[506] Ein Dichter
Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal

1. In der Todessteppe

I.

In der Todessteppe

Zwischen Texas, Neu-Mexiko, dem Indiana-Territorium und dem nach Nordosten streichenden Ozarkgebirge liegt eine weite Landesstrecke, über welche die Natur nicht weniger Schauer gelegt hat, als wie dergleichen die asiatische Gobi oder die afrikanische Sahara dem Menschen furchtbar machen. Kein Baum, kein einsamer Busch giebt dem brennenden Auge einen willkommenen Anhaltepunkt; kein Hügel, keine einzige namhafte Erhöhung unterbricht die todesstarre, eintönige Ebene; kein Quell erquickt die lechzende Zunge und bringt Errettung vor dem Verschmachten, dem Jeder anheimfällt, der aus der Richtung geräth und den Weg verfehlt, welcher nach den Bergen oder einer der grünenden Prairien führt. Sand, Sand, wieder Sand und nichts als Sand ist hier zu sehen, und nur zuweilen stößt der kühne Jäger, der sich in diese Oede wagt, auf eine Strecke, welcher ein vorübergehender Regen eine scharfe, stachelige Kaktusvegetation entlockt hat, die der Fuß meidet, weil sie ihn verletzt, die Thiere verwundet und keinen Tropfen Saft enthält, welcher die glühende Zunge nur auf einen Augenblick zu kühlen vermöchte.

Und doch durchziehen einige wenige Straßen dieses furchtbare Land. Der Mensch ist Meister der Schöpfung und macht sich selbst ihre starrsten, widerstrebendsten Punkte unterthan. Hinauf nach Santa Fé, an die Creeks, Springs und Goldfelder der Felsenberge und hinunter über den Rio Grande nach dem reichen Mexiko führen sie; aber es sind keine Straßen, wie die Civilisation sie dem Verkehre bietet, sondern was man so nennt, besteht in Nichts als dürren [506] Stangen, die man von Zeit zu Zeit in den Sand gesteckt hat, um die Richtung anzuzeigen, welcher der langsam dahinschleichende Ochsenkarrenzug oder der schnellere Trapper und Squatter zu folgen hat. Wehe ihm, wenn er diese Zeichen, von denen dieser Theil des Südwestens den Namen Llano estacado erhalten hat, verfehlt oder wenn sie von wilden Indianerhorden oder räuberischen Jägerbanden entfernt wurden, um ihn in die Irre zu führen. Er ist verloren! –

Weit, wie der unermeßliche, endlose Ozean, breitete sich die Wüste aus; glühend brannte die Sonne hernieder und über dem heißen Sande zitterte ein flackernder Schein, das darüber hinschweifende Auge schmerzend und blendend. Fünf lebende Wesen waren in der trostlosen Einöde sichtbar: ein Reiter, sein Pferd und drei Aasgeier, welche hoch in der Luft den beiden Ersteren folgten, als ob sie nur des Augenblicks warteten, an welchem Beide vor Erschöpfung zusammensinken und ihnen zur willkommenen Beute werden sollten. Es war doch schon der zweite Tag, daß sie dem Reiter folgten, und die scharfsinnigen Thiere mochten wittern, daß ein Menschenkind die Entbehrungen eines solchen Rittes nicht länger zu ertragen im Stande sei.

Der Wanderer war ein noch junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren. Er trug die gewöhnliche Tracht der Prairiejäger, ein ledernes, ausgefranstes Jagdhemd, ebensolche Leggins und Mokkassins und auf dem Kopfe einen Filzhut, dessen Farbe und Gestalt errathen ließen, daß sein Besitzer schon seit geraumer Zeit nicht mit der Civilisation in Berührung gekommen sei. Seine bleichen, erschöpften Züge, früher vielleicht geist- und lebensvoll, seine trüben, gläsernen Augen, seine blonden, wirr herniederhangenden Haare und die krampfhaft um die Büchse geballte Hand ließen errathen, daß er kaum mehr vermöge, den Entbehrungen und Anstrengungen des Rittes Widerstand zu leisten.

Ebenso ermattet wie er war auch sein Pferd. Es war, das konnte man sofort erkennen, ein aus der Heerde herausgefangener Mustang, vor wenigen Tagen jedenfalls noch voll Muth, Kraft und Ausdauer, jetzt aber gebrochen und bis auf den letzten Rest seiner Kräfte abgetrieben. Die Zunge hing ihm trocken zwischen den auseinanderklaffenden Zähnen hervor, die Augen schienen mit Blut unterlaufen, und nur mechanisch schleppte er sich Schritt um Schritt in dem riefen Sande weiter.

So war es schon seit Tagen gegangen. Er hatte mit einer Gesellschaft von Westmännern Santa Fé verlassen, um über das Ozarkgebirge Arkansas zu erreichen, war jedoch von einem Trupp Comanchen überfallen worden und dankte es nur der Vorzüglichkeit seines Pferdes, daß er als der Einzige ihnen entkommen war. Sie hatten ihn bis in die Steppe verfolgt, sonst hätte er sich sicherlich nicht ohne Begleitung in dieselbe gewagt; er kannte ihre Gefahren und hatte sie noch nie betreten, Grund genug, sich nur deshalb zu dem verzweifelten Ritte zu entschließen, weil hinter ihm der sichere Tod drohte.

Schon seit gestern früh hatten die Stangen aufgehört, und er besaß keinen andern Wegweiser, als den Kompaß und die Gestirne des Himmels. Seit drei Tagen war kein Tropfen Wassers über seine glühenden Lippen gekommen, und mit einem trostlosen Blicke beobachtete er die Geier, welche sich immer weiter niedersenkten, je langsamer und strauchelnder die Bewegungen seines erschöpften Pferdes wurden.

Es stand endlich still und war nicht weiter fortzubringen; es zitterte an allen Gliedern und drohte bei der ersten erzwungenen Anstrengung umzusinken.

»Also bis hierher und – jedenfalls – nicht weiter!« murmelte der Fremde in deutscher Sprache, an diesem Orte eine Seltenheit. »Giebts denn keine Rettung für mich und Dich, mein braves Thier?«

Er suchte den Horizont vergebens nach einer rettenden Erscheinung ab und stand schon im Begriffe abzusteigen, als ihn das Verhalten des Pferdes aufmerksam werden ließ. Das Zittern desselben war ein eigenthümliches; es schien halb von Ermüdung, halb von Angst hervorgebracht zu sein; die schlaffen Nüstern hatten sich erweitert und gespannt, und jetzt erhob sich auch der bisher gesenkte Kopf zu jenem bezeichnenden Schnauben, mit welchem das ächte Prairienpferd die Nähe eines feindlichen Wesens verräth.

Der Wanderer zog das Glas hervor, um den Gesichtskreis noch einmal und zwar genauer zu durchforschen, und bemerkte, daß die Geier ihn verlassen hatten und sich im Westen von ihm zur Erde senkten. Dort sah er nun auch einige regungslose Punkte und zuckte unwillkürlich mit der Hand nach dem Messer. Bei besserer Ueberlegung aber mußte er sich sagen, daß er in seiner Lage von menschlichen Wesen nichts Schlimmeres zu fürchten habe, als ihm so schon drohte. Vielleicht war einer dieser Punkte nur irgend ein verendendes Thier, auf dessen Tod die andern nur warteten, um es zu zerfleischen. Er stieg ab, ergriff die Zügel und schleppte sich und das Pferd langsam vorwärts. Von Zeit zu Zeit das Fernrohr erhebend, gewahrte er endlich, daß ein Mann an der Erde lag, um welchen in einiger Entfernung mehrere Koyoten (Prairiewölfe) und Geier saßen. Er konnte noch nicht todt sein, sonst hätten sich die Thiere längst auf ihn gestürzt.

Es durchzuckte ihn schaudernd. Er sah sein eigenes Schicksal vor seinen Augen liegen, dem er verfallen war, wenn sich nicht baldige Rettung zeigte.

»Wer mag es sein? Ein Jäger? Wo ist sein Pferd? Sie werden ihn zerfleischen und sein Blut – –«

Er hielt inne. Das letzte Wort weckte einen Gedanken in ihm.

»Nein, unser Blut soll nicht von ihnen getrunken werden, sondern das ihrige soll uns vor dem Verschmachten retten!«

Er gab seinem Pferde das gewohnte Zeichen, sich niederzulegen. Es gehorchte. Dann duckte er sich nieder und schlich sich näher an die Räuber und Todtengräber der Steppe heran. Sobald er sah, daß er bemerkt wurde, legte er sein Lariat (Lasso) zu einer Doppelschlinge, die er mit dem Messer im Sande befestigte, und gab ein paar Stücke in der Sonne gedörrtes Büffelfleisch dazu, welches er aus dem am Pferde hangenden Proviantsacke mitgenommen hatte. Dann ging er eine Strecke zurück und fiel zu Boden.

Die Thiere hatten sich bei seinem Anblicke nur langsam und zögernd von ihrer erwarteten Beute entfernt; der Hunger überwog die Furcht vor dem überlegenen Menschen. Jetzt, da er still und bewegungslos an der Erde lag, kamen sie mit eingezogenem Schwanze und lechzender Zunge herbeigeschlichen, um den neuen Tribut der wilden Savanne zu untersuchen. Kaum hatte der Erste die Schlinge erreicht und die Lockung gewittert, so schnappte er mit Heißgier zu und war gefangen. Zwei Schüsse krachten; er und der ihm nächste brachen zusammen.

Im Nu sprang der Jäger auf und eilte hinzu. Alle Müdigkeit war verschwunden. Sein Messer öffnete die Adern des einen der gefallenen Thiere, und mit Wollust sogen seine Lippen das heiße, süße Blut, welches ihm zu anderer Zeit Ekel und Abscheu erregt hätte. Dann sprang er zum Pferde, riß den Trinkbecher vom Gurte, ließ ihn voll laufen und schritt damit zu dem Andern, den der Knall der beiden Schüsse aus seiner tödtlichen Betäubung geweckt hatte. Auch die andern Raubthiere waren dadurch verscheucht worden.

»Wasser!« stöhnte er.

Der rauchende Trank brachte seinem halb verschmachteten Körper augenblickliche Labung; er richtete sich empor und sah dem Retter mit verwundertem Auge in das bleiche Gesicht.

»Uff, Sir, that das meiner armen Zunge wohl! Gebt mir noch solch einen Tropfen!«

Der Angeredete eilte ohne Antwort zu den Koyoten zurück und brachte ihm den letzten Rest ihres Blutes herbei.

»Thank you, Sir! Ich dachte, schon an der Himmelspforte zu sein, aber der vermaledeiete Sand hier rund umher und die Bestien dort sind deutliche Zeichen, daß ich noch ein wenig im bisherigen Jammerthale herumkrabbeln muß. Beinahe glaube ich, das liebe Viehzeug hätte mich aufgefressen, wenn Ihr ihnen nicht den Appetit verdorben hättet!«

»Ich war dem gleichen Schicksale nahe, habe aber gemeint, daß es besser sei, sie geben mir ihr Blut, als ich ihnen mein Fleisch.«

»Well! Es ist eigentlich ein abscheulicher Schluck; aber in der Noth verschlingt der Bär auch Chokolade, und Euer Einfall ist der beste, den Ihr haben konntet. Er hat mir und Euch geholfen, zwar nur für kurze Zeit, aber –«

Er unterbrach sich, beschattete das Auge mit der Hand und beobachtete ein kleines, leichtes Wölkchen, welches er am Horizonte bemerkt hatte.

»Heigh-day, dort kommt die Hülfe in der Noth, Sir! Das giebt in einer halben Stunde einen Regen, der die Todessteppe zum See machen würde, wenn der Sand nicht alles Wasser verschlänge. Aber sagt, wie kommt Ihr an diesen Ort, ohne Pferd, ohne Gesellschaft, ohne –«

»Ohne Pferd? Dort liegt mein Gaul; er war keinen Schritt weiter fortzubringen. Ich komme von Santa Fé, bin den Comanchen echappirt und wollte hinauf nach den Bergen, um über den Red River nach Arkansas zu gehen. Mein Name ist Richard Forster, und meine Heimath Frankfort in Kentucky.«

»Richard Forster? – Frankfort in Kentucky? – By god, Sir, dann sage ich Euch hundertfachen Dank für Euern Rettungstrunk! Ihr seid der berühmte Mann, der die schönen deutschen Lieder macht, die weit über die Staaten hinaus gedruckt und gelesen werden?«

[507] Der Andre nickte lächelnd.

»Richtig gerathen! Ich bin der Mann, der ›Savannenbilder‹ dichten wollte und deshalb in die Prairie ging, um sich von den Koyoten beinahe auffressen zu lassen.«

Er stand jetzt grad und aufrecht da, die Arme in die Hüften gestemmt, eine echte, rechte Kentuckygestalt. Die blonden Locken, lange Zeit ungepflegt, hingen ihm lang bis auf die breiten Schultern herab; die tiefblauen Augen glänzten wieder lebensvoll und die erst so bleichen, männlich schönen Züge begannen sich wieder zu röthen.

»Oder von den Comanchen aufspießen und am Pfahle martern zu lassen. Auch ich bin vor Kurzem ein Weniges mit ihnen zusammengekommen, Sir, und wurde von ihnen verfolgt bis in dieses verdammte Sandmeer, wo sie wieder umkehrten. Ich glaube, es war dieselbe Truppe, die auch Euch zwischen die Pfeile nahm.«

»Möglich! Aber nun will ich dieselbe Frage aussprechen, die Ihr mir vorhin vorlegtet.«

»Ihr? Sagt nur immer Du, Sir! Ich bin weder Präsident noch Gouverneur und mag von Ihr Nichts hören. Wie ich heiße? Tim Summerland, so ist mein Name, seit ich lebe, und so wird er auch bleiben, bis ich meinen Skalp verliere oder von irgend einem Grizzly mit Haut und Haar verschlungen werde. Habt Ihr vielleicht von Bill Summerland gehört, dem Lawyer?«

»Meinst Du den berühmten Advokaten Bill Summerland in Stenton, Arkansas?«

»Denselben. Er ist mein Bruder und zu ihm wollte ich. Ich hätte ihm eine verteufelt hübsche Ladung von Goldstaub und Nuggets mitgebracht, die ich droben am Canadian geholt hatte, aber die Pfahlmänner haben sie mir abgenommen.«

»Die Pfahlmänner?«

»Ja, die Pfahlmänner. Oder wißt Ihr noch nicht, welchen Schuften man diesen Namen giebt? Es giebt allerlei Gesindel, welches aus gewissen Gründen die Staaten verlassen mußte und hier sicher vor den Armen der Jury zu sein scheint. Es zieht in verschiedenen Trupps umher, plündert, mordet, treibt allen möglichen Unfug und hat es ganz besonders auf die Voyageurs und Karawanen abgesehen, welche gezwungen sind, die Todessteppe zu durchschneiden. Um diese irre zu führen, ziehen sie die Pfähle heraus und entfernen sie oder stecken sie in falscher Richtung ein. Ist dann der Wanderer halb verschmachtet, so fallen sie über ihn her und – nun ja, jetzt wißt Ihr, warum man sie die Pfahlmänner nennt. Als wir die Spanish-Piks und den Canadian verließen, waren wir über die zwanzig wohlbewehrten Westleute. Sie alle fielen unter den Tomahawks und Pfeilen der Comanchen, bis auf mich und noch Zwei. Wir konnten uns nur durch die Llano estacado retten und hatten bereits das größere Stück derselben zurückgelegt, als die Pfähle aufzuhören begannen. Dies mahnte uns zur Vorsicht; aber trotz aller List und Achtsamkeit wurden wir überrumpelt. Es war mitten in der Nacht; ich entkam im Dunkeln aus dem Handgemenge, aber so, wie Ihr mich hier seht, ohne Pferd und Waffen. Drei Tage lang ists gegangen, dann aber brach ich zusammen und weiß nicht, wie lange ich gelegen habe. Als ich erwachte, wart Ihr bei mir. Habt Dank, Sir! Der alte Tim Summerland wird schon wieder zu einer Büchse und einem Pferde kommen, und dann sollt Ihr sehen, daß er aus Dankbarkeit für Euch noch ganz andre Dinge verschluckt als einen Becher voll Koyotensaft!«

Er hielt inne. Der Nomade des Westens ist meist ein schweigsamer Gesell, und Tim Summerland hatte trotz seiner Erschöpfung die längste Rede seines Lebens gehalten. Der gute Mann sah nichts weniger als gentlemanlike aus; die Strapazen hatten seinen Körper und noch mehr seine Kleidung arg mitgenommen, aber sein Gesicht zeigte eine jener nicht seltenen Trapperphysiognomien, in welchen sich der Ausdruck ungemeiner List und Verschlagenheit mit dem der Ehrlichkeit und Treue paart.

»Was die Büchse betrifft, so kann schon jetzt geholfen werden,« meinte Forster. »Ich habe außer meinem Doppelläufer einen famosen Stutzen dort am Sattel hangen, den Du haben kannst, Tim; für Munition und Proviant ist gesorgt; nur Wasser, Wasser, das ist nöthig, nicht blos für uns, sondern noch vielmehr für mein Thier, ohne welches wir verloren sind. Aber, Gott sei Dank, Du hast Recht gehabt; die Wolke wächst zusehends; sie nimmt schon fast den halben Himmel ein, und ich glaube, vor dem Verschmachten sind wir nun sicher!«

»Das ist so gewiß wie meine Mütze! In fünf Minuten kommt der Guß, Sir, das könnt Ihr glauben, denn Tim Summerland ist nicht zum ersten Male in der Todessteppe und kennt ihre Launen wie seinen Kugelbeutel. Macht nur, daß Ihr das Pferd anpflockt und das Pulver verwahrt, sonst ists um Beides geschehen.«

Er erhob sich und stülpte sich die Mütze auf das wirre Haar. Es war eine Kopfbedeckung, die ihres Gleichen suchte. Von ihm selbst vor langen Jahren mittelst Hirschsehnen aus einem Stück Bärenfell zusammengenäht, hatte sie wohl schon ursprünglich eine außergewöhnliche Form besessen; dann waren ihr im Laufe der Zeit die Haare bis auf einige zerstreute Troddeln abhanden gekommen, die lang und schmutzig braun an der nackten Haut hingen wie Blutegel, die sich in das Fell verbissen hatten; tausendmal vom Regen durchnäßt und ebenso oft von der Sonne wieder getrocknet, hatte das Prachtstück jetzt eine geradezu unbeschreibliche Gestalt angenommen und lag auf dem Kopfe wie eine ausgedorrte Quelle oder ein Stück ausgelaugte und ausgebratene Dachpappe, welches die Hitze in Halbkugelform gezogen hat. Solche Ausrüstungsstücke sind in der Prairie gar nichts Seltenes; sie haben dem Besitzer ihre guten Dienste geleistet, werden von ihm heilig gehalten und selbst dann nicht abgelegt, wenn er auf kurze Zeit mit der Civilisation in Berührung kommt.

Zwar war die Luft jetzt noch schwüler als vorher, aber die beiden Männer fühlten sich schon durch die Hoffnung auf den Regen gekräftigt, und auch das Pferd war aufgesprungen und hielt den Kopf schnaubend in die Höhe. Sein Instinkt ließ es die nahe Rettung erkennen. Es wurde fest angepflockt; Forster sorgte dafür, daß Proviant und Munition nicht von der Nässe erreicht werden konnten, und kaum war dies geschehen, so brach es los, nicht allmählig, wie in anderen Zonen, sondern plötzlich, wie eine See, die vom Himmel stürzt und Alles in die Erde schlagen will. Die Jäger tauchten bei dem ersten Drucke der furchtbaren Tropfenmasse förmlich auf den Boden nieder, dann aber riß Summerland die Mütze herab und hielt sie verkehrt dem niederströmenden Elemente entgegen. In wenigen Augenblicken war sie gefüllt.

»Cheer up, Sir, nehmt Euren Hut und macht's wie ich! Auf Euer Wohl und dasjenige des alten Tim Summerland!«

Er goß das Wasser, trotzdem es verschiedene Ingredienzen in der Kopfhaut vorgefunden hatte, in den weit geöffneten Mund, schnalzte mit der Zunge, als habe er einen Humpen echten New-Hampshire-Wiskey ausgeleert, und hielt die Bärenhaut wieder empor, um den labenden Trunk zu wiederholen.

Forster folgte der Aufforderung. Die trotz der dichten und ausgetrockneten Kleidung bald bis auf die Haut durchdringende Nässe wirkte auf seinen Körper, wie Balsam auf eine offene Wunde. Die ganze Fülle der früheren Kraft und Freudigkeit kam über ihn, und auch das Pferd wieherte laut und schlug vorn und hinten aus, um die Rückkehr des beinahe entwichenen Lebens zu erkennen zu geben.

Weit über eine Stunde lang gossen die Schleußen des Himmels ihre Ströme unvermindert hernieder, dann hörte die Fluth ebenso plötzlich auf, wie sie begonnen hatte.

»'sdeath, war das eine Sündfluth!« meinte Summerland. »Ich wollte, die ganze Comanchen- und Pfahlmännersippschaft wäre darin ersoffen wie der König Belsazar im rothen Meere, als er die Egypter erschlagen wollte. Wie ist's Euch, Sir?«

»So gut und wohlig, als säße ich in irgend einer ›dearness-spelunk‹ von St. Louis oder Cincinnati,« antwortete der Gefragte mit einem heitern Lächeln über die geschichtliche Verwechslung, deren sich sein Gefährte schuldig gemacht hatte. »Ich fühle mich so vollständig erfrischt und munter, daß ich sofort aufsteigen und davonreiten möchte.«

»Wird auch das Beste sein! Jetzt ist die Luft kühl und stärkend; das müssen wir benutzen. Come on, setzt Euch auf; wir wollen machen, daß wir aus dieser verteufelten Steppe heraus und in ein Land kommen, wo es ein wenig Gras und einige Bäume giebt!«

»Willst Du nicht zuvor ein Stück Fleisch nehmen? Ich bin damit zur Genüge versehen.«

»Gebt her! Doch das läßt sich im Gehen thun.«

»Im Gehen? Nein, Du sollst auf das Pferd. Ich habe nicht so viel gelitten wie Du und bin also besser auf den Füßen.«

»Meint Ihr etwa, Tim Summerland, der alte Trapper und Goldsucher, setzt sich wie St. Mary auf den Esel und läßt Euch als Joseph daneben herhumpeln bis in den Distrikt Mesopotamien hinein? Da irrt Ihr Euch gewaltig. Ich habe meine Portion Wasser bekommen und werde laufen wie ein Cheyennehäuptling. Das Thier ist Euer; darum müßt Ihrs reiten!«

»Well, so wechseln wir ab. Aber die Richtung, Tim, über die müssen wir uns doch vorher einigen!«

»Nord und Süd kenne ich genau und Ihr jedenfalls auch; aber das ist nicht genug. Die Hauptsache ist, zu wissen, nach welcher Gegend wir das grüne Land am schnellsten erreichen.«

»So sag Deine Meinung. Du kennst ja die Estacado besser als ich.«

»Hm, wenn die Pfähle nicht fortgewesen wären, so könnte [508] man sich leicht entscheiden; so aber muß man sich sehr besinnen, um nicht vielleicht gar noch tiefer in die Wüste zu gerathen.«

»Ich schlage Nordostnord vor. In dieser Richtung flohen die Koyoten, als ich meine Schüsse abfeuerte. Kein Raubthier kann lange ohne Wasser sein, und ich vermuthe, daß dorthin welches zu finden sei und in Folge dessen auch Vegetation und Futter für das Pferd.«

»Ihr seid ein Dichter, Sir, und solchen Gentlemen ist nicht viel Praktik zuzutrauen, weil sie gewöhnlich ganz wo anders zu Hause sind, als gewöhnliche Menschenkinder, die keine Verse machen. Das hätte ich beinahe auch von Euch gedacht; jetzt aber muß ich Abbitte thun, denn ich sehe, daß Ihr das Auge dort habt, wo es hingehört. Vorwärts also, nach Nordostnord!«

»Nimm vorher den Stutzen und mein Bowiemesser; die Büchse und den Tomahawk behalte ich für mich. Auch muß ich laden. Man kann nicht wissen, was Einem begegnet.«

»All right! Gebt her; ich werde Eurem Schießzeuge keine Schande machen!«

Nach einem kurzen Aufenthalte des Ladens verließen sie den Ort, der ihnen so verhängnißvoll hätte werden können. Das Pferd war vollständig munter und wohlauf und trug seinen Reiter mit der früheren Leichtigkeit; doch war zu denken, daß dies nur eine vielleicht bald vorübergehende Folge des Regenbades sei. Es hatte seit längerer Zeit kein Gras gehabt, und die zurückgekehrten Kräfte konnten nur durch ein baldiges Futter erhalten werden.

Dennoch hielt es brav aus bis gegen Abend, wo alle Anzeichen verriethen, daß es wieder zu ermatten beginne.

Summerland blieb stehen und streckte den Kopf vor; ein eigenthümlicher Geruch machte ihn aufmerksam. Auch Forster sog die Luft ein.

»Kaktus,« meinte er. »Wir müssen ihm ausweichen.«

»Ausweichen? Das fällt dem Tim Summerland gar nicht ein. Grad hin zu ihm müssen wir; das ist so sicher wie meine Mütze.«

»Warum?«

»Weil er durch den Regen saftig geworden ist und –«

»Hast Recht, Tim,« fiel Forster ein, um die Blöße zu vermeiden, die er sich beinahe gegeben hätte. »Die Schale mit den Stacheln herunter, wird er vielleicht vom Pferde gefressen.«

»Wenn es die richtige Art ist. Also immer grad aus!«

In kurzer Zeit war die Kaktusoase erreicht. Die Pflanzen hatten meist Kugelform, und nach dem Schälen blieb das innere Fleisch zurück, welches das Pferd zwar zu anderer Zeit verschmäht hätte, jetzt aber mit Begierde fraß. Als es seinen Hunger gestillt hatte, wurde der Ritt wieder aufgenommen und bis in die späte Nacht hinein fortgesetzt. Jetzt waren Menschen und Thier so ermüdet, daß man Rast halten mußte.

Aber kurz nach Tagesanbruch ging es schon wieder weiter, und zu Mittag zeigten sich zur unermeßlichen Freude der beiden Männer zwischen dem Sande einzelne vertrocknete Exemplare des kurzen, lockigen Büffelgrases. Je weiter sie kamen, desto geschlossener wurde die Vegetation, und endlich trat die Steppe ganz zurück, um der grünenden Prairie Platz zu machen.

Jetzt waren sie gerettet. Das Pferd schwelgte förmlich in dem saftigen Futter, und die Jäger streckten sich in das frische, kühle Grün, sich mit einer wahren Wollust dehnend und streckend. Dann wurde beschlossen, noch vor Nacht wo möglich einen blaugrauen Streifen zu erreichen, welcher sich am nördlichen Horizonte sichtbar machte. Es mußte Buschwerk oder gar eine vortretende [509] Waldparthie sein, was trotz der nahen Wüste möglich war, falls dort ein Wasserlauf vorhanden war.

Die Sonne stand schon ziemlich tief, als man das Ziel erreichte. Es war ein allerdings sehr lichtes Wildkirschengebüsch, von vielen Rasenplätzen unterbrochen, sich weiterhin aber immer mehr verdichtend, bis sich in der Ferne einzelne Baumkronen über ihm zeigten.

»Fare well, Hunger, Durst, Hitze und Elend!« meinte Summerland. »Da eben beginnt der Wald und – seht Ihr die Linien über ihm, Sir? Das sind Berge; das ist – by god, jetzt weiß ich, wo wir sind; ich kenne diese Hügel, ich bin zwischen ihnen herumgeritten, und da drüben fließt der Bee-fork, der in den Red River geht, das ist so sicher wie meine Mütze!«

»So reiten wir noch bis zum Wald; wir haben noch Licht genug, um ihn zu erreichen und eine gute Stelle zum Lager auszuwählen.«

Dieser Vorschlag wurde befolgt. Immer die gerade Linie einhaltend, drangen sie durch das Buschwerk vor. Summerland saß zu Pferde. Forster schritt voran, das Auge zwischen der Ferne und dem Boden getheilt. Man befand sich jetzt auf wegsamem Gebiete und mußte also wieder auf feindliche Begegnungen gefaßt sein. Da plötzlich blieb er stehen und bückte sich zur Erde, um das Gras einer sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen. Auch Summerland stieg ab und betrachtete aufmerksam die geknickten und niedergebogenen Halme.

»Eine Fährte! Eins, zwei – fünf – acht, neun Reiter mit eins, zwei – vier, fünf Lastthieren. Stimmt es, Sir?«

»Ja. Neun einzelne Spuren und fünf Eindrücke von Thieren, die zusammengekoppelt sind. Es sind keine Indianer, sondern Weiße, denn sie eilten nicht einzeln hinter, sondern sorglos durch und neben einander. Folgen wir ihnen oder nicht?«

»Warum nicht? Wir müssen ihnen nach, zu unserer eigenen Sicherheit.«

»Dann aber langsam; sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier vorbei. Wär's länger, so hätten sich die Halme wieder emporgerichtet.«

Das Pferd jetzt am Zügel führend und die Spur scharf im Auge behaltend, bogen sie rechts ein und beobachteten dabei, stets Deckung suchend, das vor ihnen liegende Terrain. Die Truppe konnte ja bereits Halt gemacht haben und die Verfolger früher bemerken, als es räthlich war.

Da führte die Fährte über einen Platz, der vermöge seiner sandigen Beschaffenheit die Hufeindrücke in größter Deutlichkeit und Treue zeigte. Die Männer mußten sich vollständig sicher gefühlt haben, sonst hätten sie solche Zeichen ihrer Anwesenheit ganz gewiß vermieden.

