Die Seitenwunde

Über ihre Tore statt der Muse
Meißeln die Baglioni die Meduse
Und an ihren grausen Hochzeitsfesten
Kämpft der Bräutigam mit seinen Gästen.
Heute liegen wieder sie wie Garben:
Blutsgenossen, die, sich würgend, starben!
Wo des Bruderhasses Fackel brannte,
Sucht das Kind und findet's Atalante.
Niederstarrend, auf das Knie gesunken,
Hebt des Sohnes Haupt sie jammertrunken,
Drüber hebt sie die geballte Rechte,
Daß sie fluche diesem Mordgeschlechte...
Ihres Knaben Haupt, ein blondes ist es,
Wie das dorngekrönte Haupt des Christes!
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Wie des Christes Haupt ist's ein erbleichtes,
Auf die Schulter friedevoll geneigtes!
Ihrem Knaben steht die Seite offen,
Wo der Speer Longins den Herrn getroffen...
Haß und Fluch erlischt auf ihrem Munde,
Sie verehrt die heil'ge Seitenwunde...

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TextGrid Repository (2012). Meyer, Conrad Ferdinand. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1892). 8. Genie. Die Seitenwunde. Die Seitenwunde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3591-D