[422] Siebenzigste Erzählung.

Von der Pflichtvergessenheit einer Herzogin, welche die Ursache ihres Todes und desjenigen zweier Liebenden wird.


Im Herzogthum Burgund lebte ein sehr angesehener Herzog, ein schöner Fürst, welcher eine Frau geheirathet hatte, deren Schönheit ihn so befriedigte, daß er ihr wahres Wesen nicht erkannte und nur darauf ausging, ihr zu gefallen; dem Anschein nach vergalt sie ihm das mit gleicher Liebe. Der Herzog hatte in seinem Hause einen jungen Edelmann, der mit allen Vorzügen, die man von einem Mann verlangen kann, ausgestattet war. Er war von allen geliebt, vor allem vom Herzog selbst, der ihn von Kindheit an in seiner Umgebung aufgezogen hatte, und da er ihn so wohlgerathen sah, ihn sehr liebte und in ihn volles Vertrauen bezüglich aller der Angelegenheiten setzte, welche er bei seiner Jugend verstehen konnte. Die Herzogin hingegen hatte nicht das Herz einer tugendhaften Frau und Fürstin und begnügte sich nicht mit der Liebe, welche ihr Mann für sie hegte, und mit der guten Behandlung, welche sie von seiner Seite erfuhr. Sie sah vielmehr oft den jungen Edelmann an, den sie so nach ihrem Geschmack fand, daß sie ihn wider jedes Vernunftgebot zu lieben begann; sie suchte ihm das auch jederzeit zu verstehen zu geben, bald durch flehende, süße Blicke, bald durch Seufzer und leidenschaftliche Mienen; aber der Edelmann, welcher nur in Tugenden geübt war, wollte nicht an das Laster bei einer Dame glauben, die so wenig Ursache dazu hatte. So brachten ihre Liebesblicke und Mienen der armen Thörin nichts anderes ein, als wüthende Verzweiflung; diese trieb sie eines Tages so weit, daß sie vergaß, daß sie als Frau gebeten werden und abweisen mußte, und daß sie eine Prinzessin war, welche verehrt werden und solche Diener verachten mußte, und so faßte sie sich ein Herz, um sich der Last, welche ihr unerträglich wurde, zu entledigen. Als also eines Tages ihr Mann in den Rath ging, zu dem der Edelmann seiner Jugend wegen keinen Zutritt hatte, winkte sie ihn zu sich heran, worauf er sich näherte, irgend eines Befehls von ihr gewärtig. Indem sie sich dann auf seinen Arm stützte, führte sie ihn auf eine Galerie, wo sie folgendermaßen zu ihm sprach: »Ich [423] wundere mich, daß Ihr, so schön, jung und voller ritterlicher Tugenden, so lange in dieser Gesellschaft, wo sich so viele schöne Damen befinden, gelebt habt, ohne Euch jemals verliebt zu haben oder Ritter einer derselben geworden zu sein.« Dann sah sie ihn so zärtlich an, wie sie vermochte, und schwieg, um ihm Zeit zur Antwort zu lassen, worauf er erwiderte: »Edle Frau, wenn ich würdig wäre, daß sich Eure Hoheit bis zu mir erniedrigte, so hättet Ihr noch bessere Gelegenheit zum Erstaunen darüber, daß ein so unwürdiger Mann wie ich seine Dienste darböte, um dafür Abweisung und Spott zu ernten.« Die Herzogin hatte ihn um dieser klugen Antwort willen nur um so lieber und schwor ihm, daß an ihrem Hof keine Dame sei, welche sich nicht überglücklich schätzen würde, einen solchen Ritter zu haben, und daß er es doch einmal versuchen sollte, denn er würde ohne Gefahr mit allen Ehren aus solchem Abenteuer hervorgehen. Der Edelmann hielt noch immer die Augen niedergeschlagen, da er nicht wagte, ihre Mienen anzusehen, die flammend genug waren, um Eis zum Brennen zu bringen. Gerade als er sich entschuldigen wollte, ließ der Herzog die Herzogin zu dem Rath bitten, um dort eine sie betreffende Angelegenheit zu verhandeln, worauf sie mit großem Bedauern hinging; der Edelmann aber ließ nicht merken, ein einziges ihrer Worte verstanden zu haben. Sie hingegen war so erregt und erzürnt, daß sie nicht wußte, wem sie Schuld an ihrem Aerger geben sollte, wenn nicht der dummen Schüchternheit, von welcher sie den Edelmann erfüllt glaubte. Einige Tage darauf, da sie sah, daß er ihre Sprache noch nicht verstanden hatte, entschloß sie sich, weder Furcht noch Scham zu bedenken, sondern ihm ihre Liebe zu erklären, da sie überzeugt war, daß eine Schönheit wie die ihre nur des besten Empfanges sicher sein konnte; sie hätte zwar gern die Ehre genossen, sich bitten zu lassen, aber sie setzte die Ehre gegen das Vergnügen beiseite. Nachdem sie noch verschiedene Male versucht hatte, ihm ähnliche Reden wie die erste zu halten, und keine ihr angenehme Antwort erhalten hatte, zog sie ihn eines Tages am Aermel und sagte ihm, sie hätte wichtige Dinge mit ihm zu bereden. Der Edelmann folgte ihr mit der Ehrfurcht und Demuth, welche er ihr schuldig war, in eine Fensternische, wohin sie sich zurückgezogen hatte; als sie sah, [424] daß sie keiner aus dem Saal bemerken konnte, setzte sie mit einer zwischen Begehren und Furcht schwankenden Stimme ihre erste Rede fort, indem sie ihm Vorwürfe machte, daß er noch keine Dame aus ihrer Gesellschaft erwählt habe, und versicherte ihn, daß, wer es auch sei, sie ihm helfen wolle, gut aufgenommen zu werden. Der Edelmann, welcher ebenso erstaunt als erzürnt über ihre Worte war, antwortete ihr: »Edle Frau, mein Herz ist so getreu, daß ich, wenn ich einmal abgewiesen würde, niemals wieder froh auf Erden werden könnte, und zudem bin ich so gering, daß keine Dame dieses Hofes meine Dienste annehme würde.