[9] Ein Fürst-Marschall als Bäcker
Humoristische Episode aus dem Leben des »alten Dessauers« von Karl May.

Beim »Alten«

Es war in Dessau, im Jahre eintausendsiebenhundertsechsundzwanzig, und zwar am sechzehnten Trinitatis-Sonntage früh halb acht Uhr. Der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau saß in seinem Arbeitszimmer und frühstückte, um sich zum heutigen Kirchgange zu stärken. Er war gewohnt, seinen gewaltigen Baß wie eine Posaune durch die Räume der Kirche ertönen zu lassen. Leider hatte sein musikalisches Talent nur für eine einzige Melodie zugereicht, nämlich für diejenige des »Dessauer Marsches«; eine andere zu erlernen, war rein unmöglich gewesen, und so sang er alle Kirchenlieder rundweg nach dieser tapfern Weise. Dabei kam er natürlich stets in großen Conflict mit der Orgel und dem Gesange der Gemeinde, und er mußte sich sehr wacker halten, um nicht umzuwerfen. Das gab natürlich jeden Sonn- und Feiertag eine eminente Anstrengung seiner Lunge, vor welcher sich jedoch der gewaltige Kriegsheld nicht im Mindesten fürchtete. Und wenn der Organist alle Register zog, um seine Stimme zu übertäuben, und wenn die versammelten Andächtigen noch so laut sangen, um sein »So leben wir, so leben wir« zum Schweigen zu bringen, es gelang doch niemals, denn dann erhob er seinen Baß zu einer dreifachen Stärke; seine Gestalt richtete sich siegreich empor; seine Augen blitzten kampfesmuthig, und seine unwiderstehlichen Töne schmetterten wie die Posaunen von Jericho jeden Widerstand darnieder.

War es da ein Wunder, daß er vor jedem Kirchenbesuche ein ganz besonders kräftiges Frühstück zu sich nahm? Auch heute lag vor ihm ein festes, hausbackenes Brod, ein angeschnittener Schinken, eine riesige geräucherte Schlackwurst, ein Käse von sechs Zoll Höhe und zwei Spannen im Durchmesser, dazu einige frische Zwiebeln, mehrere saure Gurken und allerhand Kleinzeug, das zwar nicht besonders aufgeführt zu werden braucht, aber auf dem Frühstückstische eines alten Knasterbartes doch nie fehlen darf.

Nach dem leisen, vergnügten Brummen zu urtheilen, welches er beim Kauen hören ließ, schien es ihm ganz ungewöhnlich zu munden, und er hatte eine außerordentliche Verwüstung unter den Vorräthen angerichtet, als er endlich die Reste von sich schob und sich erhob, um zur Unterstützung der Verdauung das Zimmer einige Male mit langen Schritten zu durchmessen.

Dann klatschte er laut in die Hände, und der Diener erschien. Der Fürst zeigte nach einem auf dem Tische liegenden Zettel.

»Es kann losgehen!«

Der Diener ergriff den Zettel und kehrte nach dem Vorzimmer zurück. Er mußte die dort Harrenden nach der Reihenfolge eintreten lassen, wie ihre Namen auf dem Papiere verzeichnet waren. Aber diese Namen zu lesen, war keine Kleinigkeit, da der Fürst eine Hand schrieb, die er selbst sehr oft nicht wieder zu enträthseln vermochte. Und wirklich zog der Lakei bereits bei dem ersten Namen die Brauen ganz bedenklich in die Höhe und bewegte rathlos die Lippen, um den Hieroglyphen einige Buchstaben zu entlocken. Es gelang ihm nicht, und er befand sich somit in einer höchst fatalen Lage. Der Fürst wartete bereits und durfte unmöglich nach der Bedeutung seiner Krähenfüße gefragt werden, wenn er nicht in einen fürchterlichen Zorn versetzt werden sollte.

Der Diener blickte im Kreise umher und trat zu einem Herrn, dessen Tracht einen Geistlichen in ihm vermuthen ließ.

»Herr Feldprediger, bitte, lest mir doch einmal diesen Namen herunter!« bat er ihn.

Der Prediger nahm das Blatt und buchstabirte.

»Hm!« meinte er. »Wer kann das lesen! Das Erste ist ein G, der zweite Buchstabe ein O, der dritte ein L und der vierte ein D. Das heißt also Gold. Dann kommt – – hm, das kann nur wieder ein G sein mit einem R. Nun kommt entweder ein A und ein U, oder ist es ein verspritztes D, denn es ist ein Kleks darauf. Das Folgende ist unbedingt ein hartes P, und die zweite Silbe würde also ›graup‹ heißen. Zuletzt folgt ein N, ein E und ein R. Der Name heißt Goldgraupner.«

»Wißt Ihr das gewiß, Herr Feldprediger?« frug der Diener.

»Es ist nicht anders möglich.«

»Na, wird's bald!« klang von drinnen heraus die scheltende Stimme Leopold's. Der Diener drehte sich schnell im Kreise herum und frug die Anwesenden: »Ist Jemand hier, der Goldgraupner heißt?«

Es erfolgte keine Antwort, und er trat in das Zimmer des Fürsten zurück.

»Nun?« frug dieser, als er ihn allein kommen sah.

»Excellenz, Entschuldigung! Dieser Goldgraupner ist noch nicht da.«

»Goldgraupner? Welcher?« frug Leopold stirnrunzelnd.

»Der hier auf dem Blatte steht.«

»Auf welchem Blatte?«

»Welches Excellenz mir gegeben haben.«

[9] Dem Lakeien stand bereits der Schweiß auf der Stirn. Er sah an den zuckenden Bartspitzen seines Herrn, daß ein Gewitter im Anzuge sei.

»Zeige es einmal her!« gebot dieser, die Hand ausstreckend.

Der Diener reichte ihm den Zettel entgegen, und der Fürst warf einen Blick darauf.

»Wo soll dieser Hallunke, der Goldgraupner, stehen?«

»Es ist der erste Name.«

Das Auge des Fürsten leuchtete unheimlich.

»Der erste? Obenan?«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

»Kerl, bist Du verrückt, oder kannst Du nicht lesen?«

»Keines von beiden, wie ich glaube, Excellenz!«

»Halte den Schnabel, Mensch! Alles beiden ist der Fall! Du kannst nicht lesen und bist auch übergeschnappt. Hier hast Du den Wisch zurück, und lies den Namen noch einmal!«

Der Lakei zermarterte sich an den Schriftzügen, doch vergebens.

»Nun, wie heißt es?«

»Goldgraupner, Excellenz.«

»Kerl, ich lasse Dich so lange fuchteln, daß Du diese Goldgraupen schwitzen sollst! Will der Hallunke mein Diener sein und kann meine Schrift nicht lesen!«

»Gnade, Durchlaucht! Der Herr Feldprediger da draußen hat das Wort auch nicht anders gelesen.«

»Der Feldprediger? Der? Was hat denn der mit diesem Zettel zu thun?«

»Ich bat ihn um seine Hülfe, weil ich den Namen nicht lesen kann.«

»Das ist ja ganz wundervoll! Also der Herr Feldprediger kann das Wort auch nicht lesen? Grad dieses Wort?«

Er lächelte höchst verheißungsvoll und trat selbst an die Thüre, um sie zu öffnen. Der Diener kannte dieses freundliche Lächeln: es endete allemal mit einem Donnerschlage. Der Fürst winkte dem Prediger.

»Trete Er doch einmal ein!«

Der Gerufene folgte diesem Befehle mit einer tiefen Verneinung.

»Er ist Prediger?« frug der Fürst mit dem mildesten Tone seiner Stimme.

»Zu Befehl, Durchlaucht!« antwortete der Gefragte, nicht wenig erstaunt über diese sonderbare Einleitung.

»So ist Er wohl auf der Schule gewesen?«

»Allerdings.«

»Und auf der Universität?«

»Ja.«

»Und was hat Er denn da getrieben, he?«

»Ich habe mich dem Studium mit allem Fleiße gewidmet.«

»Dem Studium? Das glaube ich, aber was Er da studirt hat, das ist die Frage. Er hat doch noch viel weniger gelernt als hier in Dessau der allerkleinste Schuljunge!«

»Excellenz!«

»Na, excellenze Er mich nur nicht etwa so an! Da, nehme Er doch einmal dieses Papier in die Hand, und lese Er mir das erste Wort vor!«

Der Prediger nahm das Papier und erkannte es als dasselbe, welches er bereits vorher in der Hand gehabt hatte.

»Nun, wird's bald!« trieb Leopold.

»Goldgraupner.«

»Schön! Jetzt sehe ich allerdings, daß Er lesen kann. Aber wie! Da mag der Herrgott ein Einsehen haben! Buchstabire Er mir doch einmal das Wort!«

»Der erste Buchstabe ist ein G – – –«

»Ein G? So, hm! Ja! Wunderschön! Weiter!«

»Der zweite ein O – – –«

»Natürlich!«

»Der dritte ein L – – –«

»Versteht sich!«

»Der vierte ein weiches D – – –«

»Hm! Er kann am Ende doch noch lesen!«

»Der fünfte ein G – – –«

»Weiter!«

»Der sechste ein R – – –«

»Schön!« nickte der Fürst mit sehr zufriedener Miene.

»Der siebente ein A – – –«

»Ja, ja!«

»Der achte ein U. Etwas Anderes kann es nicht sein.«

»Warum denn nicht, he?«

»Weil kein anderer Buchstabe in das Wort hereinpassen würde.«

»Prächtig! Herrlich! Das ist der triftigste Grund, den es geben kann! Nun sehe ich allerdings, daß Er sich dem Studium mit allem Fleiße gewidmet hat!«

»Verzeihung, Durchlaucht! Es ist ja wohl möglich, daß es ein anderer Buchstabe hat werden sollen, aber – – –«

»Werden sollen! Donnerwetter!« Wenn der Königlich Preußische Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau einen Buchstaben machen will, so wird es dieser Buchstabe auch! Ich wollte es dieser Kanaille von Buchstaben nicht rathen, ein anderer Buchstabe zu werden! Und was will Er mit Seinem Aber?«

»Aber die Feder hat gespritzt, und es ist leider ein – – –«

»Nun, ein – – –? Heraus damit!«

»Es ist leider ein – ein Klecks geworden, mit Ew. Durchlaucht gnädigster Permission.«

»Was? Ein Klecks mit meiner Durchlaucht gnädigster Erlaubniß? Er hat wohl Ratten unterm Dache? Dieser Klecks hat den Teufel nach meiner gnädigsten Erlaubniß gefragt. Die Feder spritzte, und der Kerl saß da, auf dem Papiere. Pasta! Aber Er, wenn Er Lust hat, Er selbst kann ein Klecks sein, mit und meinetwegen auch ohne meine allergnädigste Permission. Versteht Er mich? Buchstabire Er weiter!«

Der Geistliche befand sich in einer schauderhaften Verlegenheit. Er wußte ganz genau, daß dieses ominöse Wort nicht Goldgraupner heißen solle, und doch war es menschenunmöglich, [10] es anders zu lesen. Mit bebender Stimme meinte er weiter:

»Der neunte Buchstabe ist ein hartes P – – –«

»Natürlich!«

»Der zehnte ein N – – –«

»Freut mich sehr!«

»Der elfte ein E – – –«

»O, ja!«

»Und der zwölfte ein R.«

»Nun zusammen – – –?«

»Zusammen bilden diese Buchstaben also das Wort Goldgraupner.«

»Goldgraupner! Prächtig! Und der Kerl ist nicht da?«

»Nein!«

»Sapperlot! Bin ich denn blind oder ist Er es?«

»Mit Ew. Durchlaucht allergnädigster Permission möchte ich – – –«

»Bleibe Er mir mit Seiner allergnädigsten Permission vom Leibe!« herrschte ihn der Fürst an. »Ich habe Ihn gefragt, ob Er blind ist?«

»Ich glaube, daß ich sehen kann, Durchlaucht!«

»So! Glaubt Er das wirklich? Das ist ja recht schön von Ihm! Trete Er doch einmal hierher!«

Er faßte den Prediger und schob ihn vor den Spiegel.

»Wenn Er wirklich sehen kann, so blicke Er einmal hier hinein! Wen sieht Er da?«

»Mich,« antwortete der Gefragte schwitzend.

»Sich? Hm, eigentlich ja. Aber Er sieht zugleich auch diesen Hallunken, den Goldgraupner, von dem Er denkt, daß er nicht da ist. Drehe Er sich wieder herum! Jetzt werde ich Ihm einmal dieses Wort vorbuchstabiren. Passe Er auf!«

Der Fürst riß ihm den Zettel aus der Hand und begann:

»Der erste Buchstabe ist ein F. Versteht Er?«

»Aber, Excellenz, ein F ist ja ganz anders. Ein F ist – – –«

»Wa – wa – was! Er will mir sagen, ein F sei ganz anders, Er – Er – – Er – – – Er selber F und Doppel-FF! Das Wort heißt F–e–l–d = Feld, p–r–e–d = pred, i–g = ig, e–r = er, also Feldprediger. Versteht Er mich, Er Goldprediger oder Feldgraupner Er?«

»Excellenz, kein Mensch konnte vermuthen, daß – – –«

»Daß Er nicht lesen kann! Da hat Er sehr Recht! Und weil Er eine so löbliche Selbsterkenntniß besitzt, so will ich einmal über den Bock den Er geschossen hat, hinwegsehen und Ihn im Besitze meiner Gewogenheit bleiben lassen, mit Seiner allergnädigsten Permission nämlich.« Und zum Diener gewendet, setzte er hinzu: »Hier ist der Zettel wieder. Mache, daß Du fortkommst, und bringe mir keinen solchen Graupner wieder herein. Sonst jage ich Dich zum Teufel!«

Der Lakei verschwand augenblicklich, und Leopold wandte sich wieder zu dem Prediger:

»Ich habe Ihn aus Halle hercitirt, daß Er mir heute einmal eine rechte Extrapredigt halten möge. Versteht Er mich?«

»Haben Excellenz die Gewogenheit, mich von Dero Mensis gnädigst zu unterrichten!«

»Mensis? Was ist das für ein Kerl?«

»Das Wort ist ein lateinisches und bedeutet so viel als Absichten oder Meinungen.«

»Warum wirft Er da mit solchen fremden Brocken um sich, wenn Er weiß, wie es auf Deutsch zu heißen hat? Ich glaube gar, Er will dicke thun! Da kommt Er bei mir an den Unrechten! Ein deutscher Bengel ist mir zehnmal lieber als ein lateinischer Flegel. Merke Er sich das, und rede Er in Zukunft ganz so, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist! Ich habe keine Zeit, für Jeden, der zu mir kommt, eine andere Sprache zu lernen. Giebt es doch schon in der Muttersprache Leute genug, die über die eigene Zunge stolpern und gar nicht wissen, was sie sagen sollen. Von Ihm aber weiß ich, daß Er ein guter Redner ist, und daher will ich mir heut einmal ein Gaudium anthun. Nämlich die Herren Väter von der Stadt scheinen den Gehorsam verlernt zu haben, und es soll ihnen einmal so recht tüchtig der Kopf gewaschen werden. Dazu taugt mir aber der Hiesige nicht. Will Er die Aufgabe übernehmen?«

»Ich gehorche!«

»Das wollte ich Ihm auch rathen, Er Schwerenöther! Sage Er den Kerls Seine Meinung nur so recht von der Leber herunter!«

»Dann wäre es mir lieb, einige Punkte zu erfahren, in denen die besagten Väter der Stadt sich das Mißfallen Ew. Durchlaucht zugezogen haben.«

»Das ist nicht nothwendig. Glaubt Er, daß ich wegen einer Kanzelrede Ihm erlaube, seine Nase in meine Töpfe zu stecken? Er braucht weiter nichts zu wissen, als daß sie schwerhörig und hartmäulig sind. Will ich hüh, so wollen sie hott; sage ich ja, so sagen sie nein; fluche ich, so beten sie; will ich ein Graupelwetter, so wollen sie Sonnenschein. Das ist ja hundsföttisch; das ist geradezu zum aus der Haut hinausfahren! Was giebt es denn heut für eine Epistel oder für ein Evangelium?«

»Wir haben den sechzehnten Trinitatissonntag. Da wird gepredigt entweder über Epheser 3, Vers 13 bis 21, oder über Lucas 7, Vers 11 bis 17.«

»Was steht denn in diesem Lucas?«

»Die Auferweckung des Jünglings zu Nain.«

»Und in diesem Epheser?«

»Daß Christum lieb haben besser sei als alles Wissen.«

»Das ist ganz richtig. Das kann Er sich auch selbst zu Herzen nehmen, denn Christum lieb haben ist auch besser als seine lateinische Großthuerei. Hat Er es verstanden. Aber sein Evangelium paßt ebenso wenig für meinen Zweck wie seine heutige Epistel. Eine Strafrede muß kräftig sein und dazu ist auch ein kerniger Text nothwendig. Ich werde Ihm einen solchen Text aussuchen.«

»Ich bin ganz zu Ew. Durchlaucht Befehl.«

»Das versteht sich ganz von selbst, denn ich bin hier Landesherr, und wer nicht reden will, was ich befehle, der kann sich zum Kukuk scheeren. Kennt Er die Geschichte von dem Teufel, der unter die Schweine gefahren ist, daß sie in's Wasser liefen und alle ersaufen mußten?«

[11] »Ja.«

»So predige Er über diese Stelle.«

»Excellenz erlauben mir gnädigst die Bemerkung, daß diese biblische Erzählung denn doch nicht wohl als Predigttext zu behandeln ist.«

»Nicht?« frug der Fürst, die Stirn runzelnd. »Warum nicht? Hat Er etwa kein Geschick dazu?«

»Sie dürfte wohl etwas zu kräftig sein.«

»Mohrenelement, das ist es ja grad, was ich haben will! Die Säue, das sind die Hallunken, die mir nicht pariren wollen, und der Teufel, das bin ich. Ich werde unter sie fahren, daß es eine Art hat, und es ist mir dabei ganz und gar egal, wenn sie alle mit einander ersaufen.«

»Und wer soll da der Besessene sein, Durchlaucht?«

»Der Besessene, aus dem der Teufel eigentlich ausgetrieben wird? Hm, das ist natürlich die Stadt Dessau, das Rathskollegium, der Bürgermeister. Sinne Er sich das selbst aus! Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, wer heut besessen sein soll oder nicht.«

»Aber Durchlaucht, ich erlaube – – –«

»Papperlapapp! Bringe Er mir kein Aber, sonst werde ich Ihn beabern, daß Ihm die Schwarte knackt! Er hat Ordre zu pariren, weiter nichts! Gehe Er jetzt hinaus. Draußen steht mein Page, der Lindow, der Ihn zur Kirche bringen soll. Später darf Er bei mir zu Mittag essen. Macht Er seine Sache gut, so wird es Ihm schmecken; macht Er sie aber nicht gut, so stehe ich für nichts! Er kennt mich. Ich bin die Liebe selbst; man kann mich um den Finger wickeln. Aber versuche Er ja nicht, mich von der andern Seite kennen zu lernen, denn dann könnte es sehr leicht passiren, daß ich Ihn trotz seines Lateins als gemeinen Soldaten unter die Grenadiere stecke. Für jetzt sind wir fertig!«

Eben als sich der Prediger, dem nicht ganz wohl zu Muthe war, entfernen wollte, trat der Diener wieder ein.

»Was giebt's?« frug Leopold. »Kannst Du wieder nicht lesen?«

»Ich wollte mir nur die Frage gestatten, ob die auf dem Zettel bezeichnete Reihenfolge beizubehalten ist, da eben jetzt ein Offizier angekommen ist.«

»Wer?«

»Der hannöversche Premierlieutenant von Hartegg.«

»Der Hartegg! Was will denn der?«

»Weiß nicht. Er bittet Excellenz sprechen zu dürfen.«

»Kommt mir grade recht! Befinde mich grad in der Laune, diesen Hannoveraner auszuhannovern, daß er seine Lüneburger Haide für einen Ziegenkäse halten soll. Machen diese Menschen einen Heidenskandal, wenn einer meiner Werber einmal über die Grenze läuft und aus Versehen einen Rekruten mit herüber bringt! Ihr Kurfürst, der sich König von England nennen läßt, hat deshalb sogar bereits bei Seiner Majestät dem deutschen Kaiser Beschwerde erhoben. Schicke ihn herein und jage die Andern fort. Sie mögen morgen wieder kommen, denn ich glaube nicht, daß mir heut viel Zeit für sie übrig bleibt!«

Der Lakei entfernte sich, und gleich trat der Angemeldete ein.

[12]

[25] Er war ein junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren, hoch und breit gewachsen, mit blondem Haar und treuen, blauen Augen. Er avancirte drei Schritte, schlug die Fersen zusammen, daß die Sporen klirrten und stand dann kerzengrad und unbeweglich, als sei er aus Stein gehauen.

Die drohend emporgezogenen Brauen des Fürsten senkten sich langsam nieder. Er schien Wohlgefallen an dem Hannoveraner zu finden und musterte ihn mit Kennerblick vom Kopfe bis zu den Sohlen herab. Der Offizier hielt diese Musterung ruhig aus. Keine Wimper zuckte an ihm; kein Fingerglied wich um die Breite eines Haares aus seiner Lage. Seine Uniform saß wie angegossen. Nicht das leiseste Fältchen war zu bemerken, und das Metallzeug glänzte, als ob sich der Sonnenstrahl drin spiegelte. Aber das erste Wort des Fürsten war dennoch ein Tadel:

»Er ist nicht gepudert!«

»Wäre ich Offizier in dem berühmten Regimente Ew. Durchlaucht, so würde ich pudern,« klang die ruhige Antwort.

»Was will Er?«

»Ew. Excellenz Erlaubniß, mich verheirathen zu dürfen.«

Leopold trat einen Schritt zurück.

»Meine Erlaubniß? Meine? Sich verhei – – – Donnerwetter! Wie kommt Er mir vor? Was habe denn ich dabei zu thun, wenn Er, ein Hannoveraner, seinem Mädchen den Kopf verdreht hat?«

»Sehr viel, Durchlaucht!«

»Erkläre Er sich!«

»Das Mädchen ist eine Liebau und hier im Lande ansässig.«

»Ah! Das ist etwas Anderes!«

»Der Vater hat nichts gegen unsere Verbindung, aber er will seine Einwilligung nicht eher geben, als bis er überzeugt ist, die Genehmigung Ew. Durchlaucht zu besitzen.«

»Warum kommt er nicht selbst?«

»Er ist unwohl.«

»Unwohl? Ja, dieses Unwohlsein kenne ich! Angst hat er vor mir: das Herz ist ihm in die Hosen gefallen, weiter Nichts! Er mag für einen Groschen Dammbecker Pflaster auflegen; vielleicht zieht es ihm den Herzbeutel wieder in die richtige Lage! Ich wollte sein Gut haben, und er wollte es nicht verkaufen; da zwang ich ihn, es mir für die Taxe zu lassen, und nun mag er nichts mehr mit mir zu thun haben. Der alte Schlucker schmollt wie ein Hamster, dem man die Körner genommen hat. Aber er sollte doch wissen, daß er damit nicht vorwärts kommt. Ich bin sein Souverain und frage den Geier darnach, was er mir für Gesichter schneidet. Wo hat Er das Mädchen kennen gelernt?«

»In Magdeburg.«

»Ja, ich weiß, sie ist dort gewesen. Sie hat eine Muhme dort, ein altes Felleisen, dem bereits schon einige Riemen und Schnallen abhanden gekommen sind. Ich glaube, das Weibsen muß bereits über Sechzig zählen. Habe sie in Dresden kennen gelernt. Stammt aus einem gräflichen Hause und trug deshalb die Nase so hoch, daß sie recht gut als Wetterfahne dienen konnte, wenn man einen Stiel hindurchgesteckt hätte. Kann solche Leute sehr gut leiden, sehr gut! Aber was sagen Seine Vorgesetzten dazu, daß Er sich so jung bereits verheirathen will? Er darf sich ja als Lieutenant noch gar keine Frau nehmen! Hat Er Hoffnung, das Hauptmannspatent zu erhalten?«

»Ich nehme den Abschied.«

»Was? Ist Er bei Sinnen! Ein Kerl wie Er? Gewachsen wie eine Eiche, gesund wie ein Hecht, und den Abschied!«

»Ich habe das Ding satt.«

»Satt? Wird er schuriegelt? Will man Ihm nicht wohl?«

»Im Gegentheile! Grad das zu große Wohlwollen paßt mir nicht!«

»Höre Er, Er hat wohl ein gelindes Fieber?«

»Möglich, denn der Aerger geht in's Blut.«

»Erkläre Er sich!«

»Ich habe mein Mädchen; ich mag keine Andere und soll doch eine Andere nehmen.«

»So nehme Er sie doch in Gottes Namen! Gehauen oder gestochen, das ist ja ganz egal. Es ist Eine so schlimm wie die Andere!«

»Dann will ich mir doch lieber die Schlimme nehmen, die ich mir selbst heraussuche!«

»Das klingt allerdings nicht unverständig! Wer ist denn die Andere?«

»Die Tochter meines Regimentskommandeurs.«

»Aha! Eine Heirath aus dienstlicher Rücksicht! Alt?«

»Neunundzwanzig.«

»Alle Wetter! Man kennt das. Wenn so Eine neunundzwanzig sagt, so ist sie eigentlich achtunddreißig oder sechsundvierzig! Hübsch?«

»Sehr! Uhu oder Schleiereule!«

[25] »Bombenelement, Er scheint sich auf Gleichnisse zu verstehen! Reich?«

»Sie ist seit ihrem vierzehnten Jahre jede Stecknadel schuldig geblieben.«

»So sind viele Geschwister da?«

»Fünf Schwestern und ein Bruder. Sie ist die Jüngste.«

»Auch noch! Sage Er Seinem Oberst einen Gruß von mir, und er soll seine Venusse dem Sultan schicken. Der kann sie als Derwischinnen an seine Mamelucken verschenken! Er thut mir wirklich leid; aber ich kann Ihm nicht helfen.«

»Durchlaucht!«

»Ein Hannoveraner bekommt die Liebau nicht!«

»Ich quittire ja den Dienst!«

»Bleibt sich gleich! Ich kann das Volk da drüben nun einmal nicht leiden. Sein Kurfürst schreit sich heiser um eines armseligen Rekruten willen. Trete Er über!«

»Das ist nicht Ew. Excellenz Ernst.«

»Warum nicht? Er gehört einer guten Familie an, die auch bei uns begütert ist, und hat sich im Dienste bereits einige Meriten erworben, wie ich gehört habe. Ich glaube, Er würde bei mir nicht lange Lieutenant bleiben.«

Das Auge Hartegg's leuchtete auf. Er wußte, welche Ehre es für einen preußischen Offizier war, in dem Musterregimente des Dessauers zu dienen. Dennoch aber antwortete er:

»Ein Ueberläufer ist unter allen Umständen ehrlos!«

»Freut mich, daß Er diese Ambition besitzt! Aber, so lasse Er sich doch einmal fangen!«

»Das dürfte bei den jetzigen Verhältnissen unmöglich sein. Und wer sich mit Absicht fangen läßt, ist ja auch Deserteur.«

»Gut, so mag Er seinen Willen haben, und ich behalte den meinigen.«

»Ist dies Ew. Durchlaucht letztes Wort?«

»Ja.«

Das offene Angesicht des Offiziers wurde um einen Schatten bleicher; aber er beherrschte sich.

»So ist die private Angelegenheit beendet, und ich bitte um die Erlaubniß, zur dienstlichen schreiten zu dürfen.«

»Er ist auch im Dienste hier?«

»Zu Befehl!«

»Und bringt das Dienstliche erst nach dem Privaten vor! Mann, wenn Er zu meinem Regimente gehörte, so fuchtelte ich Ihn!«

»Ich kenne die Sünde, die ich begangen habe, aber ich glaube, Ew. Durchlaucht Verzeihung zu erhalten. Ich wollte die Erfüllung meiner Bitte nicht gleich von vorn herein unmöglich machen.«

»So hat das Dienstliche wohl einen üblen Beigeschmack?«

»Ja.«

»Das konnte ich mir denken. Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Schieße Er einmal los!«

»Königliche Hoheit, der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover, mein allergnädigster Landesfürst und Kriegsherr, haben geruht, in Sachen des Werbewesens eine Beschwerdeschrift an Kaiserliche Majestät nach Wien gehen zu lassen – –«

»Das danke ihm der Teufel!«

»Kaiserliche Majestät haben geruht, dem Kurfürsten ein freundliches Handschreiben zuzustellen, in welchem gemeldet wird, daß an den königlich preußischen Hof ernstliche Vorstellungen ergangen sind, die hannöverschen Landesgrenzen in Zukunft zu respectiren und das preußische Heer nur innerhalb der preußischen Länder und Besitzungen zu rekrutiren. Trotz dieser kaiserlichen Verwarnung aber – – –«

»Verwarnung? Himmelelement, menagire Er sich, sonst gebe ich Ihm eine Verwarnung, die bessern Nachdruck haben soll als die kaiserliche, von der Er hier redet!«

»Durchlaucht halten zu Gnaden. Ich muß grad so sprechen wie mir befohlen worden ist! Also trotz dieses Hortamentum ist – – –«

»Halt! Hortamentum, wer ist das?«

»Das ist lateinisch und heißt Warnung oder Vermahnung.«

»Reitet Euch denn alle zusammen heute der Henker? Da schlage doch ein Graupelwetter drein! Heute kommen alle diese Himmelhunde, die einmal einen lateinischen Fetzen weggeschnappt haben, um ihn mir hier um das Gesicht zu schlagen. Wenn Er mir mit Seinem Hormentum oder Hermuntarium oder wie das Ding geheißen hat, noch einmal kommt, so behormentire ich Ihn, daß es Ihn nicht blos lateinisch, sondern auch griechisch und chinesisch vor den Augen flimmert! Hält Er mich etwa für ein Karnikel, das lateinische Zwiebeln frißt? Fahre Er fort, aber nehme Er sich in Acht, damit ich Ihn nicht etwa bei den Ohren kriege!«

Er war jetzt ernstlich in Zorn gerathen: seine Augen blitzten, und die Adern seiner Stirn begannen zu schwellen. Dies war allerdings eine Mahnung für den Oberlieutenant, vorsichtig zu sein. Dieser fuhr fort:

»Trotz der besagten Vermahnung nun ist es zum Oeftern wieder vorgekommen, daß preußische Werber die Grenze überschritten und hannöversche Unterthanen molestirt oder gar mitgenommen haben, um sie unter die Fahne zu stecken, und so haben sich kurfürstliche Hoheit bewogen gefühlt, einen Kurier nach Berlin mit dem Bescheide zu senden, daß von jetzt an Repressalien erhoben werden, wenn weder die Grenze des Landes noch der Wille des Kaisers respectirt wird.«

»Er hat Seine Lection sehr hübsch auswendig gelernt; daß muß ich Ihm bezeugen,« meinte der Fürst ironisch. »Aber warum kommt Er zu mir?«

»Der Kurier hat gar keine Antwort erhalten, und einige Tage nach seiner Rückkehr wurde von den Preußen ein ganzer Trupp Hannoveraner über die Grenze geholt. Da nun Ew. Durchlaucht so zu sagen der Wächter der besagten Grenze sind – – –«

Leopold unterbrach ihn:

»Wächter der besagten Grenze? Hm! Nicht übel ausgedrückt! Das ist auch beinahe lateinisch und heißt eigentlich zu deutsch ›Kettenhund‹. Ja, ja, das bin ich auch, mein Herr Oberlieutenant; aber sein Georg Ludwig mag nur nicht [26] etwa denken, daß ich nur mit dem Schwanze wedle: ich kann auch brummen, bellen, beißen. Versteht Er mich? Nun weiter!«

»So ist mir der Auftrag geworden, Excellenz in directer Weise die Entschließung Seiner Kurfürstlichen Hoheit zu übermitteln und vor allen weiteren Eingriffen zu warnen. Derjenige preußische Werber, welcher auf hannöverschem Gebiete ergriffen wird, wird sofort aufgehenkt – – –«

»Sage Er doch Seinem Georg Ludwig, er möge selber baumeln! Wenn einer unserer Werber sich hinüber verirrt, was bei Nacht und Nebel leicht geschehen kann, so habt Ihr ihn uns einfach auszuliefern. Wird ihm nur ein einziges Haar gekrümmt, so kommen wir hinüber und treiben Euch zu Paaren; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Würden Excellenz einen ergriffenen hannöverschen Werber auch ausliefern?«

»Ja.«

»Ew. Durchlaucht haben das noch nie gethan, sondern die Leute stets in den preußischen Rock gesteckt.«

»So steckt doch auch Ihr den Kerl, der so dumm ist, sich von Euch erwischen zu lassen, in den hannöverschen Kittel! Uebrigens hat Er soeben zugegeben, daß auch Eure Werber herüber kommen. Was raisonnirt Er denn da über die unserigen, he? Was dem Einen Recht ist, das ist dem Andern billig. Noch in der vorigen Woche haben Eure Schlingels einen Klempner aus Betzendorf über die Grenze hinübergelockt, und nun muß er drüben exerziren nach Noten. Und bei einem solchen Stande der Dinge rennt Sein Kurfürst von Pontius zu Pilatus, um sich über uns zu beschweren! Sogar dem Kaiser ist er unterthänigst vor die Füße gekrochen. Mag er nicht vielleicht auch noch zum römischen Papst und zum türkischen Großmufti gehen, um seine sechs Schnurrbarthaare an ihren Pantoffeln abzureiben? So ein Millionenhund hat selber Werg genug am Rocken und will wegen irgend eines Lumpazi Vagabundus, der zu uns herüberläuft, den Kaiser und das Reich auf uns hetzen! Da schlage doch der Blitz die ganze Sippe auseinander!«

Er hatte sich selbst immer mehr in die Wuth hineingesprochen und stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und nieder. Sein Haarzopf wackelte vor Aerger; die langen Seitenlocken hingen ihm wie aufgeregte Schlangen in das von Pulver geschwärzte Gesicht herein, und seine Arme gestikulirten wie Windmühlenflügel in der Luft herum.

