1.
Der Blößenförster befand sich in einer fürchterlichen Aufregung. Gestern Abend mit der Büchse ausgegangen, war er erst jetzt am Spätnachmittage ohne dieselbe nach Hause gekommen, hatte das bereitstehende Mahl nicht angerührt und ging mit raschen, energischen Schritten, zornig gestikulierend und in kräftigen Ausdrücken seinem Grimme, Luft machend, im Zimmer auf und ab.
»Nein, so etwas ist wahrhaftig unerhört, ist noch nimmer dagewesen, ist eigentlich reinweg unmöglich! Hier ist ja kein Mensch, kein Wild und keine Fliege mehr sicher; Alles putzt er weg, der verwünschte Wilderer, der ›Samiel‹, wie sie ihn überall nennen, und ich kann mir die Füße ablaufen, mich Tag und Nacht auf die Lauer legen, – ich erwische ihn doch nicht, ja, ich bekomme ihn gar nicht einmal zu sehen!«
Die beiden Frauen, welche in der Fensternische saßen, beobachteten ein sorgfältiges Schweigen; sie wußten, daß jeder Versuch, ihn zu beruhigen, seinen Aerger nur steigern werde.
»Und was das Schlimmste ist,« fuhr der Zornige fort, »ganz allein mein Revier wird von ihm heimgesucht; die Nachbarn verschont er ganz und gar, sie stehen an der Grenze, stecken die Hände in die Hosen und lachen mich aus über die Vorwürfe, welche ich fast Tag für Tag zu hören bekomme. Erst gestern war der Oberförster hier und meinte endlich, wenn das nicht anders werde, so müsse ein Mann her, der sich besser auf die Forstpolizei verstehe als ich. Ist das nicht gleich zum Närrischwerden? Schießt mir dieser Kerl noch so einen der seltenen Zwölfender weg, wie heute Nacht, so fahre ich aus der Haut!«
Er zog das blauleinene Sacktuch aus der Tasche und wischte sich die glühende Stirne.
»Da höre ich heut Nacht, während ich draußen umherspürte, einen Schuß; ich stürme so schnell durch die Büsche, daß mir die Aeste das Gesicht wund schlagen, und sehe auf der freien Stelle am Waldwasser den schönsten Zwölfer liegen. Der Mond scheint hell vom Himmel, damit ich ja Alles deutlich sehen und mich gehörig ärgern soll, aber den, der geschossen hat, den erblicke ich nicht. Plötzlich erhalte ich einen Schlag über den Kopf, daß mir die Sinne vergehen, und als ich wieder aufwache, bin ich an den Baum gebunden, der Zwölfer liegt noch an seinem Platze, aber meine Büchse ist fort. So eine Schande! Ich hätte mich selbst ohrfeigen können, wenn die Hände dazu frei gewesen wären. Rufen durfte ich nicht, sonst war ich ja blamirt für alle Zeit und Ewigkeit, und so blieb ich den ganzen Tag am Baume, bis es mir vorhin endlich gelang, mich loszureißen. Und als ich nachher in die Tasche greife, steckt ein Zettel darin mit der Quittung für die Büchse und der Bemerkung, daß mein Nachfolger sie zum Angebinde erhalten solle, sobald ich von der Stelle gejagt worden sei. Das muß man erleben, ohne vor Wuth gleich zu zerplatzen! Ich habe stets meine Pflicht gethan, jetzt thue ich fast noch mehr, fast über die Gebühr, und doch muß ich von der Stelle, wenn ich den Samiel nicht erwische, der mir den Wildstand freventlich zu Grunde richtet und wie ein Geist niemals zu treffen und zu greifen ist!«
Er riß ein altes, sichtlich wenig in Gebrauch gewesenes Gewehr von der Wand und stieß es mit dem Kolben auf den Boden, daß die Diele krachte.
