58. Der Drachentödter.

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne, die ließ er alle auf gleiche Weise kleiden, und gab jedem ein Schwert und viel Geld und sagte: nun sollten sie auf Reisen ihr Glück versuchen und in der Welt sich umsehen. Ja, dazu waren auch die drei Brüder sogleich bereit und zogen mit einander fort in die weite Welt hinaus. – Wie sie nun schon ein gutes Stück gewandert waren, beschloßen sie, sich zu trennen, und steckten ihre Schwerter zusammen in eine Tanne; wenn dann Einer von uns zurückkommt, so kann er gleich sehen, ob wir noch alle am Leben sind, sagten sie; hat das Schwert Einen Rostflecken, so ist Einer von uns todt; hat es zwei, so sind zwei von uns todt; hat es aber drei, so sind wir alle mit einander todt. Dann gieng der eine zur Rechten, der andre zur Linken; der jüngste aber gieng grad aus und kam bald in einen großen großen Wald.

Wie er nun so allein seinen Weg dahingieng und eben an nichts dachte, kam ihm mit einem Male ein Bär entgegen. Da griff er flink nach seiner Flinte und legte an [204] und wollte ihn todt schießen; der Bär aber rief: »tödte mich nicht, es wird dein Glück sein!« Da ließ er ihn leben, und dann kam der Bär ganz freundlich heran und war zahm und begleitete ihn durch den Wald. – Als er eine Strecke weiter gegangen war, kam plötzlich ein großer Wolf dahergesprungen, so daß er erschrack und gleich seine Flinte anlegte und ihm eine Kugel auf den Pelz schicken wollte. Der Wolf aber rief schnell: »tödte mich nicht, es wird dein Glück sein!« Da ließ er ihn auch leben und nun zog der Wolf mit dem Bären hinter ihm her. – Als er abermals eine Strecke weiter gegangen war, spazirte ein Löwe daher; den wollte er auch erst todt schießen; weil aber der Löwe sagte: »tödte mich nicht, es wird dein Glück sein!« so schenkte er ihm gern das Leben, und nun zog auch der Löwe mit dem Wolfe und dem Bären hinter ihm her und alle drei Thiere wichen nicht mehr von ihm.

Nachdem der Prinz nun eine lange Zeit mit seinen Begleitern immer grad aus durch den Wald fortgewandert war, ohne einen Menschen zu begegnen, kam er endlich an eine Stadt, in die gieng er vergnügt mit seinen Thieren hinein. Die Stadt aber hatte ein gar sonderbares Aussehen; alle Häuser waren mit schwarzem Flor behangen und die Menschen waren alle so still und so traurig, daß der Prinz nur alsbald fragen mußte, was denn der Stadt fehle, daß sie eine solche Trauer anstelle? Da erzählten ihm die Leute: »Auf dem Berge dort, wo die Kapelle steht, da hauset ein Drache, der hat sieben Köpfe, und dem muß man alle Tage einen Menschen und ein Schaaf zum Eßen bringen, sonst ist [205] Niemand vor ihm sicher. Nun hat er aus unserer Stadt schon so viele Menschen verzehrt, daß morgen die Reihe an die einzige Tochter des Königs kommt; deshalb ist die ganze Stadt in so tiefer Trauer.«

Da dachte der Prinz: »ei, wenn Du den Drachen erlegen könntest!« und nahm sich vor, daß er es mit seinen Thieren versuchen wollte, und begab sich am folgenden Tage zu der bestimmten Stunde auf den Berg nach der Kapelle, wo der Drache sich immer zeigen sollte! Er hatte ein gutes Schwert mitgenommen und seine Thiere begleiteten ihn. Wie er nun zu der Kapelle kam, gieng die Prinzessin eben hinein, um zu beten, und winkte ihm mit der Hand zu, daß er fortgehen möge. Er aber sprach: »Sei gutes Muthes, ich bin gekommen, Dich zu erretten und den Drachen zu tödten!« Darauf kniete die Jungfrau in der Kapelle nieder und betete; und alsbald kam der siebenköpfige Drache ganz wild angeschoßen und drang auf den Prinzen ein; während der nun sein Schwert zog, kämpften der Wolf und der Löwe mit dem Drachen und jeder riß und biß ihm drei Köpfe ab; den siebenten und letzten Kopf hieb ihm dann der Prinz mit seinem Schwerte ab, also, daß das Ungeheuer überwunden und todt war. – Da kam die Prinzessin aus der Kapelle und dankte ihrem Retter und nahm eine goldene Kette, die sie getragen und vertheilte sie unter die Thiere und hieng einem jeden ein Stück davon um den Hals. Dem Prinzen aber sagte sie: »Du hast mich erlöst, nun mußt Du auch König werden und mich heirathen.« Ja, das wollte der Prinz wohl gern; denn sie war so schön, wie [206] er noch nie eine Jungfrau gesehen hatte. »Aber erst muß ich noch reisen und in der Welt mich umsehen; über Jahr und Tag komme ich wieder und dann wollen wir Hochzeit halten!« sagte er. Darauf schnitt er noch aus den Drachenköpfen die sieben Zungen heraus, wickelte sie in ein Tuch und steckte das ein, dann nahm er Abschied von seiner Braut und zog mit seinen getreuen Thieren auf gut Glück in die weite Welt hinaus.