»Durchlaucht,« bat der Offizier; »erlauben – – –«

»Halte Er sein Maul, sonst läuft mir die Galle über und ich gebe Ihm ein Memorandum mit auf den Weg, von dem das Memo nach Salz und das Randum nach Pfeffer schmecken soll! Sieht Er, daß ich auch lateinisch conjugiren oder insultiren oder dolmetschiren kann? Wir haben das Unserige auch gelernt; versteht Er mich? Man hat sein Herz, sein Gefühl und sein Gemüth; man ist mild und nachsichtig in allen Stücken; man verletzt keine Fliege und tritt nicht gern das kleinste Lindwürmchen todt; aber wenn man solche Botschaften erhält, so läuft Einem die Laus über den Kopf, und der Spektakel ist fertig. Wenn Sein Georg Ludwig nicht aufhört, uns zu infamiren, so reite ich ihm Gottstrambach vor die Bude und haue ihn, das es flunkert!«

Da richtete sich der Offizier etwas höher empor.

»Durchlaucht erlauben mir die Bitte, in meiner Gegenwart nicht in dieser Weise von meinem Monarchen und Feldherrn zu sprechen!«

Der Fürst blieb stehen und sah ihn ganz und gar erstaunt an.

»Wie? Wa – wa – wa – waaas!«

»Einen König von England, Kurfürsten von Hannover und Erzschatzmeister des römischen Reiches deutscher Nation ›haut‹ man nicht, Excellenz! Ich als hannöverscher Offizier darf solche Worte nicht hören!«

»Mensch, um Gottes willen, ist Er den geradezu übergeschnappt?«

»Ich glaube vielmehr, daß ich sehr bei Sinnen bin!«

»Ja, das ist doch eben das Unglück, daß jeder Verrückte denkt, er sei bei Sinnen!«

»Durchlaucht!« donnerte der Lieutenant und trat einen Schritt weiter vor.

Leopold fuhr empor. Seine Augen funkelten unheimlich wie diejenigen eines Panthers, und seine Lippen öffneten sich, um die weißen Zähne sehen zu lassen.

»Was! Will Er mir etwa drohen?«

»Das kann ich nicht wagen; aber ich muß mir jede Beleidigung ernstlich verbitten!«

»Verbitten? Er? Er Knirps? Da soll doch gleich ein Himmeltausenddonner und Doria – – – wo habe ich denn nur meinen – meinen Stock hingelegt? Ich werde – –«

Er rannte wie besessen in der Stube hin und her, um den Stock zu suchen. Er sah ihn nicht liegen, so wurden seine Augen von der Wuth geblendet. Sein Gesicht bot einen schrecklichen Anblick dar; es war dasjenige eines Menschen, der vor Aufregung einen Mord begehen kann.

»Mir so etwas zu sagen!« rief er. »Hier in meinem eigenen Zimmer! Ein Hannoveraner! Ein Lumpenhund, ein Lausewenzel, der – – –«

»Durchlaucht, meinen Sie mich?«

Hartegg trat abermals einen Schritt vor und legte die Linke an die Scheide seines Säbels.

»Ja, ja, hundertmal ja und tausendmal ja! Mich in dieser Weise zu molestiren, mich – mich –mich! Luft muß ich haben, Luft! Ich muß Ihn massacriren, wenn ich nicht vor Wuth zerplatzen will! Ah, endlich! Da ist der Stock!«

Dieser Stock war gar oft mit dem Rücken eines Bürgers, eines Soldaten in Berührung gekommen; hohe Beamte und selbst Offiziere hatten ihn gefühlt, ohne etwas dagegen machen zu können. Jetzt holte Leopold zum Schlage aus.

»Zurück!« rief der Lieutenant und trat bei Seite, indem er nun auch die Rechte an den Griff seines Säbels legte.

»Kerl, Hund, Du wagst es, die Hand an die Waffe zu legen! Hundsfötter, da nimm!«

Der Stock sauste nieder.

[27]

[41] Der furchtbare Hieb mußte, wenn er traf den Oberlieutenant zu Boden schmettern. Aber in demselben Augenblicke fuhr der Säbel desselben blitzesschnell aus der Scheide und der Stock wurde in zwei Hälften zerhauen, von denen die eine in der Hand des Fürsten blieb, während die andere gegen die Wand flog. Leopold stand ganz erstarrt.

»Durchlaucht, ich werde Sie fordern!« sagte Hartegg ruhig, indem er den Säbel schlagfertig in der Hand behielt.

Der Fürst warf das Bruchstück seines Stockes zu Boden und ballte die Fäuste. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als ob er sich auf den Gegner stürzen wolle. Die Stirnadern schienen zersprengen und die Augen aus ihren Höhlen hervortreten zu wollen. Aber plötzlich und ganz unerwartet drehte er sich mit einem raschen Rucke auf der Ferse herum und trat zum Fenster. Sein Blut kochte, und seine Lunge athmete hörbar; aber sein Gesicht glättete sich nach und nach. Da endlich drehte er sich wieder herum.

»Er will mich fordern lassen?«

»Ja, Durchlaucht können meinen Cartelisten nicht zurückweisen. Ich bin ein Offizier und Edelmann, an dessen Namen kein Makel haftet.«

»Er wagt es wirklich, Er, der Lieutenant, sich mit mir, dem Feldmarschall und Sieger in so viel Schlachten und Belagerungen, schlagen zu wollen?«

»Ich verlange Genugthuung. Excellenz haben mich mit Wort und That so schwer beleidigt, daß ich auf Satisfaction bestehen muß!«

»Hartegg, Er hat ja neunundneunzigtausend Teufel im Leibe! Glaubt Er denn wirklich, daß ich Seine Forderung annehme?«

»Durchlaucht sind dazu gezwungen, wenn Sie nicht selbst als ehrlos gelten wollen.«

»Aber ich werde Ihn ja in Grund und Boden schlagen!«

»Das wird sich finden! Man weiß den Säbel auch zu führen!«

»Den Kukuk werde ich! Versteht Er mich? Er ist ein ganz prächtiger Himmelelementer, der sich nicht einmal vor mir und vor dem Satan fürchtet, und es sollte mir leid thun, wenn ich Ihm die Haut ritzen sollte. Wie habe ich Ihn denn genannt, he?«

»Ich mag die Worte nicht wiederholen.«

»Na, es wird wohl so etwas gewesen sein wie verrückt, Knirps, Lumpenhund, Lausewenzel und so weiter. Ist Er zufrieden, wenn ich es Ihm jetzt abbitte?«

Der Lieutenant blickte überrascht empor.

»Das kann ich ja kaum erwarten!«

»Warum nicht? Einen Andern beleidigen, das kann ein Jeder, aber eine übereilte Beleidigung wieder abzubitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommiren und zu der Beleidigung auch noch den Todtschlag fügen. Hier hat Er meine Hand. Verzeihe Er mir und schlage Er ein. Er ist weder ein Lumpenhund noch ein Lausewenzel, sondern ein himmelsakkermentscher Spitzbube, ein Heidenkerl, vor dem man Respect haben muß. Für Seinen Georg Ludewig gebe ich keinen Pfennig; für Ihn aber würde ich ein schönes Sümmchen zahlen, wenn Er Handgeld nehmen wollte. Doch da Er nicht will, so mag Er es bleiben lassen!«

»Es geht nicht, Durchlaucht!«

»Na, schon gut! Hat Er Hunger?«

»Nein!« antwortete der Oberlieutenant lächelnd.

»Sonst hätte Er hier essen können. Aber Er wird wohl noch Appetit bekommen, und so gehe Er her und schneide Er sich ab. Er kann es unterwegs verzehren.«

»Excellenz, es giebt ja unterwegs Schänkhäuser genug, um – – –«

»Papperlapapp! Will Er wohl Ordre pariren! Nehme Er seine paar Groschen zusammen! Komme Er her. Ich will Ihm abschneiden. Das kann Er einstecken. Unterwegs setzt Er sich auf einen Feldrand und lebt unter freiem Himmel wie der Herrgott in Frankreich, das der Teufel holen mag.« Der Fürst trat an den Frühstückstisch und riß mit dem Messer ein Stück Brod herunter, an dem sich drei Tagelöhner hätten satt essen können. In den dicksten Theil dieses Fladens grub er ein Loch, welches er mit Butter füllte. Dazu that er Käse, Schinken und Wurst in Fülle, eine saure Gurke, einen Rettig, eine Zwiebel, eine Knolle Knoblauch und eine tüchtige Portion Salz, Pfeffer und Kümmel. Dann trat er an den Schreibtisch und suchte in den dort sich befindlichen Papieren.

»Jetzt wollen wir das Futter gehörig einpacken. Da liegen ein paar Schreiben vom Minister v. Grumbkow und von dem österreichischen Gesandten, General Graf Seckendorf. Diese Wische sind eigentlich noch viel zu schlecht für die Zwiebel und den Knoblauch; aber ich will die Geschichte doch damit einwickeln und diese beiden Ehrenmänner in meinem nächsten Briefe davon benachrichtigen. So, da hat Er sein Packet, und nun scheere Er sich dahin, wo der Pfeffer wächst!«

[41] »Ich danke, Excellenz! Auf meine Privatbitte darf ich wohl nicht noch einmal zurückkommen?«

»Das wage Er ja nicht, wenn Er mich nicht wieder in Harnisch bringen will. Ich habe Ihm bereits gesagt, daß ein Hannoveraner die Liebau nicht bekommt, und dabei hat es sein Bewenden. Pasta!«

Er gab mit der Hand das Zeichen des Abschiedes, und der Oberlieutenant sah sich gezwungen, mit seinem Speisepackete unter dem Arme sich zu verabschieden.

Dann öffnete der Fürst die Thür. Das Vorzimmer war jetzt leer. Nur der Lakei befand sich noch da.

»Der Feldwebel Goldschmidt hat den Dienst?«

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Soll sofort kommen!«

Nur zwei Minuten später trat der Genannte bei ihm ein. Er war eine jener Gestalten, welche von Friedrich Wilhelm dem Ersten oft mit mehreren Tausend Thalern bezahlt wurden. Er maß sicher seine achtundsiebzig Zoll und war dieser Länge ganz proportional gebaut. Das Auge Leopold's ruhte mit besonderem Wohlgefallen auf ihm, und es war beim ersten Blick zu bemerken, daß er ein Liebling des Dessauers sei. Auch er trat vorgeschriebener Weise drei Schritte vor, und stand dann stramm und starr wie eine Bildsäule. Das Auge des Fürsten musterte ihn. Auch ihm wurde sofort ein Tadel, wenn auch nicht in einem harten, beleidigenden Tone.

»Donnerwetter, Feldwebel, Er ist ja ganz ungeheuer lüderlich geworden!«

Der Angeredete wurde roth, aber er sagte kein Wort.

»Mit vierundzwanzig Jahren bereits Feldwebel in meinem Regimente, das ist viel! Nicht?«

»Zu Befehl!«

»Das hat Er seiner Tapferkeit, seiner Schlauheit bei aller Ehrlichkeit und seiner Ordnungsliebe zu verdanken. Jetzt aber steht Er vor mir grad so lüderlich und schladderig wie ein Rekrut!«

Auch jetzt sagte Goldschmidt kein Wort.

»Weiß Er, warum? Die linke Spitze seines Schnurrbartes steht wenigstens um einen Messerrücken breit tiefer als die rechte. Drehe Er sie sofort in die Höhe!«

Der Feldwebel erhob die Hand und gehorchte dem Befehle.

»Jetzt ist sie zu hoch,« meinte der Fürst. »Schaffe Er sie um ein Haar breit nieder!«

Auch dies wurde befolgt.

»So! Jetzt steht Er da als ein exactes Muster für – – Alle Wetter, was ist denn das?« Der Fürst trat näher und besah sich den Schnurrbart genau. »Da rechts ist ein Haar schneller gewachsen als die andern. Es steht ganz gewiß einen Zehntelzoll hervor, und das sieht Er nicht, Er Schwerenöther! Soll ich Ihn Spießruthen laufen lassen? Ich stelle Ihn bei jeder Gelegenheit dem Regimente als Norm und Beispiel hin, und da kommt Er herein, so schlendrig und schlumprig wie ein Kesselflicker! Wenn das noch ein einziges Mal arrivirt, so nehme ich Ihm das Portcépée und gebe Ihm dafür drei Monate lang Lattenarrest. Das merke Er sich! Hat Er mich verstanden?«

»Zu Befehl!«

»Na, schön! Und damit Er dennoch sieht, daß der Dessauer kein Wüthrig ist, werde ich Ihm seinen Bart selbst curiren.«

Der Fürst ging zum Schreibtische, holte eine riesige Papierscheere, die mehr einem Garteninstrumente glich, und knipp mit derselben das subordinationswidrige Haar hinweg.

»So, jetzt ist Er parademäßig hergestellt!«

Der Fürst betrachtete den Feldwebel noch einmal von allen Seiten, konnte aber nicht das Geringste entdecken, was ihm Veranlassung zu einem weiteren Tadel hätte geben können.

»Accurat und sauber: grad wie jetzt erst aus der Schachtel!« lobte er. »So will ich meine Jungens haben; dann schlage ich die Welt mit ihnen todt! Feldwebel, es giebt wieder einmal einen Coup!«

Das dunkle, intelligente Auge Goldschmidt's blitzte auf; aber er stand noch immer in Achtung und durfte also nur sprechen, wenn er gefragt wurde.

»Will Er?« frug Leopold.«

»Zu Befehl!«

»Er soll nicht zu Bef – – – Ah so! Trete Er los und mache Er es sich bequemer! So! Also, es giebt wieder einen Streich auszuführen, bei dem ich Ihn brauche. Will Er?«

Der Feldwebel hatte jetzt die strenge Haltung aufgegeben und konnte daher auch auf die Unterhaltung eingehen. Wenn Leopold bei guter Laune war oder einen Menschen vor sich hatte, dem er wohl wollte, so ließ es sich ganz prächtig mit ihm verkehren; nur mußte man dabei sehr vorsichtig sein, denn er glich auch dann einem Vulkane, der an jedem Augenblicke ausbrechen konnte. Uebrigens zeigte sich selbst seine beste Laune oft in einer Weise, die dem Andern qualvoll wurde. Er konnte dann dem Knaben verglichen werden, der zu seiner Unterhaltung den Käfer am Faden zappeln läßt.

»Na, und ob, Durchlaucht!« antworte der Feldwebel.

»Aber es kann gefährlich werden!«

»Desto besser!«

»Schön! Ich kenne Ihn und weiß, daß ich mich auf Ihn verlassen kann. Ich will Ihm einmal etwa vorlesen.«

Er langte in die Tasche seiner grauen Leinwandhosen und zog ein zu einem Knäul zusammengeknittertes Papier hervor, welches er auseinander faltete und auf dem Knie glättete. Er las:


Liebwerther Serenissimus!


Wie Uns in Erfahrung gekommen, ist von Hannover eine Scriptura nach Wien expediret worden, des insipiden Inhaltes, daß Unsere Werber als Raub- und Mordgesellen dahingestellet und conterfeiet werden. Hierauf wurde Uns ein kaiserliches Documentum donniret, in welchem Wir ermahnet werden, dieses Wesen zu remaniren und dem Kurfürsten Reparation zu leisten. Eine solche Reparation aber können Wir unmöglich goutiren, [42] zumalen ihr Scopus sowohl eine Reprehensio als auch eine Deprimio enthält und Wir zu gleicher Stunde erfahren, daß die hannöverschen Conquisitores einen Klempner aus Betzendorf fortgeführet haben. Daher ersuchen Wir Ew. Liebden, Eure Bureaux d'afféage so zu stellen, daß wir von diesen hannöverschen Bengels gleich eine tüchtige Zahl saisiren und unter unser Vexillum stecken, wasmaßen Wir Euch ersuchen, Uns zwei oder drei große Kerls zu envoyiren, die Wir nothwendig für Unsere Garde nöthig haben.

Indem Wir Ew. Excellenz Unserer Affection und Declination versichern, zeichnen Wir

Euer gnädigster Freund und Bruder

Friedrich Wilhelm.

König von Preußen etc. etc. etc.


Nachdem Leopold dieses ganz im Style der damaligen Manier abgefaßte Schreiben vorgelesen hatte, ballte er das Papier wieder zusammen und warf es zornig zur Erde.

»Was sagt Er zu dieser miserablen Scriblifaxerei? Kann Er sie verstehen?«

»Ja!«

»Was? Ist Er etwa auch so ein gelehrter Regenwurm, der sich nur in dem lateinischen Drecke wohl befindet?«

»Nein. Aber ich sollte Theologe werden und habe einige Classen durchgemacht. Dann starb der Vater, der nichts hinterließ, und ich griff zur Muskete.«

»Das hat Er gescheidt gemacht! Denke Er nicht etwa, daß der König diesen Wisch geschrieben hat. Den hat so ein Federfuchser verfaßt, der an seinem Latein und Französisch gewiß noch einmal ersticken wird. Da patschen diese Menschen in der fremden Tunke herum, als hätte unsere ehrliche deutsche Sprache nicht Worte genug, um mir zu sagen, daß wir dem Kaiser und dem Kurfürsten von Hannover zum Schure nun grad erst recht auf den Fang gehen werden. Da soll ich envoyiren, expediren, insipidiren, donniren, remaniren, goutiren, saisiren und noch sonst 'was -iren! – Hätte ich den Affenpintscher da, der das auf das Papier geschmiert hat, den wollte ich -iren, nämlich maulschelliren, kurbatschiren, turbiren, spießruthiren, füßiliren, stranguliren und dann zuletzt noch zum Teufel -iren! Schreibt der Hottentotte vom Vexillum! Die Werber schimpft er Conquisitores und unsere Werbestationen heißt er gar Bureaux d'afféage. Dieser Kerl hat entweder Ameisen oder Hummeln oder Ratten im Kopfe! Was heißt denn das Wort auf Deutsch?«

»Amtliche Stelle für Draufgeld.«

»Konnte er das nicht gleich schreiben, he? Sobald ich nach Berlin komme, erkundige ich mich nach diesem Wortverquirler, und dann werde ich so gut deutsch mit ihm reden, daß er denken soll, die lieben Englein im Himmel pfeifen Dudelsack! Das Beste an dem ganzen Krame ist, daß nun der Teufel erst recht losgehen soll, und daß wir dem Könige so bald wie möglich drei große hannöversche Kerls schaffen müssen. Aber woher nehmen und nicht mausen!«

»O,« lachte der Feldwebel, »mausen müssen wir sie doch!«

»Hm, ja, richtig ist's doch! Gleich drei auf einmal; das wird schwer halten!«

»Vielleicht ist es leichter, als Ew. Durchlaucht denken.«

»So? Feldwebel, ich sehe es Ihm an, Er hat einen guten Gedanken; Er hat wohl gar bereits etwas in Petto.«

»Möglich!«

»Rede Er!«

»Drei lange Kerls? Durchlaucht, das paßt mir gerade. Ich habe diese Drei schon längst gern los sein wollen.«

»Los sein? Wie meint Er das? Ich denke doch, daß wir sie nicht los sein, sondern daß wir sie bekommen wollen.«

»Und doch ist es so, wie ich sagte. Ich will sie gerne los sein, und Ew. Durchlaucht sollen sie bekommen.«

»Gleich Drei auf einmal?«

»Ja.«

»Große Kerls?«

»So lang und stark wie ich.«

»Donnerwetter! Wo denn?«

»Hm! Etwas weit von hier. Nämlich in Wustrow an der Jeetze.«

»Da unten? Er selbst hat sie gesehen?«

»Ja.«

»Wie alt?«

»Zwanzig, dreiundzwanzig und fünfundzwanzig.«

»Gesund?«

»Wie Forellen.«

»Wer ist's?«

»Der Vater heißt Hillmann und hat einen Gasthof mit Bäckerei und Fleischerei in Wustrow. Er selbst betreibt die Schänkerei und überlaßt das Backen einem Gesellen.«

»Warum nicht einem Sohne?«

»Weil keiner seiner Söhne Bäcker ist. Der Jüngste hat die Schlächterei und die beiden Andern betreiben den Viehhandel. Übrigens verkommen sie mit dem Alten nicht gar zu gut. Er gießt gern Einen hinter die Binde und ist dann geradezu unausstehlich. Und dann giebt es keinen gröbern Kerl im ganzen Deutschen Reich als ihn. Er ist wegen seiner Grobheit weit und breit berühmt, und wenn einmal ein Fremder kommt, der sucht gewiß den alten Hillmann auf, um sich von ihm abschnautzen zu lassen.«

»Alle Wetter! Er macht mich ja förmlich neugierig!«

»Ich sage nicht zu viel. Der Braunschweiger, Herzog August Wilhelm, der kürzlich mit seinem Bruder, dem Fürsten Ludwig Rudolf von Blankenburg, eine Reise nach Mecklenburg unternahm, hat extra einen Abstecher gemacht, um sich den groben Hillmann anzusehen. Wie man hört, soll er seinen Theil so bekommen haben, daß er sich in Wustrow sicherlich nicht wieder sehen läßt.«

»Hm, das wäre ja etwas für mich! Möchte mir dieses Unicum auch einmal begucken.«

»Übrigens kenne ich da unten noch mehrere Riesen, die wir gebrauchen könnten.«

»Wirklich?«

»Ja. In Lüchow hat der Schmied Peters einen Jungen, [43] dreizehn Viertel hoch und sechstehalb Viertel breit an den Schultern, und einen Gesellen aus dem Holsteinischen, der den Ambos dreimal um das Haus herumträgt.«

»Heiliger Ladestock, die müssen wir kriegen! Die Hillmanns und auch die Peters!«

»Das ist nicht leicht, Durchlaucht.«

»Glaub's schon! Müssen sie aber haben, grad diesem hannöverschen Georg Ludewig zum Trotze. Weiß Er keinen unter unsern Jungens, der in Lüchow und Wustrow genau Bescheid sagen kann?«

»O ja.«

»Wer?«

»Ich selbst, Durchlaucht.«

»Er? Hm, ja. Er sagte doch bereits, daß Er diese drei Kerls los sein wolle, und also muß Er doch Etwas mit ihnen haben.«

»Ich stand übrigens ein Jahr lang als Gemeiner auf Werbung in Lenzen und muß also auch deshalb die Gegend genau kennen.«

»Und wie kommt Er nach Lüchow und Wustrow?«

»Ich – ich – ich habe eine Liebste dort, Excellenz.« 1


[44]

[73] Der Oberlieutenant von Hartegg hatte vorhin die Stadt nicht etwa sofort verlassen, sondern war nach einem der bessern Gasthöfe gegangen, wo er ein separates Zimmer aufsuchte. In demselben saß ein junger Mann, der neunzehn bis zwanzig Jahre zählen mochte. Er war schlank aber kräftig gebaut, hatte angenehme Gesichtszüge, in denen aber ein aufmerksamer Beschauer die Spuren eines herrischen Eigenwillens leicht entdecken konnte, und zeigte in seinem ganzen Habitus gleich beim ersten Blicke, daß er wohl nicht der Sohn gewöhnlicher Eltern sei, obgleich seine Kleidung so einfach wie möglich gehalten war. Da er sich bei dem Eintritte des Oberlieutenants nicht erhob, so konnte er zu diesem wohl nicht in einem untergeordneten Verhältnisse stehen.

»Endlich!« meinte derselbe wie tadelnd. »Ihr habt mich sehr lange warten lassen, Lieutenant!«

»Es ging schnell genug, Königliche Hoheit,« antwortete Hartegg. Sein Ton war mehr abweisend als entschuldigend.

»Oho! Wollt Ihr Euch beleidigt zeigen? Ihr habt Euch noch unterwegs verweilt, wie ich sehe!«

»Woraus vermuthen Durchlaucht dies?«

»Ihr habt Einkäufe gemacht, während ich einsam wartete.«

»Nein!« erklang es kurz.

»Woher dann dieses Packet?«

»Vom Fürsten.«

»Vom Dessauer! Was enthält es?«

»Sehen Sie nach, Hoheit!«

Mit diesen sehr kalt gesprochenen Worten trat er in das Nebenzimmer. Dort lehnte er die Stirn an die Scheiben des Fensters. Sein Leben flog mit Gedankenschnelle an seinem geistigen Auge vorüber. Er war das hinterlassene, einzige Kind vornehmer und reicher Eltern – ein freier Mann, und doch durch dienstliche Rücksichten abhängig fast wie ein Sklave. Die außerordentliche Strenge und Peinlichkeit des damaligen Dienstes war es nicht, die ihn verbittern mußte; aber die Gewaltthätigkeit, welche dieser Dienst auch auf seine privaten Verhältnisse auszuüben begann, sie machte ihn mißmuthig. Er war ein ganzer Soldat und hatte viele Auszeichnungen erfahren; er war sogar Adjutant des jungen Mannes geworden, der da d'rin in dem andern Zimmer saß, dieses stolzen, aufgeblähten Jünglings, der nur seinen eigenen Willen, sein eigenes Ich berücksichtigte und alles Andere zu ignoriren gewohnt war. Diesem hatte er es zu verdanken, daß er in die Fesseln einer verhaßten Ehe geschlagen werden sollte. Er war der Protector des Obersten, dessen Tochter der Adjutant von dem Schicksale des Vergessens befreien sollte. Und weil nun Hartegg sich widerstrebend zeigte, suchte man auf alle Weise durch die Macht des Dienstes auf ihn einzuwirken. Man brachte ihn geflissentlich in schiefe Stellungen und in Lagen, denen sich kaum der Erfahrenste und Tapferste ohne Schädigung seiner Ehre zu entziehen vermochte. Man führte Gelegenheiten herbei, Verantwortlichkeiten über ihn zu bringen, denen auch der Schlaueste nicht gerecht zu werden vermochte.

»Ich habe es satt!« – murmelte er leise vor sich hin. »Dieser alte Kriegsheld, der mit seinem Lobe sicher mehr als sparsam ist, sagt mir offen und rückhaltslos, daß er Tausende zahlen würde, wenn ich übertreten wollte, und hier – peinigt man mich wie einen Rekruten, der den einfachsten Handgriff nicht begreifen will. Ich sollte ihnen wahrhaftig davonlaufen! Verdammte Erfindung, diese Ehre, die Einem anhängt wie ein Hemmschuh! Was könnte ich sein und werden, wenn ich beim alten Dessauer wäre!«

»Lieutenant!« rief es da im Nebenzimmer.

Er gehorchte dem Rufe. Der junge Mann blickte ihm hoch aufgerichtet und mit zornigen Augen entgegen.

»Er vergißt wohl, wen Er vor sich hat?«

»Ich weiß dies ganz genau, Excellenz. Es ist Seine königliche und kurfürstliche Hoheit, Prinz Friedrich Ludwig von England, Irland, Schottland und Hannover.«

»Dessen Adjutant und Diener Er ist. Wenn Er dies aber so sehr genau weiß, warum verhält Er sich nicht darnach?«

»Ich bin mir keiner Respect- oder Dienstwidrigkeit bewußt, Hoheit!«

»Nicht? Hat Er den Ton vergessen, in welchem Er mir antwortete? Hat Er vergessen, daß Er sich zurückzog, ehe Er von mir die Erlaubniß dazu erhielt? Wie kann Er mir zutrauen, dieses Wurst- und Käsepacket zu öffnen, mir, dem erstgeborenen Sohn des Kronprinzen und ältesten Enkel des Königs von Großbrittannien und Hannover?«

»Königliche Hoheit wollen bedenken, daß ich mich keineswegs im Dienste befinde, und daß es Angriffe giebt, denen der Untergeordnete nur dadurch entgehen oder begegnen kann, daß er sich entfernt.«

»Meint Er? Aus welchem Grunde glaubt Er, daß Er sich nicht im Dienste befindet?«

»Man trägt im Dienste Uniform.«

»Die trägt Er ja!«

»Aber Ew. Hoheit nicht. Diese Uniform legte ich nur [73] um des Feldmarschalls Leopold von Anhalt-Dessau willen an und werde sie jetzt wieder in die Reisetasche thun.«

Der junge Prinz trat ihm einen Schritt näher.

»Lieutenant, vergesse Er sich nicht, damit ich mich nicht auch vergesse!«

»Ew. Hoheit haben sich bereits schon vergessen!«

»Was? Er wagt – – –!«

»Ich wage nichts; ich thue nur Das, was ein jeder ehrenhafte Officier thun muß. Ew. Excellenz treten mir continuirlich und auch vorhin noch in einer Weise entgegen, die mich mit dem innigsten Mißmuthe erfüllen muß. Ich bin Ew. Hoheit Adjutant und militärischer Gehilfe, keineswegs aber Ihr Civilbedienter, der für Härte und ungerechtfertigtes Mißtrauen keine Empfindung haben darf!«

»Gut, gut! Mein königlicher Vater und Großvater mögen Ihr allerhöchstes Gutachten über diesen Punkt aussprechen, denn meiner Würde dürfte es wohl nicht angemessen sein, mich mit Ihm zu zanken. Jetzt aber hat Er mir von Seiner Unterredung mit dem Dessauer Bericht zu erstatten!«

»Meine Audienz beim ›Dessauer‹, wie Ew. Hoheit den Fürsten zu nennen belieben, hat ganz das Resultat gehabt, welches ich vorhersagte.«

»Erkläre Er sich deutlicher!«

»Er empfing mich so, wie man den Boten eines Feindes empfängt.«

»Wir wissen, daß er keine Sympathie für Uns hegt, aber Er kann sehr überzeugt sein, daß diese Abneigung eine gegenseitige ist.«

»Ich weiß es. Der Feldmarschall war grob, sehr grob. Er hatte bereits erfahren, daß unsere Werber den Klempner aus Betzendorf weggeführt haben, und war ganz ergrimmt darüber, daß wir unter solchen Umständen es wagen, Beschwerde über die Preußen zu führen. Sollten unsere Leute in Brohme Erfolg haben, so wird sein Grimm noch stärker werden.«

»Haha, ich hätte seine Ausdrücke hören mögen!«

»Sie waren ganz so, wie man es bei ihm gewohnt ist. Er griff endlich sogar zum Stocke.«

»Um zu schlagen?« frug der Prinz erstaunt.

»Wozu anders?«

»Ihn?«

»Natürlich!«

»Das hätte er mir thun sollen!«

»Was hätten Excellenz gethan?«

»Ich hätte ihn geohrfeigt.«

»Ew. Hoheit kennen den Fürsten nicht, haben ihn noch nicht einmal gesehen. Er ist der Mann nicht, der sich beohrfeigen läßt. Excellenz wären bereits beim ersten Schlage eine Leiche gewesen.«

»Er hat sich also die Schläge ruhig gefallen lassen?«

»Pah!«

»Was sonst?«

»Ich zog blank.«

»Donnerwetter!«

»Hieb ihm den Stock entzwei und forderte ihn.«

»Das, das hätte Er gewagt? Er, als Lieutenant?«

»Ist dieser Grad ein Grund, es nicht thun zu dürfen?«

»Was antwortete er?«

»Er wies die Forderung zurück.«

»Da hat Er es! Wenn Er zum Beispiele es wagte, mich zu fordern, so ließ ich Ihn erst Spießruthen laufen, dann aber degradiren und lebenslänglich in das Zuchthaus stecken!«

»Ich bin überzeugt davon,« antwortete Hartegg mit eisiger Kälte.

