Der Schatzgräber

[745] [747]Am Dienstage nach Bartholomäi, des Jahrs als Kaiser Wenzel mit der schönen Bademagd der Prager Haft entfloh, hielt nach altem Herkommen, die Schäfergilde zu Rotenburg in Franken, soviel Teilhaber drei Meilweges im Umkreis um diese Reichsstadt weideten, den jährlichen Umgang, und nachdem sie in der Sankt Wolfgangs-Kirche vor dem Klingentor Messe gehört, zogen sie ins Wirtshaus zum [747] Güldnen Lamm, lebten den ganzen Tag in Saus und Schmaus, flöteten und schalmeieten, und hielten ihren Schäfertanz auf offnem Markte bis zu Sonnenuntergang. Das junge Volk verlief sich dann wieder aus der Stadt; die alten wohlhabenden Hirten aber saßen beim Zechgelag beisammen um die Weinkanne, bis tief in die Nacht, und wenn der Wein das Band der Zunge gelöset hatte, wurden sie laut und koseten von mancherlei Dingen. Einige machten Wetterbeobachtungen, trotz unsern luftigen Windspähern, und ihre Prophezeiungen, aus der Laune, mit welcher Maria übers Gebürge gegangen war, aus dem heitern oder trüben Adspekt des Siebenschläfers, und aus der Blüte des Heidenkrauts, trafen richtiger zu, als der Hahnenruf des Schleswiger Wetterpropheten, ob sie gleich nicht begehrten, ihr Licht dem gesamten deutschen Vaterlande aufzustecken, sondern gleichsam nur unter dem Scheffel weissagten. Andere erzählten die Abenteuer ihrer Jugend, wie sie unter dem Beistande des getreuen Phylax den Wolf von der Herde abgewehret, und seinen Schreckensbruder, den grimmigen Werwolf, durch den kräftigen Andreassegen weggescheucht hatten; oder wie sie in Wüsten und Wäldern, von Hexen und Gespenstern, zur Nachtzeit, gefoppt und geängstiget worden waren; was sie für Wunderdinge gehört, gesehen und erfahren hatten. Diese Erzählungen waren zum Teil so grausend, daß den städtischen Zuhörern davon die Haut schauerte und die Haare zu Berge stiegen: denn eine löbliche gemeine Bürgerschaft, nahm an dem ländlichen Schäferfeste, in den Stunden des Feierabends, vergnügten Anteil. Viel Zünftler und Handwerker begaben sich in die Trinkstube des Wirtshauses zum Goldnen Lamm, zahlten einen Schoppen Wein, hörten diesen Schnack mit an, und gaben ihr Wort auch mit dazu.

Am besagten Abend war der silberbehaarte Martin, ein muntrer Greis von achtzig Jahren, der wie der fromme Erzhirte Jakob, ein ganzes Schäfergeschlecht aus seinen Lenden hatte hervorsprossen sehen, über alle Maßen heiter und gesprächig. Er ließ sich, da es schon anfing in der Trinkstube an Gästen lichte zu werden, noch einen Becher Fernewein [748] zum Schlaftrunk zapfen. Es tat ihm wohl, daß das Geräusch um ihn her sich verminderte, und daß er nun auch zum Worte kommen konnte. »Kameraden«, hob er an; »ihr habt viel von euren Abenteuern gekost, die zum Teil wunderseltsam gnug klingen; doch will mich bedünken, der Wein habe zuweilen mit eingeschwatzt, ich weiß auch eins, das mir in meiner Jugend begegnet ist, und das euch, ob ich gleich nur die reine Wahrheit dabei einschenkte, wunderbarer vorkommen würde, als alle die eurigen; aber 's ist schon zu weit in die Nacht, ich kann's nimmer enden.« Alles schwieg, da der ehrwürdige Graukopf den Mund auftat, es herrschte solche Stille in der Trinkstube, als wenn der Bischof von Bamberg stille Messe läs; und da der Greis schwieg, wurde alles laut um ihn her, und seine Nachbarn und Gefreundten riefen einmütig: »Vater Martin, laß uns dein Abenteuer hören! warum hältst du damit hinterm Berge? Gib's uns zum Feierabend.« Selbst einige Bürger aus der Stadt, die eben im Begriff waren heimzugehen, hingen Mantel und Hut wieder an den Haken, und ermahnten ihn, zum Valet seine Wundergeschichte mitzuteilen. Altvater Martin konnte dieser dringenden Aufforderung nicht widerstehen und redete also.


Anfangs ging mir's gar kümmerlich in der Welt. Als ein verlaßner elternloser Knabe, mußt ich mein Brot vor den Türen suchen, hatte keine Heimat, war aller Orten zu Haus, und zog mit meinem Ranzen, von Dorf zu Dorf im Lande herum. Wie ich heranwuchs, stark und bengelhaft wurde, verdang ich mich als Bub bei einem Schäfer, auf dem Harz, und diente ihm bis ins dritte Jahr bei den Schafen. Zu Anfang des Herbsts desselben Jahres, fehlten eines Abends beim Heimtreiben zehn Stück von der Herde, da schickte mich der Großknecht aus, sie im Walde zu suchen. Der [749] Hund geriet auf eine falsche Spur, ich irrete im Gebüsch umher, die Nacht brach ein, und weil ich der Gegend unkundig war, und mich nicht wieder heimfinden konnte, beschloß ich unter einem Baum zu übernachten. In der Mitternachtsstunde wurde der Hund unruhig, fing an zu queulen, zog den Schwanz ein und drückte sich dicht an mich, da vermerkt ich, daß es hier nicht geheuer sei, ich schauete umher, und sah bei hellem Mondschein, daß eine Gestalt mir gegenüber stund, als ein Mann mit zottigen Haaren am ganzen Leibe, er hatte einen langen Bart, der ihm bis über den Nabel reichte, um das Haupt trug er einen Kranz, um die Lenden einen Schurz von Eichenlaub, und hielt einen ausgewurzelten Tannenbaum in der rechten Hand 1. Ich zitterte wie ein Espenlaub, daß mir vor Entsetzen die Seele bebte. Das gespenstische Ungetüm winkte mir mit der Hand ihm zu folgen; aber ich rührte mich nicht von der Stelle, drauf vernahm ich eine heisere grölzende Stimme, die sprach: ›Feigherz fasse Mut, ich bin der Schatzhüter des Harzes. Gehe mit mir, so du willst, sollst du einen Schatz heben.‹ Ob mir die Angst gleich kalten Todesschweiß austrieb, so ermannete ich mich doch endlich, schlug ein Kreuz vor mich und sprach: ›Hebe dich weg von mir Satan, ich bedarf deines Schatzes nicht!‹ Da grinsete mir der Geist ins Gesicht, stach mir den Gecken und rief: ›Tropf, du verschmähest dein Glück! Nun so bleib ein Lump all dein Lebtag!‹ Er wendete sich von mir, als wollt er förder gehen; doch kam er bald wieder zurück und sprach: ›Besinn dich, besinn dich, Schelmendeckel, ich füll dir den Ränzel, ich füll dir den Säckel.‹ ›Es stehet geschrieben‹, antwortete ich: ›Laß dich nicht gelüsten, weiche von mir du Ungetüm, mit dir hab ich nichts zu schaffen!‹

[750] Da der Geist sahe, daß ich ihm kein Gehör gab, ließ er ab in mich zu dringen, und sprach nur soviel: ›Du wirst's bereuen!‹ sahe mich dabei trübselig an, und nachdem er sich eine Zeitlang bedacht hatte, fuhr er fort: ›Merke, was ich dir sage und nimm's wohl zu Herzen, ob dir's einmal frommen möchte, wenn du zu Verstande kommst. Es liegt ein ungeheurer Schatz an Gold und Edelsteinen, tief unter der Erde im Brocken verwahret, der im Zwielichten versetzt ist, und darum sowohl am hellen Tage, als zur Mitternachtstunde gehoben werden kann. Ich hüte sein seit siebenhundert Jahren; aber von heut an wird er wieder gemeines Gut, daß ihn nehmen kann, wer ihn findet: meine Zeit ist um. Darum gedacht ich, ihn in deine Hände zu geben, denn ich gewann dich lieb, da du auf dem Brocken weidetest.‹ Darauf gab mir der Geist Kundschaft von dem Orte, wo der Schatz zu finden sei, und von der Weise, wie ich dazu gelangen sollte. 's ist mir noch als wenn's heute geschähe, sogar erinnere ich mich aller seiner Worte. ›Geh nach dem Andreasberg‹, sprach er, ›und frag dort nach dem schwarzen Königstale, [751] jetziger Zeit das kleine Morgenbrodstal genannt. Wenn du an ein Bächlein gelangst, die Duder, Oder, auch Eder benamt, so folge demselben, dem Strom entgegen, bis an die steinerne Brücke, an einer Sägemühle gelegen. Gehe nicht über die Brücke, sondern halte dich rechter Hand längs dem Bächlein hinauf, bis dir eine hohe Steinklippe entgegen stehet. Einen Bogenschuß davon wirst du wahrnehmen eine eingefallene Grube, als ein Grab, wo man einen Toten hineinleget. Wenn du das Grab hast, so räume es getrost auf; ob du saure Arbeit daran tust, wirst du doch vermerken, daß die Erde mit Fleiß dareingeschüttet sei. Hast du nun feste Steine auf beiden Seiten, so fahre mit der Arbeit fort, bald wirst du eine viereckige Steinplatte eingemauret finden, eine Elle hoch und breit, diese zwänge aus der Mauer, so bist du im Eingang des Schatzbehälters. In diese Öffnung mußt du auf dem Bauche hineinkriechen, mit dem Grubenlicht im Munde, die Hände frei, daß du nicht mit der Nase an einen Stein stößest: es fällt darinne sehr talein, und hat scharfes Gestein. Wenn dir schon die Kniescheiben etwas bluten, so acht es nicht, denn du bist auf gutem Wege. Raste nicht, bis du eine breite steinerne Treppe erreichest, von welcher du auf zweiundsiebenzig Stufen gemächlich in die Tiefe hinabsteigest, in eine geräumige Halle mit drei Türen von innen, zwei davon stehen offen, die dritte ist feste verwahrt, mit eisernem Schloß und Riegel. Gehe nicht ein durch die zur Rechten, daß du nicht verunruhigest die Gebeine des ehemaligen Schatzherrn. Gehe auch nicht ein durch die zur Linken: es ist die Unkenkammer, wo Ottern und Schlangen innen hausen, sondern öffne die verschloßne Tür mittelst der wohlbekannten Springwurzel, welche bei dir zu tragen du nicht vergessen darfst, sonst ist all dein Tun verloren, und du endest nichts mit Werkzeug und Brecheisen. Wie du sie erlangen mögest, darum frage einen erfahrnen Weidmann: es ist eine gemeine Jägerkunst, und die Wurzel ist nicht schwer zu überkommen. Sei unverzagt, ob die Tür gleich mit großem Krachen und Geprassel auffährt, wie der Knall einer Donnerbüchse: es geschiehet dir kein Leid, und die Kraft kommet aus der Springwurzel. Bedecke [752] nur dein Grubenlicht, daß es nicht verlösche, so wirst du vermeinen zu erblinden, von dem herrlichen Glanz und Schimmer des Goldes und der Edelsteine, an den Wänden und Pfeilern des innern Gewölbes; aber hüte dich, deine Hand darnach auszustrecken, es wär als ob du einen Kirchenraub begingest. In der Mitte des Kellers stehet eine kupferne Truhe, gleich einem hohen Altar in der Kirche, darinnen findest du Goldes und Silbers gnug, und magst daraus nehmen, soviel dein Herz begehrt. Wenn du so viel hast, als du tragen kannst, so hast du gnug auf deine Lebenszeit, auch magst du dreimal wiederkommen, nur zum vierten Mal wär dein Beginnen umsonst: auch würdest du ob deiner Gierigkeit hart gestraft werden, auf der steinernen Stiege ausgleiten und ein Bein brechen. Verabsäume nicht jedesmal den Schurf wieder zuzuwerfen, wodurch du den Eingang in die Schatzkammer des Königs Bruktorix dir eröffnet hast 2.‹