« Die Herzogin dachte erröthend, daß er nun gleich besiegt sein würde, und schwor, wenn er es wollte, so wüßte sie die schönste Dame der Gesellschaft, die ihn mit großer Freude empfangen und von der er alles Glück genießen würde. »Ach, edle Frau«, antwortete er, »ich glaube nicht, daß es an diesem Hofe eine so unglückliche und blinde Dame giebt, daß sie an mir Gefallen fände.« Da die Herzogin sah, daß er sie nicht verstehen wollte, lüftete sie vor ihm den Schleier ihrer Leidenschaft, und aus Furcht vor der Tugend dieses Edelmannes sprach sie im Fragetone, indem sie sagte: »Wenn Euch das Glück so begünstigte, daß ich es wäre, die Euch so wohlwollte, was würdet Ihr sagen?« Der Edelmann, der schon gedacht hatte, solche Worte zu hören, beugte das Knie und antwortete: »Hohe Frau, wenn Gott mir die Gnade erwiese, mich des Herzogs, meines Herrn, und Eure Gunst genießen zu lassen, so würde ich der glücklichste Mann der Welt sein. Er hat mich von Kindheit an erzogen und zu dem gemacht, was ich bin; sei es also seine Frau, Tochter, Schwester oder Mutter, so wollte ich eher sterben, denn mit anderen Gedanken als den eines aufrichtigen treuen Dieners meines Herrn an sie herantreten.«

Die Herzogin ließ ihn nicht weiter reden; als sie sah, daß sie sich einer entehrenden Abweisung aussetzte, unterbrach sie seine Rede und sprach: »O, Ihr unglaublich boshafter Thor, wer bittet Euch darum? Ihr glaubt um Eurer Schönheit willen von jeder umherfliegenden Fliege geliebt zu sein; wenn Ihr so verwegen wäret, Euch an mich zu wenden, so würde ich Euch zeigen, daß ich niemand als meinen Gemahl liebe und lieben will. Alles, was ich zu [425] Euch gesagt habe, war nur ein Zeitvertreib für mich, weil ich Euch aushorchen und dann verspotten wollte, wie ich es mit dummen Verliebten mache.« »Hohe Frau«, sagte der Edelmann, »so dachte ich es mir und glaube, es ist, wie Ihr sagt.«

Ohne ihn weiter anzuhören, ging sie dann auf ihr Zimmer, und da ihre Hofdamen ihr folgten, zog sie sich in ihr Schlafgemach zurück, wo sie so betrübt war, daß es sich nicht beschreiben läßt. Nachdem sie eine lange Zeit geweint hatte, gab sie vor, krank zu sein, um nicht mit dem Herzog zur Abendtafel gehen zu müssen, wobei gewöhnlich der Edelmann aufwartete. Der Herzog, der seine Frau mehr als sich selbst liebte, kam und besuchte sie. Um aber leichter zu ihrem Ziele zu gelangen, sagte sie ihm, daß sie schwanger sei, und daß ihre Schwangerschaft ihr eine Augenerkältung zugezogen habe, die ihr viel Schmerz verursache. So vergingen zwei, drei Tage, während welcher die Herzogin das Bett hütete, so traurig und melancholisch, daß der Herzog auf den Gedanken kam, es möchte da doch wohl noch etwas anderes als eine Schwangerschaft vorliegen. Der Herzog kam deshalb eine Nacht zu ihr und erwies ihr alle möglichen Liebenswürdigkeiten; als er aber bemerkte, daß das ihr fortgesetztes Seufzen nicht verscheuchte, sagte er zu ihr: »Mein Liebchen, Ihr wißt, daß ich Euch mehr liebe als mein Leben, und wenn Ihr sterbet, kann auch ich nicht weiter leben. Wenn Ihr also meine Gesundheit erhalten wollt, so bitte ich Euch, sagt mir die Ursache, warum ihr so seufzt, denn ich kann nicht glauben, daß solches Leid nur aus Eurem Zustande herrührt.« Da die Herzogin nun sah, daß er so gegen sie gestimmt war, wie sie es sich nur wünschen konnte, dachte sie, das sei die Zeit, sich für ihre Schmach zu rächen, und indem sie ihren Gatten umarmte, fing sie an zu weinen und sprach: »Ach, Herr, mein größtes Leid ist das, Euch von denen hintergangen zu sehen, welche so sehr verpflichtet sind, Euer Gut und Eure Ehre zu wahren.