»God bless my soul, Gott schütze meine Seele,« klang der halblaute Ausruf Summerlands; »das sind die Pfahlmänner, die meine Nuggets geholt haben. Vierzehn waren es; fünf haben wir kalt gemacht, bleiben neun; das stimmt wie meine Mütze!«

»Woher willst Du so genau wissen, daß sie es sind, Tim?«

»Woher? Na, seht Ihr denn nicht diese Hufspur im Sande, die – ach so, Ihr könnt das ja gar nicht wissen! Schaut diesen rechten Hinterfuß. Ist er an der linken Seite nicht etwas kürzer als an der andern?«

»Allerdings.«

»Dieser Eindruck stammt von meiner alten Fuchsstute. Wenns nicht so ist, so will ich durch und durch gespießt sein! Sie hat sich einmal einen Dorn ins Leben getreten, der ausgeschwärt ist; der Fuß ist vollständig heil geworden, doch hat sich die eine Seite des Hufes hinten Etwas nach aufwärts gekrümmt, so daß der Sand nie eine vollständige Spur empfängt, selbst jetzt nicht, wo das arme Thier über die Gebühr beladen ist, wie Ihr an der Tiefe und vorderen Schärfe der Eindrücke seht. Ich muß den Fuchs wiederhaben, und koste es mich das Leben! Seid Ihr dabei, Sir?«

»Natürlich! Die Burschen haben die Stangen entfernt und uns dem Tode nahe gebracht, gar nicht zu rechnen, daß Du von ihnen überfallen und beraubt worden bist. Sie müssen eine ernste Lehre bekommen, obgleich ich ohne Noth nicht gern einem Menschenkinde an das Leben gehe.«

»Zounds! Sind sie uns nicht auch daran gegangen? Tim Summerland ist eine alte, gute Haut, das könnt Ihr glauben; er hat noch niemals einen Elephanten oder Walfisch todtgebissen; aber bei solchem Gesindel kennt er kein Erbarmen. Meine Stute will ich haben, meine Nuggets dazu, eine Büchse, ein Messer, einen Tomahawk, etwas Munition und so weiter, vielleicht auch einige Maß Spitzbubenblut, wenns nicht anders geht, und – aber verzeiht meine Frage, Sir; es sind ihrer Neun; wir zählen blos Zwei, und ich kenne Euch noch nicht –!«

»Keine Sorge, Tim!« lachte Forster, indem er das schöne Ebenmaß seiner hohen und ungewöhnlich kräftigen Gestalt emporstreckte. »Ich bin ein Kentuckymann, und wenn Du mich nicht kennst, so hast Du wohl schon Andre gesehen, die zwischen dem Ohio und den Cumberlands zu Hause sind.«

»Well, Sir! Dort giebt es keine Hasen; dort sind die zweitatzigen Bären daheim, und ich denke, daß Ihr Eure Pranken auch zu gebrauchen wißt. Vorwärts also. Wir wollen über sie kommen wie Simson über die Pharisäer, Sadduzäer und Kolosser. Vielleicht hat er auch noch die Epheser und Philipper erschlagen, denn ist man einmal im Zuge, so kommt es auf ein Volk mehr oder weniger nicht an!«

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[523] Sie folgten der Fährte weiter. Einzelne Bäume unterbrachen das niedere Buschwerk, wurden nach und nach immer häufiger und schlossen sich endlich zum mäßig dichten Walde, unter dessen Baumkronen die Eindrücke immer in gerader Linie hinführten.

Da machte sich ein brenzlicher Geruch bemerkbar.

»Stopp!« meinte Summerland. »Sie haben sich gelagert und ein Feuer angezündet. Wartet ein wenig; ich bin gleich wieder hier!«

Er führte das Pferd bis an den Saum des Waldes zurück und pflockte es hier in der Weise zwischen mehreren Büschen an, daß es weder gesehen werden noch entfliehen konnte. Dann kehrte er zurück.

»Jetzt gilt es, unbemerkt an sie zu kommen. Folgt mir!«

Er huschte, von Baum zu Baum Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, vollständig unhörbar vorwärts. Forster folgte ihm in derselben Weise. Nach einiger Zeit bemerkten sie einen hellen Rauch, welcher sich durch das Laubdach einen Ausgang suchte, und dann auch das Feuer, um welches alle Neun Platz genommen hatten. Summerland lehnte an einer Fichte, deren umfangreicher Stamm Beiden vollständige Sicherheit bieten konnte. Er winkte den Gefährten zu sich heran.

»Sie haben die Thiere noch nicht entschirrt und auch keine Wache ausgestellt. Welch horrible Unvorsichtigkeit!«

»Wo sind die Pferde?«

»Dort drüben hörte ich schnaufen. Ich brauche Waffen; sind welche dort, so braucht kein Tropfen Blutes zu fließen. Kommt!«

Sie schlichen sich weiter bis in die unmittelbare Nähe der Pferde, die keinen verdächtigen Laut hören ließen, weil sie sich noch nicht in freier Bewegung befanden.

»Seht Ihr dort meinen Fuchs? Er hat wirklich die Beutel mit den Nuggets noch über dem Rücken hangen. Und dort der Rappe hat eine vollständige Jagdausrüstung auf dem Packsattel. Ich nehme Beide, Ihr auch eins oder zwei, und die andern schneiden wir los. Go on, jetzt schnell!«

Er glitt vorwärts, schnitt im Vordringen einige Lasso's durch und gab den Thieren einen Schlag, daß sie laut wiehernd davonstürmten. Dann sprang er auf den Fuchs, ergriff den Rappen beim Zügel und sah sich nun erst nach Forster um. Dieser hatte so schnell gehandelt, daß fast sämmtliche Pferde verschwunden waren. Er selbst saß auf einem Braunen und machte eben Miene, den Platz zu verlassen, als lautes Geschrei ertönte und die Pfahlmänner zwischen den Bäumen herbeisprangen.

Der Vorderste von ihnen war ein breitschultriger, schwarzbärtiger Gesell, der sich sofort auf Forster stürzte.

»Der Anführer, Master Dichter,« rief Summerland, seinen Stutzen auf zwei Andre abdrückend. »Gebt ihm genug!«

Der Tomahawk Forsters sauste durch die Luft, und der Schwarze brach zusammen.

»Huzza, so war's gut. Jetzt fort!«

Sie wandten sich zur Flucht. Schüsse krachten hinter ihnen, laute Flüche erschallten; der Wald wirkte hindernd auf ihre Eile; dennoch aber erreichten sie unverwundet die Büsche, zwischen denen Summerland das Pferd zurückgelassen hatte.

»Schnell heraus mit ihm, und dann weiter, Sir! Ehe sie die Pferde wiederbekommen, wird es Nacht, und sie können erst morgen unsrer Fährte folgen. Aber fangen sollen sie Tim Summerland und seine Stute nicht, das ist so sicher wie meine Mütze!« –

2. Marga

II.

Marga

Im Staate Arkansas und an dem gleichnamigen Flusse liegt einige Stunden oberhalb Little Rock die Stadt Stenton. Obgleich ihr Ursprung nur um einige Jahrzehnte zurückweist, bildet sie doch, an der Einmündung zweier kleiner Seitenflüsse liegend, den Knotenpunkt eines außerordentlich regen Land- und Wasserverkehrs. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit ist Haus an Haus, Straße an Straße gewachsen, und wo vor kurzer Zeit der wilde Sohn der Prairie sein Roß im Wasser des Stroms tränkte, dehnt jetzt sein »weißer Bruder« sich in weichen Flaumen und freut sich des Segens[523] – vielleicht auch des Fluches der Gesittung, die einen ganzen, nach Millionen zählenden Menschenstamm erbarmungslos von der Erde streicht.

Da, wo einige englische Meilen vor der Stadt die Berge zur Ebene niedersteigen, tummelte eine Kalvakade junger Herren und Damen ihre muthigen Pferde in dem elastischen, von gelben Holianthusblüthen durchschossenen Grase. Der einzige ältere Mann, der sich bei der Gesellschaft befand, zeichnete sich zugleich auch durch sein Aeußeres von allen Uebrigen aus. Von ungemein dicker Natur, saß er auf einem Schimmel, der ihm an Körperumfang jedenfalls ebenbürtig war. Die Bewegungen der beiden so wohl zusammenpassenden Wesen hatte etwas Dickhäuterähnliches an sich, zu welchem die grellen Farben, in welche sich der Reiter gekleidet hatte, außerordentlich possierlich standen. Er trug ein gelbes Beinkleid, rothkarrirte Weste, lichtblauen Rock und einen breitkrämpigen, in schwarz und weiß geflochtenen Pferdehaarhut. Unter dem breit umgelegten, steif gestärkten Hemdenkragen war ein grün und lila gestreiftes Tuch in einen imposanten Knoten geschlungen und schickte seine wohlgefalteten Zipfel bis auf die kostbaren Berloquen herab, welche klingend an der dicken Uhrkette baumelten. Das jetzt vom Ritte geröthete und mit großen Schweißperlen bedeckte Gesicht hatte einen höchst gutmüthigen Ausdruck, doch konnte der eigenthümlich scharfe Zug um den Mund auch eine bittere Beimischung bedeuten und der kurze, dicke Nacken ein Zeichen hartnäckiger Ausdauer sein.

Eben machten er und sein Schimmel eine keuchende Anstrengung, einer der Damen zu folgen, die, als die Gewandteste von Allen, in tollen Kapriolen und Zickzackwendungen umherfegte, während ihr langer, blauer Schleier hoch in den Lüften flatterte. Wer sie eine reizende Erscheinung nennen wollte, hätte viel zu wenig gesagt; eine so wundervolle Schönheit durfte nicht jetzt während des kühnen Rittes, sie mußte im Augenblicke der Ruhe und Beschaulichkeit beobachtet und dem Herzen eingezeichnet werden.

»Halt ein, halt ein, Marga,« stöhnte der Bunte. Der Schimmel hatte eine fürchterliche Anstrengung gemacht und wirklich einen Satz fertig gebracht, der seinen Reiter vollständig aus der Contenance warf. »Du brichst den Hals, und ich, ich brech – brrr, stopp, ohohoho, Du höllische Bestie!«

Einer der Herren eilte herbei und half ihm wieder in eine sattelfeste Stellung.

»Der Schimmel hat zu gute Pflege, Master Olbers. Laßt ihm etwas weniger Hafer geben, dann wird er nicht so unmäßig in die Welt hineinspringen.«

»Der Hafer ist nicht schuld, sondern das böse Beispiel, welches selbst die besten Sitten verdirbt. Der Gaul verträgt seine Portion Körner ohne alle Aufregung ebenso leicht, wie ich meine Flasche Madeira, die ich mir nicht nehmen lasse. Aber bei Eurem Springen und Jagen kann auch die zuverlässigste Kreatur unmöglich ruhig bleiben. Ich bitte Euch dringend, Sir, reitet hin zu meiner Tochter und sagt ihr, daß ich sofort in Ohnmacht falle, wenn sie noch ein einziges ventre-à-terre riskirt!«

»Laßt ihr das Vergnügen, Master. Es hebt den Muth, stärkt die Gesundheit, macht gewandt und, ganz unter uns gesagt, läßt Miß Marga in einem Lichte erscheinen, dem kein wahrer Gentleman zu wider stehen vermag.«

»Licht hin, Licht her; ich lobe mir die Sicherheit meiner gesunden Glieder, Master Wilson. Da seht einmal den Mann, der dort herüberkommt. Sein Pferd geht Schritt um Schritt, als hätte es die Blüthen zu zählen, die es niedertritt, und wahrhaftig, es nimmt sich sogar hier und da ein Maul davon auf, er läßt das geduldig geschehen, hängt dabei vornüber im Sattel, als wolle er in die Mähne beißen, und scheint es ganz gleich zu nehmen, ob er heute nach Stenton kommt oder morgen. Der ist kein solcher Wagehals wie Ihr und Marga, und für die erste Rippe, welche er bricht, will ich Euch getrost baare fünfzigtausend Dollars versprechen!«

»Meint Ihr?« frug der Andre mit einem forschenden Blick auf den noch fernen fremden Reiter. »Ich meine sehr, daß Ihr die Dollars bald verlieren könntet, denn der Mann hat jedenfalls schon mehr als eine Rippe gewagt.«

»Hoëh! Er sieht ganz und gar nicht danach aus.«

»Das meint Ihr, weil Ihr noch nie die Prairie betreten habt. Ich wette ganz dieselbe Summe, daß es ein richtiger Westmann ist, der noch andre Ritte, als Ihr gesehen habt, unternommen und dem Tode täglich in das Auge geschaut hat. Ich kenne das, denn meine Besitzungen in Texas grenzen an die Savanne, und ich habe also Gelegenheit, diese Leute zu beobachten und sogar ein wenig mitzuthun. Gerade seine gebeugte Haltung kennzeichnet ihn als Jäger; so sitzen sie Alle zu Pferde, denn anders wäre das ewige Reiten gar nicht auszuhalten.«

»Ein Prairiejäger? Ein Halbwilder? Den müssen wir anreden! Eine Unterhaltung mit ihm wird unsern Damen sicher viel Spaß machen.«

»Ich denke auch. Laßt mich nur machen!«

Der Sprecher war ein noch ziemlich junger und schöner Mann, dessen dunkel sprühende Augen ganz prächtig zu dem tiefschwarzen, wohlgepflegten Vollbarte standen. Er war mit beinahe übermäßiger Eleganz gekleidet und saß mit seltener Leichtigkeit zu Pferde. Der breite Panamahut war ihm ein wenig aus der Stirn in den Nacken gerutscht und ließ eine dunkelrothe Narbe sehen, welche sich von der Nasenwurzel aus bis unter die Haare zog. Einige laut gerufene Worte von ihm brachten die Gesellschaft zusammen.

»Meine Ladies und Gent's, ein Plaisir erwartet uns. Dort kommt ein Biberhauthaggler, den wir ein wenig ins Gebet nehmen wollen. Der Mann hat wohl noch nie eine wirkliche Lady gesehen und wird in schauderhafte Verlegenheit gerathen über die Zumuthung, uns Rede und Antwort stehen zu sollen.«

Der Vorschlag wurde von der übermüthigen Versammlung mit Freuden angenommen, nur die Tochter des Bunten appellirte dagegen.

»Laßt ihn ruhig vorüber, Gentlemen! Der Mann hat Euch nichts gethan, und könnte sich verletzt fühlen!«

»Verletzt?« lachte Wilson. »Er soll es für eine Ehre halten, von so feinen Leuten angesprochen zu werden. Ich werde ihm dies begreiflich machen!«

Er wandte sein Pferd dem Reiter entgegen; die Andern folgten, und Marga war also gezwungen, sich ihnen anzuschließen, doch hielt sie sich zurück. Das Unternehmen des reichen Plantagenbesitzers stand im Widerspruche mit ihrer Art und Weise zu denken und zu empfinden.

Der Fremde war jetzt bis in Hörweite herangekommen, und ein mit dem Leben und den Gestalten der Prairie Unvertrauter würde geglaubt haben, daß die Gesellschaft noch gar nicht von ihm bemerkt worden sei, so unverwandt hielt er den Blick auf den Hals seines Pferdes gerichtet.

»Good day, Mann,« rief Wilson. »Schlaft und träumt Ihr oder sind Euch Eure letzten zwei Sinne abhanden gekommen?«

Der Gefragte richtete sich blitzschnell in die gerade Stellung empor, und es war eigenthümlich, mit welchem Blicke sich die Beiden begegneten. Das tiefblaue Auge des Jägers bohrte sich förmlich stechend in das Gesicht seines Gegenübers, und das dunkle des letzteren leuchtete wie unter einem plötzlichen Erkennen auf und warf einen vernichtenden Strahl unter die zerwalkte Hutkrämpe des in ein schmutziges und arg zerfetztes Lederhabit gekleideten Reiters.

»Good day, Ladies und Mesch'schurs,« antwortete dieser mit voller, sonorer Stimme. »Ich träumte von der Llano estacado und von abhanden gekommenen Stangen und Nuggets. Good bye!«

Er machte Miene, seinen Weg fortzusetzen, Wilson aber verlegte ihm denselben.

»Halt, nicht weiter, bis Ihr erklärt, was diese Antwort zu bedeuten hat!«

Er war blaß geworden, aber sein Auge funkelte und die Narbe auf seiner Stirn schwoll zu doppelter Dicke an.

»Halt?« frug der Andre mit einem überlegenen Lächeln. »Wer will es wagen, einem freien Manne unter freiem Himmel Halt zu gebieten? Wer will ihm das Wort befehlen, das er nur freiwillig giebt?«

»Ich will es, Bursche! Was soll Deine Rede bedeuten? Sprich sofort oder – –«

Er erhob drohend die Reitpeitsche. Die Absicht, den unscheinbaren Mann zur Zielscheibe eines muthwilligen Spasses zu machen, hatte so schnell zur drohenden Gefahr geführt, daß keiner der Anwesenden Zeit fand, sie abzulenken.

»Oder – –?« donnerte der Jäger, die langen, wirren, blonden Locken schüttelnd wie ein Löwe seine Mähne. Er nahm mir der Linken die Zügel empor, und in demselben Augenblick schien dreifaches Leben sein scheinbar zu keiner schnellen Bewegung fähiges Pferd zu durchströmen. »Hinweg mit der Peitsche!«

»Heraus mit der Antwort!« schallte es ihm entgegen.

»Hier ist sie!«

Ein leiser Schenkeldruck und der Mustang schnellte bis dicht an Wilson heran; im nächsten Augenblicke sank dieser, von einem fürchterlichen Faustschlage getroffen, aus dem Sattel in das Gras hinab. Der kraftvolle Mann, der jetzt so plötzlich von Geist und Feuer sprühte, riß sofort das Roß wieder herum und blitzte Einen nach dem Andern mit seinem vor Zorn sich dunkelfärbenden Auge an.

[524] »Will einer von den Gentlemen noch Antwort haben?«

Niemand regte sich, denn jeder der Herren mußte erkennen, daß diese Antwort augenblicklich und ganz in der vorhergehenden Weise erfolgen werde.

»Keiner? Well, so sind wir eigentlich fertig. Doch will ich Euch warnen vor dem Wagniß, je wieder einen braven Westmann für den passenden Gegenstand eines Possenspieles zu halten: sein kleiner Finger ist mehr werth als Ihr Alle; er sieht schon in der Ferne, was Ihr wollt, und weiß genau, wer lachen wird.«

Schon stand er im Begriff fortzureiten, da zügelte er sein Thier bis vor Marga heran. Sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an; seine Hand zog ehrerbietig den Hut vom Kopfe; bewundernd glitt sein Blick über die holde, lichtvolle Erscheinung des Mädchens, und seine Stimme klang weich und halblaut:

»Dank, Mylady! Ihr wart die Einzige, die nicht spotten wollte, und seid einer besseren Gesellschaft werth. Good bye!«

Mit dem vollen Anstand eines wohlgeschulten Ladiesman bedeckte er sich wieder, zog den gelockerten Büchsenriemen fester an und ritt in kurzem, elegantem Galopp davon.

Nicht ein einziges Mal sah er sich um, trotzdem es seinen Blick mit Gewalt nach rückwärts zog. Er hatte hier zum ersten Male in ein Mädchenangesicht geblickt, von dem er sich gestand, daß er es nie vergessen werde. Als er die Stadt erreichte, stieg er in dem Gasthause ab, dessen Schild ihm zuerst entgegenglänzte, übergab sein Pferd dem Stallkeeper und begab sich in den Trinkraum, wo er die allgemeine Aufmerksamkeit durch die Hast erregte, mit welcher er nach den ausliegenden Zeitungen griff. Ein Trapper, der zu lesen versteht, kann beinahe als ein Mirakel betrachtet werden. Nach einiger Zeit winkte er den Boardkeeper zu sich heran.

»Wer ist Mutter Smolly?«

[525] »Kennt Ihr Mutter Smolly nicht, Master? Dann müßt Ihr noch niemals hier gewesen sein! Sie war das schönste Mulattenmädchen weit und breit, wurde freigegeben und heirathete einen reichen Mississippihändler, dessen Wittwe sie nun ist. Sie ist die ehrbarste Frau der ganzen Stadt und überall als der Engel aller Nothleidenden bekannt; darum wird sie von Jedermann nicht anders als Mutter Smolly genannt.«

Er dankte für die Auskunft und las noch einmal die Annonce, welche ihn zu seiner Frage veranlaßt hatte:


»Ein wahrer Gentleman kann bei Mutter Smolly feine Wohnung mit Bibliothek und guter Kost erhalten.«


Diese Offerte hatte, vielleicht gerade wegen ihrer sonderbaren Fassung, etwas Anziehendes für ihn. Er erkundigte sich nachträglich noch nach der Wohnung der Mulattin, die nicht angegeben war, und beschloß, sie aufzusuchen.

Das Haus, welches ihm bezeichnet wurde, lag in einer der schönsten und ruhigsten Straßen Stentons. Er klingelte am Entree des Parterres, und aus der sich öffnenden Thürlücke sah ein allerliebstes, dunkles Gesicht hervor.

»Ist Mutter Smolly daheim, mein Kind?«

»Ja. Ich will sie rufen!«

»Nein, melde mich an,« lächelte er über das Mißtrauen, welches seine Kleidung hervorgerufen hatte. »Ich habe längere Zeit mit ihr zu sprechen.«

»So bitte ich, zu warten!«

Nach längerer Zeit und jedenfalls erst nachdem die Dienerin der Herrin den Besuch bis in das Einzelnste beschrieben hatte, wurde er eingelassen, aber auch nur bis in den Vorsaal, wo ihn eine dralle, außerordentlich sauber gekleidete Frau empfing, die vielleicht vierzig Jahre zählen mochte und deren Gesichtsfarbe ihre Abstammung von irgend einer hübschen coloured-Lady verrieth.

»Verzeihung, Mylady, wenn – –«

»Mutter Smolly, nicht anders, wenn ich bitten darf!« fiel sie ihm schnell in die Rede.

»Gut also, Mutter Smolly! Ich las da eine Annonce, daß Ihr eine feine Wohnung mit guter Kost zu vergeben habt.«

»Allerdings. Aber habt Ihr auch gelesen, an wen?«

»An einen wahren Gentleman.«

»Also nicht an einen von den Vielen, die sich so nennen, ohne es zu sein, sondern an einen, den ich mit Recht so nennen darf.«

»Diese Sorte ist hier im Südwesten außerordentlich selten, Mutter Smolly.«

»Dann bleibt mein Logis unvermiethet. Ich nehme in mein Haus nur Leute, denen ich außer einer strengen Wirthin auch eine gute Mutter Smolly sein darf. Hat Euch Jemand geschickt?«

»Nein. Ich selbst beabsichtigte, bei Euch zu wohnen, wenn Eure Räumlichkeit mir und meine Person Euch gefällt.«

Sie konnte ein leises, silbernes Lachen nicht zurückhalten.

»Meine Wohnung würde Euch sicher gefallen; aber sagt mir doch einmal, Master, wer und was Ihr seid! Ich vermuthe, ein Jäger oder Fallensteller.«

»Meinem gegenwärtigen Aeußern nach, ja. Ich komme vom Felsengebirge und habe seit dort weder Kleider noch Wäsche wechseln können. Ich wollte das erst thun, wenn ich hier eine Heimath gefunden habe.«

»Weshalb hier in Stenton?«

»Weil sich hier die Druckerei befindet, in welcher ich Einiges veröffentlichen will.«

Sie blickte ihn erstaunt an.

»So seid Ihr eigentlich ein Gelehrter oder wohl gar ein Dichter?«

»Vielleicht. Ich unternehme meine Reisen nur des Wissens wegen. Mein Name ist Richard Forster.«

»Rich – – Forst – – bitte, bitte, Sir, tretet doch hier herein!«

Sie riß eine Thür auf, schob ihn mehr als er ging in ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, zog von einem Konsolegestell unter mehreren Büchern einen in Sammet gebundenen Band heraus und hielt ihm das Titelblatt desselben vor.

»Herzensklänge, Sir; habt Ihr diese Lieder gedichtet?«

»Sie sind von mir.«

»Ists möglich! Mein Mann war ein Deutscher; er hat eine ganz werthvolle Bibliothek hinterlassen, und seine liebsten Bücher waren ihm die Eurigen. Ich kann sie nicht lesen; aber ich kenne ihre Titel und habe sie als Heiligthum hier in meinem Zimmer aufbewahrt. Ihr sollt die Wohnung haben; Ihr müßt sie nehmen. Kommt; ich will sie Euch zeigen!«

[526]

[538] Es war auf einmal eine ganz außerordentliche Lebhaftigkeit über sie gekommen. Sie sprang voraus, eine Treppe empor, und öffnete ihm drei Räume, die alle Ansprüche eines gebildeten Mannes zu befriedigen vermochten.

»Hier das Schlafzimmer; hier das Wohnzimmer mit Balkon, und hier die Bibliothek, in welcher Ihr arbeiten könnt. Ich vertraue die Bücher keinem Menschen lieber an als Euch!«

»Gut; ich wohne hier, und der Preis?«

»Jetzt nicht; später davon. Seht nur erst, ob es Euch auch wirklich bei mir gefällt! Ich lasse Euch gar nicht wieder fort, und was Ihr braucht, werde ich Euch sofort besorgen.«

»Was die Wäsche und Aehnliches betrifft, ja; da muß ich sogar um Eure Hülfe bitten, meine gute Mutter Smolly; das [538] Andre aber werde ich wohl selbst übernehmen müssen. Auch mein Pferd, welches im Hotel steht, erfordert meine Anwesenheit.«

»Das lassen wir holen. Ich habe im Hinterhause eine ganz prächtige Stallung, die Euch sicher zufriedenstellen wird.« –

Bis der Abend hereinbrach, war mit Hülfe des Konfektioners, Kleiderhändlers und Friseurs ein vollständig anderer Mensch aus Forster geworden, und die Wirthin schlug verwundert die Hände zusammen, als er herabkam, um sich ihr in dieser neuen Fassung vorzustellen.

Dann begab er sich zum Buchhändler und Druckereibesitzer, welcher zugleich Herausgeber der hiesigen Morgen- und Abendpost war und ihn mit Auszeichnung empfing. Hier erkundigte er sich nach der Privatwohnung des Advokaten Summerland. Er hatte sich in Preston am Red River von dem braven Tim getrennt, um noch einen Ausflug in das Indiana-Territorium zu machen und wollte den ersten Tag nicht vorübergehen lassen, ohne ihn aufgesucht zu haben. Leider aber fand er ihn nicht daheim; er war, wie das Mädchen berichtete, mit ihrer Herrschaft für den ganzen Abend zum Bankier Olbers geladen.

Er kehrte nach Hause zurück, um sich mit der Bibliothek des verstorbenen Mississippihändlers zu beschäftigen. Während dieser Unterhaltung bemerkte er, daß die zweite Etage des gegenüberliegenden großen Hauses hell erleuchtet war. Man konnte von dort aus recht wohl seine Zimmer übersehen; er schloß also die Gardinen.

Drüben war eine zahlreiche Gesellschaft um die Tafel, an welcher Marga präsidirte, versammelt. Unter den Anwesenden befanden sich, Wilson abgerechnet, sämmtliche Theilnehmer der heutigen Reitparthie und auch Bill Summerland mit Frau und Bruder. Dieser letztere hatte aus Rücksicht für die Seinen heute auf die gewohnte Trapperkleidung verzichtet und sich in eine salongerechtere Gewandung geworfen; doch war ihm recht gut anzusehen, daß er sich in derselben außerordentlich unbehaglich fühlte. Er war nicht der Mann, sich an einem solchen Orte fehlerlos zu bewegen, aber das genirte ihn ganz und gar nicht, denn er wußte, daß alle diese geputzten Herren und Damen im Gegensatze zu ihm in der Prairie noch viel unbehülflicher gewesen sein würden, wie er hier in den glänzenden Räumen des reichen Goldmannes, die er noch niemals betreten hatte. Er war ja eigentlich die Hauptperson der anwesenden Versammlung, die nicht müde wurde, sich von der Erzählung seiner Abenteuer unterhalten zu lassen.

Er stand jetzt bei der Schilderung der Todessteppe und seiner Rettung durch Forster.

»Ja, Mesch'schurs, es ist ein kleiner Unterschied zwischen Kojotensaft und dem veritablen Zeuge, das hier in diesem Glase glänzt, aber ich sage Euch, das Blut damals war mehr werth, als der ganze Keller von Master Olbers, auf dessen Wohl ich bei dieser Gelegenheit einen Schluck nehmen will. Und wißt Ihr, wem ich es verdanke, daß ich dies thun kann und nicht von den Geiern zerrissen worden bin? Einem Dichter, ja, schaut mich nur verwundert an, einem Dichter, aber nicht einem solchen, der zwischen Himmel und Erde hängt und hilflos mit den Beinen zappelt, sondern einem echten Busineßman, der auf jedem Fleck, wo man ihn hinstellt, es mit dem Besten aufzunehmen versteht.«

»Wie heißt er?« frug der dicke Bankier, der ein großer Literaturfreund war und nicht gern eine Gelegenheit, seine Belesenheit merken zu lassen, ungenützt vorübergehen ließ.

»Forster, Richard Forster, wenn es Euch recht ist. Seine Reime sind weich wie Butter, seine Fäuste aber hart wie Stahl. Er ist ein Kerl wie ein Riese und hat dabei ein Herz wie ein Kind; darauf kann ich schwören wie auf meine Mütze!«

»Forster, der Germanist! Dort sitzt seine größte Verehrerin,« meinte er, auf seine Tochter zeigend. »Sie hat seine Gedichte bei Mutter Smolly kennen gelernt. Er ist wirklich bedeutend in seinem Genre; groß aber könnte er nur im Englischen werden.«

»Im Englischen?« frug Tim Summerland. »Ich weiß nicht, ob er deutsch oder englisch zugeschlagen hat, aber gut waren seine Hiebe, das könnt Ihr glauben Ich habe es gesehen, als wir meine Nuggets wieder holten, und diese Geschichte müßt Ihr noch hören!«

Er fuhr in seinem Berichte fort, den er mit der Bemerkung schloß:

»Und wenn Ihr ihn sehen wollt, so kann dies vielleicht gar bald geschehen. Als wir am rothen Flusse von einander gingen, hat er mir versprochen, nach Stenton zu kommen. Er war blos in die Prairie gezogen, um ein Buch voll Reime über sie zu machen, und will es hier drucken lassen. Reime über die alte große Wüste, ein verteufelt sonderbarer Gedanke! Als ich zum ersten Male hineinritt, war ich ein Greenbeak von achtzehn Jahren, jetzt bin ich ein alter Junge und niemals aus ihr herausgekommen, aber ich will, so lang ich noch lebe, nichts als Truthahnbussard und Büffelboutins verzehren, wenn ich einen einzigen Reim über sie fertig bringe, geschweige ein ganzes Buch voll von ihnen! Und da soll er nicht groß sein, Master Olbers? Seht ihn Euch erst an, und dann sagt, ob Ihr etwas Kleines an ihm findet!«

Die Tafel wurde aufgehoben, und die Gäste zerstreuten sich in die verschiedenen Zimmer. Marga war der Erzählung des Trappers aufmerksam gefolgt. Ihr waren während derselben die verschwundenen Stangen und geraubten Nuggets aufgefallen, und unwillkürlich brachte sie Beides mit der Antwort des Jägers in Verbindung, der heut dem muthwilligen Wilson eine so derbe Lehre gegeben hatte. Dieser letztere hatte in Folge des erhaltenen Schlages am Abend nicht erscheinen können. Was hatten die überraschten Blicke zu bedeuten, mit welchen sich die Gegner gemessen hatten? Sie konnte die hohe, stolze Gestalt des Fremden nicht aus dem Sinne bringen. Mit welcher Schwere hatte seine Stimme der Feind getroffen, und wie weich und warm war sie dann ihr entgegengeklungen! Sie suchte einige Augenblicke unbelauschten Zusammenseins mit Tim Summerland zu ermöglichen.

