[319] Aqua benedetta
Ein geschichtliches Räthsel von Emma Pollmer

1. In Versailles

1.

In Versailles

Ludwig der Fünfzehnte ging im Parke von Versailles spazieren. Während die bevorzugten Herren und Damen seines Hofes in respectvoller Entfernung folgten, hielt sich die Marquise von Pompadour, seine allmächtige Geliebte und eigentliche Gebieterin Frankreichs, dicht an seiner Seite, und die lebhaften Gestikulationen der beiden hohen Personen bewiesen, daß der Gegenstand der Unterhaltung ein für sie außerordentlich interessanter sein müsse.

»Kennen Sie seine Abstammung, Madame?« frug der König.

»Sie ist ein Geheimniß, Sir, über welches er die tiefste Verschwiegenheit beobachtet, und ich glaube, daß selbst Ew. Majestät Fragen hier ohne Erfolg sein würden.«

»Dann hat er Gründe, seine Vergangenheit zu verbergen. Er ist aber trotzdem ein sehenswerther Abenteurer.«

»Der dem Staate von unendlichen Nutzen sein kann,« fügte die Favorite angelegentlich hinzu. »Es scheint sicher zu sein, daß ihm die Fabrikation edler Steine und Metalle wenig Schwierigkeiten verursacht; er hat während der kurzen Zeit seines Hierseins die bewundernswerthesten Kuren vollbracht und besitzt ein Elexir, welches die Einwirkungen des Alters vollständig aufhebt.«

»Also ein Adept, ein Wunderdoctor!«

»Mehr, viel mehr als dies, Sire! Er zeichnet und malt genial, ist Virtuos verschiedener musikalischer Instrumente und spricht außer französisch, englisch, deutsch, italienisch, spanisch, portugiesisch und den sämmtlichen alten Sprachen auch türkisch, arabisch, persisch und chinesisch. Der Mann ist ein Mirakel!«

»Und zwar eins von denen, deren Bewunderung in Enttäuschung übergeht. «

Die Marquise war sichtlich bemüht, die Zweifel des Königs zu beseitigen.

»Gestatten Ew. Majestät, die Gräfin von Gergy zu rufen!« bat sie, und ohne die Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und winkte einer Dame, welche sich im Gefolge befand.

Der längst verstorbene Graf von Gergy war vor fünfzig Jahren Gesandter in Venedig gewesen; die Dame war seine Wittwe.

»Seine Majestät wollen das Nähere über Ihr Zusammentreffen mit dem Grafen von St. Germain in Venedig wissen, meine Liebe. Wollen Sie Ihren Bericht kurz wiederholen!«

Die Gräfin verneigte sich zustimmend.

»Darf ich fragen, wie alt mich Ew. Majestät schätzen?« frug sie.

Der König lächelte über diese Frage, welche eine Dame nur in der sicheren Erwartung eines Complimentes auszusprechen pflegt. Er befand sich bei angenehmer Laune und beschloß, die Gräfin durch eine hohe Ziffer zu ärgern. Er schätzte sie fünfzig, antwortete aber schnell und kurz:

»Sechzig!«

Jetzt war es die Frau von Gergy, welche lächelte.

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[333] »Sire, mein erstes Zusammentreffen mit dem Grafen St. Germain fällt um volle fünfzig Jahre zurück,« antwortete Frau von Gergy, »und damals zählte ich einige Jahre über dreißig.«

»Nicht möglich!« rief Ludwig, im Stillen etwas ärgerlich über die Blöße, welche er sich gegeben hatte. Ein König muß ja Alles wissen; sogar die Verhältnisse Derjenigen, welche sich in seiner Nähe befinden, soll er kennen.

»Ich habe in Bezug auf mein Aeußeres jenes Alter von dreißig Jahren ein volles Vierteljahrhundert hindurch unverändert behalten, und zwar in Folge eines Trankes, welchen mir der Graf von St. Germain damals gab, und selbst als der letzte Tropfen dieses köstlichen Elexirs verbraucht war, hat es seine Wirkung bis auf den heutigen Tag erstreckt; ich bin langsamer alt geworden als Andere.«

»Und der Graf? Er selbst braucht natürlich auch diesen Zaubertrank?«

»Augenscheinlich. Er ist seit fünfzig Jahren um kein Jahr älter geworden.«

»Erzählen Sie uns von Ihrer zweiten Begegnung; sie muß voller Ueberraschung gewesen sein!«

»Ich traf ihn bei Madame,« begann die alte Gräfin mit einer Verbeugung gegen die Marquise, »und glaubte einen dem Vater außerordentlich ähnlichen Sohn vor mir zu sehen. Ich wagte, mich ihm zu nähern, und redete ihn an:

›Haben Sie die Güte, mir zu sagen, ob nicht Ihr Vater gegen das Jahr 1510 in Venedig war!‹

›Nein, Madame,‹ antwortete er sehr gelassen, ›es ist schon viel länger her, daß ich meinen Vater verlor; aber ich selbst wohnte zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts in Venedig. Ich hatte die Ehre, Ihnen dort einiges Interesse einzuflößen, und Sie waren gütig genug, einige Barcarolen meiner eigenen Composition, welche wir zusammen sangen, hübsch zu finden.‹

›Verzeihen Sie, aber das ist unmöglich; denn der Graf St. Germain, den ich damals kannte, war wenigstens fünfundvierzig Jahre alt, und Sie haben jetzt höchstens erst das gleiche Alter!‹

›Madame,‹ sagte der Graf lächelnd, ›ich bin schon sehr alt.‹

›Aber dann müßten Sie ja nahe an hundert Jahre zählen!‹

›Das ist nicht unmöglich!‹

Und nun erzählte er mir eine Menge kleiner, näherer Umstände, welche sich auf unsern gemeinschaftlichen Aufenthalt in den venetianischen Staaten bezogen und von denen nur ich und St. Germain wissen konnten. Sein außerordentliches Gedächtniß erinnerte sich nicht nur der unbedeutendsten Einzelnheit, sondern jedes Wortes, welches damals zwischen uns gesprochen wurde, und um mich gänzlich zu überzeugen, zeigte er mir eine kleine Narbe an seiner Hand, welche dadurch entstanden war, daß er sich einst an meiner Sticknadel blutig riß.«

»Hat er Sie hier besucht?« frug der König.

»Nein, Sir; seine Zeit ist außerordentlich in Anspruch genommen. Aber er gab mir die Erlaubniß, auf eine Minute bei ihm vorzusprechen. Ich that es. Er zeigte mir seine Diamantensammlung und erinnerte mich dadurch wahrhaftig an Aladins Wunderlampe. Sie sind viele, viele Millionen werth.«

»So ist er reich?«

»Ich bin davon überzeugt, obgleich man sich seinen Reichthum auf keinerlei Weise zu erklären vermag. Er hat keine Güter, keine Renten, keine Banquiers, keine feste Einnahme irgend einer Art; Karten und Würfel berührt er nie und dennoch führt er einen großen Haushalt, hat Bediente, Pferde und Wagen und eine ungeheure Menge Edelsteine von allen Gattungen und Farben. Man weiß nicht, was man denken soll!«

»Er ist ein sehr geschickter Charlatan. Man wird ihm vielleicht einmal begegnen!« meinte Ludwig. Er konnte nicht gestehen, daß er diesem »geschickten Charlatan« grad für die jetzige Stunde auf vorsichtige Weise ein Rendez-vous habe andeuten lassen.

Diese Andeutung war verstanden und befolgt worden. Eben als man um ein Bosquet bog, war ein Herr zu erblicken, [333] welcher eine Rose, die er in der Hand hielt, so sorgfältig betrachtete, daß er das Nahen des Hofes nicht zu bemerken schien. Des Königs Auge glitt forschend über die Gestalt des Fremden und leuchtete dann mit zufriedenem Blicke auf. Er hatte den Erwarteten erkannt.