« Als der Herzog diese Worte hörte, fühlte er großes Verlangen, zu wissen, warum sie so sprach, und bat sie flehentlich, ihm ohne Furcht die ganze Wahrheit zu sagen; nachdem sie es mehrere Male abgeschlagen hatte, sprach sie: »Ich werde mich nie mehr wundern, wenn Fremde die Prinzen anfeinden, da die, welche ihnen am meisten schuldig sind, es schon [426] in so grausamer Weise thun, daß der Verlust anderer Güter nichts dagegen ist. Das sage ich, Herr, mit Bezug auf jenen Edelmann (und hier nannte sie den Verhaßten), der es gewagt hat, nachdem er von Eurer Hand ernährt und von Euch eher wie ein Sohn als wie ein Diener erzogen und behandelt wurde, ein so ungeheuerliches und elendes Vorhaben zu unternehmen, die Ehre Eures Hauses und Eurer Kinder zu verderben. Obgleich er schon lange Zeit mit seinen Mienen seine schlechten Absichten kundgab, habe ich, die ich nur Euch liebe, nichts davon verstanden, bis er sich endlich mit Worten erklärt hat; ich habe ihm darauf geantwortet, wie es mein Stand und meine Sittsamkeit erfordern. Dennoch aber hasse ich ihn so sehr, daß ich ihn nicht mehr sehen mag; das ist der Grund, warum ich in meinen Gemächern blieb und mich der Freude Eurer Gesellschaft beraubte. Nun, mein Gemahl, kennt Ihr die Ursache meines Schmerzes, der mir sehr würdig und gerecht erscheint, und ich bitte Euch demnach, Eure Befehle möglichst schnell zu erlassen.« Der Herzog, der ebenso seine Frau wie seinen Diener liebte, dessen Treue er so oft erprobt hatte, daß er jetzt kaum diese Lüge für Wahrheit annehmen konnte, befand sich in großer Verlegenheit; von Zorn erfüllt, ging er in sein Gemach und befahl dem Edelmann, sich nicht mehr vor ihm blicken zu lassen, sondern einige Zeit in seiner Wohnung zu bleiben. Der Edelmann, dem die Ursache unbekannt war, war höchst ärgerlich darüber, da er sich bewußt war, das gerade Gegentheil einer so schlechten Behandlung verdient zu haben; und wie jemand, der über sein Gewissen und seine Werke beruhigt war, schickte er einen seiner Freunde zum Herzog, um mit ihm zu reden und ihm einen Brief zu bringen, in welchem er sehr demüthig bat, sein Urtheil so lange aufzusparen, bis er von ihm die Wahrheit der Thatsache erfahren habe, und daß er dann finden werde, daß er ihn, den Herzog, in keiner Weise beleidigt habe. Bei diesem Brief legte sich der Zorn des Herzogs ein wenig; er ließ ihn heimlich in sein Zimmer kommen und sprach dort mit wüthender Miene zu ihm: »Ich hätte niemals gedacht, daß sich die Mühe, welche ich mir gegeben habe, Euch wie mein Kind zu erziehen, in Reue umwandeln würde, Euch so weit gefördert zu haben; Ihr habt nach dem getrachtet, was mir unersetzlicher ist als mein Leben und meine Güter, indem Ihr an [427] der Ehre derjenigen rühren wolltet, welche die Hälfte meiner selbst ist, um damit mein Haus und mein Geschlecht für immer ehrlos zu machen. Euer Ankläger trägt keine anderen Waffen als seine Keuschheit, denn ich versichere Euch, daß es mir kein anderer als meine Frau selbst gesagt hat, indem sie mich bat, sie an Euch zu rächen.« Der arme Edelmann, der die Schlechtigkeit der Dame erkannte und sie dennoch nicht anklagen wollte, antwortete: »Edler Herr, Eure Gemahlin mag sagen, was ihr beliebt; Ihr kennt sie besser als ich und wißt, ob ich sie anders als in Eurer Gegenwart gesehen habe, ausgenommen einmal, wo sie sehr wenig mit mir sprach. Ihr habt ein so gutes Urtheil, wie irgend ein anderer christlicher Fürst; darum bitte ich Euch, Herr, habt Ihr jemals an mir eine Miene bemerkt, welche einen solchen Verdacht erzeugen könnte? Ich flehe Euch an, Herr, glaubt mir zwei Dinge: Erstens daß ich Euch so ergeben bin, daß, wäre selbst Eure Frau Gemahlin das schönste Geschöpf der Welt, doch Amor nicht die Macht haben würde, meine Ehre und Treue zu beflecken; und zweitens, daß ich, auch wenn sie nicht Eure Frau wäre, mich doch nicht in sie verlieben würde, und daß es genug andere giebt, an denen ich eher Gefallen finden würde.« Der Herzog, begann sich bei dieser wahrheitsgetreuen Rede zu besänftigen und sprach zu ihm: »Ich habe es auch nicht geglaubt; fahrt darum ganz in Euren Gewohnheiten fort; ich versichere Euch, wenn ich sehen werde, daß Ihr die Wahrheit gesprochen habt, so werde ich Euch mehr als jemals lieben; ist es aber das Gegentheil, so liegt Euer Leben in meiner Hand.« Darauf dankte ihm der Edelmann und unterwarf sich jeder Strafe und Folter, wenn er schuldig befunden würde. Als die Herzogin den Edelmann wie gewöhnlich aufwarten sah, konnte sie es nicht geduldig ertragen und sprach zu ihrem Mann: »Es würde Euch Recht geschehen, wenn Ihr vergiftet würdet, da Ihr mehr Vertrauen zu Euren Todfeinden als zu Euren Freunden habt.« »Ich bitte Euch, Liebste, macht Euch keine Gedanken darüber; wenn ich sehe, daß das, was Ihr mir gesagt habt, wahr ist, so versichere ich Euch, daß er nicht vierundzwanzig Stunden am Leben bleiben soll; aber er hat mir so sehr das Gegentheil beschworen (und ich habe auch niemals dergleichen bemerkt), daß ich [428] es nicht ohne guten Beweis glauben kann.