannes ersehe, auch mit einem kühnen, gewaltthätigen Verbrecher zu thun, der eine ungewöhnlich hohe Stellung [385] unter den Feinden des Gesetzes einnimmt und nur durch die gleichen Waffen, List und Kühnheit, überwältigt werden kann. Ich habe es mir zur Aufgabe gestellt, ihn zu fangen, und werde nach Amerika gehen und mich an seine Fersen heften, bis ich sie gelöst habe.«
Der Prinz streckte ihm dankend die Hand entgegen.
»Herr Lieutenant, Sie geben mir altem, abgegrämten Manne nicht nur die Hoffnung, sondern das Leben wieder. Ich bin nicht Polizist und weiß also nicht, ob das, was Sie vornehmen wollen, aus zu gewagten Behauptungen entspringt. Aber ich sehe, daß Sie meinetwegen bereit sind, sich Gefahren auszusetzen, denen auch der Kühnste nicht ungescheut entgegentritt. Es handelt sich hierbei um den geliebten Sohn und um das höchste Gut, die Ehre; ich kann und mag Sie also nicht zurückhalten; aber wenn Sie mir diesen Sohn gerechtfertigt zurückbringen, wenn Sie diese verlorene Ehre wieder herstellen, meine Dankbarkeit wird eine unbegrenzte sein!«
»Durchlaucht,« versicherte Treskow bewegt, »es ist mir nicht um Lohn zu thun! Bei dem Fange eines Verbrechers von dieser Kategorie kommt die Polizisten-Passion in's Spiel, und es giebt ja für mich noch eine ganz andere Veranlassung, grad diesen Fall zur Aufklärung zu bringen. Ich war bei ihm betheiligt, wenn auch nur mittelbar.«
»Betheiligt? Sie, Herr Lieutenant?«
»Ja ich! Oder sollte mein Name nicht eine Erinnerung bei Ew. Durchlaucht wachrufen?«
Die Frage klang gepreßt und wurde nur zögernd ausgesprochen. Die Züge des Prinzen verfinsterten sich plötzlich.
»Treskow? Allerdings! Ein Fräulein von Treskow war, ohne daß ich davon wußte, die Geliebte meines Sohnes gewesen. Sie stammte aus einer alten, guten, aber sehr verarmten Familie und hatte in ihrer Putz-und Gefallsucht solche Ansprüche an seine pecuniären Mittel gemacht, daß ich öfters gezwungen war, Wechsel über ganz ansehnliche Summen einzulösen. Schließlich wurde es mir zu toll; ich verstand mich nicht mehr dazu, und dadurch kam Max in Verlegenheiten, die trotz seines hohen und untadeligen Namens es den Richtern möglich sein ließen, daß er, um seine Schulden tilgen zu können, die That begangen habe. Das Mädchen hat ihn in's Unglück gebracht. Was später aus ihr geworden ist, das weiß ich nicht.«
Treskow erhob sich.
»Durchlaucht, seien Sie barmherzig mit ihr! Sie hat ihn geliebt, wie selten ein Mädchen liebt; sie waren Beide noch zu jung, als daß sie die Bedürfnisse des gewöhnlichen Lebens mit der Genauigkeit eines Victualienhändlers hätten berechnen mögen. Sie hat viel gelitten und ist in Folge der vergossenen Thränen nahe daran, ihr Augenlicht zu verlieren. Ich bin ihr Bruder!«
»Sie? Sie sind der Bruder dieses – – dieser Dame!«
»Ja. Ich kannte Ihren Sohn und hatte ihn lieb. Seine Verurtheilung machte einen so tiefen, einen so gewaltigen Eindruck auf mich, daß ich die polizeiliche Carrière ergriff und den Schwur ablegte, nicht zu ruhen und nicht zu rasten, bis ich seine Unschuld bewiesen habe. Jetzt endlich ist es mir nach so langer Zeit gelungen, die Spur des Thäters zu entdecken. Ich werde ihr folgen und ihn der Gerechtigkeit überliefern und sollte ich dabei alle Erdtheile durchstöbern und alle Meere durchschiffen. Und wenn ich ihn finde, wenn ich ihn ergreife, werden Sie dann den Zorn fahren lassen, der jetzt noch in Ihnen wohnt, Durchlaucht?«
Der Prinz war an das Fenster getreten. Die trüben Erinnerungen stiegen alle wieder in ihm auf; die Tabakswolke, welche um seinen Kopf wirbelte, wurde immer größer und dichter, und von Zeit zu Zeit ließ sich ein kurzes Räuspern und Knurren vernehmen, wie es der Fall zu sein pflegte, wenn er unangenehme Gedanken hegte. Da endlich drehte er sich mit einem raschen Rucke um und trat auf Treskow zu.
»Herr Lieutenant, finstre Geister sind, wenn sie im Herzen alt werden durften, nicht mit einem einzigen Anlauf zu besiegen. Gehen Sie auf Ihr Zimmer! Wenn Sie Ihre Aufgabe lösen, so glaube ich, verzeihen zu können. Wir sprechen uns ja wieder!«
Wanda erhob sich und legte die Arme um seinen Hals.
»Onkel, sei nicht bös! Er wird das Seinige thun, und dann ist ja Alles gut!«
Sie verließ mit Treskow das Zimmer. Auf dem Corridore hielt sie ihn einen Augenblick zurück.
»Richard, wirst Du es zu Stande bringen?«
»Ich werde Nichts versäumen, Wanda!«
»Dann sollst Du auch von mir einen Lohn bekommen. Weißt Du, welchen?«
»Nun?«
»Mich selbst!«
»Ich danke Dir, mein liebes, süßes Mädchen! Es kann keinen herrlicheren Preis für mich geben, und Du darfst glauben, daß ich Alles thun und wagen werde, ihn zu erringen!«
Er zog sie liebevoll an sich und legte seinen Mund auf die warmen Lippen, welche sie ihm bereitwillig darreichte. – – –