»Wer ist dieser Mann?« frug er dessenungeachtet mit zorniger Miene. »Es soll ja während Unsrer Anwesenheit Niemand Zutritt haben!«

»Sir,« antwortete die Gräfin erstaunt, »es ist der Graf von St. Germain. Er ist gewohnt, mehr als Andere wagen zu dürfen. Gestatten Majestät, ihn vorzustellen?«

Der König nickte zurückhaltend.

»Wir sind geneigt, Uns einige Minuten von ihm unterhalten zu lassen!«

Frau von Gergy trat zu dem wunderbaren Mann, begrüßte ihn und führte ihn dann dem Könige zu. Er war von mittler Größe und elegantem Benehmen, hatte regelmäßige Züge, tiefbraune Gesichtsfarbe und schwarze Haare. Seine Kleidung war einfach, aber geschmackvoll. Der einzige Luxus, welchen er zeigte, allerdings auch ein außerordentlich ungewöhnlicher, bestand in einer großen Menge von Diamanten, welche er an allen Fingern, an der Uhrkette und statt der Knöpfe trug. Die Schuhschnallen allein würde jeder Kenner auf mindestens 200,000 Franks geschätzt haben.

Ludwig begrüßte ihn freundlich, begann aber die Unterredung ohne alle Einleitung:

»Man sagt, Sie seien mehrere Jahrhunderte alt. Ist das wahr?«

»Sire,« antwortete Saint Germain mit jenem Ausdrucke in Stimme und Gesicht, welcher nur Menschen von großem Geiste eigen ist, »ich belustige mich zuweilen damit, nicht glauben zu machen, sondern glauben zu lassen, daß ich schon in den ältesten Zeiten gelebt habe.«

»Doch die Wahrheit, Herr Graf, ist –?«

»Die Wahrheit ist häufig unergründlich.«

»Nach der Versicherung mehrerer Personen, von denen Sie schon unter der Regierung meines Großvaters gekannt worden sind, scheint es aber doch, daß Sie über hundert Jahre zählen.«

»Das wäre ein wenig überraschendes Alter; im Norden Europa's habe ich Menschen von 160 Jahren und darüber gesehen.«

»Ich weiß, daß es deren giebt; aber Ihr jugendliches Aussehen ist es, welches alle Forschungen der Gelehrten über den Haufen wirft. Ich würde mich freuen, den Beweis zu erhalten, daß Sie schon im vorigen Jahrhunderte lebten.«

»Das wird mir sehr leicht sein, Sir!«

Er zog ein in gothischer Art gebundenes Souvenir aus der Tasche, öffnete es und suchte eines der zahlreichen Blätter, welche es enthielt, hervor.

»Wird ein Zeugniß des großen Montaigne genügen, Majestät?«

»Vollständig. Geben Sie das Blatt der Marquise!«

Der Graf folgte diesem Befehle, und Frau von Pompadour las die Zeilen des damals als unübertroffen geltenden Philosophen vor:


»Il n'est homme de bien qui mette a l'examen des lois toutes ses actions et pensées, qui ne soit pendable six fois en sa vie; voire tel qu'il serait dommage et très injuste de punir.

à son ami, le comte de Saint-Germain.

M. Eyquem de Montaigne.« 1


Der erstaunte Monarch griff nach dem Zettel und überzeugte sich, daß Montaigne ihn im Jahre 1580 mit eigner Hand geschrieben habe.

»Merkwürdig, höchst merkwürdig, Graf!« rief er, und auch der Herr von Gontout, der Herzog von Brancas und der Abbé Bernis, welche näher getreten waren, vermochten nicht, ihre Verwunderung zurückzuhalten. »Ich sehe, daß Sie an Edelsteinen nicht Mangel leiden. Vermögen Sie, aus kleinen Diamanten große zu machen?«

»Wer dieses vermöchte, Sir, der würde sicher mit seiner Kunst zurückhaltend sein,« antwortete der Graf ausweichend. »Eher darf man davon sprechen, Perlen wachsen zu lassen.«

»Ist Ihnen dies möglich?«

»Ja. Ich gebe ihnen fünf-, ja zehnfache Größe und verleihe ihnen dabei das schönste Wasser.«

»Haben Sie schon gehört, daß es fleckige Diamanten giebt?«

Ueber die geistreichen Züge des Grafen glitt ein feines, fast schonendes Lächeln.

»Ich habe deren sehr oft selbst welche gehabt. Die Flecke lassen sich fast stets entfernen.«

»Wie, Sie hätten dieses Geheimniß entdeckt, nach dessen Lösung die Kunst bisher vergebens strebte?«

»Die Lösung ist nicht schwer, Sire. Gelang sie Anderen nicht, so lag es nicht an der Kunst, sondern an den Künstlern.«

»Wenn ich nun die Wahrheit Ihrer Behauptung einer Prüfung unterwerfe?«

»Ich werde sie bestehen,« klang es stolz und zuverlässig.

Der König zog einen Diamanten hervor und bewies damit augenscheinlich, daß er auf das Zusammentreffen mit Saint Germain vorbereitet sei.

»Sehen Sie diesen Stein, er würde 4000 Franks mehr werth sein, wenn er rein wäre.«

Der Graf betrachtete den Diamanten aufmerksam.

»Der Fleck ist etwas groß; aber ich werde ihn dennoch fortbringen. Wollen Ew. Majestät den Stein mir anvertrauen?«

»Sie dürfen ihn mitnehmen. Mein Jubelier, der ihn[334] jetzt auf 6000 Franks schätzt, versichert, 10,000 für ihn zahlen zu können, wenn er den Flecken nicht hätte.«

»In vierzehn Tagen gebe ich mir die Ehre, ihn vollständig rein zurück zu bringen.«

»Man wird dann Grund haben, Ihre Geschicklichkeit anzuerkennen. Aber sagen Sie einmal aufrichtig, Graf; man spricht von einem Lebenselixir, von einem Aqua benedetta, welches Sie zu bereiten verstehen, und durch welches Freunde von Ihnen Schutz gegen die Einwirkungen des Alters gefunden haben.«

»Die Natur ist ewig jung, Sire. Wer ihre Lebenskraft zu extrahiren und in den menschlichen Organismus überzuführen versteht, kennt kein Alter. Er kann Tausende von Jahren gelebt haben, ohne davon zu sprechen.«

»Sie weichen mir aus und geben dennoch Ihr Eingeständniß. Wir finden Wohlgefallen an Ihrer Unterhaltung. Lassen Sie sich wiedersehen. Man wird Ihre Gegenwart gern bemerken!«

Mit einem huldvollen Neigen des königlichen Hauptes war der Graf verabschiedet. Er entfernte sich und schritt einer entlegenen Parthie des Parkes zu. Eben wollte er diesen durch einen dort befindlichen Ausgang verlassen, als er einem jungen Manne begegnete, welcher im Begriff stand, einzutreten. Auf dem Gesichte Beider spiegelte sich eine Ueberraschung ab, welche der Graf eher als der Andere zu beherrschen verstand.

