[142] Spinnlein

Maiblumen pflückt ich mir einen Strauß
und brachte ihn abends mit nach Haus
und stellte ihn in ein Wasserglas
auf den Schreibtisch neben mein Tintenfaß –
und schlief und träumte von Blumenblühn,
von Wogenrauschen und Waldesgrün,
und als die Sonne ins Zimmer sah,
welch lieblich Wunder beschien sie da:
ein Spinnlein, das ich vergangene Nacht,
im Strauß verborgen, mit heimgebracht,
war seiner duftigen Haft entronnen
und hatte ein schimmerndes Netz gesponnen;
das schwankte nun zwischen dem Blumenglas
und dem Liederbuch über dem Tintenfaß.
Da lacht ich: du willst eine Dichterin sein –
und die Spinnen spinnen dein Tintfaß ein?
[143]
So laß es gelten als freundliches Bild:
das Lied, das dir frisch aus der Seele quillt,
schreib es nicht nieder mit Stift und Stahl, –
gib es dem leuchtenden Sonnenstrahl
und sing es hinaus in die blühende Welt . . .
Nachsingen mag es, wem es gefällt!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Müller-Jahnke, Clara. Gedichte. Gedichte. Mit roten Kressen. Aus jungen Tagen. Spinnlein. Spinnlein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-540E-1