2.

Zwei kleine Bauernjungen spielten an einem Mittage im Felde. Während sie nun emsig nach bunten oder runden Steinen scharrten, öffnete sich eine Höhle. »Laat uns dar mal in krupen«, sagte der eine. »Nä, Jung«, antwortete der andre, »dar wahnen gewis Unnererschen.« »Denn will ik herin«, sagte der erste, ein beherzter Bube, »des Middags schlöppt dat Tüch.« Er warf sich auf die Erde und kroch auf allen vieren hinein; da schliefen richtig die Unnererschen, eine ganze kleine Familie, ringsherum an den Wänden. Alle lagen auf Matten. Dem Jungen ward aber unheimlich und er wollte sich schon wieder davon schleichen, als er auf einem runden Tischchen einen kleinen hübschen Becher gewahr ward, den er ergriff und mit fortnahm. Die Mutter freute sich, als er nach Hause kam, über das leicht erworbene Kleinod, aber der Vater verwies es dem Jungen und gebot ihm aufs ernstlichste den Becher wieder an Ort und Stelle zu bringen. Der Junge mußte sich also wieder auf die Beine machen. Unterdes hatte aber das kleine Volk den Verlust bemerkt und um ihre Höhle zu verbergen, alles wieder dem übrigen Boden so gleich gemacht, daß auch nicht eine Spur zu finden war. Weinend kam der Junge mit dem Becher wieder nach Hause. Da war da eben ein Kaufmann eingekehrt; denn sein Vater hielt ein Wirtshaus. Nachdem der den Becher betrachtet, sagte er: »Das Ding ist von dem feinsten Golde, ihr werdet doch nicht so närrisch sein und es dem Unzeug wiederbringen; was soll es unter der Erde!« »Na«, sagte der Wirt, »dat ward en schöne Geschichte warrn, wenn wi't beholen!« – Nun kam Abends ein junger Mann spät vom Felde und wollte ins Dorf; da umzingelten ihn die Unnererschen und sagten, er solle im Dorfe bekannt machen, daß wer ihnen den Becher genommen, ihn in künftiger Nacht an den Grenzpfahl der Freimarken setzen möge, sie würden ihn da abholen. Geschähe es nicht, so würde es dem ganzen Dorfe schlecht ergehen, aber der ehrliche Überbringer würde immer mit allem seinem Gut unter ihrem besondern Schutz stehen. Als der Wirt das erfuhr, nahm er Abends seinen Sohn bei der Hand und ließ ihn selber den Becher zum Grenzpfahl tragen. Der Junge hat in seinem Leben diese Geschichte nicht wieder vergessen, aber ihm und seinem Hause ist es nachher allezeit gut gegangen.


[313] Aus der Landschaft Stapelholm. Die zahlreichen Sagen von Unterirdischen, die wir aus dieser Gegend mitteilen, haben wohl ihr Lokal bei den Wollenbergen und dem Braßberg, die Bolten, Stapelholm S. 40. 41 erwähnt. – Wer »dreemal um den Glockenbarrig« geht, sagen die Süderstapler, kann nicht wieder aus ihrem Dorfe finden. So schön ist es da.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Drittes Buch. 469. Der gestohlene Becher. 2. [Zwei kleine Bauernjungen spielten an einem Mittage im Felde. Während]. 2. [Zwei kleine Bauernjungen spielten an einem Mittage im Felde. Während]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-489D-F