»Ah –!« rief der Letztere, und zwar in deutscher Sprache, »da triffst man ja so ganz und gar unerwartet den Herrn Ritter von Schöning oder den Grafen Tzarogy oder wie der eigentliche Name lauten mag! Sagen Sie aufrichtich, mein Herr, mit welcher Magie operirt man in Versailles erfolgreicher, mit der schwarzen oder der weißen?«

Es klang eine unendliche Bitterkeit aus seinem Tone. Der Graf blickte ihm kalt und starr in das erregte Angesicht und frug:

»Herr Baron, wie befindet sich Ihr Vater?«

»Ich danke, sehr wohl! An dem Tage, an welchem Sie ihn ohne Abschied verließen, bemerkte er, daß er sich an den Bettelstab laborirt habe. Ihre Kunst hat ihm Nichts gelassen als die Kugel, mit welcher er besser umzugehen verstand, als mit Gaunern und Betrügern. Der Schuß gelang; es lebt ein Zeuge Ihres Talentes weniger!«

»Es war voraus zu sehen, da er meinen wohlgemeinten Rathschlägen niemals Gehör schenkte. Dennoch thut mir der Fall um Ihretwillen leid. Kann ich Ihnen hier in irgend einer Weise dienlich sein?«

»Ich muß auf Ihre Dienste verzichten, da ich Nichts besitze, um sie mit meinem Ruin bezahlen zu können!«

»Ich bin sehr nachsichtig, mein Herr, aber wahren Sie dennoch Ihre Zunge! Der Graf von Saint Germain, welcher soeben eine vertrauliche Unterhaltung mit dem Könige verlassen hat, fühlt sich keineswegs gezwungen, die grundlosen Malicen des Barons von Langenau ruhig anzuhören.«

»Graf von Saint Germain? Lassen Sie mich Ihnen zu diesem neuen Titel gratuliren! Ich habe heut Einiges mit dem Könige zu besprechen und werde nicht versäumen, ihm den Grafen von Saint Germain zur Regelung seiner Finanzen zu empfehlen!«

Mit einer verächtlichen Handbewegung wandte er sich ab und schritt von dannen. Der Graf blieb stehen. Trotz seines braunen Teints war die Blässe zu bemerken, welche sein Gesicht überzog. Nach einigem Besinnen kehrte er, statt durch den Ausgang zu treten, in den Park zurück und ging nach dem Schlosse. Hier erfuhr er, daß die Marquise von Pompadour bereits ihre Gemächer wieder betreten habe. Er war schon öfters bei ihr gewesen, hatte die Erlaubniß zum beliebigen Zutritt erhalten und ließ sich anmelden. Frau von Hausset, ihre erste Kammerfrau, war bei ihr. Die mächtige Dame empfing ihn mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit.

»Willkommen, mein lieber Graf! ich vermuthete nicht, Sie so schnell wieder bei mir zu sehen.«

»Durfte ich Versailles verlassen, Madame, ohne Ihrer Güte zu danken, welche mir erlaubte, den größten Monarchen unseres Jahrhunderts zu sprechen?«

»Diese Güte ist nicht ohne Eigennutz. Man profitirt bei Ihnen durch Unterricht über Außerordentlichkeiten, welche bisher für unmöglich galten. Werden Sie den Diamanten des Königs wirklich von seinen Flecken befreien?«

»Es wird ganz sicher geschehen. Sehen Sie diese Steine!«

Er zog eine Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Es befanden sich Topase, Smaragde, Saphire und Rubine von ganz bedeutendem Werthe in ihr. Frau von Pompadour schlug die Hände zusammen.

»Welch ein Reichthum! Graf, Sie sind wirklich ein Phänomen!«

Er nahm die Bewunderung sehr gleichmüthig hin.

»Diese Schachtel enthält nur die geheilten Patienten aus meiner Sammlung. Sie alle hatten Flecken; ich habe ihnen dieselben genommen. Sie besitzen dadurch einen doppelten Werth. Diese Kleinigkeit mag als Beweis dienen!«

Er warf ein goldenes Kreuz mit grünen und weißen Steinen auf den Tisch. Ein Schmuckhändler hätte wenigstens 1500 Franks dafür gegeben.

»Frau von Hausset, wollen Sie es als Geschenk von mir annehmen?«

»Das kann doch Ihr Ernst nicht sein!« antwortete die Kammerdame, das Kreuz dennoch nehmend und es zur Prob an den Hals haltend.

»Warum nicht? Es ist ja nur eine Bagatelle!«

»Nehmen Sie es immerhin, meine Liebe; der Herr Graf will es ja!« redete die Favorite ihr zu.

[335]

[349] »Sie versprachen mir bei Ihrem letzten Besuche,« sprach hierauf Frau von Pompadour, indem sie sich gegen den Grafen von St. Germain wandte, »noch einmal auf Ihr Aqua benedetta zurückzukommen. Ich hoffe, daß ich keine Fehlbitte thue, denn man hat mir erzählt, daß die kleine, zehnjährige Comteß Lancy 2 schon eine Probe davon bekommen hat.«

»Man hat die Wahrheit gesagt. Ich begleitete einige italienische Arien, welche die Comteß sang, und war von ihr so entzückt, daß ich beschloß, ihr das glückliche Loos der Schönheit, welche sie besitzen wird, zu verlängern.«

»Auch der König hörte von Ihrem Wasser; er wünscht, daß der gegenwärtige Zustand seiner Gesundheit ihm so lange wie möglich erhalten bleibe.«

Der Graf brachte zwei geschliffene Flaçonetten zum Vorscheine, welche mit einer krystallhellen Flüssigkeit gefüllt waren.

[349] »An der Erfüllung dieses Verlangens hängt das Glück einer ganzen Nation. Dieses Aqua benedetta wird Frankreich seinen Monarchen und Ihnen, Madame, Ihre Schönheit und Jugend erhalten.«

Er reichte die Flaçonetten ihr entgegen. Sie griff mit sichtlicher Begierde zu und rief freudig:

»Ich danke Ihnen sehr, mein lieber Freund! Einen Grafen von St. Germain darf man nicht nach dem Preise dieses unbezahlbaren Elixirs fragen. Bestimmen Sie, was ich für Sie thun kann!«

»Der einzige Lohn, den ich begehre, ist Ihr Wohlwollen, Madame, und die Erlaubniß, mit Hülfe der Sterne über Ihnen und dem Könige wachen zu dürfen.«

»Der Schutz Ihres Genius ist uns willkommen. Ich bat Sie ja schon, die Sterne über mich zu befragen. Erhielten Sie eine Antwort?«

»Ich erhielt sie, heut in der Mitternacht.«

»Und wie lautet sie?«

»Sie war klar und offen, so daß ich die Geister der Weltgegenden nicht zu Rathe zu ziehen brauchte. Ich darf sie darum auch offen mittheilen.«

»Nun?«

Die Marquise schien außerordentlich gespannt zu sein.

»Ich sah den Himmel Deutschlands erglänzen; ein großer Stern stieg strahlend in die Höhe, eine kleine Schnuppe flog von ihm ab, schoß über die Grenze herüber und stieß an den Stern Frankreichs. Da troff Blut herab vom Firmamente; es wurde Nacht in den Lüften, und die Erde zitterte unter dem Fußgestampf würgender Cohorden. Ich sah keine Person, ich sah keinen Namen, Madame, ich erblickte nur Thatsachen. Die Sterne haben mich noch niemals getäuscht. Die Lösung ist mir nicht gegeben; ich muß sie Ihnen überlassen.«

Die Marquise war unter der Schminke leichenblaß geworden.

»O, ich weiß, wer dieser Stern in Deutschland ist! Dieser König von Sanssouci glaubt ja, er sei schon längst unter die Himmlischen zu rechnen. Aber die Schnuppe, hatte sie nicht eine Farbe, eine Gestalt, aus welcher sich etwas Sicheres schließen ließe?«

»Ich glaube die Gestalt eines L erkannt zu haben. Doch steht mir der Zutritt in die chambres diplomatiques nicht offen; ich kenne keine Persönlichkeit, auf welche ich eine Hindeutung aussprechen möchte.«

»Meine Ahnung hat mich nicht betrogen! Ein L –? Dieser deutsche Baron von Langenau ist mit einer geheimen Sendung betraut. Seine Physiognomie hat mir gleich vom ersten Augenblicke an einen Widerwillen eingeflößt. Er soll mit dem Könige sprechen; ich werde aber dafür sorgen, daß diese Unterredung nicht stattfindet. Ich vertraue Ihren Sternen. Er mag noch heut' in seine barbarische Heimath abreisen!« – – –

Als sich einige Viertelstunden später Baron von Langenau zur Audienz meldete, ward ihm vom dienstthuenden Kammerherrn die Weisung, seine kostbare Zeit nicht nutzlos in Versailles zu verschwenden; der König werde seiner augenblicklichen Rückkehr nach Deutschland kein Hinderniß in den Weg legen.