»So ist Er also mit Seiner Forderung riesig abgeblitzt!«

»Wohl nicht!«

»Was sonst? Das war wieder einmal eine Seiner jugendlichen Dummheiten, und diesmal ist es um so schlimmer, als Er damit das ganze hannöversche Officiercorps blamirt hat!«

»Gestatten mir Ew. Hoheit eine ganz entgegengesetzte Meinung. Ich bin überzeugt, diese Ehre nach besten Kräften verfochten zu haben. Der Fürst ist leidenschaftlich, grob und gewaltthätig, aber er weiß sehr genau, was ein Officier seiner Ehre schuldig ist. Er weiß, daß in dieser Beziehung ein Lieutenant sogar mit einem regierenden Fürsten ganz auf gleicher Linie steht, und würde trotz seiner Gewaltthätigkeit eine Forderung niemals mit Spießruthen, Cassation und Zuchthaus beantworten. Er hat zwar die Forderung zurückgewiesen, mir aber doch die glänzendste Satisfaction gegeben, die ich nur wünschen konnte.«

»Ah! Wie so?«

»Er hat mich für seine Übereilung mit der Hand um Verzeihung gebeten.«

»Das ist nicht wahr!«

»Excellenz!«

»Er lügt!«

»Excellenz!!«

»Ich bleibe dabei: Er lügt!«

»Excellenz!!!«

Die Augen Hartegg's blitzten zornig. Es war ihm anzusehen, daß er sich nur mit äußerster Austrengung beherrschte. Der Prinz lächelte darüber und meinte:

»Das kann er nicht gethan haben, denn das ist bei einem Fürsten niemals möglich.«

»Bei einem hannöverschen Fürsten, wollen Ew. Hoheit wohl sagen!«

»Lieutenant!«

»Schon gut! Daß es bei einem Fürsten möglich ist, hat der Feldmarschall ja bewiesen. Er sagte wörtlich zu mir: ›Einen Andern beleidigen, das kann ein Jeder, aber eine übereilte Beleidigung wieder abzubitten, das ist ehrenhafter, als mit dem Froschmesser zu renommiren und zu der Beleidigung auch noch den Todtschlag fügen.‹ Und das ist ganz auch meine Ansicht von der Sache. Er hätte es sich gar nicht beikommen lassen, nach dem Stocke zu greifen; aber ich erzürnte ihn dadurch, daß ich nicht ungebührlich von meinem Herrn reden lassen wollte.«

[74] »Ah! Was hat er gesagt?«

»Es wird besser sein, dies zu überschweigen.«

»Ich befehle Ihm, es zu sagen!«

»So muß ich es allerdings berichten,« meinte der Lieutenant mit innerlichem Vergnügen. »Er meinte: ›Wenn Sein Georg Ludewig nicht aufhört, uns zu infamiren, so reite ich ihm Gottstrambach vor die Bude und haue ihn, daß es flunkert!‹«

»Das ist stark!«

»Mir schien es auch so, und daher verbat ich mir dergleichen Ungebührlichkeiten. Er wurde darauf grob gegen mich selbst, und daher forderte ich ihn. Ich meine also, nur recht gehandelt zu haben, und zum Dank dafür werde ich von Ew. Hoheit in einer Weise beleidigt, welche mich veranlaßt, Excellenz ganz Dasselbe zu sagen, was ich dem Fürsten sagte.«

»Was?«

»Ich werde mir gestatten, Ew. Hoheit fordern zu lassen, falls der ›Lügner‹ nicht augenblicklich widerrufen wird.«

»Mensch!«

»Ich bin Ew. Excellenz Untergebener, werde aber zusehen, ob man wirklich den Muth besitzt, mich Spießruthen laufen zu lassen und so weiter.«

»Diesen Muth werde ich haben, und sogar sehr! Sein Verhalten ist ja die reine Auflehnung und Empörung! Was bildet Er sich eigentlich ein? Weiß Er, wer und was Er ist?«

»Ich weiß es.«

»Ich will noch einmal Nachsicht mit Ihm haben; aber ich verlange dann von Ihm die augenblickliche Erklärung, daß Er eine große Dummheit begangen hat.«

»Diese Erklärung gebe ich nicht!«

»Nicht?«

»Nein!«

»So befehle ich Ihm, Seine ungereimte Forderung sofort zurückzunehmen!«

»Auch das thue ich nicht!«

»Was!«

»Ich kann nicht.«

»Ich befehle es Ihm zum zweiten und letzten Male!«

»Es kann und darf mir Niemand befehlen, meine Ehre beflecken zu lassen. Ich wurde ein Lügner genannt und bestehe auf Genugthuung. Ich verlange dieselbe entweder durch die Waffe oder durch die Erklärung, daß dieser beleidigende Ausdruck zurückgenommen wird!«

»Offener Ungehorsam! Offene Widersetzung!«

»Meinetwegen!«

»Weiß Er, was Er zu erwarten hat?«

»Ich werde es erwarten!«

»Ich werde Sein Verhalten dem Könige melden!«

»Und ich werde das Verhalten Ew. Hoheit dem gesammten Officierscorps zur Kenntniß bringen. Das militairische Ehrengericht mag entscheiden, wer ehrenhaft handelte, Excellenz oder ich.«

»Kerl! Hätte ich nur einen Stock, so griff ich auch darnach!«

Da richtete sich Hartegg in die Höhe. Seine Lippen zitterten, und seine Stimme klang vor Empörung beinahe heiser: »Kerl! Nimmst Du dieses Wort im Augenblick zurück?«

Der Prinz erblaßte und wich um einige Schritte retour.

[75]

[89] Der junge Prinz sah ein, daß er zu weit gegangen war, und daß es nur eines winzigen Tropfens bedurfte, um das bereits längst volle Gefäß überlaufen zu lassen.

»Hartegg!« rief er, halb zornig und halb verlegen.

»Was?«

»Was fällt Ihm ein! Ist Er bei Sinnen?«

»Sehr! Es wurde vom Stocke gesprochen. Wird das widerrufen oder soll ich die einzige Antwort geben, die darauf möglich ist?«

»Welche?«

»Ich werde öffentlich erklären, daß mir mit dem Prügel gedroht wurde, und daß ich darauf mit einer – mit einer Ohrfeige antwortete!«

»Mensch!«

»Antwort!?«

Der Lieutenant folgte dem Prinzen. Dieser sah die hühnenhafte Gestalt hart vor sich. Es war kein Entrinnen.

»Hartegg, ich bin Sein General und der Enkel Seines Regenten!«

»Bei diesem Betragen glaube ich das nicht. Also Antwort, augenblicklich!«

»Nun gut! Ich widerrufe!«

»Auch den Lügner?«

»Ja.«

»So will ich in Anbetracht der großen Jugend Ew. Excellenz und auch des Umstandes, daß wir uns unter vier Augen befinden, einmal annehmen, daß die Beleidigung nicht geschehen ist.«

Er trat mit einer sehr gemessenen Verbeugung zu rück.

Der Prinz sah sich nicht mehr eingeengt und gewann sogleich wieder den gewohnten Stolz und Muth.

»Und ich gebe Ihm grad' auch in Anbetracht des letzteren Umstandes die Versicherung, daß ich nur deshalb widerrief, weil wir allein waren!«

»Das weiß ich, Hoheit!« antwortete Hartegg mit einem überlegenen Lächeln. »Der Widerruf ist aber geschehen, und so kann ich mich zufrieden geben.«

»Ich werde dennoch Sein Verhalten melden!«

»Ich bin gefaßt darauf.«

»Was folgt, kann Er sich denken!«

»Ich habe bereits einmal gesagt, daß ich es abwarten werde!«

»Meine Freundschaft hat Er sich ein für allemal verscherzt!«

»Ich wußte nicht, daß ich sie besaß.«

»Ich sehe immer mehr, welch ein harter Kopf Er ist; aber man wird Ihn schon noch zu packen wissen. Für jetzt aber ist diese Sache erledigt, und wir können unser Thema wieder aufnehmen. Er weiß, daß ich nach Dessau ging, um mir den Fürsten einmal unerkannt zu betrachten. Wie wird das möglich sein?«

»Gehen Ew. Hoheit in die Kirche. Er wird sicherlich kommen.«

»Er wird mich begleiten, Lieutenant!«

»Gestatten Excellenz, daß ich zurückbleibe!«

»Warum?«

»Man kennt mich jetzt hier, und Ew. Hoheit begeben sich in die Gefahr, erkannt zu werden, wenn ich dabei bin.«

»Das ist richtig. Er wird mich also hier erwarten.«

»Zu Befehl!«

»Nach der Kirche reisen wir sofort ab.«

»Nach Hannover?«

»Unterlasse Er solche alberne Fragen! Er weiß, was ich vorhabe.«

»Ich muß die Warnung, welche ich bereits wiederholt aussprach, festhalten. Bedenken Excellenz, wie außergewöhnlich und auch gefährlich ein solches Beginnen ist!«

»Pah.«

»Seine Majestät vermuthen Sie in Celle. Ich habe bereits eine schwere Verantwortung auf mich geladen, daß ich Ew. Hoheit mit nach hier nahm!«

»Verantwortung? Er hat mir zu gehorchen!«

»Ich befinde mich dennoch in einer peinlichen Lage, da auch der König Gehorsam von mir fordert. Trifft uns ein Unfall, so wird man nicht Ew. Excellenz, sondern allein mich zur Rechenschaft ziehen. Und nun gar der abenteuerliche Gedanke, den Werber spielen zu wollen!«

»Grad' das Abenteuerliche ist es, was mich reizt. Hat Er nicht gehört, daß der ›Dessauer‹ oft dasselbe thut? Er geht incognito im Lande umher und soll auch bereits schon über die Grenze gerathen sein, um sich in eigener Person einige Rekruten zu holen.«

»So etwas kann auch er nur wagen; er ist der rechte Mann dazu!«

»So! Ich nicht?«

»Das, was für einen gewöhnlichen Mann etwas Ungefährliches ist, kann für einen Prinzen ein Wagniß sein!«

»Für den Fürsten von Anhalt-Dessau ebenso. Was[89] Dieser vermag, das kann ich auch. Verstanden? und überdies bin ich durch den Hof und den Dienst so abgespannt, daß mir eine Unterhaltung anderer Art einmal geboten erscheint. Ich werde Ihn nach Lenzen begleiten.«

»Ich kann es nicht verantworten!«

»Das soll Er auch gar nicht.«

»Bedenken Ew. Hoheit, daß der Auftrag schon mir nicht angenehm ist. Ich habe den Befehl erhalten, falls sich der ›Dessauer‹ nicht gefügig zeigt, sofort ein Exempel zu statuiren und den Lenzener Jahrmarkt zu benutzen, um einen möglichst bedeutenden Fang zu machen. Das ist nicht ungefährlich. Wenn man mich erwischt, so steht es mit mir Matthäi am Letzten.«

»Ah, Er fürchtet sich!«

»Pah! So lange mir freie Hand bleibt, habe ich nichts zu befürchten. Wenn ich aber auch auf die Sicherheit Ew. Hoheit Rücksichten zu nehmen habe, ist mir die Hand gebunden und ich kann für nichts stehen.«

»Ich werde für meine Sicherheit schon selbst zu sorgen wissen! Übrigens steht Ihm ja Militair zur Verfügung. Wie viel Mann hat Er?«

»Es kommen von Dannenberg vierzig Mann herüber. Zwanzig gehen verkleidet in die Stadt, und die anderen Zwanzig bleiben nach Gartow zu an der Grenze halten, um uns zu erwarten oder nötigenfalls beizuspringen.«

»Und mit diesen vierzig Mann fühlt Er sich nicht sicher?«

»Man kann die Verhältnisse nicht vorher berechnen. Ich ersuche Ew. Hoheit wirklich allen Ernstes, von dem Vorhaben abzustehen!«

»Unsinn! Ich will ein Abenteuer haben! Aber um Ihn einigermaßen zu beruhigen, werde ich Ihm versprechen, mich nicht viel in Lenzen selbst sehen zu lassen. Wohin sind Seine Leute bestellt?«

»Nach dem Gasthof ›zum Mecklenburger,‹ wo sie Einer nach dem Andern ohne Aufsehen und in verschiedener Verkleidung erscheinen werden.«

»Dann werde ich mein Absteigequartier in Lüchow nehmen.«

»In Lüchow!« frug der Lieutenant aufmerksam.

»Ja.«

»Im Gasthofe?«

»Nein. Auf dem Schlosse.«

»Incognito?«

»Versteht sich!«

Der Prinz warf einen raschen Seitenblick auf Hartegg und fuhr weiter fort: »Ich habe gehört, daß sich die kleine Liebau dort befindet.«

»Möglich!« meinte der Oberlieutenant ruhig.

»Die Liebau nämlich, an Der Er so viel Antheil zu nehmen scheint!«

»Es scheint nicht nur so, sondern es ist Wirklichkeit, Excellenz.«

»Eine kleine, vorübergehende Liaison, pah! Er hat, wenn es einmal Ernst sein soll, ganz andere Chancen vor sich. Übrigens hat mir diese Liebau, als wir uns vergangenes Frühjahr zufällig in Uelzen sahen, nicht übel gefallen. Sie ist ein Prachtmädel, der man wohl einmal eine Schäferstunde widmen könnte. Ich werde sehen, was sich auf Lüchow thun läßt!«

»Excellenz dürften auf die erwartete Schäferstunde verzichten müssen!«

»Ah! Warum?«

»Fräulein von Liebau ist keineswegs der Gegenstand eines flüchtigen Spieles.«

»Das kennt man, Lieutenant,« lachte der Prinz. »Der Enkel eines Königs ist niemals unwillkommen!«

»Hier dürfte es anders sein!«

»Pah! Sie gefällt mir, und sie wird mein!«

»Gestatten Hoheit mir die Mittheilung, daß Auguste von Liebau meine Braut ist!«

»Er faselt!«

»Ich spreche sehr im Ernste. Ich habe bereits bei ihrem Vater um sie angehalten.«

»Komödie!«

»Und das Jawort bekommen.«

»Das mache Er weiß, wem Er will, aber mir nicht! Wenn Er sich wirklich eine Frau nehmen will, so weiß Er, wo Er sie zu suchen hat. Das Hauptmanns-Patent liegt in diesem Falle schon für Ihn bereit.«

»Ich werde nur das Weib nehmen, welches ich mir selbst wähle!«

»Natürlich! Er wird Diejenige wählen, die Seinen Intentionen nahe gelegt worden ist.«

»Niemals!«

»Unsinn! Er kennt Unsere Wünsche und hat darnach zu handeln. Versteht Er?«

»Es giebt nur einen Wunsch, den ich hierbei zu berücksichtigen habe, und das ist der meinige. Ein Mann nimmt sich ein Weib, aber er läßt es sich nicht aufnöthigen.«

»Werden sehen! Er wird sich in Beziehung auf Seine Carrière nicht im Wege stehen wollen. Seine Liebau aber werde ich einmal für mich engagiren.«

»Hoheit!«

»Was?«

»Ich werde den Abschied nehmen!«

»Er wird zusehen, ob Er ihn erhält!«

»Erhalte ich ihn nicht, so gehe ich selbst!«

»Dann ist Er Deserteur, und Seine in Hannover gelegenen Güter sind für Ihn verloren. Das hat Er sehr wohl zu berücksichtigen. Also wozu das leere Geschwätz! Es hat schon längst zur Kirche gelauten, und ich muß gehen. Er erwartet mich und hat also bis zu meiner Rückkehr vollständig Zeit, darüber nachzudenken, welche Veranlassung Er mir heute gegeben hat, Ihm meine Ungnade im vollsten Maße empfinden zu lassen. Sehe Er zu, ob Er es ermöglichen kann, seine Dummheiten wieder gut zu machen!«

[90]

[105] Incognito's

Ueber den Schloßhof von Lüchow schritt ein Mann, dessen Aussehen nicht sehr appetitlich war. Ein langes, wirres, ungekämmtes Haar hing ihm über das Gesicht herein und ebenso verwahrlost sah der dichte, volle Bart aus, der wohl niemals eine ordentliche Pflege gekannt hatte. Auf dem Kopfe klebte eine Mütze, deren ursprüngliche Form und Farbe gar nicht mehr zu erkennen war. Die hohe, breitschulterige Gestalt des Mannes war in ein Röcklein gekleidet, welches sicher früher auf einem viel kleineren, schmächtigeren Körper gesessen hatte, denn die Aermel reichten nur wenig über den Ellbogen herunter, und die Taille saß beinahe oben zwischen den Achseln. Die Hosen bestanden aus lauter zusammengenähten Flicken und Flecken; die Gamaschen hatten Runzel auf Runzel, und die Schuhe schienen in einem sehr intimen Verhältnisse zu den Zehen zu stehen, denn sie gestatteten ihnen, aus ihrer Gefangenschaft einen eigentlich unerlaubten Ausguck in die freie Welt zu halten. Der Mann trug einen alten, schmierigen Sack auf dem Rücken und ein großes Pflaster quer über der geschwollenen Nase, hatte aber trotz alledem Etwas an sich, was den Gedanken, daß er zu dem Volke der Lüderlichen gehöre, nicht wohl aufkommen ließ.

Vor dem Portale des Schlosses stand der Verwalter Hartig, ein kleines, dünnes Männchen mit spitziger, unangenehmer Vogelphysiognomie.

»Was will Er?« schnauzte er den Ankommenden mit hoher Fistelstimme an.

»Verzeihung, Herr Baron! Ich bin – – –«

»Ich bin nicht der Baron«, unterbrach ihn Hartig, »aber Er kann mich dessen ungeachtet Ew. Gnaden nennen.«

»Sehr schön!« antwortete der Mann in sehr respectvollem Tone. »Ich bin ein armer Handelsmann, der Ew. Gnaden um die Erlaubniß bittet, den Leuten des Schlosses seine Waaren zeigen zu dürfen.«

»Womit handelt Er?«

»Mit Wichse, Stiefelschmiere, Pflaster, Schnürsenkeln, Zwirn, Puder, Knöpfen und Nähnadeln.«

»Für welche Krankheit hilft Sein Pflaster?«

»Es hilft gegen Magenkrebs, Zahnschmerzen, güldene Ader, Aufreiten, Kolik bei Mensch und Thier, Kopfschmerz, Sommersprossen, Ziegenpeter, alle Arten und Sorten von Fieber, Bandwurm, Feldmäuse, Maulsperre, Wasserkopf, Brüche, krumme Beine, Hieb-, Schuß- und Stichwunden, Hühneraugen, Herzwurm, Blasensteine, Warzen, Veitstanz, Mitesser, Rothlauf, Auszehrung, Ueberbeine, Gicht, böse Augen, Weichselzopf, Spat, Dampf, Klauenseuche, Drehwurm, Pips, Wassersucht, Knochenfraß, Schnecken, Regenwürmer, Verrenkung, Nasenbluten, Beulen und Gartenflöhe.«

»Was sagt Er! Für das Alles hilft Sein Pflaster?«

»Für das Alles und noch viel schrecklichere Krankheiten. Wollen Ew. Gnaden eine Probe machen? Haben Ew. Gnaden vielleicht den Weichselzopf oder den Ziegenpeter, die Klauenseuche oder den Knochenfraß und – – –«

»Kerl! Was fällt Ihm ein, he? – Ich – und die Klauenseuche! Ist Er vielleicht verrückt?«

»Ew. Gnaden haben mich ja nicht ausreden lassen! Ich wollte sagen, den Weichselzopf, den Ziegenpeter, die Klauenseuche oder den Knochenfraß im Schlosse. Ich helfe ganz sicherlich. Mein Wunderpflaster wird von dem weltberühmten Doctor, Professor und Wunderkünstler Amadeus Plaustrumus Singultus Promontorius Paderborniensis verfertigt. Es hilft zu jeder Zeit, zu jeder Stunde, bei jeder Krankheit und bei jeder Wunde.«

»Das scheint allerdings ein sehr berühmter Name zu sein, denn er ist lateinisch und sehr lang. Hilft Sein Pflaster auch gegen Leberflecke und gegen das Herzgespann?«

»O, sehr schnell, Ew. Gnaden.«

»Meine Frau hat das Gesicht voller Flecke, und besonders Nachmittags spannt es ihr gewaltig um das Herz herum. Ich werde Sein Pflaster einmal versuchen. Wo hat man es aufzulegen?«

»Gegen die Leberflecke kommt es auf die linke Wade, und gegen das Herzgespann legt man es zwölf Tage lang auf den Nabel.«

»Auf den Nabel? Zwölf Tage lang? Ist es stark?«

»Ja«.

»Es wird ihr doch nicht etwa gar den Nabel herausziehen!«

»Nein, aber herunterziehen.«

»Wie so?«

»Das Herzgespann kommt doch daher, daß der Nabel bis hinauf zum Herzen wächst; dann wickelt er sich um dasselbe herum und würgt es langsam ab.«

»Donnerwetter! Das leuchtet mir ein, denn sie hat ganz das Gefühl, als ob ihr der Nabel das Herz erdrücken wolle!«

»Mein Pflaster hat also den Nabel anzupacken und wieder herunterzuziehen.«

[105] »Gelingt es auch immer?«

»Ja.«

»So gebe Er ein Pflaster her!«

Der Fremde nahm den Sack vom Rücken, griff hinein und zog ein Schächtelchen hervor.

»Hier, Ew. Gnaden!«

»Was kostet es?«

»Eigentlich einen Gulden. Aber weil es für eine so hohe Patientin ist und weil Ew. Gnaden mir die Erlaubniß ertheilen, meine Sachen hier verkaufen zu können, so kann ich unmöglich Etwas nehmen. Ich will es der gnädigen Frau schenken.«

»Ich danke Ihm! Ich sehe, daß Er Lebensart besitzt, obgleich Er nicht darnach aussieht. Was hat Er denn für ein Ding im Gesicht?«

»Das ist eine sehr gefährliche Bremse, die ich von den preußischen Werbern erhalten habe.«

»Was hat denn Er mit ihnen zu thun?«

»Sie wollten mir meinen Sack ausräumen, und ich wehrte mich dagegen.«

»Da hat Er diesen Hieb erhalten?«

»Ja; aber ich habe ihn mit Zinseszinsen zurückgegeben.«

»Freut mich sehr! Diese Hallunken sollte man eigentlich ganz todtschlagen. Aber sage Er, Seine Bremse ist doch nicht etwa ansteckend?«

»Gott bewahre! Es ist ja nur von einem Hiebe!«

»Nun gut. So sehe Er hier zu, ob Er etwas verkaufen kann. Ich werde Ihm nicht hinderlich sein.«

Das kleine Männchen machte sich davon, und der Pflasterhändler stieg die Treppe empor. Droben begegnete er einem Mädchen. Sie war halb wie eine Zofe und halb wie etwas Besseres gekleidet, von hoher, voller Gestalt und blühenden Wangen. Wer sie sah, mußte sie für eine Schönheit erklären. Sie erstaunte, als sie den fremden Mann erblickte, denn Leute von seinem Aussehen wurden hier wohl selten zugelassen.

»Was will Er?« frug sie ihn.

»Guten Tag, schöne Jungfer!« antwortete er. »Der Herr Verwalter hat mir erlaubt, hier im Schlosse meine Waaren zu verkaufen.«

»Was hat Er für Sachen?«

»Pflaster, Wichse, Stiefelschmiere, Nähnadeln, Schnürsenkel, Puder, Zwirn, Heftel und Knöpfe.«

»Ich brauche nichts.«

»Will Sie mir nicht sagen, wo ich Jemand finde, der vielleicht etwas kauft!«

»Gehe Er dort in die Küche. Da sind die Mägde.«

Sie wollte an ihm vorüber. Er aber vertrat ihr den Weg.

»Warte Sie nur noch einen Augenblick, schöne Jungfer!«

»Was will Er noch?«

»Ich wollte Sie nur fragen, ob sich nicht vielleicht heute ein Handwerksbursche hier hat sehen lassen, der seines Zeichens ein Bäcker ist?«

»Ich habe nichts bemerkt. Adieu!«

»Halt. Ich habe noch etwas.«

»Was?«

»Einen Gruß.«

»An wen?«

»An ein Mädchen, das Anna Grunert heißt. Wo finde ich sie?«

»Ich bin es selbst.«

Er blickte sie erstaunt an.

»Sie? Hm! Hat keinen schlechten Geschmack, der Kerl!«

»Wer?«

Er trat ihr einen Schritt näher und sagte mit gedämpfter Stimme: »Der Feldwebel, der Goldschmidt.«

Ihre rosigen Wangen wurden noch röther.

»Von Dem? Von ihm ist der Gruß?«

»Ja.«

»Wo hat Er ihn getroffen?«

»In Lenzen.«

»Wann?«

»Gestern Abend. Ich habe Ihr etwas sehr Wichtiges auszurichten. Hat Sie keine Stube, wo uns Niemand hört?«

»Komme Er!«

Sie führte ihn eine Treppe höher und öffnete dort eine Thür. Beide traten in ein allerliebstes, zweifenstriges Stübchen, welches so nett und sauber gehalten war, daß man seine Freude haben mußte. Der Händler zog die Thür hinter sich zu und schob den Riegel vor.

»Warum verriegelt Er?« frug sie.

»Weil uns Niemand zu überraschen braucht.«

»Also, was hat Er mir auszurichten?«

»Das!«

Er legte den Sack auf den Boden, schlang seine Arme um das Mädchen und drückte ihr einen schallenden Kuß auf die kirschrothen Lippen.

»Unverschämter!«

Mit einem raschen Rucke hatte sie sich losgewunden; dann holte sie blitzschnell aus und versetzte ihm eine Ohrfeige, welche hundertmal stärker klatschte als der Kuß vorher.

Der Mann fuhr sich mit der Hand nach dem Backen.

»Himmeldonnerwetter, das ist ja eine noch viel ärgere Bremse als diejenige, welche ich vorhin dem Verwalter vorgefaselt habe! Anna, Du bist weiß Gott ein Pracht- und Kernmädel. Besser kann ich's selber nicht!«

Sie trat abermals erstaunt zurück.

»Was soll denn das? Wer ist Er?«

Er nahm einen Kieselstein aus dem Munde, die Mütze ab und die falsche Perrücke vom Kopfe.

»Na, wer wird's denn sein? Schau her, Du schlagende Wetterhexe?«

Sie schlug die Hände zusammen.

»Wilhelm!«

»Na, endlich! Wenn es wahr ist, daß die Liebe blind ist, so kann ich mit der Deinigen sehr zufrieden sein.«

»Mein Himmel, wie siehst Du aus!«

»Allerliebst, nicht wahr?«

»Wozu diese Maskerade?«

»Komm, setze Dich her zu mir. Ich werde es Dir sagen.«

[106] »Gut. Aber komme mir ja nicht etwa zu nahe heran! Du siehst ja aus wie der allerschlimmste Vagabund!«

»Nicht wahr? Ich war neugierig, ob Du mich erkennen würdest. Die Probe ist sehr gut ausgefallen, denn ich sehe, daß ich nun vollständig sicher bin. Wenn Du mich nicht erkennst, so vermuthet sicherlich auch kein Anderer den Goldschmidt in mir.«

»Ich wundere mich selber darüber, daß ich Dich nicht sofort erkannte.«

»O, diese Kleidung, der Bart und die Haare, und schließlich noch der Stein im Munde, der die Sprache vollständig verändert, gar nicht zu rechnen die wunderhübsche Beule, die ich mir über das Gesicht geklebt habe.«

»Auch sie ist nicht echt?«

»Nein. Mehl und Leim, weiter nichts.«

»So nimm wenigstens diesen Bart für einen Augenblick herunter!«

»Das geht nicht. Er ist mit Mispelleim fest gemacht.«

»So komm mir ja nicht zu nahe!«

»Hm! Ich habe an der einen Maulschelle genug! Der Appetit ist da, das ist richtig; aber wenn ich nicht freiwillig einen Schmatz kriege, so lasse ich es bleiben. Ich muß gewärtig sein, Du haust mir meinen Karfunkel von der Nase weg, und so einen bekomme ich nicht gleich wieder.«

»Na also, erzähle!«

»War wirklich noch kein Handwerksbursche da?«

»Nein.«

»So wird er bald kommen.«

»Wer ist es?«

»Rathe!«

»Ach was! Sage es lieber gleich!«

»Der Alte.«

»Welcher Alte?«

»Der Dessauer.«

Sie fuhr in die Höhe.

»Was?! Ist's möglich?«

»Ja.«

»Was will denn Der hier?«

»Dich sehen.«

»Mich? Warum?«

»Hm! Ob Du ihm gefällst.«

»Geh weg!«

»Wirklich; es ist so! Ich habe ihm von Dir erzählt, und nun will er einmal unerkannt sehen, was Du für ein Mädchen bist. Gefällst Du ihm, so heirathen wir uns; gefällst Du ihm aber nicht, so – – –«

»So heirathen wir uns wohl nicht, he?«

»O ja, auch, ihm zum Trotze. Aber dann müßte ich meinen Abschied nehmen.«

»Höre, es kommt mir etwas unwahrscheinlich vor, daß der Fürst meinetwegen von Dessau nach Lüchow laufen sollte, noch dazu in der Verkleidung als Handwerksbursche!«

»Er kommt allerdings nicht blos Deinetwegen.«

»Was will er sonst noch?«

»Das ist eigentlich Dienstsache.«

»Ist das Geheimniß so sehr wichtig?«

»Allerdings, wenn man es recht betrachtet. Aber Du sollst es erfahren, da ich sicher bin, daß Du nichts verrathen wirst.«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Die Hannöverschen haben uns in den letzten Tagen mehrere Rekruten weggeführt, und darüber ist der Alte so teufelswild, daß er in höchsteigener Person ausgiebige Revanche nehmen will.«

»Ah! Ihr wollt Euch einige Bursche holen?«

»Ja.«

»Ich habe nichts dagegen. Thut mir nur den Gefallen und nehmt den Peters mit, der immer aufdringlicher wird!«

»Grad diesen nehmen wir.«

»Will es der Fürst?«

»Ja. Ich habe ihm erzählt, daß man Dir den Kerl aufdringen will, und so werden wir ihn unschädlich machen.«

»Du, ich werde Deinen Alten lieb gewinnen!«

»Schön! Ist der große Geselle noch bei Peters?«

»Ja.«

»Auch er muß mit!«

»Du, nehmt Euch in Acht! Es ist keine Kleinigkeit, solche Leute zu überwältigen und fortzuschleppen.«

»Pah! Man ist auch nicht aus Watte gemacht, obgleich ich Deine Maulschelle ruhig hingenommen habe. Übrigens stehen uns dreißig Soldaten zur Verfügung. – Wie verkommst Du mit den Deinen?«

»Schlecht!«

»Ah?«

»Wilhelm, es ist wirklich ein Jammer und ein Elend zu Hause. Der Vater trinkt mehr als jemals zuvor und mißhandelt die Mutter, und die Brüder helfen ihm dabei. Sie will die Scheidung einreichen.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Das freut mich; das ist gut!«

»Warum?«

Sollte er ihr sagen, daß er beabsichtigte, grad auch ihre drei Stiefbrüder wegzufangen? Er zog vor, darüber doch zu schweigen.

»Weil, dann das Elend ein Ende hat,« antwortete er.

»Die Mutter liegt schwer darnieder, so hat er sie zugerichtet!« klagte das Mädchen, dem Thränen in den Augen standen.

»Er wird ausgezahlt; darauf kannst Du Dich verlassen! Und Dein lieber Vormund, der Knirps?«

»Noch immer wie früher. Ich soll und muß den Peters heirathen. Der Vormund scheint dem alten Peters viel Geld schuldig zu sein.«

»Ah, ist es so! Da werden wir einmal dazwischen fahren! Willst Du uns dabei helfen?«

»Natürlich. Nur immer fort mit dem Menschen! Wie ist Euer Plan?«

»Der Fürst hat sich als Handwerksbursche verkleidet und wird hier in der Gegend nach passenden Burschen suchen. [107] Dabei will er die Gelegenheit ergreifen, Dich einmal in Augenschein zu nehmen.«

»Da er sich diese Mühe giebt, scheint er sehr viel auf Dich zu halten!«

»Viel, das ist wahr. Darum möchte ich gern haben, daß er nichts gegen Dich einzuwenden hat.«

»Ich werde mir Mühe geben.«

»Aber thu nur bei Leibe nicht so, als ob Du ihn kennst. Ich bin ja nur deshalb von Lenzen herübergelaufen, um Dich aufmerksam zu machen.«

»Der Fürst weiß nichts davon?«

»Kein Wort. Ich habe strengen Befehl, Lenzen nicht eher zu verlassen, als bis er mir einen Boten schickt. Heute Morgen ist er fort, und ich bin gleich hinter ihm her. Beim ersten Dorfe bin ich abgebogen.«

»Wo hast Du denn die garstige Verkleidung gleich hergenommen?«

»O, das ist das Allerwenigste. Und Legitimation habe ich auch. Ich traf in Lenzen einen Quacksalber, der zum Jahrmarkt feilhalten will. Derselbe hat drei Gehilfen, und Einer von diesen hat mir gegen drei Thaler seine Papiere geborgt.«

»Aber wie kann ich Euch behilflich sein, wenn Du in Lenzen bist? Da kann ich doch nicht mit Dir reden!«

»Ich habe meinem Korporal Alles übergeben. Er ist ein sehr zuverlässiger Mann. Ich bleibe heimlich hier und gehe nur, wenn es nöthig ist, einmal nach Lenzen hinüber. Wir können uns also immer sehen.«

»Wo wirst Du logiren?«

»Im Fremdenverkehr, denn meine Verkleidung paßt nicht wo anders hin.«

»Das ist gefährlich!«

»Warum?«

»Der Fremdenverkehr ist nicht mehr im Gasthofe ›zum Bären,‹ sondern der Schmied Peters hat ihn übernommen. Er hat eine Bier- und Schnapskneipe errichtet.«

»Das soll für mich gefährlich sein?«

»Er kennt Dich ja!«

»Hast Du mich erkannt? Grad weil wir seinen Jungen und seinen Gesellen wegschnappen wollen, ist es mir lieb, daß ich bei ihm wohnen kann. – Horch! Das muß ein Reiter sein.«

Im Schloßhofe ließ sich Pferdegetrappel vernehmen.

[108]

[121] Goldschmidt trat an das Fenster, um in den Schloßhof hinabzublicken.

»Alle Teufel, wer ist denn das? Das ist ja der Hartegg!«

»Der Hartegg?« frug Anna, indem sie auch zum Fenster eilte. »Kennst Du ihn?«

»Ich habe ihn in Dessau gesehen.«

»Er war in Dessau?«

»Ja, beim Fürsten, und da ich Dienst im Schlosse hatte, so sah ich ihn kommen und gehen. Kennst Du ihn auch?«

»Nein. Ich sehe ihn heute zum ersten Male. Ein schöner Mann! Nicht?«

»Ja. Er will ganz sicherlich zu Deiner Herrin.«

»Zu wem sonst!«

»Hm!«

»Was?«

»Was mag er wollen?«

»Närrische Frage! Dasselbe, was Du bei mir willst!«

»Das ist möglich,« antwortete er mit eigenthümlicher Betonung. »Ich will hier Zweierlei: Dich sehen und Rekruten angeln. Vielleicht hast Du ganz ohne Dein Wissen Recht. Auch er will seine Braut sehen und Rekruten fangen.«

»Wie kommst Du auf diesen Gedanken?«

»Weil mir Erstens sein Umweg nach hier verdächtig vorkommt, und weil er Zweitens als der geschickteste Werbeoffizier Hannovers bekannt ist. Ich wollte, ich wäre eine Maus, um jetzt lauschen zu können!«

»Was das betrifft, so kannst Du ruhig sein. Das gnädige Fräulein wird mir Alles sagen.«

»Ist sie so vertraut zu Dir?«

»Ja. Wir klagen einander die Noth.«

»Natürlich! Ganz so, wie es Weiber zu machen pflegen! Anna, ich muß unbedingt abwarten, ob er hier bleibt oder wieder fortreitet. Geht es?«

»Nein. Man hat Dich kommen sehen, und es würde auffallen, wenn Du so lange bei mir bist. Wir können uns anderswo treffen.«

»Wo?«

»An der hintern Gartenmauer. Vom Balkon aus kann ich ganz gut mit Dir reden, wenn Du draußen vorübergehst.«

»Dann müssen wir aber ein Zeichen verabreden.«

»Wenn ich Dir Etwas zu sagen habe, lege ich mein weißes Taschentuch hier an das Fenster. Das kannst Du von der Stadt aus sehen.«

»Und wenn ich mit Dir reden will?«

»Siehst Du die Linde da drüben?«

»Ja.«

»Neben ihrem Stamme liegt ein Stein. Sobald er auf der andern Seite liegt, komme ich in den Garten.«

»Gut. Das wird bei Tage ausreichen. Aber Abends?«

»Ich bin punkt 11 Uhr im Garten. Und giebt es etwas Außergewöhnliches, so schicke ich nach dem Fremdenverkehr um ein Pflaster.«

»So sind wir einig. Jetzt also fort. – Anna!«

Er sah sie bittend an.

