August von Platen
Der romantische Oedipus
Ein Lustspiel in 5 Akten

Personen

[106] Personen des Lustspiels.

    • Nimmermann, Romantiker.

    • Das Publicum, als Reisender.

    • Der Verstand, exilirt.

    • Chor der Haidschnucken.

Personen des Zwischenspiels.

    • Lajus, König von Theben.

    • Jokaste, seine Gemahlin.

    • Oedipus, beider Sohn.

    • Polybus, König von Corinth.

    • Zelinde, seine Gemahlin.

    • Diagoras, ihr Liebhaber.

    • Tiresias, Zeichendeuter.

    • Kind,
    • Kindeskind, , Hofpoeten der Jokaste.

    • Melchior, Bedienter des Lajus.

    • Balthasar, Bedienter des Polybus.

    • Die Pythia.

    • Die Sphinx.

    • Zwei Hebammen.

1. Akt

Erster Akt.

Das Publicum als Reisender, Chor der Haidschnucken.

PUBLICUM.
Das ist die schöne Lüneburger Ebene,
Wohin des Rufs Trompete mich von fern gelockt:
Hier, sagt man, wandle Tag und Nacht, romantische
Blasbälge tretend, ein berühmter Verseschmied;
Doch weit und breit erblick' ich nichts Poetisches,
Blos dort im Vorgrund eine Schaar von Bestien.
CHOR.
Wer bist du, Fremdling? Aeußere dich bescheidener!
PUBLICUM.
Wie? Sprechen könnt ihr? Leben wir zur Zeit Aesops?
Ich wollte mich beruhigen, wenn ihr Pferde wärt,
Denn Pferde, dünkt mich, sprechen beim Homer sogar.
CHOR.
Aesop! Homer! Enthalte dich vom Griechischen!
Blind war Homer, es war Aesop ein Buckliger:
Wir dienen keinem Krüppel!
PUBLICUM.
Nun, wem dient denn ihr?
CHOR.
Dem Nimmermann.
PUBLICUM.
Dem Nimmermann? So ist es wahr,
Daß hier der schwulsteinpöcklerische Musensohn,
Der deutsche Shakespear athmet? Unter Schafen hier?
Das wundert mich!
CHOR.
Warum?
PUBLICUM.
Wer hätte das gedacht?
CHOR.
Warum? Er ist Besitzer einer Schäferei:
Trieb nicht auch Paris, welchem doch Olympier
Schiedsrichteramt verliehen, trieb Adonis nicht
Haidschnucken? Was auch sollte sonst der Treffliche
Vornehmen, hier in dieser Abgeschiedenheit?
PUBLICUM.
Wenn ich's gerade sagen soll, Scharfrichterei:
Ich las entzückt sein Trauerspiel Cardenio,
Die größte, mehr als ekelhafte, Metzelung,
[107] Die je der fette Frosch Bombast in dunstigen
Irrlichtersumpf poetischen Wahnsinns laichete.
Denn so charakterisiren's uns die Kritiker;
Doch eben was mißfallen hat den Kritikern,
Entzückte mich. Ich flog hieher, dem Dichter selbst
Die Hand zu schütteln. Aber sprich, wo find' ich ihn?
CHOR.
Er überlegt ein Trauerspiel.
PUBLICUM.
Schon wieder eins?
CHOR.
O zehn für eins! Leicht fertig sind Romantiker,
Die's laufen lassen, wie es läuft.
PUBLICUM.
Wo sitzt er denn?
CHOR.
Dort! Siehst du nicht die spanische Wand?
PUBLICUM.
Dort dichtet er?
CHOR.
Das eben nicht. Abthut er ein Privatgeschäft:
Er las gerade den Oedipus des Sophokles,
Doch war derselbe keineswegs ihm homogen,
Und geht sogleich nun wieder als Purganz von ihm.
PUBLICUM.
Ein eigner Fall!
CHOR.
Der Hochbegabte schleuderte
Das fade Buch in's allerdürrste Haidekraut:
Das also, rief er, wäre solch ein Meisterstück,
Der tragische Kanon eures Aristoteles?
Pedanten ihr! Nun will ich einen Oedipus,
Ich selbst erfinden, zeigen euch, wie jener Mensch
Es hätte machen sollen, ein historisches
Vorzeitsfamilienmordgemälde bühnenhaft
Dem Publicum vorbeizuführen. Jenes Stück
Ist blos als Bruchstück anzusehn! Wo wäre denn
Die Breite, die dem Trauerspiel nothwendig ist?
Der Nebenbeipersonen reiches Uebermaß?
Aufwärter, Mägde, Narren, kleine Kinderchen,
Kanzleiverwandte, Taugenichtse, Krämervolk,
Stallknechte, Hasenfüße, Kriminalbedienstete,
Bordellgenossen, und so weiter? Ja, wo wäre denn
[108] Decorationsveränderung und sonstige
Freischützcaskadenfeuerwerkmaschinerie?
Wo ist was Komisches eingestreut? Die nöthigen
Anachronismen fehlen, geographische,
Selbst andre Schnitzer find' ich nicht. Der schülerhaft
Holprichte Versbau mangelt, und der Floskelschwall,
Den stets als schöne Sprache rühmt das Publicum.
PUBLICUM.
Das Publicum? Haidschnucken! Nannte wirklich er
Das Publicum?
CHOR.
So that er, ja.
PUBLICUM.
Nun mache mich
Die Freude nicht wahnwitzig!
CHOR.
Ei, was hast du denn?
PUBLICUM.
Ich bin ja selbst das sogenannte Publicum!
CHOR.
Du selbst? Unmöglich!
PUBLICUM.
Sieh von hinten mich und sieh
Von vorne mich! Ich bin es selbst.
CHOR.
So jugendlich,
So völlig bartlos, eingezwängt in den neusten Frack,
Mit steifem Halstuch angethan, so dacht' ich mir
Dich nicht.
PUBLICUM.
Ich bin das Publicum. Die Hände sind
Noch brennend roth mir, weil ich beim Houwaldischen
Leuchtthurme neulich beide fast mir wundgeklatscht,
Und forderst du noch mehr Beweis, so trag' ich hier
In meinem Busentäschchen Glaurens Mimili!
CHOR.
Auf, auf, o Genossen! den Zweifel erstickt,
Und eröffnet den Tanz! Der erwartete Freund,
Der ersehnte, betrat dieß leere Gefild:
Nun feire der Dank in Ergießungen ihn
Nie müden Gesangs! Freiwillig zerfällt
In gemessene Sylben der Willkomm.

[109] Auf, auf, o Genossen! Umtanzt ihn rings,
Und die Hymne beginnt, die gewaltige, die
Wie ein Bote des Glücks, wie ein Aar, der keck
Von dem Idagebürg Ganymeden geraubt,?
Die Gestirne vorbei, sich siegstolz wiegt
Auf silberner Schwinge des Wohlklangs!

Auf, auf, o Genossen! Und rufet empor
Den Romantiker, der in melodischen Traum
Sein Dasein lullt! Es erschien, o Poet,
Der erwartete Gast, nach welchem du längst
Schwerathmend erhubst, voll süßer Begier,
Sehnsüchtig unsterbliche Seufzer!

Die Vorigen, Nimmermann.
CHOR
vorstellend.
Der Dichterheros Nimmermann – Das Publicum –
PUBLICUM.
Geraume Zeit schon wünscht' ich, Werthgeschätztester –
NIMMERMANN.
Schon lange brannte mein Gemüth, Verehrliches –
PUBLICUM.
Von Angesicht zu Angesicht Sie anzusehn –
NIMMERMANN.
Auf Ihren Altar legend meine Dichtungen –
PUBLICUM.
Um nicht von Gall zu lernen oder Lavater –
NIMMERMANN.
Weihrauch zu ziehn in meiner Nase Riechorgan.
PUBLICUM.
Was ein Genie für eine Gattung Nase hat.
CHOR.
Da trifft das Sprichwort wieder ein, daß immer sich
Begegnen schöne Geister, weil zu gleicher Zeit
An einer Nasenspitze Beide landeten,
Ihr Schiff regierend über's Meer der Redekunst.
NIMMERMANN.
Entschuldigung erbitt' ich mir, da eben ich
Auf meinem Beichtstuhl, wie ich ihn aus Schicklichkeit
Benenne, saß.
[110]
PUBLICUM.
O Zartgefühl!
NIMMERMANN.
Den Dichtern auch
Begegnet jezuweilen etwas Menschliches.
PUBLICUM.
Sie haben ja die spanische Wand! Ich bitte sehr –
NIMMERMANN.
Wir wollen gleich zur Sache kommen! Zwar ich bin
Kein Müllner, keiner, der im ersten Augenblick,
Sobald ein Fremder über seine Schwelle tritt,
Von seinen eignen Werken an zu sprechen fängt;
Doch Ihnen muß ich frank und frei herausgestehn,
Ich dichte jetzt ein ungemeines Meisterstück.
PUBLICUM.
Wie immer; doch gewähren Sie das Nähere
NIMMERMANN.
Ausforschen muß ich Ihren wahren Glauben erst:
Was sagen Sie zum Oedipus des Sophokles?
PUBLICUM.
Ich las in meiner Jugend auf den Schulen ihn,
Er schien mir nicht gelungen.
NIMMERMANN.
Eine Pfuscherei,
Wie's keine giebt! Höchst tragisch ist der Gegenstand:
Blutschande, Gräuel jeder Art, ein Vatermord,
Die Sphinx, die Pest, ein Uebermaß von Irrungen,
Verwickelungen ohne Zahl! Wie wenig hat
Der Dichter diesen fürchterlichen Stoff benutzt!
Geradezu hinausgerückt das Gräßliche,
Verhüllt in schöne Reden jede Schändlichkeit,
Des Stücks Effekt vernichtet, aus dem Personal
Sogar die Sphinx gestrichen, die aufs Publicum
Den tiefsten Eindruck machen müßte.
PUBLICUM.
Ja, gewiß!
Denn völlig grundlos sagen uns die Kritiker,
Die tragische Kunst vertrüge nichts Dämonisches,
Und blos der Leidenschaften reine Menschlichkeit.
NIMMERMANN.
Und wissen Sie, was jenes nüchternen Trauerspiels
Hauptfehler?
[111]
PUBLICUM.
Nein!
NIMMERMANN.
Sie kennen doch das Räthselchen,
Das jene Sphinx gab?
PUBLICUM.
Allerdings. Sie sprach: Was ist
Das Ding, das früh des Morgens auf vier Füßen geht,
Auf zwei des Mittags und des Abends drei gebraucht.
NIMMERMANN.
Es ist der Mensch. Nun zeigte zwar den Oedipus
Als Mann der Dichter, wie er auf zwei Füßen geht,
Ja, da er blind ihn werden läßt, so leiht er ihm
Auch wohl den Stab als dritten Fuß. Wo aber geht
Im ganzen Stück auf allen Vieren Oedipus?
PUBLICUM.
O feiner Scharfsinn!
NIMMERMANN.
So zerstörte Sophokles
Des eignen Helden sogenannte Menschlichkeit!
Denn weil er nie auf Vieren geht, so ist er mir
Kein wahrer Mensch entweder, oder Oedipus
Errieth das Räthsel keineswegs und hätte dann
Von jener Sphinx den Tod verdient.
PUBLICUM.
O Theuerster!
Sie brächten einen Dromedar durch's Nadelöhr,
Geschweige denn ein bloß Kameel. – (Welch tiefer Geist!) –
CHOR.
Weltweise, heran! Und gelagert im Kreis
Lernt nun Tiefsinn! Und ein Hinrichs hier,
Und ein Hinrichs dort, ehrfürchtig und still,
Mag schmiegen das Haupt
An die duftigen Zeh'n des Dichters!
NIMMERMANN.
Ein Mensch des Platon ist er, dieser Oedipus
Mit seinen beiden Füßen, ein gerupfter Hahn!
CHOR.
Ein Eroberer zieht der Poet einher:
Ihm diene die Welt und der Menschheit Herz
Wie ein Ball in der Hand, den übungsreich
Bald fangt, bald wirft
Des erhabenen Spielers Anmuth!
[112]
PUBLICUM.
So haben Sie den Oedipus als Kind gezeigt?
NIMMERMANN.
Noch mehr als dieß. Das Trauerspiel beginnt mit zwei
Hebammen vor dem Wochenbett der Königin
Jokaste.
PUBLICUM.
Herrlich! Musterhaft! Die Geburt ja ist
Des Lebens erste Scene.
NIMMERMANN.
Wahr und fein bemerkt!
PUBLICUM.
Ach, dürft' ich doch anhören jenes köstliche
Produkt des Geistes, oder wird's durch Druck bekannt?
NIMMERMANN.
Sie sollen gleich es spielen sehn, und werden auch
Dem Verstand begegnen, welcher als Zuschauer mich
Bewundern will; denn kürzlich ward in die Haide her
Verbannt der allen Deutschen Ueberlästige:
Mir gilt er keinen Pfifferling; doch duldet ihn
Als Exilirten einerseits und überdieß
Als jener tausend Einen meine Muse noch,
Die ihr den Handkuß leisten, wie zu hoffen steht;
Drum haben Sie Geduld mit ihm! Einstweilen, Freund,
Ziehn hinter diese spanische Wand zurück wir uns:
Ich muß die Puppen ordnen, deren Augenschein
Sie nehmen können. Besondre Mühe macht dabei
Mir stets der Anzug. Ueber das alte Hofcostüm
Von Theben walten Zweifel ob. Wie breit der Latz
Am kurzen Gallahosenpaar des Oedipus
Gewesen ist, bleibt unentschieden; dieserhalb
Wies auch Berlin das Stück zurück, wiewohl der Staat
Von Theben nie ein freier Staat, und Oedipus
Ein legitimer Volkstyrann gewesen ist.
PUBLICUM.
Dort hält man viel auf alles Augenfällige,
Mit Recht. So mußte neulich aus Berlin sogar
Bis Aranjuez ein Maler sich mit Extrapost
Begeben, blos um nachzusehn im Garten dort,
[113] Wo die von Schiller's buhlerischer Eboli
Gepflückte Hyacinthe steht. Er fand sie nicht,
Und wissen Sie, weswegen?
NIMMERMANN.
Weil gepflückt sie war.
PUBLICUM.
O süßer Witz! Sie bringen jede Sphinx zu Fall:
Kein Räthsel giebt's für solche Geister!
NIMMERMANN.
Kommen Sie!