Als der Geist das gesagt hatte, spitzte der Hund die Ohren und fing an zu bellen, ich vernahm das Klatschen von Fuhrmannspeitschen und das Rasseln der Räder in der Ferne, und da ich mich umsahe, war das Gespenst verschwunden.« Hiermit endigte der graubärtige Geisterseher 3 sein Abenteuer, das auf die Zuhörer ganz verschiedenen Eindruck machte. Einige hatten's ihren Spott damit und sprachen: »Alter Vater, das hat dich geträumet!« Andere gaben der Sache guten Glauben; noch andere waren Eiertreter, nahmen eine weise Miene an, und gingen mit der Sprache nicht [753] heraus. Der Wirt zum Goldnen Lamme war ein großer Schlaukopf, sein unvorgreifliches Ermessen der Sache ging dahin, aus dem Erfolg lasse sich die Kontrovers am sichersten entscheiden: alles käm darauf an, ob der Altvater die unterirdische Wallfahrt begonnen habe und mit vollem Säckel wieder zu Tage ausgefahren sei oder nicht. Er schenkte ihm einen Becher aus der frischen Flasche ein, um seine gesprächige Laune zu unterhalten, und frug traulich: »Vater Martin, sag an, bist du im Berge gewesen, und hast du funden, was dir der Geist verheißen hat; oder ist er an dir zum Lügner worden?« »Mit nichten«, antwortete der ehrliche Weißbart, »ich kann den Geist nicht Lügen strafen, denn ich habe nie einen Schritt darum getan, das Grab zu suchen, oder es aufzuschürfen.« »Und warum nicht?« »Um zweierlei Ursach willen, einmal darum, weil mir mein Hals zu lieb war, als daß ich ihn dem Teufelsspuk hätte preisgeben sollen, und hernach darum, weil mich kein Mensch jemals hat berichten können, wie die Springwurzel zu erlangen stehe; wo sie wachse, und auf welchen Tag und zu welcher Stunde sie müsse gegraben werden, ob ich gleich manchen wackern Weidmann darum befragt habe.« Der Wirt zum Goldnen Lamme war mit seiner Untersuchung nun schon zu Ende, ohne daß ihm ein Licht im Verstande dadurch angezündet wurde. Dagegen erhob Nachbar Blas, ein bejahrter Hirt, seine Stimme und sprach: »Jammer und [754] Schade, Vater Martin: daß deine Heimlichkeit mit dir veraltet ist. Hättest du vor vierzig Jahren ausgebeichtet, die Springwurzel sollte dir traun! nicht gefehlet haben. Ob du schon den Brocken nimmer besteigen wirst: so will ich doch Kurzweil halber dir anzeigen, wie sie zu erlangen ist.

Am leichtesten geht das vonstatten durch Hülfe eines Schwarzspechts. Merke im Frühling, wo er in einen hohlen Baum nistet, wenn nun die Brutzeit vorbei ist, und er ausfleucht Nahrung zu suchen, so treibe einen harten Quast in die Öffnung des Einflugs. Stelle dich hinter den Baum auf die Lauer, bis der Vogel zurück kommt zur Futterzeit. So er wahrnimmt, daß das Nest wohl verspündet sei, wird er mit ängstlichem Geschrei um den Baum schwirren, und seinen Flug plötzlich gegen Sonnenuntergang nehmen. Wenn das geschiehet, so sei bedacht einen roten scharlaknen Mantel aufzutreiben; oder in dessen Ermanglung geh zum Krämer und kaufe von ihm vier Ellen rotes Tuch, verbirg's unter dein Kleid, und harre beim Baume einen, auch wohl zween Tage lang, bis der Specht wieder zu Neste fleugt, mit der Springwurzel im Schnabel. Sobald er damit den Pfropf berührt, wird dieser aus dem Astloch, mit großer Gewalt, wie ein Kork aus einer gärenden Flasche fahren. Dann sei behend, und breite den roten Mantel oder das Tuch unter den Baum: so meint der Specht, es sei Feuer, er schrickt davor und läßt die Wurzel fallen. Einige zünden auch unter dem Baum wirklich ein zartes Feuerlein an, das nicht viel raucht, und streuen die Blüte von dem Kraut Spickenardi darauf. Aber es ist damit ein mißlich Tun, wenn die Flamme nicht rasch gnug auflodert, entfleugt der Specht und trägt die Wurzel mit sich davon. Hast du sie nun in deiner Gewalt, so unterlaß nicht jeden Tag ein Stücklein Kreuzdornholz dabeizubinden: denn wofern du die Wurzel frei aus der Hand legen wolltest, wär sie ohne Genuß verloren.« Es wurde über diese Prozedur noch mancherlei gekannegießert, und es war bereits hoch Mitternacht, ehe die Zechgäste auseinander schieden.

Von aller menschlichen Gesellschaft abgesondert, hatte neben Hund und Katze, hinter dem Ofen in des Wirts ledernem [755] Polsterstuhle, ein Zechgast Posto gefaßt, der den ganzen Abend ein so tiefes Stillschweigen beobachtete, als wenn er sich vorbereite in einem Kartäuserkloster Profeß zu tun. So wenig Kontemplationsgeist er sonst besaß: so sehr war er diesmal ganz in sich gekehrt, und in tiefem Nachdenken begriffen, wozu er durch mehr als eine Ursache Veranlassung fand. Weiland eines weisen Magistrats und gemeiner Stadt Garkoch und Weinmeister, nachher Brunnenmeister, und endlich als Privatus Lungerer und Hungerer, war Meister Peter Bloch, seit dem letzten Jahrzehend, die große Leiter von Glück und Ehre, Sprosse für Sprosse immer abwärts gestiegen, welches der merkliche Abfall vom Weinmeister zum Brunnenmeister allgnugsam zu erkennen gibt, der dem Abstand vom Kaiser zum Küster wohl wenig nimmt. Er war in seinem vormaligen Wohlstand ein jovialischer Mann, recht wie zum Scherztreiber geboren, der auf Ehrenmahlen, die ihm verdungen wurden, Geist und Magen der Gäste in gleichem Maße wohl zu nähren und zu vergnügen wußte. In der Kochkunst tat es ihm nicht leicht ein anderer zuvor. Er verstund einen Auerhahn mit einem gehämmerten süßen Sode herrlich zuzurichten, auch hohe Gallerte von Fischen zu bereiten, desgleichen köstliche Synandtfladen, Quittentorten, Kuchen mit Oblaten, und allen Schweinsköpfen übergüldete er die Ohren. Er hatte sich frühzeitig nach einer Gehülfin umgetan; aber unglücklicherweise war seine Wahl auf eine Dirne gefallen, die ihrer bösen Zunge halber, womit sie wie eine Natter stach, in der ganzen Stadt verschrieen war. Wer ihr in Wurf kam, Freund oder Feind, das kümmerte sie nicht, dem wußte sie in einem Atem neunerlei Schande nachzusagen. Sie verschonte selbst die Heiligen im Himmel nicht, und war mit ihrer Lästerchronik so gut bekannt, als Frau Schnips 4 kurzweiligen Andenkens; nur glückte es ihr nicht wie dieser, von Freund Bürgers fruchtbarer Laune beschwängert, die Lacher auf ihrer Seite zu haben. Vollbrechts Ilse war durchgängig verhaßt, die jungen Gesellen gingen ihr meilenweit aus dem Wege, denn sie wußte auf jeden einen Ekelnamen. Daher wurde sie überreif, wie eine Hanbutte, [756] die um der Stachel willen am Stocke sitzen bleibt. Endlich ließ sich Meister Peter, dem ihre Anstelligkeit und Häuslichkeit vorgelobt wurden, dennoch bereden, um sie zu werben. Da ging ein Knittelreim in der Stadt herum, der lautete also:


Vollbrechts Ilse,
Niemand will se,
Die böse Hülse:
Da kam der Koch,
Peter Bloch,
Und nahm sie doch.

Das traute Paar war kaum vom Altar zurück, so führte schon die Zwietracht den Hochzeitreihen an. Der Stadt Weinmeister hatte sich in der Fröhlichkeit des Herzens, an seinem Ehrentage, vom Wein übermeistern lassen, welcher Zufall ihm auch wohl an einem gemeinen Werkeltage begegnete, und taumelte der Braut in die Arme. Darüber gab's schon einen harten Strauß, und der Ehekalender prophezeite den Brautleuten stürmische unfreundliche Witterung, schwere Donnerwetter mit Schloßen und Platzregen, wenig Sonnenschein und viel kalte Nächte.

Das Prognostikon traf auch richtig zu, bis auf den letzten Punkt: denn der reiche Kindersegen, den diese zwiespältige Liebe in der Folge erndete, ließ wenigstens mitunter fruchtbares Wetter und lauwarme Nächte vermuten. [757] Demungeachtet hatte Meister Peter lange Zeit nicht die Freude, den süßen Vaternamen lallen zu hören: seine Deszendenz bestund aus eitel Sterblingen, die so hinfällig waren, daß sie, wenn sie kaum die vier Wände beschrien hatten, an heftigen Zuckungen dahinstarben, gleich wie die jungen Zicklein im kalten Winter. Die Zornwut des zänkischen Weibes, verpestete die nahrhaften Säfte der balsamischen Muttermilch, und verwandelte sie in ätzenden Schierlingssaft, welchen der zarte Säugling aus der Quelle des Lebens trank.

Obgleich Meister Peter keine großen Güter zu vererben hatte, so war's ihm doch ungemütlich kinderlos zu bleiben, er beklagte sich ofte gegen seine Nachbarn über diesen Unstern, und wenn er ein Kind begraben ließ, sprach er: »'s hat wieder in die Kirschblüten geblitzt, daß keine Frucht davon zur Reife kommt.« Da eröffnete ihm eine kluge Frau [758] die Ursache seiner häuslichen Mortalität, und als ihm ein Sohn geboren ward, legte er ihn einer gesunden Amme an die Brust. Der Knabe wuchs und ward stark, und der Vater hatte große Lust und Freude an ihm. Er nahm den trauten Görgel ganz allein unter seine Zucht und Aufsicht, und nachdem er ihn behost hatte, führte er ihn in die Küche anstatt in die Schule ein, versagte ihm keinen Leckerbissen, und zog einen kleinen Fresser aus ihm. Zur Mittagszeit wenn den Speisegästen angerichtet wurde, stund er auf der Lauer, gabelte in die Schüssel nach einem Leberlein oder deutete auf einen Hahnenkamm, und der tätschelnde Vater reichte ihm alsbald, in ein wenig Salz getaucht, die verlangte Schleckerei. Wenn er aber bei der Mutter so ein feines Stücklein praktizieren wollte, ging's ihm nicht ungenossen aus, sie schalt und kiff ob dieser Unart, und schlug den kleinen Lecker mit dem Kochlöffel wohl gar auf die Finger. Da weinte das liebe Kind, daß es das väterliche Herz erbarmte, und dem Meister Koch die Butter ins Feuer entfiel. Er sprach sodann gutmütig bittend zu der stürmischen Hausehre, in seiner fränkischen Mundart: »Weibelä, gib doch dem Bübelä ä Schlägelä von dem Hennelä.« So trieb's der gute Vater mit seiner Zucht, bis ins siebente Jahr, da war der traute Görgel zu Tode gefüttert. Es blieb ihm von allen seinen Kindern keins übrig, als nur eine einzige Tochter von so fester Masse, daß weder die Bilsenessenz der Muttermilch, noch die Mast der Vaterliebe sie vergiften konnte: sie wurde unter der mütterlichen Strenge und des Vaters Nachsicht groß und schön; auch ließ sich dieser nie bereden zu glauben, daß ihm der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt habe, da ihm eine hübsche Tochter war geboren worden.

Unterdessen hatten sich die Glücksumstände der Familie merklich geändert. Meister Peter war in der Jugend in der Rechenschule versäumet, hatte keine Spezies aus dem Grunde begriffen als die Subtraktion, die Addition und Multiplikation wollten ihm nie ein, und mit der Division hatte er sich all sein Lebtag nicht zu befassen gewußt. Es kostete ihm zu viel Anstrengung, Ausgabe und Einnahme in seiner Ökonomie gegeneinander abzuwägen; hatte er [759] Geld, so versorgte er Küch und Keller reichlich, gab den Schmarotzern, die seine Speisekunden waren, Kredit soviel sie begehrten, hielt die lustigen Brüder, die gute Schwänke zu erzählen wußten, zechfrei, und füllte allen Hungerleidern, die sich an ihn wandten, und sein Mitleid rege zu machen wußten, den Magen. War seine Kasse erschöpft, so borgte er vom Wucherer gegen hohe Zinsen, und weil er das Pantoffelregiment des zänkischen Weibes fürchtete, gab er gegen die strenge Domina vor, es wären eingegangene Schulden. Sein Grundsatz, der sich mit seiner Gemächlichkeit gar wohl vertrug, und nach welchem noch viel bequeme Wirte kalkulieren; war der: Am Ende wird sich wohl alles finden. Und es fand sich auch wirklich am Ende, daß Meister Peter in Konkurs verfiel und sich genotdrungen fand, zur allgemeinen Bedauerung aller Gutschmecker und feinen Züngler seiner Vaterstadt, das Küchen- und Kellerschild einzuziehen. Weil er sich aber mit seinen Küchentalenten viel Tischfreunde erworben hatte, versahe ihn ein wohlweiser Magistrat aus Kommiseration, mit dem dürftigen Amte eines Brunnenmeisters; denn die Herrn fürchteten eine üble Nachrede, wenn's hieß, in der Reichsstadt Rotenburg sei der Garkoch verhungert. Allein auch bei diesem kleinen Amte, hätte der Exkoch weder Glück noch Stern. Es entstund ein Gerücht, die Judenschaft habe die Brunnen vergiftet, drauf wurden in einem wütigen Auflauf die Juden zum Teil erschlagen, zum Teil aus der Stadt gejagt und ihr Hab und Gut geplündert, darauf war's mit dem Gerede, von dem losen Gesindel in der Stadt, eigentlich abgesehen; aber Meister Peter verlor unverschuldeterweise dabei sein Brunnenamt, unter der Anschuldigung, er habe nicht sorgfältig gnug auf die Wasserbehälter invigiliert. Jetzt wußt er weder Rat noch Hülfe: graben mocht er nicht, so schämt er sich zu betteln. In jenen frugalen Zeiten, wo sich die stattliche Hausfrau nicht scheuete, eigenhändig den schwarzen Topf ans Feuer zu rücken, und ihre Küche zu besorgen, war bei den Herrschaften um einen Koch eben keine Nachfrage: die gallische Küche hatte den deutschen Gaumen noch nicht verwöhnt. In diesem trübseligen Zustande, mußt er [760] des beißigen Weibes Gnade leben, die sich von einem kleinen Mehlhandel dürftig nährte. Für die Kost leistete er ihr die Dienste eines Esels, welches Haustier, bei dem neuen Wirtschaftsgewerbe, ohne diesen Stellvertreter, ihr unentbehrlich gewesen war. Sie belud die ungewohnte Schulter des trägen Ehgespans mit manchem schweren Sack Getreide, den er keuchend in die Mühle trug, maß ihm dafür kärglich gnug sein Futter zu, und wenn er sein Tagewerk nicht förderte, schlug ihn der Satansengel wohl gar mit Fäusten.

