Lob Gottes
Wo seid ihr, harmonische Stunden der Jugend, die ihr an morgenlichen Bildern so oft dies klopfende Herz gewiegt? Von Gottes Wundern stark ergriffen, stieg meine Seele dann vollen Flugs zum Himmel; verloren im Gelispel des Bachs, hing mein Ohr dann nicht mehr, nicht mehr mein nasser Blick am süßern Blau der Ferne; mir selbst schuf himmlische Phantasie edlere Gestalten ins Herz. Schlafende Bilder erwachten in meiner Seele: ich sah Fußtritte Heiliger, hörte dann singen die Stimmen fremder himmlischer Lieder jenseits dieser Welt. Dann ward mir mehr geweissagt in meinem Herzen, als diese zu stumpfen Sinne zu fassen vermögen, daß meine Augen oft im Tau rannen voll süßen Gefühls, daß dreimal mein Inneres wiederklang, ehe die kindische Lippe noch das Wort traf.
Was will sie, die brünstige, liebekranke Seele, so duldend und umschließend Gottes Geheimnis, so keusch, verschwiegen und brünstig wie Liebe, die noch im Grabe schwärmt?
Reiß los das Siegel meiner Zunge; ström' hin, Lied, dem Herrn! Meine Brust duldet des Dankes Fülle nicht mehr.
Mein Gott, wie unsprechlich, wie wundervoll, wie liebreich du [23] mir bist, wie reich an Maß zum Wohltun! Siehe' mein Auge weint zu dir! Wie voll väterlicher Sorgsamkeit, vom Moos, das am dürren Felsen klebt, bis zu Ceder, die die Wolken zerreißt, vom Schrecken bis an die Freude, bis in die stillen grauenvollen Geheimnisse der Nacht, bist du, mein Gott, ist dein Pfad Güte, Licht und Wunder!
Der Strom gischt, springt über mir hin in die Tiefe, zerreißt die Klippe des Tals; fürchterlich hast du seinem Pfad in Wildniß geboten. Durchbrecher eigener Bahn, reißt er sich die hallende Tiefe hinunter, und Felsen stürzen ihm nach. Höhnend faßt er Bäume an ihrer Wurzel und wirft aufeinander Gestade. Über seinen Sturz hervorstoßen junge Tannen, in sein Gebraus nieder rauscht die geschlagene Fichte; an seinen Füßen Reiher klatschen, um sein Haupt Raubvögel planen mit ihren Jungen. Sieh', im Stolze der Leidenschaft ruft er dem Frost: »Komm über mich!« und schäumt zur Erde: »Mache mir Platz!« Dann übernachten Stürme auf seinen schwellenden Schultern. In tiefer Gewitternacht horcht der Bär, ihm graust vor seinem gewaltigen Gange. Aber du rufst, der Riese höret dich und fällt zu Boden vor deiner Stimme. Entwaffnet hingestreckt im Tale ruht er, daß die Hirsche des Waldes herbeispringen, zu trinken aus seinem Helm, daß in seinem hellen Schwert und Schilde sich spiegeln Schäfereien und Fluren und Brunnen und brüllende Heerden mit ihren Hirten.
Wer hat den Drachen gebaut? Zu schrecklich der Erde, ward sein Kerker das Weltmeer. Du trugst ihn in die Fluten; dort bewegt er, Walfisch, junger Inseln Fuß. Wie ein Gebirg im Nebel ruht er; die Kerzen des Morgens brennen auf seinem Schilde, lebendige Brunnen springen aus seiner Nase, ihn trägt sein Element voll Ehrfurcht, des Meeres schwarze Wogen spielen um seinen Schwanz. Wenn alles stille, um Mitternacht, steigt er auf beim Nordschein und vergnügt sich am Sturm seines einsamen Pfades.
Ach, Sterne um dein allmächtig Haupt, Ewiger! laß mich auf mein Angesicht niederfallen vor dir! Licht, das bleiben wird, wenn auch keine Sonne mehr scheint, zu groß bist du mir, zu unermeßlich! Wer will dich umfassen, Meer, in das alles sinkt und versinkt und mein Geist sich verliert! Die Funken, die über mich sich drehen als Welten, vielleicht edlerer Gebilde Erbteil; ich Oberster hier, dort vielleicht Wurm noch, der Kette unterstes Glied, die sich zu höhern Gestalten emporschlingt.
Halleluja, Vater, der Welten und ihren Staub gemessen! [24] Halleluja, der Welten und ihren Staub erhält!
Wie viele Tausende leben, trinken dein Licht und harren auf dich, o mein Gott! Welch eine Menge entschlummert zu dir! Mehr als der Tränen am Morgen, mehr als des Ozeans Sand, ach, als die Tropfen des unermeßlichen Weltmeers: alle hingesäet der Verwesung, alle in Liebe und Hoffnung auf dich!
Kommt, Bilder sanfter Unschuld, vor meine brünstige Seele, die euch zu empfangen sich öffnet; jetzt seid ihr erwünscht, das Auge der Liebe forscht euch herbei! Kommt schmerzlindernd, liebevoll, heiter, wie Eva aus Gottes Wunderhand ging; die kalten Felsen fühlten, die Ungeheuer erschracken ob ihrer Lieblichkeit, und über ihr ließen alle Bäume ihr Blütenspiel los. Steigt auf harmonisch, ergötzet die Seele, erquicket, entsiegelt die geheimen Quellen meines Innern! Reiniget, führet mich ganz wieder der Menschheit nahe! Erreget so edle, starke, wahre Gefühle des ersten gottgeschaffenen Mannes in mir, daß diese dichte Dämmerung weiche, Licht um mich werde, meine Seele trunken, wie an Regenströmen dürres Land!