Als er seine in Paris gelegene Wohnung betrat, überreichte ihm sein Diener ein duftendes Billet, welches soeben erst hier abgegeben worden war. Es enthielt die wenigen Worte:


»Mein Freund.


Sie werden fortgeschickt. Obgleich meine Tante von dem Urheber dieser Maßregel ein Brillantkreuz geschenkt erhielt, konnte sie es doch nicht unterlassen, mich zu benachrichtigen. Ein Wenig Aqua benedetta ist schuld, daß Ihre Sendung scheitert, und ich habe Sie lieb genug, um Ihnen das Nähere mitzutheilen, wenn Sie vor Ihrer Abreise noch einmal besuchen wollen

Ihre zärtliche

Amély Hausset.«

2. Im Haag

2.

Im Haag

Der Graf d'Affri, französischer Gesandter in den Niederlanden, hatte große Soirée. In den prachtvollen Räumen seiner Wohnung bewegten sich außer den hohen Würdenträgern der Generalstaaten und den Vertretern aller europäischen Nationen eine zahlreiche Menge berühmter oder einflußreicher Privatpersonen, deren Anwesenheit der Versammlung einen weniger diplomatischen Anstrich gab, als sie sonst besessen hätte.

Man hatte die Tafel aufgehoben, an welcher man mehrere Stunden lang den materiellen Freuden des Lebens gehuldigt hatte, und die Anwesenden suchten, in einzelnen Gruppen aufgelöst und in die verschiedenen Zimmer vertheilt, ihren persönlichen oder staatlichen Interessen mittelst einer regen, beliebig angeknüpften und ebenso leicht wieder abgebrochenen Unterhaltung nachzukommen.

Ein junger Mann in einfachem, schwarzem Anzuge durchschritt scheinbar theilnahmlos die Reihen der conversirenden Herren und Damen und gelangte in ein leeres Zimmer, welches die lange Enfilade der Gemächer beschloß. Es war nur spärlich erleuchtet. Er trat an eines der Fenster und blickte, von den weit herabgehenden Gardinen vollständig verhüllt, durch dasselbe hinaus in die abendliche Winterlandschaft.

Da vernahm er nahende Schritte. Zwei Männer traten ein und nahmen auf einem der die Wände garnirenden Sammetpolster Platz. Ganz sicher hatten sie sich zurückgezogen, um irgend einen Gegenstand, der nicht für Jedermanns Ohren war, zu besprechen. Der junge Mann stand schon im Begriffe, aus seinem unabsichtlichen Verstecke, wie es ihm die Ehre gebot, hervorzutreten, als er einen Namen nennen hörte, bei dessen Klange er zu bleiben beschloß. Er hörte, daß der eine der Männer der Graf d'Affri selbst war; der Andre war der berühmte Casanova, der sich durch seine [350] kühne Flucht aus den Bleikammern Venedigs Ruhm erworben hatte, und jetzt von Frankreich nach dem Haag geschickt war, um im Auftrage des Herzogs von Choiseul eine wichtige Geldangelegenheit zu betreiben.

»Ich sage Ihnen, mein lieber Casanova, daß Sie sich mit der Hoffnung, gute Geschäfte zu machen, täuschen werden,« meinte der Graf. »Ich hege viel Theilnahme für Sie und wünsche Ihnen das beste Gelingen, aber der König wird schlecht bedient, die Operationen des General-Controleurs haben die Nation discreditirt und man ist, ich sage es Ihnen offen, auf einen unvermeidlichen Bankerott gefaßt.«

»Das weiß ich Alles sehr genau; aber ich möchte dennoch nicht ganz an dem Erfolge meiner Sendung verzagen. Es mangelt der Regierung an Geld. Ich bin beauftragt, für zwanzig Millionen französischer Staatspapiere, welche der Minister Ihnen geschickt hat, mit einem möglichst geringen Verluste gegen besser stehende ausländische Papiere umzutauschen, eine Manipulation, deren Gelingen mir nicht unmöglich erscheint, da der Minister mir versichert hat, daß der Krieg, welcher unsre Schuldscheine drückt, sich seinem Ende nähere. Die geheimen Friedensverhandlungen sind im vollsten Gange.«

»Ich will diese letztere Thatsache nicht in Abrede stellen; doch geben Sie sicherlich zu, daß ich als Gesandter über unsre politischen Hoffnungen und Befürchtungen vollständiger unterrichtet sein muß als Sie. Die Staatskasse ist geleert, die Flotte vernichtet, unsre Heere sind geschlagen. Der Friede wird kein vortheilhafter für uns sein. Wer jetzt unsre Papiere kauft, muß lange warten, ehe er hoffen darf, sie ohne Verlust verwerthen zu können, und Herr von Benis hat mich beauftragt, Ihnen die zwanzig Millionen nur mit acht Procent Minus zu überlassen. Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß bei einem solchen Angebote Niemand kaufen wird.«

»Ich halte trotzdem meine Hoffnung fest. Wenn der König sieht, daß seine Forderung zu hoch ist, wird er sich zu einer Reduction derselben entschließen; ich hatte heut' eine Conferenz mit Herrn Peels und sechs anderen Compagniechefs. Sie boten zehn Millionen baar, sieben Millionen in fünfprozentigen Papieren und verzichteten außerdem auf zwölfmalhunderttausend Gulden, welche die französisch-indische Gesellschaft der holländischen schuldet; das sind neun Prozent Verlust für uns. Das Gebot scheint mir unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr acceptabel.«

»Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß der König zu diesem Handel in irgend einer Beziehung stehe. Die Politik des ›Oeul de boeuf‹ befindet sich sehr oft und so auch grad gegenwärtig in der Lage, sich der Berechnung ihrer creditirten Vertreter zu entziehen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das ist möglich. Kennen Sie vielleicht den Grafen von St. Germain?«

»Ich habe ihn in Paris bei Frau d'Orfé gesehen. Er besitzt ganz das Aussehen eines außerordentlichen Mannes. Der König schenkt ihm sein Vertrauen und hat ihm sogar eine Wohnung in Chambord eingerichtet.«

»Ah?« rief d'Affri erstaunt. »Dieser Abenteurer scheint vom Glücke bevorzugt zu werden. Wissen Sie, daß er sich hier im Haag befindet?«

»Kein Wort!«

»Er ist im ›Prinzen von Oranien‹ abgestiegen und gerirt sich mit diplomatischer Miene, ohne mich eines Besuches zu würdigen. Ich habe die Art und den Zweck seiner Sendung nicht zu enträthseln vermocht, werde mich aber auch nicht in die Gefahr begeben, mich durch eine Empfehlung bloszustellen, wenn man sich bei mir nach ihm erkundigt.«

»Im ›Prinzen von Oranien‹? Das ist der Gasthof, in welchem auch ich wohne!«

»Dann werden Sie vielleicht mit ihm zu sprechen kommen?«

»Auf alle Fälle, Graf.«

»Darf ich Ihnen die Geschicklichkeit zutrauen, den Zweck seines Hierseins zu erfahren?«

»Ich weiß nicht, ob ich sie besitze; es kommt ja nur auf eine Probe an.«

»Versuchen Sie es. Jetzt aber lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren, man würde uns sonst vermissen!«

Als die beiden Männer sich entfernt hatten, verließ der Lauscher sein Versteck und begab sich in die vorderen Gemächer zurück. Dort trat er zu einem Manne, welcher sich durch eine eigenartige, männliche Schönheit auszeichnete und allein an einem der kleinen Pfeilertischchen saß.