Das jammerte der weichgeschaffenen Seele der tugendlichen Tochter über alle Maßen und kostete ihr manche stille Träne. Sie war der Augapfel des Vaters, er hatte sie von Jugend auf nach seiner Weise gegängelt, sie erwiderte auch die väterliche Liebe mit kindlicher Zutätigkeit, und das tröstete den guten Vater für alle häuslichen Kalamitäten. Die liebenswürdige Lucine hatte die Nadel zum Nahrungszweig gewählt, ihren Unterhalt damit zu gewinnen, und sie [761] hatte in der Nähterei, und besonders in der Bildnerei mit der Nadel, große Kunstfertigkeit erlangt: was ihre Augen sahen, das konnten ihre Hände. Sie stickte Meßgewande, Altartücher, und köstliche buntfarbige Tischteppiche, die damals im Gebrauch waren, hatte die biblischen Historien des Alten Testamentes, von Erschaffung der Welt an, bis auf die keusche Susanna, von Wolle und Seide hineingewebt, und es ist kein Zweifel, daß sie, wenn sie unsere Zeitgenossin gewesen wär, mit den drei kunstreichen Schwestern in Zelle würde gewetteifert, seidenes Frauenhaar in ihre Nadel eingefädelt und mit täuschender Kunst die Schöpfung des Grabstichels nachgeahmt haben. Ob sie den Gewinn ihrer Arbeit gleich der strengen Mutter genau berechnen mußte, und solchen auch gern und willig zu den gemeinsamen häuslichen Bedürfnissen beitrug: so wußte sie doch zuweilen diese um einen Dreibätzner zu berücken, den sie beiseit legte, und dem guten Vater heimlich zusteckte, daß er in ein Weinhaus schleichen und sich gütlich davon tun konnte. Zu dem bevorstehenden Schäferfest, hatte sie eine doppelte Zehrung aufgespart, welche sie dem durstigen Vater, mit heimlicher Freude, verstohlen in die Hand drückte, nachdem er, zur Abendzeit, aus der Mühle zurückkam, und eben einen vollen Mehlsack abgeschultert hatte. Er machte dem lieben Mädchen dafür das freundlichste Gesicht, das ihm zur Gebot stund, wenn er unter den Lasten schier erlag, die ihm sein Hausdrache von Weibe aufbürdete, wie er hinter ihrem Rücken die gurrige Ehehälfte, aus gerechtem Eifer, zu nennen pflegte. Die Gutmütigkeit der liebevollen Lucine, griff ihm diesmal in die Seele, und er wurde dadurch so gerührt, daß ihm die Augen wässerten, denn er trug einen Plan mit sich herum, der diesen Abend zur Reife gedeihen sollte, womit er von seiten der frommen Tochter eben kein Trinkgeld zu verdienen glaubte. In ernstes Nachdenken vertieft, wandelte er die Straße hinab ins Wirtshaus zum Güldnen Lamme, drängte sich durch das Getümmel der Zechgäste, forderte einen Schoppen Wein, und pflanzte sich damit, ohne an der Gesellschaft Anteil zu nehmen, hinter den Ofen auf des Wirts ledernen Polsterstuhl, [762] der ungeachtet aller Bequemlichkeit, wegen seines ungeselligen Standortes, unbesetzt war. Hier gab er, nachdem der Wein die Wirbel der abgespannten Nerven ein wenig zurechte geschraubt und die Lebensgeister angefrischt hatte, seinen Gedanken freie Audienz, und zog die kritische Proposition, die ihm in Ansehung der schönen Lucine war gemacht worden, in reife Überlegung.

Ein junges Genie, seiner Profession nach ein Maler, und beinahe ein ebenso aufgedunsener Flachkopf, als sein jüngerer Kunstgenoß, der famöse junge Maler am Hofe 5, welcher in zwei voluminösen Bänden, eine so gar fade Rolle in der Lesewelt spielt, hatte sich in Rotenburg gesetzt, um daselbst seine Kunst zu treiben. Das höchste Ideal der weiblichen Schönheit war sein Hauptstudium. Wo er einer wohlgestalten Dirne ansichtig wurde, am Fenster, auf freier [763] Straße oder in der Kirche, da zog er seine Pergamenttafel hervor, und konterfeiete sie mit der Bleifeder ab, hernach setzte er das Bild in Ölfarbe, verkauft' es in die Klöster, für eine heilige Veronika, oder Madonna, und fand damit guten Vertreib, sonderlich bei jungen Mönchen, die ihre Andacht dabei hatten. Am Fronleichnamsfest war ihm, bei der feierlichen Prozession, die schöne Lucine zuerst in die Augen gefallen, er hatte flugs den Rötelstift zur Hand genommen, die herrliche Physiognomie zu erhaschen; allein sie war kein Alltagsgesichte, das sich mit der Leichtigkeit, wie ein Schattenbild an der Wand, abnehmen ließ. Die Züge des reizenden Mädchens waren so sanft ineinander verschmolzen, und die ganze Wohlgestalt so fein abgerundet, daß die Kopei dem Original durchaus nicht entsprach. So sehr der Künstler bemühet war, aus dem ersten Entwurf, durch Beihülfe der Einbildungskraft das liebliche Dosenstück herauszupinseln: so wenig wollte es ihm damit glücken, es blieb immer in Vergleich des Urbildes, ein steifer Haubenkopf, darum strich er aus Verdruß die unbehülfliche Larve wieder aus.

Bald nachher machte ein reicher Graf, zu Ausschmückung seines neuerbauten Schlosses, eine Bestellung bei ihm, von verschiedenen Gemälden, wozu er die Ideen selbst angab. Das Hauptstück sollte die Geburt der Venus vorstellen, wie sie, als das Meisterstück der schönen Natur, aus dem Schoße des Meeres hervorstieg, von Göttern und Meerwundern angestaunt. Zu dieser Komposition wußte der Maler kein vollkommner Muster, die Liebesgöttin darnach zu schildern, als des vormaligen Garkochs, Meister Peter Blochs, schöne Tochter; nur war die Frage, ob das züchtige Mädchen die ganze Summe ihrer Reize dem Auge des Künstlers preisgeben würde, um in ihre Körperform eine Göttin zu kleiden, die er nach der Natur zu zeichnen vorhatte. Um den geradesten Weg einzuschlagen, der zu dieser Absicht führete, wendete er sich unmittelbar an den Vater, machte sich ein Gewerbe bei ihm, ließ von ihm Farben reiben, und vergalt ihm seine Mühe reichlich. Nach gemachter Bekanntschaft, führete er ihn eines Tages ins Weinhaus, ließ ihm [764] wacker einschenken und rückte, da er merkte, daß der Gast bei guter Laune war, mit seiner Petition heraus, nebst angefügter Verheißung eines namhaften Grazials, im Fall zugestandener Verwilligung. Aber Meister Peter nahm das Ding schief, erbosete sich heftig über den unziemlichen Antrag, argwohnte von dem angeblichen Befugnis des Malers, zum Behuf der Kunst die schöne Natur zu entschleiern, unlautere Absichten auf Ehre und Tugend der schönen Lucine, und sprach mit zorniger Gebärde: »Wie versteht das der Herr? Ist's gekurzweilt oder soll's geernstet sein? Meint er, daß ich ihm meine Tochter barleibig, als ein gerupft Hühnlein, verkaufen soll? Das letzte hab ich wohl vormals als Garkoch getan; aber das erste ziemt keinem rechtschaffnen Reichsbürger.« Das Kunstgenie hatte seine ganze Beredsamkeit nötig, um dem Freund Garkoch das eigentliche Verständnis zu eröffnen. Er führete ihm das Beispiel der freien Reichsstadt Kroton in Großgriechenland an, wo weiland eine löbliche Bürgerschaft sich um die Wette beeifert habe, die schönsten Stadtjungfern seinem Kunstverwandten, dem Maler Zeuxis, zu dem nämlichen Behuf vor die Staffelei hinzustellen, und zwar wie sie aus der Hand der Natur hervorgegangen wären, ihrer jungfräulichen Ehre und Reputation unbeschadet. Vielmehr wären die fünf auserwählten Schönheiten, aus welchen der Kunstmeister das Ideal der Liebesgöttin zusammenstudieret habe, allerseits glücklich an Mann gebracht, und überdies noch gar viel zu ihrem Lobe poetisiert worden.

So einleuchtend dieses Exempel war, so wenig machte es auf den ehrbaren Rotenburger Eindruck, der es für unschicklich hielt, mit der sittsamen Lucine eine Prozedur vornehmen zu lassen, für welche, in unsern Tagen, ein Vizekönig von Indien responsabel gemacht wird, weil er die Grazien von Oude im griechischen Kostüm zur Schau soll ausgestellet haben 6. »Freund, ich sehe wohl«, sprach der Maler, »daß wir des Handels nicht einig werden, du hast [765] deinen freien Willen. Inzwischen wenn du deinen Vorteil, als ein guter Koch, verstanden hättest, so würdest du diese zwanzig Goldgülden bar aufgezählt nicht verschmähen, den bildenden Künsten einen Augenschmaus dafür aufzutischen.« Der Anblick des Goldes erschlaffte die Strenge der reichsbürgerlichen Tugend dergestalt, daß sie nachgebend und geschmeidig wurde wie sämisches Leder. In den kümmerlichen Umständen, worinne sich Meister Peter befand, war diese Summe eine zu süße Lockspeise. Er bedachte, wie gütlich er sich von einem Goldgülden tun könnte, und zwanzigmal diesen Genuß zu wiederholen, das überwog alle Bedenklichkeiten. Er versprach die Sache in Überlegung zu ziehen, und auf Mittel zu denken, die schöne Lucine dem Künstler in die Hände zu spielen, dem er es überließ, dafür zu sorgen, wie er zum Anschauen ihrer verborgenen Reize gelangen möchte. Selbst zu einer solchen unsittsamen Gefälligkeit sie zu überreden, gestund er frei sein Unvermögen. Der junge Weltmann lachte über diese kleine städtische Delikatesse, und nahm es auf sich, diesen Punkt in Richtigkeit zu bringen. »Meinst du, Vater Peter«, sprach er, »daß es mir große Schwürigkeit kosten wird, das Mädchen aus dem Eie zu schälen? Ist dir unbekannt der Wettstreit der Sonne und des Sturmwindes, um den Reisemantel eines Wanderers? Was der Orkan nicht mit seinem gewaltsamen Sausen vermochte, das wirkte jene mit ihren sanften Strahlen. Von dir würde sich die schöne Lucine freilich nicht überreden lassen, ihr Gewand zu enthüllen: du würdest dem Sturmwind gleichen; aber ich werde ihr Sonnenstrahl sein.«

Der Kontrakt mit dem Maler Duns war so gut als geschlossen, es kam nur auf die Lieferung an, und dabei fand Meister Peter noch manchen Skrupel. Er drückte den Polsterstuhl des Wirts zum Goldnen Lamm schon stundenlang, ohne daß er es spitzig gnug einzufädeln wußte, wie er mit der angesponnenen Schelmerei zum Zweck gelangen, das Mädchen der Mutter vor den Augen wegstehlen, und mit guter Manier an seinen Kundmann liefern sollte. Der Angstschweiß trat ihm an die Stirn, wenn er daran gedachte, [766] was am Ehehorizont sich für ein Ungewitter auftürmen, und wie es auf ihn herab blitzen und donnern würde, wenn Eumenide Ilse den väterlichen Hochverrat an der leiblichen Tochter in Erfahrung bringen sollte. Überdies pochte der Gewissenshammer hart an seine Herzenskammer, jeder Tropfen Wein, den ihm die kindliche Gutmütigkeit gern in Nektar verwandelt hätte, gewann hinterher einen Gallen- und Wermutgeschmack, wenn er erwog, daß das liebe Mädchen alles bei Heller und Pfennig zusammensparte, ihm einen Labetrunk zu gewähren, und dieser sollte ihn jetzt zu einer Arglist begeistern, ihre Zucht und Scham auf eine harte Probe zu stellen. Alles wohl ponderiert, war es für einen Vater auch eben nicht das löblichste Vorhaben, mit der Frucht seines Leibes unziemlichen Wucher zu treiben, höchstens ließ es sich durch die Entreprise eines poetischen Negerhandels, mit den Produkten des Geistes entschuldigen 7.