»Geh!«

»Na, sei nur nicht grausam!«

»Du siehst zu abscheulich aus. Dieser dreckige Bart, die Kleisterbeule auf der Nase und das schmutzige, alte Gesicht! Pfui!«

»Aber es steckt doch ein anderes dahinter!«

»Na, meinetwegen denn; sonst werde ich Dich in Ewigkeit nicht los!«

Sie reichte ihm mit einiger Vorsicht den Mund entgegen. Er schob den Bart so viel wie möglich bei Seite und holte sich zum zweiten Male Das, was er vorhin mit einer Ohrfeige bezahlt hatte. Dann setzte er Perrücke und Mütze wieder auf, warf den Sack über den Rücken und reichte ihr die Hand.

»Leb' wohl, Anna. Auf Wiedersehen um 11 Uhr, wenn bis dahin nicht vielleicht etwas Dringendes passirt.«

»Leb' wohl!«

Als er bereits die Thür ergriffen hatte, nahm sie ihn plötzlich freiwillig beim Kopfe und küßte ihn auf den falsch bebarteten Mund.

»Nimm Dich in Acht, Wilhelm! Ich weiß, daß Du stark und muthig bist; aber wenn man Dich erwischt, so geht es nicht gut!«


Unterdessen war Hartegg vom Pferde gestiegen. Ein in der Nähe stehender Diener eilte herbei, um das Thier in Empfang zu nehmen.

»Ist Fräulein von Liebau zu Hause?«

»Ja.«

»Wo ist sie?«

»Auf ihrem Zimmer. Eine Treppe rechts. Die Zofe wird da sein, um Sie anzumelden. Soll ich das Pferd in den Stall ziehen?«

»Nein. Führe Er es auf und ab, ich komme bald wieder.«

[121] Er stieg die Treppe empor und schritt auf die ihm bezeichnete Thür zu. Aber noch ehe er dieselbe erreicht hatte, öffnete sie sich von selbst, und in dem hellen Raume zwischen dem Thürgewände erschien ein so liebliches, reizendes Bild, daß selbst er, der diesen Liebreiz längst schon kannte, bezaubert stehen blieb.

Die Dame, welche da stand, war vielleicht dreiundzwanzig Jahre alt und eine wahrhaft königliche, vollständig entwickelte Schönheit. Ihr Haar, nach damaliger Sitte weiß gepudert und mit winzigen Goldflimmern besäet, war über der Stirn hoch empor genommen und sank hinten in langen, weichen und dichten Wellen auf die Schultern herab, welche marmorweiß aus dem weit ausgeschnittenen Kleide hervorschimmerten. An den feinen Schläfen rollten sich kleine, kokette Löschen in einander, um der hohen, freien Stirn einen milderen, weicheren Eindruck zu ertheilen. Tiefschwarze, herrlich gebogene Brauen überwölbten Augen, deren strahlende Bläue mit der des Firmaments wetteifern konnten. Das kleine Näschen war zwar nicht streng und scharf, aber voll Charakter geschnitten. Die vollen Lippen hatten sich jetzt unter dem Eindrucke der freudigen Überraschung leise geöffnet, so daß die glänzenden Spitzen der kleinen Zahnperlen zwischen ihnen hervorschimmerten. Die Gestalt war hoch, von plastischer Fülle und Rundung, aber dennoch fluthete um dieses herrliche Wesen eine Anmuth, eine Zartheit, eine Wonne spendende Milde, welche ein jedes Männerherz umstricken und erobern mußte.

»Ernst!« rief sie mit glückstrahlendem Lächeln.

»Auguste!«

Sie öffneten beiderseits die Arme und lagen sich am Herzen. Sie beherrschte sich zuerst wieder.

»Komm' herein!«

»Sahst Du mich kommen, mein Leben?«

»Ja. Und ich öffnete selbst, denn die Zofe ist zur Stadt gegangen, und die Gesellschafterin scheint beschäftigt zu sein. Setze Dich!«

Sie nahmen Hand in Hand neben einander Platz und beschauten sich mit vor Freude glänzenden Augen.

»Ich überraschte Dich sehr, nicht wahr, Auguste?«

»Sehr! Ich konnte nicht denken, Dich in Lüchow zu sehen. Eben dachte ich an Dich, als ich Dich absteigen sah.«

»An mich? Wirklich?« frug er glücklich.

»O, ich denke immer an Dich! Doch wie war es Dir möglich, mir die gegenwärtige Freude zu bereiten, Ernst?«

»Der Dienst führt mich in diese Gegend. Ich war in Dessau.«

»In Dessau?«

»Beim Fürsten.«

»Bei ihm? Wirklich? In dienstlicher Angelegenheit?«

»Ja.«

»Gewiß wieder etwas Unangenehmes!«

»So ist es. Ich bin das Chicaniren nachgerade gewohnt geworden. Man will mich peinigen, um mich gefüge zu machen.«

»Ärmster!«

»Man steckt mich mit der Tochter des Obersten zusammen, so oft es nur möglich ist, und fast scheint es mir, als ob ich nur die Firma eines anderen Besitzers bilden solle. Erst vorige Woche wieder gab es eine ziemlich aufgeregte Scene, und um mich dafür zu strafen, schickte man mich nach Dessau.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Es war wahrhaftig die reine Böswilligkeit! Ich sollte nur dem Fürsten bedeuten, daß er sich keine Rekruten mehr aus Hannover holen dürfe. Der Kurfürst-König hat sich sogar bei Kaiser und Reich beschwert, obgleich es seine Werber ganz in der gleichen Weise treiben. Man kennt den Dessauer und wußte also, daß ich mit ihm ganz ernstlich zusammengerathen mußte.«

»Ist Dies geschehen?«

»Ja.«

»O weh!«

»Leider! Die schlaue Berechnung dieser hohen Herren hat ganz zu dem vermutheten Facit geführt. Sie wußten, daß Du ohne die Einwilligung des Dessauers wohl nicht die Meinige werden kannst, und ertheilten mir diesen Auftrag nur, um ihn gegen mich aufzubringen. Ich war allerdings so vorsichtig, das Private noch vor dem Dienstlichen zu berühren, aber – – –«

»Du hast mit ihm von mir gesprochen?« unterbrach sie ihn schnell.«

»Ja.«

»Was sagte er?«

»Sein Bescheid lautet ungünstig. Er wird niemals zugeben, daß Du einen Hannoveraner heirathest.«

»Ernst, ich schwöre Dir, daß es dennoch geschehen wird!«

»Ich danke Dir! Deine Liebe ist es allein, die mich bisher auf gerader Bahn erhalten hat. Ich gerieth mit dem Fürsten bitterbös zusammen, so daß ich sogar gezwungen war, ihn zu fordern.«

»Herrgott! Das hättest Du gethan? Wie unvorsichtig!«

»Er griff zum Stocke.«

»Er hätte nicht geschlagen!«

»Er schlug bereits. Ich mußte blank ziehen, um den Hieb zu pariren, und haute ihm den Stock in Stücke.«

»O, nun ist Alles verloren!«

»Noch nicht, mein Herz. Gerade diese Verwegenheit hat dem Fürsten imponirt und, wie ich glaube mir seine Gewogenheit erworben. Er hat mir die Beleidigung freiwillig abgebeten.«

»Ist's möglich!«

»Und dann sind wir in Frieden von einander geschieden. Ja,« lachte er, »der Alte hat mir sogar noch eine Menge Proviant eingepackt, den ich mitnehmen mußte: Butterbrod, Wurst, Schinken, Käse, saure Gurken, Zwiebeln und Knoblauch.«

»Das sieht ihm ähnlich! Und nun beginne ich allerdings wieder zu hoffen. Ich konnte mir ja denken, daß Ihr nicht als Feinde scheiden würdet. Du bist gewohnt, Freund und Feind zu besiegen.«

Ihr Blick haftete auf seiner männlich kraftvollen Gestalt und seinen schönen, offenen Zügen.

[122] Hartegg führte lächelnd ihre Hand an seine Lippen.

»Du beurtheilst mich mit den Augen der Liebe, mein Leben. Möge mir dieses Glück bewahrt bleiben für jetzt und immerdar! Leider hat das persönliche Wohlwollen des Fürsten keinen Einfluß auf sein Urtheil gehabt. Noch im Scheiden frug ich ihn wiederholt, und er blieb dabei, daß Du niemals einen Hannoveraner heirathen dürfest.«

»So kaufe ich mich in Hannover an. Dann ist es nicht mehr nöthig, Rücksicht auf ihn zu nehmen.«

»Nein, nein! Alles nur Dieses nicht! Du weißt, daß Hannover mir ganz und gar verleidet ist.«

»So nimm den Abschied und komm nach Preußen!«

Er blickte gedankenvoll und finster zur Erde.

»Dieser Gedanke hat für mich immer etwas Anstößiges gehabt; in neuerer Zeit aber scheint man mich geradezu zwingen zu wollen, mich mit ihm zu versöhnen. Wenn man eine Saite zu sehr anspannt, so reißt sie. Mein dienstliches Verhältniß gleicht einer solchen Saite. Ich war nicht allein in Dessau.«

»Wer war mit?«

»Prinz Friedrich Ludwig.«

»Was Du sagst! Der eingebildete Geck, den ich in Uelzen traf?«

»Ja.«

»Warum ging er mit?«

»Daraus werde ich nicht klug. Nur im mich zu ärgern, das ist doch nicht Grund genug. Es wird ein wenig Abenteuerlichkeit mit im Spiele sein. Er ließ sich in Celle für einige Tage Urlaub nach Braunschweig geben, und während man jetzt meint, daß er bereits wieder zurückgekehrt sei, hängt er mir als riesenhafte Klette an der Schleppe. Wenn sein Vater, der Kronprinz, oder gar der König es erfährt, wird man mir unschuldigen Menschen eine Nase drechseln, die in steter Erinnerung bleiben muß. Und dabei cujonirt er mich auf jede Weise. Ich bin in Dessau fast noch ärger mit ihm zusammengerathen als mit dem Fürsten. Er nannte mich wiederholt einen Lügner und drohte sogar mit dem Stocke.«

Auguste erbleichte.

»Was hast Du darauf gethan?«

»Was das allein Mögliche war: Ich habe ihn gefordert.«

»Und was antwortete er?«

»Er drohte mit Cassation, Spießruthen und Zuchthaus. Das ergrimmte mich vollends, und so bot ich ihm Ohrfeigen an. Das half. Er widerrief, versprach mir aber, mein Verhalten an oberster Stelle zu denunciren.«

Sie legte ihm die Arme auf die Schultern und küßte ihn auf die Stirn.

»Für diesen Muth muß ich Dich belohnen, Ernst! – Gerade so und nicht anders hätte auch ich gehandelt. Nun aber wird es doppelt schlimm für Dich!«

»Ich werde sehen, wie lange es zu ertragen ist. Jeden falls werfe ich so bald wie möglich diese Fesseln ab. Ja, Fesseln sind es, und zwar die schlimmsten, die es giebt. Sogar nach Lenzen ist mir der Prinz gefolgt!«

»Was thatest Du in Lenzen?«

»Hm! Wirst Du mich verrathen?«

»Ich Dich! Willst Du mich kränken?«

»Es ist wahr! Selbst so etwas wird bei Dir sicher aufgehoben sein. Nächsten Montag ist in Lenzen Jahrmarkt und diese Gelegenheit soll ich benutzen, um eine Anzahl von Rekruten zu fangen.«

»Wieder!«

»Jawohl! Man vertraut vorzugsweise gern mir dergleichen heikle Geschäfte an, weil sie sehr geeignet sind, mich in Blamagen zu bringen. Ich kenne das! Und dieses Mal ist der Prinz darauf versessen, mit dabei zu sein. Wenn es sich nicht um mich selbst dabei handelte, so wünschte ich, daß er von den Preußen attrapirt und weggefangen würde.«

»So ist er in Lenzen?«

»Seit heute Morgen nicht mehr. Und das ist es eben, was mich zu Dir führt. Ich habe mit ihm von Dir gesprochen und ihm offen erklärt, daß ich mich nicht beeinflussen lasse. Darauf hat mir dieser Mensch ganz ruhig erklärt, daß er für die Zeit meines Aufenthaltes in Lenzen hier in Lüchow wohnen werde.«

»Hier!« rief die junge Dame bestürzt.

»Ja. Er wird Eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.«

»Incognito?«

»Versteht sich.«

»Ich jage ihn fort!«

»Das kannst Du nicht. Du bist selbst nur Gast hier, und der Besitzer oder dessen Verwalter können einen solchen Besuch unmöglich fortweisen.«

»Was soll ich thun, Ernst?«

»Das darf ich getrost nur Dir selbst überlassen. Aber Eins muß ich Dir sagen, obgleich ich gern dar über schweigen möchte; Er hat nicht nur mich, sondern auch Dich beleidigt. Er kommt nicht nach Lüchow, sondern zu Dir; er besucht Dich als ein Frauenzimmer, das ihm Amusement gewähren soll.«

Sie erröthete bis in den Nacken herab.

»Was! Er hatte die Stirn, Dir das zu sagen?«

»Ja.«

»Und Du hast ihm nicht die Faust in das Gesicht geschlagen?«

»Er zog es vor, sich mit dem letzten Worte schleunigst zu entfernen.«

»Weißt Tu, was ich thun werde?«

»Was?«

»Ich reise sofort ab!«

Hartegg lächelte.

»Fürchtest Du ihn?«

Sie erhob sich und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb sie vor ihm stehen und legte ihm die Hand auf den Arm.

»Du hast Recht. Eine Liebau flieht keinen solchen Menschen, und Diejenige, die Dein Weib werden soll, muß ihn mit einem einzigen Blicke niederschlagen können. Ich bleibe. Wann wird er kommen?«

»Er kann jeden Augenblick hier sein. Ich borgte mir ein Pferd, um gleich hinter ihm abzureiten, und schlug einen [123] Feldweg ein, um ihm zuvorzukommen, da ich vor ihm mit Dir sprechen wollte. Ich werde aufbrechen müssen.«

»Du lässest mich ohne Sorge allein mit ihm?« frug sie.

»Ohne Sorge und mit vollstem Vertrauen,« antwortete er.

»Ich danke Dir! Wird man Dich hier gekannt haben?«

»Ich glaube nicht. Ich war noch niemals hier, bin in Civil und habe nur mit einem Diener gesprochen.«

»So wird Niemand erfahren, daß Lieutenant Hartegg bei mir gewesen ist.«

»Können wir uns wiedersehen?«

»Wo?«

»Hier. Es sind noch mehrere Tage bis Montag, und ich kann zu Pferde ja leicht herüber und wieder zurück.«

»Dann müßtest Du Dich verkleiden, um von dem Prinzen nicht erkannt zu werden, falls er Dir begegnen sollte.«

»Gewiß. Aber wo treffen wir uns?«

»Es müßte natürlich des Abends sein. Kannst Du eine Zeit bestimmen?«

»Nein. Ich weiß nicht, was der Dienst mir bringt. Da drüben sind Steinbrüche, in denen sicher oft gesprengt wird. Ist Abends ein Schuß auffällig?«

»Wohl schwerlich. Die Bursche in der Umgegend schießen gar oft.«

»Wohl. Sobald da drüben bei der Linde ein Schuß fällt, bin ich da. Wo treffen wir uns dann?«

»Im Garten. An der hinteren Mauer desselben befindet sich ein Balkon. Wenn ich auf demselben stehe und Du draußen bist, können wir ganz gut mit einander sprechen.«

»Kann man von Außen hinaufkommen?«

»Das käme auf meine Gewogenheit an. Vielleicht könnte ich einen Schlüssel mitbringen,« lächelte sie, »wenn ich es mit Dir wagen dürfte.«

»Bringe ihn getrost mit, Auguste; ich bitte Dich darum! Ich hätte noch viel zu sagen und zu fragen, aber ich darf nicht riskiren, von dem Prinzen überrascht zu werden. – Lebe wohl, mein Herz, und bleibe mir gut und hold!«

»Lebe wohl, Ernst! Sei vorsichtig. Du bist in Lenzen nicht ohne Gefahr.«

Sie verabschiedeten sich mit derselben Zärtlichkeit wie nur wenige Minuten früher das Paar eine Treppe über ihnen; dann ritt der Lieutenant davon.

[124]

[137] Hartegg suchte die Stadt möglichst zu umgehen und schlug dann einen Richteweg ein, der von der nach Gartow, Schnakenburg und Lenzen führenden Straße seitab ging. Er war noch nicht lange auf demselben fortgeritten, so erhob sich einige hundert Schritte vor ihm eine lange, kräftige Gestalt aus dem Grase, worin dieselbe augenscheinlich geruht hatte, und zog sich seitwärts in die Büsche.

»Ein Handwerksbursche,« lachte er. »Der arme Teufel konnte getrost liegen bleiben. Ich selbst bin ja froh, wenn ich nicht bemerkt werde!«

Hartegg ritt weiter, ohne sich umzusehen. Der Handwerksbursche aber war hinter den ersten Büschen stehen geblieben und beobachtete ihn, bis er vorüber war. Er schien sich im Unklaren zu befinden, denn er schüttelte unbefriedigt den Kopf und brummte vor sich hin:

»Albernheit! Es war nur eine Ähnlichkeit. Wie käme denn dieser Hartegg nach Lüchow. Auf fünfhundert Schritte kann sich auch ein scharfes Auge täuschen, und die Mähre, die er ritt, war nur ein Karrengaul, aber kein Pferd für einen solchen Schwerenöther, wie der Hartegg ist!«

Der Handwerksbursche trat aus dem Gebüsch hervor und schlug den Weg nach der Stadt ein.

Dieser »arme Reisende« stand bereits nicht mehr in den gewöhnlichen Wanderjahren. Er mochte mindestens vierzig Jahre zählen, hatte einen gewaltigen Schnurrwichs und ein Paar kohlpechrabenschwarze Augen, die sicherlich auch mit grimmigen Blicken um sich werfen konnten. Sein gepudertes Haar war in einen faustdicken Zopf gebunden, welcher unter einem alten, breiten Fälbelhute perpendikelartig hin und her baumelte. Der Anzug war zwar alt, aber reinlich und ganz, auf dem Rücken saß ein wohlgefüllter Ranzen, und in der Rechten führte er einen Knotenstock, dessen Astschnitte mit kupfernen Nägeln beschlagen waren.

Als er Lüchow erreichte, schritt er stracks gleich auf die erste Person zu, welche ihm begegnete. Es war eine alte Frau.

»Grüß Sie Gott, Alte! Wo ist hier die Herberge?« frug er sie.

»Für wen?«

»Na, für wen sonst, als für die Handwerksburschen!«

»Es giebt zwei Herbergen. Was hat Er für ein Metier?«

»Ich bin Bäcker.«

»Die Bäcker, Schmiede, Schlosser, Klempner, Feilenhauer, Schreiner und Wagner bleiben beim Schmied.«

»Beim Schmied? Hat Der eine Herberge?«

»Freilich. Er hat sie erst jüngst eröffnet.«

»Wie heißt der Kerl?«

»Peters.«

»Peters? Mohrenelement! Ist's Der, der einen Sohn und einen Gesellen hat?«

»Ja.«

»Wo wohnt er?«

»Gehe Er über den Markt und dann rechts. Da kommt Er auf die Dannenberger Straße. Dort wohnt der Schmied.«

»Ich danke Ihr, Alte! Hier, da hat Sie Etwas!«

Der Handwerksbursche zog einen alten Strumpf heraus, der jetzt das Schicksal hatte, als Geldbeutel zu dienen, griff hinein und gab der Alten ein Geldstück. Sie sah es an und riß Mund und Augen auf.

»Na, was glotzt Sie mich denn an!«

»Na, Er ist mir aber doch ein sonderbarer Kerl!«

»Warum, he?«

»Statt daß Er es macht wie andere Handwerksburschen, welche fechten gehen, schmeißt Er ja mit Geld um sich wie ein Heide. Sieht Er denn nicht, daß Er mir fünf Silbergroschen gegeben hat!«

»Geht Sie das etwa was an, Sie alte Kohlenschaufel Sie? Soll ich Ihr vielleicht beweisen, daß ich auch fechten kann? Nämlich mit meinem Prügel hier. Wenn Sie nicht sofort macht, daß Sie mir aus dem Kraute geht, so haue ich Ihr noch fünf Groschens, die nicht von Silber sind, um den dummen Kopf herum. Sei Sie doch froh, daß Sie hat, was Sie hat! Gemaust ist es nicht!«

Die Alte machte sich sehr erschrocken aus dem Staube, und der Handwerksbursche schritt dem Markte zu. Als er die Dannenberger Gasse erreichte, hörte er lauten Hammerschlag erschallen und erkannte die Herberge an den ausgehängten Handwerkszeichen. In der räucherigen Stube saßen mehrere Leute, welche er gar nicht beachtete, weil sie nach nichts aussahen, und an dem Ofen lehnte die hohe, knochige Gestalt des Schmiedes, dessen Schurzleder von Schmutz starrte.

»Gott zum Gruß, Herr Vater!« grüßte der alte Bursche mit dröhnender Stimme. »Ich bin ein wandernder Gesell der ehrbaren Bäckerzunft und werde Ihn bitten, mir ein Glas Bier zu geben.«

Der Wirth räusperte sich wichtig, schnäuzte sich erst einmal und sagte dann: »Ein Bäcker wäre Er? Das mache Er mir nicht weiß.«

»So! Warum glaubt Er es nicht?«

[137] »Weil Er die Schmiedefarbe im Gesichte hat. So sieht nur ein Schmied oder ein Soldat aus, der viel Pulver gerochen hat!«

»Das kann Ihm ganz egal sein, ob ich Schmied oder Bäcker oder Maulwurfsfänger oder Lufthut bin. Ich bleibe bei Ihm nicht über Nacht. Schaffe Er das Bier, und halte Er Sein Maul!«

»Na, Er scheint mir zur allerbesten Sorte zu gehören!«

»Schwatze Er nicht! Bier her!«

»Na, na, na, na! Er wird doch nicht gleich verdursten und verdampfen!«

»Verdampfe nur Er selber, sonst werde ich Ihm Beine machen!«

Es waren nur drei Tische vorhanden, ein runder, der mit einem weißen Linnen belegt war, und zwei lange. An dem einen der letzteren saßen vier Handwerksgesellen, die den Bäcker wegen seines couragirten Auftretens mit offenem Munde bewunderten, und an dem andern saß nur eine einzige Person. Es war – der Pflasterhändler, Feldwebel Wilhelm Goldschmidt.

Diesem Letzteren war es bei dem Erscheinen des Bäckers nicht sehr wohl zu Muthe. Wenn er von ihm erkannt wurde, mußte es ein fürchterliches Donnerwetter geben; aber er nahm sich vor, so dreist wie möglich zu sein.

Der Wirth brachte das Bier.

»Da hat Er Sein Theil!«

»Mein Theil? Ist Er bei Sinnen! Wie viele Tropfen gehen denn eigentlich in diesen Fingerhut, he? Und wie sieht das Zeug aus! Ist das Bier? Oder haben vielleicht Frösche in den Soff geheckt?«

»Es ist Bier, und damit pasta!«

»Werd's kosten!«

Er nahm das Glas an den Mund und that einen kleinen Zug, zog aber sofort ein Gesicht, als ob er Schwefelsäure verschluckt habe, und spuckte Alles wieder aus.

»Was soll das sein? Bier soll das sein? Weiß Er, was das ist? Ich will es Ihm gleich sagen: Wasser ist es, Scheuerwasser mit Essig, Aloe, Sauerampfer, Huflattich, Bilsenkraut, guter Heinrich, Teufelsdreck und Stubenkehricht. Was kostet so ein Vogelnäpfchen voll davon?«

»Fünf Pfennige.«

»Fünf Pfennige? Na, es ist auch darnach!«

»Höre Er, sei Er höflicher, sonst wird Er einfach an die Luft gesetzt!«

»Mache Er keinen Summs, und behalte Er Seine Luft für sich! Hat Er vielleicht ein besseres Bier?«

»Hm! Kann Er es bezahlen?«

»Das geht Ihm den Teufel an.«

»Das geht mich wohl etwas an! Da kommt oft so ein Vagabund, thut groß und dick, ißt und trinkt, und wenn es zum Treffen kommt, langen die paar Bettelpfennige nicht aus. Wer ist nachher der Geleimte, he? Ich, kein Anderer!«

»Na, thue Er nur nicht selber dicke! Er sieht mir gar nicht so aus, als ob Er um sehr viel geleimt werden könnte! Da gucke Er einmal her! Sieht Er diesen Strumpf, he?«

»Alle Wetter! Ist der voll Geld?«

»Was soll es sonst sein? Apfeltröpfe vielleicht?«

»Höre Er, da versteht Er sich aber ganz ausgezeichnet auf's Fechten!«

»Das will ich wohl meinen. Ich fechte, daß die Schindeln prasseln! Also, was hat Er noch für Bier?«

»Gose und Mumme. Das ist eigentlich nur für die Herren Honoratioren, wenn die mich einmal besuchen.«

»Honoratioren? Wird auch viel Gescheidtes geben in diesem Neste! Schneider, Schuster, Ofenputzer, Löffelmacher, Ellenreiter, ja! Ist die Gose echt?«

»Natürlich!«

»Dummheit! Natürlich ist blos das Wasser, und das mag ich nicht! Ich meine, ob die Gose auch wirklich aus Goslar ist.«

»Ja.«

»Bringe Er mir eine!«

»Kann Er sie denn auch vertragen?«

»Warum?«

»Wer sie nicht gewohnt ist, dem geht es schlimm!«

»Na, da wird Er mir Seine Hosen auch nicht dazu borgen. Scheere Er sich hinaus, sonst helfe ich nach!«

Der Schmied hatte sich über den Mann erst ärgern wollen, jetzt aber war er klug geworden und lachte über ihn.

»Höre Er« – sagte er – »Er ist ein Grobian, wie er im Buche steht. Außer Ihm giebt es nur noch Zwei, die so 'was fertig bringen.«

»Ah! Wer wäre denn das?«

»Mein Compater, der Hillmann in Wustrow, und der alte Dessauer.«

Da fuhr der Bäcker von seinem Sitze auf.

»Wer? Der alte Dessauer? Kerl, wie kommt Er auf Diesen!«

»Na, ich dächte doch, daß der wegen seiner Feinheit weit und breit berühmt ist. An den soll ja nicht einmal mein Compater, der Hillmann, reichen!«

Der Bäcker besann sich und setzte sich wieder nieder.

»Möglich!« brummte er. »Gehe Er einmal nach Dessau, und gucke Er sich ihn an! Vielleicht wird Er vom Dessauer mit Haut und Haar und Schurzleder gefressen. Aber, warum nennt Er ihn den ›alten‹ Dessauer, he?«

»Na, seine Jungens sind doch schon groß genug beim Militair, und übrigens ist es nun einmal Sitte, einen solchen Grobian den ›Alten‹ zu heißen.«

»Schön! Nun aber hat Er genug geschwatzt. Schaffe Er die Gose her!«

Der Wirth holte dieselbe herbei; der Bäcker trank und schmunzelte.

»Schmeckt das?« frug der Schmied.

»Ja, das ist etwas Anderes als die Seifenbrühe dort. Ich trinke gleich aus. Bringe Er noch eine – – oder, halt, noch zwei!«

»Für wen?«

Der Bäcker deutete auf den Pflasterhändler.

»Für Den da. Er sitzt mit mir an einem Tische und[138] soll auch mit mir trinken. Das bin ich so gewohnt. Ihm ist's doch recht, he? Oder nicht?«

Diese letzteren Fragen waren an den Händler gerichtet.

»Ich trinke mit!« antwortete dieser gleichgültig.

»Das will ich Ihm auch gerathen haben! Abschlagen lasse ich mir nichts. Wer oder was ist Er denn eigentlich?«

»Ich bin ein Handelsmann.«

»Womit schachert Er?«

»Mit Schnürsenkeln, Knöpfen, Wichse, Schmiere, Puder und Pflaster.«

»Schönes Geschäft! Paßt ganz gut zusammen! Wenn Einer einmal Seine Wichse kriegt, kann er sich gleich mit Seiner Schmiere salben, mit Seinem Puder einreiben und mit Seinem Pflaster umwickeln lassen; die Knöpfe dafür steckt Er dann ein und bindet den Beutel mit Seinen Schnürsenkeln zu.«

»Ich treibe auch noch Anderes.«

»Was?«

»Ich schlage die Karte und sage wahr.«

»Aha! Ist Er so ein Galgenstrick, der Anderen das Geld abschwindelt!«

»Ich schwindele nicht. Mir hat stets Alles zugetroffen.«

»Schneide Er nicht auf! Ich wollte Ihn schon auf die Probe stellen, daß Ihm angst und bange würde.«

»Das kann Er thun!«

»Was! Er wagt es, mir zu widersprechen?«

»Dabei ist nichts gewagt. Was ich sage, trifft zu, und damit punktum! Es steht einem jeden Menschen in der Hand geschrieben, was er war, was er ist und was er sein wird. Sogar die Gedanken und Absichten lassen sich aus der Hand erkennen.«

»Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Gedanken und Absichten? Das wird mir zu viel; das ist zu bunt! Wollen wir wetten?«

»Ich wette mit,« antwortete der Händler sehr ruhig.

»Um was?«

»Um die beiden Gosen. Wer verliert, der hat sie zu bezahlen.«

»Er hält mich wohl für einen tüchtigen Esel, he? Die Gosen habe ich bestellt; da stehen sie, und ich werde sie auch bezahlen. So billig kommt Er mir nicht weg. Seine Frechheit soll besser bestraft werden! Hat Er Geld?«

»Ein Weniges; so was ich in acht Wochen gelöst habe.«

»Hat Er fünf Thaler?«

»Die sind da.«

»Oder vielleicht zehn?«

»Vielleicht bringe ich sie zusammen.«

»Zähle Er auf!«

Der Händler langte in die Tasche und zog ein altes Schnupftuch hervor, in dessen Zipfel er sein Geld eingebunden hatte. Er zählte es.

»Es ist mehr, als ich dachte,« sagte er vergnügt. »Ich habe billig gelebt.«

»Wie viel?«

»Vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige.«

»Wagt Er, das zu setzen?«

»Ja.«

»Schön!«

Mit höchst befriedigter Miene zog der Bäcker seinen Strumpf hervor und zählte die gleiche Summe ab.

[139]

[153] Während der Bäcker diese Arbeit verrichtete, holte der Schmied seine Frau, seinen Sohn und den Gesellen herbei. Diese sollten das mit ansehen, denn so was war hier noch gar nicht vorgekommen.

»Hier ist mein Geld!« sagte der Bäcker. »Ist Er bereit?«

»Ja.«

»So hat Er hier meine Hand. Aber wenn nicht Alles zutrifft, bekommt Er von Seinem Gelde keinen Heller wieder!«

»Und wenn Alles zutrifft, so ist Sein Geld mein Eigenthum!«

»Versteht sich. – Hier, gucke Er auf die Hand. Also erst die Vergangenheit!«

Der Handelsmann nahm die Hand und betrachtete sie aufmerksam.

»Nun? Wird's bald? Oder geht Ihm schon jetzt die Klugheit flöten?«

»Nur langsam! Das ist eine Hand, wie ich sie noch nicht betrachtet habe. – Er ist an einem glücklichen Tage geboren.«

»An welchem?«

»Am dritten Juli.«

»Alle Wetter, Er kann gut rathen!«

»Stimmt es?«

»Ja.«

»Das ist nicht gerathen, sondern es steht ganz deutlich in der Hand geschrieben. Das will ich Ihm gleich beweisen, denn hier stehen auch die Namen Seiner Eltern.«

»Was? Hokuspokus! Wie heißen sie?«

»Sein Vater heißt Hansgörg und Seine Mutter Jette. Oder soll ich die Namen so lesen, wie sie im Kirchenbuche stehen werden?«

»Nein. Er ist ein Teufelskerl, es stimmt!«

»Hier steht auch das Bild von dem Hause, in dem Er geboren wurde. Soll ich es von Seiner Hand weg auf den Tisch abzeichnen?«

»Ja. Bin doch neugierig, denn bisher ist Ihm der Schwindel gelungen.«

»Wirth, schaffe Er Kreide!«

Die Kreide wurde gebracht, und der Händler begann, indem er die Hand immerfort genau betrachtete, zu zeichnen. Er war sehr vorsichtig und warf nur einige Linien hin, aber der Bäcker merkte bereits bei den ersten Strichen, daß die Zeichnung das Schloß zu Dessau vorstellen würde. Rasch fuhr er mit der Hand darüber hinweg.