»Meine Büchse ist fort; nun nehme ich diese hier. Sie stammt vom vorigen Förster, dem Vater der Wiesenbäuerin, der auch aus dem Dienst gemußt hat, aber wegen Unterschlagung und derartiger Dinge. Die Bäuerin hat gar oft daraus geschossen, als sie noch ledig war, und sie aus Impertinenz hier hängen lassen, ›damit ich möcht' das Schießen lernen‹, wie sie sagte. Jetzt werde ich laden, und die Kugel, die ich hineinthue, die trifft entweder den ›Samiel‹ oder ich jage sie mir selbst durch den Kopf. Dann ist die Schande zu Ende und der Aerger auch!«
Er warf das Gewehr über die Schulter und schickte sich an, wieder fortzugehen.
»Du willst doch nicht etwa schon wieder in den Wald hinaus!« suchte ihn die ältere der Frauen mit sanfter Mahnung zurückzuhalten. »Du bist ja soeben erst herein!«
»Freilich will ich wieder gehen! Es läßt mir weder Ruhe noch Rast, bis ich ihn fest habe und in das Gefängniß liefern kann. Habe ich nur erst das kleinste Zeichen, nur die geringste Spur von ihm, so wird er mein, und wenn er zehnmal kugelfest ist und tausendmal blauschießt, wie die Leute erzählen! Aber das ist es ja: man bekommt ihn nimmer vor das Auge und auch nichts von ihm jemals in die Hände. Alleweile nun gehe ich; lebt wohl!«
»Aber so iß doch erst, oder thu' Dir wenigstens[183] [186] etwas in die Tasche. Du hast seit gestern nichts genossen; wer soll das aushalten bei den Strapazen im tiefen Forst!«
»Nein, laßt mich gehn! Ich werde weder essen noch trinken, bis ich ihn habe, das will ich gleich hoch und theuer verschwören und geloben. Ob mich der Hunger umbringt oder die Angst und Bangigkeit um meine Stelle, das kommt am Ende doch nur auf Eins heraus!«
Er ging. Mutter und Tochter blickten ihm besorgt nach, bis er über die Blöße, auf welcher das Forsthaus lag, gegangen und sodann im Schatten der Bäume verschwunden war.
Ihr jetzt so unruhiges und schwer gewordenes Leben war früher ein durchaus glückliches gewesen und die Bewohner der Försterei lebten still und mit aller Welt in Frieden. Nur die Wiesenbäurin hatte es nie verschmerzen können, daß ihr Vater einst gezwungen gewesen war, dem jetzigen Förster Raum zu geben, und aus diesem Grunde jede Gelegenheit ergriffen, dem Letzteren ihre feindselige Gesinnung an den Tag zu legen. Aber außer diesem einen Falle besaßen die braven Bewohner des Blößenhauses trotz der schwierigen Lage, in welche ein gewissenhafter Forstbeamter sich den von ihrer Armuth auf die Holzlese angewiesenen Bewohnern des Gebirges gegenüber so oft versetzt sieht, das allgemeine Wohlwollen der ganzen Umwohnerschaft. Auch in ihrem häuslichen Kreise hatten stets Liebe und Eintracht gewaltet, wenn auch der verstohlene Wunsch eines jugendlichen Herzens es zuweilen wagte, sich leise gegen den Willen des strengen Vaters aufzulehnen. Aber das hatte seit länger als nun Jahresfrist eine Aenderung erlitten.