Beide ab.
CHORFÜHRER
an den Rand der Bühne vortretend.
Wem Kraft des Gemüths, wem Tiefsinn fehlt, und die Kunst, die Jegliches ordnet,
Der wird niemals dem versammelten Volk vorführen die wahre Tragödie:
Zu erweisen, wodurch sie entsteht, liegt nicht in des Lustspieldichters Ermessen,
Ihm ist es genug, wenn er lehrt, was ihr wie Sirenengesänge zu fliehn habt,
Und wovon heut' euch sein schaffender Sinn darstellt ein lebendiges Beispiel.
Zwar lebt er entfernt; doch lebt er vielleicht in dem Land, das Oder und Elbe,
Das Weser und Rhein und der Donaustrom durchziehn, nicht ganz ein Vergess'ner,
Seitdem er zuerst, zu Gefechten bereit, wie ein Leu voll trotziger Weltscheu
Vortretend (Es liebt der energische Muth des bewußten Gefühls die Metapher)
Durch wirklichen Witz urkräftig erlegt den proceßanspinnenden Witzbold,
Der kleinlichen Geists und der Zanksucht voll, wie ein Spitz an der Kette, gebelfert,
Und zuerst mißbraucht den erhabenen Styl, und die; tragischen Formen entwürdigt,
[114] Der ohne Natur und Charaktergehalt manch überherodisches Machwerk
Aneinandergeflickt und zusammengeklext rabulistische Galgenintriguen:
Nicht wichtig er selbst und des Streits unwerth, da von selbst sich Nichtiges auflös't,
Nur wichtig indem euch einst er gefiel und bestach kurzsichtiges Urtheil;
Drum ließ das Gedicht ihn schmelzen wie Frost an den üppigen Strahlen des Frühlings.
Wohl weiß der Poet, daß Fromme zumal ihn vielfachst haben gescholten,
Ihn eitel gehöhnt und versichert sodann, er gefalle sich selber unendlich.
Solch Urtheil zeigt stumpfsinnige blos, blos eigene Seelengemeinheit:
Wer selbst sich gefällt, bleibt stehn wo er steht; doch wer in beständigem Fortschritt
Zu bewältigen sucht und zu steigern die Kunst, nicht scheint's, daß selbst er gefällt sich.
Die, welche verzeihn, was Jener gethan, sie erwägen der Zeiten Bedingniß,
Und den Zustand auch, wie er Deutschland fand, und die jetzige herrschende Dichtkunst,
Wo ein Clauren sogar Reichthum sich erschreibt, als wär's ein gewaltiger Byron!
Ihr Fromme zumal, in der Schrift so gelehrt, seht lieber ein sichtliches Vorbild
In dem Göttlichen selbst, der nie es verschwieg, was ihm in der Seele so tief lag!
Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Bist du der König der Juden?
Nicht läugnete Der es bescheiden hinweg, er erwiederte ruhig: Du sagst es.
Euch sagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er verwegen behauptet,
[115] Mehr gelte vor Gott ein gefühlter Gesang, als irgend ein frommer Gemeinplatz!
Gönnt einst das Geschick ihm höheren Flug, ihm ernstere Fülle der Bildkraft,
Dann möge dem Volk der Erfolg darthun, wer schönere sittliche Reinheit,
Wer mehr Andacht den Gemüthern entlockt, ihr oder die weltliche Dichtkunst,
Wenn je sie den Schritt in Kothurne verhüllt, und die Stirn wie ein Priester belorbeert.
Wohl äußert vielleicht ein bedächtiger Mann, ja selbst ein geduldiger Freund wohl,
Weßhalb der Poet auf Fehlende stets hinweis't in der tragischen Dichtkunst,
Und doch nie selbst den Kothurn festschnallt an die Knöchel und ernsteren Tanz tritt?
Zwar könnt' er darauf antworten, es sei die Comödie seines Bereichs nur,
Weil Scherz ihn blos und der Huldgöttin leichtsinnige Laune dahinreißt,
Weil selten ein Haupt zwei Kränze verträgt, (noch weniger drei, wie der Pabst hat!)
Doch sagt er dafür, aufrichtigen Sinns, weit lieber den wirklichen Grund euch:
In dem Lande des Teut singt mancher Gesell frühreife Tragödien ab schon,
Wenn Müßig der Stahl in dem Schacht noch ruht, der einst soll scheeren den Flaum ihm;
Doch unser Poet, seit Jahren erwägt sein Geist die gefährliche Laufbahn:
Was Andern ein Spiel blos dünkt, was leicht, wie den Schaum, von der Fläche sie schöpfen;
Er findet es schwer, ihm liegt es so tief, ja, tief, wie die Perle des Tauchers!
Noch stets mißtraut er der eigenen Kraft. Sechs Lustra begehrten die Griechen
[116] Von dem Jüngling, der zu dem Wettkampf sich, zu dem tragischen Kampfe sich anbot:
Kaum hat sie erreicht der Poet, drum gönnt
Langathmende Muße dem Wanderer, der
An des südlichen Meers Felsufer (da schon
Das Gespann des Apoll in die Waag' eintrat)
Sturmwinde belauscht, Anapäste betont,
Und Erfindungen denkt,
Zu belustigen Crethi und Plethi.

2. Akt

[117] Zweiter Akt.

Pallast in Theben.
Jokaste und die Hebammen.

JOKASTE.
Hat man Alles vorbereitet für die nahe Niederkunft?
ERSTE HEBAMME.
Alles, Königin, was immer Pflicht gebietet und Vernunft:
Auf dem Tische hier die Zangen, auch das Horoskop dabei,
Um's dem Kind sogleich zu stellen, und im Pfännchen hier der Brei.
ZWEITE HEBAMME.
Siebenhundert weiße Häubchen dort im Korb, in gleicher Zahl
Stehn in deiner Garderobe Steckenpferde nach der Wahl.
JOKASTE.
Pferdchen auch mit Pfeifen hinten, die ich mir zugleich erbat?
ZWEITE HEBAMME.
Diese nicht, auf unsres Königs eignes Schlafgemachsmandat,
Weil er ungestört zu sein wünscht, wann er schnarcht und wann er schnauft;
Abgesehen, daß die meisten schon nach Dresden sind verkauft,
Wo den Calderon man auspfiff, und den Clauren auserkor.
ERSTE HEBAMME.
Hinter jedem Spiegelrahmen guckt ein Birkenreis hervor.
JOKASTE.
Auch Erziehungsschriften, hoff' ich, hat man reichlich angeschafft?
ERSTE HEBAMME.
In der ersten Eile wurden tausend Stück herbeigerafft,
Nebst Philosophien für Kinder, unter andern die von Fries,
Der den deutschen Waisenhäusern diesen großen Dienst erwies.
[118]
JOKASTE.
Wehe mir! Hinweg aus meinen Haaren, schaudervolles Thier!
ZWEITE HEBAMME.
Was befiel die Königin?
ERSTE HEBAMME.
Was ist geschehen?
JOKASTE.
Siehst du hier
Nicht die Fledermaus, die eifrig zwischen meinen Locken pfuscht,
Da sie durch das offne Fenster abendlich hereingehuscht?
ERSTE HEBAMME.
Schnell heraus mit ihr!
JOKASTE.
Vergebens! Sie verwirrt sich im Genick.
ZWEITE HEBAMME.
Böses Omen!
JOKASTE.
Und gerad' in diesem schwangern Augenblick!
Sendet nach Berlin, nach Doktor Raupels ärztlichem Beschluß,
Wie man's etwa bei so trag'schen Fehlgeburten machen muß?
ZWEITE HEBAMME.
Jener, heißt's, ist im Begriffe nach Sibirien zu gehn.
ERSTE HEBAMME.
Will die Fledermaus am Ende blos vielleicht Gevatter stehn?
JOKASTE.
Wehe mir, es naht die Stunde, meiner Last zu werden quitt,
Wie's der Dichter nennt, der neulich über unsre Bretter schritt!
Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei,
Und so fällt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei;
Aber ruft den König jetzo!
ERSTE HEBAMME.
Wohl! Ich eile schnell hinaus.
ZWEITE HEBAMME.
Wendet ab dieß Omen, Götter! Wendet ab die Fledermaus!

[119] Pallast in Corinth.
Zelinde, Diagoras.
DIAGORAS.
Dreißig Jahre sind vergangen und ich hab' umsonst gefleht,
Täglich, ob der Wind aus Westen, ob der Wind aus Osten weht,
Lag ich hier zu deinen Füßen, bat, beschwor dich, seufzte tief,
Ach, und gestern schrieb ich meinen millionten Liebesbrief!
Beide sind wir alt geworden, fünfzig ich und sechszig du:
Wann denn endlich wirfst du mir den ersten Blick der Liebe zu?
ZELINDE.
Nie, Diagoras! Doch besser dünkt mich ein platon'scher Sinn,
Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin.
DIAGORAS.
Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl
Ist ein Wüthrich, und du nahmst ihn nicht einmal aus freier Wahl.
ZELINDE.
Was er über mich verhänget, bin zu dulden ich bereit;
Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderlosigkeit.
DIAGORAS.
Hättest du Gehör mir früher eingeräumt, vielleicht –
ZELINDE.
O still!
Unterdrücke den Gedanken, den die Lippe bilden will!
DIAGORAS.
Jetzt sogar, o laß mich sprechen, da wir ohne Zeugen sind!
ZELINDE.
Nur auf legitime Weise wünsch' ich mir ein kleines Kind.
DIAGORAS.
Länger diese Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft.
ZELINDE.
O bedenke, dreißig Jahre warst du fromm und tugendhaft!
[120] Willst du nun den Preis verlieren, den du dir mit Müh' errangst,
Bitter wirst du's dann bereuen in der letzten Todesangst.
DIAGORAS.
Meinem Tode bin ich näher, als du glaubst, o hartes Weib!
ZELINDE.
Für gewissenhafte Seelen ist der Tod ein Zeitvertreib.
DIAGORAS.
Doch der Selbstmord, sprich, Zelinde! däucht er dich moralisch gut?
Denn ich will in's Wasser springen, um zu löschen meine Glut.
ZELINDE.
Gottes Langmuth gönnt dem armen Sünder oft zur Reue Zeit:
Mög' er senden einen Haifisch, der dich schnappt und wieder speit!
DIAGORAS.
Nach der Apotheke lauf ich, und vergebe mich mit Gift.
ZELINDE.
Arzenei'n zu kaufen, Lieber, braucht's des Arztes Unterschrift.
DIAGORAS.
Einen Holzstoß bau' ich, wie der Phönix sein entflammtes Nest.
ZELINDE.
Und wie Dejanira schick' ich dir ein Kleid; doch von Asbest.
DIAGORAS.
Nun, so wird das Schwert mir halten irgend ein geduld'ger Christ.
ZELINDE.
Leichter ist, es vorzuhalten, als hineinzurennen ist.
DIAGORAS.
Sey es, doch mich auszuhungern, fehlt Entschluß und Muth mir nicht.
ZELINDE.
Morgen lad' ich dich zur Tafel; denn es giebt dein Leibgericht.
DIAGORAS.
Phlegma scheint mir deine Tugend!
ZELINDE.
Hitze scheint mir dein Vergehn!
DIAGORAS.
Wann denn endlich darf ich hoffen?
ZELINDE.
»Wann die Todten auferstehn!«
[121]
DIAGORAS.
Nun, so laß mich sterben! Lebe wohl und deinem Gatten treu!
Eher als dein Herz entzündet sich ein Schober nasses Heu!
Dorten will ich sterben, wo ich dich zum erstenmal gesehn,
Wo die grünen Bäume rauschen, wo die leisen Lüfte wehn,
Auf Cithärons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn
Birschend einst im Wald du schweiftest, aufgeschürzte Jägerin!
Frühling war's, die Myrten blühten, voll und rauschend ging der Bach,
Rings erklang der Schafe Blöken und der Nachtigallen Ach.
Unter einer Pinie lagst du, deinen Köcher unter'm Kopf,
Dir zur Seite, sammt den Hunden, ein erschoss'ner Wiedehopf;
Schlummernd hielt ich dich für eine Göttin, und ich wagte nicht
Dich zu wecken; aber lange sah ich dir in's Angesicht:
Eine Mücke fing ich endlich, und ich setzte dieses Thier
Auf die Nasenspitze keck dir, auf die rothe Stelle hier.
Du erwachtest, zürnend aber; stammelnd rief ich: O verzeih!
Greifend an die Stirn nach einem schon gehofften Hirschgeweih;
Doch du lächeltest und sagtest: Nicht Diana bin ich, nein!
Aber keuscher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein.
Willst du mich platonisch lieben, magst du folgen deinem Drang:
Flüchtig ist gemeine Liebe, flüchtig wie der Wolke Gang:
Diese schwebt ihr ganzes Leben, rosig heute, morgen grau,
[122] Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thränenthau.
Also sprachst du, jede Sylbe merkt' ich mir und jeden Blick,
Und an jenes Baumes Aeste knüpf ich heute noch den Strick.
ZELINDE.
Wie du willst!
DIAGORAS.
Grausame! Deine letzten Worte wären das?
ZELINDE.
Ja.
DIAGORAS.
So lebe wohl, Zelinde!
ZELINDE.
Lebe wohl, Diagoras!

Diagoras ab.
ZELINDE.
Dieser dauert mich, doch ihn zu retten fiele mir zu schwer:
Eh' ich meine Tugend lasse, lass' ich sterben sechs wie er!

Pallast in Theben.
Jokaste, Lajus, die Hebammen, Oedipus in der Wiege.
JOKASTE.
O mein Gemahl, verlange nicht das neugeborne Kind zu sehn!
LAJUS.
Warum denn nicht, o Königin? Warum denn nicht? Was ist geschehn?
JOKASTE.
Vernimm! Allein es schaudert mir! Hebammen, sprecht und sagt es aus!
ERSTE HEBAMME.
O Majestät!
ZWEITE HEBAMME.
Die Königin –
ERSTE HEBAMME.
Erschrack vor einer Fledermaus,
ZWEITE HEBAMME.
Die frevelhaft verwirrend sich in ihres Haupts Frisur gesetzt.
LAJUS.
Sie that doch nichts Unrechtes dort?
[123]
ZWEITE HEBAMME.
Das eben nicht; doch eben jetzt,
Als unser Prinz geboren ward, da zeigte sich auf seiner Brust
Die Fledermaus als Muttermal, sonst ist gesund er und robust.
LAJUS.
Das ist noch nicht so schauderhaft! Regieren kann er immerhin,
Wofern er nur zwo Fäuste hat, das Zepter festzuhalten drin;
Denn jetzo will's gehalten sein! Auf einem Spieltisch neulich blieb
Das meine liegen aus Versehn, indem ich just Gesetze schrieb:
Die blöde Stubenmagd erscheint, sie hält's für einen bloßen Pflock,
Setzt einen Kopf von Holz darauf, und braucht's als ihren Haubenstock.

Die Vorigen, Tiresias.
TIRESIAS.
O fürchterliche Neuigkeit!
LAJUS.
Was giebt's?
TIRESIAS.
O schreckenvolles Wort,
Wie sprech' ich dich?
JOKASTE.
So rede doch!
TIRESIAS.
Ich stellte kaum dem Prinzen dort
Das Horoskop, so fand ich –
JOKASTE.
Was?
TIRESIAS.
Er wird –
LAJUS.
Er wird?
TIRESIAS.
Es ist zu viel!
LAJUS.
Doch nicht im Whist verlieren einst?
TIRESIAS.
O wär' es blos ein Kartenspiel!
JOKASTE.
Doch keinen Kern verschlucken, wenn er Kirschen ißt?
[124]
TIRESIAS.
O Kinderei'n!
Den Vater wird er tödten einst, und überdieß die Mutter frei'n.
JOKASTE.
Hebammen, helft der Königin!
LAJUS.
Und solch ein Weh, wie wird's erspart?
TIRESIAS.
Ihn aus dem Wege räume schnell!
JOKASTE.
Nur keine schlechte Todesart!
TIRESIAS.
In einem Mörser allenfalls zerstoßen ihn?
JOKASTE.
Im Mörser? Nein!
Die Köchin stieße Krebse drin ein andermal. Das ist gemein!
TIRESIAS.
In ein Kanönchen laden ihn?
JOKASTE.
Das Schießen greift die Nerven an.
TIRESIAS.
Vorwerfen einem wilden Thier?
LAJUS.
So sei's, und werde schnell gethan!
Denn sicher sind wir beide nicht, so lang' er lebt. He! Melchior!