Die gierige Habsucht und der altdeutsche Biedersinn kämpften einen harten Kampf miteinander, und der Sieg war noch zweifelhaft, da der Altvater Martin sein Abenteuer zu erzählen begann. Dieses sonderbare Phänomenon reizte die Aufmerksamkeit des Anachoreten hinter dem Ofen, er gebot den streitenden Parteien Stillstand, und postierte Seele und Geist gerade hinter das Trommelfell seiner beiden Ohren, um die Geschichte genau zu vernehmen. Es fehlte ihm nicht ein Wort daran, und je weiter Vater Martin in der Erzählung fortrückte, desto interessanter wurde sie dem stillen Horcher. Bisher hatte die Neugierde nur seine Aufmerksamkeit gespannt; als aber Nachbar Blas mit der Theorie herausrückte, dem Schwarzspecht die Springwurzel, das unumgängliche Erfordernis der Schatzgräberei, abzulocken, glühete auf einmal seine ganze Phantasie. Er stund schon mit Leib und Seele, in der Einbildung, vor der kupfernen Truhe im Brocken, und säckelte Goldstücken ein. Mit Unwillen verwarf er jetzt die dürftige Malerproposition, seine Gewinnsucht labte sich an einem fettern Köder. Zwanzig Goldgülden würde er der Mühe kaum wert geschätzt [767] haben, sich darum zu bücken, wenn sie ihm vor den Füßen gelegen hätten. Das Harzpotosi und der Weindunst hatten ihn so begeistert, daß er den raschen Entschluß faßte, sein Heil auf dem Brocken zu versuchen. Der schwere irdene Kochtopf war gleichsam vergeistiget und in einen Aerostat verwandelt, der mit entzündbarer Luft gefüllt, hoch in den Lüften schwebte, sich's in diesem ungewohnten Element wohl sein ließ und Schlösser darin erbauete.

Die Wurzel alles Übels, Geldgeiz und Habsucht waren eigentlich seine Fehler nicht: so lange sein Wohlstand dauerte, ging ihm das Geld gar glatt durch die Hand; desto unbehäglicher war es ihm nachher, Dürftigkeit mit Gleichmut zu ertragen. Wenn er sich also goldne Berge wünschte oder träumte, so geschah es bloß darum, das von seiner Hausehre ihm aufgebürdete Eselsvikariat mit Anstand zu resignieren, keine Säcke mehr in die Mühle zu tragen, und das liebe Mädchen, seine Tochter, mit einer reichen Mitgift auszusteuern. Wiewohl es auch Zeiten gab, wo er sich hätte bereden lassen, nach Art der Tscheremissen, Zahlung für sie anzunehmen, und sie an den Meistbietenden zu verhandeln; doch das waren nur seine Teufelsaugenblicke. Ehe er sich von des Wirts oftbelobtem Polsterstuhle erhob, war der Reiseplan nach dem Harze, bis auf eine Kleinigkeit, die Zehrung betreffend, ausgedacht, und der nächste Sonntag zu dessen Ausführung anberaumet.

Meister Peter ging so leichten frohen Mutes nach Hause, als wenn er im Güldnen Lamme das kolchische güldne Vlies erobert hätte. Auf dem Heimwege aber störte der leidige Einfall, daß er noch nicht im Besitz der magischen Springwurzel sei, schon diese idealische Glückseligkeit, und da er sich zugleich besann, daß auf Egidi zwar der Hirsch auf die Brunft trete, aber nicht der Specht zu Neste trage: so war's auf einmal wieder so finster in seiner Seele, als wenn in einem Hochzeithause die Lichter ausgetan werden, und der Schmaus zu Ende ist. Er schlich sich ganz trübsinnig in seine Kammer, warf sich auf die harte Strohmatte, konnte aber weder ruhen noch rasten. Da war's, als wenn ihm eine innere Stimme das Sprüchlein zuflüstere, aufgeschoben sei drum [768] nicht aufgehoben. Flugs schlug er Licht an, spitzte eine Feder und brachte den ganzen Schatzprozeß, vom Anfang bis zu Ende, treulich zu Papiere, damit ihm kein Titel davon aus dem Gedächtnis entschwinden möchte. Und da es ihm so fein aus der Feder floß, und alles dastund, als ob er's vor Augen hätte, tauchte er die spröde Rinde seines Kummers wieder in den Honigtopf süßer Hoffnung ein, und tröstete sich damit, wenn er gleich noch einen Winter eseln müsse: so werde er doch die Wallfahrt des Lebens nicht auf dem traurigen Mühlenpfade enden.

Der Tag vertrieb die finstre Nacht, die muntere Hausfrau wurde bereits rege, orgelte bei der Revision ihrer Ökonomie das gewöhnliche Morgenlied aus gellender Kehle, und der niedliche Finger der arbeitsamen Lucine, fädelte den seidenen Faden schon wieder in die blanke Nadel ein, ehe der geschäftige Konzipient die Feder niederlegte. Das hastige Weib öffnete rasch die Kammertür, und fand den trauten Eheschatz in voller Arbeit. »Du Vollzapf!« war ihr Morgengruß, »hast du die liebe, lange Nacht wieder beim Saufgelag gesessen, und das Geld verpraßt, das du mir aus der Wirtschaft heimlich stiehlst? Ins Spital mit dir, du Trunkenbold!« Meister Peter, der dieser herzigen Salutation längst gewohnt war, ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen, und wartete, bis der Sturmwind ausgetobt hatte, dann sprach er mit gelaßnem Mute: »Liebes Weib, entrüste dich nicht, ich habe ein gutes Geschäfte vor, das wohl [769] nutzen und frommen mag.« »Du Lungerer«, schmähete sie, »du und ein gutes Geschäft! Ja du siehst mir darnach aus!« »Weib, laß dir sagen«, entgegnete er, ich mache mein Testament, so mein Stündlein kommt, weiß nicht wie oder wann, daß mein Haus bestellet sei.« Der frommen Lucine schnitt diese Rede, die ihr ganz unerwartet kam, durchs Herz, ihre blauen Augen, heiter wie der Morgen, überströmte ein milder Tränenregen und ihr Mund brach in lauter Lamenten aus. Sie meinte, der gute Vater habe eine böse Ahndung gehabt, die sein baldiges Hinscheiden ihm verkünde, und es fiel ihr dabei ein, daß ihr die vergangne Nacht geträumet hatte, sie sähe ein neues Grab. Hierzu kam, daß es ganz gegen seine Gewohnheit war, an die vier letzten Dinge, Tod und Begräbnis, Auferstehung und Gericht zu gedenken, wenn er Tages vorher zu Weine gewesen war. Mutter Ilse dagegen achtete auf keine Ahndungen, ihr felsenhartes Herz, wurde durch die Vorstellung des vermutbaren Verlustes ihres getreuen Ehekonsorten, im geringsten nicht zu einer sanften Empfindung bewegt, welche dieser, allem Anschein nach, durch den schlauen Vorwand einer Testamentsverfügung beabsichtet hatte. Vielmehr führte sie ihr Thema in ebenso rauhen Dissonanzen aus, als sie angehoben hatte. »Du Schlemmer!« sprach sie, »hast Hab und Gut vergeudet, und willst ein Testament machen? Was hast du denn zu vererben?« Er: »Meinen Leib, meine Seele, mein Weib und mein Kind.« Sie: »Ei da muß ich auch drum wissen! Wen hast du zum Erben eingesetzt?« Er: »Den Himmel und die Erde, das Liebfrauenkloster und die Hölle, jedem Part ist ein Legat vermacht.« Sie: »Und welches?« Er: »Mein Leib der Erde, meine Seele dem Himmel, mein Weib der Hölle, und mein Kind dem Kloster.« Anstatt der Antwort, sprang ihm das wütige Weib, wie eine wilde Katze, an den Hals, zerzauste dem freimütigen Testator den Krausbart, und war stark dran her, ihm die Augen auszukratzen, welche wohlmeinende Absicht doch ein kräftiger Bombenwurf seiner geballten Faust, in ihr knöchernes Angesicht, der ihr die ganze Physiognomie verschob, noch zum Glück verhinderte, wodurch der ehelichen Fehde sogleich ein Ende gemacht [770] wurde. Der häusliche Burgfriedebruch wurde, dem Herkommen nach, nicht weiter geahndet, und unter Verwendung der friedlichen Lucine, kam's bald zu einem gütlichen Austrag der Sache. Meister Peter wandelte wieder auf seinem Berufswege nach der Mühle, und alles ging den vorigen Gang.

Funfzigmal hatte er den Storch und die Schwalbe wieder zurückkehren sehen, ohne darauf acht zu haben, und gar oft hatte er am grünen Donnerstage, aus Brunnkreß und acht andern Kräutern, seinen Kunden ein Gemüse als das Neue vom Jahre aufgetragen, ohne selbst davon zu kosten. Aber den magergeschmälzten Kohl, womit ihn seine frugale Speisewirtin, im nächsten Lenz zum erstenmal beköstigte, hätte er nicht um die Martinsgans vertauscht, und als er der ersten Schwalbe ansichtig wurde, feierte er ihre glückliche Wiederkunft mit einem Schoppen Wein im Güldnen Lamme. Außerdem sparte er jede geheime Rente von der fleißigen Hand der Tochter, um davon Kundschafter zu besolden, die ihm das Nest eines Schwarzspechts ausspüren sollten. Er wählte dazu einige müßige Gassenbuben, und schickte sie aus in Wälder und Felder. Die mutwilligen Knaben trieben jedoch nur ihr Gespött mit ihm, führten den Gecken in April, jagten ihn meilenweit über Berg und Tal, und an Ort und Stelle fand er Rabenbrut oder ein Gehecke Eichhörnchen in einem hohlen Baume. Wenn er darüber ungehalten war, lachten sie ihm ins Gesicht und liefen davon. Einer seiner Spionen, der kein Schalk war, witterte doch in dem Wiesengrunde an der Tauber, einsmals einen [771] Schwarzspecht aus, der auf einem halberstorbenen Erlenbaum genistet hatte, kam außer Atem und verkündigte seinen Fund. Der unbelehrte Naturforscher ging eilig hinaus, zu untersuchen, was an der Sache sei. Sein Kundschafter führte ihn zu dem Baum, er sahe auch einen Vogel ab- und zufliegen, der daselbst sein Nest zu haben schien; aber weil der Specht nicht zu dem Geflügel gehört, dessen die Küchendynastie sich bemächtiget hat; auch weder so gesellig ist als der Spatz und die Schwalbe, noch so häufig als der Rabe und seine Gefreundin die Dohle gefunden wird, so zweifelte er, ob sein Gewährsmann ihn auch recht berichtet habe: denn er hatte einen Schwarzspecht so wenig mit Augen gesehen als den Vogel Phönix. Zum Glück zog ein Jäger vorüber, der den Zweifelsknoten lösete und den Ausspruch tat, wie der Frager wünschte, auch die ganze Naturgeschichte des Vogels ungebeten abhandelte, ob er gleich von der vorzüglichsten Eigenschaft desselben keine Kundschaft zu haben schien.