Pauline wußte noch ganz genau den Tag, welcher der letzte frohe und glückliche gewesen war. Der Hermann war wieder einmal im Dorfe gewesen; es hatte grad »Jungferntanz« gegeben, wobei nicht die Bursche und Männer, sondern die Mädchen und Frauen zum Tanz aufforderten. Mit Keiner hatte er getanzt, Allen hatte er es abgeschlagen, sogar der Wiesenbäuerin, der reichen, schönen Wittfrau, die, wie man wohl wußte, früher einmal ein Liebesverhältniß mit dem schmucken Burschen gehabt hatte, und darum wagte sie es auch nicht, ihn aufzufordern. Da war er plötzlich hin zu Pauline gekommen und hatte mit so tiefem, freundlichem Auge gefragt:
»Warum bist Du doch so einsam hier, Paule? Willst Du denn nicht auch einmal den Tanz versuchen?«
»Mit wem denn? Sie haben fast Alle ihren Mann oder ihren Schatz, ich aber wohne draußen im Wald, bin gar selten hier im Ort und habe Keinen, zu dem ich mich halten kann.«
»So nimm mich als Schatz und tanze mit mir! Willst Du, Paule?«
Sie hatte nicht geantwortet. Es war die Erinnerung an vergangene Zeiten, in denen sie, das kaum erblühende Mädchen, vor der wilden und schönen Tochter des vorigen Försters hatte zurücktreten müssen, mit aller Bitterkeit in ihr aufgestiegen, aber ihren Arm – den hatte sie ihm doch gereicht. Und nun war es gewesen, als dürfe sie gar nicht zur Ruhe kommen. Bei jeder neuen Tour hatte er vor ihr gestanden und sie, ohne nach der heutigen Ordnung zu fragen, zum Reigen geführt. Auch der Wiesenbäuerin hatte das auffallen müssen. Sie war während einer Pause ganz in der Nähe gewesen und hatte gefragt:
»Der Herr Lakai hat wohl in der Fremde verlernt, wie es hier auf dem Jungferntanz Sitte und Regel ist? Das arme Ding da kann ja gar nicht mehr von ihm loskommen!«
»Weil das arme Ding dem ›Lakai‹ viel lieber ist als die falsche Schlange, die zu nichts taugt als zum Zertreten!« hatte er geantwortet und ihr dann den Rücken zugekehrt. Darauf waren sie mit einander fortgegangen und er hatte so lieb und gut zu ihr gesprochen und dabei den Arm um sie gehabt, grad als ob es mit dem »Schatz« sein Ernst gewesen sei. Sie mußte noch heut an diesen schönen Heimgang denken, aber auch an das, was darauf folgte. Grad als sie die Blöße erreicht hatten, war ihr Vater von einem späten Gange aus dem Walde zurückgekommen und an der Thür mit ihnen zusammen getroffen.
»Was?!« hatte er gerufen; »den bringst Du mir mit? Willst Du ihn wohl sofort von dannen lassen und gleich hineingehen in das Haus, Du unverständiges Kind!«
Sie hatte vor Bestürzung nichts erwiedern können und dem Befehle ohne Zögern Gehorsam geleistet. Doch im Flur war sie noch einen Augenblick lang stehen geblieben und hatte die Frage vernommen:
»Bitte, Herr Förster, wollt Ihr mir vielleicht sagen, warum Ihr mich in dieser Weise empfangt? Ich habe die Pauline in allen Ehren begleitet und darf mich darum wohl über Eure Rede wundern.«
»Ich dächte doch, hier gäb's nichts zu verwundern! Als Dein Vater noch lebte – ich war damals erst Heger hier – da hielten wir gute Freundschaft und es galt für ausgemacht, daß ihr Beide, Du und die Pauline, ein Paar werden solltet. Sie hat Dich lieb gehabt und ist Dir vielleicht auch heut noch gut, Du aber hast ihr junges, treues Herz verachtet und bist einer Andern nachgelaufen, die Dir besser in die Augen stach. Aber der Försterswildfang hat Dich ausgezahlt und statt Deiner den reichen Wiesenbauer geheirathet, der dann vor Aerger über sein schlimmes Weib gestorben ist. Jetzt nun wäre die Pauline wohl gut genug? Geh fort, wir sind geschiedene Leute; Du bekommst sie nimmer!«
»Ich habe noch gar nicht gesagt, daß ich sie will, Förster. Ich brauche mir meine Frau nicht grad hier vom Dorf zu holen, denn es gibt der Mädchen schon auch anderwärts noch genug, und ich bin nicht der Mann, der um ein Weib zu betteln braucht; aber wenn ich sie möchte, so wäre die Jugendverirrung, welche Ihr mir vorwerft, mir doch vielleicht noch zu verzeihen. Ueberlegt Euch das und habt nun gute Nacht!«
So hatte der letzte glückliche Tag geendet. Am andern Morgen war Hermann wieder fort und der Vater fand den ersten Bock, den eine fremde Kugel niedergestreckt hatte, draußen im Walde liegen. Von nun an trieb der »Samiel«, dem fast in jeder Nacht irgend ein Wild zum Opfer fiel, sein unheimliches Wesen im Reviere, und das Leid zog ein in das Blößenhaus und auch in Paulinens Herz, größer und mächtiger noch als früher, wo es ein nur kleines und heimliches Plätzchen in dem verschmähten Mädchenherzen gefunden hatte. –
»Hast Du die großmächtige Beule gesehen, die der Vater am Kopfe hat?« frug jetzt die Mutter.