»Sagtet Ihr nicht, daß Forster nach Stenton kommen will?«

»Yes; das habe ich gesagt, Miß.«

»Könnt Ihr mir seine Person beschreiben?«

»Sehr genau. Figur lang, breit und kräftig, Haare blond und lang, Bart ebenso, Augen blau, Mund klein, Zähne gut, Kleidung ein Jagdrock, ausgefranst und zerrissen, Leggins, ausgefranst und zerfetzt, Moccassins, ausgefranst und zersprungen, Hut, ein Stück Filz ohne Gestalt und Farbe, Pferd, ein Brauner mit weißem Stern, Waffen, eine Doppelbüchse, ein Stutzen, Messer, Tomahawk und Lariat, besondere Kennzeichen, macht Lieder und schlägt Pfahlmänner todt. So, nun könnt Ihr ihn steckbrieflich verfolgen lassen, so genau ist die Beschreibung.«

Sie wußte jetzt genug; das seltsame Signalement paßte genau auf den fremden Jäger.

»Werdet Ihr ihn uns einmal zuführen, wenn er da ist, Master Summerland?«

»Wenn Ihr es wünscht, Miß, so bringe ich ihn so gewiß wie meine Mütze.«

»Ich halte Euch beim Wort!«

Er wandte sich wieder der Gesellschaft zu, und sie trat an das Fenster, wo der Vater stand.

»Mutter Smolly muß vermiethet haben.«

»Wirklich? Dann ist es erst heut geschehen. Als ich sie gestern besuchte, stand das Logis noch leer.«

»Sie scheint also doch einen ›wahren Gentleman‹ gefunden zu haben, wie ihr Ausdruck in der Morgenpost lautet. Die Fenster sind erleuchtet, und hinter den Gardinen bewegt sich ein männlicher Schatten.«

Der, von welchem dieser Schatten herrührte, hatte in der Bibliothek manches Buch gefunden, welches nicht ohne Werth für ihn war, und dachte erst zu ungewöhnlich später Stunde daran, die Ruhe aufzusuchen. Als er das dunkle Wohnzimmer betrat, bemerkte er, daß drüben im gegenüberliegenden Hause die Lichter des zweiten Stockes erloschen seien. Jetzt waren einige Fenster des ersten Stockes erleuchtet; die Vorhänge waren zurückgezogen; die Altanthüre stand auf, und durch diese glänzte die große, lichtverbreitende Kuppel einer Lampe, welche auf dem Sophatische stand. Eine weibliche Gestalt in weißem, luftigem Gewande glitt wie schwebend durch das Gemach. Sie trat an den Tisch; das blendendhelle Licht fiel auf ihre hohe, volle Gestalt, doch da sie von ihm abgewandt stand, so konnte er von ihrem Gesicht nichts sehen. Unbeweglich aber hielt er seinen Blick auf sie gerichtet, indem er erwartete, daß sie sich mehr seitwärts wenden werde. Jetzt erhob sie ein Buch, schlug es auf und hielt es dem Lichte näher, und weißer als ihr Gewand, weißer als das Papier glänzte wie ein selbstleuchtender Gegenstand ihre Hand zu ihm herüber.

Schnell holte er ein Opernglas herbei, welches er auf dem Schreibtische gesehen hatte, und eilte, dasselbe vor sein Auge haltend, hinaus auf den Balkon, wo er in der Dunkelheit nicht bemerkt werden konnte. Da stand die Unbekannte nun so klar und deutlich vor ihm, als befinde er sich in ihrer unmittelbaren Nähe. Ihre Hand fesselte wieder seinen Blick. Er hatte schon manche schöne Hand gesehen, vielleicht auch eine von ihnen besungen, wie weit aber blieb alle seine Poesie gegen diese Wirklichkeit zurück! Wie graziös berührten sich ihre lang gestreckten, spitz zulaufenden Finger an dem Papiere; wie leicht und schön gebogen hob sich das Handgelenk, und wie reizend schaute der Arm aus der durchsichtigen Spitzenhülle hervor! Es war ihm, als brauche er sich nur vorzubeugen, um seine Lippen auf diese Lilienhand zu drücken, so nahe, so deutlich sah er sie vor sich. Und immer noch wollte die Eigenthümerin derselben sich nicht wenden, immer noch konnte er ihr [539] nicht in das Angesicht schauen! Ob die Schönheit ihrer Züge wohl mit der ihrer Hand im Einklang stand? Ihr Kopf war klein und edel geformt, und zwischen den reichen, braunen Locken, die über die Schultern herniederfielen, schaute ein zierlicheres Ohr hervor, als er in seinem Leben jemals gesehen hatte.

Es durchfluthete ihn ein vollständig fremdes Gefühl. Es war ihm, als harre er auf eine Seligkeit, die ihm von Minute zu Minute vorenthalten werde; seine Ungeduld steigerte sich immer mehr und – da, da drehte sie sich halb um, und er erblickte dasselbe wunderbar schöne Angesicht, welches heute einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

»Sie ists; ich hab' es geahnt!«

Heiße Wogen drängten sich nach seinem Herzen; war es von dem zu scharfen Sehen durch das Glas, ein Taumel, ein der Trunkenheit ähnlicher Zustand wollte ihn erfassen. Er kannte die Macht weiblicher Schönheit, aber er hatte sie noch nicht an sich selbst erfahren; jetzt zitterte ihr Einfluß ihm durch das tiefste Leben, und er hätte um keinen Preis der Erde die Fülle von Ahnungen und unbewußten Wünschen, welche seine Brust schwellten, hingegeben.

Da nahm sie die Lampe und trat in das Nebengemach. Die weißen, neidischen Gardinen, welche die dortigen Fenster verhüllten, ließen nur noch ihren Schatten sehen, welcher auch bald verschwand, als sie das Licht verlöschte. Sie war schlafen gegangen.

Noch lange stand er, ob gedankenvoll oder gedankenlos, er selbst hätte es nicht sagen können. Nicht ihre Schönheit allein hatte ihn begeistert; das Vornehme und Edle ihres Aeußeren und die Reinheit, welche sie umwebte und umschwebte wie das Licht die Sonne, hatten ihn gefangen genommen.

»Schlaf wohl, Du herrliches, Du unvergleichliches Wesen!« flüsterte er aus überschwellendem Herzen und trat wieder in die Bibliothek zurück. Es trieb ihn hin zum Schreibtisch, es lenkte seine Hand zur Feder, und bald flossen die glühenden Stanzen auf das Papier, so glockentönig und farbenprächtig, wie sie nur die erste, alles Irdische überlodernde Liebe zu diktiren vermag. Er nahm das Blatt und las es wiederholt.

»Meine beste Arbeit, vielleicht die einzige gute und untadelhafte von allen. Nicht ich habe sie geschrieben, sondern die himmlische Macht, die sich heute mir zum ersten Male offenbarte. Was thue ich? Darf ich oder nicht? Noch ist die Redaktion mit der Zusammensetzung des Morgenblattes beschäftigt – ja, es wird gewagt!«

Er griff zum Hute und verließ trotz der späten Nachtstunde das Haus, um sich zur Druckerei zu begeben. Sein Beitrag wurde willkommen geheißen, und befriedigt kehrte er zurück. In der vom Monde nicht beschienenen Thornische standen zwei Personen, mit denen er in der Eile seines Ganges nicht allzuzart karambolirte, eine hohe männliche und eine zierliche, weibliche.

»Wer da?«

»Ich bin's.«

»Wer ist das?«

»Sarah.«

»Welche Sarah?«

»Das Mädchen von Mutter Smolly.«

»Ach so. Gute Nacht!«

Die kleine, niedliche Terzerone hatte also einen Anbeter. Forster wollte in den undeutlichen Umrissen seiner Gestalt etwas Bekanntes finden, konnte aber die beiden Leute unmöglich noch mehr belästigen. Er stieg zu seiner Wohnung empor und schlief nach langer Zeit zum ersten Male wieder zwischen schwellenden Federn. Seine Ruhe war so tief und fest, daß es dem Gotte des Traumes versagt blieb, sie mit den glücklichen Bildern zu durchweben, die den Schläfer noch im Entschlummern umgaukelt hatten. –

3. Rache

III.

Rache

Trotz des festen Schlafes erwachte Forster doch schon früh am Morgen. Die Toilette war schnell beendet, und dann trat er an das Fenster, um nach seinem schönen Gegenüber zu forschen. Er fand alle Fenster geschlossen, die Balkonthür aber noch wie am Abende offen. Nun ließ er seine Vorhänge zusammenfallen, und zwar so, daß er seine Beobachtung anstellen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Er hatte noch nicht lange gewartet, so bewegten sich die Vorhänge drüben und die unverkennbare, reizende Hand erschien, um sie zurückzulegen und das Fenster zu öffnen.

Nur wenige Augenblicke war es dem Lauscher gestattet, die Erscheinung des Mädchens anzustaunen, und doch waren sie hinreichend, ihr Bild in jeder reizenden Einzelheit zu umfassen. Hätte er sie nie wiedergesehen, dies Bild würde ihn doch als Ideal weiblicher Schönheit bis über das Grab hinaus begleitet haben. Schlank und hoch war ihre Gestalt; über den vollen Busen hob sich auf einem schneeig zarten Halse ihr kleiner, wunderbar schön geformter Kopf, dessen glänzendes, dunkelbraunes Haar das edle Oval ihres Gesichtes einrahmte und in schweren, ungezwungenen Locken auf die schwellenden Schultern niederfiel. Ihre Züge waren fein geschnitten, zierlich gebogen ihre schöne Nase, prächtig gezeichnet ihre Korallenlippen, und unter den graziös geschwungenen, dunklen Brauen schauten ein Paar hellbraune, seelenvolle Antilopenaugen hervor. Ihre ganze Erscheinung war ungezwungen vornehm und ihre Bewegungen zeigten selbstbewußte Ruhe und angenehme Leichtigkeit.

Als sie die Gardinen zurückgeschoben, das Fenster geöffnet und einen Blick auf die Straße geworfen hatte, trat sie in das Zimmer zurück und verschwand vor Forsters Augen. Die Schläge seines Herzens hatten sich verdoppelt und ein Verlangen, eine Sehnsucht ihn erfaßt, wie noch nie in seinem ganzen Leben.

Schon wollte er wieder von dem Fenster zurücktreten, da schwebte es wie eine Nebelwolke durch den Salon der Glasthüre zu, und in blüthenweißem, duftigen Morgengewande trat sie heraus auf den Balkon. Sie blickte hernieder auf die Straße, legte ihr Battisttuch auf das Eisengeländer des Altanes, senkte den schön gerundeten Arm darauf, um sich auf denselben zu stützen und ließ ihre reizenden Hände übereinandergelegt von der Balustrade herabhängen.

Er stand wie festgebannt vor dem wundervollen, zauberischen Bilde. Sie war schöner als Alles, was er vorher gesehen, sie war lieblicher und anmuthiger als Alles, was seine Phantasie ihm bisher vorgegaukelt hatte, sie war eine Fee, eine Göttin von Wolken umgeben.

Nach dem Frühstücke erschien sie wieder und ließ sich, ihrem anwesenden Vater gegenüber, auf dem rothsammetnen Armsessel nieder, den ein sauber in weiß gekleideter Negerknabe für sie hinstellte. Dann breitete der letztere die Zeitungen aus, deren Lektüre die Beiden vornahmen. Forster stand wieder beobachtend am Fenster; er hätte so stehen können, in Liebe und Wonne versunken bis in alle Ewigkeit.

»Der dicke Gentleman scheint ihr Vater zu sein. Er blickt überrascht empor; er scheint etwas Interessantes in dem Journale gefunden zu haben. Jetzt lächelt er und giebt ihr das Blatt. Sollte es mein Gedicht sein? Wenn sie es liest, muß sie sofort wissen, daß es nur an sie gerichtet sein kann!«

Er nahm das Glas an das Auge. Es waren seine Strophen; zwar konnte er die einzelnen Lettern nicht deutlich unterscheiden, aber er sah es an der Stellung des Satzes, daß die Stelle, auf welcher ihr Auge ruhte, nichts anderes als ein Gedicht enthielt. Eine tiefe Röthe breitete sich über ihr Gesicht von der Stirn bis zum Nacken herab.

»Sie hat es gelesen!« flüsterte Forster mit freudebebender Stimme. »Sie liest es wieder. O, wenn sie wüßte, wie so innig der Dichter sie mit seiner ganzen Seele umfangen hält, wenn sie es doch fühlen könnte, wie selig sein Puls in diesem Augenblicke für sie klopft und wogt!«

Unbeweglich, wie an sie festgezaubert hielt er seinen Blick auf sie geheftet und suchte in ihren prächtigen Augen und auf ihren frischen Lippen die Worte zu lesen, welche sie zu ihrem Vater sprach. Sie rief einen kurzen Befehl in den Salon hinein; der Negerknabe brachte eine Scheere herbei. Sie nahm dieselbe, schnitt das Gedicht aus der Zeitung heraus und gab diese ihrem Vater zurück. Den Ausschnitt aber faltete sie zusammen und verbarg ihn in ihrem Busen.

Bei diesem Anblicke schoß es Forster glühend durch die Adern, jeder Nerv erbebte ihm in seligem Entzücken, und seine Hand, welche das Glas hielt, zitterte unter dem wonnigen Schauer, der seine hochathmende Brust durchzog.

Da klopfte es an seine Thür; die kleine, hübsche Terzerone seiner Wirthin brachte ihm das Verzeichniß, aus welchem er sich die Speisekarte dieser Woche zusammenstellen sollte. Sie war einer jener stillglühenden, verlangenden Schönheiten, welche der Vermischung der schwarzen mit der weißen Rasse ihr genußsüchtiges Dasein verdanken. Er war unwillig über diese Störung, ließ sich davon aber nichts merken. Er versprach, die gewünschte Zusammenstellung sofort vorzunehmen. Sie zog sich bis an die Thür zurück, zögerte jedoch, das Zimmer zu verlassen.

»Wünschest Du noch etwas?«

[540] »Eine Bitte, Mylord Forster,« antwortete sie erröthend.

»So sprich!«

»Ihr habt mich heute Nacht an der Thür getroffen mit einem Gentleman – –«

Ihm fiel ein, daß der Mann etwas ihm bekannt Vorkommendes an sich gehabt hatte, und er beschloß, sich zu orientiren.

»Ein Gentleman? Welcher Gentleman stellt sich des Nachts mit einem Dienstboten unter das Thor?«

»Es ist so, Mylord; er ist ein Gentleman ich kenne ihn genau, denn er ist mein – mein – –«

»Dein Geliebter?«

»Ja,« antwortete sie leise, indem eine tiefe Gluth ihren dunklen Teint durchleuchtete. »Die Herrin darf aber nichts davon wissen, und da – da wollte ich Euch ersuchen, ihr zu verschweigen, daß Ihr mich mit ihm gesehen habt!«

»Well! Wer ist denn dieser Gentleman, der Dir das kleine Herz bethört?«

»Ich nenne ihn Tom, Mylord.«

»Und wie heißt er noch?«

»Das soll ich verschweigen; Euch aber will ich es sagen. Er heißt Tom Wilson und ist ein sehr reicher Plantagenbesitzer in Texas. Er ist sehr oft drüben bei Bankier Olbers und hat mich durch das Fenster gesehen und sehr lieb gewonnen.«

»Olbers? Ist dies der dicke Herr, welcher jetzt dort auf dem Balkon sitzt?«

»Ja, und die Lady ist Miß Margareth, seine Tochter, die sehr oft zu meiner Herrin kommt und Marga genannt wird.«

»Forster wußte nun auf einmal, wem sein so lebhaftes Interesse gehörte. Ein Gedanke durchblitzte ihn.«

»Hat Dein Geliebter eine Narbe über der Stirn?«

»Ja. So kennt Ihr ihn, Mylord! Er hat sie von einem Indianer bekommen.«

»Woher weißt Du, daß er reich ist?«

»Er hat mich einmal mit in seine Wohnung genommen und mir eine ganze Menge Nuggets und Goldstaub gezeigt. Er wird nächstens verreisen.«

Das Mädchen war mittheilsam geworden. Forster mußte dies benutzen, denn was er hier erfuhr, konnte ihm von Nutzen sein.

»Wohin?«

»Nach Mexiko zu seinem Bruder.«

»Ah! Warum so weit?«

»Sein Bruder, welcher Alkalde in Morelia ist, hat ihm geschrieben, daß er ein großes Geschäft mit ihm machen will. Ich habe den Brief gelesen.«

»Wie heißt der Alkalde? Natürlich auch Wilson!«

»Nein, denn er ist nur der Stiefbruder und heißt Antonio Molez.«

»Was für ein Geschäft soll es sein?«

»Das stand nicht dabei. Werdet Ihr meine Bitte erfüllen, Mylord?«

»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß Du auch Deinem Geliebten nichts von unserer Unterredung sagst!«

»Habt Dank. Ich werde schweigen!«

Sie ging und Forster eilte an das Fenster zurück. Marga und ihr Vater hatten den Balkon bereits verlassen. Er setzte sich an den Schreibtisch und fertigte den Küchenzettel. Dann machte er Toilette zum Ausgehen. Er wollte den braven Summerland besuchen und hatte während dieser Beschäftigung nicht bemerkt, daß die heimlich Geliebte, jetzt in schwarze, rauschende Seide bekleidet, ihre Wohnung verließ und über die Straße herüber das Haus von Mutter Smolly betreten hatte. Diese war eine Freundin ihrer verstorbenen Mutter gewesen, hegte eine große Zuneigung zu dem schönen Mädchen und empfing sie mit freundlichen Vorwürfen.

»Aber, mein Kind, wo denkst Du hin? Gestern den ganzen langen Tag nicht auf einen einzigen kleinen Augenblick zu mir herüberzukommen! Hast Du denn Deine alte, gute Tante Smolly ganz und gar vergessen?«

»Ha, Tantchen, Du bist ganz entsetzlich alt! Aber vergessen habe ich Dich trotzdem nicht, sondern mich im Gegentheile recht sehr nach Dir gesehnt. Ich hatte schon am Vormittage für die Abendgesellschaft unendliche Vorbereitungen zu treffen und mußte, denke Dir nur, nach Tische um des garstigen Wilson willen, den [541] Papa so unbegreiflich protegirt, mit spazieren reiten. Konnte ich da kommen? Und dann die langweilige Soiree, die mir unerträglich gewesen wäre, wenn nicht Wilson gefehlt und Tim Summerland so interessant erzählt hätte.«

»Du scheinst diesen Wilson gar nicht gern zu haben!«

»Nein, Tante, noch viel weniger als ungern. Kannst Du Dir denken, warum?«

»Wie sollte ich!«

»Er hat bei Papa angedeutet, daß er nur meinetwegen in Stenton verweile, und dieser forderte mich auf, so freundlich wie möglich gegen ihn zu sein; er beabsichtige ein ganz bedeutendes Unternehmen mit ihm und wünsche, ihn durch engere Bande an sich zu fesseln. Soll mich das nicht ärgern?«

»Gewiß! So etwas ist allerdings höchst ärgerlich, wenn man sich für den Betreffenden nicht zu interessiren vermag. Aber warte nur, Marga, es kommt schon noch die Zeit, daß – –«

»Daß Du Deine Zimmer vermiethest. Nicht wahr, Tante Smolly, das wolltest Du sagen?«

»Eigentlich nicht, Du Schelm; aber da Du auf dieses Thema kommst, so mußt Du erfahren, daß ich gestern endlich doch vermiethet habe.«

»An einen wahren Gentleman?«

»Ja. Soll ich Dir sagen, wie er heißt?«

»Natürlich! Ich muß doch wissen, wer in Deinem Hause wohnt.«

Die Mulattin schlug den Gedichtband auf und hielt ihr das Titelblatt triumphirend entgegen.

»Hier steht sein Name. Lies ihn, aber recht laut!«

»Richard Forster! Tantchen, ist es möglich? Wohnt er bei Dir?«

»Bei mir!« nickte sie mit gewichtiger Miene.

»Aber wie ist das gekommen?« frug das Mädchen, vor freudiger Verwunderung die Hände zusammenschlagend.

»So ganz unerwartet, daß ich einen geradezu unverzeihlichen Fehler gemacht habe, mein Kind. Denke Dir, Tante Smolly ist unhöflich und rücksichtslos gewesen, unhöflich und rücksichtslos zum ersten Male in ihrem Leben, unhöflich und rücksichtslos sogar gegen den wahrsten Gentleman, den es geben kann, gegen Deinen Lieblingsdichter und denjenigen meines seligen Mannes!«

»Das ist doch gar nicht denkbar!«

»Man sollte es meinen, und dennoch ist es mir arivirt. Ich gäbe sehr viel darum, wenn es nicht geschehen wäre! Das war nämlich so: Sarah kommt herein und sagt, daß ein Mann mich zu sprechen wünsche, der ganz zerfetzt und zerrissen gehe und das Aussehen eines höchst gefährlichen Landstreichers habe. Natürlich empfange ich ihn nicht im Parlour, sondern im Vorsaale, finde auch die Worte des Mädchens vollständig gerechtfertigt und bin also höchst verwundert, als er nach meinem Logis fragt. Ich will ihn kurz abweisen, komme jedoch nicht dazu und erfahre im Laufe des Gespräches, wer er ist. Denke Dir den entsetzlichen Schreck, den ich bekam. So einen Mann für einen Strolch anzusehen und auf diese beleidigende Weise zu empfangen! Natürlich suchte ich mein Vergehen schleunigst wieder gut zu machen, aber es ist beinahe zu groß, als daß er es mir verzeihen könnte.«

In diesem Augenblicke erscholl die Glocke und das Mädchen trat herein.

»Master Forster bringt die Speisekarte, Ma'am. Soll er herein?«

»Natürlich, sofort, stets, wenn er kommt; merke Dir das für immer, Sarah!«

Marga blickte sich um, als suche sie ein Versteck, hinter welchem sie sich verbergen könne; es war zu spät, denn der Angemeldete stand bereits unter der Thür. Ein Freudenblitz zuckte über sein Gesicht, als er sie erblickte, doch faßte er sich schnell.

»Good morning, Myladies,« grüßte er mit jener Feinheit in Blick, Ton und Bewegung, welche nur welterfahrenen Personen eigen ist. »Verzeihung, daß ich mir den Zutritt gestatte!«

»Nicht Verzeihung, sondern Dank schulden wir Euch, Sir. Ihr trefft mich in lieber Gesellschaft,« fuhr Mutter Smolly, ihre junge Freundin vorstellend, fort; »Miß Margareth Olbers, eine ganz besondere Freundin germanischer Poesie.«

»Dann bin ich glücklich, Euch auf einem so herrlichen Gebiete begegnen zu dürfen, Miß,« erwiderte er mit einer gewandten Verbeugung gegen Marga und einem Blicke, in welcher sich neben vollster Hochachtung eine aufrichtige Bewunderung aussprach.

»Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte als die gestrige,« hauchte sie in holder Befangenheit.

»Wollen wir Frieden schließen?« frug er, ihr unwillkürlich die Hand entgegenstreckend.

»Gern!«

Sie legte ihr wunderbares Händchen in seine Rechte; er zog es an seine Lippen. Bei dieser Berührung flog ein dunkles Karmin über ihr Gesicht, und Beiden war es, als ströme durch die verschlungenen Hände eine magische Gewalt über, welche ihre Herzen in einen seligen Rapport setzte.

»Ihr habt Euch gestern bereits gesehen?« frug die Mulattin erstaunt.

»Im Vorüberreiten, Mutter Smolly,« antwortete er. Der mehr als bescheidene Westmann konnte nicht erwarten, daß solche Lippen sich seiner noch erinnerten. »Herzlichen Dank dafür, Miß!«

»O,« lächelte sie, »ein gewisser Tim Summerland hatte sich Mühe gegeben, diese Erinnerung wach zu erhalten!«

»Tim Summerland? Ist er Euch bekannt?«

»Er war gestern am Abend bei uns und unterhielt uns ganz prächtig mit der Erzählung seiner Abenteuer, in denen ein tapferer, umsichtiger Jäger, welcher ihn vom Tode errettete, dieselbe Stelle einnimmt wie der Dichter Forster in der germanischen Literatur der Vereinigten Staaten.«

[542]

[552] Sie hatte ihre Fassung vollständig wiedergewonnen und sprach mit einer Sicherheit und aufrichtigen Verbindlichkeit, welche ganz zu ihrer königlichen Gestalt, ihrem edelumwobenen Wesen paßte und jeden Gedanken ausschloß, daß ihre Worte bestimmt seien, ein gewöhnliches Kompliment oder gar eine wohlfeile Schmeichelei auszusprechen.

Er erhob höflich abwehrend die Hände.

»Der Jäger that, was der einfachste Trapper gethan haben würde, und der Dichter, den zu erwähnen Ihr so gütig wart, weiß nur zu gut, welche Schwächen seine Arbeiten zeigen, weil sein einsames Leben von keinem Strahle der Liebe und des Glückes erwärmt und erleuchtet wurde. Der Vater starb vor seiner Geburt; der Mutter raubte derselbe Augenblick das Leben, welcher ihm das Dasein gab; kein Schwesterauge bewachte seine Schritte, keine Freundin ist ihm genaht, und dennoch vermag nur zarte, innige Frauenweise die Härten des Mannes zu mildern, und gerade der Dichter bedarf eines Pulses, der mit dem seinen klopft und ihm die Begeisterung in das Herz strömt, ohne welche kein Meisterwerk zu schaffen ist.«

Er wußte selbst nicht, wie er zu diesen Worten kam. Der Augenblick lockte sie seiner innigsten Ueberzeugung ab, wie nach der Sage der Gruß der Sonne die Säule zum Ertönen bringt.

»Wer als Dichter so viele Herzen höher schlagen macht, darf versichert sein, daß auch das beste sich nicht weigern würde, an seinem Glücke theilzunehmen,« antwortete Marga. Kaum aber hatte sie geendet, so senkten sich ihre zarten, langbewimperten Lider und eine Gluth schoß über ihre Wangen. In unbeschreiblicher Verlegenheit wurde sie gewahr, was sie gesagt hatte. Was mußte er, der sicher jedes einzelne Wort zu wiegen verstand, von ihr denken!

»Wie zum Beispiel wir es thun werden,« verschlimmerte Mutter Smolly die Situation. »Daß mein Mann ein Deutscher war, habe ich bereits gesagt; auch Marga's Mutter stammte aus Germany. Die bei den Verstorbenen waren einander verwandt, auch im Geiste, in allen ihren Anschauungen und Neigungen, und wir sind treue Erben von ihnen.«

»So sprecht Ihr deutsch?« frug Forster das Mädchen.

»Lieber noch als englisch. Ich habe mit Mama fast nie anders gesprochen. Jetzt leider ist mir dieser Genuß seltener gestattet. Vater pflegt keinen Privatverkehr mit Deutschen und spricht selbst nur englisch.«

»So muß ich vielleicht den bereits gehegten Gedanken, mich ihm vorzustellen, sinken lassen. Ich sehe mich im Besitze einiger Werthpapiere, um deren Realisirung ich ihn ersuchen wollte, da er mir als der entgegenkommendste Geschäftsmann Stentons empfohlen wurde.«

»Darf ich bemerken, daß ich von seinem privaten Verkehre sprach? Und die Ausschließung der Deutschen ist nicht die Folge eines Grundsatzes, sondern des bloßen Zufalles.«

»So darf ich diese Vorstellung wagen?«

Sie sah sich in neue Verlegenheit versetzt, denn hinter dieser Frage verbarg sich eine andre, die sie weder bejahen konnte noch verneinen mochte. Es verstand sich ja ganz von selbst, daß eine Einladung die nothwendige Folge einer solchen Vorstellung sein werde.

»Sie wird kein Wagniß sein,« klang es als Antwort, während ihr Blick den Boden suchte.

Er sah, daß er verstanden worden sei; daher erfüllte ihn diese an sich so unverfängliche Zustimmung mit Entzücken. Gern hätte er die Unterhaltung fortgesetzt, aber er durfte nicht unbescheiden sein, übergab das Speiseregister und empfahl sich dann. Mutter Smolly begleitete ihn bis hinaus auf den Flur. Als sie zurückkehrte, stemmte sie in komischer Entrüstung die Arme in die Seiten und rief:

»Was soll mir denn das heißen? Begegnet bist Du ihm, und ich habe kein Wort davon erfahren! Das ist straffällig, das muß fürchterlich gerochen werden!«

»Verzeihung, mein bestes Tantchen. Ich hatte ja noch gar keine Zeit, Dir das interessante Intermezzo zu berichten, obgleich ich nur zu diesem Zwecke herüberkam!«

»Gut, so beichte, aber hübsch ausführlich, das will ich Dir rathen. Komm, setze Dich zu mir auf den Divan! Du sagtest zu ihm: ›Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte als die gestrige.‹ Euer Zusammentreffen muß also ein sehr feindseliges gewesen sein.«

Marga erzählte; es war ihrer Rede anzuhören, wie gern sie dies that. Das Ereigniß stand noch lebhaft vor ihren Augen, und sie schilderte es in den Farben, welche sie unbewußt aus dem Herzen lieh. Als sie geendet hatte, meinte die Mulattin:

»Das ist ja ein ganz außerordentlicher Mann! Aber so sind diese Deutschen, mild, nachgiebig und duldsam, mehr als jeder Andre, aber nur bis zu einem gewissen Punkte; wird dieser verletzt, so giebt es eine Explosion, der Niemand zu widerstehen vermag. Wilson wird sich diese Lehre merken.«

»Und sich rächen. Er ist mir immer mit auffallender Auszeichnung begegnet, dennoch aber vermuthe ich in ihm einen Charakter, der zur Vorsicht mahnt. Mein Vertrauen könnte er niemals gewinnen.«

Unterdessen schritt Forster die Straße dahin und gelangte in das Haus Summerlands, wo er erfuhr, daß die Brüder sich in den Leseklubb begeben hätten. Es war die Stunde, in welcher dessen Mitglieder sich in die Morgenblätter vertieften, und Tim war aus Anhänglichkeit für den Advokaten mitgegangen, obgleich es ihm leichter gewesen wäre, einen Bären zu erlegen als eine Zeile zu buchstabiren. Forster folgte ihnen. Er durchschritt langsam die kleinen Kabinets, in welche sich die einzelnen Leser aus dem Saale, wo störendes Geräusch nicht zu vermeiden war, zurückgezogen hatten.