Die Vorigen, Melchior.
MELCHIOR.
Gestrenger Herr!
LAJUS.
Den Prinzen nimm, und wirf ihn wilden
Thieren vor!
MELCHIOR.
Zu scherzen liebt die Majestät!
LAJUS.
O keineswegs!
MELCHIOR.
Das wilde Thier,
Wo fänd' ich das? Denn heut zu Tag sind alle zahm und voll Manier.
LAJUS.
Zum Berg Cithäron trage du das Kind; in jenen Wäldern ward
[125] Noch neulich mancher Leu gesehn und mancher bunte Leopard.
MELCHIOR.
Doch wenn ein solcher fertig mit dem Prinzen ist, so frißt er mich.
LAJUS.
Hat nichts zu sagen!
JOKASTE.
Melchior! Er fürchtet vor dem Tode sich?
MELCHIOR.
Das eben nicht.
LAJUS.
Schnell! Fort mit ihm!
JOKASTE.
Doch wickl' Er ihn sorgfältig ein,
Der Knabe kriegt den Schnupfen sonst.
MELCHIOR.
Ganz wohl! – Du armes Würmelein!

Ab mit Oedipus.
JOKASTE.
Mich dauert nur der Geldbetrag an Kinderzeug und an Papier:
Im Volk versteigern könnte man die pädagog'schen Schriften hier.
LAJUS.
Die Bücher nicht! Mein Unterthan soll pflügen, zahlen, und zugleich
In Devotion vor mir vergehn, dadurch allein besteht ein Reich!

Ab.
Berg Cithäron.
DIAGORAS
allein.
Dieß ist die Stelle, wo mit bitterm Schafte
Der Gott der Liebe mir die Brust zertheilet,
Wo ich gesehn die schöne Tugendhafte,
Die mich so schnell verletzt und nie geheilet;
Denn solche Wunden trotzen jedem Tafte!
Mit ihrer Säge hat die Zeit gefeilet
In meine Stirn indessen manche Linie,
Ja, fast verknorpelt deinen Stamm, o Pinie!

[126] Hier mögen glückliche Verliebte schweifen,
Den Schmerz genießen und die Freude klagen;
Hier mag ein Hirt der Hirtin Lieder pfeifen,
Und einen Kuß nach jedem Liede wagen;
Hier mag ein Faun nach einer Nymphe greifen,
Wo Büsche laubenhaft zusammenschlagen:
Mich mögen Schäfer hier im Moos begraben,
Und über mich die sanfte Heerde traben.

Doch eh' den Hals ich mit dem Seil umzwirne,
Will hier ich noch einmal des Schlafs genießen,
Er lehre mich und meine müde Stirne,
Wie leicht es ist, die Augen zuzuschließen:
Die Welt vergeht im menschlichen Gehirne,
Der Elemente Bildungen zerfließen,
Die Seele sieht, wie Sonn' und Mond erbleichen,
Und hört den Tod, wie auf den Zehen schleichen.

Er schläft ein.
Diagoras, Melchior mit Oedipus.
MELCHIOR.
Du armes Kind! Auf diesem grünen Platze
Blüht weiches Moos, hier will ich hin dich legen;
Nie möge hier die wilde Tigerkatze
Auffahrend schnauben ihrem Fang entgegen,
Nie hier der Löwe strecken seine Tatze,
Und nie die Natter sich im Kreis bewegen:
Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze,
Mag säugen dich und reichen dir die Zitze!

Festbinden will ich dich an diesen Zweigen,
Und wenn du sollst dein bittres Loos bezwingen,
So werden Nymphen hier dem Bach entsteigen,
Dir im Krystallglas einen Trunk zu bringen,
Und Oreaden ihren wilden Reigen
Bei Mondenschein in deiner Nähe schlingen,
Dich rufen hören, finden dich und laben
Mit süßen Früchten oder Honigwaben!

[127] Was aber such' ich lange nach Dämonen,
Die ohne Mitleid in des Meeres Gründen,
Auf unersteiglichen Gebürgen thronen,
In Strömen baden, welche nie sich münden?
Hier schläft ein Mensch: Was keine Götter schonen,
Er schont's vielleicht zu Ehren seiner Sünden;
Ihm überlass' ich fliehend dich, o Kleiner,
Er finde, rette dich, und pflege deiner!

Er entfernt sich, Oedipus fängt an zu schreien.
DIAGORAS.
Was für ein Ton? Was sehen meine Blicke?
Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget,
Beständig schreit und zappelnd schwebt am Stricke,
Ja, wie es scheint, nach einer Brust verlanget?
Habt ewig Dank, ihr himmlischen Geschicke!
Ihr Arme, schließt euch, daß ihr's fest umfanget!
O welch Geschenk, o welch ein Angebinde
Für deine kinderlose Brust, Zelinde!

Ab mit Oedipus.
Pallast in Corinth.
ZELINDE
allein.
Heute braucht mein Gatte lange, bis er sich zu Tisch begiebt:
Dreißig Jahre sind es, seit er jeden Tag mich minder liebt;
Täglich kommt zu Tisch er später: Als wir Hochzeit kaum gemacht,
Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der Nacht!

Zelinde, Diagoras.
ZELINDE.
Wie? Du kommst zurück, nachdem ich dich bejammert als erhenkt?
[128]
DIAGORAS.
Ist das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geschenkt?
ZELINDE.
Deine Drohung, dieses wußt' ich, war gesprochen in den Wind.
DIAGORAS.
Und ein zweites Leben bring' ich dir zurück, ein kleines Kind.
ZELINDE.
Wie? Ein Kind? Was seh' ich! Sage, wie du's überkommen hast?
DIAGORAS.
Auf dem Berg Cithäron, an der Pinie hing die süße Last.
ZELINDE.
Welches Wunder! Ist des Kindes Name dir viel leicht bekannt?
DIAGORAS.
Da ich fand es in der Oede, hab' ich's Oedipus genannt.
ZELINDE.
Schenkst du mir's, so leg' ich's meinem Gatten als mein eignes vor.
DIAGORAS.
Gern, doch zeige mir von nun an einen leidlichem Humor!
ZELINDE.
Wie? So hast du mir den Säugling blos aus Eigennutz gebracht?
DIAGORAS.
Zürnst du, wenn ich stets an dich nur, immer nur an dich gedacht?
ZELINDE.
Dein Gemüth durchschau' ich endlich, welches, dieß erkenn' ich klar,
Nie das Rauchgefäß der wahren, überird'schen Liebe war,
Das von reiner Hand geschwungen nach des reinen Himmels Dom,
Dampft vom Wohlgeruch der Seele, wie von Myrrhen und Amom!
DIAGORAS.
Gern in solche Höhen hätt' ich meine Phantasie geschraubt,
Die sich wider meinen Willen andre Phantasien erlaubt:
Statt des Himmels Dom erblick' ich deines Bettes Himmel blos,
Und am Vorhang zieh' ich, knüpfe seine goldnen Schnüre los.
[129]
ZELINDE.
Hör' ich recht? O welche Sitten! Welch ein Abscheu! Welche Pest!
Deine Kühnheit tödtet meiner kühlen Liebe schwachen Rest!
Dieses Kind, das du so eben in die Hände mir gespielt,
Hast du sicherlich mit einer Concubine selbst erzielt:
Während ich platonisch klagte, bist du heimlich mir entschlüpft,
Hast Gardinen aufgezogen, goldne Quasten aufgeknüpft;
Mich begabst du mit dem Bankert, den du in die Welt gesetzt,
Machst mich glauben, auf den Pinien wüchsen kleine
Kinder jetzt? Doch das Kind behalten will ich, und damit es nicht verrucht
Wie der Vater werde, will ich's auferziehn in strenger Zucht;
Aber du entweiche, fliehe dieß Gemach in raschem Lauf,
Eine lange Probe leg' ich, o Diagoras, dir auf!
Dreißig Jahre sollst du, meine Blicke meidend, irre gehn,
Kehren dann nach dreißig Jahren, eine Probe dann bestehn,
Da bisher du nichts als Täuschung, nichts als Hochverrath ersannst,
Ob du mich platonisch lieben, und aus Liebe sterben kannst.
DIAGORAS.
Ueberzeugen dich, ich könne sterben, will ich alsobald,
Fliehen nach der Löwenhöhle, fliehen zum Hyänenwald,
Oder fliehn an's Meeresufer, wo ein lecker Nachen winkt,
Ihn besteigend, will ich schiffen, bis er berstend untersinkt!

Ab.
ZELINDE.
Drohe nur! Nach dreißig Jahren seh' ich dich gesund und frisch
Hier am Hofe wieder; doch da kommt ja mein Gemahl zu Tisch.

[130] Polybus, Zelinde.
ZELINDE.
O mein Gemahl! Gedenke nicht der Nahrung,
Und freue jetzt dich einer süßern Gabe,
Die ich nach mancher ehlichen Erfahrung,
Wie eine Sara, dir zu bieten habe:
In dieser Windeln stiller Aufbewahrung
Schläft, was du lange dir ersehnt, ein Knabe:
Sieh dieses Kind, ich hab' es dir geboren,
Und ihm den Namen Oedipus erkoren.
POLYBUS.
Warum verbargst du diesen großen Segen,
Anstatt die Schwangerschaft mir mitzutheilen?
ZELINDE.
Ich that's, o Freund, des Ueberraschens wegen.
POLYBUS.
Nie pflegt' ich ja dein Lager mehr zu theilen.
ZELINDE.
Auch dieser Vorwurf macht mich nicht verlegen.
POLYBUS.
Besuchte dich Diagoras zuweilen?
ZELINDE.
Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben
Hab' ich verbannt ihn auf ein Menschenleben.
POLYBUS.
Du weißt, ich mache selten viele Worte,
Doch durch Exempel lernt man oft das Meiste:
Es war einmal an einem sichern Orte
Ein junger Kaufmann, welcher sich verreis'te,
Und als er wiederum an seine Pforte
Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiste,
Kommt seine Frau entgegen ihm und bringet
Ein jährig Kind ihm, welches ihn umschlinget.

Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken,
Da ich so lang gewesen in der Weite?
Das Weib erwiedert ohne nur zu stocken:
Ich lag am Fenster, als es eben schneite,
Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken,
Wodurch ich augenblicks gewann an Breite,
Bis dieses Kind zuletzt zur Welt ich brachte,
Und meines lieben Ehgemahls gedachte.

[131] Dieß Alles glaubt der Mann, so scheint es, gerne;
Doch als das Knäbchen lesen kann und schreiben,
Da nimmt er's mit sich in die weite Ferne,
Auf daß es zeitig sich herumzutreiben,
Und auch die Kaufmannschaft zugleich erlerne,
Wiewohl die Gattin ihn ersucht zu bleiben;
Doch ging und endlich kam zurück der Gatte,
Der keinen Sohn an seiner Seite hatte.

Wo ist das Kind hin, fragt das Weib erschrocken,
Das ich so sehr dich flehte, wohl zu wahren?
Der Mann erwiedert ohne nur zu stocken:
Es ist mir ganz was Eignes widerfahren
Mit diesem wunderbaren Sohn der Flocken;
Denn als wir über einen Berg gefahren,
Den just der Sonnenstrahl beschien, der warme,
Schmolz mir das Kind in meinem Vaterarme!
ZELINDE.
Du spottest mein, statt eine Frau zu preisen,
Die weit erhaben über jedem Lobe!
POLYBUS.
Kannst du die Unschuld nicht sogleich beweisen,
So mord' ich dich in deiner Garderobe!
ZELINDE.
Kehrt einst Diagoras von seinen Reisen,
Dann will ich geben dir die höchste Probe!
POLYBUS.
So lange magst du zittern vor der Strafe!
ZELINDE.
In meine Tugend hüll' ich mich und schlafe!

Ab.
POLYBUS.
Diagoras! Ich werd' es nicht vergessen,
Und wenn Zelinde schlafen will, ich wache,
Und sollten fliehn auch dreißig Ostermessen,
Bevor du wiederkehrst zu meinem Dache!
Anlegen aber will ich selbst indessen
Den Schacht, aus dem ich meine süße Rache,
Den Gran Arsenik denke noch zu fördern,
Der einst mich beigesellen soll den Mördern!

3. Akt

[132] Dritter Akt.

Pallast in Theben.
Lajus, Jokaste.

LAJUS.
Ja, nach Delphi will ich reisen, theures Weib, mit Melchior,
Und ich lege dann der Pythia meinen Traum von heute vor:
Krank in einem Schiffe saß ich, durch den Schwung der Welle krank,
Die sich bald erhob zu Bergen, bald in tiefe Thäler sank.
Endlich wollt' ich mich erbrechen, und ich öffne schon den Mund,
Sieh, da flattert eine große Fledermaus mir aus dem Schlund,
Diese setzt sich auf die Brust mir, frißt mir Leber weg und Milz,
Nur anstatt des Herzens fand sie nichts als einen rothen Pilz.
JOKASTE.
Blos Erinnerungen sind es von dem Schicksal jener Nacht,
Als ich unsern Sohn vor zwanzig Jahren einst zur Welt gebracht:
Wollten wir an Träume glauben, welch ein Ende nähme das?
LAJUS.
Mir den Tod von Sohnes Händen kündete Tiresias.
JOKASTE.
Jenen hat ein Leu Cithärons zwanzig Jahre lang verdaut.
LAJUS.
Ach, und wüßtest du, was in der Unterwelt ich dann geschaut,
Als ich todt hinabgestiegen! Schon in Charons Nachen stand
Fast ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland,
[133] Das gebracht die letzten Opfer, seinem Könige zulieb,
Der's zum Dank dann strich mit Ruthen, ja mit Skorpionen hieb!
Mehr gekrönte Gimpel sah ich, als es Grillen giebt im Gras,
Einen Vatermörder endlich, welcher fromm im Kempis las;
Aber nur mit Einem Auge, denn das andre schielte dreist
Nach verbuhlten Frau'n, es blieb ihm keins für seines Vaters Geist,
Der mit offnen Augen hinter seinem Sessel schnarchend schlief;
Aber ich erwachte schaudernd, während ich um Hülfe rief.
JOKASTE.
Laß die Nachtgespenster, freue dich des Tags!
LAJUS.
Ich eile fort,
Hole mir von Delphi's Dreifuß irgend ein Orakelwort.

Ab.
JOKASTE.
Kann ich doch indeß mit meinen beiden Sängern mich erfreu'n,
Ein'ge Lesefrüchte sammeln, einige Gedichte streu'n!
Ach, da las ich just im Houwald eine Stelle, welche nie
Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantasie;
Denn in einem Trauerspiele tritt (die Feinde heißt das Stück)
Eine Fürstin auf um Mitternacht und wünscht den Tag zurück,
Und sie sagt, dieß auszudrücken, wie's nur ein Genie vermag:
Daß ich wäre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag!
Welch ein kühnes Bild, wie würdig eines Wesens auf dem Thron!
Welch ein zarter Wunsch von dieser königlichen Weibsperson!
Jene wäre gern des Tages Mutter, fragte mich genau
Was ich gerne wäre, Houwald, würd' ich sagen: Deine Frau!

Ab.
[134] Pallast in Corinth.
ZELINDE
allein.
Wie oft entstieg bereits der Badewanne
Des Meers Apoll und tauchte neu sich nieder,
Und immer lebt Diagoras im Banne,
Wiewohl ich wünschte fast, er kehrte wieder,
Damit ich zeigte meinem bösen Manne,
Welch einen Busen mir bedeckt das Mieder,
Getreu und fleckenlos nach achtzig Lenzen,
Und immer voll moralischer Sentenzen!

