[227] Amor und der Tod
Nach dem Lateinischen des Sautel.
Wien im Jäner 1786.
Der Tod, ein alter hagrer Mann,
Traf einst zur Nachtzeit auf der Reise
Den jungen kleinen Amor an.
Ein Regenguss, der eimerweise
Aus einer Wetterwolke drang,
Und Rheens irdenes Gehäuse
Dem Weltmeer ähnlich machte, zwang
Die zween berittnen Bogenschützen
Vor einem Gasthof abzusitzen.
Weil es kein klügres Mittel gab,
Als willig hier zu übernachten,
So legten sie die Köcher ab,
Und liessen sich ein Ferkel schlachten.
[228]Nachdem ihr kleiner Abendschmaus
Verzehrt war, zogen die zween Gäste,
Vor Schlummer gähnend, die durchnässte,
Vom Regen schwere Kleidung aus,
Versenkten tief sich in ein niedlich
Bepfülbtes Bett, und pflegten friedlich
Des Schlafes, der mit raschem Flug
Sie bald in's Reich der Träume trug.
Die Wirthinn, der der blinde Bube
Samt dem verdorrten Greis, der ihn
Begleitete, verdächtig schien,
Schlich nun aus Neugier in die Stube.
Sie steckte bald in Amors Pack,
Bald in des Todes Mantelsack
Die mit dem feinsten Brillenglase
Zu diesem Zweck verseh'ne Nase,
Und leert', als sie die Köcher fand,
Auf's Tischchen, wo die Lampe stand,
Die Pfeile forschend hin, als plötzlich
Der schelmische Beelzebub
[229]Kupido träumend ein entsetzlich
Geheul in seinem Bett erhub.
Betroffen las sie nun in Eile
Die blindlings ausgeleerten Pfeile
Zusammen, die beym matten Schein
Der Lampe sich so arg verwirrten,
Dass in Kupidens Köcherlein
Des Todes Pfeile sich verirrten,
Und manches Pfeilchen Amors sich
Mit in des Todes Köcher schlich.
Seit diesem feinen Abentheuer
Sieht man, dass, gleich dem jüngsten Freyer,
Der Graukopf nun um Liebe wirbt,
Und oft zu früh der Jüngling stirbt,
Weil itzt der Tod aus seinem Köcher
Kupidens Pfeil' auf alte Schächer
Aus Irrthum oft zu schleudern pflegt,
Und mit des Knochenmannes Pfeilen
Der kleine blinde Gott zuweilen
Dem Jüngling Todeswunden schlägt.