Der geheimnisvolle Planmacher freuete sich in der Seele über die gemachte Entdeckung, ging tagtäglich die Runde nach dem Baume, und las sein angeblich Testament so fleißig als sein Gebetbuch. Als es ihn gerechte Zeit zu sein bedünkte, sein Vorhaben ins Werk zu richten, tat er sich nach einem roten Mantel um. Es war aber in der ganzen Stadt nicht mehr als ein einziges Exemplar vorhanden, und das befand sich in der Garderobe eines Mannes, den man ungern um eine Gefälligkeit anspricht: der Besitzer davon war Meister Hämmerling, der Scharfrichter. Es kostete viel Überwindung, ehe sich der wohlachtbare Reichsbürger entschließen konnte, seine Reputation auf ein so mißliches Spiel zu setzen, wobei er Gefahr lief, daß ihm, wenn die Sache auskäm, keiner seiner Zechbrüder im Güldnen Lamm mehr Bescheid tun würde; indessen sah er sich doch gezwungen, in den sauern Apfel zu beißen. Er brachte sein Wort bei dem Freund Rotmantel an, und dieser fand sich auf gewisse Art geehrt dadurch, daß ein rechtlicher Mann sich seiner Amtskleidung bedienen wollte, und gewährte ihm gern und willig seine Bitte. Mit diesem nötigen Apparatus versehen, [772] machte sich der Wurzelsucher auf, laut Instruktion, die Prozedur aufs pünktlichste zu beginnen. Er verspündete das Nest, und alles erfolgte, wie Nachbar Blas angegeben hatte. Als der Specht mit der Wurzel im Schnabel angeflogen kam, wischte Meister Peter hurtig hinter dem Baum hervor, und machte sein Manöver so gut und behend, daß dem Vogel über den Anblick des feuerroten Mantels, vor Schrecken die Wurzel samt einer Beilage entfiel, wodurch der gute Mann leicht hätte um sein Gesicht kommen können, wie der Altvater Tobias. Die Jägerkunst war glücklich gelungen, und die magische Wurzel, als der Kapitalschlüssel zu allen verschlossenen Türen erlangt, welches den Besitzer in unbeschreibliche Wonne versetzte. Er unterließ nicht, sie in eine ganze Reisigwelle von Kreuzdornholz einzuschließen und wanderte damit so vergnügt, als wenn er schon den Schatz gehoben hätte, nach Hause.

Natürlicherweise war nun seines Bleibens nicht länger in seiner Vaterstadt, all sein Dichten und Denken war auf den Brocken gerichtet, darum machte er schleunige Anstalten, in aller Stille zu dekampieren. Seine Reisebedürfnisse waren sehr mäßig, sie bestanden in nichts weiter als in einem handfesten Wanderstabe und einem dichten Wadsack, zu dessen Akquisition, unter einem andern Vorwande, die Sparbüchse der gefälligen Lucine ihm willigen Vorschuß leistete. Glücklicherweise fügte sich's, daß an dem zur Emigration bestimmten Tage, Mutter und Tochter zu den Urselinerinnen [773] gegangen waren, wo eine Nonne eingekleidet wurde. Vater Peter nahm dieser guten Gelegenheit wahr, von der Schildwache zu desertieren: denn ihm war die Hut des Hauses, währender Abwesenheit der weiblichen Inquilinen anbefohlen.

Als er eben im Begriff war, die Penaten zu gesegnen, fiel ihm ein, daß es nicht undienlich sein möchte, einige Vorübungen mit der Springwurzel zu versuchen, um sich augenscheinlich von der angepriesenen Wirksamkeit derselben zu überführen. Mutter Ilse hatte ein in die Wand ihrer Kammer eingemauertes Schränkchen, worinnen sie unter sieben Schlössern, als eine kluge Wirtschafterin, ihr Spargut auf den Notfall nebst dem Patengelde ihrer einzigen Leibeserbin verwahrte, die Schlüssel dazu trug sie, wie ein Amulett, stets mit sich herum. In dem häuslichen Finanzkollegium hatte Vater Peter weder Sitz noch Stimme, folglich waren ihm diese arcana domus völlig unbekannt, ihm ahndete nur so etwas von einem hier verborgenen Schatze: denn wenn ihm der Schrank in die Augen fiel, schlug ihm das Herz gleich einer Wünschelrute, und dieses Herzklopfen hielt er immer für ein untrügliches Zeichen, daß Geld oder Geldeswert in der Nähe sei. Jetzt kam's auf ein Experiment an, zu erfahren, ob sein Wünschelrutengefühl probat sei oder nicht. Er zog gar säuberlich die Wurzel hervor und berührte damit die Schranktür. Zu seinem Erstaunen haspelten sich alsbald die sieben Schlösser auf, die Tür krachte und öffnete sich mit Geräusch. Da funkelte ihm der Mammon der sparsamen Hausfrau, nebst dem Patenpfennig der frommen Lucine in die Augen. Er wußte nicht, ob er sich mehr über die Wirksamkeit der magischen Wurzel, oder über den gefundenen Schatz freuen sollte, und stand voll Verwunderung da, wie ein stummer Ölgötz. Endlich dachte er an seinen Schätzgräberberuf, und an die vorhabende Wanderschaft, darum eignete er sich den Fund als ein Viatikum zu. Nachdem er den Schrank rein ausgeleert hatte, schloß er, wie Nikol List, der Dieb der goldnen Tafel in Lüneburg, die Schlösser insgesamt gar bedächtlich wieder ab, und zog frohen Mutes unverweilt nach wohlverwahrter Haustür, seiner Straße.

[774] Die andächtigen Weiblein, die mit großer Inbrunst dem klösterlichen Gepränge beigewohnt hatten, wunderten sich baß, daß sie das Haus verschlossen und den Hüter desselben nicht auf seinem Posten fanden, sie schelleten, sie pochten, sie riefen: »Vater Peter tu auf!« Es regte und rührte sich nichts von innen, als das zutätige Hausvieh, die miaulende Katze. In Ermanglung der wirksamen Wurzel, wurde der Schlosser mit seinem Bund Dieterichen herbeigerufen, das Haus zu eröffnen. Während der Zeit hatte Mutter Ilse eine gar emphatische Predigt ausgedacht, in welcher die Epanorthosis nicht gesparet war, die sie dem faulen Heinz, der ihrer Meinung nach der Ruhe pflegte, zu halten vorhatte, denn sie sprach: »Baal schläft!« Das ganze Haus wurde vom Söller bis zum Keller durchsucht; aber Baal war nicht zu finden. Wer weiß, dachte sie, wo das Ungetüm in einem Weinhause schon am frühen Morgen schwelgt. Urplötzlich durch diesen Gedanken aufgeschreckt, fühlte sie mit der Hand in die Tasche nach dem Schlüsselbund: denn sie argwohnte, das Amulett sei von ihr nicht in Obacht genommen und der Schatz von dem durstigen Ehekonsorten spoliiert worden. Aber das Schlüsselbund fand sich an Ort und Stelle, und der Schrank machte die ruhigste unbefangenste Miene von der Welt, daß sie nichts Arges vermutete.

Es wurde Mittag, hernach Abend, und endlich Mitternacht: Vater Peter kam nicht zum Vorschein. Nun wurde die Sache bedenklich, Mutter und Tochter konsultierten ernstlich über Ursache und Zweck dieser sonderbaren Verschwindung. Es kamen seltsame Vermutungen auf die Bahn, und da die schauervolle Mitternachtstunde leichter mit traurigen und schwermütigen als mit heitern und fröhlichen Ideen sich paaret; auch Mutter Ilse wohl wußte, daß sie für ihren Mann ein wahres Plagholz war: so brannte sie diese Gewissensrüge, wie Feuer auf der Seele, und gebar die schwärzesten Vorstellungen. »Ach«, rief sie mit Händeringen aus, »daß es Gott im Himmel erbarme! Lucine, es ahndet mir, dein Vater hat sich ein Leids getan!« Das sorgsame Mädchen, der gleichwohl ein solcher schreckbarer Gedanke noch nicht eingefallen war, erbebte vor Entsetzen, [775] tat einen hellen Schrei, alle ihre Sinnen umnebelten sich, und sie sank ohnmächtig dahin. Die resolute Hausmutter säumete indessen nicht, mittelst eines brennenden Schwefelfadens ihre erstorbenen Lebensgeister wieder aufzuwecken. Aber nachdem sie sich erholet hatte, schrie sie Ach und Wehe! über das vermutbare Unglück, schluchzete und jammerte bis zum Anbruch des Tages.

Alle Winkel des Hauses wurden nochmals durchsucht, jeder Nagel an der Wand und jeder Balken beschauet; jedoch wurde Meister Peter zum Glück an keinem gefunden, und daraus ergab sich denn doch so viel, daß er sich weder erhenkt noch entgurgelt hatte. Drauf wurden Leute mit [776] Störstangen ausgeschickt, die alle Tiefen und Timpfel, längs der Tauber, untersuchen mußten; allein auch diese Mühe war fruchtlos. Mutter Ilse war schnellen Sinnes, flugs war bei ihr Feuer im Dache, das auch bald wieder verlöschte, daher beruhigte sie sich leicht über den Verlust des abhanden gekommenen Ehekompans, und war zufrieden, daß er sich nur mit Leib und Seele zugleich aus der Welt gestohlen, und ihr die Schmach erspart hatte, seinen Leichnam durch Meister Hämmerlings Hausgesinde zur Erde bestatten zu lassen. Nun war sie mit Ernst darauf bedacht, seinen vakanten Platz in der Wirtschaft durch einen rüstigen Esel zu ersetzen, sie traf eine gute Wahl, und wurde mit dem Eigentümer des lastbaren Tieres über den Preis desselben einig, beschied ihn des folgenden Tages zu sich, um für den Sukzessor des trauten Ehekonsorten gute Zahlung zu leisten. Sobald sie aus dem Bette fuhr, war ihre erste Sorge, die Kaufsumme zu berichtigen. Sie öffnete die sieben Schlösser des Wandschrankes, ein Darlehen aus dem Schatzgelde zu diesem Behuf zu erborgen. Ach wie wurde ihr zu Sinne, als sie alle Fächer leer und ledig fand! Einige Augenblicke stund sie in stiller Betäubung; bald aber ging ihr ein Licht auf, und sie geriet in eine solche Wut über den entlaufnen Hausdieb, daß sie wie Madame la Motte, als diese die Lossprechung des Kardinals vernahm, vor großem Grimm das Nachtgeschirr sich vor der Stirn entzwei schlug, und sich mit den Scherben die Haut verletzte. Sie erhob dabei ihre Stimme mit so greulichen Verwünschungen, daß die schöne Lucine voller Bestürzung herbeieilte, zu sehen, welches Unglück sich begeben habe. Als ihr nun die Mutter der Länge nach die gemachte Entdeckung mitteilte, auch ihr unverhalten ließ, daß der Patenpfennig zugleich mit verschwunden sei, freuete sich die fromme Tochter mehr über den Verlust, als daß sie sich darüber betrübt hätte: sie war nun augenscheinlich überzeugt, daß der liebe Vater sich kein Leids getan habe, sondern in die Welt gegangen sei, sein Glück anderwärts zu versuchen.

Ungefähr einen Monat nach dieser häuslichen Katastrophe schellte jemand an der Tür, Mutter Ilse ging hinaus [777] aufzutun, in der Meinung, es sei eine Mehlkundschaft. Da trat herein ein stattlicher junger Mann, von feinem Ansehen, wohlgekleidet als ein Junker, bezeigte ihr große Reverenz, freuete sich ihres guten Wohlseins, frug nach der schönen Lucine und tat ganz bekannt, ob sich das Weib gleich nicht besann, ihn jemals mit Augen gesehen zu haben. Die Nachfrage nach der Tochter belehrte die Mutter zwar bald, daß der Besuch ihr nicht eigentlich gelte, doch hieß sie den Unbekannten in die Stube treten, rückte ihm einen Schemmel, und frug nach seinem Gewerbe. Der Fremdling nahm eine etwas geheimnisvolle Miene an, und begehrte die kunstreiche Nähterin zu sprechen, von der so viel Rühmens gemacht werde, er habe eine Bestellung an sie. Mutter Ilse hatte ihre eignen Gedanken darüber, was das für eine Bestellung sein möchte, die ein junger Passagier, der in der Stadt fremd war, an ein hübsches Mädchen auszurichten habe. Da indessen alles in ihrer Gegenwart verabhandelt werden sollte, hatte sie nichts dagegen und rief die fleißige Tochter, welche auf das mütterliche Geheiß den Nährahmen verließ und herabkam. Die sittsame Lucine errötete, da sie des Fremden ansichtig wurde, und schlug beschämt die Augen nieder. Er faßte traulich ihre Hand, welche sie zurückzog, blickte sie mit innigster Zärtlichkeit an, wodurch sie noch in größere Verlegenheit kam; wollte reden, sie schien ihn nicht anhören zu wollen, sondern brach das Stillschweigen zuerst mit diesen Worten: »Ach Friedlin, wo kommst du hierher? Ich dachte, du wärest hundert Meilen weit von mir. Du kennst meine Gesinnung und kommst mich von neuem zu quälen!« »Nein, liebes Mädchen«, antwortete er, »ich komme dein und mein Glück zu vollenden. Mein Schicksal hat sich geändert. Ich bin nicht mehr der arme Kunz, der ich vormals war: es ist mir ein reicher Vetter gestorben, ich bin Erbe seines Vermögens und habe Geld und Gut vollauf, darf mich nun ohne Scheu vor deiner Mutter sehen lassen. Daß ich dich liebe, das weiß ich, daß du mich liebest, das hoff ich; das erste ist wahr, drum warb ich um dich; ist das andre wahr, so freist du mich.«

Die blauen Augen der schönen Lucine heiterten sich [778] während dieser Rede auf, und bei den letzten Worten verzog sich ihr kleiner Mund zu einem sanften Lächeln; sie warf einen verstohlnen Blick auf die Mutter, gleichsam ihre Gesinnung zu erforschen, die in wunderbare Betrachtungen vertieft schien. Es war ihr unbegreiflich, wie die sittsame Dirne einen Liebeshandel, ohne daß sie Notiz davon erhielt, habe anspinnen können. Sie kam nie aus dem Hause, als von der Mutter vergesellschaftet und im Hause hatte sich, außer dem Vater, nie eine männliche Gestalt blicken lassen. Mutter Ilse hätte einen körperlichen Eid darauf getan, daß es ein Mädchenspäher künstlicher würde anstellen müssen, sich in das Herz ihrer Tochter zu stehlen, als eine Linse durch ein Nadelöhr zu werfen; gleichwohl bewies die Tatsache, daß der schlaue Friedlin die mütterliche Wachsamkeit beschlichen und dem unbefangenen jungfräulichen Herzen die Liebe eingeimpft habe. Die große Lehre aus dieser Erfahrung war diese, daß das Herz einer schönen Tochter, unter der Hut und Wacht der Mutter, für Dieberei so wenig gesichert sei, als ein Sparpfennig unter sieben Schlössern.