Ein keckes Wagstück komme mir zu Statten,
Und offenbare meiner Tugend Zauber,
Da jener Buhler, der sie stellt in Schatten,
Mich täglich spröder fand und täglich tauber:
Bald siehst du jeglichen Verdacht ermatten,
O Polybus, und siehst mich rein und sauber,
Wie wenig auch für deine Frau du glühest,
Und blos um's Bergbauwesen dich bemühest!

Zelinde. Oedipus.
OEDIPUS.
Dich um was zu fragen, Mutter, kam ich; doch es fällt mir schwer.
ZELINDE.
Immer läufst du doch mit deinen Freunden in der Stadt umher!
Bei Bankett und Tanz und Ballspiel, Stiergefecht, Turnier und Streit
Bist du Tag und Nacht beschäftigt, und verlierst die schöne Zeit.
OEDIPUS.
Um die Zeit, o liebe Mutter, ist es ein besondres Gut,
Der verliert sie nie, der immer, was gebeut die Stunde, thut:
Blos die lange Weile nenn' ich Zeitverlust, und diese kaum,
[135] Denn sie lehrt, wie lang das Leben, das uns dünkt ein kurzer Traum.
ZELINDE.
Was begehrst du?
OEDIPUS.
Bei dem Ringspiel gab es Widerspruch und Zank,
Und es schalt mich Einer Bastard, der vor mir zu Boden sank:
Dieses Wort hat augenblicklich meinen ganzen Muth gebeugt,
Und ich bitte, mir zu sagen, ob ich ehlich bin erzeugt?
ZELINDE.
Welche Frage! Welche Sitten! Fällt man mit der Thür in's Haus?
OEDIPUS.
Bin ich, oder bin ich nicht es?
ZELINDE.
Fragt man denn so rund heraus?
OEDIPUS.
Wie ein Pfeil nach seinem Ziele fliegt des braven Mannes Wort.
ZELINDE.
Wenn du so verfährst, so scheuchst du nächstens alle Menschen fort.

Ab.
OEDIPUS.
Will es Diese nicht entdecken, frag' ich bei'm Orakel an,
Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken wehgethan.

Ab.
Platz vor dem Tempel in Delphi.
DIE PYTHIA
allein.
Dem Gotte klag' ich, der mich hält gebunden
An diesen Dreifuß, meine Leiden alle,
Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden:
Zwar ist sie herrlich, diese Tempelhalle,
Die Säulen schlank, das Thor in Erz gegossen,
Und auf dem Dache selbst erglühn Metalle;
Doch hab' ich Glück und Freude hier genossen?
Hat je gedankt mir ein beredter Frager,
[136] Dem ich der Zukunft Himmel aufgeschlossen?
Da grau vor Alter ich und bleich und hager,
Wie könnt' ich kosten je das Blut der Rebe?
Wie könnt' ich ruhn auf einem weichen Lager?
Die Rosen bilden überall Gewebe,
Und Liebe schläft an jedes Baches Borden,
Ich aber kenne nur den Gott und bebe!
Da silberweiß mir jedes Haar geworden,
Was frommt's, wenn mein Orakelspruch erklinget
Unwiderstehlich wie ein Sturm im Norden?
Mit keiner Blumenkette mehr umschlinget
Die Erde mich, und mancher Thor verlachte
Mich als Betrüg'rin, welche Mährchen singet:
O schnöder Pöbel, den ich ganz verachte,
Der gern mir möchte jedes Wort verpönen,
Als ob er könnte denken, was ich dachte!
Er läßt ein bloßes Rabenlied ertönen;
Doch wenn ich öffne meine blassen Lippen,
So ist's, als öffne sich der Quell des Schönen!
Den Schiffer warn' ich vor des Lebens Klippen,
Doch läßt er sich vom Wellentanz ergötzen,
Bis er zu Grunde geht an Felsenrippen.
Was sing' ich Wahrheit diesem Volk von Klötzen,
Das kaum ertragen kann ein Bischen Lüge,
Denn selbst die Götter sind ihm nichts als Götzen!
Ich winde Kränze blos um Aschenkrüge.

Ab in den Tempel.
Oedipus, späterhin Lajus und Melchior.
OEDIPUS.
Heil'ge Stätte, wo zu schwachem, sterblich eingeschränktem Sinn
Unerschaffne Wesen reden durch den Mund der Priesterin!
Dich begrüß' ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbüsche Nacht,
Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht!
[137] Lehre mich mein eignes Wesen kennen, lehre mich verstehn,
Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn!

Ab in den Tempel.
Lajus. Melchior.
LAJUS.
Ueberall zu wenig Ehrfurcht zeigt man mir und Devotion.
MELCHIOR.
Welchem Steiße läßt sich ansehn, daß er saß auf einem Thron?
Wenn die Leute wissen könnten, daß du, Herr, der König bist,
Würden mehr Respekt sie zeigen, als bisher geschehen ist.
OEDIPUS
zurückkehrend.
Kurz und dunkel war das Wort der Pythia, das ich kaum verstand:
Meide stets, so sprach sie, meide, meide stets dein Vaterland!
Nun, so will ich nach Böotien, wenn man mich Corinths beraubt:
Nach Corinth zu gehn, nicht Jedem, sagt das Sprüchwort, ist's erlaubt.
LAJUS.
Aus dem Wege mir.
OEDIPUS.
Warum denn?
LAJUS.
Aus dem Wege, Vagabund!
Oder mit dem Zepter schlag' ich dir die Nasenspitze wund.
OEDIPUS.
Was verlangst du?
LAJUS.
Mehr Respekt, Mensch!
OEDIPUS.
Mehr Respekt vor deinem Bart
Allenfalls, doch keineswegs Respekt vor deiner Lebensart!
LAJUS.
Aus dem Wege, Wurm! Ich schlage dir die Kniee sonst entzwei!
[138]
OEDIPUS.
Ich zerbreche dir den Schädel, wie ein hartgesottnes Ei!

Er erschlägt ihn und entflieht.
MELCHIOR.
Wehe, weh mir! Wie nach Theben bring' ich nun ein solches Wort?
Ahnung also war es, was ich gestern Abend hörte dort?
Denn Jokastens Harfe krachte, mächtig erst und dann gelind;
Doch ich dachte blos, es wäre neben ihr der Dichter Kind!

Ab mit dem Leichnam.
Pallast in Theben. Jokaste mit ihren Hofdichtern, Kind und Kindeskind.
JOKASTE.
Was giebt's im literär'schen Fach für Neuigkeiten, Freunde, jetzt?
KINDESKIND.
Ein Epigramm auf unsern Kind.
JOKASTE.
Auf unsern Kind? In Schrecken setzt
Mich solch ein Wort! Wer wagt zu schmähn den besten Sänger dieser Flur?
KIND.
Auch sagt das Sinngedichtchen nichts, als daß ich klein sei von Statur,
Und fordert mich zum Wachsen auf! Das nenn' ich einen leichten Witz!
KINDESKIND.
Auch schreibt das Ganze noch sich her von unserm Dresdner Musensitz,
Und einem Anekdötchen, das man vorgesucht aus altem Kram.
KIND.
Als nämlich einst Napoleon auf seiner Flucht durch Dresden kam
Von Moskwa, ließ er bitten mich, damit er fördre seinen Zug,
[139] Die Siebenmeilenstiefel ihm zu borgen, die das Däumchen trug.
JOKASTE.
Das ist für Sie nur ehrenvoll, und jener Spötter war zu dreist.
KIND.
Und wenn ich kurz bin von Statur, so bin ich doch ein langer Geist!
JOKASTE.
Das ist gewiß, und Jeder fühlt's, der Ihre Poesien vernimmt.
KINDESKIND.
Sie sind ein wasserreicher Strom, den Keiner bis an's Ende schwimmt!
JOKASTE.
Verachten wir die Spötterei'n, und bilden, wie wir täglich thun,
Den akadem'schen Minnehof, und stellen eine Frage nun,
Von euch erörtert und glossirt.
KINDESKIND.
Das Thema geb' uns deine Gunst,
Wir schmücken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck der Kunst.
JOKASTE.
So stell' ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter mehr,
Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm literarischen Verkehr?
KIND.
Mich dünkt, daß ein verliebter mehr vermag.
KINDESKIND.
Ein unverliebter, mich.
JOKASTE.
Ein Thema, das man oft glossirt, ich geb' es euch geflissentlich:

Süße Liehe denkt in Tönen,
Denn Gedanken stehn zu ferne,
Nur in Tönen mag sie gerne
Alles, was sie will, verschönen.
KIND.
Soll das Herz sich ganz ergießen,
Strömen lassen alle Triebe,
Muß es voll sein und genießen;
Aber was, so möcht' ich schließen,
Macht das Herz so voll wie Liebe?

[140] Tausend Harmonien entkeimen
Unserm Busen im Geheimen
Durch die Gegenwart des Schönen:
Liebe spricht von selbst in Reimen,
Süße Liehe denkt in Tönen.
KINDESKIND.
Liebe nimmt den Sinn gefangen,
Schafft Verdruß und wirkt Verblendung:
Wer im Busen hegt Verlangen,
Trachtet nur nach schönen Wangen,
Aber nicht nach Kunstvollendung.
Wem das Herz, von Liebeszwickeln
Eingepreßt, Begierden prickeln,
Dem erlischt des Geists Laterne;
Seufzer wird er blos entwickeln,
Denn Gedanken stehn zu ferne!
KIND.
Nein! Die Liebe wird gerade
Jeden Gegenstand verklären,
Wird den Pfad der Huld und Gnade
Wandeln, und auf diesem Pfade
Göttlichen Gesang gebären!
Kriechen mag sie nicht am Boden,
Nicht in steifen Perioden
Mag sie fliegen an die Sterne,
Nur in Liedern, nur in Oden,
Nur in Tönen mag sie gerne!
KINDESKIND.
Sei's der Liebe zugegeben,
Daß sie hoch den Liebsten feiert;
Doch an ihm nur wird sie kleben,
Wird vergessen Welt und Leben,
Während sie von Liebe leiert:
Nein! Die freie Seele rette
Sich von jeder Sinnenkette,
Himmlisch wird sie dann ertönen,
[141] Wird mit Engeln um die Wette
Alles, was sie will, verschönen!

Die Vorigen, Tiresias.
TIRESIAS.
O Königin! Welch Misgeschick brach über unsre Stadt herein!
Wie bin ich froh, zu finden dich im Kreise deiner Sängerlein!
Sie mögen retten uns!
JOKASTE.
Was giebt's?
KIND.
Mit Waffen bin ich nicht vertraut.
TIRESIAS.
Nicht Waffen gilt's, nur einen Vers, der gut und richtig ist gebaut.
Es hat erzürnt Apollo sich von uns Thebanern abgekehrt,
Weil wir den Götzen Kotzebue statt seiner hier im Land verehrt;
Drum hat er uns die Sphinx geschickt, so nennt sie sich, und ist ein Weib
Mit großen Flügeln an der Brust, und einem langen Drachenleib.
Sie sagt, sie wäre Mauthnerin, und sitzt auf einem Fels am Weg,
Wo Jedermann vorüber muß, weil nahe dran ein schmaler Steg;
Und keck behauptet diese Sphinx, es hätte sie gesandt Apoll,
Ein fehlerloses Distichon zu heischen hier als Straßenzoll.
Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den stürzt sie gleich hinab die Kluft,
Und diese ward dem größten Theil der Stadt bereits zur Todtengruft;
Doch wird ein wahres Distichon ihr dargebracht, so will sogleich
Sie selbst sich stürzen in den Schlund, und Friede kehrt in dieses Reich.
[142]
JOKASTE.
Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich schicke hier die beiden Kind.
KIND.
Jedoch bedenke, Königin, daß auch die Sänger Menschen sind,
Und Irren menschlich ist! So hat ein Recensent mich jüngst geputzt,
Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus benutzt.
JOKASTE.
Dergleichen kommt ja täglich vor, seit man in Theben Verse leimt,
So las ich einen Dichter jüngst, der Löwe gar aufSchläfe reimt!
KINDESKIND.
Und freu'n auf Wein! Wir sind noch nicht die Letzten, laß uns, Bruder, gehn,
Und sinnend auf ein Distichon den Kampf mit dieser Sphinx bestehn!

Beide ab.
Die Vorigen, Melchior.
MELCHIOR.
O Königin! Wie künd' ich dir die Schreckenspost?
JOKASTE.
Welch neu Geschick?
MELCHIOR.
Erschlagen ward dein Ehgemahl von einem jungen Galgenstrick!
JOKASTE.
Wenn schon von hier und dort zugleich die Welle schlägt in's lecke Both,
Dann zeigt sich Geistesgegenwart am höchsten bei der höchsten Noth!
Zwar bin ich nur ein schwaches Weib; doch fühl' ich mich gefaßt im Schmerz,
Und weiß zu sorgen für das Volk, zu sorgen für das eigne Herz!
Durch einen Herold lasse man trompeten durch das ganze Land:
Derjen'ge, der die Sphinx erlegt, erhält Jokastens Kron' und Hand!
[143] So wird vom Zolle frei die Stadt, und da gestorben ihr Tyrann,
Verschaff' ich einen neuen ihr, und mir verschaff' ich einen Mann;
Und wenn mich auch, wie früher ich geschwärmt, der Ehe süßes Joch
Mit meinem Houwald nicht vereint, bekomm' ich einen Dichter doch!

Ab.
Felsiger Weg mit einem Zollhäuschen.
DIE SPHINX
allein.
Ein traurig Loos bestimmten mir die Mören:
Ich muß verbannt, auf diesem öden Berge,
So lang ich lebe, schlechte Verse hören,
Und dieß Geschlecht bestrafen dann als Scherge;
Und zeigt sich Einer, der mit Musenchören
Vertrauter ist, als diese Dichterzwerge,
So muß ich selbst in Charons Nachen steigen,
Anstatt dem süßen Klang das Ohr zu neigen.

Man nennt mich herb und allzuhart und spröde,
Doch geht's mit mir wie mit den andern Dingen:
Wer leicht und frech mit mir verfährt und schnöde,
Dem wird der Sieg zu keiner Zeit gelingen!
Mich quälen täglich Sänger und Tragöde,
Doch Keiner konnte mich bis jetzt bezwingen:
Unüberwindlich ward ich schon gescholten
Von Einem, welcher mir so viel gegolten!

Ihr Millionen oder Milliarden,
Die ihr genippt aus Hippokrene's Lache,
Versorgend jährlich mit so viel Bastarden
Die Findelhäuser aller Almanache:
Ich bin die Sphinx, die Zöllnerin der Barden,
Indem ich zinsbar eure Verse mache;
[144] Zwar Verse dünken euch bequeme Zölle,
Doch sind sie schlecht, so schick' ich euch zur Hölle!

