[64] Seelenzauber

Sie sagen, hingeschwunden sei
Die Schönheit, die dein Haupt bekränzte,
Als noch ein wolkenloser Mai
Der Jungfrau Leben heiter glänzte.
Gleichgiltig bald, bald heuchelnd spricht
Ihr achselzuckendes Bedauern:
Wie Schade, daß dieß Angesicht
»So früh versehrt von Gram und Trauern!«
Doch wo ihr Auge bloß die Spur
Vom Welken sieht und vom Verblühen,
Da sieht das meine wieder nur
Verklärung wundersam erglühen.
[65]
O nie hat deiner Schönheit Strahl
So tief so mächtig mich beweget,
Als seit der Schmerz sein heilig Maal
Auf deine reine Stirn' gepräget!
Ja, dich umwallt ein reicher Glanz
Ob er auch Vielen sich verhehle!
Dein Antlitz, es ist Seele ganz,
Und seinen Zauber fühlt die Seele.
Es fasset mich in deiner Näh'
Ein schmerz- und freudenvolles Ahnen,
Und dieß geheimnißreiche Weh,
Wie Heimweh will es mich gemahnen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Paoli, Betty. Gedichte. Neue Gedichte. Seelenzauber. Seelenzauber. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-6B3E-B