Ehe sie noch mit ihren Glossen über diese geheime Intrike zu Ende war, legitimierte der rasche Freiwerber sein Gewerbe auf eine sehr gültige Weise, durch Aufzählung eines ganzen Tisches voll Goldstücken, welche auf der schwarzen Schiefertafel, einen solchen Glanz der Mutter ins Gesichte strahlten, daß sie nicht umhin konnte, ein Auge über den verborgenen Liebeshandel zuzudrücken, von dem sie ohnehin vermutete, daß er in aller Zucht und Ehrbarkeit sei betrieben worden. Die schlaue Lucine hatte bisher immer einen kräftigen Exorzismus der strengen Domina gefürchtet, welcher den lieben Getreuen aus dem Hause bannen würde: im Grunde liebte sie ihn so herzig und inbrünstig, wie die zärtliche Psyche den Amor, denn es war ihre erste Liebe. Doch diese Sorge war dasmal überflüssig: das stürmische Weib war so fromm wie ein Lamm, sie hegte den gesunden Grundsatz, daß man mit reifen Töchtern nicht lange Markt halten, sondern sie um ein leidliches Gebot losschlagen müsse, überdas sei der erste Käufer auch insgemein der beste. Sie hatte daher ihre mütterliche Einwilligung [779] schon in Gedanken zurechte gelegt, damit sie gleich beihanden wäre, wenn der reiche Freier sie darum ansprechen würde.

Sobald er sein Geld aufgezählt hatte, brachte er sein Wort in bester Form Rechtens bei der harrenden Mutter an, und es war bei ihr alles Ja und Amen. Das Heuratsnegoz kam rascher zustande, als der Handelstraktat über das getreue Hausvieh, den Esel. Der deklarierte Bräutigam strich hierauf die Hälfte der Schaumünzen in den Hut und schüttete sie der Braut in die Schürze, zum Mahlschatz; mit der andern überströmte er, als mit einem goldnen Regen, das dürre Land der mütterlichen Habsucht, um davon die Hochzeit auszurichten. Nachher bat er seine Geliebte um eine geheime Audienz, welche ihm nun als ein legales Tête-à-tête unweigerlich zugestanden wurde. Die reizende Lucine kam [780] mit der heitersten Miene nach Verlauf einer Stunde wieder zum Vorschein, und belohnte den aufrichtigen Friedlin für die Auflösung manches Zweifelsknoten, in Ansehung seiner Glücksveränderung, mit dem ersten sanften Kusse von ihrem Rosenmunde. Die geschäftige Mutter hatte indessen vor allererst ihren Reichtum in Sicherheit gebracht, und solchen weil sie nicht Zeit hatte, ihn an einen heimlichen Ort im Keller zu vergraben, dem ungetreuen Wandschrank vorderhand wieder anvertrauet, hierauf das ganze Haus geschmückt und mit Besemen gekehret; auch ließ sie durch eine dienstfertige Nachbarin Küche und Keller wohl bestellen, und schlug in einer ledigen Kammer ein herrliches Gastbett für den neuen Eidam auf, welcher ihrer Meinung nach, allzulange zögerte, seiner Geliebten gute Nacht zu sagen und die Federn zu suchen.

Die Neugierde, zu erfahren, wes Standes und Herkommens der Fremdling sei, wie sich die erste Bekanntschaft mit ihm ergeben, wie das geheimnisvolle Minnespiel der Liebenden angehoben habe, und durch welche List ihre Argusaugen wären geblendet worden, setzte die Lebensgeister der lauersamen Mutter in so ungewohnte Bewegung, daß ihr kein Schlaf in die Augen kam, ob sie sonst gleich mit den Hühnern aufzufliegen pflegte, und dabei oft das Sprüchlein anzog: Morgenstunde hat Gold im Munde. Der verschwiegnen Lucine stund in der Mitternachtsstunde noch ein scharfes Examen bevor; aber sie hatte entweder gute Ursachen nicht auszubeichten, oder ihre gesprächige Laune war mit dem trauten Herzgespiel bereits zur Ruhe gegangen. Da Mutter Ilse mit dem artikulierten Verhör herausrückte, rundete sich der kleine Mund der lieblichen Dirne zum Jähnen, sie rieb sich die Augen und vermeldete die Ankunft des Sandmännchens, hatte nicht Lust Rede zu stehen und sprach etwas schlaftrunken: »Liebe Mutter, das alles steht Euch bevor, der Länge nach zu erfahren, nur gönnt mir jetzt die Ruhe, deren ich benötigt bin, daß morgen meine Wangen nicht erbleichen, wenn der junge Gesell seinen Kauf bei frühem Tage besieht.« Mit dieser Ausflucht mußte sich die weibliche Neugier begnügen, und war wider [781] Gewohnheit so bescheiden, die Decke des Geheimnisses nicht weiter zu betasten.

Es gab nun vielen Wirrwarr im Hause: die Zurüstungen zur Hochzeit wurden mit großem Eifer betrieben. Das Gerücht von Lucines Heurat lief wie ein Steppenfeuer in der Stadt umher und war die Neuigkeit des Tages. Wo sich der stattliche Freier auf der Straße blicken ließ, da fuhr alles an die Fenster, auch blieben die Leute an den Eckhäusern und auf den Kreuzwegen stehen, gafften ihm nach, und beredeten die Freierei. Einige gönnten der wackern Dirne ihr Glück, andere neideten sie deshalb, und obwohl Friedlin ein schöner Mann war, der in ganz Rotenburg seinesgleichen suchte, auch sich dabei herrlich kleidete und trug: so fand die Eifersucht der Stadtdirnen doch bald dies bald das an ihm zu meistern: der einen war er zu lang, der andern zu schlank, der dritten zu rund, der vierten zu bunt. Einige nenneten ihn einen Prahler, andere einen Luftling, hofften zu ihrem Troste, die Freude werde nicht lange dauren, verglichen ihn einem Zugvogel, der nur kömmt im Lande zu nisten und wieder davonfleugt. Indessen mußte Nachbar Neidhart doch eingestehen, daß der fremde Zugvogel fleißig zu Neste trüge. Eins Tages kam ein Nürnberger Fuhrmann, mit einem schwerbeladenen Frachtwagen vors Haus gefahren, der schrotete Kisten und Kasten hinein. Mutter Ilse säumte nicht mit Meißel und Hammer sie zu öffnen, erstaunte über den reichen Segen ihres zukünftigen Tochtermanns, und pries den angeblichen Erblasser desselben einmal über das andere selig.

Der Hochzeittag war anberaumt und die halbe Stadt dazu eingeladen, die Ausrichtung geschahe im Wirtshaus zum Goldnen Lamm: das Wohnhaus hatte nicht Raum alle Gäste zu fassen. Da die Braut den Kranz aufschmückte, sprach sie zur Mutter: »Dieser Kranz würde traun! am Ehrentage mir behagen, wenn Vater Peter mich zur Kirche führte. Ach wär er doch wieder da! Wir haben Gottes Segen vollauf, und er nagt wohl am Hungertuche.« Dieser Gedanke fiel ihr so schwer aufs Herz, daß sie darüber anhob zu weinen und zu jammern. Aus Sympathie, oder weil die alte [782] Liebe bei erneuertem Wohlstand in dem mütterlichen Herzen wieder anfing zu vegetieren, stimmte die Hochzeitmutter mit ein und sprach: »Ich wär's wohl zufrieden, daß er wieder käm, möcht ihn doch der Eidam zu Tode füttern. 's ist immer, als wenn was im Hause fehlte, seitdem der Vater nicht da ist.« Daran sagte sie auch keine Unwahrheit: im Grunde fehlte in ihrem Feuerzeug der Stein, woraus ihr stählerner Sinn den Funken hervorsprühen ließ, durch welchen der Zunder der Zwietracht entzündet wurde. Seit [783] seiner Auswanderung war, zu ihrem größten Leidwesen, beständiger Friede im Hause, und ihre Gallenblase bedurfte doch zuweilen einer Ausleerung.

Was geschah? Am Polterabend vor der Hochzeit, karrete ein Mann mit einem Schubkarren zum Tore herein, verzollete ein Faß Brettnagel, die er dem Beschauer vorzeigte, fuhr mit seiner Ladung geradesweges vors Hochzeithaus und pochte an die Tür. Die Braut schob das Lid im Fenster auf, zu sehen wer da sei: da war's Vater Peter. Darüber entstund großer Jubel im Hause, die hocherfreute Lucine sprang über Tisch und Bank ihm entgegen, und umhalsete ihn zuerst, hernach bot ihm Mutter Ilse die Hand, und verzieh ihm den verübten Diebsgriff in ihr Schatzgeld, mit den Worten: »Schelm beßre dich!« Endlich bewillkommete ihn auch Friedlin der Bräutigam, und Mutter und Tochter waren zugleich die Dolmetscherinnen aller seiner Freiermeriten: [784] denn Vater Peter faßte den wildfremden Mann scharf ins Auge, und schien über ihn allerlei Glossen zu machen. Jedoch da er berichtet wurde, wie dieser Fremdling die Gerechtsame der Hausgenossenschaft sich erworben habe, war er wohl mit dem zukünftigen Eidam zufrieden, und tat so vertraut, als wenn er schon lange mit ihm bekannt gewesen wäre. Nachdem Mutter Ilse dem wiedergefundenen Ehemann etwas zum Imbiß aufgetragen hatte, war sie begierig seine Abenteuer zu vernehmen und forschte mit Fleiß, wie es ihm in der Fremde ergangen sei. »Gott segne mir meine Vaterstadt!« sprach er, »ich bin das Land durchzogen, hab allerlei Gewerbe versucht, und zuletzt einen Eisenhandel getrieben; aber dabei mehr zugesetzt als gewonnen. All mein Reichtum besteht in diesem Fäßlein Brettnagel, die ich den Brautleuten zum Hausrat in die Wirtschaft zu steuren gedenke.« Mutter Ilse hatte nun ihren Feuerstein wieder, und ihre Suada sprühete von neuem helle Funken von Vorwürfen und Schmähungen, daß dem Kleeblatt der Zuhörer davon die Ohren gelleten, bis sich Friedlin ins Mittel schlug und versprach, den Schwiegervater aus der Erbschaftsmasse zu alimentieren, und ihn ehrlich zu halten.

Die fromme Lucine erreichte den Wunsch, daß sie Vater Peter folgenden Tages in die Kirche führte, herausgeputzt wie eine Magistratsperson, wenn der neue Rat aufgeführet wird. Die Hochzeit des glücklichen Paares wurde mit großem Gepränge vollzogen. Bald nachher richteten die jungen Leute ihre eigne Wirtschaft an, Friedlin hatte das Bürgerrecht gewonnen, bezog sein neues Haus am Markte neben der Apotheke, kaufte dazu einen Weinberg und Garten, auch Ackerfeld, samt Wiesen und Weihern, und trieb bürgerliche Nahrung als ein wohlhabender Mann. Vater Peter aber hatte sich in Ruhe gesetzt, zehrte, wie die ganze Stadt glaubte, von dem Segen des reichen Schwiegersohnes, und niemand vermutete, daß sein Nägelmagazin das eigentliche Füllhorn sei, aus welchem das Öl des Überflusses träufe.