« »Wahrhaftig, Herr«, sprach sie, »Eure Güte macht seine Schlechtigkeit nur noch größer. Ist es Euch nicht Beweis genug, einen Mann wie ihn zu sehen, ohne daß man von einer Liebschaft bei ihm spricht? Glaubt mir, wenn er sich nicht den verwegenen Plan in den Kopf gesetzt hätte, mein Ritter zu werden, so hätte er nicht so lange gezögert, sich eine Geliebte zu nehmen; denn kein junger Mann würde in so guter Gesellschaft so einsam leben, wie er es thut, wenn er nicht sein Herz an so hoher Stelle vergeben hätte, daß er sich mit seiner eitlen Hoffnung begnügt. Da Ihr aber denkt, daß er Euch keine Wahrheit verhehlt, bitte ich Euch, laßt ihn Euch schwören, daß er keine Liebe hegt; denn wenn er eine Andere liebt, so will ich mich damit zufrieden geben, daß Ihr ihm glaubt; wenn nicht, müßt Ihr sehen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«

Der Herzog fand die Gründe seiner Frau sehr richtig, ging mit dem Edelmann ins Feld und sprach zu ihm: »Meine Frau bleibt noch immer bei ihrer Meinung und hat mir einen so guten Grund angeführt, daß ich wieder Verdacht gegen Euch habe; man wundert sich nämlich, daß Ihr, so achtbar und so jung, noch niemals geliebt habt, so viel man weiß; darum glaube ich nun, daß Ihr in der That meine Frau liebt, und daß Euch die Hoffnung auf sie so befriedigt, daß Ihr an keine andere Frau denken könnt. Ich bitte Euch daher als Freund und befehle Euch als Herr, mir zu sagen, ob Ihr eine Dame auf dieser Welt liebt oder nicht.« So war der arme Edelmann, der für sein Leben gern seine Neigung verschwiegen und verborgen hätte, gezwungen, um der großen Eifersucht seines Herrn willen, ihm zu schwören, daß er wirklich eine Dame liebte, deren Schönheit so groß wäre, das die der Herzogin und aller Hofdamen dagegen nichts als reine Häßlichkeit und Ungestalt wären; doch bat er innig, ihn nie zu zwingen, sie zu nennen, denn die Verbindung zwischen ihm und seiner Geliebten sei derart, daß sie nie gebrochen werden könne, außer durch den, der sie zuerst verriethe. Der Herzog versprach, ihn nicht danach zu fragen, und war so zufrieden mit ihm, daß er ihn besser behandelte, wie je vorher. Die Herzogin merkte es sehr wohl und suchte durch ungewöhnliche Listen die Ursache zu erfahren, die ihr der Herzog auch [429] nicht verbarg. Nun gesellte sich zu ihrem Rachedurst heftige Eifersucht, so daß sie den Herzog bat, dem Edelmann zu befehlen, ihm seine Geliebte zu nennen, und ihm versicherte, das sei eine Lüge, nur dazu angethan, ihre Aussagen noch mehr zu bekräftigen; wenn ihm der Edelmann seine Schöne nicht nennen wolle, so sei er der dümmste Prinz der Welt, seinen Worten zu glauben. Darauf ging der arme Fürst, dem seine Frau den Sinn je nach ihrem Gefallen drehte, mit dem Edelmann allein spazieren, indem er ihm sagte, daß er unmuthiger als je über ihn sei, da er vermuthete, jener habe ihm eine Ausrede gesagt, damit er nicht die Wahrheit durchschaue; das quäle ihn nun so sehr, daß er ihn so viel wie möglich bäte, ihm den Namen derjenigen zu nennen, die er so sehr liebte. Der arme Edelmann bat ihn, ihn nicht zu einem solchen Vergehen gegen seine Geliebte zu zwingen. Als der Herzog sah, daß er sie ihm nicht nennen wollte, erfaßte ihn eine solche Eifersucht, daß er mit wüthendem Gesicht sagte: »Wählt denn von zwei Dingen eines; entweder Ihr nennt mir die, welche Ihr über alles liebt, oder ich verbanne Euch aus meinen Ländern mit dem Befehl, daß, wenn Ihr acht Tage darauf noch angetroffen werdet, Ihr eines grausamen Todes zu sterben habt.«

Der Edelmann entschloß sich, ihm lieber die Wahrheit zu sagen, da er darauf baute, daß sein Herr zu sehr Ehrenmann wäre, um ihn zu verrathen. So ließ er sich mit gefalteten Händen auf ein Knie nieder und sprach: »Hoher Herr, die Verpflichtung, welche ich gegen Euch habe, und meine Liebe zu Euch zwingen mich mehr, als die Furcht vor irgendwelchem Tode, denn ich sehe Euch in solchem Wahne und falscher Meinung über mich befangen, daß ich entschlossen bin, um Euch aus diesem großen Leid zu befreien, das zu thun, was keine Folter von mir erzwungen hätte. Nur bitte ich Euch, Herr, zu Gottes Ehre mir mit Eurem prinzlichen und christlichen Wort zu schwören, daß Ihr niemals das Geheimniß verrathen werden, welches mir abzuzwingen Euch gefällig ist.