[102] Elegie im Kriege

Lieder sing ich, seit ich denke,
weil mein Herz empfindsam ist
und den Spender der Geschenke
im Genießen nicht vergißt.
Doch sie haben mich vergessen,
denen ich mein Lied beschert.
Niemand lebt auf Erden, dessen
Seele meines Sangs noch wert.
Heldentaten zu vollbringen
ist kein Lob in dieser Zeit:
Disziplin heißt sie vollbringen,
Angst gebiert die Tapferkeit.
Liebe, die das Herz beseligt,
zupft an keiner Leier mehr.
Haß ersetzt sie. Haß befehligt.
Haß ist Heil und Pflicht und Wehr.
Niemals kehrt die Freude wieder
und das Licht, das uns umgab.
Still versinken auch die Lieder
in der Menschheit Massengrab.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Mühsam, Erich. Lyrik und Prosa. Sammlung 1898-1928. Erster Teil: Verse. Krieg. Elegie im Kriege. Elegie im Kriege. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-45BF-E