Eine Menge Dichter, worunter auch Kind und Kindeskind, gehn vorüber. Jeder hält eine Schreibtafel in der Hand, worauf ein Distichon geschrieben steht. Die Sphinx liest die Disticha, und wirft die Verfasser nach allen Seiten in den Abgrund. Zuletzt erscheint Oedipus.
OEDIPUS.
Bist du das Ungethüm, von dem sie sagen,
Du littest keine Verse, welche hinken,
Und ließest Alle, die dergleichen wagen,
Den bittern Tod in diesem Schlunde trinken,
Und stündest ab, das arme Land zu plagen,
Wenn unter allen diesen lauten Finken
Nur Eine Nachtigall zu finden wäre,
Die ohne Fehl ein Distichon gebäre?
DIE SPHINX.
Daß Jeder das, was er betreibt, verstehe,
Wag' ich zu fodern und aus guten Gründen:
Zwar scheint ein schlechter Vers ein kleines Wehe,
Und doch erzeugt er eine Menge Sünden;
Denn allzuleicht nur wird in wilder Ehe
Sich eine schlechte That mit ihm verbünden:
Wer durch sich selbst kann keinen Kranz erreichen,
Der muß denselben ränkevoll erschleichen.
OEDIPUS.
Du scheinst die Fodrung nicht zu hoch zu stellen;
Doch wundert kaum es mich, erhabnes Wesen,
Daß unter allen jenen Junggesellen
Für keinen Deut Geschicklichkeit gewesen:
Tragödien hab' ich oft von hundert Ellen,
Doch nie ein richtig Distichon gelesen.
Hier siehst du eins auf dieses Blatt geschrieben,
So nimm es hin und lies es nach Belieben!
DISTICHON
in Transparent erscheinend.
Möge die Welt durchschweifen der herrliche Dulder Odysseus,
[145] Kehrt er zurück, weh' euch, wehe dem Freiergeschlecht!

Nachdem es die Sphinx gelesen, stürzt sie sich in's Orchester hinunter und Oedipus verläßt den Schauplatz.
DIE SPHINX
an die Zuschauer.
So sprang ich denn zu euch herab, und kam so ziemlich gut davon;
Doch wag' ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Distichon!
Auch bitt' ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an Costüm
Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidnisch Ungethüm.
Ich weiß, daß hier verboten ist, ein bischen derb zu sein und frei,
Denn überall, wo Menschen sind, versteckt ihr eure Polizei!
Ihr möchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der Kuh,
Und zwingt den Fuß des Herkules in euren schmalen Kinderschuh:
So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede Kraft
Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermögen Rechenschaft!
Gewähren ließ man, was Natur aus diesem Mann gemacht und dem,
Und ehrte jeden großen Trieb in diesem großen Weltsystem:
Im Aeschylus den hohen Trotz, den Duldersinn im Sokrates,
Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Aristophanes;
Da nahm der Tänzer seinen Kranz, der Fechter seiner Fäuste Preis,
Dem Schönen ward ein schöner Freund, dem Weisen ward ein Schülerkreis:
[146] Da wuchsen ächte Männer auf, und Frauen groß, wie Sappho war,
Holdselig wie Aspasia, wie Diotima wunderbar!
Drum könnte lernen mancherlei, so scheint's, von ihnen mancher Christ,
Die Tugend unter andern auch, die nicht der Güter letztes ist!
Doch weil ihr besser seid, so ruft die Besten unter euch empor:
Wohlan! Es zeige sich Lykurg! Epaminondas trete vor!
Ihr schweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott so reich begabt,
Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz'gen Heiden habt!
Euch Schande bringen könnte blos, ja selbst dem Staate blos Ruin
Ein einziger Timoleon an einem Orte wie Berlin!
Denn wißt, ich hege für Berlin im Herzen einen kleinen Groll:
Viel edle Männer walten dort; doch ist der große Haufe toll,
Dort, wo bewundert ward Fouqué und wer in dessen Stapfen trat,
Wo man den Raupel jetzt verehrt und sein Tragödienfabrikat
(Deswegen, heißt es, soll er auch, wie ein Genie die Backen blähn;
Doch will er Philomele sein, so muß er flöten, statt zu krähn:
Es ist der Ruhm an manchem Ort ein gar zu leicht erworbner Schatz,
Wo Alles nach den Sphären lauscht, wenn auf dem Schlote singt ein Spatz!)
O stünde doch im Lande Teuts ein Solon auf, und sagte dreist:
Nie schreibe mehr ein Trauerspiel, wer ganz versimpelt ist an Geist!
[147] Und da's so viel Calvine giebt, durch ihre Strenge wohlbekannt,
So werde wöchentlich ein Stoß Tragödien öffentlich verbrannt:
Die Flamme schlage hoch empor, und mächtig lodernd schwängre sie
Tholucks gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poesie,
Verwandle vor dem trüben Blick des ganz ascetischen Cumpans
Die ew'gen Fröste von Berlin in einen Frühling Kanaans!
Doch merk' ich, daß umsonst ich nur, der Poetasterei zu Trutz,
Die Rechtsgelehrten angeregt, die Geistlichen gefleht um Schutz:
Euch Aerzte ruf' ich endlich auf, da sonst mir keine Hülfe bleibt,
Euch Aerzte, die ihr manchem Mann manch nützliches Recept verschreibt,
Verbietet doch Romantikern Papier und Federkiel und Stift,
Und ordinirt, wenn nichts verschlägt, ein kleines Gränchen Rattengift!
Sonst wird noch eure Poesie so frei, so burschikos und flott,
Bis endlich ganz Europa ruft: Ihr Deutschen seid ein Kinderspott!

4. Akt

[148] Vierter Akt.

Pallast in Corinth.
Diagoras, Zelinde.

DIAGORAS.
Ja, nach dreißig langen Jahren kehr' ich wieder, schönes Weib!
Und die ganze Welt besah' ich, was ein hübscher Zeitvertreib:
Sah das Herz Europa's, wie sie's nennen; leider ist's von Speck;
Dein massives Herz, Zelinde, liegt allein am rechten Fleck.
ZELINDE.
O du bist umsonst gewandert, da du tief in deiner Brust
Wiederbringst dieselben Laster und dieselbe böse Lust!
Hättest wirklich im Sarmatenlande du so süß und lind
Grasen sehn die frommen Schäflein, die mitunter Katzen sind,
Hören können, wie die Krüdner als Velleda dort geschrien,
O es wäre deine Seele voll erhabner Psalmodien!
DIAGORAS.
In Campanien, wo man auf den platten Dächern drischt das Korn,
Wenn Vertumnus ausgeschüttet seines Ueberflusses Horn,
In Campanien vor die Augen trat mir ein Berliner Christ,
Und ich sah, daß dieser Leute Gott ein bloßer Apis ist;
Auch die Krüdner, wo sie jemals lehrte, wo sie wirkte je,
Nicht Velleda war sie, scheint es; aber wohl Pasiphae!
ZELINDE.
Hast du denn auf deinen Reisen nichts als Heuchlervolk erblickt,
Keinen, welcher gegen Himmel wirkliche Gebete schickt?
DIAGORAS.
Einen wahren Frommen sah ich, den das Erzgebürg gebar,
[149] Der, was Jene tölpisch äffen, wirklich in der Seele war;
Doch wie Mancher, der so linkisch itzt den Himmel klimmt hinan,
Thut es, weil gerad' er eines frommen Königs Unterthan:
Wäre noch, wie sonst, ein Freigeist Flügelmann, wie schnell belehrt
Würden Jene Gott verläugnen durch ein steifes Rechtsumkehrt!
ZELINDE.
Laß uns von uns selber sprechen! Liebst du wirklich mich getreu?
DIAGORAS.
Kannst du fragen?
ZELINDE.
Deine Worte, sind es keine leere Spreu?
DIAGORAS.
Prüfe mich! Die größte Probe scheint mir, dir zu Liebe, klein.
ZELINDE.
Nun so schenke mir dein Herz!
DIAGORAS.
Seit sechzig Jahren ist es dein!
ZELINDE.
Nein, so mein' ich's nicht! Dergleichen Phrasen sind für ein Sonett!
Nein, ich will das körperliche Herz, ein Herz mit wahrem Fett:
Da du stets materiell warst, werd' auch ich materiell:
Ein platonisch Herz genügt mir keineswegs! – Entscheide schnell!
DIAGORAS.
Immer schlug mein Herz für dich nur!
ZELINDE.
Aber sinnlich und verrucht,
Und dadurch mit Recht erregend meines Mannes Eifersucht;
Glaube mir, auf keine Weise thu' ich seinem Zorn genug,
Wenn ich nicht das Herz ihm schenke, das für mich in Liebe schlug.
DIAGORAS.
Dieser Antrag kommt mir etwas unerwartet, ja sogar
Grob und unmanierlich wag' ich ihn zu nennen.
ZELINDE.
Sonderbar!
[150] Also Redensarten waren's, wenn du sagtest mir und schriebst,
Daß du mehr mich als das Leben, mehr als deine Seele liebst?
Lüge waren deine Seufzer, deine Schwüre waren Scherz?
Und das Herz, das jetzt du weigerst, war es nur ein falsches Herz?
O der Männer! O des Meineids, den sie jeden Tag begehn,
Sie, die nicht die kleinste Prüfung, auch die kleinste nicht, bestehn!
Welche Freude dir zu machen wähnt' ich! Jahre sann ich nach,
Zu befrei'n von jeder Qual dich, und mich selbst von jeder Schmach:
Endlich fand ich dieses Mittel, fand es und du schlägst es aus!
DIAGORAS.
Steigst du selbst mit mir hinunter, tret' ich gern in Pluto's Haus.
ZELINDE.
Sterben ich? Noch lang zu leben denk' ich, meinem Gatten treu.
DIAGORAS.
Alte Hekuba!
ZELINDE.
Was hör' ich?
DIAGORAS.
Hältst du dich vielleicht für neu?
ZELINDE.
Welch ein Zorn ergriffe jetzt mich, gab' es meine Tugend zu!
DIAGORAS.
Schöne Tugend!
ZELINDE.
Wie? Du zweifelst? Alter Rabe!
DIAGORAS.
Kakadu!
ZELINDE.
Nun, ich hoffe, nicht vergebens schiltst du meine Tugend alt!

Im Abgehn.

Was er mir im Guten weigert, das ertrotz' ich mit Gewalt!

Ab.
DIAGORAS.
Welch ein Vorschlag! Auszuschneiden mir das Herz in seiner Kraft!
[151] Und dergleichen Leute gelten heut zu Tag für tugendhaft!
Aus dem Staube mach' ich schnell mich! Nein, dem Himmel sey's geklagt,
Daß dem weiblichen Geschlechte die Vernunft er hat versagt!

Polybus, Diagoras.
POLYBUS.
Ei, Diagoras, willkommen!
DIAGORAS.
Sieh zu Füßen deinen Knecht;
Doch vergönne, daß ich gehe!
POLYBUS.
Nein, du kommst mir eben recht!
Gern um Rath dich fragen möcht' ich, werther Freund! Ich weiß, du bist
Weit gereis't und kannst mir viel entdecken was mir nützlich ist:
Mit dem Bergbau mich beschäftigt hab' ich in der letzten Zeit,
Und du bist gewiß hierüber zu belehren mich bereit.
DIAGORAS.
Zwar in Sachsen und in Polen untersucht ich manchen Schacht,
Und es eilte meine Schwermuth gern hinab in's Reich der Nacht,
Wo sich keine Möve schaukelt auf dem unterird'schen Teich,
Wo Natur so nah zu uns tritt, und so todtenstill zugleich;
Aber jetzt vergönne –
POLYBUS.
Nicht doch! Was du sagst, gefällt mir sehr:
Komm, Diagoras, in mein Gemach, denn gerne hört' ich mehr!
Ueber Berg- und Hüttenkunde hab' ich oft und viel gedacht,
Gold und Silber, Erz und Schwefel manichfach zu Tag gebracht,
Und besonders viel Arsenik, wie du sehn wirst. Komm herein!
[152] Wir besprechen dann noch Manches über einem Glase Wein.
DIAGORAS.
Deine Huld ist allzuhuldvoll. Könnt' ich nicht ein andres Mal –
POLYBUS.
Nein, du leerst auf deines Königs Wohl sogleich den Goldpokal!

Beide ab.
Festlicher Saal in Theben. Oedipus auf dem Thron, um ihn die Großen des Reichs; unter ihnen Tiresias.
OEDIPUS.
Im zehnten Jahr gebiet' ich diesen Reichen,
Seitdem befreit ich euch von jenem Gaste,
Den durch ein Distichon ich zwang zu weichen,
Und mich vermählt der Königin Jokaste:
Nun hör' ich, daß ein Jammer ohne Gleichen,
Trotz meiner Hut, auf diesem Lande laste,
Und daß gequält von Hungersnoth und Seuchen
Im schweren Joche die Thebaner keuchen.

Drum hab' ich hier zusammen euch geladen,
Um Rath zu schlagen, Männervolk und Greise!
Ob Einer wisse, wie der große Schaden
In's Land gekommen und auf welche Weise?
Ein guter Rath ist wie der goldne Faden
Der Ariadne für die Lebensreise,
Und wir Monarchen um so mehr bedürfen
Des guten Raths bei Planen und Entwürfen.
TIRESIAS.
So will denn ich zuerst zu sagen eilen,
Was mir im Geist gelungen auszuspüren:
Durch welche Mittel jene Pest zu heilen
Mit allen ihren Beulen und Geschwüren,
Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund' ertheilen,
[153] Wie sie hereinbrach und durch welche Thüren,
Und für die Meinung muß ich mich entscheiden,
Daß jene Sphinx die Quelle dieser Leiden.

Längst war sie selbst den Fels hinabgesprungen,
Dank deinem Distichon und deinem Witze!
Eh' noch die Nachricht durch die Welt gedrungen,
Daß solch ein Wesen hier in Theben sitze,
Und jeder Sänger, welcher je gesungen,
Gerieth in solche Wuth und solche Hitze,
Hieherzukommen und den Vers zu schmieden,
Daß aus der Welt gewichen schien der Frieden!

So lang' ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben,
Ein Gaul, ein Kütschchen oder nur ein Nachen,
So lang's noch einiges Papier zum Schreiben,
Noch etwas Tinte gab zum Versemachen,
So wollte Keiner mehr zu Hause bleiben:
Die Greise kamen selbst, die alterschwachen,
Es rissen sich die Säuglinge vom Busen
Der Mütter ab und saugten an den Musen.

Das Jüdchen Raupel erst begann zu singen,
Das itzt als Raupach trägt so hoch die Nase:
Es suchte sich zur Trunkenheit zu zwingen
Durch Schillers zehnmal abgebrühte Phrase,
Und als der Rausch ihm wollte nicht gelingen,
Da rief es aus: Ich taumle schon! Ich rase!
Der Edle rief's und eilt' in seine Kammer,
Und schmiert' ein Trauerspiel im Katzenjammer.

Sein Freund nur wollte nicht sich herverfügen,
Ihm war die matte Seele wie vernichtet,
Und seine Leier, nach so stolzen Flügen,
Im Hof als Brennholz zierlich aufgeschichtet:
Familienschwächen sucht er jetzt zu rügen,
Und spielt den Teufel, den er sonst gedichtet,
Indeß er selbstzufrieden ruht und eisern,
Zwar nicht auf Lorbeern, aber Birkenreisern.

[154] Houwald hingegen kam herangefahren,
Ein alter Mensch, doch ähnlich einem jungen,
Ein Abcschütz von gereiften Jahren,
Der oft im Schweiß des Angesichts gesungen;
Und höchst bescheiden forschend nach dem Wahren,
Fragt er den Leser: Ist es mir gelungen?
Die Gans, von welcher ich entlehnt die Kiele,
Spaziert sie auch durch meine Trauerspiele?

Nach diesen sah ich ganze Züge wallen,
Wie könnt' ich nennen dir so viele Meister?
Und aus der Tasche guckte leider Allen
Ein schwerer Band von Poesien, ein feister:
Man hörte nichts als lauter Verse knallen,
Und Alle rochen nach Papier und Kleister,
Und Alle wollten uns die Zeit verkürzen,
Und suchten nebenbei die Sphinx zu stürzen.

