[177] Der Pelikan

An meine Kinder.


Gesengt vom heißen Mittagswind
Erstarb die Flur. Die Nymphe klagte
Am trocknen Quell; und täglich jagte
Der Hunger und sein Mordgesind,
Die Seuchen, ganze Hekatomben
Von Thieren in die Katakomben
Der alten Nacht. Ein Pelikan
Am Ida litt mit seinen Jungen
Des Orkus Durst. Der Hyderzahn
Des Tods, mit dem sie lang gerungen,
Durchwühlt ihr Mark. Von Harm durchdrungen,
Sieht er verstummt die ganze Brut,
Mit hohlem Aug und heiserm Aechzen,
Nach einem Tropfen Wassers lechzen.
Itzt bricht sein Herz, voll schöner Wuth
Reißt er mit der gestählten Spitze
Des Schnabels eine tiefe Ritze
Sich in die Brust, und spritzt sein Blut
Den Kindern in die dürre Kehle.
Sie trinken froh den Purpursaft
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Und schöpfen, wie vom frischen Oele
Die seichte Lampe, neue Kraft.
Nur folgt dem schaurichten Befehle
Das jüngste nicht. Sein starrer Blick
Klebt auf der Wunde; seine Seele
Zerreißt ihr Band; es sinkt zurück;
Verhüllt sein Haupt mit seinem Flügel –
Und stirbt. Von dem geweihten Hügel
Schaut Vater Zevs mit stiller Lust
In dieses Heiligthum der Liebe.
Er weint. Der göttlichste der Triebe,
Das Mitleid, schwellt des Rächers Brust;
Er wischt den Tod vom Augenliede
Des Märtyrers. Der Pelikan
Wacht glänzend auf, und der Chronide
Nimmt ihn zum zweyten Vogel an:
Doch nicht als Diener seines Zornes,
Der mit dem Blitz bewafnet ist;
Als Träger jenes Segenhornes,
Das er auf fromme Kinder gießt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Zweyter Theil. Viertes Buch. Der Pelikan. Der Pelikan. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-747A-D