»Da schlage doch der Henker d'rein!« rief er ganz erstaunt. »Auch dieses stimmt!«

»Nun wollen wir sehen, wie Seine Pathen und Schulmeister heißen und bei wem Er das Backen erlernt hat.«

»Halt! Davon will ich nichts wissen. Sage Er mir die Gegenwart!«

»Diese fällt gewöhnlich mit den Absichten und Gedanken zusammen. Seine Hand hat so deutliche Züge, wie ich sie noch bei keinem andern Menschen gesehen habe. Hier finde ich zunächst zwei Männer. Der Eine ist Er selber, und der Andere, der – der heißt Wilhelm. Hier steht es. Der Zuname ist niemals dabei. Hinter den Beiden kommen zwei, fünf, acht, elf, zwanzig, dreißig Männer, wenn ich richtig gezählt habe, und ganz hier hüben, über diese tiefe Grenzlinie hinweg, sehe ich zunächst einen Ambos mit zwei Männern, das müssen also Schmiede sein, und dann noch drei Männer, von denen der Eine ein Kalb sticht, während die – – –«

»Halt! Halt!« unterbrach ihn der Bäcker, der seinen ganzen Plan in der größten Gefahr sah, verrathen zu werden. »Ich mag nichts mehr wissen, gar nichts!«

»Stimmt es?«

»Ja, ja, ganz und gar. Er ist der größte Himmelsakkermenter, den ich in meinem Leben gesehen habe! Aber, halt! Wer ist Er, wie heißt Er, und wo ist Er her? Er kann mich doch bereits einmal gesehen haben, und dann sollte Ihn allerdings der Teufel reiten!«

»Hier hat Er meine Legitimation!«

Er zog das Papier hervor und reichte es dem Bäcker hin. Dieser sah es durch.

»Hm! Stimmt! Und die Visa beweisen, daß Er mich nicht gesehen haben kann. Höre Er, so Etwas habe ich bei meiner armen Seele für rein unmöglich gehalten. Das bringt mir ja kein Doctor und kein Professor fertig! Wo will Er denn von hier aus hin?«

»Ich gehe über die Grenze nach Preußen hinüber.«

»Hm! Wohin?«

»Weiß es noch nicht. Zunächst mache ich den Markt in Lenzen mit.«

»Es ist möglich, daß ich auch hinüberkomme. Wo wird Er da bleiben?«

»Im Gasthofe ›zum Mecklenburger‹, wie ich denke.«

»Schön! Vielleicht treffen wir uns dort. Woher hat Er denn die Beule da in Seinem Gesichte?«

[153] »Die haben mir die hannöverschen Werber gehauen.«

»Hole sie der Teufel – oder, na, meinetwegen auch nicht! Er Himmelelementer hat mir also die Wette abgewonnen.«

»Das Geld ist mein?«

»Natürlich! Stecke Er es ein, denn Er hätte das Seinige auch nicht wiederbekommen. Aber denke Er ja nicht, daß es mich wurmt! Wenn Er nicht so ganz genau das Richtige getroffen hätte, daß ich glauben könnte, Er habe mich betrogen, so würde ich Ihm einmal die Karte schlagen, aber wie! Was kostet die Gose, Wirth!«

»Zwei Silbergroschen.«

»Macht zusammen sechs Silbergroschen fünf Pfennige. Da kostet mich also der Spaß hier über fünfzehn Thaler. Ist das hier Sein Sohn?«

»Ja.«

»Und das Sein Geselle?«

»Ja.«

»Hier hat Er das Geld. Ich wünsche, daß Euch die fünfzehn Thaler wohl bekommen! Lebt wohl, und vergeßt den Bäcker nicht!«

Er warf den Ranzen wieder über, griff zum Knotenstocke und verließ die Herberge, um den Weg nach dem Schlosse einzuschlagen.

»Miserable Geschichte!« brummte er mißmuthig vor sich hin. »Verwette ich hier vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige. Wenn das die Anneliese wüßte, die würde ein Gesicht ma chen wie ein alter Ofentopf. Aber so Etwas ist mir auch noch gar nicht vorgekommen? Liest mir der Kerl die Namen, das Datum und sogar auch das Bild von der Hand herunter! Ob nur Alles wahr gewesen ist! Es muß wahr sein, obgleich ich es kaum glauben kann. Es giebt in der Welt Dinge, denen man geradezu als Esel und Dummhut gegenübersteht. Wie nun, wenn dieser Handgucker auch den Andern prophezeit? Dann ist mein schöner Plan vollständig futsch, und ich kann in eine schauderhafte Patsche gerathen. Na, ich denke, er wird schleunigst daran gehen, den Gewinnst zu verjubeln, und da giebts zum Wahrsagen keine Zeit.«

Als er den Schloßhof betrat, stand der Verwalter wieder neben dem Portale, um ein Pferd zu betrachten, welches ihm vorgeführt wurde. Droben aber konnte man das Köpfchen Anna's sehen, welche lauschend am Fenster stand, um die Ankunft des Handwerksburschen ja nicht zu versäumen. Der Bäcker trat mit tiefabgezogenem Hute zu dem Verwalter und bat mit demüthiger Stimme: »Herr, ein armer Reisender. Darf ich Euch um eine kleine Gabe bitten?«

Das Männchen sah ihn unwillig an und antwortete mit hoher Stimme: »Was hat Er hier zu betteln? Arbeite Er!«

»Das will ich, Herr. Habt Ihr vielleicht Arbeit für mich?«

»Was ist Er?«

»Ich bin Bäcker.«

»Hier wird nicht gebacken. Mache Er, daß Er fortkommt!«

Der »arme Reisende« wandte sich von dem Verwalter ab und wollte in das Portal treten.

»Halt! Wo will Er hin?«

»In's Schloß.«

»Da hat Er nichts zu suchen!«

»Es wohnen außer Euch wohl auch noch andere Leute da, die einen armen Reisenden nicht abweisen werden.«

»Er hat sich zu entfernen. Ich bin der Verwalter, und wenn ich sage, daß Er gehen soll, so geht Er auch. Verstanden?«

»Ihr könnt doch den Andern nicht verbieten, mir etwas zu geben!«

»Ich verbiete es. Hier wird nicht gefochten. Packe Er sich, sonst werfe ich Ihn vor das Thor hinaus!«

Der Handwerksbursche lachte am ganzen Gesichte.

»Wollt Ihr das vielleicht einmal probiren? So eine Puppe, wie Ihr seid, werfe ich doch gleich über die Wolken hinweg!«

Er trat ein. Der Verwalter eilte ihm nach, stieß aber auf Anna, welche eiligst heruntergekommen war.

»Daß Sie diesem Menschen nichts giebt!« gebot er.

»Warum nicht?«

»Er ist ein Grobian, und ich lasse hier nicht betteln.«

»Herr Verwalter, seid Ihr ein Christ? Die Bibel sagt: ›Wohlzuthun und mitzutheilen vergesset nicht.‹ Und was die Bibel sagt, Das muß gelten!«

»Ich leide es nicht!«

»Vergeßt nicht, Herr Verwalter, daß ich nicht Eure Untergebene bin. Mein gnädiges Fräulein ist Gast Eures Herrn, der es sehr übel vermerken würde, wenn Ihr uns in gleiche Reihe mit Eurer Dienerschaft stellen wollt. Übrigens bin ich keine Dienstmagd, und Ihr habt also nicht Sie, sondern Ihr zu mir zu sagen. Verstanden? Man kann höflich sein, selbst wenn man ein Verwalter ist. Merkt Euch das!«

Das Gesicht des kleinen Mannes drückte eben so viel Grimm wie Erstaunen aus. »Gut! Schön!« rief er. »Ich werde es mir merken. Aber vergeßt es selber auch nicht! Man weiß doch nun, wie man sich zu verhalten hat!«

Der Verwalter ging; das Mädchen aber streckte dem Handwerksburschen die Hand entgegen und sagte: »Mache Er sich nichts daraus! Der Verwalter ist ein Filz, ein Geizkragen.«

Er musterte sie mit leuchtenden Augen und ergriff ihre Hand. »Was, Jüngferchen, Sie giebt einem alten Herumläufer Ihre Patsche?«

»Warum denn nicht? Er sieht ja ganz reputirlich aus und ist ganz sicher kein Herumbummler. Übrigens habe ich das Verhalten des Verwalters wieder gut zu machen.«

»Wie will Sie das anfangen, he?«

»So, wie es in der Bibel steht.«

»Nun, was steht denn da?«

»Brich dem Hungrigen Dein Brod, und die in Armuth sind, führe in Dein Haus. Hungert ihn, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn.«

»Donnerwetter, Sie ist doch ganz gewaltig bibelfest!«

»Hat Er Hunger?«

»Wie ein Wolf!«

»So komme Er!«

Sie führte ihn zwei Treppen empor in ihr eigenes[154] Zimmer, wo auch vorher der Feldwebel Goldschmidt gesessen hatte.

Er blieb an der Thüre stehen und blickte sich ganz erstaunt um.

»Was? Sie speist mich nicht vor der Thüre ab? Sie führt mich in diese Stube, die so nett und sauber wie ein Schmuckkästchen ist, und wo hinein ich gar nicht gehöre!«

Sie stellte sich aufrecht vor ihn hin, stemmte die Hände in die Seiten und ließ ihr Auge in scherzhafter Musterung von seinem Kopfe bis zu seinen Füßen herablaufen.

»Meint Er etwa, daß man kein Herz und kein Auge hat?« frug sie dann. »Einen Vagabunden schickt man mit einem Pfennig oder einem Dreier zum Teufel, Er aber gehört nicht zu dieser Sorte. Er ist guter Leute Kind; Er trägt sich nicht schlumprig und schlottrig, sondern glatt und sauber; Er ist auch kein junger Leichtfuß, sondern ein gesetzter Mann, der wohl nur deshalb noch Geselle ist, weil Ihm das Schicksal nicht so wohl gewollt hat wie Anderen, die das oft gar nicht verdienen. Solche Leute, wie Er, muß man achten und ehren, denn sie haben Reputation im Leibe und sehen die Gabe nicht nach der Größe an, sondern nach der Freundlichkeit, mit der sie gegeben wird. Ist's nicht so?«

»Alle Wetter, Jüngferchen, Sie redet ja weiß Gott wie ein Pfarrer! Aber Recht hat Sie, vollständig Recht.«

»Nun sieht Er! Ich nahm Ihn also gegen den Verwalter in Schutz, der ein geiziger und aufgeblasener Frosch ist, und mochte Ihn auch nicht in die Küche führen, weil da die Mägde sitzen, die einen ehrbaren Wandersmann nicht von einem Herumlungerer zu unterscheiden wissen. Nehme Er in Gottes Namen den Tornister herunter; lege Er ab und mache Er es sich hier auf dem Kanapee bequem. Ich werde unterdessen gehen, um Ihm einen Imbiß zu holen.«

Sie entfernte sich, und er legte Hut, Knotenstock und Ranzen ab.

»Hm! Das ist ein sauberes, bildhübsches und couragirtes Weibsen! Wenn das dem Goldschmidt seine Liebste ist, so hat der Kerl wahrhaftig in einen Glückstopf gegriffen. Diese Stube ist ja so ein allerliebstes Nestchen, wie es kaum die Anneliese hat. Kein Stäubchen, kein Fäserchen, sondern Alles blitz und blank. Kerngesunde Ansichten hat das Ding, und Einem den Text zu lesen, versteht sie ganz prächtig. Und neben diesem Verstande hat sie ein wohlthätiges Herz und ein frommes Gemüth. Wer die bekommt, den möchte man beneiden.«

Er setzte sich auf das Sopha und nahm eine so bequeme Haltung an, als ob er hier zu Hause sei. Nach kurzer Zeit kehrte sie mit einem großen Präsentirbrett zurück, auf welchem sich ein kaltes und sehr reichliches Vesperbrod befand. Sie legte ihm mit jener ungekünstelten Grazie vor, welche die Speisen um das Zehnfache appetitlicher erscheinen läßt und bat dann mit heiterem Lächeln: »So, nun lange Er nur munter zu. Es ist am Mittag nichts Warmes übrig geblieben, und so habe ich zusammengesucht, was grad zu finden war. Aber Etwas werde ich Ihm noch holen.«

[155]

[169] Das Mädchen ging noch einmal und kehrte dann mit einer vollen Weinflasche und einem Glase zurück.

»Was! Wein bringt Sie mir?« frug er verwundert.

»Wie Er sieht!«

»So hat Sie den Keller des Verwalters geplündert? Geschieht ihm recht!«

»Da irrt Er sich. Ich werde Ihm doch nicht gestohlenen Wein vorsetzen! Ich habe diese Flasche zum Geburtstage erhalten. Es ist süßer, ungarischer Frauenwein, und ich habe ihn für eine Extra-Gelegenheit aufgehoben.«

»Was Sie mir da sagt! Und dieses Geburtstagsgeschenk giebt Sie einem Handwerksburschen? Das ist doch nicht etwa die Extra-Gelegenheit, auf die Sie gewartet hat!«

»Jawohl!«

»Oho!«

»Ich will es Ihm aufrichtig sagen: Er gefällt mir, und da werde ich Ihm doch nicht etwa geradezu als Fechtbruder behandeln.«

»So! Gefalle ich Ihr! Hm! Wie meint Sie das? Etwa daß ich Ihr so gefalle, wie Einem der Liebste gefällt?«

»Bewahre! Er hat so etwas Festes, Sicheres, so etwas Selbstbewußtes an sich, was meine Achtung und mein Vertrauen erweckt. Es ist mir grad, als ob mein Vater auf Besuch gekommen wäre. So meine ich es.«

»Das freut mich. Hier hat Sie meine Hand; lege Sie Ihr Patschchen hinein. Ich muß Ihr danken, denn Ihre Worte schmecken ebenso gut wie Ihr Essen. Aber Ihren Geburtstagswein werde ich Ihr nicht wegtrinken.«

»Warum nicht?«

»Werde mich hüten!«

»Dann macht Er mich ärgerlich; das sage ich Ihm. Was ich gebe, das gebe ich gern, und wenn Er es nicht annimmt, so beleidigt Er mich. Ich bin gut und freundlich mit Ihm, also muß Er auch grade so gegen mich sein; das bitte ich mir aus!«

»Na, Sie soll Ihren Willen haben, Sie allerliebste Wetterhexe. Aber Sie muß mittrinken. Versteht Sie wohl?«

»Das werde ich wohl thun.«

»Hat Sie noch ein Glas?«

»Ich laufe nicht erst wieder hinunter. Darf ich gleich mit Ihm trinken?«

»Was? Sie will mit einem Handwerksburschen aus einem Glase trinken?«

»Warum nicht? Glaubt Er, ich graue mich vor Ihm?«

»Aber sehe Sie meinen alten Schnurrwichs an!«

»Der gefällt mir grade!«

»Hm! Ja, ja! Habe davon gehört!«

»Wovon?«

»Daß ein Bart sehr nothwendig ist: Ein Kuß ohne Bart ist wie ein Ei ohne Salz. Na, da komme Sie her! Ihr Wohlsein und das Ihres Liebsten auch mit!«

»Danke!«

»Sie wird roth? Habe ich das Richtige getroffen? Hat Sie Einen, he?«

»Möglich!«

»Bleibe Sie mir mit Ihrem ›Möglich‹ vom Leibe! Ich will das Wirkliche wissen. Hat Sie Einen?«

»Ja. Aber Ihn geht das doch nichts an.«

»Das kann man nicht wissen. Wer ist es denn, he?«

»Er kennt ihn doch nicht.«

»Auch das kann man nicht wissen. Was hat er für ein Gewerbe?«

»Keins.«

»Ach pah! Er muß doch etwas betreiben!«

»Ein Gewerbe nicht. Er ist Soldat.«

»Habe es gedacht! Zweierlei Farbe ist doch etwas Anderes als so ein bloßer Leinwandkittel. Hat er eine Charge?«

»Er ist Feldwebel.«

»Hm, nicht übel! Wo steht er denn? In Hannover? Celle? Göttingen?«

»Er ist kein Hannoveraner.«

»Nicht? Was sonst?«

»Preuße.«

»Preuße? Na, adieu Hochzeit!«

»Ja, das ist es eben! Höre Er, hat Er einmal ein Mädchen so recht von Herzen lieb gehabt?«

»Donnerwetter, das will ich meinen!«

»Nun denke Er sich, daß Er sie nicht hat bekommen sollen – – –«

»Das war auch grad der Fall.«

»So? Was hat Er da gethan?«

»Ich habe mich den Geier an die Einreden gekehrt und meinen Willen durchgesetzt.«

»Das mag unter Umständen gehen; aber wenn man nichts machen kann, ist das nicht traurig, he?«

»Höre Sie, Jüngferchen. Sie laborirt wohl auch an dem Herzbeutelblasenstein, so was man gewöhnlich unglückliche Liebe zu nennen pflegt?«

[169] »Ach ja!«

»Na, flenne Sie nur nicht! Sie sieht mir doch sonst nicht nach diesem Unglücke aus.«

»Es ist aber doch so! Und ich bin es nicht allein.«

»Wer noch? Ihr Liebster?«

»Natürlich! Aber den meinte ich nicht.«

»Wen sonst?«

»Wir sind ihrer Zwei hier im Schlosse, die Seinen Herzbeutelblasenstein herumzuschleppen haben.«

»Wer ist denn die Andere?«

»Mein gnädiges Fräulein von Liebau.«

»Von Liebau? Ist das nicht ein Anhaltischer Name?«

»Ja. Sie stammt aus Anhalt-Dessau. Denke Er sich nur, sie ist eine Anhalterin und liebt einen Hannoveraner, und ich bin eine Hannoveranerin und bin einem Anhaltischen gut, und wir Vier sollen einander nicht haben!«

»Ihr Vier? Sakkerment, das klingt ja grad so, als ob Ihr Euch zu Viert zusammentrauen und zusammenbrauen lassen wolltet!«

»Mache Er keine dummen Witze! Der Jammer und das Elend ist groß genug. Und daran ist nur ein Einziger schuld.«

»Wer denn?«

»Der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau.«

»Der? Dieser Himmelhund? Dieser schlechte Kerl, der so grausam sein – – –«

»Halte Er Sein Maul!« unterbrach sie ihn eifrig. »Wenn Er sich solcher Ausdrücke über den Marschall bedient, so hat Er es mit mir zu thun!«

»Wie?! Was?! Der Kerl ist an Ihrem Unglücke schuld, und Sie vertheidigt Ihn trotzdem!«

»Natürlich! Erstens ist der Fürst ein großer Kriegsheld und ein guter, sparsamer Landesvater, gar nicht so stolz wie andere Fürsten, zwar ein wenig grob und kräftig, aber doch fromm und brav wie nur Einer. Zweitens ist er der Kriegsherr meines Feldwebels, und ich habe ihn also zu achten und zu respectiren. Drittens wird er wohl seine Gründe haben, daß er sich weigert, aber blos, weil er uns nicht kennt. Wenn er wüßte, was wir von ihm denken, wie wir ihn schätzen und verehren, so würde er sich unserm Glücke nicht in den Weg stellen, sondern eine Einsicht haben.«

»Heiliges Wetter, Sie spricht ja wie der Prophet Hesekiel oder Maleachi! Ich habe immer gehört, daß der Dessauer ein Tyrann, ein Lumpenhund, ein Nero, Phylax und Bullenbeißer ist!«

»Da hat Er sich einmal sehr falsch berichten lassen. Der Dessauer ist ein ganzer Kerl. Wenn ich die Tochter eines Kaisers wäre, Der hätte mein Mann werden müssen. Hat Er nicht gehört, wie lieb er seine Anneliese hat? Er flucht und wettert gern ein Bischen, aber der Herrgott giebt darauf gar nichts, sondern er sieht das Herz an, und das ist beim Fürst Leopold lauter wie Gold, Das weiß ich ganz genau.«

»So! Wer hat es Ihr denn gesagt?«

»Mein Feldwebel. Der würde sich für den Dessauer in Stücke hacken lassen.«

»Kennt Sie den Fürsten?«

»Ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Kennt ihn die Liebau?«

»Ob jetzt noch, das weiß ich nicht, aber sie hat ihn vor acht Jahren einmal gesehen, als sie noch ein halbes Kind gewesen ist.«

»Hm! Ist sie schön.«

»Sehr.«

»Schöner wie Sie?«

»Hundertmal!«

»Wer ist denn eigentlich ihr Liebster?«

»Der Oberlieutenant von Hartegg, der ein tüchtiger, braver Offizier ist.«

»Möglich. Aber der Dessauer wird niemals zugeben, daß sie sich heirathen.«

»Warum?«

»Er kann die Hannoveraner nicht leiden. Bei Ihr wird das vielleicht etwas Anderes sein.«

»Wieso?«

»Wenn Sie Ihren Feldwebel heirathet, so ist Sie ja keine Hannoveranerin mehr. Was hat denn der ›Alte‹ gegen Sie gehabt?«

»Noch nichts wohl. Mein Feldwebel hat sich bisher gar nicht getraut, ihm etwas zu sagen, denn erstens sieht es der Fürst nicht gern, wenn so Einer sich eine Frau nimmt, und zweitens muß die Frau dann auch nach dem Geschmacke Seiner Durchlaucht sein.«

»Was hat diese Durchlaucht denn für einen Geschmack, he?«

»Das weiß ich nicht.«

»Und Sie glaubt wohl, daß Sie nicht nach seinem Geschmacke ist?«

»Leider.«

»Heiliger Polterabend! Dann wäre der Dessauer bei Gott das allergrößeste Rhinoceros, was es nur geben kann. Ich will Ihr einmal einen guten Rath geben: Laufe Sie geschwind nach Dessau und stelle Sie sich dem Fürsten vor. Ich will ein Schuft und Pinsel heißen, wenn es dann nicht sofort mit Ihrem Herzbeutelblasenstein ein Ende hat.«

»Denkt Er?«

»Das ist meine Überzeugung. Das Herz wackelt Einem ja im Leibe, wenn man Ihr nur in die Augen sieht! Wenn ich nicht so ein alter Dachs wäre, so würde ich Sie Ihrem Feldwebel streitig machen. Ich glaube, wenn der Dessauer Sie sieht, so läuft ihm vor Appetit das Wasser im Maule zusammen. Würde Sie ihm einen tüchtigen Schmatz geben, wenn er Ihr sagte, daß Sie Ihren Feldwebel bekommen soll?«

»Gleich zwei oder drei, und zwar richtige und tüchtige, denn das wäre ja gegen meinen Bräutigam keine Sünde, und wer dem Dessauer einen Kuß geben darf, der kann sich so viel darauf einbilden, als hätte er einen Orden mit sammt der goldenen Kette erhalten.«

»Da möchte ich nun allerdings vor Wuth zerplatzen, daß ich der Dessauer nicht bin!«

»So?« lachte sie lustig. »Ihm läuft wohl auch das Wasser zusammen?«

[170] »Versteht sich!«

»Na, tröste Er sich. Wenn der Dessauer uns erlaubt, uns zu heirathen, und es trifft sich, daß wir uns einmal wiedersehen, so soll Er auch einen Kuß bekommen. Das verspreche ich Ihm.«

»Ist das wahr?«

»Ja.«

»Höre Sie, dann ist es besser, Sie giebt ihn mir gleich jetzt!« Er erhob sich und kam hinter dem Kanapee hervor.

»Fällt mir nicht ein! Erst den Feldwebel und dann den Kuß.«

»Papperlapapp! Was will Sie machen, wenn ich ihn mir jetzt nehme?«

»Das wage Er ja nicht! Es würde Ihm schlecht bekommen.«

»Oho!«

»Ein unerlaubter Kuß ist für ein braves Mädchen ganz dieselbe Beleidigung wie eine Ohrfeige für einen braven Mann!«

»Schrum, schrum, es wird dennoch riskirt!« – Er trat schnell auf sie zu und umfaßte sie, um sie zu küssen; aber in demselben Augenblicke schallte eine gewaltige Ohrfeige auf seiner Wange. Der Schlag war so kräftig, daß er sie augenblicklich los ließ und sich mit beiden Händen nach der getroffenen Stelle fuhr. 2

[171]

[201] Ein guter Fang

Der verkleidete Fürst war an der Jeetze aufwärts gewandert, um Wustrow zu erreichen. Die Sonne hatte beinahe den Horizont erreicht, als er den Ort vor sich liegen sah. Noch hatte er bis zum ersten Hause desselben einige hundert Schritte zu gehen, als ihm ein anderer Handwerksbursche entgegenkam. Dieser sah nicht grad eben reputirlich aus. Er trug auch nur ein in ein Schnupftuch gewickeltes Päckchen in der Hand, und als er näher kam, sah Leopold, daß sein Gesicht zerkratzt und beschunden war.

»Grüß Dich Gott, Bruder!« grüßte der Andere, indem er stehen blieb. »Woher heute?«

»Von Lüchow.«

»Wohin?«

»Nach Wustrow hier.«

»Gute Geschäfte gemacht?«

»Schlechte Zeiten. Man kriegt einen Pfennig oder für einen Heller trockenes Brot.«

»Was ist Dein Metier?«

»Bäcker.«

»Bruderherz, da sind wir Kameraden. Hast Du keinen Schlug bei Dir?«

»Nein.«

»Du suchst doch keine Arbeit?«

»O ja.«

»Na, da kann ich Dir gleich welche zuweisen.«

»Wo?«

»Hier in Wustrow bei Hillmann im Wirthshause.«

»Ist die Stelle gut?«

»Ausgezeichnet! Der Kerl hat mich soeben durchgeprügelt und zur Thüre hinausgeschmissen.«

»Auch nicht übel! Man sieht Dir es an. Hast Du Dich gewehrt?«

»Natürlich! Aber Einer gegen Vier, das war zu viel verlangt.«

»Wer war noch dabei?«

»Seine drei Jungens. Starke Kerls. Ich bin froh, daß ich noch lebe!«

»Was hast Du denn gemacht, daß sie Dich keilten, he?«

»Ich nahm mich der Meisterin an. Sie ist krank, und er schlägt und turbirt sie, daß es Einen erbarmt. Ein Wort gab das andere, und endlich erhielt ich mein Wanderbuch und die Wichse dazu.«

»Wie lange hast Du da gearbeitet?«

»Vier Tage.«

»Was für ein Landsmann?«

»Aus Kriwitz in Mecklenburg-Schwerin.«

»Hast wohl für die vier Tage einen hübschen Lohn erhalten?«

»Hätte eigentlich noch achtzehn Pfennige d'rauf legen müssen, denn bei dem Hillmann muß man den Wochenlohn versaufen. Könntest Dir da Etwas sparen! Und weil ich die achtzehn Pfennige nicht hatte, haben sie mir die anderthalb Silbergroschen im Gesichte und auf dem Rücken abgearbeitet.«

»So bist Du ohne Geld?«

»Abgebrannt wie eine Kirchenmaus! Bist wohl besser bei Kasse?«

»Es geht!«

»Bruder, hast Du nicht einen Sechser für das Nachtlager?«

»Will sehen. Da, hast Du 'was!«

Der Mecklenburger sah ihn erstaunt an.

»Mensch, das sind ja zehn Silbergroschen!«

»Wirf sie weg, wenn Du sie nicht magst!«

»Fällt mir nicht ein! Bruderherz, Du bist ein guter Junge. Ich wollte, ich könnte einige Wochen mit Dir walzen! Willst Du?«

»Packe Dich zum Teufel!«

»Gut, ich gehe ja schon! Hab Dank, und lebe wohl!«

Er machte sich schnell davon, jedenfalls, um baldigst eine Schänke zu erreichen, wo er das reiche Geschenk anbringen konnte.

»Das paßt sich gut!« brummte Leopold. »Es ist sicher, daß ich angenommen werde, und dann wollen wir sehen, ob ich mich auch so zur Thüre hinauswerfen lasse.«

Er wurde leicht nach der Wohnung Hillmann's gewiesen. Als er in das Zimmer trat, fand er bereits mehrere Bürger beim Kartenspiele sitzen. Ein langer, starker Kerl saß vor einem Waschtroge, um die Gedärme eines Rindes abzuschäumen: zwei Andere von wenigstens derselben Länge und Stärke hatten ihre werthen Gliedmaßen über Tische und Bänke ausgestreckt, und auf einem Kanapee, welches für gewöhnliche Leute mehr als lang genug gewesen wäre, lag ein alter Riese, dessen Beine über die Lehne des Möbels herunterhingen.

»Gott zum Gruß, und Glück und Segen in das Haus, Herr Meister!« grüßte Leopold. »Ich bin ein – – –«

Er konnte nicht weiter reden, denn der Riese drehte ihm das Gesicht zu und brüllte ihn an: »Maul gehalten! [201] Habe das Zeug satt! Höre es täglich so viele Male, daß es mir zum Halse heraushängt!«

Leopold schwieg also, warf Hut, Stock und Ranzen auf den nächsten Tisch und setzte sich auf den Stuhl, der daneben stand. Kein Mensch bekümmerte sich um ihn.

»Kann ich ein Glas Bier bekommen?« frug er nach einer Weile.

Niemand antwortete.

»Gebt mir ein Glas Bier!« gebot er nach längerer Pause zum zweiten Male.

Kein Mensch rührte sich, seinen Wunsch zu erfüllen.

Er wartete noch einige Minuten, dann trat er an den Schänktisch und nahm ein Glas und eine Flasche, auf welcher das einladende Wort »Zitzemille« zu lesen war. Dieses beliebte Bier wurde in Naumburg gebraut und weit und breit versandt und getrunken. Er kehrte an seinen Platz zurück und schänkte sich ein. Da drehte der Wirth den Kopf abermals herum: »Hat Er Asche?« 3

»Geht Ihm einen Dreck an!«

Diese Art zu antworten war dem berühmten Grobian denn doch zu sympathisch, als daß er den Sprecher noch länger hätte ignoriren können. Er musterte ihn aufmerksam und meinte dann: »Na, Er hat wenigstens einen vollen Tornister. Der gilt mir als Pfand, wenn Er nicht bezahlen kann.«

Leopold fand solchen Geschmack an dem braunen Trank, daß die Flasche bald leer war. Er ging also zum Schänktische und holte sich eine zweite. Das bemerkte der Wirth und wandte ihm das Gesicht zum dritten Male zu: »Die zweite Bulle? Mache Er zwei Striche an die Thür! Die Kreide hängt dort an dem Stricke.«

Wirklich hing neben der Thür ein kurzer Strick, an welchem ein riesiger Kreideklumpen befestigt war.

»Schmiere Er es selber an, wenn Sein Verstand nicht zureicht, eine Zwei zu merken!« antwortete Leopold.

»Ich frage Ihn, ob Er wohl gleich anschreiben wird?«

»Laufe Er mir doch den Buckel hinunter!« erwiderte der Fürst phlegmatisch, indem er ein volles Glas an die Lippen setzte.

Der Wirth erhob sich halb.

»Du, Willem,« gebot er seinem Sohne, »brenne einmal die Lampe an! Den Kerl dort muß ich mir betrachten.«

»Hast selber Zeit!« war die kindliche Antwort.

»Willst Du, oder willst Du nicht, Hallunke!«

Bei diesen liebreichen Worten zog der Wirth das Knie an sich, nahm den Holzpantoffel vom Fuße und warf denselben dem Fleischer an den Kopf. In Folge dieser freundlichen Erinnerung erhob sich dieser, holte das Zunderzeug hinter dem Ofen hervor und setzte eine hohe, zinnerne, zweidochtige Öllampe in Brand.

»Leuchte ihn einmal an!« gebot der Wirth.

Sein Sohn trat zum Dessauer und hielt ihm die Lampe unter die Nase, daß der Schnurrbart in Gefahr kam, Feuer zu fangen.

»Weg mit Seiner Vunzel!« rief Leopold und schlug ihm die Lampe aus der Hand, daß sie zur Erde fiel und das Öl verschüttet wurde.

Da legten die Gäste erschrocken die Karten aus den Händen.

»Na,« meinte der Wirth, »das hat mir noch Keiner gewagt. Jetzt stehe ich selber auf. Willem, gieß Öl ein und brenne wieder an. Bringe mir aber erst 'mal den Pantoffel her!«

»Hole ihn selber!«

»Ob Du mir wohl folgen wirst, Lausbube!« schalt der Wirth.

Er griff nieder, zog den andern Pantoffel aus und warf ihn nach dem Sohne. Dieser hob ihn auf und ergriff auch den andern. »Da sind sie alle beide!« Er warf sie dem Vater zu. Der eine Pantoffel flog auf das Kanapee, der andere dem Alten in das Gesicht.

»Junge,« zürnte dieser, »ein andermal kommst Du her, wenn Du nicht besser werfen kannst!«

Er steckte die Pantoffel an die Füße und trat, während sein Sohn die Lampe von Neuem anzündete, zu Leopold.

»Leuchte her!« befahl er.

»Macht Euch nur auf die Seite,« warnte der Fürst. »Ich lasse mich nicht angaffen wie ein Wunderthier!«

»Na, nach großen Wundern sieht Er auch nicht aus!« meinte der Wirth. »Wer ist Er denn eigentlich, Er Grobsack Er?«

»Der Kaiser von China!«

»Das glaube ich Ihm auf der Stelle, denn ich habe erst vorige Woche gehört, daß dort ein Ochse Kaiser geworden ist. Wie aber kommt Er denn nach Wustrow? – Man hat Ihn wohl fortgejagt, weil Er sogar zu einem solchen Viehzeuge zu dumm gewesen ist?«

»Er hat's gleich errathen. Ich habe mich aber vertheidigt, daß ich noch nicht der Dümmste bin, und da ist es dahin entschieden worden, daß ich Kaiser bleibe, wenn ich Einen bringen kann, der mich noch übertrifft. Ich komme also nach Wustrow, um Ihn mitzunehmen, denn nur Er ist's, der mich retten kann.«

»Auch nicht übel!« schmunzelte Hillmann. »Höre Er, wir passen gar nicht schlecht zusammen. Sage Er einmal im Ernste, was für ein Handwerk Er treibt und was für ein Landsmann Er ist!«

»Als ich's vorhin sagen wollte, hatte Er keine Zeit, die Ohren aufzusperren; jetzt nun bin ich es, dem es nicht paßt.«

»So lasse Er es bleiben! Aber wenn Er nicht reden kann, so trolle Er sich auch von dannen. Ich bin der Hillmann aus Wustrow, der mit solchen Schlingels nicht viel Federlesen macht!«

»Hab's vorhin gesehen.«

»Wo?«

»An dem Mecklenburger, der mir begegnet ist.«

»Ist Der mit Ihm zusammengetroffen? Ja, Der hat eine Quittung bekommen, die Niemand für nachgemacht halten wird! Was sagte Er denn?«

[202] »Nicht Böses. Er hat mir sogar gerathen, bei Ihm in Arbeit zu treten.«

»Was? Ist Er etwa ein Bäcker?«

»Wenn ich backe, ja!«

»Hat Er ein Wanderbuch bei sich?«

»Hier ist es!«

Leopold zog es hervor und reichte es dem Wirthe hin. Dieser durchblätterte es und legte es dann in ein Wandschränkchen.