»Ja. Es muß doch ein fürchterlicher Schlag gewesen sein, den er bekommen hat. Du hättest ihm doch eine Salbe auflegen sollen!«
»Da wäre ich schön angekommen! Gar nicht erinnern durfte ich ihn daran, sonst wäre er gewiß gleich wieder in Zorn gerathen. Was ich für Angst ausgestanden habe, als er diese Nacht und auch am Morgen nicht nach Hause kam, das ist gar nicht zu beschreiben, und was soll jetzt erst daraus werden? – Wenn die Beiden zusammengerathen, er und der ›Samiel‹, so geschieht ein Unglück, wie es bei uns noch keines gegeben hat. Wenn man nur wüßte, wer der heimliche Wilderer eigentlich ist! Man könnte dann doch vielleicht etwas thun, um das Unheil abzuwenden.«
Die Tochter blickte vor sich nieder. Ein schwerer Tropfen viel von ihrer Wimper.
»Du weinst, Paule! Du weißt, wer es ist?!«
»Nein, Mutter, ich weiß es nicht, aber der Vater denkt wer's ist, und darüber könnt ich schier viel weinen.«
»Er denkt sich wen? Davon hat er mir noch nichts gesagt. Sprich, wen meint er?«
»Gesagt hat er auch mir noch nichts, aber ich höre es aus seinen Reden. Er glaubt nicht, daß der Hermann damals wirklich fortgegangen ist zu dem Grafen, der sein Hauptmann war und bei dem er nun Leibdiener ist, sondern er meint, daß er hier geblieben sei und ihm nun aus Nachsucht das Wild wegputze, um ihn aus der Stelle zu vertreiben. Der Hermann kennt jeden Schritt und Tritt im Walde und ist von den Soldaten her ein ebenso guter Schütz als wie der Vater. Darum soll er der ›Samiel‹ sein.«
Sie erhob sich und verließ die Stube, um der Mutter ihre Thränen zu verbergen. Unter dem verblühten Flieder hinter dem Hause stand eine Moosbank; auf ihr saß sie lange, lange Zeit. Sollten alle die Hoffnungen, die sie still im Herzen trug, verwelken und verblühen wie die duftigen Traubendolden, deren ausgefallene Kelche rings den Boden bedeckten? Schon einmal war ein tödtlicher Hauch darüber hinweggegangen. –
»Sag, Paule, worein bist Du so sinnvertieft?«
Sie schrak aus ihrem Grübeln empor und blickte in dieselben Augen, die sie seit jenem Tage nicht hatte vergessen können, die ihr im Wachen und im Traume immer von Neuem erschienen waren und an die sie auch jetzt wieder gedacht hatte. Sie war zuerst erschrocken, als er sie so plötzlich anredete und gleich darauf neben ihr saß; sie konnte nicht antworten, grad wie damals im Saale; aber wie sie ihm ihre Hand dort dennoch gereicht hatte, so hob es auch jetzt ihre Arme empor, – sie schlangen sich um seinen Hals, und mit unterdrücktem Schluchzen lehnte sich das kleine Köpfchen gegen seine Brust. Er war wieder da nach so langer, schwerer Zeit, und nun wurde gewiß Alles gut, – einen anderen Gedanken hatte sie nicht mehr.