»Verzeihung, mein bester Herr Casanova,« entschuldigte er sich, »daß ich um die Erlaubniß bitte, an Ihrer Seite Platz zu nehmen! Es treibt mich der Wunsch dazu, Ihnen nützlich sein zu dürfen.«

Der berühmte Verbannte Venedigs deutete auf einen vis-à-vis stehenden Stuhl und meinte höflich:

»Die Gesellschaft des Herrn Barons von Langenau ist mir zu jeder Zeit eine angenehme! Auch ich hege den Wunsch, Ihnen dienen zu dürfen.«

»So lassen Sie mich Ihnen den ersten Beweis unserer gegenseitigen freundschaftlichen Gesinnung geben! Ich höre, daß Herr von Choiseul Ihnen die Ordnung einer gewissen finanziellen Angelegenheit aufgetragen hat?«

»So ist es. Ich habe keinen Grund, aus der Sache ein Geheimniß zu machen.«

»Ich möchte gern das Meinige beitragen, Ihnen die Lösung Ihrer Aufgabe zu ermöglichen.«

»Sie würden mich Ihnen dadurch zu lebhaftem Danke verbinden,« meinte Casanova. »Sollte vielleicht wirklich eine positive Unterstützung in Ihrer Macht liegen?«

»Nicht eine positive, sondern eine negative, aber, wie ich hoffe, darum doch keine ganz und gar geringfügige. Ich bin nämlich in der glücklichen Lage, Ihnen ein bedeutendes Hinderniß, welches sich Ihrem Vorhaben entgegenstellt und von dem Sie keine Nachricht zu haben scheinen, nennen zu können.«

[351]

[365] »Ein Hinderniß? Wirklich? Darf ich fragen, worin es besteht, Herr Baron?« fragte Casanova.

»Es heißt Saint Germain,« antwortete der Baron von Langenau.

»Saint Germain? Kennen Sie diesen Mann?«

»Ein Wenig; doch würde ich einem Andern gegenüber wohl kaum Lust haben, dies einzugestehen. Sie kennen die Angelegenheit nicht, welche ihn nach dem Haag geführt hat?«

»Nein,« antwortete Casanova. »Ist sie Ihnen bekannt?«

»Ja. Es handelt sich um nichts Geringeres als hundert Millionen gegen Verpfändung der französischen Krondiamanten. Dies Geschäft möchte der König ohne Einmischung seiner Minister und selbst ohne, daß sie Etwas erführen, machen. Der Graf Saint Germain hält sich für den Mann, es glücklich zu Stande zu bringen, und läßt sich in Folge dieses Selbstvertrauens nicht herbei, dem Grafen d'Affri einen Besuch zu machen.«

»Sind Sie überzeugt, daß Sie mir die Wahrheit sagen?«

[365] »Vollständig; Herr Calcoen, ein Secretair Ihrer Hochmögenden, hat mir das Geheimniß vertraut und mich auch davon benachrichtigt, daß Saint Germain den schönsten der Krondiamanten als Unterpfand deponirt habe. Der Stein soll prachtvoll und vom reinsten Wasser sein. Man ist nicht abgeneigt, auf das Geschäft einzugehen, und Sie sehen ein, mein bester Casanova, daß Sie darunter leiden werden. Wenn man dem Könige hundert Millionen borgt, wird man nicht geneigt sein, Ihre zwanzig Millionen umzuwechseln.«

»Sie haben Recht, und ich bin Ihnen zu großen Danke verpflichtet. Ich verstehe vollkommen den Wink, welchen Sie mir geben wollen, und will Ihnen auch offen sagen, daß die hundert Millionen des Königs mir nicht so sehr am Herzen liegen als meine zwanzig; der Mensch ist ja Egoist. Sie scheinen bereits über diese Sache nachgedacht zu haben; können Sie mir vielleicht einen guten Rath ertheilen?«

»Ein Mann von Ihren Fähigkeiten bedarf des guten Rathes nicht, aber ich werde Sie dem Banquier Adrian Hope vorstellen, welcher die entscheidende Stimme in der Saint Germain'schen Angelegenheit hat und Ihnen in der Ihrigen auf meine Empfehlung hin gern nützlich sein wird. Sodann kenne ich hier einen auszeichneten Chemiker, der ein armer aber ehrlicher Mann ist und sich von dem Aplomb des Grafen nicht im Geringsten blenden lassen wird. Sie verstehen mich?«

»Sehr gut! Er wird den Krondiamanten untersuchen. Wollen Sie mich auch mit ihm bekannt machen?«

»Sobald Sie es wünschen. Er heißt Van Holmen und wohnt hier ganz in der Nähe, für Vertraute ist er auch des Nachts zu sprechen.«

»Wollen wir ihm noch diesen Abend unsern Besuch machen?«

»Ich stehe Ihnen zu Diensten! Ich glaube nicht,« setzte der Baron mit feinem Lächeln hinzu, »daß der Graf d'Affri Veranlassung oder Neigung hat, Saint Germain zu protogiren. Wüßte ich, daß Sie die Neigung dieses Gesandten besitzen, so würde ich darauf hindeuten, daß ein Brief von ihm an den Minister die Pfandanleihe sehr in Frage stellen dürfte.«

»Lassen Sie mich machen, Herr Baron! Der Graf befindet sich über die Sendung Saint Germains im Unklaren; indem Sie es mir möglich machen, ihn zu unterrichten, erweisen wir ihm einen Dienst, der ihn veranlassen wird, sich mir gefällig zu erweisen. Ich werde sogleich mit ihm sprechen!«

Casanova erhob sich, um den ausgesprochenen Vorsatz auszuführen. Der Baron von Langenau blieb mit dem Bewußtsein zurück, dem Grafen Saint Germain die erste Rate für das Andenken an den Park zu Versailles zurückzahlen zu können.

Als die Anwesenden sich zurückzuziehen begannen, entfernten sich auch die beiden Männer. Nach kurzer Zeit standen sie vor der Hinterthür eines kleinen, unscheinbaren Häuschens, aus dessen Schornsteine sie trotz der Nacht einen dichten, dunklen Rauch aufsteigen sahen, in welchen sich zuweilen roth und blau glühende Kunken mischten.

Langenau pochte auf eigenthümliche Art, worauf die Thür sich von selbst öffnete und sich ebenso hinter den Eintretenden wieder schloß. Nachdem sie einen kurzen, engen Flur durchschritten hatten, kamen sie an einen verräucherten, niedrigen Raum, dessen Ausstattung ihn als Labaratorium kennzeichnete. Unter einer Menge von Gläsern, Retorten, Tiegeln und allerlei seltsam geformten Gefäßen kauerte ein kleines, dürftiges Männchen, welches sich um die Eingetretenen gar nicht zu kümmern schien, sondern mit größter Aufmerksamkeit dem Erkalten einer metallischen Flüssigkeit zusah, welche in eine Sandform ausgegossen worden war. Erst als sie sich in Zustande der Erkaltung befand, erhob er sich, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Es geschah einfach und mit Herzlichkeit; er hatte nicht das Geringste von dem Wesen eines Charlatanes an sich.