»Was soll das Buch da drinnen?« frug der Fürst.

»Liegen bleiben. Das kann Er sich doch denken!«

»Oho! Ich brauche es weiter!«

»Schnickschnack! Das Buch bleibt dort, und Er bleibt hier. Er soll bei mir Arbeit haben.«

»Da fragt Er wohl gar nicht, ob ich auch will?«

»Wozu? Ich brauche augenblicklich einen Gesellen, und da versteht es sich ganz von selbst, daß ich Ihn hier behalte.«

»Und wenn das mir nicht paßt?«

»Darnach wird Er ebenso wenig gefragt. Bäckt Er nur schwarz oder auch weiß?«

»Ich backe Alles, sogar blau und grün.«

»Was! So ist Er wohl auch Zuckerbäcker?«

»Und wie!«

»Na, das ist bei uns überflüssig. Die Hauptsache ist, daß Er Das fertig bringt, was hier im Orte gebraucht wird: Brod, Semmel, Kuchen. Vom Brode und der Semmel will ich nicht reden, aber der Kuchen wird in jeder Gegend anders gemacht. Bäckt Er Zwiebelkuchen?«

»Ja.«

»Prophetenkuchen?«

»Ja.«

»Quark-, Käse-, Rosinen-, Gries- und Mohnkuchen?«

»Ach, halte Er doch den Schnabel! Ich backe einen jeden Kuchen, der verlangt wird. Pasta!«

»So wird Er bei mir bleiben!«

»Meinetwegen!«

»Er kann gleich heute noch anfangen und Seine Probe machen. Ich bekümmere mich nicht mehr um die Bäckerei, und der Gesell hat Alles selbst zu wissen.«

»Was giebt Er denn für einen Wochenlohn?«

»Zwanzig Groschen.«

»Alle Wetter! Da muß ich mir einen Seitenflügel an meinen Geldsack bauen lassen, sonst reicht er nicht zu!«

»Na, viel wird Er nicht fortschleppen, denn die Bäckerei ist ein durstiges Handwerk. Komme Er einmal mit. Ich will Ihm die Gelegenheit zeigen.«

Er brannte eine zweite Lampe an und führte ihn in den mittlerweile dunkel gewordenen Hausflur.

»Hier rechts ist die Schlächterei, und da hinten links sieht Er die Fußgrube. Drüben ist die Kammer für die Milch; da kann Er nehmen, was Er braucht. Hier ist die Küche, wo Er ein jedes nothwendige Salz und Gewürze findet. Eine Treppe hoch liegt die Mehlkammer und auch die Fruchtkammer mit dem Backobste, und hier drinnen ist die Bäckerei.«

Der Wirth schloß die Thür auf und führte Leopold in einen wüsten Raum.

»Hier ist der Backofen. Den sieht Er wohl?«

»Na, wenn's schlimm geht, kaufe ich mir eine Brille. Mich wundert's nur, daß Er selber ihn zu finden weiß!«

»Dort ist die Beute und d'rauf die Backtröge und Kuchendeckel, hier der Kuchenschragen und die übrige Geschichte. Da hat Er also Alles schön bequem beisammen, und ich bin froh, daß Er gekommen ist. Ich hätte wahrhaftig morgen selber backen müssen. Seine Zeugnisse sind gut, und Er ist ja auch alt genug; ich weiß also, daß Er Seine Sache verstehen wird. Was?«

»Na, Er soll sich freuen!«

»Ich hoffe es! Jetzt will ich Ihm gleich sagen, was Er für morgen zu thun hat: Um fünf Uhr müssen drei Schock Semmel fertig sein, macht dreißig Zeilen. Versteht Er mich?«

»Er schnauzt mich ja deutlich genug an!«

»Dazu kommt das Brod: zwanzig Achtpfünder, ebenso viel Sechspfünder und dreißig Groschenbrode. Versteht Er mich auch?«

»Immer noch!«

»Das muß bis acht Uhr fertig sein. Kuchen giebt es nicht, außer drei Prophetenkuchen und acht Pflaumenkuchen, die bestellt sind. Er kann ja gleich hier bleiben und die Pflaumen auskernen. Sie liegen oben in der Fruchtkammer.«

»Nur sachte, sachte! Gut Ding will Weile haben, und zunächst muß ich gehörig essen und trinken. Wer da arbeitet, der soll auch essen, sonst ist er seines Lebens nicht sicher, so steht in der Bibel.«

»Meinetwegen! Ich werde Ihm heute Abend ein Wenig helfen, weil Er bei mir doch noch nicht genau Bescheid wissen kann; dann aber muß Er allein fertig werden. Macht Er Seine Sache gut, so bekommt Er Seine zwanzig Silbergroschens; was Er aber verdirbt, das muß Er aus Seiner Tasche bezahlen.«

»Bezahle keinen Heller!«

»Schön! Das ist ein Zeichen, daß Er Seinen Quatsch versteht.«

»Den? O ja, den verstehe ich; das soll Er wohl bald merken!«

»Kann Er ›Schafskopf‹ spielen?«

»Das versteht sich ja ganz von selber!«

»Das ist gut. Mit dem Mehl herabschaffen, Auskernen, Hefen und Sauerteig ansetzen und den Backofen feuern, brauchen wir nicht viel Zeit zu verlieren. So spielen wir bis Mitternacht ›Schafskopf‹; ich gehe schlafen, und wenn ich aufstehe, wird Er dann fertig sein.«

Beide kehrten nun nach dem Gastzimmer zurück, in welchem mittlerweile mehrere Lampen angebrannt worden waren.

[203]

[217] Es fanden sich später noch weitere Gäste ein, und nach dem Abendessen mußte sich Leopold mit an den Spieltisch setzen. Hier gerieth er wiederholt mit dem Meister zusammen, und da er sich von ihm nicht werfen ließ, so flogen die riesigsten Kraftausdrücke und Grobheiten herüber und hinüber, denen die Andern mit angehaltenem Athem lauschten, um sie dann mit einem wiehernden Gelächter zu beantworten. Dabei wurde wacker getrunken. Die »Zitzemille« mundete dem Fürsten so gut, daß er eine Flasche nach der andern ausstach. Dieses Bier aber war er nicht gewohnt, und als er gegen 10 Uhr mit dem Meister aufstehen mußte, um die Backstube vorzurichten, hatte sein Gang längst nicht mehr die gewohnte Sicherheit.

»Wie viel Striche hat Er bereits an der Thür?« frug Hillmann.

»Zwölfe oder Neunzehn, ich weiß es nicht genau.«

»Höre Er, es werden wohl Neunzehn sein! Er krinkt einen tüchtigen Stiefel, so daß es mir angst und bange werden könnte, wenn ich nicht beim ›Schafskopf‹ Seinen großen Beutel gesehen hätte. Aber Er wird mir doch nicht etwa besoffen werden?«

»Bekümmere Er sich um sich selber, Meister. Er wackelt ja, daß es Einen erbarmen möchte!«

»Recht hat Er! Aber wir passen so gut zusammen, daß ich lange keinen so lustigen Abend erlebt habe, wie heute. Und dabei vergißt man das Trinken natürlich nicht. Höre Er, wir wollen uns jetzt nicht gar so viele Arbeit machen. Wir holen das Mehl herunter und sieben es rasch ein. Das Andere können wir auch später thun, denn es ist besser, wir spielen noch ein Stündchen weiter.«

»Mir ist's recht. Hat Er denn noch genug Zitzemille oder Mützezille oder Zimmetzille oben in der Stube?«

»Genug und satt. Wir trinken noch Einige. Mache Er nur rasch, daß wir fertig werden!«

Bereits in sehr kurzer Zeit saßen sie wieder am Spieltische. Die Anzahl der vorhandenen Flaschen wurde immer geringer, und eben als es Mitternacht schlug, war die letzte leer geworden. Das Spiel hörte auf, und die Gäste gingen nach Hause.

»Hat Er nun genug, Er Nimmersatt?« frug der Meister.

»Was nennt Er denn eigentlich genug, he?«

»Na, wenn es nicht mehr laufen will; das versteht sich ja ganz von selber.«

»Wenn es nur das ist, so würde es noch lange laufen. Aber ich will Ihn nicht unglücklich machen, denn Er hat einen solchen Affen, daß es Einen erbarmen möchte. Er kann ja kein gescheidtes Wort mehr zu Wege bringen!«

»Er ist selber Affe! Aber das schadet nichts, denn grad so ein Pavian gefällt mir ganz ausnehmend. Wir passen zusammen wie Hans und Liese. Ich hoffe, daß Er sich in mich finden wird. Ich bin nämlich kein Freund von großen Redensarten. Wenn ich zum Beispiel so mit der Hand nur winke, so hat Er zu kommen!«

»Ich mache auch nicht gern viel Federlesens. Wenn Er mit der Hand winkt und ich schüttele den Kopf, so komme ich nicht.«

»So werfe ich Ihm die Pantoffel an den Kopf!«

»Und ich Ihm den Backtrog!«

»Na, wir werden ja sehen, wer Herr im Hause bleibt. Jetzt aber will ich mich niederlegen. Es ist am Besten, ich gehe gar nicht in das Bette, sondern ich lege mich gleich auf den Backofen, damit ich Ihn wecke, wenn Er mir ja einschlafen sollte. Er ist nicht mehr recht zurechnungsfähig. Stehe Er auf!«

Auch Hillmann wollte sich erheben, sank aber auf den Stuhl zurück; dem Dessauer ging es grad ebenso. Die drei Söhne waren fortgegangen.

»Ich glaube gar, Er kann nicht mehr auf!« meinte der Erstere.

»Ich? Bekümmere Er sich doch einmal um sich selber! Ihn hat die Zitzeblitze oder Grützemütze umgebracht. Er schneidet ja Gesichter wie ein Nußknacker!«

»Zupfe Er sich an Seiner eigenen Nase! Er wackelt ja herüber und hinüber wie dort die Perpedenkel-Schleuder an der Uhr.«

»Das denkt Er nur, weil Er selber so wackelt! Es ist ja geradezu zum Gotterbarmen, so schmeißt es Ihn in alle Lüfte. Komme Er doch einmal mit; ich werde Ihn führen. Eins! – Zwei! – Drei!«

Bei dem letzten Worte nahmen Beide ihre Kräfte zusammen und kamen auch ganz hübsch in die Höhe. Sofort aber stützte sich Einer wie der Andere auf die Tischplatte, sonst wären sie wieder niedergefallen.

»Na, vorwärts!« meinte Leopold. »Oder kann Er vielleicht nicht weiter?«

»Warte Er ein Bischen, und stehe Er doch einmal still! Er fährt ja in der Stube herum wie eine Wespe, die sich verfangen hat!«

[217] »Er ist wahrhaftig besoffen, und zwar dudeldick!«

»Das lasse Er sich ja nicht etwa weiß machen. Ich kann noch springen wie ein junger Hase. Passe Er einmal gut auf!«

Er arbeitete sich mit aller Energie hinter dem Tische hervor und wollte dann nach der Thür, schoß aber eine Lerche seitwärts auf den Dessauer zu. Er rannte an denselben in der Weise an, daß Beide auseinandertaumelten und sich selbander zur Erde setzten.

»Donnerwetter,« rief der Dessauer, »da liegen wir parterre! Kann Er sich denn nicht in Acht nehmen, Er Esel Er?«

»Maul halten! Warum verliert Er seine Balancirstange, wenn man Ihn nur mit dem Ellbogen berührt? Er ist ja der reine Flederwisch! Gebe Er mir Seine Hand, daß ich Ihn mit in die Höhe bringe. Wir wollen machen, daß wir auf den Backofen kommen, denn hier wird es reineweg alle mit Ihm!«

»Hier hat Er die Hand, aber nicht meinetwegen, sondern nur um seinetwillen.«

Sie faßten sich gegenseitig bei den Händen und würgten sich nach einiger Anstrengung wieder empor.

»Heiliges Elend, wo ist denn die Thür?« frug der Wirth.

»Na, jetzt hört mir aber Alles und Verschiedenes auf! Nicht einmal die Thür kann Er mehr erkennen!«

»Er zerrt mich ja rund in der Stube herum, so daß es mir ganz taumelig wird! Nehme Er die Lampe. Ich warte nicht länger auf Ihn!«

Der Dessauer ergriff die Leuchte. Sie gelangten glücklich hinaus in den Flur und kamen mit Hilfe der Wand, an welche sie sich stützten, ohne weiteres Ereigniß in die dumpfige Backstube.

»Wo ist der Backofen?« fragte Hillmann.

»Aha! Jetzt ist Er es, der die Brille braucht! Komme Er; ich werde Ihn hinaufschaffen. Da, drehe Er sich rechts herum, sonst läuft Er in den Backtrog!«

Der Wirth kroch auf allen Vieren; der Dessauer schob aus Leibeskräften, und so gelangte der Erstere glücklich über die Stufen hinweg, welche auf den Backofen führten. Dort streckte sich Hillmann behaglich aus.

»So! Jetzt hat man doch endlich seine gehörige Ordnung. Nun hole Er den Sauer zum Brode und die Hefe für den Semmel- und Kuchenteig. Die Milch gießt Er neben das Mehl an, daß sie einstweilen warm wird, und das Gewürze kann Er sich auch gleich in der Küche holen. Er ist besser, Er hat es nachher gleich zur Hand liegen. Dann aber kernt Er die Pflaumen aus. Ich werde zur rechten Zeit aufwachen und genau nachsehen, wie Er Seine Sache macht. Und was ich noch sagen wollte: Hole Er aus der Milchkammer fünf Stückchen Butter, um sie hier auf dem Backofen in einem Topfe zerlaufen zu lassen. Er kann auch die Rosinen gleich mit hineinthun. So, nun weiß Er Alles!«

Mit einem langgezogenen Gähnen schloß er die Augen. Er war so sehr berauscht, daß er sofort einschlief. Leopold nahm die Lampe und ging in das Gewölbe, um den Sauerteig und die Hefe zu holen. Seine Beine wollten ihm nicht recht gehorchen, aber er nahm sich nach Kräften zusammen. Er fand einen großen Krug und roch daran.

»Das ist die Hefe; das riecht man gleich. Wo aber ist der Sauer? Habe all mein Lebtag solch Zeug noch nicht gesehen. Ah, dort in dem Fasse wird es sein.«

In der Ecke stand ein großes Faß, dessen dickflüssiger Inhalt einen scharfen, säuerlichen Geruch verbreitete.

»Das ist der richtige Jakob!« brummte er. »Mit solchem Zeuge also wird das tägliche Brod gebacken. Das stinkt ja wie Meister Urian! Aber wieviel nehme ich? Ich glaube, der Dessauer Bäcker sagte, daß man auf acht Pfund Brod ein Pfund Sauerteig zu nehmen hat. Das wird hier also ungefähr vier Wasserkannen voll geben.«

Er schaffte erst den ganzen Hefenkrug in die Backstube und goß den vollständigen Inhalt in den Backtrog. Dann nahm er eine Wasserkanne, schöpfte viermal aus dem Fasse und goß das duftende Zeug über das Brodmehl in der Beute. Darnach begab er sich in die Milchkammer, wo er ein großes Thongefäß fand, welches voll Milch war.

»Ah, die ist dick. Das wird ein Teig, der sich gewaschen hat!«

Er schleppte die Milch in die Backstube und schüttete sie zu der Hefe in den Backtrog. Dann holte er die Butter herbei, die er in einen Topf that. Als er damit fertig war, ging er in die Küche, wo auf einem Brette verschiedene Düten lagen. Er öffnete eine nach der andern.

»Also Rosinen in die Butter. Ah, da sind die großen. Wo aber stecken die kleinen?«

Er suchte weiter und fand endlich diejenige Düte, welche er für die richtige hielt, als er ihren Inhalt erblickte.

»Das sind die kleinen Rosinen, welche die Anneliese Korinthen nennt. Also das Alles kommt in die Butter. Himmelsakkerlot, wird das ein feines Fressen sein! Aber die Pflaumen kerne ich jetzt nicht aus. Dazu ist es später auch noch Zeit. Vor der Hand werde ich ein kleines Stündchen schlafen, denn diese verteufelte Zippetrippe ist mir auch in den Kopf marschirt.«

Er kehrte in die Backstube zurück und schüttete den Inhalt der beiden Düten in den Buttertopf, den er auf einen warmen Ziegel des Backofens stellte. Dann löschte er die Lampe aus, tappte sich die Stufen hinauf und streckte seine müden Gliedmaßen neben denen seines Meisters aus. Auch er schlief sofort ein.

Nach einiger Zeit war ein eigenthümliches, leises Klingen und Knistern zu vernehmen. Es rührte von einer Unzahl jener ekelhaften Schabenkäfer her, wel che in Mühlen und Bäckereien oft so lästig werden. Diese Thierchens marschirten auf dem Backofen hin und her, und kamen dabei den beiden Schläfern in die Kleider. Der Meister ließ ein sehr unwilliges Brummen hören. Es mochte einer der Käfer ihm eine empfindliche Stelle berührt haben.

»Na!« – meinte er schläfrig. – »Wer sticht mich?«

Er fühlte das Kribbeln und Krabbeln an seinem Körper, kam aber nicht zum vollständigen Erwachen. Er wälzte [218] sich hin und her, konnte aber den Feind nicht los werden. Wüthend schrie er: »Schon wieder! – Warte, Hallunke!« Er holte aus und schlug zu. Der Hieb traf den Dessauer. Dieser fühlte trotz seines festen Schlafes den Schlag und packte den Meister.

Beide stießen sich und rangen halb im Traume, bis sich aus dem Munde Leopold's ein befriedigtes Gurgeln hören ließ. Gleich darauf ertönte ein lautes Gepolter, dem ein Klatschen und Krachen folgte, welches den Dessauer halbwegs zur Besinnung brachte.

»Was ist's?« frug er.

»Oh! Ah! Au!« – antwortete es von unten herauf. »Ich bin – bin – bin aus dem Bett – – aus dem Bett gefallen. Ah! Au!«

Es kroch und schob sich noch eine kleine Weile unten auf der Diele herum; dann wurde es wieder still. Der Meister war vom Rande des Ofens hinab in den Backtrog gerutscht und hatte diesen mit sich auf die Diele gerissen. Leopold schlief auch wieder ein, doch ließen ihm die Schaben keine Ruhe. Er knurrte und brummte, wälzte sich von einer Seite auf die andere und träumte, daß er von einem Detachement Cavallerie angefallen werde. Er wehrte sich aus Leibeskräften gegen ihre Säbels, aber er erhielt doch einen fürchterlichen Hieb auf den Kopf und stürzte zu Boden nieder. Er war nicht todt, aber er fühlte, daß das aus seinen Wunden fließende Blut eine tiefe Lache um ihn bildete – dann verlor er das Bewußtsein.

Dieser Traum war eine etwas phantastische Übertragung der Wirklichkeit. Leopold war vom Backofen hinab in die Beute gerollt, und das Blut, welches aus seinen vermeintlichen Wunden strömte, bestand aus jener scharfen Brühe, welche er für Sauerteig gehalten hatte.

[219]

[233] Etwa eine Stunde vorher, Abends elf Uhr, verließ der Pflasterhändler seine Herberge bei dem Schmiede Peters, um nach dem Schlosse zu gehen. Dort angelangt, schritt er längs der Gartenmauer hin, bis er die Stelle erreichte, die ihm von Anna bezeichnet worden war.

»Wilhelm!« hörte er eine halblaute Stimme von oben herab rufen.

»Anna, bist Du es?«

»Ja.«

»Soll ich hinaufkommen?«

»Du kannst ja nicht.«

»Ich kann. Ich habe dem Schmiede ein paar eiserne Krampen heimlich weggenommen. Wenn ich dieselben zwischen die Steine einschlage, kann ich in die Höhe steigen.«

»Man wird es hören!«

»Nein! – denn ich umwinde das Eisen mit meinem Schnupftuche.«

»So versuche es einmal!«

Sie hörte ein unterdrücktes Klopfen; dann sah sie den Geliebten zu sich emporsteigen. Er sprang von der Mauer, welche dem Balkon als Brüstung diente, zu ihr nieder.

»Da hast Du mich, Anna! Gieb mir die Hand.«

»Aber nur die Hand!«

»Natürlich. Ich habe Dir bereits gesagt, daß ich keine Ohrfeige mehr verlange.«

»Oh!« lachte sie, »Du bist nicht der Einzige, der heute eine erhalten hat!«

»Noch Einer? Wer denn?«

»Dein Alter.«

»Der Dessauer?«

»Ja.«

»Du machst nur Spaß!«

»Es ist mein Ernst! Er wollte mir einen Kuß geben und erhielt dafür eine Maulschelle, die dreimal kräftiger war als die Deinige.«

»Mädchen, was hast Du gethan?«

»Gewiß nur das Richtige. Oder willst Du, daß ich mich von einem Jeden umarmen und küssen lasse?«

»Von einem Jeden? Es war ja der Fürst!«

»Da giebt es keine Ausnahme.«

»Du machst mir wirklich Angst. Was sagte er dazu?«

»Er wetterte fürchterlich, aber ich habe ihm tüchtig geantwortet, und dann sind wir in aller Freundschaft auseinander gegangen.«

»Na, das ist wohl noch zu bezweifeln. Erzähle mir!«

Sie erzählte ihm das ganze Vorkommniß und ihre Unterhaltung mit Leopold fast wörtlich. Als sie zu Ende war, ergriff er ihre beiden Hände.

»Anna, hätte ich den Bart und die Beule nicht, so würde ich Dir einen Kuß geben, an dem gewiß nichts fehlen sollte. Bomben und Granaten, hast Du Deine Sache brav gemacht! Nun habe ich keine Angst mehr, nicht die allergeringste, denn ich bin überzeugt, daß er seinen Narren an Dir gefressen hat. Nun können wir vollständig ruhig und ohne Sorge sein!«

»In Beziehung auf uns, ja. Aber um den Fürsten bin ich besorgt.«

»Warum?«

»Du sagtest doch, daß er hier in der Gegend herumsuchen wolle.«

»Ja.«

»Wenn er nun gefunden wird!«

»Von wem?«

»Von dem Prinzen oder von dem Hartegg.«

»Meinst Du den hannöverschen – ach, von welchem Prinzen redest Du?«

»Friedrich Ludwig ist da.«

»Nicht möglich!«

»Doch! Er logirt hier im Schlosse.«

»Du bist des Teufels! Kennst Du ihn?«

»Ich kannte ihn nie. Er gilt hier für einen Baron von Kreutz.«

»Also incognito! Was will er denn eigentlich hier in Lüchow?«

»Er geht meinem Fräulein zu Gefallen.«

»Na, da ist er wohl sehr auf dem Holzwege?«

»Sicherlich! Aber er hat auch noch andere Absichten. Denke Dir nur, er ist verkleidet mit dem Hartegg in Dessau gewesen, um den Fürsten einmal zu sehen.«

»Was Teufel! Hat er ihn gesehen?«

»Ja, in der Kirche.«

»Der Fürst war heute hier. Sind sie einander wohl begegnet?«

»Nein.«

»Das ist ein Glück! Aber was meinst Du noch für andere Absichten?«

»Der Hartegg steckt in Lenzen. Dort ist also am Montag Jahrmarkt, und da kommen hannöversche Soldaten, um [233] sich Rekruten zu holen. Der Hartegg ist der Commandant davon, und der Prinz will auch dabei sein.«

»Das ist ja eine ganz famose Geschichte, die Du mir da erzählst! Wer hat Dir das Alles mitgetheilt?«

»Mein Fräulein, die es von dem Hartegg hat.«

»Dann ist es keine bloße Erfindung. Hm! Das kann schlimm werden, aber auch gut für uns. Wo in Lenzen logirt der Lieutenant?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wohin sind die Soldaten bestellt?«

»Das hat er nicht gesagt.«

»Wie viel Mann werden es sein?«

»Auch das nicht. Er hat weiter nichts gesagt, als was ich Dir bereits berichtet habe.«

»Das ist nun freilich sehr wenig. Ich muß sehen, ob sich hier etwas ausforschen läßt. Zunächst aber ist es nothwendig, daß ich den Fürsten aufsuche.«

»Weißt Du, wo er ist?«

»Ich werde ihn schon finden. Hast Du sonst noch etwas Neues?«

»Nein.«

»So werde ich jetzt gehen. Ein Stündchen muß ich schlafen; dann aber mache ich mich gleich auf den Weg.«

»Wann kommst Du wieder?«

»Das kann ich nicht sagen, denn ich weiß nicht, wenn ich den Fürsten treffe. Vor Abends aber bin ich jedenfalls wieder zurück.«

»Nimm Deine Eisen aus der Mauer fort!«

»Das wird nicht gehen. Sie sind zu tief eingeschlagen. Übrigens kann man dieselben nicht gleich bemerken. Es führt ja kein Weg vorüber, und sie werden von dem Gesträuche verdeckt. Gute Nacht, Anna!«

»Gute Nacht, Wilhelm! Nimm Dich in Acht, daß Du nicht erwischt wirst!«


Es war noch früh am Tage, da aber in Wustrow sehr viele Ackerbürger wohnten, welche des Morgens zeitig wach sein müssen, so rauchten bereits die Feueressen, und vor dem Hause Hillmann's standen einige Frauen und Mägde, welche sich neubackene Semmeln holen wollten, die Thüre aber noch verschlossen fanden.

»Was muß denn da passirt sein?« frug die Eine. – »Da ist wohl am Ende noch gar nicht gebacken worden.«

»Er hat den Gesellen wieder 'mal fortgejagt,« antwortete eine Andere.

»Es ist ein Neuer da. Mein Alter sagte es, der ihn gestern gesehen hat. Das mag aber ein Kerl sein, noch zehnmal gröber wie der Hillmann selber. Und trinken hat er können wie ein Kellerloch. Ich glaube, sie sind Alle beduselt gewesen und liegen noch im Schlafe. Wir wollen einmal pochen!«

Es wurde erst geklopft, dann gepocht, dann gehämmert und endlich angedonnert, bis sich im ersten Stockwerke ein Fenster öffnete. Einer der Söhne sah heraus.

»Was ist denn los, he?«

»Sind die Semmeln fertig?«

»Ja, doch wohl!«

»So macht auch die Thüre auf!«

»Ist sie zu?«

»Würden wir pochen, wenn sie auf wäre?«

»Hm! Will einmal nachsehen.«

Er weckte seine beiden Brüder, welche nach seiner Meinung nun auch genug geschlafen hatten, und begab sich mit ihnen hinunter. In der Fußgrube war Alles dunkel, in der Backstube ebenso. Sie öffneten zunächst die Hausthüre, um Licht auf den Flur zu lassen, und dann zogen sie die Läden in der Wohnstube auf. Sie wollten dasselbe auch in der Backstube thun, aber als sie dort eintraten, quoll ihnen ein scharfer, saurer Geruch entgegen, und der Vorderste von ihnen prallte zurück.

»Donnerwetter, was ist denn das? Da habe ich ein paar Pfund Teig an den Sohlen kleben!«

Sie blickten in das Dreivierteldunkel hinein, in welchem sich ein lautes Schnarchduett vernehmen ließ.

»Dort liegt weiß Gott der Backtrog in der Stube!«

»Und ein Kerl dabei! Wer ist es?«

»Der Alte! Na, heiliger Schwede, was muß da passirt sein? Nur rasch die Fenster auf!«

Einer patschte über die Stube hin und stieß die Läden hinaus. Das helle Licht des Tages brach herein und beleuchtete eine Scene, welche selbst der Pinsel des berühmtesten Meisters nicht wiederzugeben vermocht hätte. Die Weiber vor der Thüre erhoben ein schallendes Gelächter, die drei langen Bursche aber standen lautlos da; die Sprache war ihnen vor Erstarrung ausgegangen.

Auf der Diele lag der große, umgestürzte Semmeltrog. Sein ganzer Inhalt hatte sich über den Fußboden ausgebreitet, und die weiße, zähe Fluth dieses Kleisters wurde vermehrt durch ganze Ströme von Teig, welche von dem Kuchentroge herniederflossen. Der Dessauer hatte die ganze Hefe aufgegossen, und so war eine solche Gährung entstanden, daß sich ein wahrer Teigvulkan über dem Troge erhob und seine mehlerne Lava auf die Dielen herniedergoß. Das Allerbeste aber zeigte sich im Hintergrunde der Stube. Dort lag nämlich der neue Geselle, so lang er war, in der Beute, statt des Bettes von einer Masse bedeckt, die weder Mehl, noch Wasser, noch Teig genannt werden konnte.

Die beiden Schläfer schienen sich bisher ganz wohl befunden zu haben. Jetzt aber drang die kalte Morgenluft herein, und der alte Hillmann begann sich leise zu regen.

»Vater!«

»U – – ah!«

»Vater!«

»Uuu – – – aaah!«

Die Söhne faßten ihn bei den Armen und versuchten, ihn emporzurichten.

»Vater!«

»Wa – as?«

»Sperrt die Augen auf, Ihr Dreckbarthels Ihr! Was habt Ihr denn hier angerichtet, he?«

[234] »An – ge – – rich – – tet! Wo?«

Der alte Hillmann hatte beide Hände voller Kleister und rieb sich damit die Augen aus. Natürlich konnte er nun erst recht nichts sehen.

»Mach, daß Du zu Stande kommst! Hurrjesses, ist das eine Sauerei! Seid Ihr denn bei Verstand gewesen?«

»Ver – stand! Uuu – – aaah!« gähnte der Alte. »Was – – was klebt denn da?«

Seine ganze Gestalt, sein ganzes Gesicht war mit Kleister überzogen. Er hatte jetzt die Augen frei bekommen, streckte alle zehn Finger weit von sich und starrte in der Stube umher.

»Au, mein Kopf! Ich habe eine Knochenmühle d'rin. Aber – – hm, wo bin ich denn eigentlich? Was ist das für – – – Donnerwetter, da liegt ja der Backtrog!«

»Ja, und Du lagst dabei!«

»Ich? Und da läuft ja der Teig über! Himmeltausendsakkerment, wo ist denn der Hallunke, der neue Geselle?«

»Da, gucke Dir ihn an! Dort liegt er!«

Der alte Hillmann drehte sich nach der angedeuteten Richtung und wich dann einige Schritte zurück. Was er sah, ging ihm über alle Begriffe.

»Dort – dort liegt er – – im Brodteige! O Du oberster Schweinigel, der Du bist! Warte, Hallunke, ich werde Dir heraushelfen!«

Der Rausch war auf einmal verflogen. Er faßte nach einen der Stühle, auf welchen der Backtrog gestanden hatte, und brach ein Bein los. Mit diesem trat er zur Beute, faßte den Schläfer bei den Haaren, riß ihn empor und schlug nach Kräften zu.

»Willst Du heraus aus der Schlempe, Du elender Lump und Süffel Du. Dir, Dir will ich den Schlaf schon vertreiben, Du Taugenichts, Nichtsnutz und Lumpenkerl!«

Leopold war bereits beim ersten Hiebe emporgefahren, denn einem Stuhlbeine vermag auch der tiefste Schlaf nicht zu widerstehen. Zwar noch schlaftrunken, war er doch zu sehr Soldat, als daß er den hageldichten Hieben des Meisters seinen Rücken länger als nur einige Sekunden dargeboten hätte. Erst halb wach, griff er schnell zu und hielt das Stuhlbein fest.

»Was ist los? Was trommelt Er auf mich ein?«

»Warum ich Ihn haue? Das fragt Er noch, er elender Saukerl? Sieht Er nicht, in welcher sauren Tunke ich Ihn gefunden habe!«

Leopold sah um sich.

»In der Beute! Alle neunundneunzigtausend Teufel, wer hat mich im Schlafe da hineingeschmissen? Den Hund schlage ich todt!«

»Ruhig! Nicht gemuckst!« donnerte der Meister. »Er selber ist hineingefallen, denn Er war ja besoffen wie ein Eber! Und mich, mich hat Er vom Backofen herunter auf den Trog geworfen; der ist umgestürzt, und nun läuft die ganze saubere Profit die Mahlzeit in der Stube herum!«

Das machte den Fürsten völlig munter. Er blickte genau umher und brach dann in ein lautes, erschütterndes Gelächter aus, welches gar nicht aufhören wollte und in einen Lachkrampf auszuarten schien.

»Hahahaha – – da habe ich – hahahahaha – – im Sauerteige – hahaha – – im Sauerteige geschlafen, und – – – hahahaha – der Hillmann – – hihihihihihi – – hat sich in die He – – – hihihihihiiiih – Hefen – hihihohohohooooh – – in die Hefen gelegt – hahahihihoooh!«

»Was! Er lacht auch noch dazu, Er Teigaffe, Er? Lasse Er gleich das Stuhlbein los! Ich werde Ihn karbatschen, daß Ihm das Lachen vergehen soll!«

»Raisonnire – – hahaha – – raisonnire Er nicht – – hihihihi! Komme Er lieber – – hahaha – – oh, mein Bauch! Hohohohoooh! – – Komme Er lieber her Er – – hihihihi – Er alter Hefenklos – – hahaha – wir wollen einander – – hihihihihihihiiiih – – einander ablecken – – hahaha – – oh, ich zerplatze noch!«

»Auch noch ablecken soll ich Ihn! Warte, ich will Ihn ablecken!«

Mit einem kräftigen Rucke riß er das Stuhlbein wieder an sich und versetzte dem Fürsten einige Hiebe. Sofort aber hatte dieser das Bein wieder ergriffen und hielt es fest.

»Hillmann, mäßige Er sich! Die ganze Geschichte ist ja nur des Lachens werth!«

»Auch noch! Da liegt der Kerl im Sauertei – – – Himmelelement, was ist denn das!«

Er trat näher an die Beute heran und schaute hinein.

