[183] Der Phanariot

Meinen Vater, meine Mutter haben sie in's Meer ersäuft,
Haben ihre heil'gen Leichen durch die Straßen hingeschleift;
Meine schöne Schwester haben aus der Kammer sie gejagt,
Haben auf dem freien Markte sie verkauft als eine Magd.
Hör' ich eine Woge rauschen, ist es mir, als ob's mich ruft,
Ja, mich rufen meine Eltern aus der tiefen, weiten Gruft,
Rufen Rache – und ich schleudre Türkenköpfe in die Fluth,
Bis gesättigt ist die Rache, bis die wilde Woge ruht.
Aber wenn die Abendlüfte kühl um meine Schläfe wehn,
Ach, sie seufzen in die Ohren mir wie leises, banges Flehn.
Ach, es sind der Schwester Seufzer in der Schmach der Sklaverei:
Bruder, mache deine Schwester aus den schnöden Banden frei!
Ach, daß ich ein Adler wäre, könnte schweben in den Höhn,
Und mit schnellen, scharfen Blicken durch die Städt' und Lande spähn,
Bis ich meine Schwester fände, und sie aus der Feinde Hand
Frei in meinem Schnabel trüge nach dem freien Griechenland!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Gedichte. Lyrische Reisen und epigrammatische Spaziergänge. Griechenlieder. Lieder der Griechen. Der Phanariot. Der Phanariot. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5C13-F