« Zur Stunde schwor ihm der Herzog mit allen Eiden, die ihm einfielen, niemals irgend einem Menschen weder mit Worten, Thaten noch Mienen etwas davon zu verrathen. Der Edelmann, welcher nun sicher zu sein glaubte, da er den Herzog als tugendhaften [430] Fürsten kannte, fing an, den Beginn seines Unglücks zu begründen, indem er sagte: »Sieben Jahre sind es her, Herr, daß ich Eure Nichte, welche Witwe und unversprochen war, kenne und mich um ihre Gunst bemühe; und da ich nicht aus genügendem Hause war, sie zu heirathen, wollte ich mich damit begnügen, ihr Ritter zu sein, was ich auch wurde. Gott hat es gefügt, daß unser Verhältniß bisher so weise geführt wurde, daß kein Mann und keine Frau außer ihr und mir davon erfuhren, ausgenommen Ihr, hoher Herr, in dessen Hände ich Leben und Ehre lege, indem ich Euch bitte, das Geheimniß zu bewahren und deshalb Eure Nichte nicht geringer zu achten, denn es giebt unter dem Himmel kein vollkommeneres und sittsameres Geschöpf.« Wer war froher als der Herzog! Er kannte die große Schönheit seiner Nichte und zweifelte nicht, daß sie liebenswürdiger sei als seine Frau; da er aber nicht verstand, mit welchen Mitteln sie ein solches Geheimniß durchgeführt hatten, bat er ihn, ihm zu sagen, auf welche Weise er sie sähe. Der Edelmann erzählte ihm, das Zimmer seiner Dame ginge nach dem Garten heraus; an den Tagen, wo er sie besuchte, ließe sie eine kleine Pforte offen, durch die er hineinginge, bis er einen kleinen Hund bellen hörte, den die Dame in den Garten ließe, wenn alle ihre Dienerinnen sich zurückgezogen hätten; dann unterhielte er sich mit ihr die ganze Nacht, und beim Fortgehen bezeichnete er ihr den Tag, wo er wiederkommen wollte, was er bis jetzt ohne die dringendsten Gründe noch nie versäumt hatte. Der Herzog, welcher der neugierigste Mensch der Welt war, und der seiner Zeit mit der Liebe trefflich Bescheid gewußt hatte, bat ihn, theils um seinen Verdacht zu verscheuchen, theils weil ihm die Geschichte so seltsam erschien, ihn das nächste Mal mitzunehmen, nicht als Herrn, sondern als Freund. Der Edelmann, der nun doch schon einmal so weit gegangen war, gewährte es ihm. Er gab vor, in seinem Privatgemach schlafen zu wollen, ließ zwei Pferde für sich und den Edelmann kommen, und dann brachen sie in der Nacht nach dem Ort auf, wo seine Nichte wohnte. Dort ließen sie ihre Pferde außen am Zaun, und der Edelmann ließ den Herzog durch die kleine Pforte in den Garten eintreten, indem er ihn bat, hinter einem großen Nußbaum stehen [431] zu bleiben, von wo er sehen könnte, ob er ihm die Wahrheit er zählt hätte oder nicht. Kaum waren sie in dem Garten, als der kleine Hund anfing zu kläffen; der Edelmann ging nun auf den Schloßthurm zu, wo ihm sogleich seine Dame entgegen ging, ihn grüßte und umarmte und ihm sagte, es schienen ihr tausend Jahre her zu sein, seit sie ihn gesehen habe. Dann gingen sie zusammen in das Zimmer, welches sie offen ließen, so daß der Herzog ihnen heimlich folgte, da kein Licht angezündet war. Dieser, der alle die Reden ihrer sittsamen Freundschaft hörte, war mehr als befriedigt und wartete dort nicht allzu lange, denn der Edelmann sagte seiner Dame, er müßte früher als gewöhnlich zurückkehren, da der Herzog schon um vier Uhr zur Jagd wollte, wo er nicht fehlen dürfe. Die Dame, welcher ihre Ehre lieber war als ihr Vergnügen, wollte ihn nicht von seiner Pflicht abhalten, denn was ihr an ihrer ehrbaren Freundschaft das Beste schien, das war, sie vor allen Menschen geheim zu halten. So schied der Edelmann von ihr eine Stunde nach Mitternacht; der Herzog ging voraus, und sie stiegen zu Pferd, um dahin zurückzukehren, von wo sie gekommen waren; auf dem Wege schwor der Herzog unaufhörlich dem Edelmann, daß er lieber sterben wolle, als sein Geheimniß verrathen, und von da ab schloß er ihn so in sein Vertrauen und seine Liebe ein, daß am ganzen Hof keiner in höherer Gnade stand, worüber die Herzogin in große Wuth gerieth. Aber der Herzog verbot ihr, jemals wieder davon zu sprechen, da er die Wahrheit wüßte und zufrieden damit sei, denn die Dame, welche er liebte, wäre liebenswürdiger als sie. Diese Worte griffen der Herzogin so ans Herz, daß sie noch kränker wurde als vorher. Der Herzog ging zu ihr, um sie zu trösten, aber es war kein Gedanke daran, wenn er ihr nicht sagte, wer diese schöne, so sehr geliebte Dame sei. Sie machte ihm damit das Leben so unerträglich und drängte ihn so sehr, daß der Herzog das Zimmer verließ indem er sagte: »Wenn Ihr mir weiter solche Reden sagt, so werden wir uns trennen.«