»Was hat Er denn hier aufgegossen, he?«

»Sauerteig!«

»Wie viel?«

»Vier Wasserkannen voll!«

»Vier Wa – – – Nun steht mir der Verstand stille! Wo hat Er denn eine solche Menge hergenommen, he?«

»Aus dem großen Faß im Gewölbe.«

Da brachen die drei Söhne des Bäckers in ein Gelächter aus, welches eine wahre Explosion genannt werden mußte. Der Alte selbst aber starrte ihn an, als ob er ein Gespenst vor sich sehe.

»Alle guten Geister! – Aus dem großen Fasse! – Da ist ja das saure – – – das saure Schweinefutter d'rin!«

»Das saure Schweinefutter!« rief Leopold. »Hahahaha – – Alter, halte – hahahaha – halte mir den – – hihihihihiiiih – den Bauch, sonst zer – – hihihihi – – zerspringt er mir – hohohohohooooh! Das saure Schweinefutter!«

»Auch noch den Bauch halten, Er – Er – Er!«

Der Bäcker fand für seinen Grimm gar keine Worte mehr, aber einer seiner Söhne, der die über die Dielen laufende Brühe untersucht hatte, rief: »Vater, weißt Du, was das ist?«

»Was denn?«

»Buttermilch! Hahahaha, Buttermilch in die Semmeln!«

»Butterm – – o Du neunmal verrückter Lumpenkerl!« brüllte der Alte. »Gießt Er mir Buttermilch in die Semmeln! Und wie viel hat Er denn von der Hefe genommen?«

[235] »Die ganze natürlich,« meinte Leopold.

»Die – ganze!!! – Mensch, mit dem was draußen war, kann ich ja dreißig Zentner Mehl bis unter das Dach hinauf gähren!«

»Und hier in dem Topfe, was ist da!« berichtete der Sohn. »Zerlassene Butter, Schaben, Große Rosinen und Pfefferkörner!«

»Aha,« meinte Leopold lachend, »d'rum waren die kleinen Rosinen so hart!«

»Pfefferkörner?« frug der Alte ganz außer sich. »Zeigt mir den Topf einmal her! Den Topf will ich sehen; jetzt gleich; auf der Stelle!«

Der Sohn brachte das Verlangte. Sein Vater griff hinein, nahm einen der Körner heraus und zerbiß ihn.

»Bei meiner armen Seele, es sind Pfefferkörner! Kerl, Mensch, Er will ein Bäcker sein und sieht Pfefferkörner für kleine Rosinen an! Hier, da hat Er die ganze Geschichte an Seinen stocknageldummen Schädel!«

Er holte aus und warf dem Fürsten den Topf mit solcher Gewalt an den Kopf, daß er in Scherben zerbrach und die Butter mit sammt dem Andern in der Stube umherspritzte. Leopold fuhr sich mit einem Schrei des Schmerzes an die Stirn, im nächsten Augenblicke aber hatte er den Meister gepackt.

»Hund, das wagst Du! Warte, ich werde Dich einwickeln!«

Der Fürst hob ihn hoch empor, warf ihn in die Beute, daß Alles krachte und knetete ihn in den Teig hinein, daß er in wenigen Augenblicken erstickt wäre, wenn nicht die drei Söhne zugesprungen wären. Auch die vor dem Hause stehenden Weiber erhoben ein lautes Geschrei um Hilfe. Im Handumdrehen war draußen und der Hausflur von Menschen angefüllt.

»Laß ab, Kerl, sonst massakriren wir Dich!« rief einer der Söhne.

Sie faßten ihn und rissen ihn von der Beute zurück. Jetzt kam nun Leopold in die Gefahr, erwürgt zu werden, denn sechs starke Hände waren bemüht, ihm den Hals zuzuschnüren. Es gelang ihm, sich loszureißen. Schnell bückte er sich und hob das Stuhlbein auf, welches ihm und dem Meister vorher entfallen war.

»Massakriren? – Mich! – Kommt an, Ihr Himmelhunde, wenn Ihr es wagt!«

Die Söhne drangen von Neuem auf ihn ein; er aber schlug einen so nachdrücklichen Kreuzhieb, daß sie ihn nicht fassen konnten. Mittlerweile aber hatte sich der Alte aus dem Teige emporgearbeitet. Er ergriff den Fürsten von hinten bei der Kehle und schnürte ihm dieselbe zusammen. »Schlagt ihn todt! Klopft ihm die Seele aus dem Leibe! Holt Stuhlbeine her!«

Diese Worte wurden augenblicklich befolgt. Der bereits eines Beines beraubte Stuhl wurde zertreten; die Brüder theilten sich im Nu in die drei andern Beine und schlugen damit blind auf den Fürsten ein.

[236]

[249] Der Grimm und vielleicht auch die Todesangst gaben dem Fürsten übermenschliche Kräfte. Er riß sich abermals los, sprang zur Seite und holte aus. Sein erster Hieb traf den Alten mit solcher Wucht, daß dieser wie todt in die Beute zurücksank; sein zweiter Hieb sauste auf die Achsel des Fleischers nieder; auch er stürzte nieder.

»So!« jubelte Leopold. »Ihr sollt mich kennen lernen!«

Seine Augen leuchteten in wilder Gluth. Er kannte sich selbst nicht mehr; er überlegte nicht, was aus dieser blutigen Schlägerei für ihn entstehen könne. Er trieb die beiden übrigen Gegner hinaus auf den Flur und schlug dort blind auch auf die anderen Leute ein. Alles schrie und rief nach Hilfe. Es war ein Spektakel, wie er in Wustrow wohl noch nie gehört worden war.

»Holt die Polizei! Holt den Stadtrichter, den Bürgermeister her!« rief es bunt durch einander.

»Ja, holt sie!« brüllte der Dessauer. »Sie sollen auch ihre Keile kriegen! Heute muß das ganze Lausenest über die Klinge und über das Stuhlbein springen. Ich werde Euch lehren, was es heißt, mit mir anzubinden!«

»Dort kommen sie schon!« ertönte eine Stimme.

Leopold kümmerte sich nicht darum. Er schlug zu, einem Jeden, den er erreichen konnte, immer über den Kopf hinein, und vor ihm sich flüchtend, quollen die Eingedrungenen zur Hausthüre hinaus.

»Was geht hier vor?« frug jetzt draußen eine starke, gebieterische Stimme.

»Er schlägt uns Alle todt!« antwortete Einer.

»Wer?«

»Der Geselle. Er ist toll geworden!«

»Werden mit ihm schon fertig werden! Tretet her, und laßt ihn nicht durch!«

Unter der Thüre erschien ein Mann in Civil, gefolgt von einem Polizeidiener. Er übersah beim ersten Blicke die Situation.

»Halt, Kerl! Ist Er verrückt? Er macht sich ja unglücklich!«

»Geht Ihm das etwas an!« antwortete Leopold, dabei immer zuschlagend.

»Im Namen des Gesetzes gebiete ich Ihm, in dem Exceß einzuhalten!«

»Und ich gebiete Ihm in meinem Namen, sich davon zu trollen! Wollen doch 'mal sehen, wer stärker ist, ich oder Sein lumpiges Gesetz!«

»Ich bin der Bürgermeister!«

»Meinetwegen der Essenkehrer! Vorwärts! Hinaus mit Euch Jammersäcken!«

Die Anwesenheit des Bürgermeisters gab den Leuten Muth. Die Männer hielten jetzt Stand. Einer drängte den Andern, und Leopold wurde trotz seiner gewaltigen Streiche eingeengt. Der Polizist war ein schlauer Patron; er arbeitete sich durch das Gedränge, bückte sich und ergriff den Fürsten bei einem Beine. Ein kräftiger Ruck warf den tapfern Kämpfer zu Boden. Nun stürzte sich Alles über ihn her, um ihn unschädlich zu machen.

»Bindet ihn mit Stricken!« gebot der Bürgermeister.

Stricke waren leicht zu haben, und als der Gefangene gefesselt war, trieb der Beamte die überflüssige Menge zum Hause hinaus, um ungestört den Thatbestand aufnehmen zu können. Nur die verletzten Personen durften bleiben.

Der alte Hillmann war nicht todt, aber er saß jammernd noch in dem Teige und hielt sich den Kopf. Der Schlag hatte ihn betäubt, und durch die scharfe Kante des abgleitenden Stuhlbeines war ihm das eine Ohr halb abgerissen worden. Sein Sohn, der Fleischer, hatte sich ausgezogen und untersuchte seine Achsel. Und dabei quatschte, quitschte und klitschte es vor Teig und Kleister an allen Ecken und Enden. Der Beamte nahm auf diese zähe Beschaffenheit des Fußbodens keine Rücksicht. Die Betheiligten mußten Alle in die Stube treten, Leopold auch, und dann begann das Verhör.

Mit dem Augenblicke, an welchem er niedergeworfen wurde, war dem Fürsten die Besinnung zurückgekehrt. Er brauchte keine Angst zu haben, aber konnte er seinen wahren Namen nennen, ohne sich zu blamiren und in die unabsehbarsten Verlegenheiten zu bringen? Er beschloß, der Bäckergeselle zu bleiben und Allem, was da kommen werde, die größte Ruhe entgegenzusetzen. Sein Incognito aufzuheben, war allemal noch Zeit.

Der Bürgermeister wandte sich an den alten Hillmann: »Hillmann, was ist bei Ihm geschehen? Erzähle Er es mir einmal ausführlich!«

Der Alte erzählte und gebrauchte dabei solche Ausdrücke in Beziehung auf Leopold, daß diesem oft die Galle überlaufen wollte; aber er beherrschte sich. Darauf wurden die drei Söhne und die Zeugen vernommen. Ihre Aussagen stimmten mit derjenigen des Meisters überein. Jetzt frug der Beamte den Angeschuldigten: »Wer ist Er?«

[249] »Das steht in meinem Wanderbuche.«

»Er hat mir aber Rede zu stehen!«

»Hier nicht.«

»Wo sonst?«

»An Amtsstelle.«

»Schön. Ich werde Ihn an diese Stelle transportiren lassen. Wo ist Sein Wanderbuch?«

»Der Alte hat es eingeschlossen.«

»Hat Er sonst noch Sachen?«

»Einen Ranzen.«

»Den werden wir durchsehen. Was hat Er Alles einstecken?«

»Nehmt es heraus. Er sieht ja, daß ich gebunden bin!«

Der Bürgermeister winkte dem Polizisten, und dieser untersuchte die Taschen des Fürsten. Er fand eine alte, dreigehäusige Uhr, ein Taschenmesser und zwei Geldbeutel, nämlich den alten Strumpf mit lauter Silberstücken und einen Perlenbeutel, welcher voll Gold war. Der Beamte erstaunte.

»Mann, wo hat Er dieses viele Geld her?«

»Verdient.«

»Das mache Er mir nicht weiß!«

»Na, so glaube Er es nicht, wenn es Ihm nicht paßt!«

»Er ist sehr kurz angebunden. Man wird strenge Maßregeln mit Ihm vornehmen müssen. Nehme Er sich in Acht! Ich halte Ihn wegen qualificirter Körperverletzung oder gar wegen versuchten Todtschlages fest. Vielleicht entdecken wir noch etwas Anderes, was Ihn noch tiefer in die Tinte bringt.«

»Er sieht mir auch ganz nach großen Entdeckungen aus! Und was die Tinte betrifft, so sehe Er sich nur vor, daß Er sie nicht etwa selber noch auszudunken hat. Übrigens habe ich die Geschichte satt. Ich bin Sein Gefangener; mache Er, daß man mich von hier wegbringt. In diesem Dreck und Schmant mag ich nicht länger sitzen bleiben!«

»Dieser Wunsch kann Ihm erfüllt werden. Aber denke Er ja nicht etwa an Flucht. Diese Leute gehen alle mit, denn ich muß ihre Aussagen zu Protokoll aufschreiben. Er ist also in sicheren Händen.«

»Na, habe Er nur keine Angst! Vor Ihm und diesen Affen reiße ich noch lange nicht aus, und wenn Er Sein Protokoll recht schön und deutlich machen will, so gebe ich Ihm den Rath, gleich Alles, was Er hier sieht, mit hinein zu wickeln, das Mehl, die Buttermilch, die Pfefferkörner, die Hefe und das Schweinefutter!«

»Na, Sein loses Maul wird man Ihm zu stopfen wissen! Nehmt ihn in die Mitte, und führt ihn fort!«

Er wurde, so wie er war, mit dem ganzen Kleisterüberzuge, fortgeschafft. Auch sein Ranzen, sein Stock und sein Wanderbuch wurde mitgenommen. Der am Kopf verbundene Wirth folgte dem Transporte durch eine zahlreiche Menschenmenge, welche neugierig war, den Menschen zu sehen, der es mit den vier Hillmännern aufgenommen hatte.


Ungefähr eine Stunde später kam ein Wandersmann auf Wustrow zugeschritten. Es war der Pflasterhändler, welcher dem Fürsten, ohne von ihm erkannt zu werden, sagen wollte, daß der Prinz Friedrich Ludwig sich in Lüchow befinde und eine Razzia in das Preußische beabsichtige. In der ersten Gasse erkundigte er sich nach dem Wirthshause des Bäckermeisters Hillmann. Man wies ihn zurecht. Als er in die Gaststube trat, waren sehr viele Leute da versammelt, denen er ansah, daß sie sich in einer ungewöhnlichen Aufregung befanden. Es mußte Etwas geschehen sein, und er brauchte auch nicht lange zu warten, um es bis in das Kleinste zu erfahren. Ihr Gespräch drehte sich natürlich nur um den gefangenen Gesellen, und so erfuhr er alles Nöthige, ohne eine Frage aussprechen zu müssen. Der Mann, welcher die Gäste bediente, gehörte nicht in das Haus; er war ein Nachbar, der es übernommen hatte, Hillmann bis zu dessen Rückkehr zu vertreten.

Als der Wirth endlich mit seinen drei Söhnen erschien, war es bereits Mittag geworden. Er wurde mit hundert Fragen bestürmt, trat aber zunächst an den Schänktisch, um sich vor allen Dingen mit einem Kruge Bier zu stärken. Dann setzte er sich.

»Haltet die Mäuler!« begann er. »Eure Fragen kommen mir so in die Kreuz und Quere, daß ich ganz dumm von ihnen werde. Mein Schädel brummt mir auch schon ohne sie wie eine Baßgeige. Ihr sollt Alles erfahren.«

»Erzähle!«

»Da giebt es gar nichts zu erzählen. Die Sache liegt sehr klar: der Kerl hat uns todtschlagen wollen; er ist also ein versuchter Mörder, wie es die Gerichte nennen, und wird wohl baumeln müssen. Sodann hat er sehr viel Geld bei sich, wohl an die zweitausend Thaler. Das hat er wo gestohlen oder geraubt, und da wird er wieder baumeln müssen. Und endlich hat er während des Protokolles, wie es die Gerichte nennen, auf unsern Kurfürsten und König, auf seine Prinzen und Prinzessinnen und auf das ganze Land Hannover geschimpft, das ist Beleidigung des Majestätsverbrechens, wie es die Gerichte nennen, und dafür wird er zum dritten Male baumeln müssen. Ist das genug oder nicht?«

»Steckt er fest?«

»Natürlich! Ganz und gar in Fesseln.«

»Wer ersetzt Dir denn Deinen Verlust?«

»Das bekomme ich von seinem Gelde, wenn so viel übrig bleibt. Ich soll Alles taxiren und aufschreiben. Und auch die Transportkosten bekommen wir bezahlt.«

»Ihr? Warum denn Ihr?«

»Weil wir ihn fortschaffen müssen. Der Richter sagte, das sei ein sehr böser und schwieriger Prozeß, wo es sehr viel zu schreiben gebe. Er hat ausgerechnet, daß er erst nächsten Montag Mittag damit fertig wird. Nachmittags wird der Hallunke nach Dannenberg in das Obergericht geschafft, und weil er ein sehr starker Mensch ist, kann das der Polizist nicht allein fertig bringen. Da sollen ihm meine drei Jungens helfen, die ja als kräftige Bengels bekannt sind. Bis nach Lüchow wird es nicht gefährlich sein. Dort aber werden wir meinen Gevatter, den Peters, bitten, uns seinen Gesellen und seinen Sohn mitzugeben, der mein Mädel, die [250] Anna, bekommen soll. Das sind zwei starke Bursche, an die nicht gleich Einer kommt, und da der Mordversucher geschlossen ist, so wird er sich das Ausreißen wohl vergehen lassen müssen.«

Jetzt wußte Goldschmidt genug. Was noch gesprochen wurde, war jedenfalls nur Nebensache. Er bezahlte sein Bier und ging. Es war ihm darum zu thun, so schnell wie möglich nach Lüchow zu kommen.

Er legte die anderthalb Wegstunde, welche es zwischen den beiden Orten ist, in noch nicht Einer Stunde zurück und suchte die Linde auf, wo er den Stein auf die andere Seite des Stammes legte. Anna mußte gerade am Fenster gestanden haben, denn er erblickte sofort das weiße Tuch als Zeichen, daß sie kommen werde. Aus Vorsorge legte er den Stein wieder an seine frühere Stelle zurück und schritt dann nach der hinteren Gartenmauer. Als er dort ankam, stand das Mädchen bereits auf dem Balkon.

»Ist Jemand im Garten?« frug er.

»Kein Mensch.«

»So komme ich hinauf.«

»Wenn man Dich sieht!«

»Pah!«

Mit Hülfe der gestern eingeschlagenen Krampen kam er schnell nach oben.

»Ist Etwas Wichtiges passirt, weil Du am Tage kommst?« frug sie.

»Sogar Etwas Schlimmes!«

»Du erschreckst mich! Hast Du den Fürsten getroffen?«

»Nein. Er ist gefangen!«

»Mein Gott! – Ist's wahr?«

»Ja. Gefangen und in Fesseln!«

»Wo?«

»In Wustrow.«

»In Wustrow? Was hat er dort gemacht?«

»Du weißt, daß er als Bäcker verkleidet war. Er ist also, als er nach Wustrow kam, bei Deinem Stiefvater eingekehrt. Dort hat es großen Streit gegeben. Dein Vater hat ihm einen Topf in's Gesicht geworfen, so daß er blutete. Auch Deine Stiefbrüder sind über ihn hergefallen. Natürlich hat er sich da zur Wehre gesetzt und Einige niedergeschlagen, aber ohne sie zu tödten, und nun sitzt er im Gefängnisse, und man will ihm den Prozeß machen.«

»Das kann man nicht. Er braucht ja nur zu sagen, wer er ist!«

»Er wird sich hüten, das zu thun. Ein Reichsfürst, und auf diese Weise gefangen, denke Dir den Schimpf! – Er rechnet ganz sicher auf mich!«

»Auf Dich? – Wie so?«

»Das ich ihm aus der Patsche helfe.«

»Das kannst Du nicht!«

»Oho!«

»Auf welche Weise denn?«

»Das muß ich mir erst überlegen,« antwortete er zurückhaltend, denn er traute der Geliebten nicht die vollständige Verschwiegenheit gegen ihre Herrin zu. »Ist der Prinz da?«

»Nein. Er ist nach Lenzen geritten, um mit Hartegg zu reden.«

»Hat es etwas Weiteres hier gegeben?«

»Nichts. Nur daß mein Fräulein dem Prinzen heute im Garten begegnet ist. Er hat auf sie gesprochen, ist aber wieder tüchtig abgeblitzt worden. Hast Du meine Mutter gesehen?«

»Nein. Aber ich werde schon noch mit ihr zu sprechen kommen.«

»Willst Du wieder nach Wustrow?«

»Natürlich! Gleich morgen. Ich werde mich jetzt vorzugsweise dort aufhalten, um keine Gelegenheit zu versäumen, dem Fürsten nützlich zu sein. Am Besten ist es, die Mutter zieht aus dem Hause fort, da sie sich doch einmal scheiden lassen will.«

»Aber wohin?«

»Zu Dir natürlich!«

»Her nach Lüchow? – Das geht ja nicht!«

»Nein. Sie zieht zu Dir nach Dessau.«

Sie erröthete.

»Das wird noch lange Weile haben, Wilhelm!«

»Man kann nichts vorhersehen. Wenn der Fürst ›Ja‹ sagt, gehst Du mit nach Dessau, Anna?«

»Sofort!«

»Er sagte zu mir: ›Wenn sie nicht nach meinem Geschmacke ist, so hat Er sie sich aus dem Kopfe zu schlagen; gefällt sie mir aber, so nehmen wir sie gleich mit.‹ Welcher von diesen beiden Fällen ist wohl der wahrscheinlichere?«

»Du denkst wirklich, daß ich ihm gefallen habe?«

»Ja. Und was der Dessauer sagt, das hält er auch. Wenn ich genau wüßte, daß Du mir gewiß folgen wolltest, so sind wir in ganz kurzer Zeit Mann und Frau.«

»Wilhelm, ich thue Alles, was Du verlangst!«

»Auch schweigen?«

»Ja.«

»Aber nicht gegen Deine Herrin!«

»Auch gegen sie, so vertraut wir sonst auch sind.«

»Versprichst Du mir das wirklich?«

»Ich kann es sogar beschwören!«

»Wenn Du wirklich gegen sie schweigen kannst, so bringen wir es vielleicht sogar so weit, daß sie den Hartegg nehmen darf.«

»Wilhelm, wenn dies wahr wäre!«

»Es ist wahr.«

»Du kannst Dich auf mich verlassen! Aber wie sollen wir dies anfangen?«

[251]

[265] Der Feldwebel überlegte und versuchte dann seiner Anna den geheimen Kriegsplan auseinander zu setzen. »Denke Dir einmal, der Hartegg würde von mir auf preußischem Gebiete als Werber ertappt und gefangen – – –«

»Du, das darf nicht sein!«

»Höre erst weiter! Ich fange ihn nicht allein, sondern den Prinzen dazu – – –«

»Dem gönne ich es!«

»So können wir den Prinzen zwingen, dem Lieutenant einen ehrenvollen Abschied zu geben und sich jeder Malice gegen ihn zu enthalten. Der Hartegg wird dann preußischer Officier und heirathet seine Liebau. Ist dies nicht prächtig ersonnen und auch ganz folgerichtig. Er und ich, wir stehen dann vielleicht bei einem Regimente, und Du kannst dann ungestört mit seiner Frau verkehren. Was sagst Du dazu?«

»Der Plan gefällt mir ganz absonderlich! Aber ist er wirklich ausführbar?«

»Ich gebe Dir mein Wort darauf!«

»So glaube ich es. – Also topp, ich werde schweigsam sein!«

»Nun gut, so will ich auch volles Vertrauen zu Dir haben und Dir nichts verschweigen. Weiß die Liebau, daß der Dessauer bei Dir gewesen ist?«

»Nein. Ich wußte nicht, ob sie es wissen durfte.«

»Weiß sie von mir?«

»Auch nicht.«

»So will ich Dir sagen, daß ich nicht nach Lenzen gehe, wie ich vorhin sagte.«

»Wohin sonst?«

»Nach Wittenberge.«

»So weit?«

»Ja. Es steht zufällig eine Compagnie Musketiere auf Feldübung dort. Ich werde mir einige zwanzig Mann ausbitten, denn die Leute, welche ich in Lenzen erwarte, kann ich dort nicht wegnehmen. Mit diesen Musketieren lege ich mich nächsten Montag, wo der Fürst nach Dannenberg transportirt werden soll, zwischen Dannenberg und Lüchow in den Wald und befreie ihn. Dann gehen wir nach Lenzen, um den Prinzen abzufassen.«

»Aber wo?«

»Hm! wenn Du das erfahren könntest!«

»Vielleicht sagt es mir mein Fräulein, wenn sie es erfährt.«

»Sie könnte es doch nur vom Prinzen erfahren, aber mit Dem spricht sie ja nicht.«

»O, es giebt noch Einen!«

»Wen?«

»Den Hartegg.«

»Was, Der? Kommt sie mit Dem zusammen?«

»Ja.«

»Hm! Das konnte ich mir eigentlich denken! Wenn er in Lenzen ist, wird er eine so gute Gelegenheit, seine Braut zu sehen, nicht versäumen. Aber heimlich müßte dies geschehen, weil der Prinz da ist, der ihn nicht bemerken darf.«

»Es geschieht auch heimlich.«

»Ah! Wie und wo?«

»Sie hatte Sorge, ihn einmal zu verfehlen, und so hat sie sich mir anvertraut, damit ich mit aufpassen soll. Er kann nur Abends kommen, und will zum Zeichen, daß er da ist, bei unserer Linde einen Schuß abgeben.«

»Aha, die alte, gute Linde! Sie muß auch ihre Vertraute sein.«

»O, es stimmt auch noch etwas Anderes mit unseren eigenen Vorkehrungen überein!«

»Was?«

»Rathe, wo sie dann zusammentreffen werden!«

»Doch nicht hier auf dem Balkon?«

»Freilich!«

»Anna, das paßt herrlich! Rechts und links dichtes Gesträuch. Da könntest Du sehr leicht lauschen und Alles hören, was er sagt!«

»Würde das recht gegen mein gutes Fräulein sein?«

»Es ist ja zu ihrem Besten!«

»Meinetwegen. So werde ich mich also verstecken.«

»Im Übrigen bleibt es bei Allem, was wir ausgemacht haben. Hast Du mir noch etwas mitzutheilen?«

»Nein. Du mir?«

»Auch nicht. Ach ja, das weißt Du noch nicht, daß ich gestern hier in Lüchow den Fürsten getroffen habe!«

»Wo?«

»Beim Peters.«

»Hat er Dich erkannt?«

»Nein. Ich befürchtete es, aber ich war glücklich. Mein Gesicht muß ganz abscheulich verstellt sein, daß Ihr Beide Euch täuschen ließet. Er ging natürlich nur in die Herberge, um den jungen Peters und den Gesellen zu sehen, und hat sich gar nicht lange aufgehalten. Er kaufte mir eine Gose, und ich habe mir einen ganz außerordentlichen Spaß mit ihm gemacht.«

[265] »Doch nicht etwa – – –«

»Keine Sorge! Ich bin nicht zu weit gegangen. Er frug nämlich, was ich sei, und ich sagte ihm, daß ich wahrsagen könne. Das glaubte er natürlich nicht und gerieth dabei so in Eifer, daß er mir eine Wette anbot. Er ist außerordentlich genau und hätte sich in's Fäustchen gelacht, wenn er mir die Summe abgewonnen hätte. Er gab mir die Hand, aus der ich seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lesen sollte, und weil ich ihn kannte, so traf auch jedes Wort genau zu.«

»Du hast doch nicht etwa etwas verrathen!«

»Ist mir gar nicht eingefallen! Aber er hat bezahlen müssen.«

»Wie viel?«

»Vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige.«

»Höre, das ist zu viel; das wird er Dir nachtragen!«

»Bewahre! Ich weiß ganz genau, wie weit ich bei meinem Alten gehen darf.«

»Aber wie wird es mit dem Peters? Du wolltest ihn doch wegfangen!«

»Das wird auch geschehen. Es ist eigenthümlich, wie schön das Alles paßt. Der Bürgermeister in Wustrow nämlich hat Sorge, daß der Fürst, weil er sich als ein starker und verwegener Mensch gezeigt hat, unterwegs entfliehen könne, und so werden, wenn der Transport hier durch Lüchow kommt, der junge Peters und der Geselle aufgefordert werden, mitzugehen, weil das die beiden kräftigsten Kerls hier sind. Sie gerathen also mit in meine Hände.«

»Aber wenn sie Waffen haben!«

»Pah! Ich werde genug Leute bei mir haben. Und übrigens ist es vielleicht möglich, ihn mehr durch List als durch Gewalt zu befreien. Man muß das abwarten und sich nicht vorher schon sorgen, Anna. Nun aber muß ich gehen. Bekomme ich nur eine Hand?«

»Na, es ist dunkel; da sollst Du nicht um das Deinige gebracht werden!«

»So komm her, meine zukünftige Frau Feldwebel!«

Ein verborgener Lauscher hätte nun jenes leise Geräusch vernehmen können, von welchem das Volksräthsel sagt: »Es knallt und knallt und ist doch nicht geladen«; dann schlüpfte Goldschmidt über die Mauer herunter und war bald den nachblickenden Augen der Geliebten entschwunden.

Anna war stolz auf ihn; sie wußte, daß er zu den wenigen Personen gehörte, welche der Dessauer in sein Herz geschlossen hatte, und hätte für diese beiden Männer noch weit mehr thun können, als der Feldwebel heute von ihr verlangt hatte. Sie befolgte seinen Willen ganz genau. Es gelang ihr bereits am nächsten Tage, Hartegg mit ihrer Herrin zu belauschen, und nun wartete sie mit Sehnsucht auf sein Wiederkommen. Er mußte aber sehr in Anspruch genommen sein, denn erst am Sonntag Abend, als sie sich auf dem Balkon befand, hörte sie des Feldwebels militairischen Schritt.

Wilhelm ging langsam vorüber. Es war ja immerhin möglich, daß Fräulein von Liebau bereits hier Posto gefaßt hatte, da dieser Ort auch ihr Stelldichein mit dem Lieutenant bildete.

»Wilhelm!«

»Anna! Du?«

»Ja.«

»Darf ich hinauf?«

»Komm!«

Im nächsten Augenblicke stand er neben ihr.

»Ich habe sehr auf Dich gewartet!« meinte Anna fast vorwurfsvoll.

»So hast Du mir Wichtiges zu sagen?«

»Ja.«

»Und ich konnte nicht eher kommen. Ich wurde in Wittenberge zu lange hingehalten und dann auch in Lenzen, wohin ich mußte, um meine Vorkehrungen zu treffen. Nachher wurde es vor allen Dingen nothwendig, zunächst nach Wustrow zu gehen, um zu sehen, ob keine Veränderung eingetreten ist. Das war heute am Nachmittage.«

»Wie steht es dort?«

»Noch beim Alten, und das ist gut. Punkt 12 Uhr geht ein verdeckter Leiterwagen mit dem Gefangenen ab. Vier Personen begleiten ihn und bleiben hier beim Peters halten, um seinen Sohn und seinen Gesellen aufzunehmen. Dann geht es sofort und ohne Aufsehen weiter.«

»Hast Du in Wittenberge Soldaten bekommen?«

»Ja, zwanzig Mann. Ich habe den Hauptmann gebeten, verkleidet bleiben zu dürfen. Die Soldaten wissen blos, daß ein Pflasterhändler zu ihnen kommen wird, um ihnen zu sagen, was sie thun sollen. Es ist ihnen ganz genau ein Ort im Walde bezeichnet, wo sie zusammentreffen, und sie haben eine Losung, an der sie auch mich erkennen werden.«

»Warum das?«

»Weil ich mir den Spaß machen will, nicht eher von dem Dessauer erkannt zu sein, als bis der ganze Streich vollständig ausgeführt ist. Ich weide mich schon im Voraus an dem Gesichte, welches er mir machen wird. Ich habe bereits einen Anzug für ihn hier im Sacke. Er ließ ihn in Lenzen zurück, als er sich verkleidete. – Und nun, was hast Du erfahren?«

»O, ich weiß sehr, sehr viel!«

»Recht so. Schieße los damit!«

»Der Lieutenant war da, und ich habe Alles gehört, was er sagte.«

»War etwas Wichtiges dabei?«

»Außerordentlich Wichtiges! Ich weiß, was morgen Abend in Lenzen vor sich gehen soll. Hartegg wollte seine Hannoveraner theilen. Die eine Hälfte sollte während des Jahrmarktes freiwillige Rekruten suchen, und die andere Hälfte sollte den Transport derselben diesseits der Elbe erwarten. Er wollte also jedes Aufsehen und jede Gewaltthätigkeit vermeiden. Der Prinz aber will es anders. Morgen Abend ist im Gasthofe ›zum Mecklenburger‹ Jahrmarkts-Tanz, wo natürlich viele junge, rüstige Bursche anwesend sind. [266] Die Hannoveraner sollen nun alle daran Theil nehmen; auch der Prinz ist dabei, und auf ein Zeichen von ihm fallen sie über die Bursche her und führen sie ab.«

»Ah! Das ist nicht kühn, sondern unbesonnen und leichtsinnig! Wenn so ein Streich ja gelingen sollte, was ich sehr bezweifle, muß er doch ein ungeheures Aufsehen erregen. Übrigens wie sollen die Gefangenen bis an die Grenze und über die Elbe gebracht werden, wo doch unsere Grenzleute stehen?«

»Wer sich widersetzt, soll niedergeschossen werden.«

»Ach so!«

»Hartegg war fuchswild. Er sagte, der Prinz sehe es nur darauf ab, ihn zu ruiniren.«

»Das glaube ich selbst. Deine Neuigkeit ist mir allerdings von der allergrößten Wichtigkeit, denn nun weiß ich doch, wo ich den Gegner anfassen kann. Was giebt es denn noch?«

»Weiter nichts. War das nicht genug?«

»Vollauf! Höre, Anna, das wird ein Gaudium, wenn diese Hannoveraner denken, daß sie bereits Hahn im Korbe sind, und auf einmal tritt der Dessauer mitten unter sie, an seiner Seite der Pflasterhändler! Juchhe!«

»Ich wollte, ich könnte dabei sein!«

»Das kannst Du, wenn Du nur willst.«

»Geh! Wie wäre das möglich?«

»Sehr leicht. Du und Deine Herrin, Ihr solltet dabei sein; das würde dem ganzen Dinge erst die Krone aufsetzen! Willst Du?«

»Wenn es ginge!«

»Es geht. Du brauchst nur Deiner Herrin zu sagen, daß der Lieutenant in Gefahr ist. Ich bin hier gewesen, und von mir hast Du erfahren, daß sein Plan verrathen ist. Ich lasse mich erschießen, wenn sie nicht sofort anspannen läßt und nach Lenzen fährt, um ihn zu warnen, denn einem Andern kann sie das nicht anvertrauen. Leuchtet Dir das nicht ein?«

»Hm!« machte sie nachdenklich.