Ueberglücklich zog er sie an sich. Er hatte ja in seinem Dienste gelernt, auf das Fühlen und Denken Anderer Acht zu haben, und so erkannte er leicht, daß der unerwartete Empfang eine innere Vorbereitung gefunden haben müsse.
»Bist Du mir denn noch gut, Paule?« flüsterte er.
Sie nickte.
»Auch noch wie früher, ehe ich zu – zu der Wiesenbäuerin gerieth?«
»Ja.«
»Und willst Du mir das verzeihen?«
»Gern, wenn Du nicht wieder zu ihr gehst!«
»Ich schau sie nimmer an!«
»Aber sie ist gar schön, fast schöner noch als früher! Und ich – ich darf mich da ja gar nicht zu ihr hin stellen.«
Er hob ihr rosiges, gutes Gesichtchen zu sich empor und erwiederte lächelnd:
»Du bist lieb und brav, und das ist tausendmal besser als schön! Darum habe ich auch immer nur an Dich gedacht, seit ich Dich zum letzten Male sah, und nun mein Herr gestorben ist und ich aus meiner Stelle frei geworden bin, habe ich herbei gemußt, um Dich zu sehen und auch zu erfahren, ob Du mich vergessen hast oder nicht. Ist Dein Vater daheim?«
»Nein; er ist im Walde.« Sie hatte auf die kurzen Augenblicke das Leid der letzten Zeiten vergessen gehabt; jetzt kam ihr dasselbe wieder in den Sinn. »Ach, Hermann, wenn Du wüßtest, wie es bei uns steht! So traurig ist es noch nie gewesen, und wenn es so fortgeht, weine ich mich noch zu Tode!«
Sie theilte ihm Alles mit, was auf ihrem Herzen lag. Er hörte ihrem Berichte aufmerksam zu und frug, als sie geendet hatte, mit nachdenklich gedehnter Stimme:
»›Samiel‹ – –? Wer hat ihm denn diesen Namen gegeben?«
»Ich weiß es nicht. Es kennt ihn ja Niemand, und so hat man den Namen des ›Bösen‹ für ihn ausgesucht, der vielleicht besser paßt als ein anderer.«
»Und es hat sich wirklich niemals eine Spur von ihm entdecken lassen?«
»Nicht die geringste! Er muß den Wald fast noch besser kennen als der Vater.«
»Habt ihr nicht vielleicht auf die Gastwirthe und Wildprethändlern ein Augenmerk gehabt? Wenn er so grausam viel darniederschießt, muß er doch Hehler haben, die ihm seine Waare abnehmen!«
»Er verkauft ja seine Beute gar nicht, sondern läßt sie stets liegen, wo er sie getroffen hat. Er geht also nicht des Gewinnes wegen, sondern nur aus Passion in den Forst, das sieht man ja ganz deutlich, und dazu ist er ein Schütze, vor dem man eigentlich Respekt haben muß, denn auch beim schwersten Schusse sitzt die Kugel immer nur da, wo sie kunstgerecht aufzutreffen hat!«
Er sprang empor, seine Augen funkelten.
»Paule, jetzt weiß ich es bald, wer's ist, und ich kann mir auch denken, warum er es thut! Es ist die Passion, die ihn hinaustreibt, die Leidenschaft, ja, aber eine ganz andere als ihr meint. Es gibt nurzwei Menschen, die das Revier so genau kennen, wie es für den ›Samiel‹ nothwendig ist, ich und – und – und noch Jemand. Und es gibt nur Drei, die mit der Büchse so umzugehen verstehen wie er, Dein Vater, ich und – und – und wieder dieser Jemand. Er hat es thun können, blos weil ich nicht dagewesen bin, jetzt aber ist es aus mit ihm, jetzt werde ich ihn aufsuchen, und ich muß ihn finden! Habt ihr wirklich gar kein Zeichen, gar nicht irgend einen Gegenstand von ihm, eine Fußspur, einen Pfropfenrest, ein Stückchen Papier oder sonst etwas Geringes, aus dem man weiter schließen kann?«
»Nein; er ist gewaltig vorsichtig und hat nie etwas hinterlassen, denn – – aber warte, Hermann, jetzt fällt mir ein: heut in der Nacht hat er doch dem Vater ein Papier in die Tasche gesteckt, wo seine Schrift darauf zu lesen sein muß! Ich weiß zwar nicht, welche Tasche der Vater meint, aber seine Joppe hängt noch in der Stube; sie war von den Dornen zerrissen, und darum hat er die andere angezogen als er ging. Soll ich einmal nachschaun?«
»Ja, geh gleich, Paule! Aber laß die Mutter nicht erfahren, daß ich hier bin; sie hat der Sorgen schon so genug!«
Sie trat in das Haus. Nach einigen Minuten kam sie zurück und hielt ihm ein zusammengeknittertes Papier entgegen.