Diese Worte erhöhten die Krankheit der Herzogin, welche nur um ihr Kind besorgt zu sein schien. Der Herzog war so erfreut darüber, daß er wieder eine Nacht bei ihr zubrachte. Als sie ihn aber ganz besonders verliebt sah, drehte sie sich auf die andere [432] Seite und sagte: »Ihr liebet weder Eure Frau noch Eure Kinder und laßt uns sterben.« Bei diesen Worten vergoß sie so viele Thränen, daß der Herzog befürchtete, sie möchte eine vorzeitige Niederkunft haben. Er nahm sie deshalb in seine Arme, bat sie, ihm zu sagen, was sie wollte, es gäbe nichts, was er nicht für sie zu thun bereit sei. Sie antwortete ihm unter Thränen: »Wie kann ich hoffen, daß Ihr für mich etwas thun werdet, was Euch schwer fällt, wenn Ihr das Leichteste und Einfachste für mich nicht thun könnt, nämlich mir den Namen der Geliebten des schlechtesten Dieners, den Ihr je gehabt habt, zu sagen? Ich dachte, Ihr und ich, wir wären nur ein Herz. Jetzt sehe ich wohl, daß Ihr mich wie eine Fremde anseht, da Ihr mir Eure Geheimnisse, die mir nicht verborgen sein sollten, wie einer feindlichen Person vorenthaltet. Wenn Ihr also auch geschworen habt, Niemandem das Geheimniß des Edelmannes zu sagen, so tretet Ihr doch Eurer Ehre nicht zu nahe, wenn Ihr es mir sagt; denn ich bin und kann nichts anderes sein, als Ihr selbst. Ich halte Euch in meinen Armen, ich trage ein Kind von Euch unter meinem Herzen, Ihr lebt in meinem Leibe, und trotzdem besitze ich Eure Liebe nicht so, wie Ihr die meine besitzt.« Indem sie so sprach, umarmte und küßte sie ihren Gatten und übergoß sein ganzes Gesicht unter so herzbrechendem Schreien und Seufzern mit ihren Thränen, daß der gute Fürst, welcher fürchtete, Frau und Kind zugleich zu verlieren, sich entschloß, ihr alles zu sagen; zugleich schwor er ihr aber, wenn sie es irgend einer Kreatur der Welt verriethe, so würde sie von keiner anderen als seiner eigenen Hand sterben, was sie annahm und die Strafe erleiden wollte. Und nun erzählte ihr der arme, betrogene Gatte alles, was er gesehen hatte, von Anfang bis zu Ende. Sie that, als sei sie sehr erfreut darüber, doch dachte sie im Herzen das Gegentheil; immerhin aber verbarg sie, so gut es ging, aus Furcht vor dem Herzog ihre Leidenschaft. An einem großen Festtage hielt der Herzog Hof und hatte dazu alle Damen des Landes, unter anderen auch seine Nichte, eingeladen; nach dem Festmahl fingen die Tänze an, woran sich alle betheiligten. Aber die Herzogin litt Qualen, als sie die Schönheit und Holdseligkeit ihrer Nichte sah, sie konnte sich nicht freuen und noch weniger [433] verhindern, daß ihr Zorn sichtbar wurde; denn nachdem sie alle Damen gerufen hatte und sie in ihrer Nähe sich setzen ließ, fing sie an, von Liebe zu reden; und da sie sah, daß ihre Nichte nichts sprach, sagte sie mit einem von Eifersucht zernagten Herzen zu ihr: »Und Ihr, schöne Nichte, wäre es möglich, daß Eure Schönheit ohne Freund und Ritter geblieben ist?« »Madame«, antwortete diese, »meine Schönheit hat mir keinen solchen Gewinn gebracht, denn seit dem Tode meines Mannes habe ich keine anderen Freunde haben wollen als seine Kinder, womit ich ganz zufrieden bin.« »Ei, schöne Nichte«, antwortete die Herzogin im äußersten Verdruß, »doch giebt es keine so heimliche Liebe, daß sie nicht bekannt würde, und keinen so gut erzogenen und dressirten kleinen Hund, daß man sein Bellen nicht hörte.«

Ich überlasse es Euch, meine Damen, Euch auszumalen, welchen Schmerz diese arme Dame im Herzen fühlte, als sie eine so verborgene Sache zu ihrer Unehre öffentlich aussprechen hörte. Die so grausam behütete und so unglücklich verlorene Ehre quälte sie, noch mehr aber der Verdacht, daß ihr Freund sein Versprechen gebrochen habe; sie hätte nie gedacht, daß er das thun würde, außer wenn er sich in eine andere Dame verliebte, welche schöner wäre als sie, und der er aus Liebe alles das erzählen würde. Immerhin war ihre Tugend so groß, daß sie niemand etwas merken ließ und lachend antwortete, daß sie die Sprache der Thiere nicht verstände. Unter dieser weisen Verstellung aber war ihr Herz von Traurigkeit so bedrückt, daß sie sich erhob; sie ging durch das Zimmer der Fürstin und trat in ein kleines Gemach, wo der Fürst, der in der Nähe war, sie hineingehen sah. Als die gute Dame sich nun an einem Ort befand, wo sie allein zu sein glaubte, ließ sie sich in so großer Schwäche auf ein Bett fallen, daß ein Kammermädchen, welches in einem Durchgang saß und da ein wenig schlafen wollte, aufstand und durch den Vorhang blickte, um zu sehen, wer da war. Als sie aber sah, daß es die Nichte des Herzogs war, welche allein zu sein glaubte, wagte sie nichts zu sagen und hörte ihr so lautlos zu, wie sie konnte. Die arme Dame fing mit halberstorbener Stimme an, ihren Freund und die Herzogin des Verraths anzuklagen. Schmerz und Trauer übermannten sie [434] hierbei so, daß sie zuletzt zu Boden sank; ihr Gesicht wurde ganz fahl, ihre Lippen blau und die Glieder kalt. In diesem Augenblick trat der Edelmann, welchen sie liebte, in den Saal; als er die Herzogin mit ihren Damen tanzen sah, schaute er sich überall nach seiner Freundin um; da er sie nicht sah, trat er in das Zimmer der Herzogin, wo er den Herzog lustwandelnd fand, der ihm, seine Gedanken errathend, ins Ohr flüsterte: »Sie ist in dieses Gemach dort gegangen, es schien, als befände sie sich schlecht.