Allein der Hauch, den diese Sänger hauchten,
Verpestete die Straßen und die Plätze,
Auch kam dazu, daß viele Musen schmauchten,
Und andre litten vollends an der Kratze,
Wofür sie leider eine Salbe brauchten,
Die als mephitisch ich vor vielen schätze:
Und so in Kurzem roch es allenthalben
Nach schlechten Versen, nach Taback und Salben.

Im Norden kann man solchen Duft ertragen,
Und aus dem Norden kamen jene Musen;
Bei uns jedoch fing Alles an zu klagen,
Und schalt sie Kamtschadalen und Tungusen;
Doch schon begann die schnöde Pest zu nagen
An mancher Brust, an manchem schönen Busen:
Es ächzten Männer sich zu todt und Weiber,
Doch unermüdlich blieben jene Schreiber!
OEDIPUS.
Und solche Musen fahren fort zu klexen,
Und wollen hier vielleicht noch Ruhm gewinnen?
[155] Ihr habt noch nicht sie mir verbrannt als Hexen,
Noch nicht gestäupt als Beutelschneiderinnen?
Glaubt ihr, ich könne, gleich den Versifexen,
Verdrehungen um alles Gute spinnen,
Und Mittelmäß'ges bis zum Himmel heben?
Glaubt ihr, ich sey der Böttiger von Theben?
TIRESIAS.
Wir glauben's nicht; doch lange sind zerstoben
Die bösen Reime, die die Pest verbreitet:
Uns kam Apoll, der über goldne Globen
Im lichten Himmel auf- und niederschreitet,
Zu Hülfe selbst, er kam herab von oben,
Und zürnte streng, durch unser Flehn geleitet,
Der Reimerzunft und ihren tollen Händeln;
Denn Viele wagten selbst mit Gott zu tändeln!

Und schnell verwandelnd jene Dichterschaaren,
Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege,
Macht' er zum Affen Den mit langen Haaren,
Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege,
Die Meisten wurden Papagai'n und Staaren;
Houwaldchen ward in eine matte Fliege,
Und Raupel, der mit Trauerstücken handelt,
In einen Wiedhopf alsobald verwandelt.

Doch ist der Krankheitsstoff im Volk geblieben,
Und immer neu beginnt der Tod zu wüthen:
Er sichelt frech mit ihren vollsten Trieben
Die Jugend ab, mit ihren schönsten Blüthen!
Und täglich hören Herzen auf zu lieben,
Die gestern noch von einem Feuer glühten,
Das eine Welt umher entzünden könnte,
Wofern es ihnen das Geschick vergönnte.
OEDIPUS.
Welch Mittel fruchten soll und welche Sühne,
Nur einer Götterlippe kann's entschallen;
Drum alsogleich verlaß die Rednerbühne,
Und flehend eile nach den Tempelhallen,
[156] Wo jener Gott, der mächtige, der kühne,
Der schöne, der melodische vor Allen,
Wo jener fromme Lautenschläger weilet,
Der Drachen tödtet und Gebrechen heilet!

Und durch ein Lied auf seinem weichen Psalter,
Das unsre Dürre, wie ein Strom, umflute,
Verkünde gnädig uns der Welterhalter
Das Opfer, das für diese Zeiten blute:
Wir leben nicht in jenem goldnen Alter,
Wo auf dem Siegerwagen schläft das Gute,
Um welchen Lorbeern oder Myrten sprossen;
Denn diese Zeiten sind aus Erz gegossen!

Er steigt mit raschen Schritten vom Thron herab; Tiresias verläßt den Saal, indem er dem Balthasar begegnet.
BALTHASAR.
Schlimme Botschaft dir zu bringen, komm' ich, König, aus Corinth.
OEDIPUS.
Führen wieder mich die Götter durch ein neues Labyrinth,
Schwieriger vielleicht als jenes, das bei Nürnberg ward gepflanzt,
Wo der Pegnitz Blumenorden unter grünen Buchen tanzt?
BALTHASAR.
Polybus ist todt, gestorben ist Zelinde, seine Frau.
OEDIPUS.
Dieses Doppeljammers Anlaß, schnell erzähl' ihn und genau!
BALTHASAR.
Es kam zurück nach zehentausend Tagen
Diagoras zum Hofpallast des Fürsten;
Doch dieser schien, voll eifersücht'ger Plagen,
Seit Jahren schon nach Jenes Blut zu dürsten,
Um seiner Königsehre Mantelkragen
Von jenen Fasern allen reinzubürsten,
[157] Die aus Zelindens Bett, so wähnt betrogen
Der Fürst Corinths, ihm waren angeflogen.

In seine Zimmer läßt er Jenen winken,
Zu fragen ihn nach seinen Abenteuern:
Er sucht mit Freundlichkeit den Haß zu schminken,
Durch Höflichkeit der innern Wuth zu steuern,
Reicht ihm Confekt und giebt ihm Wein zu trinken,
Und pflegt bei jedem Schluck ihn anzufeuern;
Allein im Weine war ein Gift verborgen,
Das Jenen tödten soll am andern Morgen.

Es hat verlassen kaum den Tisch der Rache
Diagoras, so schrecklich hintergangen,
Als auf der Treppe bei dem Schlafgemache
Zelindens ihn Zelindens Frauen fangen:
Gebunden wird an Hand und Fuß der Schwache,
Aufs Lager hingestreckt mit bleichen Wangen,
Und aus dem Busen ihm das Herz geschnitten:
O wie verderbt sind heut zu Tag die Sitten!

Versprochen hatte dem Gemahl Zelinde,
Wie sehr sie schuldlos wäre, zu beweisen,
Wann ihren Freund Diagoras die Winde
Zurückgeführt von seinen weiten Reisen;
Drum will sie schenken ihm als Angebinde
Das Herz des Liebsten, und er soll es speisen;
Er soll die Probe, die sie denkt zu liefern,
Höchsteigen kau'n mit seinen beiden Kiefern!

Sie ließ das Herz auf eine Weise kochen,
Wodurch das Zähste selbst sich läßt verdauen:
Der König aß es ohne Herzenspochen,
Und ohne Vorgefühl und ohne Grauen;
Da rief Zelinde: Was sie dir versprochen,
Es hat's gethan die keuscheste der Frauen!
Gegeben hab' ich dir die höchste Probe,
Nun liebe mich und meinen Muth belobe!

[158] Was war Lukretia gegen mich, die rasche,
Die doch dem Gatten blos zum Schmerz gestorben?
Was Artemisia, welche mit der Asche
Des Ehgemahls sich ihren Wein verdorben?
Doch ist's vergebens, daß ich Namen hasche,
Da gleichen Ruhm sich Keine hat erworben:
Des Liebsten hat noch Keine sich entledigt,
Wie sehr die Nachwelt ihre Namen predigt!

Auf daß du könnest mein Verdienst ermessen,
Und meine ganze Tugend ganz erfassest,
So wisse denn, und woll' es nie vergessen,
So wahr du jetzt aus Neubegier erblassest:
Das kleine Ding, das eben du gegessen,
Es war das Herz des Mannes, den du hassest,
Das Herz des liebenden Diagoras war's!
Was, fragte wüthend sie der König, was war's?

Schon springt er auf mit rasender Geberde,
Und reißt das Vorlegmesser aus der Scheide:
So sei'n verflucht der Himmel und die Erde,
Denn keinen Anspruch hab' ich mehr an beide!
Der Himmel werde schwarz wie Pech, es werde
Die Erde weiß und farbenlos wie Kreide!
Das Herz, vernimm, das ich gespeis't so eben,
Es war mit Gift, es war mit Gift vergeben!

Er spricht's, indem er seine Messerspitze
Der treuen Gattin durch den Busen rennet,
Die sterbend sinkt von ihrem goldnen Sitze;
Ihm selbst bereits im Eingeweide brennet,
Des Giftes Wirkung, ungewohnte Hitze.
Von dir jedoch, mein Oedipus, bekennet
Zelinde noch in ihren letzten Stunden,
Man hätte dich als Findelkind gefunden.
OEDIPUS.
Das ist ein Vorfall, wahrlich, ohne Gleichen!
[159]
BALTHASAR.
Im Erdenschooße liegt er nun begraben.
OEDIPUS.
So wurden schon bestattet jene Leichen?
BALTHASAR.
Sie sind ein Raub der Motten und der Schaben.
OEDIPUS.
Du geh' und laß dir Trank und Speise reichen!
BALTHASAR.
Ich denke nicht, mich lange hier zu laben!
OEDIPUS.
Du willst zurück schon nach Corinth dich wenden?
BALTHASAR.
Wo meine Herrschaft modert, will ich enden.

Ab.
OEDIPUS.
So ist die Herkunft mir in tiefe Schleier
Aufs neu verhüllt, ich bin beraubt der Lieben,
Und dieses Volk, dem einst ich als Befreier
Erschienen bin, ich seh' es aufgerieben:
Warum erfreu'n wir uns am Klang der Leier,
Am Spiel des Glücks, an tausend süßen Trieben,
Wenn stets im Hintergrund die Furie lauert,
Und unser Leben zwo Sekunden dauert?

Die Vorigen. Jokaste.
JOKASTE.
Gemahl! Von etwas Tragischem Bericht erstatten muß ich dir.
OEDIPUS.
O wehe mir! Wie bin ich satt vom Hören schon! O wehe mir!
JOKASTE.
In wenig Worten blos besteht's: Es hat Tiresias gefragt
Den Gott, woher dieß Uebel stammt, und dieser dann ihm ausgesagt,
So lange wüthe hier die Pest, bis daß du strafst die Mörderhand,
[160] Die unsern König einst erschlug, den Lajus, der geherrscht im Land.
OEDIPUS.
Und wer erschlug ihn?
JOKASTE.
Keiner kennt den Mörder; doch der Seher mag
Hinuntersteigen in die Gruft, da schon gesunken ist der Tag,
Und meines vor'gen Mannes Geist citiren, und der Schatten soll
Verkünden, der's am besten weiß, wer ihn erschlug so schaudervoll,
Daß noch nach zehen Jahren uns Verderben bringt die schnöde That;
Denn Lajus war ein braver Mann, und gar ein strenger Potentat!
OEDIPUS.
So sei's! Ihr Alle folget mir hinab zum Kirchhof, um sogleich
Wahrheit zu holen uns und Licht, und wär' es aus dem Todtenreich!

Ab mit den Uebrigen.
JOKASTE.
Mir ist so bang und schauerlich, als kam' ich just aus einem Stück
Von Müllner oder sonst wovon, wo man beträchtlich weint, zurück;
Denn eben hau' ich ein Gespräch mit unserm Knechte Melchior,
Zu forschen nach des Lajus Tod; doch bracht' er nichts Gescheutes vor:
Verlegen schien er und verblüfft, und dann gestand er noch zuletzt,
Daß unsern kleinen Sohn er einst den Thieren gar nicht vorgesetzt,
Daß jenes Kind noch lebt vielleicht, was mich erschreckt hat und bestürzt,
Da stets das Schicksal tückisch ist, sobald es seine Knoten schürzt.

Ab.
[161] Kirchhof mit Cypressen und Denkmälern. Tiresias,
den Zug führend, Oedipus mit dem ganzen Gefolge.
TIRESIAS.
Kommt heran, wir sind zur Stelle, diesen Hügel steigt herauf;
Aber tretet leise leise, wecket nicht die Todten auf!
OEDIPUS.
Männer, kommt mit euren Fackeln, bildet einen Kreis umher!
TIRESIAS.
Leise mit den Fackeln, leise; denn erwachen soll nur Er!
OEDIPUS.
Welch ein Vorgefühl befällt mich! Mir im Herzen starrt wie Eis
Jeder Tropfe Blutes!
TIRESIAS.
Wandelt leise!
OEDIPUS.
Bildet einen Kreis!
TIRESIAS.
Wecket nicht die Todten!
OEDIPUS.
Wehe! Düster mit Gewölk' umhing
Sich der ganze Himmel.
TIRESIAS.
Leise!
OEDIPUS.
Bildet einen großen Ring!
TIRESIAS.
Steig' empor, o Geist des Lajus! Wenn dem Tode was entschlüpft,
Wenn's ein Band giebt, das die Schatten an des Tags Gebilde knüpft,
Wenn die Seele nicht vergebens nach dem Wahrheitsfunken forscht,
Wenn ein Theilchen deines Wesens, nur ein Theilchen unvermorscht:
Bei den Wolken, über denen ewig jauchzt der Götter Chor,
Bei der Erde, voll von Moder, steige, steige, steig' empor!

Die Gewölke senken sich, die Fackeln verlöschen, der Geist des Lajus erscheint.
OEDIPUS.
Wehe! Welch Gespenst! Ich kenn' es! Mir vor Allen winkt es zu!
Mir, ich kenn' es!
[162]
TIRESIAS.
Leise, Leise!
OEDIPUS.
Wer erschlug dich, Alter!
GEIST DES LAJUS.
Du!

Er verschwindet, die Fackeln entzünden sich.
OEDIPUS.
Wehe mir, wie früh vollendet seh' ich meiner Tage Lauf!
Ich erschlug ihn.
TIRESIAS.
Leise!
OEDIPUS.
Weh mir!
TIRESIAS.
Wecke nicht die Todten auf!

Die Vorigen. Jokaste.
OEDIPUS.
O Jokaste! Was geschehn ist, wurde klar, und was zu thun:
Deinen Gatten, ich erschlug ihn, übe selbst die Rache nun!
Nimm ein Schwert, und aus der Scheide zieh's mit eigner Hand heraus!
Meine nackte Brust, du siehst sie!
JOKASTE.
Wehe mir! Die Fledermaus!
OEDIPUS.
Welch ein neues Uebel?
JOKASTE.
Wahrgesprochen hat des Sehers Mund:
Daß ich dich, ich dich geboren, thut das Muttermal mir kund!
Unser Sohn, du bist es, den wir, als er kaum den Tag gesehn,
Ausgesetzt als Fraß den Thieren; doch es sollte nicht geschehn!
Man verschonte dich, dem Schicksal ließ man, uns zu strafen, Raum;
Doch ich eile fort und schleunig häng' ich mich an einen Baum.

Sie erhenkt sich im Hintergrunde.
TIRESIAS.
Jammer über Jammer!
JOKASTE.
Houwald!
[163]
TIRESIAS.
Horch! Sie rief mit letzter Kraft
Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenschaft
Für den Sänger, die sie lebend stets in ihrer Brust verbarg.
OEDIPUS.
Männer Thebens, löscht die Fackeln, bringt herbei mir einen Sarg!
TIRESIAS.
Glücklich die hier unten schlummern, rings umher verscharrt im Sand:
Wenn die Erde dröhnt und zittert, halten sie dem Stoße
Stand; Doch auf ihrer Oberfläche bebt der Mensch auf seine Sitz,
Ueber'm Haupt ihm brüllt der Donner, ihm um's Auge zuckt der Blitz!
Oedipus! Dein Jammerschicksal nicht verschließ' es tief in's Herz,
Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz!

Bei den letzten Worten des Tiresias wird der Sarg gebracht und in die Mitte der Scene gestellt.
OEDIPUS.
Ich schaudre wechselnd vor mir selbst und staune,
Als ob wir Alle bloße Träume wären:
Da doch der Mensch nur ein Geschöpf der Laune,
So sollten Weiber lieber nicht gebären!
Wo ist des Ruhms allmächtige Posaune,
Die meinen Namen mitgetheilt den Sphären?
Wo sind die Harfen, welche siebentönig
Mich einst gepriesen als den größten König?

Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken
Und stürzen sah; doch ich bestand die Proben,
Und das, was Vielen ward zu Dornenranken,
Hab' ich zum Rosendiadem verwoben;
Und während tausend Nachen untersanken,
Ward ich vom leichten Element gehoben,
Durchschwamm die Fluthen mit behender Schnelle,
Und mich umtanzte voll Musik die Welle!

[164] Ich ging ein Jüngling, ungekannt von Allen
Wohin, so wähnt' ich, mich die Pythia schickte,
Und ließ die Herrscherworte kaum erschallen,
Als jedes Haupt sich beugte mir und nickte;
Doch war ich schon dem Untergang verfallen,
Eh' ich den Glanz der Sonne noch erblickte,
Und was ein Gott mir statt des Seins gegeben,
Ein Zweifel war es zwischen Tod und Leben.

Nun aber weiß ich, wem ich angehöre,
Als Kind zum Raube schon bestimmt den Thieren:
Es sagen mir's die stummen Trauerflore,
Die diesen Sarg zu meinen Füßen zieren,
Es rufen mir's der Sterne goldne Chöre,
Und was ich muß, das will ich auch verlieren,
Will ohne Schuld, doch solcher Thaten Thäter,
Lebendig steigen in die Gruft der Väter!

Er legt sich in den Sarg; während der Deckel geschlossen wird, fällt der Vorhang.

5. Akt

[165] Fünfter Akt.

Das Publicum, Chor der Haidschnucken.

CHOR.
Was hältst du, Freund, von diesem neuen Trauerspiel?
PUBLICUM.
O zum Entsetzen meisterhaft! Zum Fressen schön!
CHOR.
Wie antisophokleisch er's behandelt hat!
PUBLICUM.
Anachronismen eingestreut zu tausenden!
CHOR.
So ganz unendlich tragisch! Alle sterben fast.
PUBLICUM.
Bis auf die zwei Hebammen.
CHOR.
Diese hat gewiß
Die böse Pest mit weggerafft.
PUBLICUM.
Wie aber kam
Die Sphinx bis in's Orchester? Dieses that sie, scheint's,
Auf eigne Faust?
CHOR.
Ja, leider war die treffliche
Schauspielerin, der Rolle wegen, aufgebracht!
Sie stellte sonst Liebhaberinnen, zärtliche
Koketten dar, und sollte nun ein heidnisches
Geschwänztes Ungeheuer spielen; dieserhalb
Sprach aus dem Stegreif jene grobe Rede sie.
PUBLICUM.
Doch ihr Costüm war ausgesucht! Welch himmlischer
Theaterschneider!
CHOR.
Allerdings! Doch ist er auch
Weit besser, Freund, als bloße Dichter, honorirt,
Und Wem da viel gegeben ist, von Diesem wird
Auch viel gefordert.
PUBLICUM.
Aber sieh! Wer naht sich uns?
[166]
CHOR.
Ein Exilirter aus Berlin, er heißt Verstand.
PUBLICUM.
Ihn hab' ich nennen hören, aber nie gesehn.

Die Vorigen, der Verstand.
CHOR.
Du hast das hohe Meisterwerk mit abgehorcht:
Nun gieb ein Unheil!
VERSTAND.
Alles schien so lappenhaft
Geflickt, und eins an's Andre nur so hingenäht,
Daß ich den Bühnenschneider für den wirklichen
Verfasser halte.
PUBLICUM.
Sagt' ich nicht dasselbe just?
Wie herrlich war der Königin Jokaste Schlepp!
Kind's Frack allein war schmutzig.
CHOR.
Weil der Frack es war,
Den ein Pygmäencorporal getragen einst,
Von eines Kranichs Blut besprützt! Die blutige
Tragödiendichtung aber ist von Nimmermann.
VERSTAND.
Ich will es glauben, ausgenommen Einzelnes,
In keinem Fall die Verse; doch der Plan gewiß.
Auch hat vielleicht ein lustiger Vogel hier und dort
Was Witziges eingeflochten, unterhaltender
Das lahme Spiel zu machen.
CHOR.
Also kennst du nicht
Die Mode, daß man Tragisches jetzt und Komisches
Naturgemäß zusammenschachtelt insgemein,
Weil ja das Menschenleben selbst buntschäckig ist?
VERSTAND.
Das Leben freilich; aber sicher nicht die Kunst.
PUBLICUM.
Oh! Kritisiren, lieber Herr, ist federleicht,
Doch Bessermachen schwierig.
VERSTAND.
Ja, ich wünschte selbst,
Daß Einer käme, welcher ganz auf praktischem
Weg euren Stümpern zeigte, daß sie Stümper sind;
Denn nie geglaubt noch haben sie's den Kritikern.
[167] Auch wird Kritik noch stümperhafter ausgeübt,
Und meist von Dichterlingen selbst. Verrücktes wird
Gemüthlich tief, Gedankenloses klar genannt,
Und Plattes höchst natürlich; aber dieses Lob
Ist nicht das Schlimmste! Denn es wird Vorzügliches
Zugleich herabgewürdiget durch den leichten Kniff,
Zu sagen: Dieses fehlt dem Werk, und freilich muß
Gar Vieles jedem Werke fehlen, freilich ganz
Unmöglich ist es, Calderon und Aeschylus,
Moliere und Aristophanés zugleich zu sein!
PUBLICUM.
Es spricht der Mann gescheuter, als ich's dachte mir,
Und freigesinnt fast macht er mich: Ich glaubte sonst,
Daß Alles, was ein Recensent abdrucken läßt,
Buchstäblich wahr sei.
CHOR.
Schweige nun! Es nähert sich
Der Stolz des Weltalls.
PUBLICUM.
Nimmermann?
CHOR.
Er ist es selbst!

Die Vorigen. Nimmermann.
CHOR.
Auf, auf, o Genossen! Den Sänger begrüßt!
Er bezwingt die Natur, fügt Steine dem Bau,
Lehrt Bären den Tanz! Im Erschaffenen rings
Kommt nichts Ihm gleich; es besiegt sein Lied
Der Cicade Gezirp und den Unkengesang
Und des Kuckucks reiche Gedanken!

Auf, auf, o Genossen! Er kommt! O bedenkt,
Da ein Schöpfer er selbst, was bieten wir ihm?
Ach! Würde sofort des Gehegs Sumpfteich
Ein befruchtender Strom, und ein Lorbeerwald
Dieß Haidegewächs, und die Wolken umher
Babylonische hangende Gärten!

Auf, auf, o Genossen! Er wandelt heran
Lichtschön wie Apoll, der Köcher und Pfeil
[168] Im Gebüsch ablegt, und die Leier bezieht
Mit Saiten! Es spühlt der kastalische Quell
An die Knöchel des Gotts, und es schleicht Sehnsucht
In die liebliche Seele der Musen!
NIMMERMANN.
Mit Dank empfang' ich wohlverdienten Lobtribut.
PUBLICUM.
Dich selber übertrafst du nun, das herrliche,
Superlativische Trauerspiel Cardenio,
Und manches andere Kraftprodukt, durch neidische
Kritiken blos verspottet.
VERSTAND.
Diese nannten es
Hochschule für die Wissenschaft der Gähnerei,
Des Mittelmäßigen Mittelmeer, und ähnliche
Verbrauchte Bilder.
NIMMERMANN.
Und du selbst? Was denkst du denn?
VERSTAND.
Anmaßend wär' ich, wollt' ich noch urtheilen, wo
Deutschland entzückt gerichtet!
NIMMERMANN.
Zwar veracht' ich dich;
Doch zürnt dem armen Knaben nicht der höchste Gott,
Der ihm das Rauchfaß knieend bei der Messe schwingt;
Ich lasse mir dein Lob gefallen: Räuchere!
VERSTAND.
Wer kann erschöpfen dein Verdienst?
NIMMERMANN.
Ich bin zugleich
Poet und Kriminal Jurist und Recensent,
Von drei Talenten eine Trippelallianz!
VERSTAND.
Wie ist der Staat zu beneiden, dem du dergestalt
Nach allen Seiten dienst!
NIMMERMANN.
Es ist der preußische.
VERSTAND.
Glückseliges Oestreich!
NIMMERMANN.
Bin ich nicht ein großer Mensch?
Berlin vergöttert meine Kunst, und meiner Kunst
Kritiken stehn im Hegelischen Wochenblatt,
[169] Als Pfand von seinem Werthe. Dort erklärt' ich auch,
Weshalb der getaufte Heine, mein Mitstrebender,
Kein Byron blos mir, aber ein Petrarca scheint.
VERSTAND.
(Du ganz completter Gimpel!) Mir ein Pindarus.
NIMMERMANN.
Ihn nennen hätt' ich dürfen auch den Pindarus
Vom kleinen Stamme Benjamin; er nannte mich
Des jetzigen Zeitabschnittes ersten Tragiker!
VERSTAND.
O Lessing! Lessing! Drehe dich im Grab herum!
NIMMERMANN.
Nie hört' ich diesen Namen noch.
VERSTAND.
O Winckelmann!
NIMMERMANN.
Was für Pedanten rufst du an? Wer sind sie denn?
VERSTAND.
Mein großer Klopstock!
NIMMERMANN.
Welch ein Kleeblatt nennst du da?
VERSTAND.
Ein schönes Kleeblatt; aber längst dahingewelkt!
NIMMERMANN.
Fast ahn' ich, welcher Dichterschule, Nüchterner,
Du Huldigung darbringest! Deiner Lieblinge
Modernster ist gewißlich jener Dürftige,
Von welchem längst behauptet meine Xenien,
Daß er die Verse, die er schreibt, vomire blos?
Gedankenarmuth, denn ich hab' ihn arm genannt,
Verbirgt er hinter Künstlichkeit!
VERSTAND.
Der Vogel, der
Sein Nest erbaut im zugeschornen Buchenlaub,
Bedient sich dessen als Natur.
NIMMERMANN.
Wer's nicht vermag,
Der also, glaubst du, könne keine Nester bau'n?
VERSTAND.
Ich zweifle d'ran. Weitschweifigen Halbtalenten sind
[170] Präcise Formen Aberwitz, Notwendigkeit
Ist dein geheimes Weihgeschenk, o Genius!
NIMMERMANN.
Ich glaube gar, du ziehst mir jenen gräflichen
Und herrschbegierigen Dichter vor, Aristokrat?
VERSTAND.
Noch hab' ich niemals Anarchie begünstiget,
Und anzugreifen einen weit Gewaltiger'n,
Ist eine That, die sicherlich Verderben bringt.
NIMMERMANN.
Sich breit zu machen, wagen Exilirte noch?
Die Pietisten haben dir Berlin verpönt
Mit Fug und Recht! Wer kümmert um Verstand sich noch?
Hat unser Hoffmann, jener große Callotist,
Dich nicht magnetisch eingelullt, mit Fug und Recht?
Die Schüler Hegels bieten dir spitzfindiglich
Die Spitze dar: Wer kümmert um Verstand sich noch?
Mich lies, Fouqué studiere dann, und sämmtliche
Franz Horn-Zigeunerzeunedeutsch-Berlinerei:
Wir haben keinen Theil an dir im Preußischen!
Aus meinen Augen weiche nur, werth bist du nicht
Mich anzuschau'n! Wer kümmert um Verstand sich noch!
VERSTAND.
Was fällt dir ein? Bezähme deinen Uebermuth!
Nicht kennst du mich, so scheint es. Muß ich zeigen dir,
Aufknöpfend meinen Ueberrock, den Ordensstern,
Wie die Fürsten thun in Kotzebue's Komödien?
Zwar als Verbannter schleich' ich jetzt allein umher;
Doch vom Exil abruft mich einst das deutsche Volk:
Schon jetzt erklingt im Ohre mir sein Reueton,
Schon zerrt es mich am Saume meines Kleids zurück!
Dir aber, welchen schonend ich behandelte,
Dir schwillt der Kamm gewaltig, bitter höhnst du mich,
Und hältst für deines Gleichen mich, Betrogener!
Für jener Leutchen Einen, welche sonst vielleicht
[171] Um deinen Schreibtisch drängten sich, beklatschten dich,
Von dir mit Schwulst sich stopfen ließen, Gänsen gleich.
Unseliger, der du heute nun erfahren mußt,
Welch einen Schatz beherzter Ueberlegenheit,
Biegsamer Kraft im Vorgefühl des Bewältigens,
Welch eine Suada dichterischer Redekunst
In meines Wesens Wesenheit Natur gelegt!
Denn jeden Hauch, der zwischen meine Zähne sich
Zur Lippe drängt, begleiten auch Zermalmungen!
CHOR.
Was thust du? Wehe! Höhne nicht das Kraftgenie!
VERSTAND.
Du blickst herab verächtlich auf Gescheutere,
Als Pfuscher pfuschend, spielst du noch den Kritikus;
Doch schelten darf nicht Jeder, das bedenke du!
Denn selbst die Schicksalsnymphen will ich lieber sehn,
Als dich, den Eimer füllend am Poetenborn:
Du bist die Rachel, welche nur die Schafe tränkt!
Und wäre Müllners Musengott ein Satyr auch,
Mit dir verglichen ist er ein Hyperion,
So wahr der Sohn der Maja mir die Laute gab,
Ja, selbst die Pfeife, die den Argus eingewiegt!
Du bist allein ein ganzer Tollhaushelikon,
Der neun und neunzig Musen hat zu Närrinen;
Der langen Weile nie versiechender Quell entspringt,
Wo nur den Boden stampfen mag dein Pegasus;
Wie Holperpflöcke pflanzest deine Verse du,
Auf daß du selbst im Rausche d'rüber stolperest,
Wofern der Krätzer, den ich biete, trunken macht:
Komm, thu' Bescheid mir, Bruder! Ich kredenze dir's!
Wie schäumt in meinem Becher dir der herbe Spott!
CHOR.
Weh! Schone deine Gurgel, Unersättlicher!
VERSTAND.
Und kraft der Vollmacht, welche mir die Kunst verlieh,
Und kraft des Scherzes, welchen ich bemeistere,
Der unter meinen Händen fast erhaben klingt,
[172] Als wär's der Andacht hoher Ernst, und kraft der Kraft
Zerstör' ich dich, und gebe dich dem Nichts anheim!
Zwar wäre, dich vernichten, eine kleine That;
Allein gesalbt zum Stellvertreter hab' ich dich
Der ganzen tollen Dichterlingsgenossenschaft,
Die auf dem Hackbrett Fieberträume phantasirt,
Und unsere deutsche Heldensprache ganz entweiht;
Ja, gleichwie Nero wünscht' ich euch nur Ein Gehirn,
Durch einen einzigen Witzeshieb zu spalten es,
Um aller Welt zu zeigen eine taube Nuß,
Mit ungenießbar'm Floskelmoder angefüllt.
Verstumme, schneide lieber dir die Zunge weg.
Die längst zum Aergernisse dient Vernünftigen!
An deiner Rechten haue dir den Daumen ab,
Mitsammt dem Fingerpaare, das die Feder führt:
An Geist ein Krüppel, werde bald es körperlich!
CHOR.
Flieh, Nimmermann, die mörderischen Trimeter!
VERSTAND.
Wohin du fliehn willst, nimmermehr entrinnst du doch,
Und gleich Armeen umzingeln dich Verwünschungen!
Sachwalter giebt es keine für den Versifex,
Und aus dem Schooße schütteln dich die Wenigen,
Die noch geneigt dir waren, wie gemeinen Staub!
In meinen Waffen spiegle dich, erkenne dich,
Erschrick vor deiner Häßlichkeit und stirb sodann!
Ich bin im Jambenschleudern ein Archilochus,
Ein Zeus in meinem Sylbenfall, ein Donnerer:
Indem sie treffen, blenden meine Keile dich,
Von mir getödtet, gaffst du noch Bewunderung!