In einem dieser Zimmer hingen die Statuten des Vereines aus. Er trat vor die eingerahmte Schrift, um einen Punkt zu suchen, der ihn darüber belehrte, ob der Eintritt Fremden gestattet sei. Die dicken Läufer, welche den Fußboden bedeckten, hatten seine Schritte unhörbar gemacht, so daß seine Gegenwart in dem Nebenraume, aus welchem die halblauten Stimmen zweier Männer durch die dünne Portière klangen, unbemerkt blieb. Ohne es zu beabsichtigen, vernahm er jedes Wort ihrer Unterhaltung.

»Well, Sir, Ihr habt mich vollständig überzeugt, daß bei dem Geschäfte ein außerordentlich hoher und sicherer Gewinn zu erzielen ist. Texas hat schon öfters die kräftigsten Versuche gemacht, sich von Mexiko loszusagen, immer aber wurde es durch die Uebermacht der Truppen niedergeworfen. Jetzt ist man in Washington entschlossen, ihm die nachdrücklichste Hülfe zu gewähren, und die Folge wird sein, daß das herrliche, reiche und fruchtbare Land zur Union schwören muß. Ein Strom von Einwanderern wird sich über dasselbe ergießen und der Preis des Bodens sich in kurzer Zeit um das Zwanzig- und Mehrfache steigern. Wer die Mittel besitzt, einige Grants von genugsamer Ausdehnung zu bekommen, kann sich Millionen verdienen. Zwar sind die Eurigen bedeutend, aber wenn Ihr mir gestattet, Master Wilson, eine Summe, welche ich gerade verfügbar habe, beizuschießen, so wird Euer Vortheil nur vergrößert werden.«

»Wie hoch ist sie?«

»Vierzig, vielleicht auch fünfzig- oder sechzigtausend Dollars, welche ich Euch in guten Wechseln auf Galveston mitgeben werde. Zwar waren mir Eure Verhältnisse bisher unbekannt, aber die Empfehlung, welche Ihr mir von Harris und Thomson, Jefferson City, vorlegtet, genügen vollständig, Euch mein ganzes Vertrauen zu erwerben. Wann werdet Ihr reisen?«

»So bald wie möglich. Es ist keine Zeit zu verlieren, die Verhältnisse, mit welchen wir rechnen, sind öffentliche, und es sollte mich wundern, wenn nicht auch noch Andere als wir auf die gleiche Spekulation verfielen.«

»Dieser Gedanke liegt allerdings nahe. Verfügt Euch mit in meine Wohnung, wo wir die Angelegenheit sofort in Ordnung bringen können.«

»Und Eure Tochter, Master Olbers?«

»Ist mir zu lieb, als daß ich mehr als eine Andeutung gegen sie aussprechen sollte. Sie ist vollständig frei, wie ich sicher weiß, und ihr seid ja ein Gentleman, dem es nicht schwer fallen kann, die Zuneigung eines Mädchens zu erringen. Meine Zustimmung habt Ihr, und das Uebrige ist ganz Eure Sache.«

Sie erhoben sich und verließen den Ort, ohne Forster, welcher hart an der Wand stand, zu bemerken. Es war der dicke Bankier und der Mann, welcher gestern den so wirkungsvollen Faustschlag erhalten hatte. Wilson also war sein Name. Forster dachte an die Gestalt in der Thornische.

»Tom Wilson, der Geliebte von Sarah; er ist's; es ist kein Zweifel möglich! Und sollte ich mich irren, wenn ich ihn für jenen Schurken halte, der die Pfahlmänner anführte? Er trägt sich anders, doch dieses Gesicht ist nicht zu verwechseln, und die Narbe erhöht die Gewißheit. Aber wie kommt er zu der Empfehlung von Harris und Thomson? Er kann während der Zeit unmöglich in Jefferson [552] gewesen sein. Und selbst wenn ich mich in Allem irrte, ein Schelm ist er, wie sein gestriges Verhalten und die Liebschaft beweist, welche er mit der Terzerone unterhält, während er nach der Hand von Marga trachtet. Ich werde ihn entlarven!«

Er durchwanderte die Enfilade der Zimmer weiter und fand bald die Gesuchten. Tim Summerland saß, ihm abgekehrt, am Tische und durchstöberte die Bilder eines illustrirten Journales. Der gestrige Salonanzug war ihm zu unbequem; er hatte ihn mit [553] einer allerdings neuen Trapperkleidung vertauscht, doch auf dem Kopfe, wirklich, da saß die alte Mütze, die ihres Gleichen suchte. Er hatte sich unmöglich von ihr trennen können.

Forster trat an ihn heran und schlug ihm die Hand auf die Schulter. Der Getroffene sprang pfeilschnell in eine kampfbereite Boxerhaltung empor.

»Was schlagt Ihr mich, Master! Wollt Ihr einige gute Stöße sehen?«

Die Veränderung, welche mit dem Aeußern seines Gefährten vorgegangen war, ließ ihn diesen nicht sofort erkennen.

»Deine Stöße kenne ich, Tim Summerland; behalte sie für Dich, alter Junge!«

Der Trapper riß die Augen auf, sprang dann auf ihn zu und warf die Arme um ihn, als wolle er ihn zu Mehl zerdrücken.

»Der Dichter, by god, der Dichter; er ist's so gewiß wie meine Mütze. Hat sich der Mensch herausgeputzt, daß einem ordentlich die Augen übergehen. Hier, Bill, hast Du ihn; fang ihn auf und quetsche ihn ein wenig in Deine Pranken, denn ohne ihn hättest Du mich nicht wiedergesehen!«

Er schob ihn dem Bruder zu, welcher ihn mit gleicher Herzlichkeit begrüßte. Der Advokat war einer jener self-men, die sich durch eigene Kraft und mit Ueberwindung der größten Schwierigkeiten aus der Tiefe in eine geachtete Stellung emporzuringen wissen. Er hatte es bis zu einem der berühmtesten Rechtsmänner der Vereinigten Staaten gebracht und sicherlich jeden größeren Rechtsfall von Arkansas und dem umliegenden Gebiete zu verhandeln. Auch ihm war Forster aus der Lektüre von dessen Werken längst bekannt und der Dank, welchen er ihm aus brüderlicher Zuneigung schuldete, fügte zu der bisherigen Hochachtung die freundschaftlichsten Gefühle für den Retter seines Bruders.

»Wenn Ihr nicht bald gekommen wärt, Sir,« meinte Tim, »so hätte ich mich wieder davon gemacht. Es weht hier zwischen den Häusern und Palästen eine Luft, die ich nicht vertragen kann. Jetzt aber muß ich schon noch einige Zeit aushalten.«

An ein Studiren der Zeitungen war nicht mehr zu denken. Der Advokat bot Forster in liebenswürdigster Weise unbeschränkte Gastfreundschaft an; dieser schlug aus und bat nur um die Erlaubniß, seinen Gefährten nach Herzenslust besuchen zu dürfen, konnte sich aber einer darauf folgenden Einladung zum Diner nicht entziehen.

Hierauf verließ man den Klubb und trennte sich, Forster schritt dem Bankierhause zu und ließ sich von einem Klerk beim Chef desselben anmelden. Er wurde in das Kabinet geführt, wo Olbers und Wilson noch über ihre Spekulation verhandelten. Beide konnten eine Ueberraschung beim Anblicke des jungen Mannes nicht verbergen; nur äußerte sie sich in verschiedener Art. Wilsons Auge flammte auf, doch wandte er sich schnell und trat an das Fenster, um dem Eingetretenen das Studium seiner Züge zu entziehen. Olbers blickte noch einmal auf die Karte in seiner Hand, durch welche die Anmeldung geschehen war.

»Euer Name ist Richard Forster, Sir?«

»Ja. Ich komme, eine Bitte auszusprechen. Wollt Ihr so freundlich sein, diese Papiere zu prüfen?«

Der Bankier ergriff sie und überflog sie mit einem raschen Blicke.

»Sie sind gut.«

»Ich wünsche einen Theil des Betrages in klingende Münze zu verwandeln, das Uebrige aber hier zu deponiren, um es später bei meiner Abreise in Wechseln zu erheben.«

»Ich stehe gern zu Diensten, Sir! Ist Euch ein Master Summerland bekannt?«

»Tim Summerland wohl? Ich traf mit ihm in der Llano estacado zusammen und habe ihn soeben hier wieder aufgesucht.«

»So ist auch meine Vermuthung richtig, daß Ihr der Verfasser der poetischen Werke seid, unter denen derselbe Name steht, den Eure Karte zeigt?«

Forster verneigte sich zustimmend.

»So wird es mir ein Vergnügen sein, Euch auch anders als geschäftlich begegnen zu können. Bitte, betrachtet meine Wohnung als die Eurige! Meine Tochter wird sehr erfreut sein, Euch kennen zu lernen.«

»Ich hatte bereits die Ehre, der Miß durch die Mutter Smolly, meine Wirthin, vorgestellt zu werden.«

»Ah! Ihr wohnt bei Mutter Smolly? Das ist mir angenehm, denn so sind wir Nachbarn und können uns ohne große Schwierigkeit genießen. Seid Ihr vielleicht für den heutigen Abend bereits engagirt?«

»Nein.«

»So bitte ich um Eure Gegenwart. Wir werden ganz unter uns sein: ich, Marga und dieser Herr, den ich mir erlaube Euch vorzustellen – – Master Tom Wilson, Plantagenbesitzer in Texas.«

Er hatte jede Erwähnung des gestrigen Ereignisses vermieden. Wilson wandte sich mit einer halben Wendung zurück und machte eine kalte, vornehme Verbeugung. Forster erwiderte dieselbe in der frostigsten Weise, die ihm möglich war.

»Ich werde kommen, Sir, wenn es mir gelingt, mich von dem guten Tim zu trennen, der sehr ernsten Beschlag auf mich legen wird.«

»So bringt ihn mit; er wurde gestern bereits bei mir eingeführt und wird mir gern willkommen sein.«

Das war es, was Forster gewünscht hatte. Er wurde von Olbers zum Kassirer begleitet, erhielt das Baargeld und den Depositenschein und verließ das Komptoir.

»Ein verteufelter Schnitzer, den Ihr gestern begangen habt, Master Wilson,« meinte der Bankier, als er wieder in das Kabinet zurückgekehrt war. »Dieser Mann ist kein Anderer als der Jäger, den Ihr attakirtet; er muß eine geradezu miserable Ansicht über uns bekommen haben!«

»Ist mir gleich! Ich habe niemals nöthig gehabt, um die Freundschaft eines Reimeschneiders zu buhlen und werde das auch hier nicht thun. Daß Ihr ihn für heut Abend geladen habt, ist mir nichts weniger als angenehm. Ich glaubte Marga allein zu haben, um mit ihr aufs Reine zu kommen, und nun werden diese beiden Menschen mir die Gelegenheit verderben.«

»Diese Besorgniß ist unnöthig, denn ich werde sie so in Beschlag nehmen, daß Euch vollkommen Freiheit bleibt, Eure Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Jetzt nun zu unserer Spekulation zurück!«

Es wurde beschlossen, daß Wilson schon morgen reisen solle. Nachdem der Kontrakt gefertigt und unterzeichnet war, erhielt er die Papiere und verließ das Haus. Bereits hatte er einige Straßen durchschritten, um seine Wohnung zu erreichen, als er Sarah aus einem Laden treten sah. Nach einigen raschen Schritten stand er bei ihr.

»Ich habe sehr nothwendig mit Dir zu sprechen. Willst Du mir heut die Thür zu Deinem Room wieder offen lassen?«

»Wann?«

»Sobald es dunkel ist. Ich komme nur auf einige Augenblicke, kehre aber später wieder.«

»Ich werde den Schlüssel anstecken.«

Er nickte und ging. Bei sich angekommen, zog er die Papiere aus der Tasche und warf sie mit triumphirender Miene auf den Tisch.

»Der große Wurf ist gelungen. Fünfzigtausend Dollars in der Tasche; die Nuggets der armen Teufel, die wir in der Todessteppe zum Kukuk schickten, dazu gerechnet, bin ich nun mit den nöthigen Mitteln versehen, den Gentleman zu spielen. Wenn dieser Olbers wüßte, daß die Empfehlung von Harris und Thomson aus meiner eignen, gewandten Feder stammt! Und doch, wenn ich Marga bekomme, soll er die Summe nicht verlieren und sein ehrliches Theil vom Gewinn erhalten; ich bin ja dann sein einziger Erbe. Spielt mir aber dieser Dichterling einen Streich, so verschwinde ich auf Nimmerwiederkehr. Marga ist eine Venus, eine Göttin, die selbst einen kälteren Mann, als ich bin, verrückt machen könnte; aber Sarah, ja, dieses Mädchen ist ein allerliebstes Spielzeug, glühend, hingebend, voll Vertrauen und Opferwilligkeit und so hübsch dazu, daß man sich auf einige Zeit bei ihr für den Verlust der Bankierstochter entschädigen könnte. Ich werde ihr den Wunsch, mit mir gehen zu dürfen, auf jeden Fall erfüllen. Sie muß sich als Knabe verkleiden und für meinen Diener gelten.«

Er ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und schwelgte in den Gedanken der Genüsse, die ihm bevorstanden.

»Dieser Forster ist ohne allen Zweifel der Schurke, dem ich meine Narbe verdanke. Und er hat mich ebenso gut wieder erkannt wie ich ihn, das ist aus seiner gestrigen Anspielung auf die Llano estacado und die Nuggets zu ersehen. Er wird sich alle Mühe geben, mir zu schaden, aber es soll ihm nicht gelingen! Ehe ich fortgehe, werde ich Abrechnung mit ihm halten und ihm die beiden Hiebe bezahlen, die er auf mich geführt hat.«

»Und dieser Tim Summerland, der heut mit erscheinen wird,« fuhr er nach einer Pause fort, »ist jedenfalls der andere Mensch der uns damals die Thiere und einen Theil des Goldes raubte. Ich bin begierig, ob auch er mich erkennen wird. Ich bin auf alle Fälle gesichert. Noch ist keine Anzeige gegen mich erfolgt, und wenn ich ja gezwungen bin zu verschwinden, so wird man mich doch nur in Texas suchen, wo ich durch meine Abwesenheit glänzen werde. Dann, wenn es mir mit Hülfe meines Bruders gelingt die Grants zu erwerben, so verkaufe ich sie an Ort und Stelle wieder und gehe mit Sarah nach Brasilien. Dort mag sie bei mir sein, bis mir eine andere besser gefällt!«

[554] Er packte Verschiedenes ein und durchwanderte dann die Stadt, um die zu seinem Vorhaben nöthigen Einkäufe zu machen. Sobald es dunkel geworden war, begab er sich, in einen weiten Reisemantel gehüllt, unter welchem er ein Paket trug, zum Hause der Mutter Smolly. Er trat sofort ein, stieg zwei Treppen empor und öffnete eine Thür, welche zu einem kleinen Raume führte, der Sarah als Schlafkabinet angewiesen war und alle ihre Habseligkeiten enthielt. Es war vollständig dunkel darin, doch fand er sich sehr gut zurecht.

Nach kurzer Zeit trat das Mädchen ein.

»Bist Du da?« flüsterte sie.

»Ja, mein süßes Herz,« antwortete er, sie umschlingend und an sich drückend. »Ich bin gekommen, Dir eine frohe Botschaft mitzutheilen.«

»Welche?« frug sie, seine Liebkosung stürmisch erwidernd.

»Ich gehe fort. Willst Du mit?«

»O wie gern! Mit Dir gehe ich, wohin Du mich nur immer führst. Wann reisest Du ab?«

»Schon heut.«

»Das ist zu schnell. Ich muß doch Zeit haben, mich vorzubereiten, und auch mit der Herren sprechen.«

»Du brauchst keine Vorbereitung, denn ich habe bereits für Alles gesorgt. Und der Herrin darfst Du gar nichts sagen, sonst läßt sie Dich nicht fort.«

»Aber sie ist so gut; ich darf doch nicht so undankbar sein und sie heimlich verlassen!«

»So ist sie Dir wohl lieber als ich?« frug er in vorwurfsvollem Tone.

»Wie darfst Du so denken! Du bist mir lieber als Alles, was ich kenne, und für Dich will ich Alles thun, was Du von mir verlangst. Ich gehe mit, auch heut!«

»Das habe ich nicht anders erwartet, Sarah, und Du wirst es nie bereuen, denn erst jetzt beginnst Du zu leben und die Genüsse kennen zu lernen, welche Dir hier versagt bleiben würden. Doch nicht als Mädchen darfst Du mich begleiten; das würde uns hindern, in steter Nähe zu verkehren und unser Glück bis auf die Neige zu genießen.«

»Nicht als Mädchen! Wie sonst?«

»Als Knabe. Hier in diesem Paket befindet sich alles Erforderliche. Der Anzug wird Dir prächtig stehen.«

»Als Knabe!?« meinte sie, geschmeichelt und erfreut, indem sie sich noch inniger an ihn schmiegte. »O, wie hübsch wird das sein. Ich werde Dein Diener sein und Dich keinen Augenblick allein lassen.«

»Aber ein großes Opfer wirst Du mir bringen müssen, mein liebes Kind!«

»Befiehl mir; es ist mir keins zu groß!«

»Dein Haar, Dein herrliches Haar werde ich Dir verschneiden müssen; denn es würde verrathen, daß Du kein Knabe, sondern das schönste Mädchen der Vereinigten Staaten bist.«

»Schneide es nur immer ab. Ich gebe es gern hin für das Glück, von Dir so innig geliebt zu sein.«

»Wie lange mußt Du heut bei Mutter Smolly sein?«

»Bis zehn Uhr; dann bin ich frei.«

»So sorge, daß ich von da an das Haus offen finde und kleide Dich sorgfältig um, damit ich nicht zu warten brauche. Es wohnt seit gestern ein Master Forster bei Euch?«

»Ja, ein sehr schöner und auch sehr lieber Gentleman.«

»Ah, ich merke, daß es Zeit ist, Dich von hier fortzunehmen. Du mußt auch ihn bedienen?«

»Ja. Seine Zimmer sind mir von der Herrin übergeben worden, und ich führe einen separaten Schlüssel zu ihnen, damit ich während seiner Abwesenheit meine Arbeit verrichten kann.«

»Sorge dafür, daß dieser Schlüssel hier ist, wenn ich komme.«

»Warum? Mußt Du in die Zimmer?« frug sie arglos.

»Ja. Man kann von Ihnen hinüber zu Olbers schauen, und ich muß Einiges da drüben beobachten, ehe ich das Haus verlasse. Jetzt aber leb wohl, Sarah, und führe Alles genau aus, was ich Dir gesagt habe!«

Nach einer innigen Umarmung stieg er, den Mantel zurücklassend, die Treppen wieder hinab und stand nach wenigen Augenblicken in dem Salon des Bankiers.

Er war der erste der Geladenen und fand Marga allein vor.

»Good evening, Miß. Master Olbers hat mir erlaubt, den letzten Abend, der mir für Stenton zugemessen ist, in Eurer Nähe zu verbringen. Darf ich mir einbilden, daß meine Gegenwart Euch nicht ganz unangenehm ist?«

»Die Einbildung ist eine weit verbreitete aber schlimme Angewohnheit, Sir, und mein Gewissen läßt mir niemals zu, sie zu unterstützen.«

Er zog die Spitze seines Schnurrbartes durch die Zähne und entgegnete:

»Kein Mensch lebt von etwas Anderem, als von dem, was er sich einbildet. Das ganze Dasein ist ein Coulissenspiel, zu dem die Täuschung ihre Lichter spendet. Reichthum, Schönheit, Geist, Macht und Ehre kommen und gehen, und nur der ist glücklich, der den Augenblick ausbeutet. Der jetzige ist einer der schönsten meines Lebens, und ich darf ihn nicht vorüber lassen, ohne dies Euch gestanden zu haben.«

Marga wollte antworten, wurde aber ihrer Rede durch den Eintritt des Vaters enthoben. Zugleich mit ihm erschienen Forster und Summerland. Ersterer hatte Letzterem kein Wort über Wilson mitgetheilt; das Verhalten des Gefährten sollte ihm sagen, ob sein Verdacht auch nicht dem kleinsten Irrthume unterworfen sei.

Der Trapper eilte auf das Mädchen zu und ergriff mit einfacher Herzlichkeit ihre Hand.

»Da habt Ihr mich wieder, Miß, und bin ich Euch nicht willkommen, so dürft Ihr mich fortjagen, ohne daß ich Euch bös darüber bin!«

»Bleibt nur da, mein lieber Master Summerland; ich seh Euch herzlich gern!«

Sie reichte auch Forster ihr Händchen entgegen.

»Ein deutsches Willkommen, ohne Kompliment und Phrase, Sir!«

Er wollte sich auf die zarten Finger niederbeugen, fuhr aber auf halbem Wege wieder empor. Neben ihm war ein Wort erklungen, welches für diese Umgebung verpönt sein sollte.

»Zounds, Donnerwetter, war ist denn das?« Tim Summerland hatte sich von Marga hinweg zu Wilson gewandt und bei dessen Anblick diese Worte ausgestoßen. »Master Forster, seid so gut und seht einmal dieser Physiognomie in das Auge. Kennt Ihr ihn?«

»Wer ist es, Tim?«

»Ich will mich auf der Stelle zerhacken und einpökeln lassen, wenn das nicht der Pfahlmann ist, der uns überfiel und dem Ihr später den Tomahawk über den Schädel zogt! Was hat der Mensch bei Euch zu schaffen, Master Olbers?«

Der Bankier kam nicht zur Antwort. Wilson kam ihm zuvor.

»Ist dieser Mann wahnsinnig?« donnerte er. »Noch ein einzig solches Wort, und ich sorge dafür, daß er die Zwangsjacke erhält!«

»Oder Du die Handschellen!« erwiderte der Trapper in demselben Tone. »Hätte ich Dich, Du Bube, an einem andern Orte gefunden, so wärst Du in fünf Minuten in den Händen des Sheriffs.«

»Genire Dich nicht! Trotzdem Dich Master Olbers geladen hat, soll Dir der Sheriff begreiflich gemacht werden. Da, nimm hin!«

Marga stieß einen Angstruf aus, und der Bankier retirirte in die Ecke des Salons. Wilson hatte die Faust erhoben; er trug bereits die Reisewaffen bei sich; ein Bowiemesser blitzte in seiner Rechten, während die Linke in die Brusttasche fuhr, um den Revolver hervorzunehmen. Aber schon stand Forster hinter ihm, faßte ihn bei den Hüften und schmetterte ihn mit solcher Gewalt an die Flügelthür, daß diese aufsprang und er in den Korridor stürzte. Ehe noch Jemand bei ihm sein konnte, hatte Wilson sich wieder emporgerafft und sprang die Treppen hinab.

Niemand machte Miene ihn zu verfolgen. Marga lag auf dem Sopha, und Forster kniete bei ihr. Der Bankier zitterte am ganzen Körper und hielt sich an der Lehne eines Stuhles fest. Tim Summerland war nach dem Tische gesprungen, auf welchem die Wasserflasche stand; die Besorgniß um die liebenswürdige Miß war bei ihm größer als der Wunsch, seinen Feind in die Hände zu bekommen; er wußte ja sicher, daß dieser ihm nicht entgehen werde. Hat der Westmann einmal die Spur seines Gegners gefunden oder diesen gar, wie hier, in Person gesehen, so ist er niemals um den Erfolg bange.

»Master Summerland, was habt Ihr gethan!« klagte Olbers. »So ein Verdacht war wirklich nichts als Wahnsinn!«

Er erhielt keine Antwort; die beiden Männer waren zu sehr mit Marga beschäftigt, als daß sie seine Worte hätten beachten mögen. Diese schlug die Augen auf. Was hatte das sonst mit keinerlei Schwäche behaftete Mädchen ohnmächtig gemacht? Ganz ohne Wollen gab sie in ihren ersten Worten die Antwort auf diese Frage. Ihr erster Blick fiel auf Forster.

»Ihr lebt, er hat Euch nicht verwundet?«

Es durchrieselte ihn bei diesen Worten mit süßem Schauer. War sie nur aus Besorgniß um ihn so schwach gewesen? Er konnte nicht anders, er mußte ihre beiden Hände nehmen und seine Stirn auf einen Augenblick darüber neigen.

[555] »Wir sind Alle unverletzt, Miß, und in Besorgniß nur um Euch!«

»O, nun ist Alles gut! Ich sah das Messer blinken und hatte fürchterliche Angst.«

»Die Dir wohl nur ohne Grund bereitet wurde,« fiel ihr Vater ein.

»Ohne Grund, Sir?« frug Summerland beleidigt. »Glaubt Ihr etwa, ich wüßte eine Mirage, eine Savannenspiegelung nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden? Ich weiß nicht, wie der Kerl sich hier bei Euch nennt und eingeschlichen hat, aber daß er nicht nur ein Pfahlmann, sondern sogar ihr Hauptmann war, von dem ich Euch gestern erzählte, das ist so sicher wie meine Mütze. Fragt da den Dichter. Der muß ihn gerade so wie ich erkannt haben, und vielleicht traut Ihr ihm mehr als mir!«

Olbers blickte den Genannten fragend an.

»Tim hat die Wahrheit gesagt, Sir,« bestätigte dieser. »Ich habe ihn gleich gestern erkannt, als ich Euch begegnete. Ihr werdet Euch meiner Antwort erinnern, die von Nuggets und der Todessteppe sprach, und Miß Marga wird mir bezeugen, daß ich sie einer bessern Gesellschaft werth hielt.«

»Beweise, gebt mir Beweise, Gent's!«

»Ich glaubte, Sir, der beste Beweis würde in unserm Zeugnisse bestehen; ich bin nicht gewohnt, die Unwahrheit zu behaupten. Doch bin ich auch zu Mehrerem bereit!«

»Verzeiht, wenn ich Euch unwissentlich beleidigte! Ich habe Gründe, Wilson mein volles Vertrauen zu schenken, und Eure Anklage ist so schrecklich, daß ich sie nicht zu fassen vermag. Was wißt Ihr Weiteres?«

»Ihr habt heut mit ihm ein Geschäft abgeschlossen, welches die Erwerbung texanischer Empressarios betrifft?«

»Woher wißt Ihr das?«

»Und ihm die Erlaubniß ertheilt, sich der Zuneigung von Miß Marga zu versichern?«

»Seid Ihr allwissend?«

»Wenigstens so weit, daß ich der Person dieses Mannes vollständig sicher bin. Er wirbt um Eure Tochter und unterhält zugleich ein zärtliches Verhältniß mit Sarah, dem Dienstmädchen meiner Wirthin. Nun sagt, ob er Eures Vertrauens werth ist!«

»Könnte es möglich sein!«

»Ich selbst habe sie gestern Abend mit meinen guten Augen gesehen, und gleich heut Morgen bat sie mich um Verschwiegenheit. Ist Euch mein Wort genug?«

»Allerdings. Mein Gott, wenn Ihr Euch nicht irren solltet, so droht mir ein ganz ansehnlicher Verlust! Ich habe heut mit ihm kontrahirt und ihm fünfzigtausend Dollars überwiesen.«

»Vielleicht kommt unsre Warnung nicht zu spät. Wißt Ihr genau, daß die Empfehlung von Harris und Thomson, Jefferson City, echt gewesen ist?«

»Auch davon seid Ihr unterrichtet? Sie ist echt. Ich habe sie genau geprüft.«

»Aber keine besondere Anfrage gehalten? Ein Mann wie er schreckt vor keiner Fälschung zurück. Wir müssen ihn festnehmen lassen!«

»Seid Ihr wirklich Eurer Sache so gewiß?«

»Ja. Und um Euch Gelegenheit zur Sicherung zu geben, bin ich trotzdem bereit, einige Stunden zu warten. Schickt nach dem Telegraphen; die Antwort wird in Kurzem hier sein und Euch Ueberzeugung bringen.«

»Ihr habt Recht, Sir! Aber ich werde nicht schicken, sondern selbst gehen und die Antwort gleich erwarten. Bei einer so bedeutenden Summe muß ich mich doch zur Vorsicht entschließen.«

»So werde ich gehen und seine Wohnung bewachen; er wird zur Flucht entschlossen sein und darf uns nicht entgehen.«

»Stopp, Master Forster,« fiel hier Summerland ein; »dazu bin ich ebenso der richtige Mann wie Ihr. Bleibt nur hier! Oder wollt Ihr die liebe Miß verlassen, da auch der Vater geht?«

»Ja, bleibt!« bat Olbers. »Marga darf in solchen Verhältnissen nicht ohne Schutz sein!«

Sie gingen; der Bankier nach dem Telegraphenbureau und Summerland nach der Wohnung Wilsons, die er sich von dem Ersteren bezeichnen ließ.

Der Gesuchte war, als er das Haus verließ, eine Strecke die Straße hinabgeeilt, dann über dieselbe hinübergegangen und an der andern Seite zurückgekehrt. Es war noch zu früh, als daß er Sarah in ihrem Raume hätte antreffen können, dennoch aber stieg er hinauf und wartete, bis sie kam. Er war ihr bei der Verwandlung in einen Knaben und beim Einpacken derjenigen Gegenstände, welche sie mitnehmen wollte, behülflich und frug, als Alles beendet war:

»Ist Mutter Smolly noch wach?«

»Nein.«

»Und die Hausthür?«

»Ist offen. Außerdem habe ich den Schlüssel hier.«

»Auch den für Forsters Zimmer?«

»Ja.«

Er nahm beide und gebot ihr dann:

»Geh jetzt, Sarah; man darf uns nicht beisammen sehen. Oberhalb des Fährhauses in den Weiden erwartest Du mich!«

»Ich folge Dir, aber bitte, komme bald!«

Sie hatten eine Lampe brennen. Sarah sah in ihrem Anzuge wirklich allerliebst aus. Er nahm sie in die Arme und küßte sie wiederholt auf die verlangenden Lippen.