»Das ist Alles, was zu finden ist; ich habe selber noch nicht darauf gesehen.«
Er öffnete es mit sichtbarer Hast, strich die Falten aus und las dann die wenigen Bleistiftzeilen, denen man ansah, daß sie mit unsicherer Hand und beim Mondesscheine geschrieben worden seien. Dann legte er mit triumphirender Miene das Papier wieder zusammen und steckte es zu sich.
»Ist es das rechte, Hermann?« frug das Mädchen. »Ja, ich sehe Dir es an!«
»Freilich ist es das richtige und ich glaube, der ›Samiel‹ hat sich damit gefangen. O, er ist ein gar kluger und durchtriebener Bursche! Ich habe ihn mehr kennen gelernt als mir lieb gewesen ist! Aber es ist kein Kopf so schlau und fein, daß er nicht auch einmal eine Unvorsichtigkeit begeht. Das Papier, das nehme ich mit!«
Sie blickte halb freudig, halb besorgt zu ihm empor.
»Ist es wahr, daß Du ihn fassen kannst?«
»Fast ganz gewiß!«
»Aber die Gefahr, welche dabei ist! Willst Du das Wagniß allein unternehmen?«
»Das ist noch unbestimmt und muß sich erst zeigen. Aber schau mich doch an, Paule! Denkst Du wirklich, daß ich mich vor Jemandem zu fürchten brauche?« Er stellte sich vor sie hin und reckte seine kräftige Gestalt mit zuversichtlichem Lächeln empor. »Oder hast Du jemals vernommen, daß mich irgend Jemand bezwungen und geworfen hat?«
[186] Sie schüttelte ebenfalls lächelnd den Kopf.
»O nein; Du warst ja stets bekannt als der Schnellste und auch Stärkste hier im Dorfe; aber der ›Samiel‹ ist doch jedenfalls kein gewöhnlicher Gegner. Sag', wer es ist, Hermann?«
»Das kann ich nicht, Paule! Bis jetzt vermuthe ich es nur; sobald ich es gewiß weiß, bist Du die Erste, die es erfährt. Jetzt nun gehe ich; aber ich glaube, Du wirst bald wieder von mir hören. Leb wohl!«
»Leb wohl, Hermann! Ich danke Dir gar sehr für den Trost, welchen Du mir gegeben hast; aber bitte, nimm Dich ja recht gut in Acht, damit Du nicht zu Schaden kommst. Sag lieber dem Vater, was Du thun willst, der wird Dir ja beistehen müssen!«
»Ich will mir es überlegen!«
Er schritt eilends über die Waldblöße und schlug dann den Weg ein, welcher von dem Forsthause nach dem Dorfe führte. Allmählig aber wurden seine Schritte langsamer, das Nachdenken minderte ihre Schnelligkeit. Auch in der Ferne schon hatte er von dem ›Samiel‹ gehört, doch war das, was man sich erzählte, mehr ein Märchen als ein wahrheitstreuer Bericht gewesen. Was er jetzt von Pauline vernommen hatte, war dagegen nur zu sehr geeignet, sein lebhaftes Interesse zu erregen. Die Vermutungen, welche die ungewöhnliche Ortskenntniß und Schußsicherheit des Wilderers in ihm erregt hatten, waren durch die Schriftzüge vollständig bestätigt worden. Er kannte diese verzogenen, wirren Buchstabenreihen; sie waren ein deutliches Charakterbild des Schreibers. Wie oft hatte er ähnliche Zeilen in der Hand gehabt, auf's Papier geworfen in Feld oder Wald; wie oft hatten sie ihn mit Seligkeit erfüllt, wie oft ihn in das tiefste Leid geschleudert; wie oft hatten sie seine festesten Vorsätze wankend gemacht und ihn immer wieder hinausgezogen in den Forst!