»Wie kommt es, Herr Baron,« frug er, »daß ich Sie heut' noch so spät bei mir sehe?«

»Ich wollte Ihnen Herrn Casanova vorstellen, der vielleicht nächstens Gelegenheit haben wird, sich für Ihre Kunst zu interessiren.«

»Herr Jacob Casanova aus Venedig?«

»Ja,« antwortete der Genannte. »Sie verzeihen, daß mir der Name Van Holmen nicht unbekannt ist!«

»Sie sind ein Freund der Frau d'Urfé in Paris?«

»Ja. Kennen Sie diese Dame?«

»Ich stehe mit ihr in Briefwechsel. Sie hat mir oft von Ihnen geschrieben. Ich erwarte soeben einen Mann, welchen Sie vor einigen Wochen bei ihr gesehen haben.«

»Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?«

»Der Graf von Saint Germain.«

»Ah!« rief Casanova erstaunt. »Zählen Sie ihn zu Ihren Freunden?«

»Ich? Hm!« schüttelte der Chemiker stolz mit dem Kopfe. »Es giebt Hunderte, die ihn fast wie einen Gott verehren, ich aber halte ihn für einen klugen Quacksalber, der es versteht, aus den Dukaten anderer Leute sechzehn karätiges Gold für sich zu machen. Er ist jetzt hier und benachrichtigte mich durch seinen Diener, daß er mir kurz nach Mitternacht einen Besuch machen werde. Ich bin neugierig zu erfahren, was ihn zu mir führt.«

»Ein glücklicher Zufall,« antwortete der Baron von Langenau. »Grad der Graf ist es, wegen dem wir zu Ihnen kommen. Er ist beauftragt, oder giebt wenigstens so an, die französischen Kronjuwelen gegen die Summe von hundert Millionen zu versetzen, und hat mit der Bitte um sofortige Auszahlung von hunderttausend Gulden den größten der Diamanten zur Caution gestellt. Ich sage Ihnen dies, weil ich weiß, daß Sie verschwiegen sind. Die Freundschaft zwischen diesem Grafen und dem Könige von Frankreich muß eine sehr innige und vertrauensvolle sein.«

»Ja, entweder,« versetzte Van Holmen; »oder ist das Vertrauen des Grafen auf die Naivität anderer Leute ein eben so großes! Ich errathe den Wunsch, welchen Sie mir [366] vorzutragen beabsichtigen; Sie brauchen ihn also gar nicht auszusprechen. Hören Sie, es klingelt! Er wird es sein. Treten Sie in dieses Cabinet; er soll von Ihrer Anwesenheit Nichts merken.«

Er öffnete eine hinter dem Rauchfange verborgene Thür und wies die beiden Männer in ein kleines Kämmerchen, welches von dem Laboratorium nur durch eine dünne Wand getrennt wurde, so daß man jedes Wort, welches in demselben gesprochen wurde, vernehmen konnte. Sie hörten das Geräusch der Thüren und waren dann Zeugen eines zwar kurzen aber interessanten Gespräches.

»Sie sind Van Holmen?«

»Ja.«

»Ich bin der Graf von Saint Germain.«

»So!«

Saint Garmain hatte jedenfalls erwartet, zu imponiren. Das einfache »So« des Chemikers schien ihn zu ärgern.

»Sie haben wohl noch gar Nichts von mir vernommen?« frug er kurz und gestoßen.

»Viel ist es nicht, was ich hörte.«

»So werden Sie desto mehr noch zu vernehmen haben! Ich komme, um ihnen ein gutes Geschäft anzutragen.«

»Worin besteht es?«

»Haben Sie Kenntniß von meinem berühmten Aqua benedetta?«

»Ja.«

»Ich habe dem Könige von Frankreich und der Marquise von Pompadour davon geben müssen; der Vorrath geht zur Neige, und der König bittet mich um Erneuerung. Ich bedarf zur Herstellung des Wassers ein vollständig eingerichtetes Laboratorium, und da ich meine Apparate nicht bei mir führe, so ersuche ich Sie, mir Ihr Laboratorium auf eine Stunde abzutreten. Ich werde den gegenwärtigen Zustand desselben respectiren und biete Ihnen als Lohn für Ihre Gefälligkeit diesen Diamanten an. Ich erhielt ihn in Wien von dem Grafen Zobor; er ist seine 1200 Gulden werth.«

»Und die Ingredientien zu dem Aqua benedetta?«

»Habe ich hier in der Manteltasche bei mir.«

»Ich stehe Ihnen zu Diensten, da ich mit meiner Beschäftigung grad jetzt zu Ende bin, und werde Sie mit meiner Einrichtung hier vertraut machen.«

Es erfolgte die versprochene Instruction, welcher Van Holmen hinzufügte:

»Jetzt werde ich Sie verlassen; schalten Sie nach Belieben. Sobald Sie meiner bedürfen, ziehen Sie an dieser Glocke!«

Eine Thür ging und ward hörbar von innen verschlossen. Nach kurzer Zeit öffnete sich eine in dem Boden der Kammer angebrachte Fallklappe, und aus ihr stieg der Chemiker empor, welcher lächelnd den beiden Andern Schweigen winkte.

»Er fabricirt sein Universal-Lebenswasser,« flüsterte er. »Ich werde ihn beobachten!«

Er zog einen Stuhl an die Wand, stieg auf denselben und öffnete vorsichtig einen unter der Decke in der Scheidewand angebrachten Ventilator. Durch die entstandene Oeffnung war es möglich, einen Blick in das Laboratorium zu werfen. Er stand eine geraume Weile auf seinen Posten, ehe er herunter stieg.

»Nun?« frugen die Andern neugierig.

»Nichts. Er beguckt sich die Töpfe und Tiegel. Sein Aqua benedetta ist, ich bin davon überzeugt, eine ganz harmlose Mischung von Wasser mit irgend einem wohlriechenden Stoffe. Sein Besuch hat nur den Zweck der Reclame; aber es ist möglich, daß dieses Aqua benedetta für ihn zu Aqua maledetta wird. Ich meine sehr, daß er einen großen Fehler begangen hat, mir den angeblichen Diamanten des Grafen Zobor zu schenken. Ich werde denselben einer Analyse unterwerfen. Ich hoffe, Sie werden mich bis dahin nicht verlassen.«

»Wir bleiben. Es liegt in unserm Interesse, das Resultat Ihrer Untersuchung zu vernehmen.«

Einige Stunden vergingen doch, ehe Saint Germain klingelte. Van Holmen verschwand augenblicklich durch die Fallthür und betrat darauf das Laboratorium.

»Ich bin fertig,« meinte der Graf, »und Ihre Bezahlung haben Sie. Darf ich wiederkommen? Ich habe einige wichtige und complicirte Operationen vorzunehmen, welche eine längere Zeit erfordern als ich sie heut brauchte. Doch wird meine Anwesenheit Ihnen keinerlei Nachtheil bringen.«

»Kommen Sie wieder, und bedienen Sie sich meiner Apparate nach Belieben!«

Der Graf entfernte sich. Der Chemiker ließ die beiden Männer wieder zu sich eintreten.

»Der Vorwand des Aqua benedetta diente als Einleitung. Wer weiß, welche chemischen Prozesse er vorzunehmen hat, die mit seinen hundert Millionen in Beziehung stehen. Jetzt aber werde ich vor allen Dingen den Diamanten prüfen.«

Er schürte das bereits ausgegangene Feuer von Neuem an, füllte verschiedene Gefäße mit eben so verschiedenen Ingredientien und unterwarf den Stein einem Verfahren, zu welchem selbst Casanova, der sich guter Kenntnisse in der Chemie rühmte, die Einsicht fehlte. Die Prozedur nahm eine lange Zeit in Anspruch; der Morgen war längst angebrochen, als sie zu Ende ging. Die zwei Zuschauer befanden sich in einer außerordentlichen Spannung, denn das Ergebniß dieser streng wissenschaftlichen Untersuchung mußte auf ihr Vorhaben von bedeutendem Einfluß sein.

»Ich bin fertig!« entschied endlich mit triumphirender Miene Van Holmen.

[367]

[381] »Ich würde wenigstens die Steine erst einer strengen Prüfung unterwerfen,« sagte Casanova.

»Ah –! Halten Sie dieselben nicht für ächt?« frug erstaunt der Banquier Hope.

»Ich kann Nichts behaupten, doch wir kommen soeben von einer solchen Prüfung, die allerdings ein für den Grafen sehr ungünstiges Resultat ergeben hat.«

Er erzählte den Vorgang bei Van Holmen. Hope hörte ihn mit gespanntester Aufmerksamkeit bis zu Ende. Es folgte eine sehr bewegte Unterredung, an deren Ende die Drei mit der Versicherung des strengsten Stillschweigens auseinander gingen.