« Der Edelmann fragte, ob er hineingehen dürfe, was ihm der Herzog erlaubte. Wie er in das kleine Gemach trat, sah er, daß sie in den letzten Zügen lag; er umarmte sie und sprach: »Was ist das, meine Liebste, wollt Ihr mich verlassen?« Die arme Dame gewann, als sie die Stimme hörte, welche sie so gut kannte, ein wenig Kraft zurück und öffnete die Augen, den anblickend, der die Ursache ihres Todes war. Aber in diesem Blick wuchsen ihre Liebe und ihr Leid so an, daß sie mit einem jammervollen Seufzer ihren Geist aufgab. Der Edelmann, der fast mehr todt als die Todte war, fragte die Kammerjungfer, wieso diese Krankheit sie ergriffen hätte, worauf diese ihm alles mit den Worten wiedererzählte, die sie vernommen hatte. Zur Stunde erkannte er, daß der Herzog sein Geheimniß seiner Frau verrathen hatte, worüber er in eine solche Wuth gerieth, daß er, indem er seine Freundin umarmte, sie ganz mit seinen Thränen begoß. Dann neigte er sich über die Leiche wie ein Mensch, der außer sich ist und den Verstand verloren hat, zog seinen Dolch hervor und stieß ihn sich mit großer Heftigkeit in das Herz; dann nahm er abermals seine Freundin in die Arme und küßte sie mit solcher Inbrunst, daß er eher von Liebe als vom Tode ergriffen zu sein schien. Als die Kammerjungfer den Stoß sah, lief sie zur Thür und rief nach Hülfe. Der Herzog, welcher den Schrei hörte und das Unglück derer, die er liebte, ahnte, trat zuerst in das Gemach; als er das beklagenswerte Paar sah, versuchte er, sie zu trennen, um womöglich den Edelmann noch zu retten. Aber er hielt seine Freundin so fest, daß es unmöglich war, sie ihm zu entreißen, bis er ebenfalls todt war. Als er hörte, wie der Herzog zu ihm sagte: »O Gott, wer trägt Schuld hieran?« antwortete er mit einem wüthenden Blick: »Eure Zunge und die [435] meine, Herr.« Und mit diesen Worten, das Gesicht an seine Freundin gelegt, verschied er. Der Herzog, welcher Näheres darüber wissen wollte, zwang die Kammerjungfer, ihm zu sagen, was sie gesehen und gehört hatte, worauf sie ihm genau alles erzählte, ohne etwas zu verschweigen. Da zur Stunde der Herzog erkannte, daß er die Ursache dieses ganzen Leides sei, warf er sich über die todten Liebenden und bat mit vielen Seufzern und Thränen um ihre Verzeihung, indem er sie beide mehrmals küßte; dann stand er auf und zog voller Wuth den Dolch aus der Brust des Edelmanns; und wie ein Keiler, den ein Spieß verwundet hat, sich ungestüm auf den stürzt, der den Stoß führte, so ging der Herzog, die zu suchen, die ihn bis in den Grund der Seele verwundet hatte; er fand sie im Saale tanzend und vergnügter als gewöhnlich, da sie dachte, sich wohl an der Nichte des Herzogs gerächt zu haben. Der Herzog ergriff sie mitten im Tanz und sprach zu ihr: »Ihr habt das Geheimniß mit Eurem Leben verbürgt, nun falle auch die Strafe auf Euer Leben.« Indem er das sagte, erfaßte er sie bei den Haaren und stieß ihr den Dolch in die Kehle. Die Gesellschaft war darüber so bestürzt, daß sie glaubten, der Herzog habe den Verstand verloren. Nachdem er dieses gethan hatte, versammelte er alle seine Ritter im Saale und erzählte ihnen die Ehrbarkeit und das traurige Schicksal seiner Nichte und den bösen Streich, den ihr seine Frau gespielt hatte, worüber die Zuhörer Thränen vergossen. Dann befahl der Herzog, daß seine Frau in einer Abtei begraben werde, die er gründete, und ließ eine schöne Grabstätte herrichten, wo die Leichen seiner Nichte und des Edelmanns zusammen bestattet wurden, mit einer Grabschrift, welche ihre traurige Geschichte berichtete. Der Herzog aber unternahm eine Fahrt gegen die Türken, wobei Gott ihn so begünstigte, daß er Ehren und Gewinn davon heimbrachte; da er bei seiner Rückkehr seinen ältesten Sohn reif fand, sein Land zu regieren, ging er in die Abtei, wo seine Frau und die beiden Liebenden begraben waren, wurde dort Mönch und verbrachte sein Alter glücklich mit Gott.

»Dies, meine Damen«, fuhr Parlamente fort, »ist die Geschichte, welche Ihr mich gebeten habt, Euch zu erzählen, und die Ihr, wie ich an Euren Blicken sehe, nicht ohne Theilnahme angehört habt.