An einem der letzten Bäume lehnte eine weibliche Gestalt, welche bei seinem Nahen sich vom Stamme löste und auf ihn zutrat. Es war die schöne Wiesenbäuerin, die hier offenbar auf ihn gewartet hatte.
»Da bist Du ja endlich wieder! Hast Du meinen Brief erhalten, Hermann?«
»Erhalten habe ich ihn, ja, aber aufgemacht und gelesen nicht. Ich wollte die Annahme nicht verweigern, weil er sonst erbrochen worden wäre, und das mochte ich Dir doch nicht anthun. Lieber bringe ich ihn selber zurück. Hier hast Du ihn!«
Ihr großes, dunkles Auge flammte zornig auf; mit einer kurzen Bewegung des Kopfes warf sie die reichen rabenschwarzen Locken nach hinten und trat ihm rasch um einen Schritt näher.
»Was?! Empfangen hast Du ihn, aber gelesen nicht – den Brief von mir, von der Wiesenbäuerin nicht gelesen? Und warum denn nicht, wenn ich fragen darf? Wohl wegen der Dirne dort, mit der Du schön und zärtlich gethan hast fast eine ganze Stunde lang? Ich habe es gar wohl gesehen; ich stand am Busch und sah Dich zu ihr schleichen!«
»Das ist mir recht, denn da hast Du gleich die Antwort gesehen auf das, was hier in Deinem Briefe jedenfalls zu lesen steht. Aber nimm ihn endlich hin, sonst muß ich Dir ihn zuschicken.«
»So willst Du wirklich gar nichts von mir wissen?«
»Nichts, gar nichts, selbst nicht das Geringste von dem, was man vom Nagel herunterschabt. Ich brauche es Dir gar nicht mehr zu sagen, Du hast es schon hundertmal gehört.«
»So gib her!« rief sie mit dem Fuße stampfend. Und das Papier ihm aus der Hand nehmend und in Stücke reißend fuhr sie fort: »Aber dabei merke: so wie ich hier mein Schriftwerk zernichte, so zerreiße ich auch meine Liebe zu Dir, und ebenso werde ich Dich und die Paule vernichten, wenn ich euch wieder so zu sehen bekomme wie vorhin!«
»Thue es, wenn Du's vermagst!« antwortete er kalt.
Sie hatte sich umgedreht und ging. Schon einige Schritte von ihm entfernt, blieb sie wie unter einem Entschlusse stehen, wandte sich dann wieder zurück und trat rasch auf ihn zu. Seine beiden Hände erfassend, schaute sie ihm mit glühenden Blicken in das ruhige Auge:
»Hermann, laß mich nicht so von Dir gehen, es ist Dein Unglück und auch das meinige! Du kennst mich; Du weißt, daß meine Liebe nicht ist wie Anderer Liebe und daß ich den Wiesenbauer nur aus Eigennutz genommen habe. Du hattest nichts und ich noch weniger; der Vater war aus dem Amt gejagt und die reiche Heirath half uns aus der Noth. Ich will Dir es zuschwören, daß ich mit dem Bauer ärger noch gelebt habe als wie im Zuchthause. Ich konnte nicht von Dir lassen, ich habe es gefühlt in meiner Ehe und Dich deshalb aufgesucht so oft es nur möglich war. Wenn Du mich von Dir stößest, so gehe ich zu Grunde, aber ich nicht allein, das sage ich Dir; Du mußt auch mit!«
Die Versicherung ihrer Liebe war keine Lüge, man sah es dem verführerisch schönen Weibe an. Hundert Andere hätten in ihrer Entschlossenheit gewankt, er aber entzog ihr seine Hände.