»Ich glaube, wir gehen einem Siege entgegen,« meinte Casanova. »Wenn Sie mir in dieser Weise die Hindernisse beseitigen helfen, Herr Baron, so beginne ich allerdings zu glauben, daß ich mein Geschäft zu Stande bringen werde.«

»Ich wünsche es Ihnen, muß aber allen etwa reservirten Dank zurückweisen, da ich dem Grafen gegenüber weniger für Sie als in meinem eigenen Interesse handle. Ich bin ihm eine Revanche schuldig.« – – –

Einige Tage später erhielt der Graf Saint Germain folgendes Billet:


»Der König von Frankreich hat durch den Herrn Grafen d'Affri, seinem Gesandten hier, Ihre Auslieferung verlangt. Der deponirte Krondiamant ist untersucht und als Composition erkannt worden. Er wird behalten werden, bis ihn der König selbst reclamirt. Aus Schonung gegen den Letzteren wird Ihnen Zeit zur schleunigen Abreise gelassen. Ein Freund des Schreibers läßt Ihnen sagen, ein Wenig Aqua benedetta sei schuld, daß Ihre Sendung scheitert. Denken Sie an den Baron Langenau und an den Abend bei Van Holmen.

Zwei Stunden nach Empfang dieses Billet wird man kommen, Sie zu arretiren.

* * *«


Als der abgesandte Polizeicommissär kam, fand er den Grafen bereits abgereist. Die Verfolgung wurde nur höchst lässig betrieben, und so erfuhr man nach wenigen Tagen, daß Saint Germain sich in Sicherheit befinde. Er war über Nymwegen und den Kanal nach England gegangen.

3. In Eckernförde

3.

In Eckernförde

Der Prinz Karl von Hessen-Kassel, dänischer Feldmarschall und Statthalter der Provinzen Schleswig und Holstein, saß in seinem Polsterstuhle, auf den ihn das leidige Podagra bannte, und blätterte sehr eifrig in alten, vergilbten Manuscripten herum. Dabei blickte er von Zeit zu Zeit unruhig nach der Uhr; er schien irgend Jemanden ungeduldig zu erwarten.

Endlich meldete der Kammerdiener zwei Männer, welche auch alsbald eintraten und von dem Prinzen mit ausgezeichneter Höflichkeit empfangen wurden. Es war der dänische Legationsrath Morin und der Graf von Lamberg, welcher Letzterer von dem Ersteren vorgestellt wurde.

»Herr Graf,« meinte der Marschall verbindlich, »Ihre Gegenwart ist mir angenehm, denn sie bietet mir Gelegenheit, zu beweisen, daß ich den berühmtesten Mann dieses Jahrhunderts schon seit langen Jahren unter meinem Dache beherberge. Der Graf von Saint Germain befindet sich augenblicklich in meiner Bibliothek. Er wird heut' Nacht [381] Punkt zwölf Uhr zwei Aufgaben lösen, an denen die Magie und Scheidekunst schon seit Jahrtausenden vergebens gearbeitet hat. Sie kommen zur guten Stunde, und ich lade Sie ein, Augenzeuge unseres Triumphes zu sein.«

Der Graf verneigte sich dankend.

»Der Graf, den ich als Herrn von Bellamare kennen zu lernen die Ehre hatte, ist ein außerordentlicher Mann, eine Erscheinung, die sich aller unserer Berechnung entzieht.«

»Wo trafen Sie ihn zum ersten Male?«

»In Venedig, wo ich Zeuge war, daß ein einfaches Papierschnitzel, welches er einem Bekannten schenkte, von einem Banquier für zweihundert Dukaten eingelöst wurde. Er ließ eine Perle im Werthe von fünf Dukaten binnen acht Tagen so wachsen, daß man ihm sechzig Dukaten für dieselbe bot, und der Baron Stosch versicherte, ihn vor vielen Jahren in Bayonne gesehen zu haben, wo er eine viele Pfund schwere Bleitafel in reines Silber verwandelte. Er hatte seitdem nicht im Allergeringsten gealtert.«

»Haben Sie ihn musiciren hören?«

»Ja, auf dem Klaviere. Er spielt virtuos.«

»Sie werden ihn heut noch mehr bewundern. Ich sehe eine Gesellschaft bei mir, zu welcher auch Sie geladen sind. Er wird sich bei dieser Veranlassung auf der Violine produziren, wie er mir versprochen hat. Seine Meisterschaft ist hier ganz ohne Gleichen. Herr Morin hier, welcher ihn vor neunundvierzig Jahren spielen hörte, versicherte mir, daß seit dieser langen Zeit weder seine Fertigkeit noch sein Aussehen sich verändert habe.«

»Darf man nach dem Namen dieses Manuscriptes fragen?«

»Es ist ein Commendar von Raimundus Lullus, der alle Dunkelheiten des Heber, Roger Baco und Arnauld de Villeneuve aufklärt. Es kostet mich benahe viertausend Thaler; ich habe es von Saint Germain, der seiner Zeit eine bedeutend höhere Summe dafür bezahlt hat.«

»Und welches sind die Aufgaben, die der Graf heute lösen wird?«

»Ein Projectionpulver, welche augenblicklich alle Metalle in das reinste Gold verwandeln, und ein Aqua benedetta, welches nicht nur wie bisher den Einfluß des Alters hebt, sondern auch den durch äußere Einflüsse erfolgenden Tod, z.B. durch Verwundung, zur Unmöglichkeit macht.«

»Dann bin ich wirklich begierig, ob es ihm gelingen wird.«

»Ich bin davon überzeugt. Das Pulver steht schon seit fünf Jahren über dem Feuer; ich mußte immer von einer Zeit auf die andere warten, da die geheimen Stunden niemals mit der Constellation der Gestirne harmoniren wollten, und schon verlor ich die Geduld, als mir der Graf die Versicherung gab, daß heut' um Mitternacht alle astronomischen und magischen Voraussetzungen vorhanden seien.«

»Darf ich mir erlauben,« frug Morin, »zwei Herren mitzubringen, welche mich in diplomatischer Angelegenheit besuchten und sich für Excellenz lebhaft interessiren?«

»Wer sind sie?«

»Der Prinz Paranow und der Baron von Langenau.«

»Bringen Sie die Herren doch ja mit. Den Prinzen traf ich einst in Wien; er ist mir sehr willkommen, und der Baron hat sich als Diplomat ausgezeichnet; ich freue mich, seine Bekanntschaft zu machen.«

»Sie sind Beide mit ihren Damen hier.«

»Die natürlich bei der Gesellschaft sein werden. Sprechen Sie ihnen meine Einladung aus. Man kommt und geht bei mir ohne den Zwang und die Bedenken von Versailles und Potsdam. Ich habe dem Grafen Nichts gesagt von der Versammlung, welche seine Kunst bewundern soll; vielmehr beabsichtige ich, ihn freudig durch die Anwesenheit von alten Bekannten zu überraschen, welche ich eigens zu diesem Zwecke eingeladen habe. Sie werden viel besprochene und sogar berühmte Personen bei mir finden. Wir wollen jetzt den Grafen nicht stören; er hat sich jede Behelligung verboten, da alle seine Kräfte bis Mitternacht in Anspruch genommen sind!«

Der Marschall war ein eifriger Freimaurer und ist noch heute bekannt sowohl durch sein Streben, die stricte Observanz wieder herzustellen, als auch durch seine große Neigung für Mystiker und Geisterseher. Er wußte, daß man seine Freundschaft für den Grafen Saint Germain und seine Freigebigkeit gegen denselben belächelte, und wollte heute einmal eclatant beweisen, daß der Adept keineswegs ein Betrüger, sondern ein Phänomen sei, welches nur deshalb nicht recht gewürdigt werde, weil der Verstand des Uneingeweihten es nicht zu begreifen vermöge.