»Ich komme bald. Nun aber geh!«

Als sie fort war, blies er das Licht aus, schloß den Raum ab und schlich sich zur ersten Etage nieder. Dort öffnete er Forsters Entree, schloß von innen wieder zu und begann, die Zimmer zu untersuchen. Es war dies ohne Lampe recht gut möglich, da das Licht der Gaslaternen beleuchtend durch die Fenster fiel und auch die Kandelaber in Olbers Salon ihren Schein herüberwarfen.

Seine Nachforschung war gleich im Anfange vom Glücke begünstigt. Er begann mit der Bibliothek, sah den Schreibtisch, an dessen Schubladen die Schlüssel steckten, und öffnete. Eine geschlossene Brieftasche lag auf einigen Geldrollen in einem der Fächer. Er öffnete sie und trat näher an das Fenster.

»Gefunden! Hier der Depositenschein nebst einigen unvermutheten Wechseln und dort das Baargeld, welches er von Olbers bekam. Ich habe genug und nur mit ihm noch abzurechnen!«

Er verschloß Alles wieder und trat dann hinter die Gardinen, um das vis-á-vis zu beobachten. Im Salon waren die Lichter erloschen; an ihrer Stelle brannte in dem Balkonzimmer der untern Etage eine Lampe. Die Personen, welche sich hier befanden, mußten hinter dem Lichte sitzen, da er keine Spur eines Schattens bemerkte.

»Ob er noch drüben ist?«

Seine Frage sollte sofort beantwortet werden. In der Helle des Lichtes erschien Marga und hinter ihr Forster. Sie traten heraus auf den Balkon und stützten sich hart neben einander auf das Geländer desselben. Sie schienen nach Jemand auszuschauen.

»Teufel, wie vertraut sie sind, so allein, so nahe! Da, bei Gott, er legt den Arm an ihre Taille, leise zwar und verzagt, aber doch! Und sie leidet es! Ists so gemeint? Komm heim, Bube. Hast Du zu viel Feuer in den Adern, so soll Dir geholfen werden. Ich werde Dich ein wenig schröpfen! – Wer ist der dicke Mensch, der dort gelaufen kommt? Wahrhaftig Olbers! Wo ist er gewesen? Auf der Polizei? Und wo steckt dieser armselige Tim Summerland, der sich nicht sehen läßt? Jetzt treten sie zurück!«

In dem Balkonzimmer mußte jetzt ein lebhaftes Gespräch stattfinden; die Schatten zeigten eine ungewöhnliche Beweglichkeit. Dann verließen Olbers und Forster das Haus; der eine schritt dem Innern der Stadt zu; der andere ging in der Richtung fort, in welcher Wilsons Wohnung lag.

»Was haben Sie vor? Jedenfalls meine Verfolgung. Sie sollen sich verrechnen!«

Es verging eine beträchtliche Zeit, ehe sich einer von den Genannten wieder sehen ließ. Da kam ein Fiaker, hielt vor dem Hause drüben an und lenkte dann herüber. Forster war ausgestiegen. Er verschwand in dem Bankierhause, verließ dasselbe aber bald wieder und schritt über die Straße herüber.

»Er kommt. Nun ist es Zeit!«

Er bog sich nieder und kroch unter den Schreibtisch. Draußen wurde die Thür aufgeschlossen; Forster trat ein und setzte die Lampe in Brand. Er zog die Wäsche hervor, öffnete den Kleidersekretär und ging ans Einpacken.

Die Abwesenheit Olbers und Summerlands hatte ihm selige Augenblicke ermöglicht. Marga war vom Divan aufgestanden und auf ihn zugetreten.

»Ist wirklich keine Täuschung möglich, Sir?«

»Nein. Er selbst hat ja durch sein Verhalten den Beweis gegeben, daß wir uns nicht irrten. Wer in einer solchen Lage keine andere Vertheidigung kennt, als die durch Messer und Revolver, muß sich seiner Schuld bewußt sein. Und durch seine Flucht hat er den Beweis vollständig besiegelt.«

»Welch ein Mensch! Und in so gefährlicher Nähe haben wir uns so lange Zeit befunden ohne alle Ahnung des Schlimmen, was uns drohte! Dieses Messer, es war fürchterlich!«

Die Erinnerung an die blitzende Klinge hatte beinahe dieselbe Wirkung wie der furchtbare Augenblick selbst. Sie wankte, suchte mit der Hand nach einer Stütze und fand dieselbe nicht. Er trat näher und hielt sie mit seinem Arme aufrecht. Sie sank mit ihrem[556] Köpfchen an seine Schulter und schloß die Augen. Er legte den Arm fester um sie und bog sich zu ihrem erbleichenden Gesichte herab. Alle Pulse, alle Fasern klopften und lebten in ihm.

»Miß Marga!«

Es war ein wunderbar seliger Ton, in welchem diese beiden Worte erklangen. Ihre volle, weiche Gestalt zuckte leise zusammen; ihre Lider öffneten sich, und mit unbeschreiblichem Ausdrucke traf ihr Blick seine nahen, vor Glück strahlenden Augen.

»So möchte ich Euch halten und stützen jetzt und immerdar, so lang ein Gedanke mich bewegt und ein Hauch des Lebens in mir wohnt!«

Er wagte es nicht, die Hohe, Reine inniger zu umschlingen; eine solche Bewegung dünkte ihm der unverzeihliche Verrath an dem Vertrauen, mit welchem sie sich an ihn lehnte. Sie hatte die Augen wieder geschlossen; die Blässe ihres Gesichtes wich; es röthete sich vom zartesten Ton bis zum tiefsten Purpur; die Schwäche war verschwunden; sie bedurfte der Stütze nicht mehr, und dennoch verweilte sie regungslos in ihrer jetzigen Stellung und ein wonniges Lächeln kämpfte mit dem Zuge holder Scham, der von den zarten Schläfen niederstieg. Da ergriff er ihre beiden Hände und geleitete sie zu dem Divan zurück. Dort ließ er sie sanft in das sammetne Polster gleiten und nahm an ihrer Seite Platz. Noch immer lag ihr Kopf an seiner Schulter; er strich ihr mit der Hand liebkosend über die glänzende, weiche Lockenfülle und ward nicht müde, ihre königliche Gestalt und ihre bezaubernden Züge mit seinem Auge zu umfassen.

So saßen sie lange, lange an einander. Keines sprach ein Wort; es hätte wie eine Entweihung heiliger Herzenssabbathstille geklungen; aber Beide wußten, daß ihre Seelen sich zu eigen seien von nun an und für alle Zeit.

Da endlich rang sich ihr Blick in süßer Verwirrung unter den langsam sich hebenden Wimpern hervor, und zaghaft leise erklang es:

»Papa muß bald kommen!«

»Verzeihung, Marga! Die Wonne mißt nie den Augenblick; ich hatte ihn vergessen.«

»Könntet Ihr doch auch das Gestern so vergessen!«

»Nie, niemals werde ich dies vermögen, denn gestern ging der Stern mir auf, deß Strahl den Reichthum einer heiß ersehnten Welt erschließt. Darf er mir auch ferner leuchten?«

»Dem Dichter glänzen Sterne, die kein Anderer kennt; ein Strahl des irdischen Himmels darf sich nicht zu ihm verirren!«

»Und doch würde er eine solche Verirrung mit tausend Leben bezahlen, wenn sie ihm zur Verfügung ständen. Marga, sei mein Strahl, mein Licht, mein Stern; ich will nur Dich, nur Dich und entsage allen Sonnen, die neben Dir und um Dich kreisen!«

Sie schnellte empor, als wolle sie ihm entfliehen.

»Marga, verzeiht! Ich werde gehen!«

Auch er erhob sich. Schon war sie fern von ihm; sein Wort zog sie zurück. Sie wandte sich, eilte auf ihn zu und ergriff seine Hände.

»Ich bin für Euch zu arm, zu klein und gering; ich darf die Strophen lesen, die Ihr schreibt und mich von ihrem Geist erheben, von ihrer Schönheit bezaubern lassen, doch das Recht an Eurer Schöpfung, an Eurem Ruhm, welches die Liebe gibt, ist mir versagt.«

Sie fühlte seine Hände erkalten.

[557]

[566] »So fahre er hin, dieser Ruhm! Ich werfe ihn von mir und entsage Allem außer der Erinnerung an den schönen Traum, aus dem ich jetzt erwache. Fare well, Hoffnung, Glück und Stern; der Dichter stirbt; der Jäger aber verschwindet im Westen wie das Licht, dem die finstre Nacht zu folgen hat!«

Er zog seine Hände aus den ihrigen und schritt der Thüre zu. Sie stand unbeweglich, bis er durch dieselbe verschwunden war. Da aber kam doppeltes Leben über sie.

»Richard!«

Er konnte den Angstruf unmöglich hören. Sie eilte ihm nach und erreichte ihn an der untern Treppe.

»Nicht so, nicht so!« stieß sie hervor. Ihr Busen wogte, und ihre Hand, welche die Korridorlampe ergriff, bebte, daß der Cylinder erklang. »Ihr dürft den Posten, auf welchen Papa Euch stellte, nicht verlassen, bis er zurückkehrt. Kommt, laßt uns ihn erwarten!«

Er sah ihre Aufregung, ihre Bangigkeit und konnte nicht anders, er mußte ihr folgen. Sie trat in das Balkonzimmer, nachdem sie den Befehl ertheilt hatte, die Flammen des Salons zu verlöschen.

»Warum wolltet Ihr gehen, Sir! Ich hatte Euch noch so viel zu bitten.«

»Sprecht, Miß!«

»Ihr dürft nicht dem Leben entsagen, Ihr sollt den Ruhm festhalten und vergrößern, den Ihr Euch erworben habt!«

»Der Ruhm ist kalt; kein Lorbeer wärmt, wenn das Herz erstarren will. Soll es leben, so braucht es Liebe, nichts als Liebe!«

Sie faltete die Hände über der Brust und blickte zu Boden.

»Liebe! Ich habe sie nie gekannt, denn Kindesliebe ist nicht die, welche Ihr meint. Das Frauenherz ist weich und kennt kein anderes Gesetz als das Gefühl; aber kann sie auch das Herz des Mannes in so kurzer Zeit sich unterthänig machen?«

»Gott ist die Liebe, Miß, und Beide sind allmächtig! Sie kommt, sie ist da und gebietet im Augenblicke über die verborgensten Gedanken und die offensten Thaten des Menschen. Wer sie aus dem Herzen reißt, vernichtet dieses und mit ihm sich selbst.«

Sie legte ihre Hände flehend auf seinen Arm.

»O, thut das nicht; ich müßte mir ewig zürnen!«

Noch ehe er zu antworten vermochte, hatte sie das Zimmer verlassen und war auf den Balkon getreten. Er folgte ihr und nahm neben ihr Platz, ohne zu ahnen, daß der entflohene Pfahlmann in seinem eigenen Zimmer stehe und ihn beobachte.

»Nur zürnen, Miß! Wäre der Zorn das Einzige, was Ihr fühlen würdet?«

»Nein, noch viel, viel mehr!« hauchte sie.

»Was noch? O bitte, sagt es mir!«

Sie fühlte, über das Geländer gebeugt, die Berührung seines Armes und machte keine Bewegung, sich demselben zu entziehen.

»So Schreckliches, daß ich keinen Namen dafür finde.«

»Marga, darf ich lieben und hoffen?«

»Dort kommt Papa!« Sie trat in das Zimmer zurück. Ihr Auge leuchtete, und ihre Wangen glühten. »Bin ich denn dieser Liebe, dieser Hoffnung werth?«

»Marga, mein Leben, meine Seligkeit! Wäre ich der Größte unter den Großen der Erde, ich würde dennoch in Demuth um das kleinste Wörtchen bitten, wie ich es hören möchte!«

Der Bankier trat ein. Er war so aufgeregt, daß er die ungewöhnliche Haltung der Beiden gar nicht beachtete.

»Ihr habt Recht gehabt, Sir!« keuchte er mit fliegendem Athem. »Die Empfehlung war gefälscht. Wir müssen den Schurken haben!«

»Wir werden ihn bekommen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, für jetzt zu entwischen. Ist er aber nach seiner Wohnung gegangen, was er sicher gethan hat, wenn er nicht vorher auf das Geschehene vorbereitet war, so wird Tim Summerland ihn sicher nicht aus dem Auge lassen. Ihr wart doch jedenfalls schon beim Prokurator oder auf der Polizei?«

»Nein, noch nicht. Ich habe in meinem Grimm und der Eile gar nicht daran gedacht!«

»So müßt Ihr das Versäumte sofort nachholen. Ich gehe unterdessen zu Tim, um Euch dort zu erwarten. Wir haben es [566] mit einem ebenso raffinirten wie verwegenen Manne zu thun und dürfen keine Zeit verlieren!«

Sie gingen, und Marga blieb allein zurück. Sie nahm auf dem Sopha Platz und öffnete ihr Album. Hier war das Gedicht verborgen, welches sie aus der Zeitung geschnitten hatte. Sie las es wieder und immer wieder.

»Ich undankbare Thörin! Solch ein Glück, solch eine Seligkeit sich beinahe zu verscherzen! Ja, er hat Recht: Die Liebe kommt, sie ist da und gebietet; so war's bei mir, so war's bei ihm, und jedes Zagen ist Sünde. O Mutter, könntest Du doch leben und sehen, wie froh, wie unendlich froh das Herz Deines Kindes ist!«

Sie bog sich in die weiche Lehne zurück, schloß die Augen und träumte süße, holde Bilder, die ihrem selig ahnenden Herzen entstiegen und ihren reinen Busen höher schwellen ließen. So lag sie lange, lange. Da erklangen draußen Schritte; es klopfte, und ehe sie noch sich erhoben hatte, stand der Geliebte vor ihr. Er sah den Zeitungsausschnitt in dem geöffneten Album liegen und wußte nun, daß sie sich nur mit ihm beschäftigt habe.

»Ich komme als Bote. Wilson ist seit hier nicht in seiner Wohnung gewesen. Die Policemen suchen ihn an den Orten, wo er zu verkehren pflegte, und da er ihnen persönlich unbekannt war, muß sich Papa an der Nachforschung betheiligen. Er läßt bitten, nicht in Sorge um ihn zu sein. Auch ich werde mit Summerland nach ihm suchen, vermuthe jedoch, daß er Stenton bereits verlassen hat. In diesem Falle weiß ich genau, wohin er sich wendet und werde ihm noch in der Nacht folgen. Darf ich dann um die Freundlichkeit bitten, mich bei Mutter Smolly zu entschuldigen, von der ich doch unmöglich Abschied nehmen kann?«

»Ihr wollt fort, ihm nach, wollt Euch in die Gefahr begeben, von ihm – nein, nein, das darf ich nicht gestatten, das kann ich unmöglich zugeben! Bleibt, Sir, bleibt, und überlaßt die Verfolgung des Bösewichtes der Polizei!«

Er lächelte glücklich und überlegen zugleich.

»Gegenüber einem offenen Feinde, und das ist er mir nun, kenne ich keine Gefahr. Auch ist meine Abreise ja noch nicht sicher bestimmt; es ist ja möglich, daß er die Stadt noch nicht verlassen hat; dann fällt er gewiß in unsere Hände, und ich bleibe hier.«

»So versprecht mir, auf alle Fälle noch einmal hier vorzusprechen! Ich bleibe wach, bis Papa kommt und ich genau Nachricht habe.«

»So werde ich wiederkehren. Bis dahin aber – gute Nacht!«

Er reichte ihr die Hand. Sie sah seinen bittend-fragenden Blick und fühlte seinen leisen Versuch, sie an sich zu ziehen. Sie schlang aus eigenem Antriebe die Arme um ihn.

»Richard, erhalte Dich mir. Schone Dich, wenn Du ihn triffst!«

Ihre Lippen trafen die seinen in einem leisen, schnellen Kusse, dann entschlüpfte sie ihm in das Nebengemach.

Dort vertauschte sie das Salonkleid mit einem bequemen Negligé und hatte eben diese Beschäftigung beendet, als sie bemerkte, daß er in seine Wohnung gegangen sein müsse, da die Fenster derselben erleuchtet waren. Jedenfalls verließ er diese bald wieder; sie wollte ihn sehen und begab sich auf den Balkon.

Nach einiger Zeit öffnete sich auch drüben die Thür zum Altane, und er trat heraus, um nach Summerland zu blicken, der ihn abholen sollte. Er winkte grüßend mit der Hand herüber und sie erhob die ihrige zur Antwort, stockte aber mitten in der Bewegung. Ein Schatten glitt an den zwei Fenstern des Studirzimmers vorüber und im nächsten Augenblicke sah sie im Innern des nach dem Balkon offenen Raumes das Gesicht Wilsons erscheinen.

Ein jäher Schreck durchzuckte sie, aber im Moment hatte sie sich wieder gefaßt, erhob den Arm und rief:

»Wilson hinter Dir!«

Er wandte sich um, keinen Augenblick zu früh, denn schon stand der Genannte hinter ihm und hatte das Messer zum Stoße gezückt.

»Hülfe, Hülfe!« schrie Marga in wahrer Todesangst. Sie sah nur noch, daß die beiden Männer auf dem Altane mit einander rangen, dann sprang sie in das Zimmer zurück, die Treppe hinab, über die Straße hinüber und flog dort athemlos zu seiner Wohnung empor. Sie trat gerade in dem Momente ein, als Forster den Balkon verließ.

»Richard, wo ist er? Ich tödte ihn!«

Beim ersten Angriffe Wilsons war sie in Ohnmacht gefallen, hier aber zeigte sie sich über alles Erwarten muthig und geistesgegenwärtig. Der eine Kuß hatte sie verpflichtet, für den Geliebten Alles, selbst das Leben zu wagen.

»Fort. Ein Sprung vom Altaue hat ihn gerettet, während ich ihn loslassen mußte, um das Messer zu entfernen.«

»Du blutest! Er hat Dich verwundet! Um Gott, zeige schnell her!«

»Es ist nichts, Marga, zwei kleine Fleischwunden. Laß mich, ich muß ihm nach!«

»Nicht um die ganze Welt!«

Er wollte ihr enteilen, obgleich ihn ihr Hiersein mit namenlosem Entzücken erfüllte; sie aber hing sich so fest an ihn, daß er Gewalt hätte brauchen müssen, um loszukommen.

»Bitte, Marga, er wird mir entgehen!«

»Laß ihn, laß ihn! Ich müßte vor Sorge sterben, wenn ich Dich so von mir ließ. Komm, entferne den Rock; laß mich die Wunden sehen!«

Er sah, daß hier jeder Widerstand vergeblich sei, und folgte ihrem Gebote. Wilson hatte ihm einen Schnitt in die Linke und einen Stich in den Arm versetzt. Beide waren nicht gefährlich, verursachten aber eine heftige Blutung. Er blickte ihr lächelnd zu, als sie diese zu stillen versuchte und dann einen kunstgerechten Verband anlegte.

»So,« meinte sie, als sie fertig war; »jetzt ist keine Besorgniß mehr nöthig, Du böser, lieber Mann! Aber ohne Deine Marga wärst Du ihm nachgesprungen und hättest Dich unterwegs vielleicht gar verblutet.«

»Nein, ohne meine Marga wäre ich schon früher ein Kind des Todes gewesen, denn ohne Deinen Warnungsruf hätte mich sein Messer hinterrücks getroffen. Wie soll ich Dir danken, Du herrliches, entzückendes Wesen!«

Er zog sie mit herzlicher Innigkeit an sich.

»Damit, daß Du mich immer, immer so lieb behältst wie jetzt!« flüsterte sie, ihre schönen, warmen Formen zärtlich an ihn schmiegend.

Sie war so reizend in dem leichten, duftigen Gewande, daß er für Augenblicke den Flüchtling vergaß und nur Liebe und Seligkeit von ihren Lippen trank. Doch nicht lange, so ertönten draußen Schritte und Summerland trat ein. Er machte nicht wenig erstaunte Augen, als er das Mädchen erblickte, und es wurde ihm in kurzen Worten Alles mitgetheilt.

»Er ist hier gewesen? Damn! Hat er Euch bestohlen, Sir?«

»Weiß nicht, Tim; habe auch keine Zeit mehr, darnach zu forschen. Hat er es gethan, so werde ich es schon noch bemerken. Jetzt aber müssen wir hinter ihm her.«

»Natürlich. Aber nehmt einen Revolver mit oder so etwas Aehnliches, der Kerl darf nicht mit Seide angefaßt werden!«

Sie verließen die Wohnung. Forster begleitete Marga bis in die ihrige und schloß sich dann dem auf ihn wartenden Gefährten an.

»Wohin jetzt?« frug dieser.

»Nirgends hin als wieder in mein Haus. Ich werde nach dem Dienstmädchen sehen, das mir soeben ein gefallen ist. Ohne Sarah hat er nicht zu mir gekonnt; sie muß uns Aufschluß geben und das Weitere wird sich dann schon finden.«

»All reight, Sir! Dieser Gedanke ist nicht schlecht, Master Wilson mag einstweilen laufen, meinetwegen bis Babylon, wo die Weiden standen, welche die sieben fetten Kühe des Königs Pharao wegfraßen, wir holen ihn doch noch ein und helfen ihm zu einem guten Stricke, das ist so sicher wie meine Mütze!«

4. In Mexiko

IV.

In Mexiko

Ein steifer Nordost wehte und schwellte die Segel der Vereinigten-Staaten-Brigg »Union,« daß sie vor dem Winde über die Wogen dahinflog, graziös zur Seite geneigt und sich den scharfen Bug mit großflockigem Gischte beschäumend.

Sie war nach Vera Cruz bestimmt, um Farbehölzer nach Galveston zu bringen, und hatte nur zwei Passagiere an Bord, die eben jetzt an der Reiling standen und einer Tintorera zuschauten, welche seit Kurzem dem Schiffe folgte. Diese gefräßigste und gefährlichste aller Haifischarten liebt die Nähe der Küste und war somit ein sicherer Beweis, daß das Ziel der Reise nicht mehr fern sei.

Der Eine der Passagiere war in ein bequemes Grau gekleidet und trug den in diesen Breiten gebräuchlichen Panamahut. Der Andre stak in einem ausgefransten Habit von Büffelhaut und trug auf dem Kopfe eine Mütze, die während der ganzen Fahrt die muntere Aufmerksamkeit der Matrosen erregt hatte. Beide waren im Passagierbuche als Mr. Richard Forster und Mr. Tim Summerland eingetragen und schienen außerordentliche Eile zu haben, nach Vera Cruz zu kommen.

»Seht nur das Ungethüm, Sir, was für einen Rachen und welch große Augen es hat. Wer zwischen solche Zähne kommt, der [567] ist nicht so glücklich wie der Prophet Elias, der drei Monate und sechs Tage in dem Bauche eines Walfisches zubrachte, bis ihn dieser auf den Libanon speiete! Und Ihr meint wirklich, daß es Leute gibt, die nur mit dem Messer in der Faust in das verteufelte Wasser springen, um sich mit dem Ungethüm herumzubalgen? Ich danke für solche Passion. Ich will doch lieber zwischen eine Heerde angeschossener Büffel gerathen, als mich von einem Viehzeuge verschlingen lassen und dann noch extra ersaufen! Das Wasser ist ganz gut, das haben wir ja in der Llano estacado gesehen; aber in solchem Haufen beisammen wie hier ist es eine gefährliche Erfindung, und ich will froh sein, wenn ich einige Quadratschuh festen Boden unter mir habe!«

»Das wird noch vor Abend der Fall sein, Tim, wie mir der Kapt'n sagte. Und wenn es mit der Postverbindung trifft, so sind wir morgen schon in Mexiko.«

»Das soll mich freuen! Aber ungeheuer ärgerlich würde es sein, wenn wir uns auf falscher Fährte befänden und umsonst über diese mechante Pfütze herübergeschwommen wären.«

»Man darf diese Möglichkeit nicht außer Rechnung bringen, doch glaube ich richtig zu vermuthen, wenn ich meine, daß wir diesen reichen Plantagenbesitzer aus Texas bei seinem Bruder, dem ehrenwerthen Alkalden Don Antonio Molez finden werden.«

»Wenn es so ist, Sir, so jage ich ihm gleich im ersten Augenblicke mein Messer in den Leib für den Diebstahl, den er an Euch verübt hat.«

»Ich glaube sehr, daß wir Beide, Olbers und ich, wieder zu dem Unsrigen kommen. Sarah sagte, daß sie eine ganze Menge Goldstaub und Nuggets bei ihm gesehen habe, und dieser Werth wird mehr als hinlänglich gewesen sein, die Kosten seiner Reise zu decken. Die Papiere des Bankiers hat er natürlich gegen andere vertauscht.«

Jetzt trat der Kapitän hinzu. Forster hatte zu seiner Freude einen Studiengenossen in ihm gefunden und ihm daher die Veranlassung zu seiner Reise und ihren Zweck mitgetheilt.

»Wie lang fahren wir noch, Williams?«

»In zwei Stunden sind wir am Hafen. Hier hast Du das Rohr. Gestern schnitten wir den Wendekreis und doublirten dann die Höhe von Tampico. Der Streifen vor uns ist die Küste vom wahren Kreuze.«

Wirklich erkannte Forster einen dunkeln Streifen, welcher den Horizont abschloß.

»Kennst Du den Fahrplan der Post?«

»Nein. Jedenfalls aber wirst Du nicht lange zu warten brauchen. Du glaubst also wirklich, den Kerl in Morelia zu finden?«

»Wahrscheinlich, behaupten aber kann ich es nicht.«

»Ich möchte annehmen, daß er in Texas ist. Er muß dort bekannt sein, sonst hätte er nicht so viel von dem Lande gesprochen, welches eine solche Ausdehnung besitzt, daß er trotz der Sorge um eine etwaige Verfolgung seine Spekulation dort ins Werk zu setzen vermag. Denke nur daran, daß es kein Vereinigten-Staaten-Territorium, sondern eine mexikanische Provinz ist und seine Auslieferung langwierige Unterhandlungen voraussetzen würde, während denen ihm eine Flucht zehnmal gelingen könnte.«

»Deine Ansicht in Ehren, aber ich kann mich ihr nicht anschließen. Sein ganzes Aeußere deutet auf spanische Abkunft, und Mexiko ist ihm jedenfalls bekannter als Texas; sein Bruder lebt dort, den ich keineswegs für seinen Stiefbruder halte. Master Wilson wird wohl ursprünglich ein Sennor Molez gewesen sein. Zwar glaube ich auch wie Du, daß er auf die Ausführung seiner Spekulation nicht verzichten werde; aber die Grants sind in Texas nur mit Mühe und durch langwierige Vermittelung, in Mexiko aber aus erster Hand und viel billiger zu haben. Vielleicht steht er in Beziehung zu einer bei der Verwaltung der Staatsländereien betheiligten Persönlichkeit oder hofft, durch den Alkalden in eine solche Beziehung zu treten. Gelingt ihm sein Vorhaben, so wird er keineswegs nach Texas ziehen sondern die Grants sofort mit Gewinn zu verkaufen suchen und sich dann für immer unsichtbar machen.«

»Well, Sir, so ists richtig,« meinte Summerland; »aber wir werden dafür sorgen, daß er ein wenig mehr als ehrliche Leute sichtbar wird, nämlich fünf Ellen hoch am Stricke, wenn ihn mein Messer nicht etwa schon vorher gekitzelt hat!«

»Wie lange bleibt die ›Union‹ im Hafen liegen?«

»Das ist unbestimmt,« antwortete Kapitän Williams; »je nach der Leichtigkeit, mit welcher es mir gelingt, die Ladung zusammenzubringen. Willst Du wieder mit retour?«

»Ich würde mit Niemandem lieber fahren, als mit Dir.«

»So spute Dich, Deinen Mann zu fangen, und bringe ihn gleich mit, damit ich seine interessante Bekanntschaft mache!«

»Wenn ich dies könnte! Zwar bin ich mit polizeilichen Vollmachten versehen, aber auf diese hin stehen mir leider nur die Behörden der Vereinigten Staaten zu Diensten. In Mexiko gelten sie gleich Null.«

»Die Voraussetzung des Kapitäns ging in Erfüllung. Nach nicht viel mehr als zwei Stunden warf die ›Union‹ zwischen der von Meereswogen umspülten Felsenfeste San-Juan de Ulloa und der alten Stadt Vera Cruz die Anker. Die beiden Passagiere nahmen vom Kapitän Abschied, ließen sich nach der breiten Hafentreppe rudern, stiegen dieselbe empor und schritten über den mit Menschen angefüllten Platz dem Zollgebäude zu.«

Nachdem sie hier ihre Obliegenheiten erfüllt hatten, erfuhren sie, daß die Post schon in kurzer Zeit abgehe, und verließen mit derselben die ungesunde, baumlose Sandebene der Küste, um sich nach der alten Kaiserstadt Mexiko zu begeben. Schon am Nachmittage des folgenden Tages warfen sie den ersten Blick von den Bergen, welche das Thal und den prächtigen See von Tenochtitlan umschließen, auf die schöne Stadt, rollten zu derselben hinunter und wurden von dem Rosselenker vor einem der ersten Hotels abgeliefert, dessen Wirth sich über die exquisite Kopfhaut Summerlands zwar zu verwundern schien, sie aber mit großer Höflichkeit empfing.

Sie mußten für heut hier bleiben, um sich von der unbequemen Fahrt auszuruhen und eine Gelegenheit nach Morelia abwarten. Es nahte die Dämmerung, jene Zeit, in welcher die Bevölkerung der Hauptstadt sich auf dem beliebtesten Vergnügungsort Mexiko's zu ergehen pflegt. Es war immerhin der mögliche Fall, daß Wilson noch in Mexiko sein konnte. Er hatte einen Vorsprung von nur einem Tage, und dann war anzunehmen, daß er jetzt diesen Ort, die Alameda, auch besuchen werde. Sie beschlossen daher, sich getrennt dahin zu begeben, um nach ihm zu forschen.

Summerland ging zuerst. Forster wußte, daß er der vornehmen und schönen Welt der Stadt begegnen werde, und machte sorgfältige Toilette. Er hatte von dem Hotel nicht weit bis zu dem Gitterthore dieser öffentlichen, mit Parkanlagen, Springbrunnen und Ruheplätzen versehenen Promenade, und war gleich beim Eintritte überrascht von dem prächtigen Schauspiele, welches sich ihm bot.