Sobald er fort war, nahm der Kutscher, welcher die Prinzessin zur Kapelle gefahren hatte und der sie jetzt auch wieder heimfahren sollte, die sieben Drachenköpfe in den Wagen und zwang unterwegs die Prinzessin durch Drohungen dazu, daß sie daheim sagen mußte, er habe den Drachen getödtet. Dem Drachentödter aber hatte der König schon lange seine einzige Tochter zur Gemahlin versprochen; deshalb wollte der Kutscher auch alsbald Hochzeit mit der Prinzessin halten; allein sie wußte bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande es dahin zu bringen, daß die Hochzeit aufgeschoben wurde. So trieb sie es ein ganzes Jahr lang; dann mußte sie nachgeben und that es auch williger, weil sie hoffte, daß der rechte Bräutigam sich jetzt wohl wieder einstellen werde.

Und richtig, nachdem der Prinz sein Geld verzehrt hatte und das Jahr bald um war, hatte er sich auf den Weg zu seiner Braut gemacht. Da kam er in die Stadt, als eben noch ein einziger Tag an dem Jahre fehlte. In der Stadt aber gieng's überall lustig und lebendig zu. Da fragte er den Wirth: »Was gibt's denn hier? vor etwa einem Jahre [207] war die ganze Stadt mit Trauerflor behangen; heute dagegen sehe ich überall fröhliche Gesichter und die ganze Stadt ist wie zu einem Feste geschmückt.« Da erzählte ihm der Wirth, daß morgen die Tochter des Königs Hochzeit habe mit dem Kutscher, der sie vor einem Jahr von dem Drachen erlöst habe. –

Am andern Tage nun gab der König ein großes Gastmahl. Wie der Prinz, der als Jäger gekleidet war, nun allein im Wirthshause saß, sagte er zu dem Wirthe: er solle ihm doch eine Flasche Wein holen, wie die Braut im Schloße ihn trinke. Ja das könne er nicht, meinte der Wirth. »Dann muß ich wohl meinen Wolf hinschicken,« sagte der Prinz und schickte ihn hin zu der Prinzessin: sein Herr laße um eine Flasche von dem Wein bitten, den sie selbst trinke. Da dauerte es nicht lange, da kam der Wolf auch richtig damit zurück, daß der Wirth sich nicht genug verwundern konnte. »Jetzt will ich auch von dem Braten haben, wie die Braut ihn ißt,« sprach der Prinz und schickte den Bären auf's Schloß; der brachte alsbald auch ein Stück von dem allerbesten und feinsten Braten. »Nun muß ich auch Brod haben, wie die Prinzessin es ißt!« sprach der Prinz und schickte den Löwen hin, der es auch nach kurzer Zeit ihm brachte. – Die Thiere nämlich hatten durch nichts sich abhalten laßen und waren bis in den Saal zu der Braut vorgedrungen; die hatte sie sogleich erkannt und ihnen alles gegeben, was sie für ihren Herrn forderten.

Da nahm endlich der König seine Tochter bei Seite und sprach: »was hast Du denn mit den wilden Thieren [208] vor?« Da erzählte und entdeckte sie ihm, daß der wahre Drachentödter jetzt da sei und daß sie den und keinen andern heirathen werde. Darauf schickte der König sogleich eine Ordonanz in's Wirthshaus und ließ den Herrn der wilden Thiere zur Tafel laden. Da kam er. Endlich, als alle recht vergnügt waren, sagte der König: jetzt solle auch ein jeder seine Lebensgeschichte erzählen, und da kam denn zuerst die Reihe an den Bräutigam, der den Drachen besiegt haben wollte; der hatte die sieben Köpfe auf einen Tisch hinstellen laßen und erzählte nun, wie er sie dem Drachen abgeschlagen habe. Als er fertig war, forderte der König den fremden Mann mit den wilden Thieren auf, daß er jetzt doch auch seinen Lebenslauf erzählen möge. Das that er denn auch gern und erzählte, wie er die treuen Thiere bekommen und wie sie ihm geholfen hatten, einen siebenköpfigen Drachen zu überwinden und eine Königstochter zu erlösen und wie er darauf noch ein Jahr lang in der Welt herumgezogen sei. Indem er alsdann die sieben Drachenköpfe betrachtete, sprach er weiter: »Jedes Thier hat sonst doch eine Zunge; aber die da werden keine haben.« Und als man nachsah, – nein, da hatten alle sieben Drachenköpfe keine Zungen. Darauf zog er die Wahrzeichen aus der Tasche, und die Zungen passten ganz zu den abgeschnittenen Enden im Rachen der Drachenköpfe, also, daß die Arglist des Kutschers an den Tag kam. Sodann fragte der Prinz noch die Prinzessin: ob sie die goldene Kette am Halse der Thiere wohl kenne? »O gewiß, sagte sie, die kenne ich sehr gut! ich selbst habe sie ja deinen Thieren umgehängt, [209] weil sie Dir so treu und tapfer bei der Erlegung des Drachen geholfen hatten.« Und nun war die Braut froh, daß der rechte Bräutigam da war; den hat sie dann geheirathet und er ist König geworden. Dem falschen aber wurde der Kopf abgeschlagen.

Was nun aus den beiden Brüdern des Prinzen geworden ist, ob sie heimgekehrt sind, oder noch in der Welt herumwandern, das hat mir Niemand sagen können. Wenn ich aber an den Tannenbaum komme, will ich doch nachsehen, ob sie noch am Leben sind, oder ob die Schwerter Rostflecken bekommen haben.

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TextGrid Repository (2012). Meier, Ernst. Märchen. Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. 58. Der Drachentödter. 58. Der Drachentödter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-334D-A