Die Eingeladenen erschienen Alle. Außer den schon genannten Herren und Damen hatte sich eine reiche Anzahl politisch oder wissenschaftlich ausgezeichneter Personen eingestellt, welche alle mit Spannung auf das Erscheinen des geheimnißvollen Grafen warteten. Dieser hatte bis Mitternacht im Laboratorium gearbeitet und erfuhr erst zu dieser Zeit vom Prinzen, daß er die Beweise seiner Kunst nicht ihm allein, sondern einer ansehnlichen Versammlung wißbegieriger Personen zu liefern habe. Nur nach langem Weigern war er darauf eingegangen. Es wurde ein mit Vorhängen draperirtes Podium im Salon errichtet, auf welchem endlich der Held des Abendes erschien, gehüllt in ein persisches Gewand und begleitet von mehreren Bedienten, welche verschiedene Apparate und eigenthümlich geformte Gefäße trugen. Er hatte das Aussehen eines sehr gut conservirten Sechzigers. Nachdem er die Gegenstände geordnet und den Vorhang zurückgeschlagen hatte, begann er mit tiefer, monotoner Stimme:

»Wer die Theorie der planetarischen Stunden, die Talismane des Polyphilos und des Grafen von Trier kennt und in die Geheimnisse des Artephius und Sandivaye eingedrungen ist, der mag seinen Genius ersuchen, mit mir zum Merkur, vom Merkur zum Monde, vom Monde zum Jupiter und vom Jupiter zur Sonne gehen. Es ist dies der magische Kreis des Zoroaster, der den Saturn und Mars überspringt, und den ich mit schwarzen Charakteren hier auf diese weiße Tafel zeichne.«

[382] Bisher hatte er mit niedergeschlagenen Augen gesprochen. Jetzt erhob er dieselben, ließ sie über die Versammlung gleiten und fuhr fort:

»Ich begrüße Sie im Namen der Genien des Agrippa und umschließe Sie mit dem heiligen Fünfeck des großen Salomo, dessen Kunst, den Tod zu bezwingen, ich heut' von Neuem aufgefunden habe. Hier diese Phiole enthält das neue Aqua benedetta, die herrliche Kostbarkeit, von der es genügt, alle Jahrhunderte einen einzigen Tropfen zu nehmen, um unsterblich, ewig gesund und unverwundbar zu sein. Der erste Tropfen gehört dem Erfinder – –«

Er ließ einen Tropfen der Flüssigkeit in einen mit Wasser gefüllten, goldenen Löffel fallen und sog den Trank langsam ein.

»– – der zweite wird den Mann, bei welchem wir uns befinden und der die heilige Wissenschaft durch so großmüthige Opfer unterstützte, bei ewiger Jugend erhalten; er möge sich mir nahen!«

Der Marschall erhob sich. Saint Germain nahm ihn scharf in die Augen. Bei dieser Gelegenheit fiel sein Blick auf den Mann, welcher hinter dem Prinzen Platz genommen hatte; die Hand, welche den Löffel hielt, zitterte; er fiel zu Boden.

»Halt,« rief er; »es sind finstere Dämonen in meine Kreise gedrungen; der Unglaube hat sich in diesen Raum geschlichen; ich kann nicht weiter!«

Der Vorhang fiel; der Graf raffte von den Apparaten zusammen, was er von ihnen fassen konnte, und entfernte sich. Die Gesellschaft war verdutzt und beobachtete ein minutenlanges Schweigen, welches endlich von einer scharfen, lachenden Stimme unterbrochen wurde.

»Er hat uns erkannt, Baron; er fürchtet sich. Kommen Sie!«

Es war der Prinz Paranow, welcher diese Worte zu dem Herrn Baron von Langenau sprach. Beide traten zum Marschall.

»Excellenz, wollen Sie die Güte haben, uns zu dem sogenannten Grafen von Saint Germain zu begleiten?« frug der Prinz.

Der Angeredete befand sich seinen Gästen gegenüber in großer Verlegenheit; die Aufforderung kam ihm gelegen; er nickte zustimmend und winkte den beiden Männern, ihm zu folgen. In einigen Augenblicken standen sie vor dem Gesuchten.

»Sie kennen mich wohl, Herr Graf?« frug der Baron. »Ich hatte die Ehre, Ihnen in Versailles zu begegnen, nachdem Sie die Bekanntschaft meines Vaters aufgegeben hatten; im Haag war es mir leider nicht möglich, Ihnen meine Aufwartung zu machen, da Sie zu schnell abreisten, desto mehr freut es mich, Sie hier zu sehen und Ihnen diesen Herrn mitbringen zu können, dessen Sie sich vielleicht noch erinnern!«

»Mein Gedächtniß ist Jahrhunderte alt,« antwortet stolz der Graf; »es verläßt mich nie!«

»So werden Sie sich wohl auch des Diamanten erinnern,« meinte jetzt Paranow, »welchen Sie mir in Wien für fünf Tausend Dukaten als ächt verkauften. Er stammte aus Ihrer mit dem Grafen Zobor gegründeten Manufactur und erwies sich als Composition. Sie sind ein Betrüger, Herr von Montferrat, von Bellamare, von Schöning, von Welldone, von Soltikow, von Tzarogy und von Saint Germain. Sie sehen, ich kenne alle Ihre Namen, welche diejenigen eines Schwindlers sind. Sie werden nicht Ehrgefühl genug haben, um Satisfaction zu fordern!«

»Ich habe Nachsicht genug, um mich durch die Raisonnements eines Unsinnigen nicht aus der Fassung bringen zu lassen!«

»Beim Teufel, Graf, das wäre schändlich!« meinte der Marschall. »Nach dem, was dieser Herr Ihnen gesagt hat, müssen Sie sich mit ihm schlagen. Ich müßte sonst auf Ihre Gesellschaft verzichten.«

»Gut; aber wenn ich es thue, so geschieht es nur aus Rücksicht auf Sie, Excellenz.«

»Excellenz risciren dabei Nichts,« lachte Paranow höhnisch. »Der Graf bleibt Ihnen erhalten; er hat einen Tropfen seines Aqua benedetta getrunken und ist unverwundbar.« –

Die vier Männer blieben längere Zeit von der Gesellschaft abwesend. Nur drei von ihnen kehrten zurück; der Graf blieb unsichtbar.

Beim ersten Morgengrauen hörte man draußen zwischen den Dünen zwei Schüsse krachen, und einen Tag später verbreitete sich die Nachricht, daß der berühmte Graf Saint Germain plötzlich gestorben sei. Seine Anhänger glaubten, sein Geist habe nur eine neue Wandlung angetreten; der Graf hatte immer von seiner Apostasie gesprochen. Seine Gegner waren anderer Meinung.

Zu den Letzteren gehörten jedenfalls die zwei Männer, welche einige Tage nach seinem Tode in einer Postkalesche die Stadt verließen. Sie unterhielten sich von ihm. Zwei Damen saßen bei ihnen.

»Er hatte wirklich Angst vor mir,« meinte der Eine. »Er schoß fehl; meine Kugel drang ihm grad in die Brust. Sein Erbe gehört dem Marschall.«

»Es wird wenig genug sein,« fügte der Andere hinzu; es war der Baron von Langenau, »ein Stück vergoldetes Blei und ein Fläschchen mit Aqua destillata!«

»Welches dieselbe Wirkung haben wird, die das berühmte Aqua benedetta bei Ludwig dem Fünfzehnten und der Frau von Pompadour gehabt hat, nämlich keine.«

Die Sprecherin war die Baronin von Langenau, jene Nichte der Frau von Hausset, welche ihrem jetzigen Manne in Paris das aufklärende Billet mit der Unterschrift »Ihre zärtliche Amély Hausset« geschrieben hatte.

[383]

[Fußnoten]

1 »Es giebt keinen Menschen, der bei gesetzlicher Prüfung seiner Handlungen und Gedanken sich nicht wenigstens sechs Mal hängenswerth fände; es ist daher schade und sehr ungerecht, zu strafen.

Seinem Freunde, dem Grafen von Saint Germain.

M. Eyquem de Montaigne.«

2 Sie ist dasselbe Mädchen, welches später als Frau von Genlis so berühmt wurde.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Einzelne Erzählungen. Aqua benedetta. Aqua benedetta. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3117-1