Die Großen und Reichen Mexiko's durchschritten lustwandelnd die sauberen Wege der Alameda, und die reiche, strahlende Toilette der Damen zeugte genugsam von dem Luxus, an welchen sich die Nachkommen der spanischen Eroberer gewöhnt hatten. In Seide rauschend, von luftigen Spitzengewändern umwogt, mit der reizenden, malerischen Basquina angethan und mit Diamanten und Perlen geschmückt, promenirten die schönen Frauen und Mädchen, theils nach altem Brauche verhüllt, theils auch mit offenem Visir, und dann enthüllten die zurückgeworfenen Mantillen den ganzen Zauber ihres reichsten Schmuckes, ihrer funkensprühenden schwarzen Augen. Elastisch und leicht wiegten sie sich auf ihren wunderbar zierlichen Füßen, geschmeidig war jede Bewegung ihres schönen, üppigen Körpers, und das Fächerspiel, in welchem diese Damen die höchste Virtuosität besitzen, entfaltete seine größte Beredsamkeit. Wie ein Gewinde von Blumen des sonnedurchglühten Tropenlandes schwebte der Strom dieser reizenden Neuspanierinnen durch den Park, und zwischen ihnen hervor prunkten die reichen Uniformen des Militärs und die minder strahlende Tracht der nicht militärischen Stände. Je mehr die Sonne sich zu den westlichen Gebirgen herniedersenkte, je feuriger im Süden die eisigen Spitzen der beiden Vulkane erglühten, desto größer und zahlreicher wurde die Menge, die sich hier spazierend bewegte oder auf den Ruheplätzen niedergelassen hatte. Sie sind reizend und schön, diese Mexikanerinnen, intrigant und untreu in der Ehe, wild und unbändig in ihrer Leidenschaft, sei es in Liebe, sei es in Haß, und wehe dem, welcher ihrer Gluth mit kalter Ruhe begegnet oder sich eines Treubruches schuldig macht; dann scheuen ihre kleinen, weißen Hände nicht vor dem Dolche zurück, und sie wissen ihn so sicher zu führen, daß er seines Zieles fast niemals verfehlt.

Forster wanderte langsam unter ihnen dahin und musterte jeden Begegnenden, denn eine innere Stimme sagte ihm, daß er die Reise nicht umsonst gemacht habe. Er mußte bemerken, welches Aufsehen seine prächtige, in vornehmer Nonchalance dahinschreitende Gestalt hervorrief. Hunderte Augen blieben auf ihm hangen, und ebenso viele Fächer versuchten, ihre Sprache an ihn zu richten. Er mußte an das reine, heilige Wesen denken, welches er in Stenton zurückgelassen hatte, und glitt mit gleichgültigem Blicke über diese Aufmerksamkeiten hin.

Eine außerordentlich reich und vornehm gekleidete Dame begegnete ihm an dem Arme eines viel älteren, jedenfalls den höheren Ständen angehörenden Herrn. Sie war eine Schönheit, wie man sie nur selten zu finden vermag, und warf im Vorüberschreiten einen langen, sprechenden Blick auf ihn. Eine Minute später kehrte er [568] am Ende des Weges um und hatte noch keinen großen Theil der Promenade wieder zurückgelegt, so erblickte er sie wieder. Auch sie hatte sich gewandt. In seiner Nähe hielt sie den Fächer, von ihrem Begleiter unbemerkt, küssend an die Lippen und traf ihn mit der ganzen Gluth ihres großen, wie aus verborgenen Tiefen hervorleuchtenden Auges.

Wie durch Zufall entfiel dabei der Fächer ihrer Hand. Forster hob ihn empor und überreichte ihr ihn. Er war von außerordentlich feiner Arbeit und reich mit kostbaren Steinen geschmückt. Sie nahm ihn und berührte dabei mit ihren kleinen Fingern seine Hand.

»Dank, Sennor! Seid Ihr ein Fremder, da Ihr allein promenirt?«

[569] Er verbeugte sich zustimmend gegen sie und ihren Begleiter, welcher diese Bewegung mit vornehmer Zurückhaltung erwiderte.

»So ist es, Donna,« antwortete er im reinsten Spanisch.

»Und wie findet Ihr Mexiko?«

»Es ist die Heimath der Feen, das Land der Seligkeit, von welchem die Dichter erzählen, daß Keiner zurückkehre und Jeder verloren sei, der seine Grenzen einmal überschreite.«

»So seid auch Ihr verloren?«

»Ich bin gefeit von einer mächtigen Zauberin!« lächelte er, sich tief verneigend und trat zurück. Ein unbeschreiblicher Blick traf ihn, in welchem die Bewunderung mit dem Zorne über den Etikettenfehler rang, den er durch die Abbrechung des durch List herbeigeführten Gespräches begangen hatte. Dann rauschte sie davon.

Er verließ den Platz nicht eher, als bis dieser sich beinahe entleert hatte und er nun sicher war, daß der Gesuchte nicht hier gewesen sei. Um einige Straßen der Stadt im Lichte des Abends zu betrachten, kehrte er nicht direkt nach dem Hotel zurück, sondern schlug einen Umweg ein, der ihn nach dem Innern des Häusermeeres führte. Schon war er, sich die verschiedene, oft wirklich schöne, oft auch bizarre Architektur der Häuser betrachtend, einige Straßen vorwärts gekommen, als sein Blick ein schmales Gebäude streifte und an einem der oberen Fenster haften blieb. Es war geöffnet, und ein unverhüllter Frauenkopf blickte aus ihm auf die Straße herab. Er zog sich unter das Thor, an welchem er eben vorüberschreiten wollte, zurück und verwandte kein Auge von dem Gesichte, welches er mit größter Deutlichkeit erkannte.

»Welch ein Zufall! Sarah, die Terzerone! Wo die ist, muß auch Wilson sein!«

Er wartete, bis der Kopf sich zurückgezogen hatte und trat dann in das Haus. Seinem Aeußeren nach konnte es nur von gewöhnlichen Leuten bewohnt sein, und er brauchte also keine große Rücksicht zu nehmen, sondern trat sofort in das einzige Zimmer, welches das Parterre enthielt. Es war zwar ärmlich aber sauber ausgestattet. Eine alte Frau erhob sich aus dem Sessel, in welchem sie halb schlummernd geruht hatte.

»Verzeiht, Matrina, daß ich Euch störe. Nicht wahr, hier über Euch wohnt Don Carlo Piskaldo, den ich suche?«

Er hatte den ersten besten Namen gewählt, der ihm eingefallen war.

»Don Carlo Piskaldo, Sennor? Nein, der wohnt nicht hier, hat auch nie bei mir gewohnt. Meine Zimmer gehören einem Don Tomasio, der mit seinem Weibchen erst gestern hier angekommen ist und Mexiko auch gleich wieder auf einige Tage verlassen hat.«

»Das stimmt; es muß also nur eine Namensverwechselung vorliegen. Dank, Matrina, ich muß die Donna sprechen!«

Er verließ die Stube, stieg die schmale Treppe empor und klopfte. Ein leiser Ruf erklang, und er trat ein.

Sie wars! Das Auge auf die Thür gerichtet, erkannte sie ihn sofort, wie der Schreck zeigte, welcher ihr Gesicht trotz seines dunklen Teints erbleichen ließ.

»Mylord Forster!« rief sie, mit den Händen den Tisch erfassend, an welchem sie stand.

»Ich bin es, Sarah! Warum erschrickst Du?«

»Ich – ich – erschrak nicht. Es – es war nur die Freude!«

»Wirklich? So erlaube, daß ich mich setze! Wo ist Master Wilson, der sich hier Tomasio nennt?«

»Nach Morelia zu seinem Bruder.«

»Wann kommt er zurück?«

Ihr ungewisser Blick suchte in seinem Gesichte zu lesen.

»Sarah, die Wahrheit!« gebot er ernst.

»In vier oder fünf Tagen.«

»Was thut er dort?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo hat er seine Effekten?«

»Hier.«

»Briefe und sonstige Schreibereien?«

»Auch hier.«

»Zeig einmal her!«

»Das darf ich nicht, Sir. Er hat sie eingeschlossen, denn auch ich darf sie nicht sehen.«

»Wo sind sie?«

»Hier in der Kommode.«

»Schön; so helfe ich mir selbst!«

Er ergriff den Kaminhaken, stemmte ihn in die Fuge des Kastens und sprengte das Schloß auf. Sie wagte nicht, Widerstand zu leisten und versuchte auch kein Wort der Einwendung mehr. Tief unter der Wäsche versteckt, fand er eine Brieftasche und ein zusammengebundenes Paket mit allerlei Skripturen. Er öffnete die erstere; ein triumphirendes Lächeln flog über sein Gesicht; sie enthielt seinen Depositenschein, die gestohlenen Wechsel und Olbers' sämmtliche Anweisungen im Werthe von fünfzigtausend Dollars. Wilson hatte sich doch nicht sicher gewußt und die Verwerthung bis später aufgeschoben. Er nahm die Brieftasche zu sich und öffnete dann das Paket.

Es enthielt in Schriftübungen und einer kleinen Monogramm- und Stempelsammlung den sichern Beweis, daß der Besitzer sich sehr eingehend mit Fälschungen beschäftigt habe. Auch einige Briefe waren dabei. Er öffnete die Bogen und überflog ihren Inhalt. Der letzte zeigte ein neueres Datum und schien Forsters ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.

Als er ihn gelesen hatte, legte er die übrigen Papiere wieder an ihre Stelle zurück und frug, den Brief in die Tasche schiebend:

»Hat er zu Dir von dem Grafen Hernano gesprochen?«

»Kein Wort.«

»Du sagtest mir in Stenton, daß er viel Goldstaub und Nuggets besitze?«

»Er hat in New-Orleans Einiges davon verkauft; das Andre befindet sich im untern Kasten.«

Auch dieser wurde aufgesprengt. Er enthielt mehrere schwere Beutel, die einen nicht geringen Werth repräsentirten.

»Alles geraubt. Er soll auch nicht ein Körnchen davon behalten!«

»Geraubt?« frug sie erschrocken. »Nein, das hat Tom nicht gethan!«

»Er hat es gethan, Sarah: Master Olbers fünfzigtausend Dollars, mir mehrere Tausend und dieses Gold den Goldgräbern, die er ermordet hat.«

»Ermordet? Mein Gott, Sir, ich höre wohl nicht recht!«

»Du hörst sehr recht. Er ist ein Mörder, ein Räuber und Fälscher und aus Stenton bei Nacht und Nebel entflohen, weil die Polizei ihn suchte. Die Narbe hat er nicht von einem Indianer, sondern von mir. Ich traf ihn in der wilden Prairie mitten unter Mördern und gab ihm den Hieb, von welchem die Narbe stammt.«

»Nein, nein, das ist nicht möglich, Mylord Forster!«

Sie warf sich auf das Sopha und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er beschloß, den sichersten Trumpf auszugeben.

»Nicht blos das, sondern noch viel mehr. Auch Dich hat er betrogen!«

»Mich? Niemals!«

»Er hat, während er zu Dir ging, um die Hand von Miß Marga angehalten. Ich selbst habe dabeigestanden; es war am Tage seiner Flucht.«

Sie sprang empor. Ihr Auge blitzte.

»Ists wahr, Sir? Könnt Ihr es beschwören?«

»Ja, Sarah! Er hat Dich nur mitgenommen, um Dich später treulos zu verlassen.«

»Der Bube!«

Ihr südliches Naturell begann, sich im Zorne zu offenbaren.

»Er hat keine Plantage, keinen Fußbreit Land in Texas; er lebt nur vom Verbrechen und wird auch Dich ins Verderben führen.«

»Mich, Mylord Forster? Nein, das wird er nicht!« Sie ballte die kleinen Fäuste. »Ich habe ihn lieb gehabt wie mein Leben; aber ich glaube Euch; er hat Miß Marga gewollt und nun ist meine Liebe hin. Sobald er zurückkehrt, werde – – –«

»Er kehrt nicht zurück zu Dir, Sarah, denn Du wirst sofort mit mir das Haus verlassen.«

»Das darf ich nicht, Sir, denn er hat mir streng befohlen, daheim zu bleiben bis er kommt.«

Er lächelte.

»Du scheinst Deine Lage nicht zu begreifen! Daß Du Mutter Smolly ohne ihre Erlaubniß verlassen hast, will ich nicht beurtheilen; es war Undank, aber kein Verbrechen. Aber, Sarah, Du bist mit einem Raubmörder und Fälscher geflohen und hast ihn in seinem Thun unterstützt, bist also vor dem Gesetze seine Mitschuldige – verstehst Du nun, weshalb Du mit mir gehen mußt? Als meine Gefangene!«

»Gefangen?« schrie sie. »Ich habe nicht das Geringste verbrochen!«

»Und mein Geld, das er mir raubte, ehe er Stenton verließ? Ich traf ihn in meinem Zimmer; er wollte mich mit dem Messer tödten, brachte mir aber nur zwei Wunden bei und entkam.«

»Ist das wahr? Er verlangte Euern Schlüssel, weil er von Eurem Zimmer aus etwas in Olbers' Haus beobachten wollte.«

»Der Schlüssel war Dir anvertraut und gehörte nicht in seine Hände. Er hat mich beraubt und verwundet.« Er streifte den Aermel seines Rockes empor. »Sieh hier den Schnitt und den Stich; Du bist Mitschuldige an dem Raube und Mordversuch.«

Sie erbleichte so tief, als es bei der Farbe ihrer Haut möglich [570] war und stierte ihn wie geistesabwesend an. Erst nach einer langen Pause vermochte sie Worte zu finden.

»Das ist ja entsetzlich, Sir, das ist ganz fürchterlich! O Gott, hätte ich ihm doch nie geglaubt, hätte ich doch Mutter Smolly nie verlassen! Giebt es keine Rettung für mich, Sir?«

»Vielleicht, wenn Du mir Alles aufrichtig mittheilst!«

»Ich werde es thun, Mylord Forster. Fragt, ich will auf Alles Antwort geben!«

Er stellte ein eingehendes Verhör an und erfuhr, was zu wissen nöthig war. Er fühlte inniges Mitleid mit der Verführten, die keine andre Schuld als ihre Liebe trug.

»Willst Du mir gehorchen, Sarah, so kann noch Alles gut werden!«

»Befehlt nur, Sir! Ihr werdet sehen, daß ich auch das Schwerste thue.«

»So packe ein, was Dir gehört. Du gehst mit mir!«

Mit zitternder Hast suchte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Er nahm alle Werthsachen Wilsons an sich und verließ heimlich mit ihr das Haus. Die Wirthin durfte nicht in den Stand gesetzt werden, irgend welche Auskunft zu ertheilen. Das Hotel war bald erreicht, und der schon längst zurückgekehrte Summerland staunte nicht wenig, als er das Mädchen bemerkte. Forster erzählte ihm Alles, nachdem er für ein Zimmer gesorgt hatte, in welches Sarah sich zurückziehen mußte.

»Alle Wetter, Sir, das ist ja ein ganz famoser Fang! Und der Brief, was steht in dem?«

»Das will ich Dir erklären. Schon in den ältesten Zeiten der spanischen Herrschaft in Mexiko pflegte die Regierung große Länderstrecken an Privatpersonen zu geben, entweder unter der Bedingung, binnen gewisser Jahre eine bestimmte Anzahl Menschen darauf anzusiedeln, oder sie verkaufte sie ihnen für eine sehr geringe Summe, die mit dem Werthe des Landes in gar keinem Verhältnisse stand und gewöhnlich in die Privattasche des höheren Beamten floß. Hier nennt man solche Stücke Landes Empressario's, bei uns im Norden aber Grants. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß man noch jetzt, wo man die Empressario's aus Geldnoth billig vergiebt, eine Legua von viertausendfünfhundert Acker für den Preis von noch lange nicht tausend Dollars weggiebt und ein einziger Mann oft zehn bis fünfzehn Legua's in dieser Weise von der Regierung ersteht. Der Verkauf dieser Grants nun liegt in den Händen des Grafen Don Ventura Hernano, und der brave Alkalde von Morelia schlägt in diesem Briefe seinen Bruder, zwar nicht in deutlichen Worten, aber doch so, daß man die Andeutungen zu verstehen vermag, einen Streich vor, der den Grafen zur willigen Abtretung eines größeren Landstriches führen soll. Er begiebt sich, wie hier steht, wöchentlich ein Mal auf eines seiner Güter, welches in der Nähe von Morelia liegt; die Gräfin begleitet ihn gewöhnlich, und bei einer solchen Gelegenheit sollen Beide überfallen und gefangen werden. Dabei erscheint Wilson als Retter und befreit den Grafen, während die Gräfin zurückbehalten wird, um ein Lösegeld zu erzielen, welches den Antheil der Helfershelfer bildet.«

»Ein verteufelt sauberer Plan, Sir, den man nur so einem spanischen Schuft zutrauen kann. Warum aber hat Wilson diesen Brief nicht vernichtet?«

»Das frage ich auch. Bei jeder schlimmen That giebt es einen Fehler, der sie an das Licht bringen kann. Wir sind vollständig geborgen, denn wir haben den Raub wieder und noch mehr dazu; ich konnte unter den hiesigen Verhältnissen nicht anders handeln. Eigentlich also könnten wir sofort zurückkehren; aber ich muß diesem Wilson das Handwerk legen und werde morgen mit dem Frühesten zum Grafen gehen, um ihm die Angelegenheit vorzutragen.«

»All reight! Wir begleiten ihn und nehmen die Schufte sammt dem Retter beim Skalp, das ist so sicher wie meine Mütze! Aber das Mädchen?«

»Bleibt hier bis zu unserer Rückkehr. Ich bin überzeugt, daß wir ihr von jetzt an trauen können.«

»So legt Euch schlafen, Sir, damit wir morgen nicht etwa den Spaß versäumen!«

Sie gingen zur Ruhe mit dem glücklichen Bewußtsein, gleich in den ersten Stunden mehr erreicht zu haben, als sie jemals ahnen konnten.

Am andern Morgen erkundigte sich Forster nach dem Palaste des Grafen. Dort hörte er, daß dieser bereits vor einer Stunde mit der Gräfin zu Pferde abgereist sei. Sofort begab er sich zu einem Pferdehändler, sorgte für drei gute, ausdauernde Reitthiere und einen Führer, und hielt mit ihnen schon nach kurzer Zeit vor dem Hotel. Tim Summerland war sofort bereit. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Anschlag des Alkalden konnte möglicherweise schon heut ausgeführt werden. Sarah schwor, zu bleiben und bis zu ihrer Rückkehr nicht einmal an das Fenster zu treten; dann ging es fort.

Der Führer war ein junger und, wie es schien, recht zuverlässiger Bursche, der auch ganz gut zu reiten verstand.

»Nach Morelia hin will ich Euch dienen, Sennor,« meinte er, als sie die Stadt im Rücken hatten; »aber nach Queretaro und Quanajuato zu wäre ich wohl nicht gleich mitgegangen.«

»Warum?«

»Diese Gegend ist seit einiger Zeit verrufen durch die Bravero's, welche dort herumlungern und Niemanden ungeschoren vorüberlassen. Erst vor acht Tagen haben sie eine ganze Mula überfallen und die Reisenden niedergemacht. Santa Maria, was half es, daß man Reiter gegen sie schickte! Sie haben sich zurückgezogen und werden es in Kurzem noch schlimmer treiben als vorher.«

Forster wurde bedenklich. Er mußte unwillkürlich diese Bravero's mit dem Unternehmen Wilsons in Verbindung bringen und gab seinem Thiere die Sporen.

Bald erreichten sie das schäumende Wasser von St. Jago, über welches eine alte, halb eingestürzte Brücke führte. Die Gegend wurde öder, der Weg immer weniger betreten und verlor sich endlich ganz in sandiges Geröll. Mitten im Jagen hielt Forster die Augen auf den Boden gerichtet, auf welchem sich die Hufspuren dreier Pferde zeigten. Hier war jedenfalls der Graf mit seiner Dame und einem Diener geritten.

Nach und nach zeigten sich wieder Büsche und immergrüne Nadelhölzer, und dann nahm ein Wald sie auf, unter dessen weit auseinanderstehenden Riesenbäumen sie ihre Eile nicht zu mindern brauchten. Da war es Forster, als vernehme er den Hilferuf einer weiblichen Stimme. Auch Summerland hatte ihn gehört.

»Go on,« rief er, »sie haben den Grafen und wir haben sie. Vorwärts, Sir!«

Die Pferde bekamen die Sporen und flogen pfeilschnell über den weichen Boden, der ihre Hufschläge beinahe unhörbar machte. Da, nach kaum einer Minute, sahen sie eine Dame in den Händen mehrerer im Gesicht geschwärzter Männer, während zwei männliche Gestalten sich muthig gegen eine beträchtliche Uebermacht vertheidigten. Forster zog den Revolver. Auf dem Kampfplatze angekommen, warf er sich vom Pferde, sprang an die Seite der Dame und drückte los. Zwei der Männer fielen, der dritte entsprang. Jetzt wandte er sich gegen die Uebrigen und riß das Messer heraus. Summerland arbeitete schon mitten unter ihnen, und auch der Führer that seine Schuldigkeit. Der Muth der Beiden hatte den seinen angefeuert. Die Banditen waren von dem nachdrücklichen Angriffe so überrascht, daß ihr Widerstand schnell erlahmte. Sie flohen mit Zurücklassung ihrer Todten und Verwundeten in den schützenden Wald.

[571]

[588] Jetzt erst warf Forster einen schärferen Blick auf die Geretteten und erkannte mit Verwunderung den Herrn und die Dame, mit denen er gestern auf der Alameda gesprochen hatte. Der Graf war leicht verwundet, die Gräfin aber bereits wieder wohlauf.

»Ihr seid es, Sennor?« frug sie. »Dann hat Euch Eure mächtige Zauberin herbeigeführt!«

Auch der Graf trat herbei. Er zeigte nicht die geringste Spur seiner gestrigen vornehmen Zurückhaltung.

»Nehmt meinen besten Dank, Sennores, für die rechtzeitige Hilfe, welche Ihr uns brachtet! Ohne Euch, das ist sicher, wären wir verloren gewesen.«

»Wir müssen den Dank zurückweisen, Don Hernano, denn es drohte Eurem Leben keine Gefahr; man wollte sich mit einem Lösegeld begnügen.«

»Woher wißt Ihr das, und wie kommt Ihr als Fremder zu meinem Namen?«

»Das erlaubt, Euch später zu erklären! Jetzt müssen wir vor allen Dingen trachten, aus der Nähe dieses Ortes zu kommen. Wo sind die Pferde?«

Die beiden Thiere des Grafen und der Gräfin lagen erschossen am Boden; das Pferd des Dieners hatte, wie auch die andern drei nach ihm, das Weite gesucht. Summerland machte sich sofort mit dem Diener und dem Führer auf, sie einzufangen, während die Gräfin nach der Wunde ihres Gemahls sah und Forster sich beschäftigte, die Sättel von den gefallenen Pferden zu schnallen. Die Verletzung zeigte sich ganz ungefährlich; die Pferde wurden nach einiger Mühe herbeigeschafft, auf eines derselben der Damensitz befestigt, und dann verließ man, der Diener und der Führer zu Fuß, die Stätte.

Die Besitzung des Grafen lag nicht allzuweit entfernt; man erreichte sie nach kaum einer halben Stunde und konnte nun in voller Ruhe das Geschehene besprechen.

Im elegantesten Salon, den es nur geben konnte, saßen Forster mit Summerland und den beiden Gatten zusammen. Die Gräfin, welche eine starke, furchtlose Natur sein mußte, machte die Honneurs, als sei sie eben von dem Besuche einer Freundin zurückgekehrt, und nur der Graf, dessen Alter eine größere Empfänglichkeit für dergleichen gewaltsame Eindrücke zur Folge haben mußte, hatte sich noch nicht vollständig erholt und dachte mit Schaudern an die Gefahr, in welcher er geschwebt hatte.

»Vor allen Dingen, Sennores, laßt mich Eure Namen kennen lernen,« bat er.

»Der meinige ist Forster, Richard Forster, Frankfort, Kentucky, Vereinigte Staaten, und dieser Sir ist mein Jagd- und Reisegefährte Tim Summerland – – – Savannen und Prairien, Vereinigte Staaten,« setzte er lächelnd hinzu.

»Und Euer Charakter, Don Forster?«

»Ich – – schreibe Bücher, Sennor, eine Beschäftigung, welche mich oft zwingt, mir auf Reisen den nothwendigen Stoff zu holen.«

»So wollt Ihr über Mexiko schreiben?«

»Nein. Für dieses Mal folge ich einer andern Intention, die mit dem heutigen Vorfalle in sehr genauer Verbindung steht. Gestattet, sie Euch mitzutheilen!«

Er erzählte nun in Kürze, was dem Grafen zu wissen nöthig war, und schloß dann mit der Bemerkung:

»Damit habe ich den Beweis geliefert, daß Ihr Euch in keiner Lebensgefahr befandet und wir Euch nur in unserem Interesse folgten. Wir müssen also jedes Recht auf irgend eine Verpflichtung unbedingt zurückweisen.«

»Nein, Sennores,« protestirte der Graf lebhaft, »das dürft Ihr nicht! Ich befand mich in Lebensgefahr, dafür zeugt meine Verwundung, und Ihr hättet recht gut zurückkehren und Eure Aufgabe für gelöst betrachten können, wenn Ihr nicht erfahren hättet, was mir drohte.«

»Mein Gemahl hat vollständig Recht,« schloß sich auch die Gräfin an. »Was hätte ich nicht in der Gefangenschaft Schreckliches zu erdulden gehabt, alle unberechenbaren Umstände, welche mein Leben in Gefahr bringen konnten, auch abgerechnet. Ich fühle mich Euch, Sennor Forster, verbunden, wie noch keinem Andern und werde eine so heilige Verpflichtung mir nicht rauben lassen! Wir werden Euch sehr dringend ersuchen, während Eures Verweilens in Mexiko unsere Gastfreundschaft nicht zurückzuweisen!«

»Das versteht sich ganz von selbst, Sennores, und ich hoffe, hier ganz bestimmt keine Fehlbitte zu thun.«

»Und dennoch müssen wir danken! Unser Weg geht unverweilt nach Morelia, wo wir bestimmt unsern Mann treffen, der verhindert war, sein Rettungswerk zu spielen. Er hat dasselbe jedenfalls hinter einem Busche hervor vollbringen wollen und ist von den entflohenen Bravero's von dem Mißlingen des Unternehmens benachrichtigt worden. Er wird schleunigst den Alkalden aufsuchen und dort müssen wir mit ihm Abrechnung halten.«

»Verzeiht, Sennor Forster! Er hat hier im Lande einen Raubanfall verursacht und verfällt also unter Herbeiziehung der Vereinigten-Staaten-Gesandtschaft unsern Gesetzen. Diese sind in einem solchem Punkte streng, und mit dem, was sie von ihm übrig lassen, mögt Ihr immer Abrechnung halten. Auf diese Weise versichere ich mich zweier Gäste, deren seltene Eigenschaften ich von ganzem Herzen anerkenne.«

»Aber,« warf Forster ein, »er wird entkommen, wenn nicht sofort gehandelt wird!«

»Die Handlung ist bereits im rührigsten Verlaufe. Ich habe gleich nach unserer Ankunft einen zuverlässigen Boten nach Morelia geschickt und werde jetzt, da ich den Zusammenhang besser kenne, einen zweiten abreiten lassen, der Alles ebenso besorgen wird, als ob wir selbst an Ort und Stelle seien. Zugleich sind eine Anzahl Arbeiter in den Wald gegangen, um sich der Gefallenen zu versichern. [588] Ich habe sehr begründete Ursache, zu glauben, daß wir es mit denselben Männern zu thun haben, welche die Gegend von Queretaro heimsuchten.«

Er erhob und entfernte sich. Summerland konnte es in dem fein ausgestatteten Raume unmöglich länger aushalten; er trat auf die Veranda. Nun sah sich die Gräfin mit dem schönen, muthigen Fremden, dem sie gestern eine solche Aufmerksamkeit erwiesen hatte, allein. Ihre Anschauung war keine andere, als die aller mexikanischen Schönen, obgleich die gute Bildung, welche sie genossen haben mußte, Manches milderte, was bei einer Andern unbeaufsichtigt hervortreten durfte.

»Kennt Ihr Eure Zauberin schon lange, Sennor?«

»Erst seit Kurzem.«

»So muß ihre Macht wirklich groß sein. Größer als diejenige der mexikanischen Feen?«

»Größer nicht, Donna, wie ich überzeugt bin seit gestern; es gilt wohl auch im Zauberreiche das Recht des Erstbesitzes.«

»In diesem Falle ein böses Recht, welches uns die Erlaubniß nimmt, Euch jede Stunde Eures Hierweilens zu einer unvergeßlichen zu machen!«

»Es wird keine einzige meinem Gedächtnisse entschwinden. Die Schönheit ist ewig, und das Andenken an sie kann kein Ende haben. Sie lebt in demselben fort, selbst wenn sie dem Auge längst entschwunden ist.«

»Das fühle ich am Lebhaftesten in diesem Augen blicke, Don Riccardo; ich werde den Mann nie vergessen, der mich so tief verschuldete.«

Ihr Auge brannte in das seinige herüber. Der Wiedereintritt des Grafen kam dem Bedrängten zu Hülfe.

»Die Staffette ist fort, und nun könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß die Polizei der ganzen Umgegend in Alarm gesetzt und ihre Schuldigkeit thun wird. Ihr dürft also getrost hier verbleiben.«

»Ich für meine Person, Don Hernano, darf vielleicht zusagen, mein Begleiter aber muß unbedingt nach Mexiko zurück.«

»Giebt es hierfür einen Grund?«

»Einen sehr triftigen. Die Wohnung, welche Wilson miethete, muß bewacht werden, und zwar von Jemand, der ihn persönlich genau kennt. Er kehrt auf alle Fälle dorthin zurück, wenn wir nicht schon hier seiner habhaft werden.«

»So muß ich allerdings meine Zustimmung geben. Sennor Summerland soll von mir einige Zeilen an die Polizei erhalten, welche ihm dann mit allen Kräften zu Gebote stehen wird. Jetzt aber laßt Euch Euer Zimmer anweisen, Don Forster, damit Ihr Euch ausruhen könnt!«

Forster lächelte über den Gedanken, daß er nach dem kurzen Ritte der Erholung nöthig habe; die Gräfin erhob sich.

»Folgt mir, Sennor, und erlaubt, daß ich selbst Euch geleite!«

»Gestattet zuvor einen kurzen Augenblick!«

Er trat unter die Thür zur Veranda.