[436] Mir scheint, Ihr sollt Euch hieraus ein Beispiel nehmen, bei Eurer Liebe nicht die Ehre aufs Spiel zu setzen, denn so ehrbar und tugendhaft sie auch sein mag, so bekommt sie schließlich doch immer einen üblen Nachgeschmack. Ihr seht ja auch, daß der Apostel Paulus will, daß nur die verheirateten Leute diese große Liebe für einander haben; denn je mehr unser Herz sich an etwas Irdisches hängt, um so weiter entfernt es sich von der himmlischen Liebe; und je ehrbarer und je tugendhafter eine Liebe ist, um so schwerer ist ihr Band zu zerreißen; darum bitte ich Euch, meine Damen, zu jeder Stunde Gott den heiligen Geist anzuflehen, Euer Herz so in der Liebe zu Gott zu entflammen, daß es Euch im Tode keinen Schmerz bereitet, die zu verlassen, die Ihr auf dieser Erde zu sehr liebt.« »Da die Liebe so ehrbar war, wie Ihr sie uns beschriebt«, sagte Hircan, »warum mußte sie so geheim gehalten werden?« Parlamente sagte: »Weil die Schlechtigkeit der Männer eine solche ist, daß sie niemals denken, eine große Liebe sei mit Ehrbarkeit verbunden. So urtheilen Männer und Frauen nach ihren Leidenschaften. Aus diesem Grunde ist es nöthig, daß, wenn eine Frau außer ihren nächsten Verwandten einen guten Freund hat, sie insgeheim mit ihm verkehrt, wenn sie lange mit ihm zu verkehren wünscht. Denn die Ehre einer Frau wird ebenso in Zweifel gezogen, wenn sie tugendhaft, als wenn sie lasterlaft lebt; denn man hält sich nur an das, was man sieht.« Guebron sagte: »Ist aber das Geheimniß entdeckt, so denkt man nur noch Schlimmeres davon.« »Das gebe ich zu«, sagte Longarine, »deshalb ist es schon das Beste, garnicht zu lieben.« Dagoucin sagte: »Das lassen wir nicht gelten, denn wenn wir annehmen müßten, daß die Damen ohne Liebe seien, so möchten wir zu leben aufhören. Ich verstehe es vielmehr dahin, daß sie nur leben, um Liebe zu erwerben. Kommt sie nicht, so hält die Hoffnung sie aufrecht und läßt sie tausend edle Dinge thun, bis das Alter diese edle Leidenschaft in andere Sorgen verwandelt. Wenn man aber annehmen wurde, daß die Frauen nicht lieben, so müßte man aus Waffenhelden Kaufleute machen und anstatt auf Ehre auszugehen, nur daran denken, Reichthümer zu sammeln.« »Das heißt also«, sagte Hircan, »wenn es keine Frauen gäbe, wären wir alle schlechte Menschen, [437] als wenn wir nur den Muth besäßen, den sie uns einflößen. Ich bin ganz entgegengesetzter Ansicht und glaube, daß nichts den Muth eines Mannes so niederdrückt, als zuviel mit Frauen umzugehen und sie zu sehr zu lieben. Deshalb verboten auch die Juden, daß ein Mann in dem Jahre, indem er sich verheirathete, in den Krieg zöge, aus Furcht, die Liebe zu seiner Frau könne ihn von dem Opfermuth, den man dann bethätigen muß, zurückschrecken lassen.« Saffredant sagte: »Ich finde keine besondere Vernunft in diesem Gesetz, denn nichts treibt den Mann früher aus dem Hause als der Ehestand, weil der Krieg im Felde lange nicht so schwer zu tragen ist, wie der im Hause. Deshalb glaube ich, wenn man den Männern das Verlangen eingeben wollte, in fremde Länder zu gehen und sich am häuslichen Heerd nicht wohl zu fühlen, so wäre das geeigneste Mittel, sie zu verheirathen.« »Es ist richtig«, sagte Emarsuitte, »daß die Ehe ihnen die Sorgen für ihr Haus abnimmt; denn das überlassen sie vertrauensvoll ihren Frauen, und denken nur daran, Ehren zu erwerben, indem sie fest glauben, daß die Frauen den Gewinn schon sorgsam hüten werden.« Saffredant antwortete: »Wie dem auch sei, ich bin sehr froh, daß Ihr meiner Meinung seid.« Parlamente wandte jedoch ein: »Ihr streitet ja garnicht mehr über das, was viel mehr zu überlegen ist, nämlich, weshalb der Edelmann, der an all' diesem Unglück Schuld war, nicht sofort wie die Unschuldige vor Kummer und Verdruß starb?« Nomerfide sagte: »Das liegt daran, daß die Frauen tiefer als die Männer lieben.« Simontault sagte: »Nein, sondern daran, weil Eifersucht und Verlangen die Frauen ganz ohne Grund umkommen lassen, während die Klugheit der Männer sie der Wahrheit auf den Grund kommen läßt, die verbunden mit dem gesunden Menschenverstand ihre Ueberlegenheit zeigt. So that es auch der Edelmann, der, nachdem er gehört hatte, daß er die Ursache des Todes seiner Geliebten sei, zeigte, wie sehr er liebte, und daß ihm dagegen sein eigenes Leben nichts galt.« Emarsuitte sagte: »Jedenfalls starb auch sie in wahrer Liebe, denn ihr treues und liebendes Herz konnte es nicht ertragen, in so schimpflicher Weise betrogen zu sein.« Simontault sagte: »Es war nur Eifersucht, die keiner Ueberlegung Raum gab, und da sie bei ihrem Freunde eine Schlechtigkeit voraussetzte, [438] die er garnicht hatte, so war ihr Tod eine natürliche Folge, denn sie konnte nichts mehr gut machen; der Tod ihres Geliebten aber war ein freiwilliger, nachdem er ihr Geschick erfahren hatte.« »Immerhin muß die Liebe groß sein, welche einen solchen Kummer verursachen kann«, sagte Nomerfide »Fürchtet Euch nicht«, wandte sich Hircan an sie, »Ihr werdet an solcher Krankheit nicht sterben«. »Ebensowenig, wie Ihr Euch das Leben nehmen werdet«, antwortete diese, »wenn Ihr Euer Unrecht erkannt habt.« Parlamente errieth, daß der Streit auf ihre Kosten ging, und sagte lächelnd zu ihnen: »Es ist genug, daß zwei vor Liebe gestorben sind, und es ist nicht nöthig, daß die Liebe noch zwei andere sich streiten läßt, denn eben läutet die Vesperglocke zum letzten Male, die uns wohl oder übel jetzt trennen wird.« Auf ihren Rath erhob sich die Gesellschaft, und alle gingen in die Messe und vergaßen in ihren Gebeten nicht die Seelen der wahren Liebenden, für welche die Mönche aus eigenem Antriebe ein de profundis sagten. So lange sie bei Tisch saßen, sprachen sie von nichts anderem, als von Frau von Verger. 4 Nachdem sie dann noch eine Zeit lang zusammen geblieben waren, zog sich ein jeder auf sein Zimmer zurück. So beendeten sie den siebenten Tag.

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Siebenter Tag. 70. Erzählung: [Von der Pflichtvergessenheit einer Herzogin]. 70. Erzählung: [Von der Pflichtvergessenheit einer Herzogin]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EC4-2