»Du dürftest ihr das allerdings nicht zu früh sagen, damit es ihr nicht wirklich gelingt, ihn zu warnen. Nun, willst Du?«

»Wenn Du es wünschest! Ich möchte gar zu gern mit dabei sein!«

»Na also! Sie wird natürlich schleunigst nach dem ›Mecklenburger‹ fahren. Der Wirth ist ein guter Bekannter von mir; ihn ziehe ich natürlich mit in das Vertrauen, und so wird dafür gesorgt werden, daß Fräulein von Liebau erst dann auftreten kann, wenn es für uns am Besten ist. Sage: Ja, Anna!«

»Meinetwegen! Wie viel Uhr soll ich ihr meine Mittheilung machen?«

»Sie wird sehr schnell fahren, und vor 1 Uhr nach Mitternacht giebt der Prinz sein Zeichen sicherlich nicht. Um 8 Uhr kannst Du reden. Du mußt so thun, als ob ich soeben erst bei Dir gewesen sei. Bleibt es dabei?«

»Ja.«

»Gut! So werde ich mich jetzt aufmachen. Ich muß nach Lenzen.«

»Du ärmster Teufel Du, was Du Dich jetzt gar so sehr abzumühen hast!«

»Recht hast Du! Ich habe hin und her zu hetzen, daß mir die Rippen knacken möchten, aber ich thue es sehr gern. Lebe wohl! Auf Wiedersehen morgen Abend!«


In dem Walde, der sich damals zwischen Lüchow und Dannenberg an dem linken Ufer der Jeetze hinzog, lag ein alter Krug, dessen Besitzer als Wirth nicht eben große Reichthümer sammeln konnte, da der Verkehr gerade hier ein sehr geringer war. Heute aber hatte der Mann sein freundlichstes Gesicht aufgesteckt, denn obgleich es noch nicht hoch am Nachmittage war, hatte er doch wohl schon über zwanzig Gäste gezählt, die Einer nach dem Andern bei ihm vorgesprochen waren. Und was für Gäste waren das gewesen! Junge, rüstige, hungrige Kerls, von denen ein Jeder Etwas gegessen und tüchtig dazu getrunken hatte. Soeben sah er wieder Einen auf sein Haus zukommen. »Siehst Du's, Alte?« frug er seine Frau, die am Fenster saß.

»Ja. Heute geht es, wie auf der Extrapost. Aber pfui Teufel hat der Kerl ein Gesicht! Etwas Gescheidtes ist das nicht. Höchstens für einen Dreier Dünnbier wird er verlangen.«

»Wart's ab! Es ist heute ein Glückstag für uns!«

Der Gast trat ein. Es war der Pflasterhändler.

»Gott zum Gruß! Giebt es hier ein gutes Bier?«

»Das will ich meinen!«

»Und was zu essen?«

»Ja. Schinken, Wurst, Käse!«

»Schinken, aber eine tüchtige Portion!«

Der Wirth warf seiner »Alten« einen Blick zu, der jedenfalls sagen sollte: Siehst Du, Alte, wie Recht ich hatte! In kurzer Zeit stand das Verlangte vor dem Gaste. Dieser hatte kaum mit dem Essen begonnen, als sich draußen das Knarren eines Wagens vernehmen ließ. Die Pferde wurden angehalten; ein Mann stieg aus, kam herein und sah sich in der Stube um. Es war der Wustrower Polizist.

»Ist dies der einzige Gast?« frug er den Wirth.

»Ja. Warum?«

»Ich habe einen Gefangenen abzuliefern. In der Stadt durften wir nicht einkehren, und so haben wir gewartet bis hierher. Aber sicher muß man sein. Der Kerl ist gefährlich, und man darf ihm keine Gelegenheit bieten, auszukratzen.«

Er ging wieder hinaus und brachte bald sämmtliche Insassen des Wagens herein. Leopold war an den Händen gefesselt und trug noch immer seine mit Teig überzogene Kleidung. Es war ein fürchterliches Gesicht, was er machte.

»Da, setze Er sich nieder!« gebot ihm der Polizist.

Der Pflasterhändler erhob sich und machte ein Geste, als ob er vor Erstaunen ganz weg sei.

»Himmelbataillon!« rief er. »Wer ist denn das?«

»Kennt Er ihn?« frug der Polizist.

»Freilich! Das ist ja der Bäckergeselle, dem ich hier bei dem Peters die schöne Wette abgewonnen habe!«

[267] »Ja,« meinte der junge Peters. »Er kann lachen, daß Er Sein Geld hat. Das andere ist futsch.«

»Wer ist denn dieser Mann? Kann man ihm trauen?« forschte der Polizist.

»Vollständig!« antwortete der riesige Schmiedegeselle. »Er wohnt bei uns und handelt mit Allerlei hier in der Gegend.«

»Eine Wette hat Er dem Gefangenen abgewonnen?«

»Ja.«

»Wie viel?«

»Es fehlte wenig an fünfzehn Thalern.«

»Ah, da muß Er mit!«

»Wohin, warum?«

»Als Zeuge, wie dieser Kerl das Geld verschwendet hat, nach Dannenberg. In einem solchen kriminirlichen Prozesse kann Unsereiner nicht umsichtig genug sein!«

Nichts kam Goldschmidt erwünschter als dieses Ansinnen. Er hatte seine Leute bereits versammelt gefunden und gehörig instruirt. »Bekomme ich den Weg bezahlt?« frug er.

»Weiß es nicht. Aber Er muß mit!«

»Na, meinetwegen. Ich wollte so wie so morgen nach Dannenberg.« Er wandte sich an den Dessauer: »Also Dummheiten hat Er gemacht! Soll ich Ihm etwa wieder weissagen, he?«

»Schweige Er, Hundsfott, sonst trete ich Ihn auseinander!« herrschte ihm der Gefragte mit Donnerstimme zu.

»Sei Er still!« warnte ihn auch der Polizist. »Es hat Keiner mit dem Gefangenen zu reden; so verlangt es das hochlöbliche Injurium!«

Es wurde sehr wortkarg gegessen und getrunken, und als die Zeche bezahlt war, stieg man in den Wagen, der mit einer großen Plahe bedeckt war, so daß man nicht in das Innere sehen konnte.

»Es ist nur der Platz neben dem Inculpatienten noch leer,« sagte der Polizist zu dem Händler. »Hat Er den Muth, sich hinzusetzen?«

»Warum nicht? – Ihr seid ja Alle da!«

Der Pflasterhändler nahm den angewiesenen Platz ein, und der Wagen mit seinen Insassen setzte sich in Bewegung.

[268]

[281] In langsamem Schritte fuhr der Wagen mit dem gefangenen Fürsten, dem Pflasterhändler, dem Polizisten und den fünf handfesten Transporteurs auf der holprigen Straße durch den Wald. Man war bereits eine halbe Stunde gefahren, als der Händler den Finger in den Mund steckte und einen lauten, schrillen Pfiff ausstieß. Der Schmiedegeselle, der die Zügel führte, hielt unwillkürlich an und wandte sich um.

»Was soll das?« frug der Polizist.

Der Händler griff mit beiden Händen in die Seitentaschen seines Rockes. Im Nu hatte er mit einem gedankenschnell hervorgezogenen Messer den Strick an den Händen des Dessauers zerschnitten und ihm zwei geladene Pistolen zugeschoben. Dann langte er auch für sich zwei solche aus seinem bereit gelegten Sacke. »Das soll heißen, daß nun Ihr gefangen seid!« antwortete er.

»Kerl, ich steche Ihm sogleich den – – –«

Der Polizist sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblicke wurde die Wagenplahe fortgerissen, und man sah den Wagen von zwanzig Männern umringt, von denen ein Jeder ein Messer und eine Pistole in den Händen hielt.

»Hurrah!« rief der Dessauer. »Dem Herrgott sei getrommelt und gepfiffen. – Ich bin frei!«

Mit einem einzigen, kühnen Satze sprang er aus dem Wagen. Die Überraschung war eine so große, und die verkleideten Musketiere warfen sich mit solcher Schnelligkeit und Kraft auf die Insassen des Wagens, daß diese trotz ihrer Stärke in Zeit von zwei Minuten überwältigt und gebunden waren. Nun verließ auch der Pflasterhändler den Wagen die Plahe wurde wieder aufgezogen, und da die Gefangenen auf dem Boden des Wagens lagen, so blieben sie für jeden Vorübergehenden unsichtbar.

Der Fürst sah sich die Gesichter seiner Retter an.

»Korporal Schröter, Er Himmelhund, Ihn kenne ich. Wem habe ich Das zu verdanken, he?«

»Dem da, Durchlaucht!« Er deutete auf Goldschmidt.

»Ihm?! Ihm, Hundsfott, Ihm?«

»Ja,« antwortete der Gefragte bescheiden.

»Aber wer ist Er denn?«

»Ein Pflasterhändler, wie ich Ew. Durchlaucht ja bereits schon einmal sagte.«

»Schnickschnack! Ein Pflasterhändler hat kein solches Herz wie Er!«

»Warum nicht? Aber wollen Ew. Excellenz nicht diesen Anzug ablegen?«

»Den? Schofel genug sieht er aus. Aber ich kann doch nicht mit nacktem Leder in der Welt herumlaufen.«

»Ich habe einen Anzug mit.«

»Einen Anzug? Sapperment, so handelt es sich wohl gar um einen vorher überlegten Plan?«

»Allerdings. Hier sind die Kleider.«

Der Fürst griff zu. »Heilige Pomade, das ist ja mein richtiger Anzug! Von wem hat Er ihn?«

»Von dem Feldwebel Goldschmidt.«

»Weiß Der um die Sache?«

»Ja.«

»Na, da brauche ich mich nicht zu wundern! Wartet hier. Ich werde da zwischen die Bäume treten und den Hefenkloß mit einem andern Gottfried vertauschen.«

Der Fürst trat hinter die Bäume. Nach einer schicklichen Zeit folgte ihm der Händler. »Verzeihung, Durchlaucht, daß ich herzutrete, aber ich habe Mehreres zu sagen, was sonst Niemand noch zu wissen braucht.«

»Na, blase Er los!« meinte Leopold, indem er mit den Armen in die Weste fuhr und dann die Halsbinde umlegte.

»Excellenz wollten die drei Hillmänner und die zwei Peters fangen. Das ist geschehen. Wir haben sogar noch Einen mehr, nämlich den Polizisten.«

»Ja. Dieser Coujon kommt mir nicht wieder frei! Aber sage Er mir beim Teufel, wer Er ist!«

»Das hat noch Zeit. Jetzt sind andere Dinge nothwendiger. Wollen Ew. Durchlaucht noch einen Fang thun?«

»Her damit! Ich habe heute gerade meine Rage! Wen meint Er?«

»Den Oberlieutenant von Hartegg.«

»Den? Wo soll ich Den kriegen?«

»Ferner den Prinzen Friedrich Ludewig von Hannover.«

»Friedrich Lud – – – Himmel, Heiland, Schwert und Wolken! Wenn ich Den bekommen könnte, gleich zehntausend Thaler gäbe ich! Aber auf preußischem Gebiete müßte das sein; anders nicht.«

»Das ist es auch! Also den Prinzen, den Hartegg und noch vierzig hannöversche Soldaten dazu.«

»Ist Er bei Troste!«

»Sehr!«

»Na, es passirt in der Welt viel, was man für rein unmöglich hält, aber wie ich zu einem solchen Fange kommen soll, das möchte ich denn doch erst hören.«

»Wenn Ew. Durchlaucht mich bis heute nach Mitternacht [281] nicht mehr fragen will, wer ich bin, so werde ich es erklären.«

»Potz Tausend, ist Er ein Geheimnißkrämer. Na, sei Er, wer Er sei; ein Freund ist Er; das hat Er mir ja jetzt bewiesen. Ich werde nicht fragen. Und nun rede Er!«

»Heute ist in Lenzen Jahrmarkt – – –«

»Das weiß ich!«

»Da giebt es im Gasthofe ›zum Mecklenburger‹ Tanz –«

»Das versteht sich!«

»Der Hartegg logirt dort.«

»Der Schlingel!«

»Er kann nicht dafür, Durchlaucht. Der Prinz kommt von Lüchow herüber zum Tanze, natürlich verkleidet.«

»In Lüchow ist er?«

»Ja. Auf dem Schlosse.«

»Mache Er mir keine Flausen vor!«

»Er ist bereits mit dem Hartegg in Dessau gewesen, um Excellenz in der Kirche zu sehen.«

»Was! Hätte ich Das gewußt, so hätte ich ihm den Klingelbeutel um den Kopf geschlagen, daß ihm angst und bange geworden wäre!«

»Dann ist er nach Lüchow gegangen, um dem Hartegg die Liebau abspenstig zu machen und mit ihr zu schameriren.«

»Kerl, Er ist ja allwissend!«

»Die hat ihn aber schön abfliegen lassen.«

»Freut mich!«

»Nun will er sich an ihr und Hartegg rächen, indem er den Oberlieutenant zwingt, in Lenzen Dummheiten zu machen.«

»Was für welche?«

»Es sind von Dannenberg vierzig Grenadiere herübergekommen, natürlich in verschiedener Bekleidung, aber wohl bewaffnet. Die tanzen mit im ›Mecklenburger‹ und auf ein Zeichen des Prinzen sollen sie über die anwesenden Bursche herfallen, um sie fortzuführen.«

»Alle Wetter! O, Denen will ich aber heimleuchten! Mensch, wenn das wahr ist, so werde ich es Ihm fürstlich lohnen, und wenn Er meinetwegen der Teufel oder Methusalem oder der ewige Jude ist! Wo ist der Goldschmidt?«

»In Lenzen.«

»Schön, schön! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Fort von hier!«

»Ich denke, Ew. Durchlaucht können die Gefangenen hier dem Korporal Schröter anvertrauen. Er ist ein braver und zuverlässiger Mann.«

»Meint Er? Na, meinetwegen! Aber wie ist Er zu diesen Musketieren gekommen; Er Teufelskerl Er?«

»Ich habe sie mir aus Wittenberge geholt.«

»So hat also Er den Plan zu meiner Befreiung entworfen?«

»Ja.«

»Und Er hat vom Hauptmann von Zörner die zwanzig Kerls sofort auf Seinen Wunsch erhalten?«

»Sofort.«

»Das wird ja immer geheimnißvoller! Da ist Er jedenfalls kein Gevatter Schuster oder Nadelmacher!«

»Möglich!«

»Na, meinetwegen! Jetzt haben wir keine Zeit. Will Er gleich mit mir nach Lenzen?«

»Wenn Excellenz gestatten!«

»Ja, komme Er mit! Ich bin ganz und gar überrascht und überrumpelt worden, und da soll Er mir unterwegs erzählen. Den Leuten hier werde ich meine Befehle ertheilen. Wir haben nun fünfzig Mann; Zwanzig hier und Dreißig in Lenzen. Damit sind wir dem Prinzen mit seinen Grenadieren mehr als gewachsen!«


Im Gasthofe »zum Mecklenburger« ging es heute Abend nun allerdings sehr lebhaft und lustig her. Der mächtig große Saal faßte viele Menschen, und so waren sie denn auch gekommen, die Jungburschen und Dirnen aus der Stadt und ihrer nächsten Umgebung, aus Garz und Mödlich, aus Lanz und Verwitz, aus Melleu und Deibow, vielleicht noch weiter her. Auch viele Fremde waren da, kernige, gewandte Gestalten, flotte und ausdauernde Tänzer, die man hier noch niemals gesehen hatte, und auf welche die hiesigen Bursche beinahe eifersüchtig werden wollten, denn sie nahmen immer die schönsten Mädels und die leichtfüßigsten Tänzerinnen für sich hinweg.

In einer Ecke des Saales standen zwei junge Männer neben einander. Sie tanzten nicht; sie beobachteten blos.

»Hat Er alle Vorkehrungen getroffen, Hartegg?« frug der Jüngere.

»Ja.«

»Liegen die Kähne bereit?«

»Alle.«

»Die Gewehre scharf geladen?«

»Wie es Ew. Hoheit befohlen haben. Allerdings hätte ich gewünscht – – –«

»Still! Was Er wünscht, das geht mich nichts an! –A propos, weiß Er, daß ich mich in Lüchow köstlich unterhalten habe?«

»Möglich! Mit dem Verwalter Hartig jedenfalls.«

»Pah! Mit Seiner Liebau! Donnerwetter, die hat Race! Und prüde oder hart ist sie auch nicht; das muß man sagen. Aber, wer mag denn der Kerl sein, der dort am Schänktische steht?«

Hartegg's Augen folgten der angegebenen Richtung. »Kenne ihn nicht. Jedenfalls ein Handelsmann, der auf dem Markte feilgehalten hat. Der Mensch muß einen fürchterlichen Schmiß erhalten haben!«

»Den nehmen wir nicht, so viel steht fest. Er hat beinahe ebenso ein Maulschellengesicht wie der lange Gimpel, der dort am Pfeiler steht. Sehe Er nur diese Nase, die er hat. Ein wahrhaftiger Papagey! Diese Beiden lassen wir sicher ungeschoren, denn so eine Physiognomie kann ein ganzes Regiment zum Spott und Gelächter machen.«

»Wollen wir nicht beginnen, Hoheit? Es wird gleich 1 Uhr sein!«

»Warte Er noch fünf Minuten. Ich muß erst mit den Musikanten reden. Denen mache ich Etwas weiß, um uns die Sache zu erleichtern.«

[282] Der, welchen der Prinz einen Gimpel genannt hatte, schlenderte jetzt langsam und gemächlich nach dem Schänktische hin, wo er neben dem »Maulschellengesicht« stehen blieb.

»Fertig?« frug er.

»Ja,« antwortete der Andere.

»Wo?«

»In einer Stube draußen im Gange. Ich darf nur das Zeichen geben.«

»Aber die Liebau?«

»Ist soeben gekommen.«

»Ah! Die Grunert mit?«

»Auch. Der Wirth hat sie in unserer Stube eingeschlossen.«

»Donner und Wetter, das wird amüsant! Nachher aber sagt Er mir auch, wer Er ist!«

»Gewiß!«

»Der Goldschmidt fehlt noch immer?«

»Noch immer.«

»Den lasse ich Spießruthen laufen! Wenn nur die Kerls endlich einmal anfangen wollten! Mir ist die falsche Nase ganz durchschwitzt. Wenn sie mir herunterfällt, stehe ich für nichts. Ah, er redet mit den Musikanten! Es ist doch Alles in Gewehr und Uniform?«

»Parademäßig.«

»Er ist weiß Gott ein Teufelskerl! Wie bringt Er das nur so schnell fertig!«

In diesem Augenblicke stieß der Trompeter des Musikcorps eine Fanfare aus, bekanntlich der Ruf zur Aufmerksamkeit auf Tanzböden. Dann erklärte er der lauschenden Menge, daß Jemand vorhanden sei, der den Versammelten eine große Überraschung bereiten wolle. Zu diesem Zwecke möchten sich aber doch die Mädchen links und die Bursche rechts aufstellen.

Dieser Aufforderung wurde lachend und bereitwilligst Folge geleistet. Kaum aber war die Ordnung gebildet und Ruhe eingetreten, so stellte sich der Prinz in eigener Person in die Mitte des Saales.

»Paßt auf, Ihr Bursche!« rief er gebieterisch. »Seine Majestät der König von England braucht Soldaten. Ich werde hier auswählen. Wer sich dagegen muckst, Den schießen wir nieder!«

Er hatte plötzlich zwei Pistolen in den Händen, und zu ihm traten jene fremden Tänzer, jetzt mit derselben Waffe bewehrt. Es erhob sich ein fürchterlicher Tumult, den aber eine laute, donnerähnliche Baßstimme durchdrang: »Thüre auf! – Vorwärts marsch! – Halt! – Rrrrechts um! –Legt an.« – Drei Mann breit kamen die Preußen hereinmarschirt. Keiner hatte ein Stäubchen auf der Montour. Alles war sauber und exact wie bei einer Revision. Ehe die vollständig verdutzten Hannoveraner sich die Möglichkeit einer solchen Überraschung erklärt hatten, sahen sie die Läufe von fünfzig geladenen Gewehren auf sich gerichtet.

Der, welcher kommandirt hatte, trat auf den Prinzen zu und zog seine Nase vom Gesichte. Dann schob er sich das hereinhängende Haar aus der Stirn und öffnete den Rock, unter welchem mehrere hohe Orden hervorschimmerten.

»Ich bin der Leopold von Dessau; versteht Er mich? Er wird mich kennen, denn Er ist ja eigens herübergekommen, um sich in der Dessauer Kirche meine Fratze zu begucken. Wenn Sein König von England Rekruten braucht, so mag er sich einige Hundert Lüneburger Haideschnucken einexercieren lassen; die haben lange Schwänze und können damit ohne Pulver schießen. Zu uns aber komme er ja nicht, sonst kriegt er das Laxiren. Wenn Er Seinen Himmelhunden nicht sofort befiehlt, ihre Schlüsselbüchsen einzustecken, so nenne ich allen diesen Leuten Seinen Namen und lasse auf Ihn und die Seinigen Feuer geben. Ich werde Euch Hallunken lehren im tiefsten Frieden mit bewaffneter Hand hereinzubrechen, um diesen wackern Mädels ihre Tänzer wegzunehmen! Na, was steht Er da und glotzt mich an? Entscheide Er sich!«

Der Angeredete stand in tiefster Verlegenheit vor der Heldengestalt des in so vielen Schlachten erprobten Haudegens.

»Durch–laucht!« stotterte er.

»Na? – Ewig warte ich nicht!«

Da trat Hartegg herzu. Sein Gebieter hatte ihm das Kommando weggenommen; darum war er in der Ecke stehen geblieben. Sein militairischer Blick sagte ihm, daß keine Rettung möglich sei, und zugleich fühlte er, daß die Röthe einer tiefen Scham sein ganzes Gesicht überglühte. Es war für ihn der Augenblick gekommen, wo er handeln konnte. Er war in Civil, dennoch aber stellte er sich wie im strengsten Dienste aufrecht vor den Dessauer hin.

»Durchlaucht, Excellenz, glauben Sie, daß ich es bin, der diese Situation verschuldet hat?«

»Nein. Er ist kein solcher Esel!«

»So lassen Durchlaucht es nicht mir und meinen Leuten entgelten! Es sind wackere, ehrliche Bursche, die ebenso gehorchen mußten wie ich!«

»Höre Er, das ist ein rechtes Wort zur rechten Zeit. Hier hat Er meine Hand, und kommandiere Er Hahn in Ruh!«

Hartegg winkte, und seine Leute steckten die Pistolen ein.

»Durchlaucht, ich erkläre mich mit sammt diesen vierzig Mann für gefangen!«

»Schön! Und Dieser hier?«

»Er geht mich jetzt nichts mehr an!«

»Na, ist Er endlich einmal gescheidt geworden! Lasse Er Seine Leute antreten. Sie mögen mit den Meinigen abmarschiren, und ich verspreche Ihm, daß ich bestens für sie sorgen werde.«

»Wo geht es hin?«

»Zunächst in die Stube da hinüber, wo sie ihre Waffen abzuliefern haben. Das Weitere werde ich später mit Ihm besprechen.«

Da ermannte sich Prinz Friedrich Ludwig.

»Excellenz, ich protestire!«

»Das erlaube ich Ihm gern! Überlege Er es sich nur, wie Er das anfangen will! Hartegg, mache Er los!«

Der Lieutenant ließ seine Leute »Reih und Glied« bilden; die Preußen nahmen sie zwischen sich und marschirten ab. Als der letzte Mann verschwunden und die schwere Gefahr also sicher beseitigt war, erhob sich ein stürmischer Jubel.

[283] Der Fürst wehrte mit beiden Händen ab. »Rrrrruhe!« kommandirte er mit dröhnender Stimme, der nichts widerstehen konnte. »Hört, Kinder, heute stand Euch einmal das Messer an der Kehle, aber der Herrgott hat es nicht geschehen lassen. Seid ihm dafür dankbar, indem Ihr Euch recht lustig macht. Ich werde fünf Faß ›alten Klaus‹ für Euch bezahlen. Aber besauft Euch nicht, Ihr Schwerenöther, sonst reite ich Euch auf's Leder und lasse Euch fuchteln, daß die Haut zerplatzt. Jetzt vorwärts marsch! Wir haben noch mehr zu thun!«

Leopold nahm Friedrich Ludwig beim Arme; Hartegg und der Pflasterhändler folgten.

»Hurrah! Hoch der alte Dessauer! Vivat hoch!« jauchzte es aus allen Kehlen männlichen und weiblichen Geschlechtes hinter ihnen her.

Die vier Männer überschritten den Vorplatz, und der Händler öffnete eine Thüre.

»Hier hinein!« gebot der Dessauer, indem er seinen Gefangenen vor sich herschob.

Das Licht mehrerer Kerzen erleuchtete den Raum, in welchem zwei Frauen standen: Auguste von Liebau und Anna Grunert.

»Auguste!« rief Hartegg überrascht.

»Ernst!« sprach sie. »Ich kam, Dich zu warnen!«

»Ist nicht mehr nöthig!« brummte der Dessauer. »Der Matsch ist nun vorbei. Setzt Euch Alle! Ich will hier einmal Gericht halten!«

Der Fürst wandte sich zunächst an Auguste. »Höre Sie, was macht Sie mir denn für Faxen!«

»Durchlaucht, ich bin mir nicht bewußt, irgend – –«

»Papperlapapp! Sie ist eine Preußin und will partout da diesen Ausländer zum Manne haben! Hat Sie denn gar so viele heimliche Fehler und Gebrechen an sich, daß Sie nur noch in der Fremde zu Ehren kommen kann? Mit Ihrem Vater habe ich auch ein Wort zu reden! Aber sehe Sie sich einmal diesen Schlingel an, der sich für einen Pflasterhändler ausgiebt. Der hat ein gutes Wort für Sie eingelegt, und weil ich selber glaube, daß Ihr da einmal Ihr junges Herz einen Streich gespielt hat, so mag Sie den Hartegg heirathen. Will Sie ihn noch haben?«

»Durchlaucht – – –«

»Schon gut! Aber ich mache eine Bedingung!«

»Sagen Ew. Excellenz, welche Bedingung das ist!« bat Hartegg.

»Er tritt als Offizier in mein Halle'sches Regiment!«

»Ich habe in letzter Zeit einsehen müssen, daß dies ein großes Glück und eine ebenso große Ehre für mich sein würde, aber es ist mir angedroht worden, daß ich den Abschied nicht erhalte.«

Da wandte sich der Fürst an den Prinzen: »Ist das wahr, Hoheit?«

»Ich kann es nicht bezweifeln!«

»Donnerwetter, so bezweifle ich es! Ich will Euch einmal Etwas sagen, und davon beißt keine Maus und kein Elephant ein Stück herunter. Ihr seid ein noch junges Blut und habt als solches unüberlegt gehandelt. Hättet Ihr dem Hartegg gefolgt, so stecktet Ihr jetzt nicht bis über den Hals im Syrup. Wir werden ein Dokument abfassen, in welchem Ihr auf Euer Ehrenwort erklärt, dem Hartegg noch im Laufe dieser Woche einen ehrenvollen Abschied zu ertheilen und ihm in Beziehung auf seine jenseitigen Güter und Connexionen nicht das Geringste in den Weg zu legen. Thut Ihr das, so seid Ihr entlassen, und der Hartegg behält das Dokument zum etwa nöthigen Gebrauch in seiner Hand. Weigert Ihr Euch aber, so kenne ich Euch nicht und behandle Euch als einen Menschen, der mit bewaffneter Hand hier eingebrochen ist, um Menschen zu rauben. Ich werde dies dem Kaiser und dem Reiche verkünden, und dann mag Er sehen, was d'raus wird! Entschließe Er sich kurz. Ich habe keine Zeit!«

»Ich kann mich unmöglich bestimmen lassen durch irgend einen – – –«

»Still! Ja oder Nein will ich hören, weiter nichts. Nun!«

»Man kann doch unmöglich in dieser – – –«

»Gut, gut! Schaffe Er ihn hinüber zu den Andern!«

Der Händler, welchem dieser Befehl galt, faßte den Prinzen Friedrich Ludwig am Arme. Dieser erkannte nun, daß er sich fügen müsse.

»Nun wohl. Ich weiche der Gewalt und werde unterschreiben!«

»Na, der Gewaltthätige muß sich eben auch wieder Gewalt gefallen lassen! Also abgemacht, Hartegg?«

»Abgemacht, Durchlaucht!«

»Mit einem Paare bin ich also fertig. Nun zu Ihr, Sie kleine Hexe mit dem Ohrfeigenhändchen. Wo hat Sie denn Ihren Goldschmidt?«

»Soll ich ihn heirathen, Durchlaucht?«

»Na, ich denke, Sie will ihn!«

»Freilich! Aber wo ist er denn?«

»Der Kerl ist spurlos verschwunden. Dieser Hallunke hat nach Wittenberge gehen wollen und kommt nicht wieder. Es muß da eine sehr wichtige Abhaltung gegeben haben, da er gerade heute fehlt.«

»Durchlaucht, ich habe keine Lust, auf einen Mann zu warten, welcher mir und seinem Kriegsherrn davonläuft!«

»Wa–wa–was?«

»Ich werde einen Andern heirathen?«

»Bombenelement, bei Ihr ist's wohl nicht mehr geheuer? Sie springt ja ab wie Fensterglas! Wen will Sie denn an seiner Stelle nehmen?«

»Den da!«

»Den? Den Pflasterkasten. Sehe Sie sich nur einmal sein Gesicht an!«

»O, das macht mir nicht bange. Ich weiß es zu behandeln!«

»Wie so denn, he?«

»So!«

Anna zog dem Händler die entstellende Perrücke vom Kopfe und löste ihm den Bart behutsam vom Gesichte.

»So, Durchlaucht! Diese Beule und der Vogelleim sind leicht abzuwaschen.«

[284] Fürst Leopold sperrte den Mund auf und stemmte beide Fäuste in die Seiten.

»Goldschmidt! Feldwebel! Er ist's? Er hat mich für den Narren gehalten, Er Millionenhund und Hanswurst Er? Das ist mir doch zu toll! Das macht mich bankerott an mir selber! Nun kann ich meinen eigenen Augen nicht mehr trauen. Klext sich der Racker eine Beule auf die Nase, klebt sich einen Borstenwisch um's Gesicht und pflanzt sich diese Atzel auf den Kopf, um mich an der Nase herumzuführen! Was thue ich denn nur mit Ihm Chamäleon, he? Nun allerdings geht mir ein Seifensieder auf! Nun begreife ich Alles, wie es gekommen ist! Nun glaube ich auch an Seine Weissagerei, mit der Er mich um vierzehn Thaler zwanzig Silbergroschen und neun Pfennige geprellt hat, Er Spitzbube ewiger!«

»Durchlaucht, ich brauchte das Geld! Ew. Excellenz glauben gar nicht, wie ich habe laufen, rennen und jagen müssen, um das Alles fertig zu bringen. Dabei werden die paar Groschens Löhnung alle und – – –«

»Schon gut; ich raisonnire ja auch gar nicht! Ich weiß, daß Er schier über Sein Vermögen gethan hat, und das soll Ihm auch vergolten werden. Aber sage Er mir, ob Er dieses Weibsbild noch haben will!«

»Na, und ob!«

»Das geht aber nicht so leicht! Sie hat mir einen Kuß versprochen, wenn ich Ja sage!«

»Donnerwetter, Durchlaucht, das ist freilich schlimm!«

»Warum denn, he?«

»Der Schmatz, der ist doch nicht meine, sondern ihre Sache. Wenn sie ihn nicht geben will, Sapperment, so werden Ew. Excellenz ihn doch nicht etwa von mir verlangen!«

»Na, Er wäre mir der Kerl darnach mit Seinem Weiermüller-Universalpflaster-Gesicht, das grad aussieht wie ein umgestülptes Rattennest! Rede Er einmal ein Wort mit ihr! Wenn ich den Schmatz kriege, so bekommt sie Ihn, sonst aber nicht!«

»Du, Anna, wie meinst Du denn?«

»Ich habe es Durchlaucht schon gesagt: Drei für Einen!«

»Schön! Ich halte Sie beim Worte. Den Ersten nehme ich mir jetzt, den Zweiten bei der Hochzeit und den Dritten, wenn ich bei Euerm ersten Bengel Pathe stehe. Abgemacht!«

Der Fürst nahm die Anna Grunert beim Kopfe und gab der Hocherröthenden die erste von den drei stipulirten Raten.

»So, heute geht es wenigstens ohne eine Backpfeife ab, Sie Xantippe oder Brigitte, oder wie das Weibsen damals geheißen hat, als sie dem Weisen aus dem Morgenlande das Wasser auf den Kopf goß! Und damit mir unter Euch Vieren nicht etwa gar eine Verwechslung vorkommt, will ich es einer Jeden noch einmal einschärfen, an wen sie sich zu halten hat: Sie, Auguste von Liebau, bekommt den Herrn Hauptmann Ernst von Hartegg, und Sie, Anna Grunert, erhält den Seconde-Lieutenant Wilhelm Goldschmidt. Und damit Ihr das nicht vergeßt, werde ich schon baldigst für die schriftliche Zufertigung sorgen!«

»Durchlaucht!« riefen acht Lippen zu gleicher Zeit.

»Na, so schreit mich nur nicht über den Haufen! Jedem Das, was er verdient! Und damit Er es weiß, Goldschmidt, es wird sich wohl Einer finden, der Sorge trägt für Seine Equipirung und für die Ausstattung Seiner Braut. Punktum, Pasta, Sela!« – – –

[285]

[Fußnoten]

1 [Heft Nr. 4 fehlt, A.d.H.]

2 [Heft Nr. 12 fehlt, A.d.H.]

3 Geld.

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TextGrid Repository (2012). May, Karl. Einzelne Erzählungen. Ein Fürst-Marschall als Bäcker. Ein Fürst-Marschall als Bäcker. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3210-7