225. Das versteinerte Brot.

Es lebten einmal zwei Schwestern, von denen die eine sehr reich, aber dabei hartherzig und boshaft war, die andere aber hatte viele Kinder, und nicht einen Bissen in ihren Mund zu stecken. An einem Sonntagmorgen nahm sie einen gelben messingenen Kessel, das einzige wertvollere Stück, das sie noch besaß, über den Arm, und ging zu der reichen Schwester mit der Bitte, ihr darauf ein Brot oder etwas Korn zu leihen. Aber die hartherzige Schwester wies sie ab und sagte, sie hätte nichts im Hause. Als die andere aber dringend bat, schwur sie sogar, wenn sie etwas hätte, solle ihr Brot gleich zu Stein werden. Weinend ging die Frau zu einem Manne, der so gutherzig war und ihr auf den Kessel einen Scheffel Weizen tat. Unterdes kam der reichen Schwester Mann aus der Kirche zurück und da ihn nach dem weiten Wege hungerte, bat er seine Frau, ihm noch vor Mittag ein Butterbrot zu geben. Als diese nun zum Schranke ging, war das Brot schwer wie Stein und das Messer glitt ab, so oft sie es ansetzte. Da mußte sie ihrem Manne gestehn, was geschehen sei und was sie gesagt habe. Und von der Zeit an kamen sie immer mehr zurück, und mußten endlich ihr Brot betteln. Aber der Armen verhalf Gott zu ihrem Auskommen, so daß sie ihre Kinder ernähren und redlich erziehen konnte.


Aus Puttgarden auf Fehmarn. – Wolf, Niederl. Sagen Nr. 158. 362. 363. Grimm, Deutsche Sagen Nr. 240. Kindermärchen II, S. 514 (5. Auflage).

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Zweites Buch. 225. Das versteinerte Brot. 225. Das versteinerte Brot. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-46DB-4