»Tim, Du mußt sofort nach Mexiko zurück!«

»Well, Sir, das ist mir außerordentlich angenehm; ich bin verteufelt wenig auf gräfliche Weise einstudirt!«

»Unser Führer mag Dich begleiten. Du erhältst von Don Hernano ein Schreiben an die Polizei, welches Du übergiebst, und bewachst das Haus, wo Wilson sein Zimmer hat. Ich kenne den Namen der Straße nicht, doch kannst Du bei Sarah Alles erfahren. Ich kann nicht sagen, wenn ich Dir folgen werde; wenn Du ihn siehst, so laß ihn nicht wieder aus den Augen!«

»All reight, Master Forster; tragt keine Sorge um mich. Ich werde aufpassen wie die Kundschafter im Lande Kanaan, als sie die große Traube fanden und hinüber nach Mesopotamien schleppten!«

Forster wandte sich zurück und stellte sich nun der Gräfin zur Verfügung. Diese führte ihn in ein Zimmer, welches wahrhaft fürstlich ausgestattet war und an ein höchst bequem eingerichtetes Schlafkabinet stieß.

»Darf ich hoffen, daß es Euch genügen wird?«

»Vollkommen, Sennorita. Ich habe ja überhaupt gar nicht die Absicht, Euch Störung und ungewöhnliche Mühewaltung zu bereiten!«

Sie entfernte sich. Er trat an das Fenster und blickte hinaus in den herrlichen Garten, wo eine reiche, südliche Vegetation in den buntesten Farben prangte.

Es ging ihm beinahe wie Tim Summerland; er fühlte sich unbehaglich an diesem Orte, in der Nähe dieses Weibes, und doch vermochte er nicht, ihr zu zürnen oder eine Schuld auf sie zu werfen, welche die Gluth der Tropensonne nicht getheilt hätte. Er verließ nach kurzer Zeit das Zimmer wieder und begab sich in den Garten. Von hier aus bemerkte er, daß man die im Walde liegen gebliebenen Bravero's brachte. Er eilte zu der Gruppe, welche die geschwärzten Gestalten umgab, und erfuhr, daß man nur die Todten angetroffen hatte, während die Verwundeten verschwunden waren.

Auch der Graf trat hinzu.

»Wascht ihnen die Gesichter! Vielleicht finden wir ein bekanntes unter ihnen.«

Man leistete dem Befehle Folge, und kaum hatten die Züge der ersten der fünf Leichen ihre ursprüngliche Farbe erhalten, so rief einer der Arbeiter:

»Per dios, der Alkalde von Morelia!«

»Ja, er ists, ich kenne ihn,« bestätigte der Graf. »Wie kommt ein solcher Beamter unter die Banditen?«

Forster bog sich nieder, um die Kleidung des Mannes, dem eine seiner Kugeln in die Brust gedrungen war, zu untersuchen. Er öffnete die Knöpfe derselben und bemerkte, daß das Leben noch nicht völlig aus ihm gewichen sei.

»Habt Ihr nicht bemerkt, daß er noch athmet? Wasser herbei!«

Die Brustwunde war tödtlich; die Kugel mußte in die unmittelbare Nähe des Herzens eingedrungen sein. Bei der Untersuchung des kleinen Loches, welches ihren Weg bezeichnete, zuckte der Verwundete schmerzhaft zusammen. Forster ließ sich dadurch nicht stören. Gerade dieser Schmerz war am Besten geeignet, das geschwundene Bewußtsein wenn auch nur auf kurze Augenblicke zurückzurufen. Wirklich öffneten sich die geschlossenen Lider, sanken schwer wieder nieder und erhoben sich dann langsam zum zweiten Male, um dem Blicke Raume zu geben, die Umgebung zu erfassen.

Der Graf bog sich zu ihm nieder.

»Antonio Molez, der Tod hat Euch ergriffen. Wollt Ihr ohne Bekenntniß sterben?«

Der Gefragte schwieg. Er mußte sich erst auf das Geschehene besinnen. Dann hauchte er:

»Vergebt!«

Forster zog den Brief aus der Tasche und hielt ihm diesen vor die erstarrenden Augen.

»Habt Ihr das geschrieben?«

»Ja.«

»Wo ist Euer Bruder?«

»Im Walde. Er – wollte – – den Grafen – befreien.«

»Ihr seht, Don Hernano, daß ich Euch die Wahrheit mittheilte.« Dann wandte er sich wieder zu dem Sterbenden: »Wohin kehrt er aus dem Walde zurück?«

»Ich – weiß es nicht. Santa Madonna – bitte für mich – ich sterbe. Ich wollte – reich werden – mein Amt schützte mich – – ich bin der Anführer der – – –«

Sein Oberkörper erhob sich unter einer konvulsivischen Bewegung; ein Blutstrom entquoll seinem Munde; er sank todt zurück.

»Gott sei seiner Seele gnädig! Er war der Anführer der Bravero's und hatte seinen schlimmsten Streich gegen mich gerichtet Ich vergebe ihm!« sprach der Graf.

Die andern Vier waren ohne Leben; die fünf Leichen wurden bis auf Weiteres unter Verschluß gebracht.

Beim Diner, welches die drei Personen im Speisesaale vereinigte, war der Ueberfall natürlich Hauptgegenstand des Gespräches. Don Hernano sann lange vergebens auf eine Art und Weise, seine Erkenntlichkeit zeigen zu können, ohne unzart zu sein. Da endlich kam ihm ein Gedanke, und er mußte es bewundern, nicht sofort auf denselben verfallen zu sein. Der Zweck des Ueberfalls war gewesen, sich die Gunst des Grafen zu erwerben, um durch ihn in den Besitz billiger Ländereien zu kommen. Konnte dieser Zweck nicht jetzt zum Mittel werden, den Retter zu belohnen? Er schien kein reicher Mann zu sein, und das Geschenk von einigen Legua's guten Landes verursachte dem Grafen ja nicht die mindeste Schwierigkeit. Er faßte den Entschluß, diesen Gedanken auszuführen und die bezüglichen Papiere sofort bei seiner Ankunft in Mexiko ausfertigen zu lassen.

Da erschallten eilige Huftritte vom Thore her; die beiden nach Morelia gesandten Boten kehrten zurück und traten bald darauf in den Speisesaal.

»Nun?« frug der Graf, in ihren Gesichtern eine wichtige Botschaft lesend.

»Wir haben ihn.«

»Ah! Das ist ja über alles Erwarten schnell gegangen.«

»Er traf eben ein, als die Polizei das Haus des Alkalden besetzt hatte.«

»Leistete er Widerstand?«

»Ganz wüthend. Er war vorzüglich bewaffnet und hat einige der Leute verwundet.«

»Und wo befindet er sich jetzt?«

[589] »Im Gefängnisse, von wo er morgen nach dem vorläufigen Verhöre nach Mexiko transportirt werden soll.«

»Gut, Ihr könnt abtreten!« Dann wandte er sich zu der Gräfin und Forster. »Ich muß den Menschen sehen und reite nach aufgehobener Tafel nach Morelia. Wollt Ihr mit, Don Forster?«

»Auf jeden Fall.«

»Man wird unsere Ankunft willkommen heißen. Er ist nicht persönlich bekannt, und Ihr könnt also seine Person feststellen. Uebrigens sind wir ja bei der Untersuchung gegen ihn sehr betheiligt, so daß es die Arbeit des Beamten erleichtert, wenn wir zugegen sind.«

»Soll ich von dem Ritte ausgeschlossen werden?« frug die Gräfin.

»Ich denke, Du wirst lieber hier bleiben, als Dich der Berührung eines solchen Menschen aussetzen!«

Sie verzichtete nur ungern, sah aber ein, daß er Recht habe, und ergab sich in seinen Willen. Nach einer Viertelstunde saßen der Graf und Forster zu Pferde. Es war keine weite Entfernung zurückzulegen, und in kurzer Zeit hatten sie Morelia erreicht.

Der Ort war voller Aufregung über das Geschehene, und vor dem Gerichtsgebäude, welches zugleich als Gefängniß diente, hatte sich eine Menge Volkes versammelt, durch welches die beiden Männer sich kaum zu drängen vermochten. Der Beamte hatte bereits ein Verhör angestellt und empfing den Besuch mit der größten Zuvorkommenheit.

»Soeben war ich im Begriff, Euch aufzusuchen, Excellenza, um die nöthigen Erkundigungen einzuziehen, ein Vorhaben, dessen mich Eure Anwesenheit überhebt.«

»Spracht Ihr bereits mit dem Gefangenen?«

»Ja. Ich erkannte in ihm einen außerordentlich schlauen und dabei gewaltthätigen Menschen, dem Alles zuzutrauen ist. Er hat nicht das Geringste gestanden, und ich glaube sehr, daß nur der geladene Revolver, der hier neben mir lag, ihn abhielt, eine Extravaganz zu begehen. Darf ich um einen möglichst genauen Bericht des Geschehenen ersuchen?«

»Zunächst stelle ich Euch hier meinen Retter, Don Forster, Frankfort in Kentucky vor, der im Stande ist, Euch über den Inkulpaten genauere Auskunft zu geben als ich.«

Die beiden Herren ließen sich nieder; der Beamte hörte ihrer Erzählung aufmerksam zu und nahm das Nothwendige zu Notiz.

»Habt Ihr den Brief bei Euch, Don Forster?«

»Ja. Hier ist er!«

Der Beamte las ihn.

»Wollt Ihr mir das Schreiben überlassen?«

»Ich bitte, es mit dem möglichsten Nutzen zu verwenden.«

»Wilson hat es von Stenton aus beantwortet; ich fand seinen Brief unter den Privatpapieren des Alkalden, fand aber für gut, ihm beim ersten Zusammentreffen nichts davon zu sagen. Jetzt freilich steht es anders; ich werde ihn sofort wieder vorführen lassen, um ihn Euch gegenüberzustellen, und bitte, sich einstweilen in dies Kabinet zu verfügen!«

Er geleitete sie in einen anstoßenden Raum, dessen Thür angelehnt blieb, und gab dann den Befehl, Wilson zu holen. Dieser wurde gebracht. Er war gefesselt, stand aber aufrecht und mit einer Miene da, in welcher sich die höchste Entrüstung abspiegeln sollte.

»Was solls schon wieder? Ich denke, wir sind fertig und ich werde entlassen!«

»Entlassen sollt Ihr werden, aber vielleicht nicht in der von Euch vorausgesetzten Weise. Zuvor aber muß ich noch einige Fragen an Euch richten, die Euer Vorleben betrifft. Wollt Ihr mir noch einmal Euern Namen sagen?«

»Tommasio Molez; Ihr scheint an Gedächtnißschwäche zu leiden!«

»Möglich, doch Ihr vielleicht nicht weniger, da Ihr vollständig vergessen zu haben scheint, wo Eure früheren Aufenthaltsorte waren. Ihr seid geboren in St. Juan Bautista und befandet Euch seit zwölf Jahren in Brasilien?«

»So ists. Ich setzte während dieser Zeit keinen Fuß aus dem Kaiserreiche, bin dort Bürger und werde mich an das brasilianische Konsulat wenden, wenn Ihr mich länger meiner Freiheit beraubt. Dann mögt Ihr sehen, wie Ihr mit den Folgen fertig werdet!«

»Wollt Ihr Euch nicht an den Konsul der Vereinigten Staaten wenden?«

»Warum?«

»Weil Tom Wilson bei ihm mehr Erfolg haben dürfte, als Tommasio Molez bei der von Euch genannten Vertretung.«

»Tom Wilson? Wer ist das?«

Er war beim Nennen dieses Namens zusammengefahren, hatte sich aber schnell wieder gefaßt.

»Ein Pfahlmann, Raubmörder, Fälscher, Einbrecher, kurz eine sehr angenehme Persönlichkeit. Ihr habt wohl noch nie von ihm gehört?«

»Was habe ich mit einem solchen Subjekte zu thun?«

»Vielleicht noch mehr als Euer Bruder, welcher mit ihm in einem höchst interessanten Briefwechsel stand.« Er ergriff das Schreiben des Alkalden, und ließ ihn einen Blick auf dasselbe werfen.

»Kennt Ihr diesen Brief?«

»Nein.«

»Das ist eigenthümlich! Er wurde doch in Eurer Wohnung gefunden.«

Jetzt erbleichte Wilson.

»Meine Wohnung wollte ich bei meinem Bruder nehmen, ich hatte sonst keine und bin erst gestern an gekommen.«

»Ihr miethetet also in Mexiko wirklich keine Zimmer für Euch und eine Person, welche als Knabe anlangte, jetzt aber Damenkleider trägt?«

»Nein.«

»So habt Ihr also auch keinerlei Anspruch auf das, was dort vorgefunden wurde.«

»Was?«

»Dieser Brief, eine Sammlung Schriftübungen, welche viel zu denken giebt, mehrere Beutel voll Goldstaub und Nuggets und endlich eine Brieftasche mit Werthpapieren, welche plötzlich und unter eigenthümlichen Umständen aus Stenton, Arkansas, verschwunden sind. Wollt Ihr sie wieder haben?«

»Sie gehen mich nichts an!«

Man hörte es den mühsam hervorgestoßenen Worten an, welche Ueberwindung sie ihn kosteten.

»Auch das Mädchen nicht?«

»Nein.«

»Aber dann vielleicht dieser Brief, der in Stenton aufgegeben wurde?«

Er hielt ihm sein eigenes, an den Bruder gerichtetes Schreiben vor.

»Auch nicht. Ich kann überhaupt nicht begreifen, was Ihr von mir wollt. Ich komme gestern zu meinem Bruder, gehe heut mit ihm spazieren und werde bei meiner Rückkehr trotz seines amtlichen Charakters arretirt!«

»Das hat wohl seine Gründe. Der Spaziergang war ein außerordentlich bewaffneter; der Alkalde kehrte nicht zurück – –«

»Was geht das mich an? Er wird wohl noch kommen. Wir trennten uns, weil er einen Amtsbesuch zu machen hatte.«

»Zum Grafen Don Hernano, dem er erzählte, welches reizende Abenteuer er mit Euch erlebt habe. Er befindet sich noch dort, und ich werde ihn heut noch aufsuchen.«

Er konnte die Wirkung dieser Worte trotz aller Selbstbeherrschung nicht verbergen. Dennoch antwortete er trotzig:

»Ich habe nicht das Geringste dagegen!«

»Auch nicht gegen die Gesellschaft, in welcher ich diesen Besuch vornehmen werde?«

»Sie ist mir höchst gleichgültig.«

»Das dürfte erst zu beweisen sein. Da, blickt Euch einmal um!«

[590]

[598] Wilson machte eine Wendung nach dem Kabinet, unter dessen Thür der Graf und Forster erschienen. Der Anblick des Letzteren warf ihn um einige Schritte zurück; dann machte er eine Bewegung, wie um sich auf ihn zu stürzen, besann sich aber noch und meinte so kaltblütig wie möglich:

»Wer sind die Sennores?«

»Verstellt Euch nicht, Master Wilson,« meinte Forster; »Ihr habt ausgespielt! Oder wollt ihr wirklich behaupten, daß Ihr mich nicht kennt?«

»Behauptet Ihr etwa mich zu kennen?«

»Leider habe ich das Unglück, dies thun zu müssen.« Und zum Richter gewandt, fuhr er fort: »Ich rekognoszire diesen Mann als denjenigen, über welchen ich meine Aussage vorhin zu Protokoll gab, Sennor!«

»Und ich,« sprach Wilson mit scheinbarer Kälte, »rekognoszire diesen Menschen als den raffinirtesten Lügner, der mir vorgekommen ist.«

»Schon gut,« fiel der Beamte ein; »ich bin nun sehr im Klaren über Eure Persönlichkeit. Hätte ich noch den leisesten Zweifel, was aber nach den Worten Sennor Forsters nicht möglich ist, so würde ich Euch einem Sennor Summerland und einer gewissen Sarah gegenüberstellen, welche Beide bereit sind, über Euch die gewünschte Auskunft zu geben. Ich habe mit Euch nichts mehr zu schaffen und werde Euch morgen unter sicherer Bedeckung nach Mexiko liefern, wo Euch das Weitere erwartet. Ihr könnt abtreten!«

Auch die beiden Andern entfernten sich nach längerem Gespräche mit dem Beamten, welcher versprach, am andern Morgen die Besichtigung der Leichen vorzunehmen und ihre Bestattung sodann anzuordnen. Sie kehrten auf das Landgut des Grafen zurück, wo sie den Abend im traulichen Beisammensein verbrachten.

Am nächsten Vormittage traf der Beamte ein und besichtigte die Leichen, welche zur Feststellung ihrer Persönlichkeit nach Morelia geschafft wurden. Sodann ritt man in den Wald, um den Thatort zu besichtigen, und gleich von hier aus kehrte er heim, um die Auslieferung des Gefangenen zu bewerkstelligen.

Forster wollte nun den Rückweg nach Mexiko antreten, da aber der Graf und die Gräfin dies erst am andern Tage zu thun beabsichtigten, so ließ er sich erbitten, noch bis dahin zu warten.

Unterdessen saß Wilson zwischen den vier kahlen Wänden seiner engen Zelle, wo man ihm die Handschellen abgenommen hatte, da das Gefängniß für die Sicherheit des Gefangenen vollständig bürgte und eine Flucht ganz unmöglich war. Er hatte die Ellbogen auf die Kniee gestemmt und den Kopf in die Hände gelegt und brütete in finstern Gedanken vor sich hin.

»Forster und Summerland – wer hätte daran gedacht, daß mir diese zwei Hallunken folgen würden? Wie sie nur auf meine Spur gekommen sind! Sicher sind nur sie es gewesen, welche Sarah ausfindig gemacht haben und sie zu dem Entschlusse brachten, mich zu verrathen. O, könnte ich mich an ihnen rächen, ich würde viel, ich würde Alles dafür geben. Viel? Alles? Habe ich denn überhaupt noch Etwas? Meinen so gloriös erworbenen Reichthum haben sie mir genommen; ich besitze nichts als das Leben, und auch dieses nicht mehr, denn – in wenig Tagen wird man auch dieses von mir fordern.«

Er sprang auf.

»Aber nein, so weit ist es noch nicht. Noch ist es möglich, wieder freizukommen; hier allerdings nicht und in Mexiko vielleicht ebenso wenig, aber unterwegs kann sich eine Gelegenheit bieten, zu entkommen, und ich werde sie benützen, denn ich riskire dabei ja nur das bereits verfallene Leben. Und gelingt es, so will ich Rache nehmen, fürchterliche Rache! In Mexiko freilich darf ich mich nicht attrapiren lassen, sonst bin ich verloren. Aber sie müssen mit dem Gelde und dem Mädchen über New-Orleans; ich gehe dahin, erwarte sie, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht wiederbekäme, was sie mir genommen haben.«

Seine Geduld sollte nicht länger mehr auf die Probe gestellt werden. Die Thüre des Gefängnisses öffnete sich; er wurde in den Hof geführt und auf ein Pferd gebunden. Ein Unteroffizier mit einigen Mann Kavalleristen übernahmen seine Bedeckung. Der Erstere schnallte die Auslieferungspapiere in die Satteltasche, dann ging es fort nach Mexiko, den Gefangenen in der Mitte.

Wilson hatte nicht die mindeste Gewalt über sein Pferd, welches von einem der Reiter am Zügel geführt wurde; auch erlaubten ihm seine Fesseln nicht die kleinste Bewegung, und so sehr er auch all seinen Scharfsinn anstrengte, so fleißig er sein Auge suchend umherschweifen ließ, es wollte sich keine Möglichkeit der Rettung erkennen lassen.

Die Kavalleristen zeigten sich außerordentlich schweigsam, und nur als man den Wald erreicht hatte und an die Stelle gelangte, wo der Graf überfallen worden war, meinte der Anführer:

»Wirst's wohl nicht wieder thun, Bursche. Die heilige Gerechtigkeit läßt nicht mit sich spassen!«

»Quien save, wer weiß es!« erklang die trotzige Antwort.

Als sei sie eine Losung gewesen, krachten in demselben Augenblicke von beiden Seiten mehrere Schüsse; der Unteroffizier mit zweien der Reiter stürzten vom Pferde; die Uebrigen wollten sich gegen die zwischen den Bäumen herbeispringenden Angreifer vertheidigen, erkannten aber, daß auf deren Seite die Uebermacht sei, und jagten mit Zurücklassung des Gefangenen davon.

»Unerwartete Hülfe in der Noth, nicht wahr, Sennor?« frug Einer der auch heut geschwärzten Männer, indem er das Messer zog und die Fesseln durchschnitt.

»Bei allen Teufeln, ja. An Euch hätte ich nicht gedacht und glaubte mich auf mich selbst angewiesen.«

»Hm, wir mußten wohl! Ihr hattet einige von unsern Namen gehört, und da mußten wir Euch um die Gelegenheit bringen, sie den Herren vom Gerichte auszuplaudern.«

»Da zeigt Ihr Euch heut klüger als gestern, wo Ihr es vergaßet, meinen verwundeten Bruder in Sicherheit zu bringen.«

»Verwundet, Per dios, er war todt, Sennor!«

»Euer eigenes Wohl hätte dennoch erfordert, seine Leiche zu beseitigen; aber er war nicht todt, sondern ist zum Grafen Hernano geschafft worden, wo er Alles gestanden hat. Ob er dann an seiner Verwundung gestorben ist, ob er noch lebt und sich in Gefangenschaft befindet, weiß ich nicht. Ich könnte mich seiner auch nicht annehmen, denn ich muß schleunigst fort. Habt Dank für die Schüsse; sie kamen zur rechten Zeit!«

»Wo wollt Ihr hin?«

»Fort aus dem Lande,« erwiderte er mit vorsichtiger Zurückhaltung.

»Jedenfalls zunächst nach Vera Cruz! Geht nicht direkt, Sennor, sondern über Jalapa, das ist sicherer. Und wenn Ihr hinkommt, so sucht meinen Vetter Saldano auf, er hat eine Wirthschaft am Hafen, kennt unser Handwerk und wird Euch alle Hülfe leisten.«

»Ich werde ihn aufsuchen.«

Er war zu dem Pferde des Unteroffiziers getreten und öffnete die Satteltasche. Sie enthielt neben dem Aktenhefte seine Börse und alle Gegenstände, die man ihm abgenommen hatte.

»So, jetzt komme ich wieder zu dem Meinigen. Als Reisegeld wird es ausreichen, und diese hübschen Bogen müssen wir verschwinden lassen.«

Einer der Bravero's reichte ihm ein Zündhölzchen. Die Akten gingen in Flammen auf; dann bestieg er das Pferd des Unteroffiziers.

»Lebt wohl, Sennores, und macht auch fernerhin gute Geschäfte. Mich aber bekommt Ihr nicht wieder zu sehen!«

»Lebt wohl! Nach Eurem Bruder werden wir uns erkundigen. Lebt er noch, so sollen sie ihn nicht länger behalten, als wir es für gut befinden. Die Empressarios aber müßt Ihr Euch nun wo anders holen!«

»Der Teufel soll sie holen; ich mag sie nicht!«

Er nahm die Zügel auf, setzte die Sporen ein und flog davon. Er kannte die Gegend von früheren Zeiten her und kam also nicht in Gefahr, seinen Weg zu verfehlen. – –

[598]

5. Schluß

V.

Schluß

Der brave Franzisko Saldano war in ganz Vera Cruz als ein höchst frommer Mann bekannt, besuchte täglich zweimal die Messe und wußte so gottesfürchtig zu reden, als habe er die Studien seiner Muttersprache im Monasterio San Joseppo zu Quadalajara gemacht. Aber ebensogut wußte man, daß er nebst dem Himmel einen vollen Säckel liebte und nicht gern eine Gelegenheit vorübergehen ließ, diese Fülle zu vergrößern. Wenn er hinter dem Buffet thronte und die Bedienung seiner Gäste leitete, sah er sehr darauf, daß Alles fein hübsch still und säuberlich zuging und ja kein allzu kräftiges Wort sich hörbar machte. Zwar genirte dies so manchen Besucher seines Lokals gewaltig, aber man kam dennoch gern, denn man konnte sich auf seine Frömmigkeit und Menschenliebe in jeder Noth verlassen, wenn man nur nicht vergaß, daß eine Hand die andere zu waschen hat. In rechter Würdigung des Bibelwortes: »Laß Deine Linke nicht wissen, was die Rechte thut!« frug er nie, wem er eigentlich seine Hülfe gewährte. Jeder Mensch, der sie begehrte, war sein Nächster, und die Religion gebot ihm ja, sie Niemandem zu versagen, natürlich unter der Voraussetzung, daß er sich selbst der Allernächste sei.

Es war gegen Abend. Er stand in höchst mürrischer Laune am Fenster und blickte hinaus auf den Hafenplatz. Kein einziger Gast saß in dem Zimmer, und kein Mensch ließ sich sehen, der die Ausfüllung dieser Leere beginnen wollte.

»Ein flauer Tag, ein außerordentlich flauer Tag, nämlich für mich, obgleich er für die Seeleute gerade das Gegentheil ist,« brummte er. »Die Ebbe ist da, der Wind bläst aus Südwest, und Alles, was Segel hat, benutzt diese Gelegenheit, den Hafen zu verlassen. Wer hat da Zeit, zu Franzesko Saldano zu gehen, der auf Gäste lauert, wie eine hungrige Spinne auf Fliegen. Sogar die ›Union,‹ die erst kürzlich hier die Anker warf, scheint in See stechen zu wollen, obgleich ich ihr für den fortgelaufenen Matrosen noch keinen Ersatzmann schaffen konnte. Sie hat schneller geladen, als der Kapitän dachte.«

Da vernahm er Pferdegetrappel, welches vor der Thür erklang und gleich darauf trat ein Fremder in das Zimmer.

»Kommt man hier recht zu Franzesko Saldano?« frug er.

»Der bin ich, Sennor. Aber sagt, ist Euch die fromme Sitte des Grüßens vielleicht unbekannt?«

»Der Teufel hole Eure Sitte! Ich grüße, wenn ich Zeit und Lust habe, und gerade jetzt fehlt mir Beides dazu.«

»Ich muß Euch sehr mahnen, mich kein solches gotteslästerliches Wort vernehmen zu lassen. Mein Haus ist ein Bethaus; es soll nicht zu einer Lästergrube werden!«

»Betet, so viel Euch beliebt; mich aber laßt damit in Ruhe. Uebrigens, wenn Ihr gern gegrüßt sein wollt, so will ich es thun, und zwar von Eurem Bruder, der mich zu Euch sendet.«

»Von Miguel?« frug der Wirth, jetzt mit halblauter Stimme. »Habt Ihr Geschäfte mit ihm?«

»Ja. Jetzt suche ich eine Gelegenheit, so schnell wie möglich von hier wegzukommen.«

»Ah – hm! Brennt es Euch auf den Nägeln? Ich glaube, Ihr seid da an den rechten Mann gekommen. Was trinkt Ihr, Sennor?«

»Mir ist Alles recht. Bringt nur irgend einen Tropfen, und ein Glas auch für Euch!«

Saldano eilte nach dem Buffet, brachte eine volle Flasche mit zwei Gläsern und nahm damit seinem Gaste gegenüber Platz.

»Es scheint mir gut, daß ich gerade jetzt keine Gäste habe,« begann er, einschenkend. »Was für ein Geschäft hattet Ihr mit Miguel?«

»Das lassen wir unerörtert, mein Lieber. Kennt Ihr den Alkalden von Morelia?«

Saldano machte große Augen.

»Ah – ist's so? Hm, dann könnt Ihr auf mich rechnen! Also Ihr wollt so schnell wie möglich fort. Nach welcher Richtung, Sennor?«

»Nach New-Orleans.«

»Giebts heut und morgen nicht. Eine prächtige Gelegenheit nach Galveston wüßte ich. Von da aus ist's nicht schwer, ein Schiff zu bekommen.«

»Angenommen! Aber mir liegt daran, schleunigst und – versteht mich wohl, Saldano – ohne die gewöhnlichen Chikanen fortzukommen!«

»Das, Sennor, das ist schwierig, und ohne Einiges von dieser Sorte« – er machte die Pantomime des Geldzählens – »wohl ganz und gar unmöglich.«

»Natürlich! Aber ich habe zufällig da in der Tasche drei außerordentlich hübsche Nuggets, die ich der Seltenheit wegen immer bei mir führte. Da, seht sie Euch an! Genügen sie?«

Der Wirth nahm die drei ungewöhnlich großen Goldbrocken in die Hand und wog sie bedächtig.

»Es genügt.«

»Nun, also – –?«

»Wollt Ihr ohne Chikanen fort, so dürft Ihr natürlich nicht Passage nehmen, sondern – – hm, kennt Ihr vielleicht Etwas vom Seedienste?«

»Ich bin früher viel zur See gewesen.«

»Getraut Ihr Euch auf ein paar Tage den Matrosen zu spielen?«

»Wenn's nur das ist, sehr gut!«

»So ist Euch geholfen, Sennor! Seht, da draußen liegt die ›Union,‹ Vereinigte-Staaten-Brigg, Kapitän Williams, ein sehr braver Mann, dem einer seiner Leute davongegangen ist. Er sticht in einer Stunde in See. Wollt Ihr mit ihm?«

»Natürlich. Wohin geht er?«

»Nach Galveston; ich sagte das wohl schon!«

»Gut! aber diese Kleidung – und die Papiere.«

»Hm, ja; das hält schwer. Ich habe allerdings einen alten Matrosenanzug daliegen, den ich Euch aus christlicher Barmherzigkeit anbieten muß, wenn Ihr ihn gegen Eure Kleider umtauscht und eine Wenigkeit zulegt, Sennor.«

»Hier habt Ihr!«

Er schob ein Geldstück hin. Saldano steckte es ein und meinte:

»Es ist sehr wenig, Sennor; aber der Himmel wird mir vergelten, was ich an Euch thue. Kommt heraus!«

Er führte ihn in einen Verschlag, an dessen Wänden verschiedene Kleider und andere bei dem Geschäfte Saldano's nothwendige Requisiten hingen.

»Hier ist Hemd, Hose, Jacke, Strümpfe, Stiefel und Südwester. Zieht Euch um und kommt dann wieder in die Stube!«

Er selbst kehrte dahin zurück und setzte sich mit zufriedenem Lächeln vor die Flasche, welche er in wenigen Augenblicken leerte. Dann kam Wilson herein. Der Anzug war nicht für seine Gestalt gefertigt; Gesicht und Haltung paßten wenig zu demselben.