Er hatte die Wallfahrt nach dem Blocksberg, ohne daß eine lebendige Seele etwas darum wußte, glücklich vollendet, zwar nicht mit der Eile, wie die löbliche Innung der [785] Druden, in der Walpurgisnacht auf der Besenpost; aber mit mehrerer Muße und Bequemlichkeit. In jedem Wirtshaus, zwischen dem Fichtelberg und Brocken in gerader Linie gelegen, kehrte er ein und hielt Kellerrevision, befand sich mehr unter als über der Erde auf dieser Ausflucht über die fränkische Grenze, und fuhr nicht eher ganz nüchtern wieder zu Tage aus, bis er in blauer Ferne das Harzgebürge vor Augen hatte. Nun fand er mancherlei Schwürigkeiten vor sich, wozu er des freien und ungehinderten Gebrauchs aller obern und untern Fähigkeiten der Seele benötiget war. Darum legte er sich ein strenges Fasten in Speise und Trank auf.

Solange er den Brocken noch nicht erreicht hatte, diente ihm seine Nase zum Reisekompaß, und er ging dieser getreulich nach; aber nun befand er sich gleichsam unter einer Polhöhe, wo diese Magnetnadel keine Direktion mehr anzeigte. Er durchkreuzte den Brocken hin und her, niemand konnte ihm das Morgenbrodstal nachweisen. Zufälligerweise kam er dennoch auf die rechte Spur, fand den Andreasberg, witterte das Flüßchen aus, die Eder genannt, aus welchem er einen frischen Trunk schöpfte, der ihn mehr begeisterte, als die Dichter ein idealischer Labetrunk aus der Hippokrene; entdeckte das Grab, und war so glücklich, die Streitfrage des Wirtes zum Goldnen Lamme zu lösen. Er ging wirklich in den Berg, die Springwurzel leistete ihre guten Dienste; er fand den Schatz und belastete seinen Wadsack mit so vielem Golde, als er zu tragen vermochte, welche Summe er für seine Bedürfnisse auf Lebenszeit, und zur Aussteuer der schönen Lucine, hinreichend fand. Obgleich die goldne Bürde, welche er jetzt zu Tage zu fördern bemühet war, seine Schulter so sehr drückte als ehedem ein schwerer Mehlsack: so wurde ihm doch der Weg, die zweiundsiebenzig steinern Stufen herauf, lange nicht so sauer und beschwerlich, als der zur Mühle. Er war jetzt so reich wie Anton Thevenet, der mit seiner Bande den berüchtigten großen Diebstahl an dem Wechsler Fingerlin zu Lyon beging.

Da er auf dem Rückwege wieder das Tageslicht erblickte, war ihm zu Mute, wie einem dem Schiffbruch Entronnenen, der lange mit den Schrecken des Todes in den Wogen gekämpft [786] hat, nun unter seinen Füßen festen Grund und Boden fühlt und den Strand freudig hinaufklimmt. Bei aller verheißenen Sicherheit, trauete er, während der unterirdischen Expedition, dem Berggeist nicht allerdings, fürchtete, der schauervolle Schatzhüter werde ihm in wilder Mannsgestalt erscheinen, ihm ein tödliches Schrecken einjagen, oder die reiche Beute wieder abnehmen. Die Haut schauerte ihm, und alle Haare stunden ihm zu Berge, da er die steinerne Treppe hinabstieg. Er hielt sich auch so wenig mit Betrachtung des Schatzgewölbes auf, daß er sich nachher nicht einmal zu erinnern wußte, ob die Wände und Pfeiler von Gold und Juwelen geflimmert und gefunkelt hatten. Alle seine Gedanken waren nur auf die kupferne Truhe gerichtet, aus welcher er, so behend als möglich, volle Ladung einnahm. Inzwischen lief alles nach Wunsch ab, es ließ sich kein Berggeist hören noch sehen; nur die eiserne Tür tat sich, sobald er den Fuß aus dem Gewölbe herausgesetzt hatte, mit großem Ungestüm wieder zu. In der Eil hatte der scheue Schatzsucher die köstliche Springwurzel, die er beim Einraffen des Goldes aus der Hand gelegt, mit sich herauszunehmen vergessen, wodurch ihm der zweite Transport unmöglich gemacht wurde, welches jedoch der begnügsame Mann, der so viel Reichtum in gediegenem Golde besaß, als er fortbringen konnte – und wir wissen, daß er ein bengelhafter Lastträger war – eben nicht sehr zu Herzen nahm.

Nachdem er alles getreulich, laut Instruktion des Altvaters Martin, ausgerichtet, und das scheinbare Grab wieder zugeworfen hatte, zog er in reifliche Überlegung, wie er das erhobene Schatzkapital in Sicherheit bringen und davon in seiner Vaterstadt, nach Herzensgelüsten, ohne großes Aufsehen und Maulgesperre leben und zehren könnte. Auch lag ihm sehr daran, daß sein böses Weib daheim, nichts von der Beerbung des alten Harzköniges wittern möchte: denn er befürchtete, daß sie ihn so lange auf der ehelichen Folter quälen würde, bis er ihr sein Hab und Gut ausgesäckelt hätte. Sie sollte, seiner Absicht nach, zwar den Genuß davon haben, und aus dem wohltätigen Bächlein ihren Durst löschen: aber die Quelle davon nie ausspähen. Der erste [787] Punkt war leicht in Richtigkeit gebracht; allein der andere kostete großes Kopfbrechen, ohne daß Meister Peter damit etwas endete. Er trug seinen Mammon wohl eingepackt und feste geschnürt ins nächste Dorf, das ihm aufstieß, kaufte dort beim Rademacher einen Schubkarren, und beim Faßbinder ließ er sich eine Tonne mit doppeltem Boden zurichten, fuhr damit auf den nächsten Eisenhammer, füllte sie oben und unten mit Brettnageln, und in die Mitte verbarg er gar schlau den Schatz. Mit dieser Ladung machte er sich allgemachsam auf den Heimweg, hielt, weil er eben keine Eile hatte, bei jedem Krug an, und ließ auftragen das Beste was der Wirt hatte.

Als er von der Kästenzeche den Berg hinein nach Ellrich fuhr, in das wohlbekannte Städtlein, obwohl damals Amarant und Nanntchen noch nicht daselbst hauseten, gesellete sich ein junger Mann zu ihm, von feinem Ansehen, dem aber tiefer Kummer auf dem Gesichte saß. Vater Peter, dem's gar wohl und leicht ums Herz, und der eben gesprächiger Laune war, redete ihn an: »Junger Gesell, wo hinaus?« Er antwortete gar trübsinnig: »In die weite Welt, guter Vater, oder aus der Welt, wohin mich meine Füße tragen.« »Warum aus der Welt?« sprach Meister Peter, »was hat dir die Welt zuleide getan?« Der Wandersmann: »Sie hat mir nichts zuleide getan, ich ihr auch nichts, dennoch steht mir's darin nicht länger an.« Der jovialische Karrenschieber, der, wenn's ihm wohl war, jedermann gern froh und heiter um sich sah, tat sein Bestes, den Kopfhänger aufzumuntern, und weil seine Wohlredenheit nichts über ihn vermochte, vermutete er, die böse Laune möchte wohl unterm Zwerchfell im Ösophagus ihren Sitz haben. Darum lud er ihn zum Abendessen im Wirtshaus ein, und versprach ihn zechfrei zu halten, welches der mißmütige Gefährte nicht ausschlug. Es war an demselben Abend ein fröhliches Gelag daselbst, wobei viel Scherz und Kurzweil getrieben wurde. Meister Peter war recht in seinem Elemente und wurde so aufgeräumt, daß er auf eigne Kosten, für die ganze Gesellschaft einschenken ließ. Da gab's Schnacken, Schnurren und Charakterzüge, so bunt und kraus, als [788] die gedruckten nur immer sein mögen, und in der Schenke nehmen sie sich vortrefflich aus! Der Murrkopf allein fand keinen Geschmack daran, saß in einem Winkel, sahe vor sich auf die Erde, aß kaum drei Mundbissen und kredenzte den Freudenbecher nur ein wenig mit den Lippen.

Da Meister Peter wahrnahm, daß dem milzsüchtigen Gaste auch auf diese Weise nicht beizukommen war, vermutete er, daß sein Kummer tiefe Wurzeln in dem Herzen müsse geschlagen haben, ließ in einer Kammer eine gute Streu zubereiten, und nahm sich vor, den folgenden Tag [789] seinen Gast auszuforschen: denn er wähnte ein sonderbares Abenteuer, und war begierig es zu vernehmen. Der schöne Sommermorgen lockte ihn in die Laube des Hausgartens, er bestellte das Frühstück dahin, und sobald der Grillenfänger wach war, berief er ihn heraus ins Freie, saß bei ihm in der Laube, munterte ihn auf und sprach: »Lustig Gesell! laß deinen Kummer schwinden, und sei gutes Mutes. Sieh da! nach einer trüben Nacht läßt sich's doch zu einem heitern Tage an. Was bangt und quälet dich? Sag an!« »Was kann's helfen, guter Vater«, antwortete gar trübselig der Jüngling, »ob ich dir mein Herz offenbaren wollte, du hast doch weder Rat noch Trost für mich.« »Wer weiß«, versetzte Meister Peter, »ob ich dir nicht helfen kann; singt nicht die christliche Gemeine: Oft kommt der Trost aus Winkeln her, wo man ihn nicht vermutet?« Er setzte mit so zudringlicher Gutmütigkeit an den Ritter von der traurigen Gestalt, daß dieser nicht umhin konnte, ihm endlich zu Willen zu sein. »Die Ursach meines Kummers«, sprach er, »ist kein Bubenstück, das mich bangt und nagt, sondern ein Unstern tugendlicher Liebe, darum darf ich mich nicht entblöden, dir mein Anliegen zu entdecken.

Ich bin der Armbrustschütz des Grafen von Öttingen in Frankenland, und sein geborner Dienstmann. Ich war bei ihm wie Kind im Hause. Er hat mich auferzogen, und die Leute munkelten, ich sei sein Sohn. Um die Zeit der Mitfasten brachte ihm ein Maler allerlei Gemälde zu Kauf, die der Graf bestellt hatte, sein neues Schloß damit zu zieren. Unter diesen Schildereien befand sich das Konterfei eines wunderschönen Mädchens, die sie eine Göttin nannten, und wovon [790] der Meister behauptete, daß er die liebliche Gestalt einer zarten Dirne abgestohlen habe, die an Schönheit die Abkonterfeiung weit überträf; aber zu verschämt gewesen sei, dem Maler zu sitzen. Ich konnte nimmer satt werden, das Bildnis anzuschauen, lief zehnmal des Tages in den Saal, wo es aufgestellet war, gaffte es stundenlang an, und je länger ich es betrachtete, desto mehr wurde mein Herz davon entzündet, daß ich keine Ruh noch Rast mehr finden konnte. Eines Tages rief ich den Maler beiseits, und beschwor ihn mir zu sagen, wo die feine Dirne anzutreffen sei, nach der er das Konterfei im Speisesaal abkopeiet habe, und bot ihm großen Lohn, wenn er mit der Sprache frei herausgehen wollte. Der Meister merkte, wo mich der Schuh drückte, lachte über meine Phantasei, und offenbarte mir sonder Trug, was ich zu wissen begehrte. Die schöne Dirne, sagt' er, sei in der Reichsstadt Rotenburg an der Tauber seßhaft und des alten Garkochs Tochter, ich könne bei ihr mein Heil versuchen; sie sei jedoch gar stolzen und spröden Sinnes. Alsbald begehrte ich Urlaub vom Grafen, der mir solchen weigerte und mich nicht entlassen wollte; darum entlief ich bei der Nacht und zog gen Rotenburg, wo ich bald das Mägdlein auskundschaftete. Aber sie zu sehen, oder zu ihr zu gelangen, war all meine Müh vergebens. Sie lebt unter dem Gewahrsam einer luchsäugigen Mutter, einem Drachen von Weibe, die sie nicht vor die Tür gehen oder zum Fenster ausschauen läßt, verschließt das Haus wie einen Jungfernzwinger, und keine männliche Seele darf hinein.