Ab.
Nimmermann. Publicum. Chor.
PUBLICUM.
O Grobian!
NIMMERMANN.
O Grobian!
CHOR.
O Grobian!
[173]
PUBLICUM.
Doch schien mir ziemlich wahr zu sein, was Jener sprach.
CHOR.
Auch ich empfinde manichfach mich umgestimmt;
Nur sprach er, dünkt mich, viel zu viel, und überdieß
War dieser Mensch handfester noch, handgreiflicher,
Als ein Tyrolerjäger aus dem Zillerthal.
NIMMERMANN.
Tyrol? Wie wird mir! Jucken mich Tragödien?
CHOR.
Gieb acht, er brütet wieder was Dramatisches!
NIMMERMANN.
Der Himmel hangt voll Geigen, voll abscheulicher,
Fünffüßiger Jamben uns! O seht!
PUBLICUM.
Wie rüttelt ihn
Begeisterung! Wie scheint er außer sich zu sein!
Weswegen kratzt er aber auf dem Schädel sich?
CHOR.
In seinen Lorbeern nistet jenes kluge Thier,
Das wohl versteht zu schätzen einen Mann von Kopf.
NIMMERMANN.
O mein Andreas Hofer, der erschossen wird!
PUBLICUM.
Erschossen? Nicht doch! Schone diesen Ehrenmann!
NIMMERMANN.
Nicht lass' ich selbst erschießen ihn, ein Engel thut's:
Schon warf in eine Felsenschlucht das Mordgewehr,
Vom Kriege matt, der Bauerngeneral Tyrols;
Ein Engel höhlt es aber aus der Schlucht zurück,
Und legt's dem Helden wiederum zur Seite hin,
Um ihn zu Grund zu richten. Vom Historischen
Abweichen darf ich nimmermehr!
PUBLICUM.
Der Engel soll
Zum Teufel gehn mit seiner Scheindienstfertigkeit!
NIMMERMANN.
Es ist ein Engel, den man auch weglassen kann,
Wie mir es vorschwebt darzuthun im Vorbericht.
PUBLICUM.
Doch dünkt es mich entsetzlich, ohne Geld und Paß,
[174] Verfolgt von Gassenjungen, durch die Welt zu ziehn,
Als weggelassener Engel eines Trauerspiels!
NIMMERMANN.
Ich folge treu den respektiven Zeitungen
Damaliger Zeit, mich haltend an's Historische,
Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz,
Mit Leda's Ei die Pusterthaler Ilias.
PUBLICUM.
Doch werden dann behaupten unsre Kritiker,
Daß dir Erfindungsgabe ganz und gar gebricht,
Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichst;
Denn öfters hört' ich sagen über ein Trauerspiel,
Es wäre mit Begebenheiten vollgepropft,
Doch ganz erfindungslos.
CHOR.
Dann aber weißt du nicht,
Was als Erfindung rühmen uns Romantiker:
Histörchen, Abentheuer, plattes Volksgewäsch,
Statt folgerechten Gegenstands Entwickelung.
NIMMERMANN.
Was seh' ich? Oder besser noch, was riech' ich da?
Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter
Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeschen sind
Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing!
PUBLICUM.
Was riecht er denn? Jetzt scheint er ganz verzückt zu sein.
NIMMERMANN.
Treuloses Weib! Verräthst du deinen Ehemann,
Dem wandelbar'n Franzosenoffizier zulieb?
Untreu verläßt auch dieser dich; doch kehrt er ein
In deine Hütte wiederum, du aber brennst
Ihm über'm Kopf das Haus zusammen, während er
Das Schreiben trägt in seiner Ficke Heiligthum!
PUBLICUM.
Jetzt scheint er mir verrückt zu sein!
NIMMERMANN.
O schändliche
Depeschenmordbrandehebruchstyrolerinn!
[175]
PUBLICUM.
Wahnsinn umflammt den Zirkel seines Dichteraugs!
CHOR.
Weh! Offen gesteht's des Gesangs Wehmuth:
Der berühmte Poet ist übergeschnappt!
Nun klage das All, nun werfe Natur
Nachtflöre des Tods Auf jede Geburt des Frühlings!
NIMMERMANN.
Faßbinder, bindet wieder mir ein Tintenfaß,
Meins ist vor Schmerz zersprungen! Meine Thräne fließt!
CHOR.
Schon plätschert herab sein Zährenerguß,
Und dem Haidegefild droht Sündfluthschmach!
Wo entdeck' ich des Heils noachidischen Kahn?
Wo verheißt Trost uns
Ein poetischer Regenbogen?
NIMMERMANN.
Dieß sing' ich dir, mein Heine, Samen Abrahams!
CHOR.
Er stirbt, und wimmernd fleht er schon Freund Hein herbei!
PUBLICUM.
Du irrst, er ruft Freund Hein ja nicht, den herrlichen
Petrark des Lauberhüttenfests beschwört er blos.
NIMMERMANN.
Du bist der ersten Dichter einer, sagst du selbst!
PUBLICUM.
Wahr ist's, in einem Liedelein behauptet er's;
Doch keiner glaubt's, wie's immer bei Propheten geht.
NIMMERMANN.
Welch einen Anlauf nimmst du, Synagogenstolz!
PUBLICUM.
Gewiß, es ist dein Busenfreund des sterblichen
Geschlechts der Menschen Allerunverschämtester.
NIMMERMANN.
Sein Freund, ich bin's; doch möcht' ich nicht sein Liebchen seyn;
[176] Denn seine Küsse sondern ab Knoblauchsgeruch.
PUBLICUM.
Drum führt er sein Riechfläschchen auch beständig mit.
NIMMERMANN.
Mein Heine! Sind wir beide nicht ein Paar Genie's?
Wer wagt zu stören, Süßer, uns den süßen Traum?
CHOR.
Mir ist's, als hört' ich schlagen eine Pendeluhr,
Die einen sehr gefährlichlauten Wecker hat.
NIMMERMANN.
Wär's möglich? Drohte meinem Stern Verfinsterung?
PUBLICUM.
Dem deinen nebst noch vielen, wenn ihr Sterne wärt;
Doch Blendlaternen schließen blos Talgstümpfchen ein.
CHOR.
Ihr seid die Jungfrau'n, deren Lampen ausgelöscht:
Was ist zu thun? Schon naht sich euch der Bräutigam,
Klangvollen Takt in seiner Schritte jeglichem,
Und bräutlich ruht am Busen ihm die Poesie!
NIMMERMANN.
Auch ihr verhöhnt mich?
PUBLICUM.
Lieber, komm! Ich führe jetzt,
Um Muße dir zu schaffen, dich an jenen Ort,
Den Britten Bedlam heißen, Deutsche Narrenhaus.
CHOR.
Er sagt es englisch, weil er dich Shakespear genannt.
NIMMERMANN.
Auch ihr verhöhnt mich? Wessenthalb, Verblendete?
PUBLICUM.
Wir waren's, lieber Nimmermann! Der heilende
Verstand benahm die Schuppen uns als Augenarzt.
NIMMERMANN.
Ihr wolltet Shakespear'n länger nicht anbeten mehr?
PUBLICUM.
Wir lieben Shakespear; aber wärst Shakespear du selbst,
Der nichts du bist, als seiner Affen grinzendster,
Du kämst zu spät der Forderung des Augenblicks:
Es hat die Welt verschleudert ihren Knabenschuh!
[177]
NIMMERMANN.
O wehe, weh mir! Meine letzte Stütze wankt.
PUBLICUM.
Einfache Wahrheit blos gefällt, kein Stelzenschritt,
Kein Harlekinsrock über einem Katafalk!
NIMMERMANN.
Weh, wehe meinen siebenfach geseiherten,
Phantastischplatten Quintessenztragödien!
CHOR.
O Kraft der Wahrheit! Also selbst gestehst du es?
NIMMERMANN.
Wem deklamir' ich künftig euch? Weh, wehe mir!
PUBLICUM.
In jener Anstalt fehlt es nicht an Hörenden:
Wahnwitzige bilden ebenfalls ein Publicum,
Ein sehr gemischtes, überaus vollzähliges.
NIMMERMANN.
So treff' ich auch jenseitige Mäcenaten an?
PUBLICUM.
Tollhäusler zwar; doch immerhin Bewunderer.
NIMMERMANN.
Triumph! Ich gehe, führe mich! Triumph! Triumph!

Vom Publicum abgeführt.
CHORFÜHRER
an den Rand der Bühne vortretend.
Wenn streng der Poet, voll feurigen Spotts, der empor sich schraubenden Ohnmacht
Schwerfälligen Wahn, der platt, wie er ist, den begeisterten Schwärmer sogar noch
Will spielen, wie einst in die Saiten Apolls des Silens Maulesel hineingriff:
Wenn streng der Poet ihn strafte, verdient er den Dank und die Liebe der Mitwelt.
Da die Feinde zumal und die Hefe des Volks und die Stimmangeber in Deutschland
Ihn tief in den Staub ziehn möchten, damit er verliere sich unter der Mehrzahl,
So geziemt es gewiß der befreundeten Schaar, um so mehr ihn rettend zu flüchten,
[178] Auf prangendem Schild ihn tragend empor, den Beherrscher des Worts in der Dichtkunst!
Seit ältester Zeit hat hier es getönt, und so oft im erneuenden Umschwung,
In verjüngter Gestalt aufstrebte die Welt, klang auch ein germanisches Lied nach.
Zwar lange verhallt ist jener Gesang, den einst des Arminius Heerschaar
Anstimmend gejauchzt in des Siegs Festschritt, auf römischen Gräbern getanzt ihn;
Doch blieb von der Zeit des gewaltigen Karls wohl noch ein gewaltiges Lied euch,
Ein gewaltiges Lied von der mächtigen Frau, die erst als zarteste Jungfrau
Dasteht, und verschämt, voll schüchterner Huld, dem erhabenen Helden die Hand reicht,
Bis dann sie zuletzt, durch's Leben gestählt, durch glühende Rache gehärtet,
Graunvoll auftritt, in den Händen ein Schwert und das Haupt des enthaupteten Bruders.
Auch lispelt um euch der melodische Hauch aus späteren Tagen des Ruhms noch,
Als mächtigen Gangs zu des Heilands Gruft die gepanzerten Friedriche wallten;
An den Höfen erscholl der Gesang damals aus fürstlichem Mund, und der Kaiser,
Dem als Mitgift die Gestade Homers darbrachte die Tochter des Normanns,
Sang lieblichen Ton! Kaum aber erlosch sein Stamm in dem herrlichen Knaben,
Der, unter dem Beil hinsterbend, erlag capetingischer teuflischer Unthat,
Schwieg auch der Gesang, und die göttliche Kunst fiel unter die Meister des Handwerks.
Spät wieder erhub sie die heilige Kraft, als neue befruchtende Regung
[179] Weit über die Welt, aus Deutschlands Gau'n, der begeisterte sächsische Mönch trug;
Doch strebte sie nun langsamer empor, weil blutiger Kriege Verderbniß
Das entvölkerte Reich, Jahrhunderte lang, preisgab der unendlichen Rohheit;
Weil Wechsel des Lauts erst hemmte das Lied, da de bibelentfaltende Luther
Durch männlichem Ton auf immer vertrieb die melodische rheinische Mundart.
Doch sollte das Wort um so reicher erblühn, und es lehrte zugleich es Melanchthon
Den gediegenen Klang, den einst anschlug die beglücktere Muse von Hellas,
Und so reifte heran die germanische Kunst, um entgegen zu gehn der Vollendung!
Lang schlich sie dahin, lang schleppte sie noch nachahmende Fessel und seufzte,
Bis Klopstock naht und die Welt fortreißt in erhabener Odenbeflüglung,
Und das Maß herstellt, und die Sprache beseelt und befreit von der gallischen Knechtschaft,
Zwar starr noch und herb und zuweilen versteint, auch nicht Jedwedem genießbar;
Doch ihm folgt bald das Gefällige nach und das Schöne mit Goethischer Sanftheit.
Manch großes Talent trat später hervor, und entfaltete himmlischen Reichthum;
Doch Keiner erschien, in der Kunst Fortschritt, dem unsterblichen Paare vergleichbar:
Keusch lehnt Klopstock an dem Lilienstab und um Goethe's erleuchtete Stirne
Glühn Rosen im Kranz! Kühn wäre der Wunsch, zu ersingen verwandte Belohnung!
Ansprüchen entsagt gern unser Poet, Ansprüchen an euch! An die Zukunft
[180] Nicht völlig, und stets wird löblicher That auch löblicher Lohn in der Zukunft!
Er beneidete nie die gefeierte Schaar um ein rauschendes Zeichen des Beifalls,
Wenn lallenden Tons sie zu stammeln begann die gestotterte Phrase der Unkunst;
Denn er hörte sie wohl und erkannte sie wohl, und verbiß die gerechte Verachtung:
Nie wird er sie nun mehr hören vielleicht, und er wandelt im Garten Europa's,
Der ihn schadlos für manchen Verlust, für manches verkannte Gedicht hält:
In dem Pinienhain, an den Buchten des Meers,
Wo die Well' abfließt voll triefenden Schaums,
Geht gern er allein, und wofern kein Ohr
Ihm mehr zuhorcht jenseits des Gebürgs,
Dann spornt zum Gesang zwar kein Beifall
Der Befreundeten ihn,
Doch Fülle des eigenen Wohllauts.

Nachschrift an den Romantiker

Nachschrift an den Romantiker.

Vorwürfe hab' ich gehört, noch eh' ich zu Stand gebracht

Das Werk, mit welchem ich dich, mein süßer Gesell, bedacht;

Es sprachen Freunde zu mir: »Wir sind an Poeten reich,

Was wählst du Helden dir aus, die schwach und verrückt zugleich?

Wer Nachtigallengesang zu tönen versteht, wie du,

Zieht sich das Rachegekreisch des Krähengeschlechtes zu?

[181] Nie hat Apollo gezielt auf Hasen und andern Troß,

Die stolze Niobe nur demüthigte sein Geschoß.«


Ich muß vor solchem Verdacht vertheidigen jenes Lied:

Mein Held, was bist du mir denn, mein hinkender Jambenschmied?

Ein Ueberbleibsel der Zeit, die hoffentlich nun vorbei,

Jahrzehntelangen Gequicks romantischer, letzter Schrei!

Zwar macht dich keiner so leicht, sammt deinen Gefährten, stumm;

Doch denken lerne die Welt, und scheide Gerad' und Krumm!

Irrthümern bin ich gefolgt und habe, da falscher Schein

Betrügt, die Hefe geschöpft, zu zeigen, wie schlecht der Wein,

Dem Volk zu zeigen, wohin, in welches Gewölk von Dunst

Unreifer Schwindel geführt, und kindische, lahme Kunst:

Erst war man blos paradox, bald folgte der tollste Quark,

Wahrheit ergrimmte zuletzt, und siehe, sie war so stark!

Gewiß, mir hätte den Ton der Leier die Scham gedämpft,

Wenn dein Geklimper ich blos, langweiliger Mensch bekämpft!

Volksthümlich nennen sie dich; drum hörtest du wohl, wie's scheint,

Daß auf die Säcke man schlägt, indeß man den Esel meint?

Ich muß, damit sich dabei beruhige dein Geschmack,

Gestehn dir, daß du allein im obigen Fall der Sack.

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