»Herrlich, trefflich, wunderschön paßt er Euch, Sennor,« schmunzelte Saldano. »Der befahrenste Seemann wird meinen, daß Ihr seit Eurer Jugend nicht vom Wasser weggekommen seid!«

»Und die Papiere?«

»Hm, das ist nun allerdings eine schlimme Sache! Ich habe keine, denn ich würde sie Euch herzlich gern aus altgewohnter Mildthätigkeit schenken; ich bin einmal eine Samariterseele, die gar nicht leben kann, ohne Wohlzuthun und Mitzutheilen. Aber da hat kürzlich ein Maate seine Zettel hier gelassen, und ich getraute es mir am Ende, sie Euch zu leihen, wenn Ihr mir versprechen könnt, sie wiederzubringen.«

»Wann sollen sie wieder hier sein?«

»In vierzehn Tagen – vielleicht auch in so vielen Jahren, wenn es Euch nicht anders möglich ist. Allerdings wird der Mann ein Leihgeld verlangen.«

»Wie viel ungefähr?«

»Ihr wollt nach dem Norden und müßt Euch also nach dem dortigen Kurse richten. Drei Pfund ist billig; das müßt Ihr selber sagen!«

»Saldano, Ihr seid ein Schuft trotz Eurer Frömmigkeit!«

»Gut, so werde ich als ein solcher handeln und sie nur für fünf Pfund hergeben. Greift zu, Sennor, sonst steigt der Preis noch höher!«

»Ich gebe Dir drei!«

»Fünf und keinen Pfennig weniger!«

»Hol' Euch der Henker. Hier ist das Geld!«

»Danke, Sennor! Aber Ihr seht, die Flasche ist leer. Ich muß noch eine holen, um mit Euch auf glückliche Fahrt anstoßen zu können. Zwei Flaschen machen gerade drei Dollars!«

»Hier sind auch diese. Aber trinkt mit wem Ihr wollt, nur nicht mit mir!«

»Ist mir auch recht. Undank ist der Welt Lohn, und der Gläubige muß sich in christlicher Nachsicht üben!«

Er brachte die Papiere. Wilson sah sie durch.

»Sie werden ihren Zweck erfüllen. Aber der Kapitän?«

»Wird Euch nur dann miethen, wenn Ihr einige Zeilen von mir bringt.«

»Schreibt sie!«

»Das ist nicht so leicht, Sennor! Es hat mich Zeit, Mühe [599] und Geld gekostet, diese Kunst zu erlernen. Wollt Ihr noch einen Dollar daran wenden?«

»Auch das noch! Hier habt Ihr ihn; aber verlangt ja nicht noch einmal Bezahlung, sonst zeige ich Euch, daß meine Faust härter ist als Euer barmherziger Schädel!«

»›So Dir Jemand einen rechten Backenstreich giebt, von dem laß Dir auch gleich einen linken geben,‹ sagt die Bibel. Mein Gewissen gebietet mir, Euch die Schmähung zu verzeihen. Ich werde Euch die Zeilen sofort schreiben!«

Es dauerte ziemlich lang, ehe er die wenigen Buchstaben zu Papiere brachte.

»So, da habt Ihr den Zettel, Sennor. Und nun macht daß Ihr fortkommt, sonst nimmt die ›Union‹ die Segel auf und geht Euch davon, ehe Ihr zum Wasser kommt!«

Wilson ging. Er ließ das Pferd vor der Thür halten, da er die kostbare Zeit nicht mit einem Handel verschwenden wollte, der ihm von dem Wirthe doch nur eine Wenigkeit eingebracht hätte. In einen Kahn springend, gebot er dem Führer desselben, hinaus nach der Brigg zu rudern. Bei derselben angekommen, schwang er sich wie ein geschulter Seemann mittelst eines herabhängenden Taues an Bord und schritt in ehrerbietiger Haltung auf Williams, der ihm als Kapitän bezeichnet wurde, zu.

»Verzeiht, Kapt'n; ich habe dieses Papier an Euch abzugeben!«

Der Angeredete las die Zeilen und warf dann einen prüfenden Blick auf den Mann. Sein Auge traf die Narbe an der Stirn desselben, und sofort stieg eine naheliegende Vermuthung in ihm auf.

»Eure Papiere!«

Er erhielt dieselben und sah sie durch.

»Frank Holborn aus Wilmington! Die Papiere sind gut, stimmen aber nicht so recht auf die Person. Doch das geht mich nichts an, wenn Ihr nur Eure Arbeit versteht. Sagen muß ich Euch freilich, daß ich streng auf Subordination und Verträglichkeit an Bord halte. Ihr seid wohl kein großer Freund der letzteren?«

»Warum nicht, Kapt'n?«

»Die Narbe hier ist jedenfalls die Folge irgend einer Schlägerei!«

»Erlaubt, Sir! Ich erhielt sie von einem Indianer, als es mir einmal in den Sinn kam, die See auf einige Zeit mit der Prairie zu vertauschen.«

»So, so; das ist etwas anderes. Ich werde Dich an Bord behalten. Geh, sag das dem Maate und mach mit ihm die Heuer richtig. Ich gehe noch auf eine Viertelstunde an das Land; dann nehmen wir die Anker auf.«

Er wandte sich ab und begab sich in die Kajüte.

»Das ist Wilson! Die Person, die Narbe, der Indianer, der ihn verwundet haben soll, Alles stimmt. Er hat die Flucht ergreifen müssen, will sich unter der jetzigen Maske in Sicherheit bringen und ist bei Saldano gewesen, der ihm mit den Papieren ausgeholfen hat. Was thue ich? Ihn der hiesigen Behörde übergeben? Nein. Es wäre doch ein ganz famoser Streich, wenn er nach Stenton gebracht werden könnte! Warten kann ich allerdings nicht, bis Forster kommt; die Ladung ist gestaut und ich muß fort. Nach Galveston darf ich den Menschen auch nicht mitnehmen, da er nur der Justiz der Vereinigten Staaten ausgeliefert werden soll. Ja, so geht es, ich setze ihn an einer der öden Mississippiinseln ab, und gebe Forster Nachricht, ihn dort wegzunehmen. Ich muß zwar einen Umweg machen; aber wenn ich die westlichste wähle, so ist er nicht bedeutend. Auch liegt diese so außer Kurs, daß er sicher von keinem Schiffe aufgenommen wird und von Forster leicht zu finden ist.«

[600]

[612] Er setzte sich an den Tisch, brachte sein Vorhaben zu Papiere und begab sich dann an das Land, um den Brief eigenhändig im Zollhause zu übergeben. Dies war der einzige Ort, wo er sicher an den Adressaten gelangte.

Sofort nach seiner Rückkehr an Bord ließ er die Anker lichten und das Tuch aufziehen. Die »Union« stach in See.

Das Wetter hielt sich ausgezeichnet; der Wind blieb günstig, und die Fahrt war eine so schnelle, daß man bald die Höhe von Galveston erreichte. Da trat Williams zum Maate.

»Wie gefällt Euch Helborn, der neue Mann?«

Der Gefragte warf, ehe er Antwort gab, seinen Kautabak erst einige Male im Munde hin und her.

»Der, Sir? Er wird früher vielleicht einmal zur See gewesen sein, ist aber aus der Uebung gekommen.«

»Das sieht man. Und sonst?«

»Und sonst? Geht mich eigentlich nichts an; aber verlieben könnte ich mich in den Kerl nicht. Er hat kein gutes Auge.«

»So haltet ein wenig mehr nach Lee. Ich werde ihn absetzen.«

»Absetzen, Sir? Wo?«

»An der westlichsten Mississippibank.«

»Hm, Sir; ich darf Euch nicht fragen, warum Ihr so Etwas thut, aber es scheint mir, daß es nur nach Empörungen an Bord geschehen darf.«

»Richtig. Dennoch aber habe ich einen Grund, der mich vollständig rechtfertigt. Ihr kennt Mr. Forster und Mr. Summerland, die mit uns fuhren, um einen Raubmörder zu verfolgen?«

»Ayo, ayo, Sir! Warum sollte ich nicht?«

»Nun, dieser Mann ist ihnen entkommen und nennt sich hier an Bord Frank Holborn aus Wilmington.«

»Alle Wetter, Sir, ists wahr?«

»Ich bin meiner Sache vollständig sicher und habe Mr. Forster aufgefordert, ihn an der Bank aufzunehmen.«

»Das ist allerdings etwas anderes. Der Mensch erhält sein Recht, und ich werde einige Linien vom Winde abfallen.«

Die »Union« warf den Bug nach Ost hinüber. Die Mannen wunderten sich zwar über diese unerwartete Veränderung des Kurses, frugen aber nicht. Gegen Abend wurde ein langer, niedriger Streifen Landes sichtbar. Es war die Bank, welche Williams gewählt hatte. Er ließ Wilson vor sich treten.

»Frank Holborn, mache Dich fertig, von Bord zu gehen!«

»Was soll ich am Lande, Kapt'n?«

»Mich begleiten.«

Der Kapitän wollte die Angelegenheit ohne Aufregung zu Stande bringen und befahl, ein Fäßchen Wasser und einige Lebensmittel in das Boot zu nehmen, welches er mit Holborn ganz allein bestieg. Die »Union« hatte beigedreht; das Boot stieß ab und hielt auf die Bank zu.

»Es ist nothwendig,« meinte Williams während des Ruderns, »ein kleines Proviantdepot hier anzulegen. Ich halte das Boot, und Du bringst die Sachen an das Land!«

Sobald man landete, trug Holborn das Fäßchen auf das Trockene und holte dann auch das Säckchen Schiffszwieback. Er hatte keine Ahnung von der Absicht des Kapitäns und wunderte sich, nun zurückkehrend, sehr, daß dieser das Ruder einstemmte und das Boot vom Lande stieß.

»Müssen wir die Sachen nicht besser bergen, Kapt'n?«

»Nein, denn das Depot ist nur für Euch, Master Wilson. Ich brauche keinen Räuber und Mörder an Bord; darum bleibt Ihr hier zurück. God bye!«

Wilson taumelte bei diesen Worten zurück; er war unfähig, einen Laut hervorzubringen, und als sich der erste Hülferuf von seinen erbleichten, zitternden Lippen rang, befand sich das Boot bereits außer Hörweite. Jetzt ballte er die Fäuste und erhob sie gegen das die Segel wieder blähende Schiff. Seine Flüche und Verwünschungen verhallten in der weiten Oede, in welcher er als das einzige menschliche Wesen zurückbleiben mußte. – –

Die Post war von Mexiko in Vera Cruz angekommen; ihr entstiegen außer einigen Eingeborenen Forster, Summerland und Sarah.

»Gott sei Dank,« meinte der Zweite, »daß wir diesen elenden Kasten endlich überwunden haben. Mich bringt kein Mensch wieder [612] in eine solche Jammerarche; das ist so sicher wie meine Mütze! Aber was nun, Sir?«

»In den Gasthof zunächst. Dann aber müssen wir uns sofort nach Wilson umsehen. Er ist auf jeden Fall hierher gegangen, um zu Schiffe das Land zu verlassen. Wir müssen also jedes Fahrzeug besuchen, welches sich segelfertig macht.«

»Warum soll ich da erst in den Gasthof? Ich werde die Nachforschung sofort beginnen, Sir. Sagt mir nur, wo ich Euch finde!«

»Gleich hier in diesem Hause. Es scheint allerdings ein sehr gewöhnliches zu sein, aber das ist gleichgültig. Ich führe Sarah auf ihr Zimmer und gehe dann auf das Zollamt, damit uns nichts im Wege steht, wenn wir etwa schnell abreisen müßten.«

Summerland wandte sich dem Hafen zu. Forster sorgte zunächst für die Terzerone und begab sich dann nach dem Zollhause. Kaum hatte er seinen Namen genannt, so frug der Beamte:

»Ist Euch vielleicht ein Kapitano Williams bekannt, Sennor!«

[613] »Ja. Ich bin auf seinem Schiffe hier angekommen.«

»So gehört Euch dieser Brief, den er vor der Abfahrt hier zurückgelassen hat.«

Forster öffnete und las ihn. Ein Blitz der Freude zuckte über sein Gesicht.

»Giebt es vielleicht ein Fahrzeug im Hafen, welches bald nach New-Orleans geht?« frug er.

»Der Dampfer ›Manhattan,‹ Sennor, geht noch heute ab. Ein gutes Schiff, fast neu, und ein vortrefflicher Kapitano! Er geht hinauf bis Memphis und Kairo, hält aber natürlich auch in New-Orleans.«

»Nichts konnte besser passen als diese prächtige Gelegenheit, und Forster eilte sofort auf das Quai, um sich zu dem Dampfer rudern zu lassen. Der Kapitän desselben war natürlich zur Aufnahme der drei Passagiere bereit und willigte auch, nachdem er nur das Nöthige gehört und in die polizeilichen Empfehlungen Forsters Einsicht genommen hatte, in den kleinen Umweg nach der Mississippibank.«

»Dieser Mensch ist ja ein wahres Ungeheuer,« meinte er. »Solches Ungeziefer muß man unschädlich machen, Sir, und obgleich ich zu einem Abstecher eigentlich nicht berechtigt bin, werde ich Euch doch zu Diensten stehen. Ich habe unten im Kielraume eine allerliebste kleine Kabine, die so fest ist, daß selbst das beste Widderschiff mir kein Loch in die Wände stoßen würde. Da hinein stecken wir ihn, und bis Ihr meinen ›Manhattan‹ mit einem Arkansassteamer vertauscht, verbürge ich mich dafür, daß er Euch sicher bleibt.«

Es verursachte einige Schwierigkeiten, Summerland zu finden. Als dies geschehen war, holten die beiden Männer die Terzerone, und bald verschwanden die Häuser von Vera Cruz und die Mauern von San Juan de Ulloa hinter dem über die Fluthen dahinbrausenden Dampfer.

Da trat Summerland mit geheimnißvoller Miene zu Forster.

»Sagt einmal, Sir, ob wir jetzt auf hoher See sind!«

»Natürlich!« lächelte Forster über die eigenthümliche Einleitung.

»Well! So habe ich Euch dieses Ding da zu übergeben.«

»Von wem?«

»Von der Gräfin Hernano. Als wir Abschied von ihr nahmen, zog sie mich bei Seite und meinte, es sei für Eure mächtige Zauberin; ich sollte es Euch aber erst übergeben, wenn wir uns auf hoher See befinden.«

Forster öffnete das kleine, zierliche Paketchen. Es enthielt ein Etui, aus dessen Innern ihm ein schmaler, feiner Goldreif entgegenblitzte, der in seiner Rosette einen großen, höchst werthvollen Diamanten umfaßte. Er hatte den Ring an der Hand der Gräfin bemerkt und das Feuer des Steines oft bewundert. Es war ein kostbares Geschenk der Gräfin für Diejenige, welche das Herz des Geliebten gegen allen Zauber gefeit hatte.

»Und dann steckte mir auch der Graf Etwas zu. Wollt Ihr es haben?«

»Was ist es?«

»Hier dieser große Brief.«

Er gab ihm ein Couvert, welches Forster öffnete. Er betrachtete die inneliegenden Papiere.

»Ist's möglich!«

»Was denn, Sir?«

»Diese Papiere, wenn ich sie annehme, machen mich zum Millionär!«

»Bounce! Dann sage ich weiter nichts als: Nehmt sie an! Was steht denn drin?«

»Es sind die vollständigen rechtsgültigen Besitztitel über zehn Legua's des besten Landes in Texas. Tim, ich bin ganz starr vor Erstaunen!«

»So nehmt Euch in Acht, daß Ihr nicht gar zur Salzsäule werdet wie die Hexe von Endor, damals als Sodom und Gilead unterging! Der Graf ist ein tüchtiger Kerl, Sir; das ist so gewiß wie meine Mütze!«

»Wenn ich dieses mehr als reiche Geschenk annehme, so mußt Du Dein Theil auch haben; das versteht sich ganz von selbst.«

»Ich? Nein, das versteht sich eben nicht ganz von selbst. Wo denkt Ihr denn hin! Tim Summerland, der alte Trapper, ein Farmer und Plantagenbesitzer! Ich säße auf meiner Legua wie der Fisch auf dem Eise und ginge schon in den ersten zwei Wochen vor Langeweile zu Grunde. Die ganze Prairie ist mein, Sir! ich brauche Euer Empressario nicht!«

Es dauerte einige Tage, bis Forster sich an den Gedanken, Besitzer einer solchen Länderstrecke zu sein, gewöhnen konnte. Von einer Zurückweisung des Geschenkes, an die er im ersten Augenblicke gedacht hatte, war natürlich keine Rede; er durfte es ruhig annehmen, da es dem Grafen gewiß nicht das Mindeste gekostet hatte.

Das blaue, durchsichtige Wasser wurde gelber und trüber, ein Zeichen, daß man sich der Mississippimündung nähere. Jetzt hielt der Kapitän nach Nordwest und schickte einen Mann zum Ausguck auf den Masthead. Nach und nach bildete sich vor dem Fernrohre ein dunkler Streifen, der von Minute zu Minute näher trat.

»Das ist die westlichste Insel, Sir!« meinte der Kapitän zu Forster. »Befindet sich der Mensch wirklich dort, so werden wir ihn bald sehen.«

»Ein Mann vor dem Glase!« meldete der Matrose. »Schwenkt die Jacke!«

»Fallt ab nach West, Maate!« kommandirte der Kapitän. »Stopp, Maschinist! Dreht bei das Schiff!«

Ein Boot wurde ausgesetzt, und der zweite Deckoffizier sprang mit vier Ruderern hinein, um den Winkenden zu holen.

»Jetzt macht Euch ein wenig unsichtbar, Sir. Ich will doch einmal sehen, was der Kerl für eine Geschichte erzählen wird, um seine Lage zu erklären! Er wird sich natürlich hüten, von der ›Union‹ zu sprechen, da er dann die Frage erwarten muß, warum diese ihn im Stiche gelassen habe.«

Forster und Summerland zogen sich in die Kajüte zurück. Sobald Wilson an Deck erschien, nahm das Schiff seinen vorigen Kurs wieder auf. Er wurde vor den Kapitän geführt, der ihn mit scharfem Blicke musterte.

»Wer bist Du?«

»Ich heiße Tom Hellword; meine Heimath ist Savannah in Georgia, Sir.«

»Deine Kleidung sagt, daß Du Seemann bist. Wie kommst Du auf diese Bank?«

»Ich fuhr mit dem Klipper ›Jowa‹, bestimmt von Havanna nach Galveston. Der letzte Sturm stieß ihn auf den Grund, und ich ganz allein rettete mich auf die Insel.«

»Und wer rettete das Wasserfaß und den Proviant, den man bei Dir fand?«

»Wilson konnte eine Verlegenheit nicht ganz verbergen.«

»Beides wurde vom Wasser angespült.«

»Sehr gut, mein Lieber! Du bist zu bedauern, daß Du so lang aushalten mußtest. Der letzte Sturm war vor bereits vierzehn Tagen. Wie heißt der Kapitän der ›Jowa‹?«

»Smith.«

»Irrst Du Dich nicht vielleicht in dem Namen? Ich meine, daß Dein Fahrzeug ›Union‹ und der Kapitän Williams geheißen hat. Nicht?«

Der Gefragte schwieg vor Schreck.

»Die ›Union‹ mochte von einem gewissen Frank Holborn aus Wilmington nichts wissen. Kennst Du ihn vielleicht?«

»Nein, Sir. Ich sagte Euch die Wahrheit. Laßt mir einen Platz bei Euch bis New-Orleans; ich werde dafür nach Kräften arbeiten!«

»Den Platz sollst Du haben, doch welchen, das wird sich finden. Geh!«

Wilson begab sich auf das Vorderdeck. War er wirklich gerettet, oder drohte ihm auf dem »Manhattan« vielleicht noch mehr Gefahr als auf der einsamen Mississippibank? Eben wollte er zum Bootsmann treten, um Arbeit zu begehren, da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er wandte sich um und fuhr mit einem Schreckensrufe zurück.

»Summerland!«

»Ja, Tim Summerland ist es, mein sehr ehrenwerther Master Wilson, Molez, Holborn, Hellword, oder wie Ihr sonst heißen mögt! Warum gingt Ihr nur so rasch aus Mexiko weg? Nun haben wir an Eurer Stelle die Grants, zehn ganze Legua's, aus Dankbarkeit dafür, daß wir den Grafen retteten.«

»Zehn – – –«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken, denn sein Auge fiel auf Forster, welcher mit dem Kapitän näher kam. Einige handfeste Matrosen folgten ihnen.

»Master Forster, ist das Euer Mann?« frug der Kapitän.

»Ja.«

»So nehmet ihn, Jungens!«

Die Matrosen traten zu ihm. Er sah, daß Alles verloren sei; seine Erstarrung wich. Eine am Boden liegende Handspeiche ergreifend, sprang er auf Forster zu und holte zum Schlage aus.

»Fahre hin, Schurke! O – – –!«

Die Handspeiche entsank seiner Faust; er fuhr mit der Hand nach der Brust, drehte sich mit hintenüberstrebendem Kopfe einmal um seine eigene Axe und brach dann zusammen. Tim Summerland hatte das Messer gezogen und es ihm in die Seite gestoßen.

»Der hat genug, Sir! Ich werde ihn lehren, mit dem Holze hier auf Euch loszugehen!«

Forster neigte sich über den Gestürzten.

[614] »Du hast gut getroffen, Tim, gerade ins Herz und keine Linie zu weit nach rechts oder links! Er ist todt. Wollt Ihr Euch überzeugen, Sir?«

Auch der Kapitän untersuchte die Wunde.

»Todt. Laßt ihn liegen, bis er kalt ist; dann sollen ihn die Fische haben. Ich werde Euch den Todtenschein ausstellen, Sir, damit Ihr in Stenton beweisen könnt, daß der Kerl aufgehört hat, ehrlichen Leuten gefährlich zu sein!«

Eine Stunde später wurde die Leiche ohne die sonst üblichen Formalitäten über Bord geworfen. Man befand sich bereits im gelben Flußwasser, und die hier häufigen Krokodile schossen bei dem Geräusche des Falles herbei, um ihr Todtengräberamt zu verrichten.

Die Stromfahrt ging glücklich von Statten. An der Mündung des Arkansas verließen die drei Passagiere den »Manhattan« und legten den Rest ihrer Reise auf einem kleineren Steamer zurück. Es war bereits am späten Abende, als sie in Stenton anlangten.

Sarah hatte während der ganzen Zeit eine tiefe Reue gezeigt, so daß Forster beschloß, ihren Fürsprecher bei Mutter Smolly zu machen. Jetzt lehnte sie an der Deckeinfassung; die Thränen der Angst standen ihr im Auge.

»Wo soll ich nun hin, Mylord Forster?« schluchzte sie. »Mistreß Smolly wird nichts mehr von mir wissen wollen.«

»Sie wird Dir verzeihen, Sarah, so wie ich Dir ja längst auch vergeben habe. Du gehst mit zu ihr.«

»Ich habe große Furcht vor ihr, Sir, denn ich bin zu undankbar gegen sie gewesen. Sie war so gut und ich so schlimm!«

»Sie ist auch jetzt noch gut, und Du sollst nicht eher zu ihr, als bis ich mit ihr gesprochen habe.«

Jetzt kam Tim Summerland herbei; er brachte die sämmtlichen Effekten der Drei geschleppt und keuchte unter ihrer Last.

»Macht schnell, Sir, daß wir nun endlich einmal an das Land kommen! Es ist schon Alles hinüber und wir thun gerade so, als ob wir noch dreimal um die ganze Erde herumdampfen wollten. Einmal zur See und nicht wieder; das ist so sicher wie meine Mütze. Ich bin halb todt von dem vielen Wasser!«

Das Haus des Advokaten befand sich in der Nähe des Flusses. Dort angekommen, blieb Summerland halten.

»Wie nun, Sir? Ihr tretet doch mit herein?«

»Heut nicht, Tim. Morgen komme ich, Dich zu besuchen. Behalte meine Sachen jetzt bei Dir; ich werde sie abholen lassen!«

Er ging mit Sarah weiter. Die Druckerei, an welcher der Weg vorüberführte, war erleuchtet. Er hatte sich auf eine Ueberraschung Marga's vorbereitet und trat ein, um ein Gedicht für das Morgenblatt zu übergeben. Es wurde sofort acceptirt.

Im Hause des Bankiers war man zur Ruhe gegangen, wie die dunklen Fenster zeigten, aber bei Mutter Smolly war noch Licht.

»Ich gehe nicht hinein, Sir; ich fürchte mich!« meinte Sarah.

»So warte im Flur bis Du gerufen wirst.«

Er klingelte. Die Wirthin selbst erschien unter der sich öffnenden Thür.

»Wer – – Himmel, Sir, ists möglich!«

Fast wäre ihr vor freudiger Ueberraschung das Licht aus der Hand gefallen.

»Es ist wirklich und also auch möglich, meine beste Mutter Smolly. Habt Ihr meine Zimmer vielleicht anderweit vermiethet?«

»Vermiethet? Wo denkt Ihr hin! Ich hätte sie zehn Jahre lang für Euch reservirt. Aber tretet ein, schnell; Ihr müßt von der weiten Reise ja ganz entsetzlich ermüdet sein!«

Sie führte ihn in den Salon, wo sie erwartungsvoll ihm gegenüber Platz nahm.

»Wie ist es denn gegangen, Sir? Habt Ihr ihn gefunden? Habt Ihr Sarah gesehen? Ich habe in dieser Zeit mehrere Mädchen gehabt, aber alle wieder entlassen müssen.«

»Ich habe ihn gefunden.«

»Wirklich? und Euer Geld?«

»Habe ich wieder, auch die fünfzigtausend Dollars von Master Olbers.«

Sie schlug verwundert die Hände zusammen.

»Das ist ja ganz außerordentlich; das muß ich hören; bitte, erzählt, Sir!«

Er erfüllte ihre Bitte in möglichster Kürze. Als er am Schlusse bemerkte, daß die Terzerone draußen stehe, sprang sie auf und eilte hinaus.

»Sarah!«

»Ma'am!«

»Wirst Du mir wieder fortgehen?«

»Nie!« weinte das Mädchen.

»So bleib und denke daran, daß es nirgends so gut ist wie bei Mutter Smolly!«

Zu Forster zurückgekehrt, berichtete sie ihm von Marga, die täglich herübergekommen sei und nur von ihm gesprochen habe.

Er hörte ihr mit glücklichem Lächeln zu, bat sie, seine Ankunft morgen früh noch zu verschweigen und begab sich dann hinauf in seine Wohnung, wo er bald dem wohlverdienten Schlafe in die Arme sank.

Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Drüben waren die Fenster und die Balkonthür geöffnet. Marga saß, mit einer Arbeit beschäftigt, auf dem letzteren, und er bemerkte, wie fleißig ihre Augen zu seinen Fenstern herüberschweiften.

Da kam auch der Bankier und brachte die Zeitungen. Sie theilten sich in die Blätter und lasen.

»Wie schön sie ist, wie schön, rein und gut! Sie könnte nie eine Gräfin Hernano sein!«

Er machte so schnell wie möglich Toilette, nahm dann das Opernglas und stellte sich beobachtend hinter die Gardinen. Da zuckte sie zusammen; eine tiefe Röthe glitt über ihr schönes Angesicht, die Hand fuhr nach dem Herzen und ihre Augen flogen herüber zu ihm. Im Nu stand er auf dem Balkon und grüßte.

»Papa!« rief sie so laut, daß er es hörte, und erhob zeigend den Arm.

Olbers blickte herüber und sprang überrascht vom Stuhle empor.

»Sir – ah, herüber, herüber, schnell, schnell!«

Forster nickte zustimmend und verließ den Balkon. Drüben kamen ihm Vater und Tochter bereits auf dem Korridor entgegen.

»Willkommen, Master Forster! Kommt nur rasch herein! Wie ists gegangen?«

Er trat ein, zog die Brieftasche hervor und öffnete sie.

»Wollt Ihr einmal diese Papiere betrachten, Master Olbers?«

»Ja. Ah – meine Wechsel und Anweisungen! Ists möglich? Marga, es ist nichts verloren, kein Penny, kein einziger!«

»Auch ich habe mein Geld wieder. Und hier, bitte, lest einmal dies!«

Der Bankier warf einen Blick auf die Bogen, riß sie ihm dann aus der Hand und trat damit zum Fenster.

»Grants, Empressario's, – zehn Legua's! Master Forster, das ist unglaublich, das ist ja ein ganzer Staat, ein ganzes Territorium!«

»Und doch ists wahr! Das Land kostet mich keinen Dollar; ich habe es geschenkt erhalten.«

»Geschenkt? Einen Werth von Millionen? Erzählt, wenn ich es glauben soll!«

Er mußte berichten und that es hier mit der größten Ausführlichkeit. Mit athemloser Spannung hörte man ihm zu. Als er geendet hatte, erhob sich Olbers und faßte seine Hand.

»Master Forster, Ihr seid nicht nur ein Dichter, sondern auch ein ganzer Mann! Marga, wer hätte das gedacht, als wir ihn zum ersten Male trafen! Ihr seid reich, zehnmal reicher als ich, Sir. Wie soll ich Euch danken? Mit Geld kann ich es nicht!«

Da erhob sie sich. Im Vollgefühle des Glückes, welches seine Rückkehr ihr bereitete, überwand sie die weibliche Scheu und trat zu Forster.

»Papa, ich weiß, wie wir ihm danken können. Darf ich Dir es zeigen?«

»Thue es, mein Kind!«

Da legte sie die Arme um den Geliebten und bot ihm die schönen Lippen zum Kusse dar.

»So, Papa! Darf es so sein und so bleiben?«

Der Bankier war so vollständig überrascht, daß er die Antwort vergaß. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür und Tim Summerland trat ein.

»Wer wollte mich besuchen und ist nicht gekommen? Daheim ist er auch nicht, und da – – by god, die haben sich beim Kopfe, da ist der alte Trapper überflüssig!«

Er wollte sich schleunigst zurückziehen, wurde aber von Olbers, der mittlerweile sich in die Gegenwart gefunden hatte, noch rechtzeitig beim Arme ergriffen.

»Bleibt, Master Summerland, denn wir haben Verlobung, jetzt zwar nur unter uns, aber die Sache wird wohl auch noch festlicher arrangirt werden!«

»Verlobung? Na, ich gebe meinen Segen auf der Stelle dazu, denn, Master Olbers, die Zwei da passen zu einander so gut und vielleicht gar noch ein weniges besser wie Jakob und Judith, um die er volle vierzehn Jahre gefreit hat, die Monate und Tage gar nicht mitgerechnet; das ist so sicher wie meine Mütze!« – – –

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TextGrid Repository (2012). May, Karl. Einzelne Erzählungen. Ein Dichter. Ein Dichter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-2EA3-F