»Thue was Du willst! Ich muß Dich verachten und mich schämen, daß Du einst mein Schatz gewesen bist. Dein Leben ist nichts gewesen als ein Aufruhr gegen das, was anderen Frauen heilig und werth ist, und von diesem Sinne kannst Du nimmer lassen. Vor Deiner Rache habe ich keine Bangigkeit, und darum sage ich Dir ganz offen, daß ich die Pauline heirathen werde. Ich habe mir so viel gespart, daß ich den Haushalt beginnen kann, und ich denke, auf dem ›Lakai‹ seinem Eigenthum wird wohl Glück und Segen ruhen, da er es nicht durch Untreue und Wortbrüchigkeit erworben hat.«
»Hermann, ich bitte Dich tausendmal, sag', daß dies nicht Dein Ernst ist!« Sie ergriff seine Hände abermals.
»Grad so habe ich auch gesagt damals, als Du mir den Abschied gabst! ›Es kann nicht Dein Ernst sein, Lisbeth – ich bitte Dich tausendmal!‹ Und was gabst Du mir zur Antwort? Du lachtest und sprachst: ›Bitte' so viel Du willst; ich mag Dich nicht mehr sehen!‹ Schau, es kommt für jede Schuld die Strafe, und der liebe Gott ist der gerechteste unter allen Richtern. Er nimmt den Lohn aus der That heraus und vergilt grad immer nur mit dem, womit man fehlt und sündigt. Dasselbe Wort, mit dem Du mich damals fast getödtet hast, mußt Du jetzt von mir vernehmen, und dieselben Qualen, die ich sodann erduldet habe, die wirst nun auch Du erleiden. Ich will Dir wünschen, daß Du sie so überwindest, wie ich sie überstanden habe!«
»Nein, ich erdulde sie nicht und ich überwinde sie nicht!« rief sie voll Leidenschaft, indem sie die Arme stürmisch um ihn schlang. »Du bist mein Leben und mein Seligkeit; meine erste und einzige Liebe hat nurDir gegolten, Dir allein; ich will Dich haben, ich muß Dich haben, und wenn das nicht sein soll, so gilt mir Alles gleich, ob ich todt bin oder lebendig, ob Du stirbst oder lebst! Hermann, Du weißt, wie bitter die Armuth ist; laß von der Pauline und Du sollst Wiesenbauer werden. Ich will Dir gehorchen; jedes Wort, was ich spreche und Alles, was ich thue, soll Dir beweisen, daß ich nichts sein will, als nur Deine Magd, die glücklich ist, wenn Du mit ihr zufrieden bist und sie einmal freundlich anschaust. Willst Du?«
Es gelang ihm nur mit Anwendung von Gewalt, sich aus ihrer Umarmung zu befreien.
»Laß los; mich verlangt gar nimmer, Wiesenbauer zu werden. Was Du mir heute versprichst, das hast Du mir früher schon oft versprochen, aber Du kannst es gar nicht halten. Es treibt Dich zum Bösen, auch wenn Du grad das Gute willst, und das Feuer, welches in Dir brennt, kennt weder Ziel noch Schranke; es wird Dich selbst vernichten!«
»Ist das Dein fester Wille und Vorsatz, Hermann? Ueberlege es wohl vorher!«
»Mein fester! Du dauerst mich, aber ich kann nicht anders.«
»So fahre hin. Du elender Wicht! Fahr hin und geh zu Grunde mit Deiner sauberen Liebsten!«
Sie stieß ihm die Faust vor die Brust, daß er zurücktaumelte, und verschwand dann zwischen den Bäumen. Er stand eine Weile auf demselben Platze und sprach vor sich hin:
»Was wäre das für ein Weib, wenn sie so sein könnte, wie sie zur guten Stunde oft sein will! Wie oft bin ich fast wahnwitzig über sie geworden; nun aber ist es mit ihrer Macht vorbei und die Pflicht gebietet mir, der Schlange das verderbliche Gift zu nehmen, so schwer es mir auch wird!«