Das ängstete und quälte mich gar sehr, darum sann ich auf eine List, zog Frauenkleider an, versteckte das Gesicht unter eine Kappe und schellte an der Tür. Da ward mir aufgetan, ich sahe die liebreizende Dirne, und ihr Anblick entzückte mich also, daß ich mich schier vergessen hätte; doch besann ich mich kurz, und bestellte einen Teppich mit Bildwerk bei ihr, denn sie ist eine kunstreiche Nähterin, als eine im Lande. Nun ging ich täglich im Hause frei aus und ein, unter dem Vorwand, zu sehen ob die Arbeit fördere, und genoß der Wonne, mein Liebchen vor Augen zu haben und [791] mit ihr freundlich zu kosen, stundenlang. Bald vermerkt ich, daß mich die Jungfrau liebgewann, denn ich tat so ehrbar und sittsam, als eine ernste Matrone, und sie ist ein rechtes Tugendbild. Aber einsmals, als die Mutter außer dem Hause Geschäfte hatte, und ich allein bei der holden Dirne saß, drängte mich die heiße Liebe, mich ihr zu entdecken. Sie fuhr mit großem Schreck vom Nährahmen auf, und wollte entfliehen. Ich hielt sie flehentlich zurück, daß sie nicht Lärm machte und Feuer schrie, setzte ihr Leib und Seele zum Pfande, daß ich in ehrlicher Absicht gekommen sei, mit Zucht und Ehrbarkeit um ihre Gunst zu werben. Endlich glaubte sie meinen Worten, und da sie ruhiger wurde, eröffnete ich ihr den ganzen Handel, wie sich alles begeben hatte, daß mein Herz in Liebe gegen sie entbrannt sei. Sie strafte meinen Leichtsinn mit lieblichen Worten, daß ich Minne halber meinem Brotherrn, dem Grafen entlaufen sei, und frug, wovon ich denn ein Weib ernähren wollte? Da stund ich wie aufs Maul geschlagen, und wußte keine Antwort auf diese verfängliche Frage. Ob ich schon zwei gesunde Armen habe, so wagte ich doch nicht frei herauszusagen, daß mich ihr zuliebe diese schon nähren würden: denn ich fürchtete, ein Taglöhner sei einer so rechtlichen Dirne zu schlecht.

Sie blickte mich voll Mitleiden an und fuhr also fort: ›Friedlin, wir müssen uns scheiden, du wirst mich nimmer unter dieser trüglichen Gestalt wiedersehen. Diese Tür bleibt dir auf ewig verschlossen. Meine Tugend ist unbescholten, aber mein Herz ist schwach! Du hast mich belehrt, wie leicht die Verführung einen Weg durch verschloßne Türen zu finden weiß. Mein Vater hat mich fürs Kloster bestimmt, und ich eile nun diesem Beruf zu folgen; die Nadel soll mir erwerben, was ich dem Kloster steuren muß. Gehab dich wohl, auf hundert Meilen weit, daß kein Verdacht mir bösen Leumund mache.‹ Sie trieb mich, sie zu verlassen. Ich mußte gehorchen und mich von ihr scheiden. Ach das war ein bitter Kraut! Ich schlich trübselig in die Herberge, rang mit Kümmernis und Verzweiflung, hatte weder Ruh noch Rast, weinte und jammerte Tag und [792] Nacht. Hundertmal zog ich des Tages die Straße, wo sie wohnte, auf und ab, und wo in eine Kirche zur Messe geläutet wurde, lief ich sporenstreichs hin, ihr aufzulauren, um nur den Trost zu haben, sie noch einmal zu sehen. Umsonst! sie blieb vor meinen Augen verborgen wie ein Geheimnis. Dreimal verließ ich die Stadt, in die weite Welt zu gehen; ich konnte nicht fort: es war als wenn ich an den Ort gebannt wäre. Noch einmal versucht ich's eines Morgens, mich in ein Weib vermummet ins Haus zu stehlen, um ihr auf ewig Lebwohl zu sagen. Ich schellte an der Tür mit großer Beklommenheit. Die Mutter kam heran, doch als sie mich erblickte, schlug sie das Fenster hastig zu, und schalt und schmähete von innen: ›Du Drude! du Trödlerin! sollst meine Schwelle nimmer betreten! Bist gar eine schlechte Bezählerin!‹ Aus diesen Worten verstand ich, unter welchem Vorwand die kluge Lucine meine Entdeckung der Mutter verhehlet hatte, die sonst schwerlich eine gute Kundschaft würde verschlagen haben. Nun gab ich alle Hoffnung auf, das herrliche Mädchen jemals wieder mit Augen zu sehen, verließ die Stadt und ziehe, als ein herrenloser Knecht, im Lande herum, bis mir der Kummer vollends gar das Herz abfrißt.«

Meister Peter hatte mit großer Aufmerksamkeit die offenherzige Erzählung seines Reisegefährten angehöret, und freuete sich über den glücklichen Zufall innig, der ihn zu einem Wanderer gesellet hatte, welcher ihm von der geheimen Geschichte seines Hauses, während seiner Abwesenheit, so avthentische Nachricht erteilte. Als Friedlin mit [793] seinem Referat zu Ende war, sprach er: »Deine Geschichte ist sonderbar; aber eins ist mir noch nicht klar darin, du gedachtest eines Vaters deines Liebchens. Warum vertrautest du dich dem nicht an? Er wäre wohl Freiersmann worden, und würde einem so wackern Gesellen, als du zu sein scheinest, sein Kind schwerlich versagt haben.« »Ach!« entgegnete Friedlin: »der Vater ist ein Gauch, ein Saufbold, ein Landfahrer, der Weib und Kind böslich verlassen hat, und von dem niemand weiß, wo er geblieben ist. Das knurrige Weib führte oft bittre Klagen über ihn, und schalt das liebe Mädchen hart aus, wenn sie des Vaters Partei nahm, ob er ihr gleich den Patenpfennig zum Zehrgeld entwendet hat, wofür ich dem Schurken den Bart ausraufen möchte, wenn er mir in die Hände fiel.« Vater Peter horchte hoch auf, da ihm also sein Lob gepriesen wurde, und wunderte sich, daß der junge Gesell um alle seine Domestika so guten Bescheid wußte. Der Eifer desselben beleidigte ihn keinesweges. Er fand, daß Friedlin vortrefflich in seinen Plan passe, daß er ihn zum Depositär seiner Reichtümer machen, und dadurch alles Aufsehen, beim Genuß derselben in seiner Vaterstadt vermeiden, auch dem gierigen Weibe seinen Fund verbergen könne. »Kompan«, sprach er, »zeig mir deine Hand, ich verstehe mich aufs Wahrsagen, laß sehen, was dein Glücksstern dir verheißt.« »Was kann er mir verheißen«, antwortete der peregrinierende Liebhaber, der wieder ganz in seine trübselige Laune verfallen war, »doch nichts, als Unglück.«

Der angebliche Chiromant ließ sich nicht abweisen, und da Friedlin den freundschaftlichen Gefährten, der ihn zechfrei hielt, nicht wollte unwillig machen, so reichte er ihm die Hand dar. Meister Peter nahm eine bedenkliche Miene an, betrachtete alle Lineamente wohl, schüttelte zuweilen verwundernd den Kopf dabei, und da er das Spiel lang gnug getrieben hatte, sprach er: »Freund, wer's Glück hat, führt die Braut heim! Morgen, wenn die Sonne aufgeht, mach dich auf und ziehe gen Rotenburg in Frankenland: dein Liebchen ist dir treu und hold, sie wird dich wohl empfangen. Es steht dir eine reiche Erbschaft bevor, von einem alten [794] Vetter, den du nicht kennst, bald hast du Geld und Gut im Überfluß, ein Weib davon zu nähren.« »Kamerad«, sprach Friedlin mit Unwillen, der den Wahrsager für einen Possenreißer und Scherztreiber hielt, »es ziemet dir nicht, mit einem Unglücklichen Gespött zu treiben, such dir einen, den du foppen kannst, ich bin nicht dein Mann.« Er stund hastig auf und wollte davon. Vater Peter erfaßte ihn beim Rockzipfel und sprach: »Bleib, du Murrkopf, ich treibe keinen Scherz, und bin bereit, meine Prophezeihung bei Ehren zu erhalten. Ich bin ein wohlhabender Mann, und will dir bar, auf einem Brette, so viel auf die Erbschaft vorstrecken, als du begehrest. Folge mir in die Kammer, daß ich dich von der Wahrheit meiner Worte durch die Tat überführe.« Der junge Gesell machte große Augen, da er den Freund Eisenhändler aus dem Tone reden hörte, seine abgebleichten Wangen röteten Freude und Erstaunen. Er folgte schweigend, in einem Zustande, wo ihm unbewußt war, ob er wachte oder träumte, dem rätselhaften Manne, welcher die Tür abschloß und sein Nägelfaß aufspündete.

Hier entdeckte sich Meister Peter dem getreuen Liebhaber der schönen Lucine offenherzig, vertrauete ihm das Schatzgeheimnis und sein Vorhaben, daß Friedlin als Tochtermann den reichen Mann spielen, er aber in der Stille leben und mit ihm des herrlichen Fundes sich freuen wolle. Die tiefe Melancholei des jungen Wichtes war nun mit einemmal verschwunden; er wußte keine Worte zu finden, dem ehrlichen Vater seine Dankbarkeit zu erkennen zu geben, daß er ihn zum glücklichsten Sterblichen auf Gottes Erdboden machen wolle. Des folgenden Tages verließen beide Reisegefährten, mit der besten Laune, die Stadt Ellrich am Harze, und steuerten frisch auf Nürnberg in Franken zu. Hier staffierte sich Friedlin als ein stattlicher Freier heraus, Vater Peter zahlte ihm das vorläufige Heuratsgut in die Tasche, und nahm den Verlaß mit ihm, wenn sein Gewerbe glücklich vonstatten gehen würde, sollte er durch einen geheimen Boten es ihm zu wissen tun, daß er einen Fuhrmann mit allerlei köstlichem Hausgeräte befrachten könne, damit der reiche Freier in Rotenburg Aufsehen mache.

[795] Als der präsumtive Schwäher und Eidam voneinander schieden, gab der erstere dem letztern die Vermahnung mit auf den Weg: »Schweige deine Zunge und bewahre unser Geheimnis, vertraue keinem Menschen, was dir wissend ist, als der verschwiegenen Lucine, wenn sie deine Braut sein wird.« Meister Peter genoß die erkleckliche Rente seiner Harzreise, ob er gleich keine Beschreibung davon auf Kosten des Publikums ans Licht stellete, bis ins späteste Alter, hatte so viel im Vermögen, daß er nicht wußte, wie reich er war; Friedlin aber hatte den Namen des reichen Mannes, lebte mit der schönen Lucine, seinem tugendsamen Weibe, glücklich und zufrieden. Und wie ein reicher Mann auch leicht ein geehrter Mann sein kann, wenn er will, so bewarb er sich um eine Stelle im Rat, erstieg in der Folge die höchste Stufe reichsstädtischer Glückseligkeit, und wurde regierender Bürgermeister. Von ihm geht noch bei den Rotenburgern ein Sprüchwort im Schwange, bis auf den heutigen Tag: wenn sie einen bemittelten Mann beschreiben wollen, so heißt es, er sei so reich, als weiland Peter Blochs des Garkochs Eidam.

[796]

Fußnoten

1 Das ist der Wildemann auf dem Harzgelde, welchen einige fälschlich für den Schildhalter des braunschweigischen Wappens ausgeben. Er ist der Berggeist des Harzes, wie er sich hier zu erkennen gibt, der einer reichhaltigen Fundgrube daselbst den Namen gegeben, wo er oft den Bergleuten erschienen ist. So furchtbar übrigens diese Gestalt dem Altvater Martin mag vorgekommen sein, so angenehm fällt sie, auf den Harzgulden in Zahlung, dem Empfänger ins Auge.

2 Diese umständliche Nachweisung eines angeblichen Schatzes auf dem Brocken, ist keine Erfindung des Referenten dieser Geschichte, sondern aus einem Manuskript gezogen, welches die Abschrift eines älteren Manuskripts zu sein scheinet, betitelt: Liber singularis, in quo arcana arcanorum, tamquam de coelo elapsa tractantur.

3 Ad vocem Geisterseher gedenkt der Verfasser an eine, im vorgängigen vierten Teil a.d. 100. S. (S. 552) bewirkte Schuld, die er öffentlich abzubüßen sich verbunden erachtet. Ihm entschlüpfte dieser Ausdruck dort gegen einen verdienten Mann, dessen Andenken damit zu beschmitzen nicht seine Meinung war. Er nimmt daher diese Stelle reuig zurück und ersucht die Leser, seine ausführliche Erklärung darüber im 62. Stück der Gothaisch. gel. Zeit. 1786 nachzusehen.

4 Göttinger Musenalmanach 1782. 146. S.

5 Eine deutsche Geschichte für Denker und Gefühlvolle. Wien und Leipzig 1785.

6 Eine bekannte Beschuldigung gegen Herrn Hastings, daß er einige eingeborne Prinzessinnen nackend, auf dem Sklavenmarkt, zum Verkauf habe ausstellen lassen, um ihren Preis zu erhöhen.

7 Leipzig. latein. Zeitung, 32. St. 1786.

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TextGrid Repository (2012). Musäus, Johann Karl August. Märchen. Volksmärchen der Deutschen. Der Schatzgräber. Der Schatzgräber. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5D93-7